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AKADEMIE -REPORT - Akademie für Politische Bildung Tutzing

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Die aus aktuellem Anlass geführten<br />

Debatten um die „Heuschrecken“ und<br />

den „Raubtierkapitalismus“, so Josef<br />

Schmid von der Universität Bamberg,<br />

seien die Fortsetzung des seit etwa<br />

1900 um sich greifenden „wirtschaftlichen<br />

Geistes“. Dieser trete in den europäischen<br />

Staaten als sozialpolitischer<br />

Leitgedanke zu<br />

Krisen- und Umbruchzeiten<br />

auf. In den USA hingegen sei<br />

dies undenkbar. Die Tatsache,<br />

dass von 200 Millionen Bürgern<br />

30 Millionen nicht krankenversichert<br />

seien, werde als<br />

„vollkommen normal“ hingenommen.<br />

Jener klassische Liberalismus<br />

wurde erst durch<br />

Roosevelts New Deal aufgebrochen.<br />

In Großbritannien<br />

etablierte sich nach dem<br />

Zweiten Weltkrieg, so<br />

Schmid, ein „totalitärer Gewerkschaftsstaat“,<br />

der erst<br />

durch die eiserne Lady zerschlagen<br />

werden konnte. Auf<br />

dem europäischen Festland<br />

hingegen wehte schon immer<br />

„ein anderer sozialer Wind“:<br />

Staatstätigkeit und Sicherheit<br />

seien im französischen Zentralismus<br />

seit jeher groß geschrieben<br />

worden. Doch mit dem Aufbrechen der<br />

Schutzzölle und -mauern wurden diese<br />

Determinanten ineffizient. Als Folgen<br />

waren zunehmende Arbeitslosigkeit<br />

und Verteilungskämpfe auszumachen.<br />

Schmid sah in der französischen<br />

Kontinentalökonomie den „sozialen<br />

Irrtum“ darin, dass Soziales ein „bloßes<br />

Anhängsel“ der Wirtschaftstätig-<br />

18<br />

Humane Leitbilder <strong>für</strong> die Wirtschaftsordnung<br />

Hat die Wirtschaftsordnung in Deutschland den Anspruch,<br />

Menschenwürde zu gewährleisten und zu gestalten, verloren<br />

* ? Dieser Frage widmete sich die <strong>Akademie</strong> in einer Fachtagung<br />

unter der Leitung des Präsidenten des Instituts <strong>für</strong> Wirtschaftsforschung<br />

Halle, Ulrich Blum und Heinrich Oberreuters. Repräsentanten<br />

aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik diskutierten,<br />

ob Fairness in der Arbeitswelt, Berufsethik und Sinnerfüllung durch<br />

Arbeit weiterhin gewährleistet sind.<br />

keit gewesen sei. Im Modell Deutschland<br />

liege der „soziale Irrtum“ dagegen<br />

darin, keinen organischen Zusammenhang<br />

zwischen Ökonomie und Sozialem<br />

geschaffen zu haben. So habe<br />

man das Prinzip der Eigenvorsorge<br />

nahezu vollständig außer Kraft gesetzt.<br />

Josef Schmid: Prinzip der Eigenvorsorge<br />

nahezu vollständig außer Kraft gesetzt.<br />

Foto: Schickhaus<br />

Wert der Arbeit<br />

Über den Zusammenhang von Menschenwürde<br />

und Arbeit sprach Michael<br />

Assländer vom Internationalen<br />

Hochschulinstitut Zittau. Historisch<br />

setzte sich erst nach und nach die Sicht<br />

der gewinnorientierten Erwerbstätigkeit<br />

als Arbeitsform durch. Die Ständeordnung<br />

wurde zerschlagen. Tugen-<br />

*Über den Vortrag von Nikolaus Piper (Süddeutsche Zeitung) in der Tagung zu<br />

diesem Thema haben wir bereits im <strong>Akademie</strong>-Report 3-05 anlässlich eines<br />

<strong>Akademie</strong>gesprächs im Landtag berichtet.<br />

den wie „Fleiß“ und „Enthaltsamkeit“<br />

wurden geboren. Sünde war nun die<br />

Arbeitsverweigerung. Arbeit hätte sich,<br />

so Assländer, in drei Bereichen gewandelt:<br />

Während Arbeit in der Antike<br />

Privatangelegenheit war, sei sie <strong>für</strong> das<br />

Bürgertum zur öffentlichen Sache geworden.<br />

Motivation zur Arbeit sei nun<br />

eindeutig der Gelderwerb. Waren früher<br />

die Erwerbsmöglichkeiten durch<br />

den sozialen Stand beschränkt, bestimmten<br />

sie heute sogar den Status<br />

eines Menschen. Mit der gewandelten<br />

Bedeutung von Arbeit traten aber auch<br />

neue Probleme auf: Armut wurde<br />

durch Arbeitslosigkeit ersetzt. War es<br />

ein Recht der Armen Almosen zu erhalten,<br />

so ist es heute ein Recht der<br />

Arbeitslosen, beschäftigt zu werden.<br />

Dass dies die Marktwirtschaft nicht<br />

vollständig leisten könne, sei offenkundig.<br />

Arbeit sei an Sinnstiftung und<br />

Entlohnung orientiert. Dies galt von<br />

der Industrialisierung bis hin zum<br />

Zweiten Weltkrieg selbst <strong>für</strong> Industriearbeit,<br />

da es um den Aufbau einer besseren<br />

Zukunft ging. Doch mit wachsendem<br />

Wohlstand und Sättigung sei<br />

Schritt <strong>für</strong> Schritt auch die Sinnstiftung<br />

verloren gegangen. Den Wert von Arbeit<br />

schätze man so lange, wie die<br />

Möglichkeit des sozialen Aufstiegs<br />

gegeben sei. Assländer warnte davor,<br />

jungen Menschen im Voraus diese<br />

Chance zu nehmen, indem Unternehmen<br />

sich ihrer Verantwortung der Ausbildung<br />

entzögen.<br />

Ethik als Chefsache<br />

Über die Frage, wie man Unternehmen<br />

zu ethisch verantwortungsbewusstem<br />

Handeln bewegt, referierte Annette<br />

Kleinfeld: „Unter heutigen Rahmenbedingungen<br />

gewinnen ethische Orientierungen<br />

<strong>für</strong> Unternehmen eine wachsende<br />

Bedeutung.“ Da wir heute in einer<br />

Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft<br />

lebten, werde das Individuum<br />

mit seinen Potenzialen immer wichtiger.<br />

Und obwohl der Wind der Globalisierung<br />

immer stärker blase, gibt es<br />

nach wie vor keine wirtschaftspolitische<br />

Rahmenordnung im Weltmaßstab.<br />

Außerdem stünde die Wirtschaft we-<br />

�<br />

<strong>Akademie</strong>-Report 4/2005

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