Bildnis in Bild und Wort - Walter Peter Gerlach, Forschungsprojekte
Bildnis in Bild und Wort - Walter Peter Gerlach, Forschungsprojekte
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<strong>Peter</strong> <strong>Gerlach</strong><br />
Anblick des Anderen<br />
Imag<strong>in</strong>ation, Konstruktion, Beschreibung von <strong><strong>Bild</strong>nis</strong>sen.<br />
Mir stellt sich e<strong>in</strong>e entscheidende Frage immer dr<strong>in</strong>glicher <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en Vorschlag zur<br />
Beantwortung möchte ich vorbr<strong>in</strong>gen:<br />
Woher bezog man das Vokabular, mit der man angemessen die äußere Ersche<strong>in</strong>ung e<strong>in</strong>es<br />
Individuums der Gegenwart, se<strong>in</strong> Gesicht oder se<strong>in</strong>e Gestalt beschreiben <strong>und</strong> darstellen zu<br />
können glaubte <strong>und</strong> glaubt <strong>und</strong> welche E<strong>in</strong>schätzung von charakterlichen Eigenschaften<br />
verband man mit dieser Ersche<strong>in</strong>ung <strong>und</strong> ihrer bildlichen Darstellung <strong>in</strong> bildender Kunst <strong>und</strong><br />
Literatur?<br />
Läßt sich rekonstruieren, was zur Verfügung stand?<br />
Zu me<strong>in</strong>er frühen Lektüre gehörten Texte von Kafka <strong>und</strong> Rimbaud, Sartre <strong>und</strong> Thomas Mann,<br />
Brecht <strong>und</strong> Dostojewski mit ihren zahlreichen Personenschilderungen. Als Beispiel davon<br />
führe ich folgende Beschreibung des leitenden Arztes des Lungensanatoriums aus dem<br />
Zauberberg von Thomas Mann:<br />
"Er war e<strong>in</strong> knochiger Mann, wohl drei Köpfe höher als Dr. Krokowski, schon ganz weiß auf<br />
dem Kopf, mit heraustretendem Genick, großen, vorquellenden <strong>und</strong> blutunterlaufenen Augen,<br />
<strong>in</strong> denen Tränen schwammen, e<strong>in</strong>er aufgeworfenen Nase <strong>und</strong> kurzgeschnittenem<br />
Schnurrbärtchen, das schiefgezogen war, <strong>und</strong> zwar <strong>in</strong>folge e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>seitigen Schürzung der<br />
Oberlippe. Was Joachim von se<strong>in</strong>en Backen gesagt hatte, bewahrheitete sich vollkommen,<br />
sie waren blau; <strong>und</strong> so wirkte se<strong>in</strong> Kopf denn recht farbig gegen den weißen Chirurgenrock,<br />
den er trug, e<strong>in</strong>en über die Knie reichenden Gurtkittel, der unten se<strong>in</strong>e gestreiften Hosen <strong>und</strong><br />
e<strong>in</strong> Paar kolossale Füße <strong>in</strong> gelben <strong>und</strong> etwas abgenutzten Schnürstiefeln sehen ließ." 1<br />
Durch ihn <strong>und</strong> die anderen Autoren lernte ich e<strong>in</strong>ige sehr unterschiedliche<br />
Beschreibungsstrategien menschlicher Ersche<strong>in</strong>ung kennen. Jedoch kaum e<strong>in</strong>e ließ sich mit<br />
dem vere<strong>in</strong>baren, was mir vom Äußere an Personen me<strong>in</strong>er Umgebung als bestimmend <strong>in</strong><br />
Er<strong>in</strong>nerung war. Entweder sah ich etwas anderes als diese Schriftsteller, oder - was<br />
wahrsche<strong>in</strong>licher ist - ihre Sprache folgte e<strong>in</strong>er nicht auf e<strong>in</strong>en gleichen Alltag ausgerichteten<br />
Intention wie die me<strong>in</strong>e, so mühelos auch ihre Formulierungen me<strong>in</strong>e Vorstellung mit<br />
durchaus lebendigen Gestalten füllten.<br />
Mit e<strong>in</strong>em <strong>Wort</strong>: Zwischen dem <strong>Bild</strong> <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Er<strong>in</strong>nerung <strong>und</strong> diesen Textangeboten blieb<br />
e<strong>in</strong>e breite Kluft bei der Beschreibung lebender Personen unüberbrückbar offen. Umgekehrt<br />
hatte ich seit Schulzeiten das <strong><strong>Bild</strong>nis</strong> e<strong>in</strong>es berühmten europäischen Künstlers - e<strong>in</strong><br />
Altersbildnis Leonardos (Giuseppe Bossi, <strong><strong>Bild</strong>nis</strong> Leonardo da V<strong>in</strong>ci, Tur<strong>in</strong>, Bibliothek, um<br />
2<br />
1800) - als authentisch vor Augen, bis Hans Ost 1980 nachweisen konnte, daß es sich um<br />
e<strong>in</strong>e Konstruktion des beg<strong>in</strong>nenden 19. Jahrh<strong>und</strong>erts handelte.<br />
1
3<br />
Beschäftigen wir uns kurz mit e<strong>in</strong>em frühen Fall von <strong><strong>Bild</strong>nis</strong> , an dem sich e<strong>in</strong> Aspekt<br />
erläutern läßt:<br />
Kuno von Falkenste<strong>in</strong> (* - + 1388), Erzbischof <strong>und</strong> Kurfürst von Trier, Perikopenbuch, Hs 6,<br />
4<br />
Fol. 2v, Trierer Domschatz, 1380. Zum Vergleich sei herangezogen: Kuno von Falkenste<strong>in</strong>,<br />
5<br />
Statue am Schönen Brunnen <strong>in</strong> Nürnberg <strong>und</strong> Kuno von Falkenste<strong>in</strong>s Grabmonument,<br />
Koblenz, St. Kastor, um 1388. 6<br />
Von diesem Trierer Kurfürsten Kuno von Falkenste<strong>in</strong> - er amtierte 1362-1388 - existiert <strong>in</strong><br />
7<br />
e<strong>in</strong>er Chronik aus Limburg e<strong>in</strong>e zeitgenössische Personenbeschreibung, <strong>in</strong> der der Autor<br />
ausdrücklich bestätigt, daß er den Kurfürsten leibhaftig gesehen habe:<br />
"Item nu saltu wißen phyzonomien <strong>und</strong>e gestalt hern Conen vurgenannt, want ich <strong>in</strong> dicke<br />
(oft) gesehen <strong>und</strong>e geprufet han <strong>in</strong> sime wesen <strong>und</strong>e <strong>in</strong> mancher s<strong>in</strong>er manirunge (Eigenart).<br />
/ He was e<strong>in</strong> herlich stark man von libe (am Leibe) <strong>und</strong>e wol gepersoniret / <strong>und</strong>e groß von<br />
allem gelune (Ansehen), / <strong>und</strong>e hatte e<strong>in</strong> groß heupt mit eime struben widem brunen krulle,<br />
e<strong>in</strong> breit antlitze mit pußenden backen, e<strong>in</strong> scharp menlich gesichte, / e<strong>in</strong>en bescheiden mont<br />
mit glefsen (Lippen) etlicher maße dicke; / di nas was breit, mit gerumeden naselochern, die<br />
nas was ime mitten nider gedrucket; / mit eime großen k<strong>in</strong>ne <strong>und</strong>e e<strong>in</strong>er hohen stirne, / <strong>und</strong>e<br />
hatte auch e<strong>in</strong> groß brost (breite Brust) / <strong>und</strong>e rodelfare (rote R<strong>in</strong>ge) <strong>und</strong>er s<strong>in</strong>en augen, /<br />
<strong>und</strong>e stont uf s<strong>in</strong>en be<strong>in</strong>en als e<strong>in</strong> lewe, / <strong>und</strong>e hatte gutliche geberde gen s<strong>in</strong>en fr<strong>und</strong>en, /<br />
<strong>und</strong>e wanne daz he zornig was, so pußeden <strong>und</strong> floderten ime s<strong>in</strong>e backen <strong>und</strong> stonden ime<br />
herlichen <strong>und</strong>e wislichen <strong>und</strong>e nit obel. / Want der meister Aristoteles sprichet <strong>in</strong> dem virden<br />
buche Ethicorum: Non irasci, <strong>in</strong> quibus oportet, <strong>in</strong>sipientis esse." Daz heißet also: Wer nit<br />
umb not zorn enthalt, daz enist nit e<strong>in</strong>s wisen rait."<br />
("Nun also sollst Du die Physiognomie <strong>und</strong> Gestalt des vorgenannten Herrn Kuno<br />
kennenlernen, den ich oft gesehen <strong>und</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Wesen <strong>und</strong> mancher Eigenart erfahren<br />
habe. Er war e<strong>in</strong> herrlich starker Mann <strong>in</strong> Betreff des Körpers (1), e<strong>in</strong>e Persönlichkeit, groß<br />
von Ansehen, hatte e<strong>in</strong> großes Haupt mit struppig-lockigem Haar (2), e<strong>in</strong> breites Gesicht (3)<br />
mit Pausbacken (4), e<strong>in</strong>en kühnen Blick (5), e<strong>in</strong>en ausdrucksvollen M<strong>und</strong> (6) mit dicken<br />
Lippen, die Nase (7) war breit mit großen Nasenlöchern, sie war <strong>in</strong> der Mitte e<strong>in</strong>gedrückt, mit<br />
e<strong>in</strong>em großen K<strong>in</strong>n (8) <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er hohen Stirn (9). Er hatte e<strong>in</strong>e breite Brust (10) <strong>und</strong> rötliche<br />
R<strong>in</strong>ge unter den Augen (11). Er stand auf se<strong>in</strong>en Be<strong>in</strong>en (12) wie e<strong>in</strong> Löwe. Er hatte gütige<br />
Gebärden (13) se<strong>in</strong>en Fre<strong>und</strong>en gegenüber. Wenn er zornig war, dann blies er se<strong>in</strong>e Backen<br />
auf, daß sie flatterten: das stand ihm herrlich <strong>und</strong> weise <strong>und</strong> nicht übel an. So spricht der<br />
Meister Aristoteles <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em 4.Buch der Ethik [... Das heißt]: Wer nicht - wo nötig - zornig<br />
wird, hat nicht den rechten weisen Rat." 8<br />
Manches mag man an den Darstellungen von der Beschreibung des Chronisten problemlos<br />
wiedererkennen. Allerd<strong>in</strong>gs entzieht sich der Satz "Er stand auf se<strong>in</strong>en Be<strong>in</strong>en wie e<strong>in</strong> Löwe"<br />
der unserer unmittelbaren Erkennbarkeit. Hierbei handelt es sich nämlich um e<strong>in</strong>e<br />
besondere Metapher, die uns <strong>in</strong> die sprachliche Welt der Physiognomie-Texte führt.<br />
Leonardo : Leon<strong>in</strong>er Kopf, W<strong>in</strong>dsor 12.504. / Leonardo, Alter Mann mit Löwenkopf, 1498/99,<br />
W<strong>in</strong>dsor 12.502, P.142.<br />
In der PHYSIOGNOMONIA des Pseudo-Aristoteles (auf der Tabelle die erste Spalte) werden<br />
als Kennzeichen des Leon<strong>in</strong>en folgende Merkmale aufgeführt: "Haare, die weder glatt noch<br />
allzu kraus s<strong>in</strong>d" (III,F,8 - 11), "der ganze Körper artikuliert <strong>und</strong> nervig-kraftvoll" (articulatum<br />
et nervosum) (III,F,11), "die Nase eher dick als fe<strong>in</strong> (magis grossum quam subtilem), die<br />
Augen s<strong>in</strong>d nicht zu r<strong>und</strong>, nicht zu vorstehend, die Brauen recht groß, der Hals lang <strong>und</strong><br />
2
mäßig breit (III,F,2-9), die Stirn an Nasen- <strong>und</strong> Augenbrauenansatz 'wolkenartig' (sicut<br />
nubes) übersteht" (III,F,8).<br />
Besondere Merkmale sche<strong>in</strong>en es zu se<strong>in</strong> <strong>und</strong> <strong>in</strong> Leonardos beiden Zeichnungen werden sie<br />
vorgetragen. Wir können sie etwa mit dem uns noch geläufigen - eher negativ konnotierten -<br />
Typen e<strong>in</strong>es "Salonlöwen" verb<strong>in</strong>den.<br />
Was aber haben wir von dem historischen Kurfürsten zu halten? wie müssen wir damit<br />
umgehen?<br />
Vergleichbares <strong>in</strong> der Darstellung männlicher <strong><strong>Bild</strong>nis</strong>se f<strong>in</strong>den wir z.B. <strong>in</strong> süddeutschen<br />
Beispielen, allerd<strong>in</strong>gs erst 100 Jahre später regelmäßig.<br />
Tirolischer <strong>Bild</strong>hauer, Grabmal des Brixener Domherr (1468 - 1496/97) Achaz Mornauer,<br />
E.15.Jh., B.107 / Meister des Halepagen-Altars, <strong><strong>Bild</strong>nis</strong> e<strong>in</strong>es alten Mannes mit<br />
aufgeschlagenem Buch, um 1490 ? (Ähnlich dem Hieronymus auf dem Helepagen-Altar.),<br />
B.4 / Ulmer Meister von 1500, Richter Dr.iur. Johann Wespach aus Memm<strong>in</strong>ger<br />
Patrizierfamilie, der 1507 starb, München, Kunsthandel.<br />
Ihnen geme<strong>in</strong>sam mit dem Trierer Kurfürsten ist die Darstellung e<strong>in</strong>er fülligen Frisur, die<br />
hochgezogenen Augenbrauen <strong>und</strong> die abwärts gebogenen M<strong>und</strong>w<strong>in</strong>kel.<br />
In Abstufungen wird hier offenk<strong>und</strong>ig e<strong>in</strong>e bildliche Formel für e<strong>in</strong>en Herrscheraspekt für das<br />
jeweilige <strong><strong>Bild</strong>nis</strong> verwendet. Der messianische Löwe von Juda ist Salomon. Die dem Löwen<br />
9<br />
zugeschriebene Großmütigkeit ist e<strong>in</strong>e der entscheidenden 4 (Kard<strong>in</strong>al -)<br />
Herrschertugenden. Nun er<strong>in</strong>nern wir uns, daß auch der Limburger Chronist dem Kuno diese<br />
Tugend zubilligt, zum<strong>in</strong>dest se<strong>in</strong>en Fre<strong>und</strong>en gegenüber. Er beschrieb ihn als Choleriker mit<br />
den "pußenden Backen", den blutunterlaufenen Augen usw.: für dieses Temperament steht<br />
nun der Löwe als Symboltier nicht nur bei Dürers "Vier Aposteln" : der Evangelist Markus (li.<br />
mit Apostel Paulus), 1526, München, Alte P<strong>in</strong>akothek.<br />
<strong>Bild</strong>erwelt <strong>und</strong> sprachliche Umsetzung des mit eigenen Augen gesehenen bedienen sich<br />
solcher überlieferten Raster zur Bestimmung des <strong>in</strong>dividuell Charakteristischen. Und diese<br />
Raster haben wir bei der Analyse von <strong><strong>Bild</strong>nis</strong>sen mit <strong>in</strong>s Kalkül zu ziehen, gehörte doch die<br />
10 11<br />
Temperamentenlehre zum<strong>in</strong>dest seit Savonarola zum verbreitetsten Kategoriensystem<br />
zur Erfassung <strong>in</strong>dividueller Differenz nicht nur <strong>in</strong> der Astrologie, sondern ebenso <strong>in</strong> der<br />
Mediz<strong>in</strong>. Kuno ist nun nicht bärtig: aber dennoch wird der Aspekt herausgestellt, der ihn zu<br />
diesen Varianten der Temperaments-Formulierung gehörig ausweist.<br />
Was aber gab es an genu<strong>in</strong> bildnerischen Überlegungen, wie denn nun die je <strong>in</strong>dividuelle<br />
Differenz der Form von Gesichtern zu erfassen sei?<br />
Damit kommen wir nunmehr zur Frage der bildlichen Konstruktion: Dürers<br />
Konstruktionsverfahren aus dem 3. Buch "Von menschlicher Proportion" von 1528 zeigt. Auf<br />
der Basis e<strong>in</strong>er regelmäßigen Quadratteilung werden durch Verschiebung der Abstände<br />
zwischen den Parallelen Varianten gebildet, die je e<strong>in</strong>e Ausdrucksvariante kennzeichnen.<br />
Albrecht Dürer, Kopf-Konstruktionen Enface, 1528. / Albrecht Dürer, Kopf-Konstruktion im<br />
Profil, 1528.<br />
Gibt es analoges <strong>in</strong> der bildnerischen Praxis v o r Dürer?<br />
Das Altarfragment von Riemenschneider stelle ich e<strong>in</strong>e Reihe von Köpfen aus dem gleichen<br />
<strong>und</strong> anderen Werken Riemenschneiders gegenüber. Hier ist der Vergleich der Variationen<br />
<strong>in</strong> der Gesichtsbildung aufschlußreich.<br />
Riemenschneider, Wibl<strong>in</strong>ger Altar, Kaiphas-Gruppe, Detail, um 1485, Harburg, Der Ankläger<br />
3
aus Relief vom Grabmal He<strong>in</strong>rich II Bamberg, 1499-1513, Erzengel Michael, ebendort. (s),<br />
Sebastian aus Oberzell, um 1490, München, Bay.Nat.Mus. (s), Christus aus der<br />
Bewe<strong>in</strong>ungsgruppe <strong>in</strong> Maibronn, um 1519-23, Bärtiger Hauptmann aus der<br />
Bewe<strong>in</strong>ungsgruppe <strong>in</strong> Maibronn, um 1519, Kunig<strong>und</strong>es Vater, Bamberger He<strong>in</strong>richs-Grabmal,<br />
1499 - 1513. (s), Apostel Philippus, Würzburg, Marienkapelle, 1500/1506.<br />
Der letztere fällt heraus: er stellt e<strong>in</strong>en anderen Temperament-Typus dar. Ansonsten herrscht<br />
Familienähnlichkeit vor, trotz des Altersunterschiedes, das ist offensichtlich.<br />
Diese Gegenüberstellung macht e<strong>in</strong>es wahrsche<strong>in</strong>lich: Dürer reduzierte auf e<strong>in</strong> lehrbares <strong>und</strong><br />
kontrollierbares Schema, was seit m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>er Generation vor ihm e<strong>in</strong> geläufiges<br />
Verfahren zur Konstruktion von Individualisierung <strong>in</strong> der bildhauerischen Praxis schon war.<br />
Er hat also ke<strong>in</strong>eswegs etwas völlig Neues erf<strong>und</strong>en. Vielmehr hat er e<strong>in</strong> Pr<strong>in</strong>zip geometrisch<br />
beschrieben, das unabhängig vom Medium sowohl für die Zeichnung als auch <strong>in</strong> der Malerei<br />
<strong>und</strong> <strong>Bild</strong>hauerei anwendbar ist. Es wäre an weiteren Fällen vor Dürer zu prüfen, ob dieses<br />
Verfahren <strong>in</strong> der Praxis auch andernorts <strong>und</strong> bei anderen Künstlern bereits geläufig gewesen<br />
ist. 12<br />
Aber nicht nur derartige beliebige Varianten bestimmten die kompositorische Entscheidung<br />
von Künstlern. Sie brauchten e<strong>in</strong> Kriterium für die Auswahl e<strong>in</strong>er geeigneten Variante aus<br />
dem verfügbaren Spektrum.<br />
So wird von Donatello (zugeschr./Desiderio da Settignano, als: G<strong>in</strong>o Capponi), <strong><strong>Bild</strong>nis</strong> des<br />
Florent<strong>in</strong>er Patriziers Niccolò da Uzzano (?) (1359 - 1431), Vorsitzender der Kommission der<br />
Calimala, Bankier <strong>und</strong> Staatsmann. Terracotta, um 1460-1480: ganz offenk<strong>und</strong>ig e<strong>in</strong>e<br />
13<br />
Caesaren-Kopf Imitatio angestrebt , wie die Imitatio Christi bei Dürers Selbstbildnis von der<br />
Forschung allgeme<strong>in</strong> akzeptiert ist: Albrecht Dürer Selbstbildnis als Christus, 1500,<br />
München, AP: (Imitatio Christi, Thomas a Kempis 1494 <strong>in</strong> Nürnberg gedruckt, Conformitas<br />
Christi).<br />
Um das für den Uzzano nachvollziehen zu können, biete ich folgende Vergleiche an:<br />
Julius Cäsar, röm Büste, Tur<strong>in</strong>, 3.V. 1.Jh. vor Chr.; Römische Münze, Julius Caesar, 48-47<br />
v.Chr.; Desiderio da Settignano, Julius Caesar, Marmorrelief, um 1450-53, Louvre <strong>und</strong> aus<br />
Della Porta, De Humana Physiognomia von 1586: männlicher Kopf im Profil <strong>und</strong> Adlerkopf.<br />
Die letzten beiden kommen der Physiognomie Uzzanos am nächsten, sie stehen ihm auch<br />
zeitlich näher, aber nicht nur deswegen. Damit schließt sich der Kreis wieder auf den<br />
Zusammenhang mit der Physiognomie, auf den wir bereits mit dem Löwen-Typ bei Leonardo<br />
gestoßen waren.<br />
Die übrigen von Uzzano bekannten <strong><strong>Bild</strong>nis</strong>se lassen sich rasch zur Bestätigung des bisher<br />
gesehenen durchsprechen:<br />
Christofano dell'Altissimo, Uzzano, 1580/90, Uffizien: offensichtlich handelt es sich um e<strong>in</strong>e<br />
Kopie nach der Büste. Niccolo Sp<strong>in</strong>elli, Münzbild des Uzzano, um 1500; Benozzo Gozzoli,<br />
Bernardo Giugni 62j., Florenz, Palazzo Medici-Riccardi, Capella dei Magi, um 1461. (368,<br />
Nr.23).<br />
Das letzte wurde immer wieder für Uzzano <strong>in</strong> Anspruch genommen. Aus se<strong>in</strong>er politischen<br />
Haltung den Medicis gegenüber, neigt man neuerlich dazu - wiederum auf Gr<strong>und</strong> von<br />
Ähnlichkeiten mit andern <strong><strong>Bild</strong>nis</strong>sen e<strong>in</strong>es gewissen florent<strong>in</strong>er Patriziers Giugni auch <strong>in</strong><br />
dieser Darstellung zu identifizieren. Ließe sich diese Vermutung durch andere unabhängige<br />
Belege erhärten, hätten wir e<strong>in</strong>en Beweis dafür, daß die Adler-Ähnlichkeit als<br />
physiognomisches Merkmal nicht primär für <strong><strong>Bild</strong>nis</strong>-Treue spräche, sondern Ausweis e<strong>in</strong>er<br />
4
für diese Personen beanspruchten Tugend all'antica. 14<br />
Angesichts der sprunghaft steigenden Zahl <strong>und</strong> Vielfalt von Individual-<strong><strong>Bild</strong>nis</strong>sen seit der Zeit<br />
Karl IV. <strong>und</strong> der Parler <strong>in</strong> weiten Teilen Europas, weit über die höfische Kunst h<strong>in</strong>aus, stellt<br />
sich me<strong>in</strong> e<strong>in</strong>gangs geschilderte privates Dilemma nunmehr als e<strong>in</strong> fachlich - methodisches<br />
Problem. Als Kunsthistoriker müssen wir Vorsicht walten lassen. Zu schnell ist man geneigt,<br />
dem Grad bildlicher Differenziertheit e<strong>in</strong> ebenso breites Spektrum <strong>in</strong>dividueller Charakteristik<br />
des Dargestellten als Intention des Künstlers zu unterstellen. Dabei s<strong>in</strong>d die jetzigen<br />
Vorstellungen von der jeweiligen Person meist gewonnen aus zeitgenössischen<br />
15<br />
biographischen Bemerkungen oder gar aus späteren E<strong>in</strong>schätzungen des Charakters<br />
historischer Figuren aufgr<strong>und</strong> historisch als relevant erachteter Taten. Dies mag dann für<br />
e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>fühlenden Nachvollzug angemessen dünken, für e<strong>in</strong>e wissenschaftliche<br />
Rekonstruktion jedoch bedarf der zeitgenössische Kontext e<strong>in</strong>er sorgfältigen Überprüfung.<br />
Der Idealfall wäre, wenn es gelänge, m<strong>in</strong>destens zwei von e<strong>in</strong>ander unabhängige<br />
zeitgenössische Quellen von Beschreibungen der Charakteristika e<strong>in</strong>er Person aufzuspüren,<br />
die sich gegenseitig bestätigen oder zum<strong>in</strong>dest ergänzen. Nur auch diese bedürften<br />
wiederum e<strong>in</strong>es zulässigen geme<strong>in</strong>samen Interpretationsrahmens, dessen wir uns zuvor zu<br />
vergewissern haben.<br />
Gibt es nun e<strong>in</strong>en solchen Interpretationsrahmen für <strong><strong>Bild</strong>nis</strong>se, sagen wir des späten 14. bis<br />
16.Jahrh<strong>und</strong>erts? Oder anders gefragt: Unter welchen Prämissen wurden diese <strong>Bild</strong>werke<br />
hergestellt? Welche Äußerungen gibt es dazu? Welche Texte lassen sich als von e<strong>in</strong>ander<br />
unabhängige Quellen aufweisen, die sich auf die Vorstellung von <strong>in</strong>dividueller Ersche<strong>in</strong>ung<br />
<strong>und</strong> deren charakterlicher E<strong>in</strong>schätzung beziehen lassen? Diese will ich ihnen nunmehr<br />
vorstellen.<br />
E<strong>in</strong>ige der Bed<strong>in</strong>gungen der Vorstellung von <strong>in</strong>dividueller Ersche<strong>in</strong>ung kennen wir aus der<br />
kunsttheoretischen Literatur. Sie wurden um die Mitte des 15.Jh. z.B. von Leon Battista<br />
Alberti <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Büchern "De Pictura" <strong>und</strong> <strong>in</strong> "De Statua" formuliert: 16<br />
Aufgabe der Malerei, bzw. der <strong>Bild</strong>hauerei, sei es Menschen darstellen: Mit "Historia" ist der<br />
Handlungskontext für die "persona" bezeichnet (<strong>in</strong>dividuum bezeichnet im late<strong>in</strong>ischen das<br />
Atom, nicht aber e<strong>in</strong> menschliches Wesen, der heutige Begriff ist also ke<strong>in</strong>eswegs<br />
17 benutzbar ).<br />
Der Handlungskontext wird spezifisch im H<strong>in</strong>blick auf die e<strong>in</strong>zelne Figur betrachtet. Das aber<br />
me<strong>in</strong>t ihre soziale Rolle - oder an ihr selber: ihre s o z i a l e Besonderheit.<br />
"Actio" - hier <strong>in</strong> gebührender Kürze formuliert - drückt die sie bezeichnende Handlung <strong>und</strong><br />
Gestalt durch jegliche Form <strong>in</strong> körperlicher Bewegung aus. Dadurch unterscheidet sie sich<br />
wiederum von den Anderen der "historia". Sie zeichnet sich als unterschiedene "persona"<br />
aus, stellt somit ihre psychische Besonderheit dar.<br />
Dabei wird der "habitus" von e<strong>in</strong>er festen Anzahl von Regeln bestimmt, deren<br />
gesellschaftliche Signalfunktion den jeweiligen "modus" bestimmt. (habitus > modus)<br />
Für diese Überlegung Albertis gilt - wie übrigens auch für alles noch Folgende -, daß wir<br />
derartige theoretische Synthesen zeitlich immer als e<strong>in</strong>er praktischen Entwicklung <strong>und</strong><br />
Erprobung um etwa e<strong>in</strong>e Generation nachfolgend, also als später begreifen müssen: In ihnen<br />
wurden künstlerische Lösungen, die m<strong>in</strong>destens 10 bis 30 Jahre zuvor produziert worden<br />
s<strong>in</strong>d, auf den zusammenfassenden Begriff gebracht. Das bildnerische Denken war <strong>und</strong> ist<br />
dem Denken <strong>in</strong> Begriff zeitlich voraus. Welche Praxis also reflektierte Alberti?<br />
5
Donatello/Desiderio da Settignano, Büste des Niccolò Uzzano/ G<strong>in</strong>o Capponi, Florenz (1420:<br />
18<br />
Poeschken/1450: Schlegel) vergleiche mit D.Settignano, Cäsar 1450-53, Louvre.<br />
Die Florent<strong>in</strong>er Büste ist nach e<strong>in</strong>em Abguß des Toten gefertigt. Und dennoch ist strittig, wer<br />
abgebildet ist. Wenn die alternative Zuschreibung <strong>und</strong> die spätere Datierung <strong>in</strong> die 50er<br />
Jahre zutrifft, kommt Uzzano nicht <strong>in</strong> Frage, der 1432 verstorben ist. Die Vermutungen. wer<br />
denn das nun sei, gehen <strong>in</strong> verschiedene Richtungen: an Cicero ist gedacht worden: Marcus<br />
Tullius Cicero (106 - 43 v.Chr.:105 f/:246 stud. -77 <strong>in</strong> Rhodos). E<strong>in</strong>e Lösung steht noch aus.<br />
Wie das auch immer gelöst werden mag, daß es sich dem Gestus nach um e<strong>in</strong>e Imitatio al<br />
antica handelt, dürfte e<strong>in</strong>leuchten, die Cäsaren-Ähnlichkeit mag Zufall se<strong>in</strong>, die Adler-<br />
Ähnlichkeit gepaart mit der Wendung <strong>und</strong> der Haltung des Kopfes s<strong>in</strong>d es ke<strong>in</strong>esfalls: hier<br />
ist ableitbare Gestaltung am Werk, Ausdruck e<strong>in</strong>es literarisch manifesten, lesbaren<br />
H<strong>in</strong>weises auf die virtù des Dargestellten. 19<br />
<strong>Peter</strong> Parler, Prager Büsten (1370/80): <strong>Peter</strong> Parler; Wenzel von Radec, Prag, Veitsdom.<br />
Parlers <strong><strong>Bild</strong>nis</strong>büsten entziehen sich bisher völlig e<strong>in</strong>er näheren Bestimmung. Was an ihnen<br />
macht das spezifische des <strong>in</strong>dividuellen <strong><strong>Bild</strong>nis</strong>ses aus, außer, daß sie eben realistisch<br />
seien. Die Differenzen zwischen jedem e<strong>in</strong>zelnen von ihnen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Tat erheblich. Und<br />
kaum e<strong>in</strong>e strukturelle Geme<strong>in</strong>samkeit läßt sich an ihnen aufweisen. Auch dieses Problem<br />
müssen wir unbeantwortet liegen lassen, wo die Forschung es h<strong>in</strong>terlassen hat.<br />
Texte der Physiognomik haben hier sche<strong>in</strong>bar nur Plattitüden anzubieten.<br />
Hier stellt sich demnach die letzte Frage heute: die nach den Kriterien für die<br />
<strong><strong>Bild</strong>nis</strong>beschreibung.<br />
Wenn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Arbeit zum <strong><strong>Bild</strong>nis</strong> des Französischen Königs Karl des V. zu den M<strong>in</strong>iaturen<br />
im Krönungsbuch (London, 1364) angesichts der Salbungsszene fol.50 v; Detail: Karl V. <strong>und</strong><br />
Bischof<br />
auf das charakteristische Profil des Königs <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e genaue Erfassung durch den<br />
M<strong>in</strong>iaturisten h<strong>in</strong>gewiesen wird, dann darf man sich doch fragen, wieso denn der Bischof<br />
ebenfalls e<strong>in</strong>e ungewöhnlich prom<strong>in</strong>ente Nase aufweist.<br />
Ja selbst der Hofstaat - wie die nächste Szene fol.51; Detail, Hofstaat zeigt - zeichnet sich<br />
Person für Person durch e<strong>in</strong>e prom<strong>in</strong>ente Nase aus: Handelt es sich hier um e<strong>in</strong>e bildliche<br />
"Imitatio imperatorii" oder ist dar<strong>in</strong> Familienähnlichkeit angedeutet?<br />
Wenn nun der Literaturkritiker von 'Porträt' spricht, dann verwendet er diesen Begriff<br />
20<br />
metaphorisch, e<strong>in</strong>e Metaphorik, die dem <strong>Bild</strong>-<strong>Wort</strong>-feld 'pictor' - 'poeta' angehört. Dieses<br />
<strong>Bild</strong>-<strong>Wort</strong>-Feld läßt sich beliebig durch neue Metaphern bereichern, die dem gegenwärtigen<br />
Verständnis ohne weiteres zugänglich s<strong>in</strong>d, so etwa, wenn man von e<strong>in</strong>er epischen Porträt-<br />
Galerie oder ähnlichem sprechen wollte.<br />
Die weitgehend von Verdächtigungen ungestörte Hochschätzung des Visuellen im späten<br />
Mittelalter <strong>und</strong> der frühen Neuzeit gründet <strong>in</strong> der Überzeugung von natürlichen, von Gott<br />
geschaffenen Beziehungen zwischen dem Sichtbaren des Physischen <strong>und</strong> dem Unsichtbaren<br />
des Geistigen. Dies gilt für alle Bereiche der Welt <strong>und</strong> des Kosmos <strong>und</strong> deren<br />
Wechselwirkung gleichermaßen, geläufiger unter dem Begriff von Mikro- <strong>und</strong> Makrokosmos.<br />
Gerade auch die katholische Kirche unterstützte durch ihre kultische Praxis diese<br />
Hochschätzung des Visuellen für ihre kultischen Bedürfnisse. Etwa im S<strong>in</strong>ne der Imitatio<br />
Christi - wie an Dürer gezeigt - oder denken sie an die überaus häufigen theatermäßigen<br />
Aufführungen von biblischen Stücken <strong>in</strong> Kirchenräumen.<br />
6
Dieses hochgeschätzte Visuelle ist Teil e<strong>in</strong>er Vorstellungswelt, die benannt se<strong>in</strong> will.<br />
Die Lehre von der 'actio', auf die Alberti sich beziehen konnte, ruhte auf e<strong>in</strong>em<br />
philosophischen <strong>und</strong> wissenschaftlichen F<strong>und</strong>ament, das <strong>in</strong> den Physiognomie-Texten e<strong>in</strong>e<br />
se<strong>in</strong>er Ausführungen erhielt. 21<br />
Es bestand aus der Vorstellung e<strong>in</strong>er zeitlichen Abhängigkeit der <strong>in</strong> Gruppen geordneten<br />
Wesen, seien es Sterne, M<strong>in</strong>eralien, Pflanzen oder Tiere <strong>und</strong> Menschen gegenüber e<strong>in</strong>er<br />
räumlichen Ordnung stabiler, <strong>in</strong> sich unveränderbarer je e<strong>in</strong>zeln charakterisierbarer D<strong>in</strong>ge. 22<br />
Die räumliche Ordnung ist für den Menschen dadurch zu erfassen, daß er Ähnlichkeiten von<br />
23<br />
dreifacher Art : convenientia (räumliche Nähe, S.47), aemulatio (Spiegelung der Gestalt,<br />
unabhängig vom Ort, also von der räumlichen Nähe) <strong>und</strong> analogia (Entsprechung, subtile<br />
Verb<strong>in</strong>dung, S.50) zwischen den D<strong>in</strong>gen erkennt.<br />
In <strong>Wort</strong>en von Paracelsus z.B. kl<strong>in</strong>gt das etwa so: "Durch die Kunst Chiromantia,<br />
Physiognomia <strong>und</strong> Magia ist möglich, gleich von St<strong>und</strong> an, nach dem äußerlichem Ansehen,<br />
e<strong>in</strong>es jeden Krautes <strong>und</strong> jeder Wurzel Eigenschaft <strong>und</strong> Tugend zu erkennen an se<strong>in</strong>en<br />
Signa, an se<strong>in</strong>er Gestalt, Form <strong>und</strong> Farbe."<br />
Physiognomik im engeren, uns geläufigen S<strong>in</strong>ne, ist e<strong>in</strong>er der auf den Menschen - aber nicht<br />
immer nur auf ihn - beschränkten Teile dieser umfassenden Ähnlichkeitslehre. Sie reichte<br />
von den Gestirnen, M<strong>in</strong>eralien, Pflanzen, Tieren <strong>und</strong> Menschen bis h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> <strong>in</strong> die humoralhomöopathische<br />
Mediz<strong>in</strong>. Überlieferte Texte zur Physiognomie behandelten zu e<strong>in</strong>igen<br />
Zeiten außer dem Menschen ebenso Pferde <strong>und</strong> Falken charakterk<strong>und</strong>lich.<br />
[Vorzüglich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er bestimmten auf Aristoteles fußenden Texttradition der arabischen<br />
Literatur, die zu Beg<strong>in</strong>n des 13.Jh. <strong>in</strong> late<strong>in</strong>ischen <strong>und</strong> ab dem 14.Jh. <strong>in</strong> volkssprachlichen<br />
Übersetzungen nachweisbar ist.]<br />
Als Teil der Lehre von den 'similes', den Ähnlichkeiten, beruht Physiognomik auf e<strong>in</strong>er<br />
Semiotik. Diese Theorie der Deutung von sichtbaren, äußeren Anzeichen auf e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>neren<br />
<strong>und</strong> deshalb unsichtbaren Zustand, entspricht etwa mediz<strong>in</strong>ischer Diagnostik im Gr<strong>und</strong>e<br />
noch heute. Sie ist abgeleitet aus der Erfahrung, daß zwischen dem Äußeren der<br />
Ersche<strong>in</strong>ung <strong>und</strong> der Psyche des Menschen e<strong>in</strong>e natürliche Wechselbeziehung vorliegt -<br />
unter dem Begriff der 'motu animae' (Seelenregung) <strong>in</strong> der Antike gefaßt. Was jeder z.B.<br />
unter Erröten oder dem Gegenteil, dem Bleichwerden, h<strong>in</strong>reichend an sich selber bestätigt<br />
f<strong>in</strong>det. Negativ das Gleiche bezeichnend soll aber auch das christliche Gegenbild nicht<br />
unerwähnt bleiben. Bei Plot<strong>in</strong> (um 205-270) steht, daß "die Seele alle Übel <strong>und</strong> Mühsal im<br />
Leib erduldet, wo sie <strong>in</strong> Schmerzen, Begierden, Ängsten <strong>und</strong> alle anderen Übel gerät,<br />
weshalb auch der Leib ihre Fessel <strong>und</strong> ihr Grab heißt." 24<br />
Der Begriff von der 'Actio' <strong>in</strong> der Rhetorik - wie an Albertis Verwendung erläutert - ist also<br />
nicht der unabhängig übergeordnete, sondern der abgeleitete Begriff aus der<br />
Ähnlichkeitslehre.<br />
Vergleichen mit Ähnlichem war demnach die Möglichkeit nicht nur verbal Intendiertes zu<br />
vermitteln, sondern gerade auch Unsichtbares faßbar zu machen. Und so wurde es <strong>in</strong> der<br />
Poetik praktiziert.<br />
25<br />
Z.B.: Die gesamte Lyrik des Frauenlobes von Ariost bis Petrarca <strong>und</strong> Tasso zehrte noch<br />
von den Vergleichen der Angebeteten mit Sonne, Mond <strong>und</strong> Milch oder Venus, Diana oder<br />
Amazonen. Der 'poeta pictor' <strong>und</strong> der 'pictor poeta' (nach Horaz) erfüllten ihren Auftrag am<br />
Vollendetsten mit der Erf<strong>in</strong>dung vielsagender Vergleiche. Dabei hielt die Epik sich aber<br />
streng an e<strong>in</strong>en vorgegebenen Kanon, der - aus der mittelalterlichen Epik überkommen - ca.<br />
7
10 Körperteile umfaßte. 26<br />
Für jeden dieser kanonischen Teile - von der Farbe der Haare über die Form der Stirn bis<br />
h<strong>in</strong>ab zu den Füßen - durfte ke<strong>in</strong>e Teil ausgelassen werden.<br />
27<br />
Das Herrscherlob unterlag e<strong>in</strong>em vergleichbaren Regelwerk. Hier waren jedoch<br />
28<br />
selbstredend die Vergleiche andere. Indessen das Gr<strong>und</strong>sätzliche der Struktur ist e<strong>in</strong><br />
Gleiches. Zumal die Form der Hände galt, weil bemerkenswert, des Notierens würdig. 29<br />
Diese Ordnung <strong>in</strong>nerhalb der dichterischen Darlegung nun aber ist exakt das<br />
Beschreibungsschema eben auch der Physiognomiken, soweit sie sich mit der menschlichen<br />
Gestalt befassen.<br />
Die bei Alberti knapp gefaßten Begriffe "Historia" <strong>und</strong> "Actio" hatten bereits zu se<strong>in</strong>er Zeit<br />
e<strong>in</strong>e ausgeprägte <strong>und</strong> differenzierte Erörterung aus mehreren Perspektiven auf sich<br />
versammelt: Aus der Rhetorik abgeleitet <strong>in</strong> der Literaturkritik (Epos, Roman) <strong>und</strong> fürs<br />
Schauspiel. Beiden nun ist e<strong>in</strong>es geme<strong>in</strong>sam: Immer geht es um die Charakterisierung e<strong>in</strong>es<br />
<strong>in</strong>dividuell handelnden Menschen mittels se<strong>in</strong>er äußeren Ersche<strong>in</strong>ung. "Actio" für den<br />
Humanisten umschreibt die Regelungen der angemessenen Gesten z.B. für e<strong>in</strong>en Redner<br />
oder Schauspieler. "Actio" ist (nach Cicero, De oratore III,222) "quasi sermo corporis" (Den<br />
Körper zum Sprechen br<strong>in</strong>gen: non-verbale Kommunikation).<br />
Hier wären wir alsbald bei der körpersprachlichen Regelung für Redner <strong>und</strong> Schauspieler<br />
angelangt, auf deren komplexeres, sich mit der Zeit veränderndes Verhältnis zur Rhetorik<br />
ich hier allerd<strong>in</strong>gs nicht näher e<strong>in</strong>gehen kann.<br />
Mit Epos <strong>und</strong> Schauspieler-Literatur hätten wir zwei der Bedeutungsfelder (die Epik <strong>und</strong> die<br />
Literatur über Schauspieler), <strong>in</strong> denen der Begriff "Actio" an zentraler Stelle auftaucht: Denn<br />
die Bewegung des Kopfes, des Gesichtes, der Augen <strong>und</strong> der Hände, sowie des gesamten<br />
30<br />
Körpers wurden darunter aufgelistet (Leone de'Sommi 1556:47). Die Überschneidungen<br />
mit dem Bedeutungsfeld der <strong><strong>Bild</strong>nis</strong>kunst s<strong>in</strong>d evident: Kopf, Gesicht, Augen gehören zu den<br />
elementaren Bestandteilen des <strong><strong>Bild</strong>nis</strong>ses. Die Hände <strong>und</strong> ihre bezeichnenden - redenden -<br />
Gesten, wie letztlich auch der gesamte Körper <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er spezifischen Stellung, gehören<br />
gelegentlich nicht m<strong>in</strong>der selbstverständlich dazu, wenn sie auch weniger häufig dargestellt<br />
worden s<strong>in</strong>d.<br />
31<br />
Mit Castigliones "Libro del Cortigiano" (1528) wäre endlich das vierte (wenn wir die<br />
physiognomische Literatur als 3. <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung halten) <strong>und</strong> letzte Bedeutungsfeld <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />
speziellen Ausarbeitung erfaßt, nämlich: Die Anstandsliteratur. Auch ihre Thematik f<strong>in</strong>den<br />
wir bereits e<strong>in</strong>e Generation zuvor bei Alberti <strong>in</strong> "De Familia" (1432-1434) <strong>und</strong> im "Momos"<br />
32<br />
(1443-1450) : das Verhältnis nämlich von Se<strong>in</strong> <strong>und</strong> Ersche<strong>in</strong>en. Hier wie dort <strong>in</strong>dessen ohne<br />
Verweis auf die bildende Kunst. Auftreten <strong>und</strong> Ersche<strong>in</strong>ungsbild - vorzüglich wieder auf Kopf<br />
<strong>und</strong> Augen bezogen - werden <strong>in</strong> dieser Literatur als Weisen der Selbstmitteilung begriffen,<br />
<strong>und</strong> dar<strong>in</strong> als dem Sprechen vergleichbar angesehen.<br />
Wenn diese 4 Spezial-Literaturen (Epik, Schauspieler-Literatur, Physiognomik <strong>und</strong><br />
Anstandsbücher) mit ihrem geme<strong>in</strong>samen Bezugspunkt, Cicero's Rhetorik, e<strong>in</strong>en so<br />
zw<strong>in</strong>genden H<strong>in</strong>weis vermitteln, welche Aufmerksamkeit diesen Körperteilen zu widmen war,<br />
denke ich wird deutlich, mit welchem Grad selektiver, gerichteter Wahrnehmung<br />
Zeitgenossen schon des voraufgehenden 14.Jhds. <strong><strong>Bild</strong>nis</strong>se angeschaut haben müßten.<br />
8
- Epik <strong>und</strong> Roman gaben dabei den Katalog vor.<br />
- Physiognomische Literatur listete dessen charakterk<strong>und</strong>lich - wertende Deutungen auf.<br />
- Rhetorik <strong>und</strong> Literatur für Schauspieler bis h<strong>in</strong> zu Anstandsbüchern gaben<br />
Anweisungen zum Stil der schicklichen Selbst<strong>in</strong>szenierung <strong>und</strong> Affektkontrolle.<br />
Physiognomische Texte alle<strong>in</strong>e können mith<strong>in</strong> ke<strong>in</strong> ausreichendes Instrument für e<strong>in</strong>e<br />
angemessen rekonstruierende Bedeutungs-Erschließung hergeben. Sondern: erst im Vere<strong>in</strong><br />
mit den übrigen Literatursorten erschließen sich die Weiten, aber auch die engen Grenzen<br />
derjenigen Bedeutungsfelder, die wir mit Fug auch auf die bildnerischen Individual-Porträts<br />
anzuwenden haben.<br />
Individualität erweist sich somit damals wie heute als e<strong>in</strong> Konstrukt, das <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gesellschaft<br />
aus mehreren Quellen gespeist, sich für jeden E<strong>in</strong>zelnen nicht als e<strong>in</strong> stabiles 'Ansich'<br />
darstellt. Individualität als Bewußtse<strong>in</strong>s<strong>in</strong>halt <strong>und</strong> als gesellschaftliche Realität muß täglich<br />
neu bestätigt werden, jeder muß sich dessen täglich für sich wieder vergewissern. <strong>Bild</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>Wort</strong> haben daran gleichermaßen Anteil, aber ihre Anteile s<strong>in</strong>d nicht austauschbar. Der<br />
immer naheliegende Wunsch, das Gesicht oder die Gestalt e<strong>in</strong>er geliebten Person <strong>in</strong> <strong>Wort</strong>e<br />
zu fassen scheitert <strong>in</strong> kläglichen <strong>Wort</strong>hülsen, die nicht e<strong>in</strong>mal an der Grad der Varianten der<br />
physiognomischen Literatur heranreichen, denn wir wissen meist nicht, woh<strong>in</strong> wir eigentlich<br />
schauen!<br />
(* Augenbewegungsbild) 33<br />
Hier zeigt sich deutlich, daß das tatsächlich Angeblickte <strong>in</strong> <strong>Wort</strong>e zu fassen sich meist nicht<br />
schickt: der Blick me<strong>in</strong>t etwas anderes, als die zulässige Rede zu bezeichnen erlaubt.<br />
Musils "Mann ohne Eigenschaften" hat eigentlich ke<strong>in</strong> äußeres Ersche<strong>in</strong>ungsbild mehr, er<br />
hat nur noch Innenwahrnehmungen. Dort heißt es, als Ulrich <strong>in</strong> die Fänge der Polizei geriet:<br />
" Name? Alter? Beruf? Wohnung? ... Ulrich wurde befragt ... Se<strong>in</strong> Gesicht galt nur als<br />
Signalement; er hatte den E<strong>in</strong>druck, nie früher bedacht zu haben, daß se<strong>in</strong>e Augen graue<br />
Augen waren, e<strong>in</strong>es von den vorhandenen vier, amtlich zugelassenen Augenpaaren, das es<br />
<strong>in</strong> Millionen Stücken gab; se<strong>in</strong>e Haare waren blond, se<strong>in</strong>e Gestalt groß, se<strong>in</strong> Gesicht oval,<br />
<strong>und</strong> besondere Kennzeichen hatte er ke<strong>in</strong>e, obgleich er selbst e<strong>in</strong>e andere Me<strong>in</strong>ung davon<br />
besaß. Nach se<strong>in</strong>em Gefühl war er groß, se<strong>in</strong>e Schultern waren breit, se<strong>in</strong> Brustkorb saß wie<br />
e<strong>in</strong> gewölbtes Segel am Mast, <strong>und</strong> die Gelenke des Körpers schlossen wie schmale<br />
Stahlglieder die Muskeln ab, sobald er sich ärgerte, stritt oder Bonadea sich an ihn<br />
schmiegte; er war dagegen schmal, zart, dunkel <strong>und</strong> weich wie e<strong>in</strong>e im Wasser schwebende<br />
Meduse, sobald er e<strong>in</strong> Buch las, das ihn ergriff, oder von e<strong>in</strong>em Atem der heimatlosen<br />
großen Liebe gestreift wurde, deren In-der-Welt-Se<strong>in</strong> er niemals hatte begreifen können."<br />
Selten gel<strong>in</strong>gt es e<strong>in</strong>em Schauspieler über das Erwartungsklischee an e<strong>in</strong>e Rolle h<strong>in</strong>aus mit<br />
e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>dividuell überzeugenden Physiognomie zu füllen. Dies Problem aber ist ke<strong>in</strong>es der<br />
bildüberfluteten Mediengesellschaft, sondern offensichtlich so alt, wie <strong>in</strong> der europäischen<br />
städtischen Gesellschaft der Versuch ansetzte, zu lernen sich angemessen als E<strong>in</strong>zelner von<br />
Anderen zu unterscheiden. Und dies nicht mehr exklusiv bei Hof <strong>und</strong> im klerikalen Adel,<br />
sondern zunehmend massenhaft. Dabei bleibt e<strong>in</strong>e Frage offen: Jeder weiß aus eigener<br />
Erfahrung wie heikel <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gesellschaft der Grad ist, sich von Anderen zu unterscheiden.<br />
Zu kraß darf's nicht se<strong>in</strong>, weil dann der Grad von Ablehnung steigt. Gleichheit,<br />
Angeglichenheit ist e<strong>in</strong> Stück sozialer Mitteilung. Wo aber beg<strong>in</strong>nt die akzeptable <strong>und</strong><br />
zugleich tolerierte Differenz?<br />
Anstandsbücher lehren ja gerade die diffizile Kunst des angemessenen Auftretens, des<br />
Redens, des Kleidens etc. E<strong>in</strong> Handwerker oder kle<strong>in</strong>er Kaufmann konnte ke<strong>in</strong>e leon<strong>in</strong>en<br />
9
Tugenden haben, da er nicht <strong>in</strong> die Lage kam, sich als gerecht oder großzügig zu erweisen,<br />
also konnte er nicht mit leon<strong>in</strong>em Kopf dargestellt werden, das hätte kaum e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n<br />
gemacht!<br />
E<strong>in</strong> Kurfürst <strong>in</strong>dessen hatte diese Tugend von Amts wegen auch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er äußeren<br />
Ersche<strong>in</strong>ung beweiskräftig anzuzeigen: Er mußte sich so darstellen lassen, auch wenn es<br />
se<strong>in</strong>em Temperament nicht unbed<strong>in</strong>gt gemäß erschien (wir er<strong>in</strong>nern uns an die "pusenden<br />
Backen", die wohl eher für Jähzorn sprechen). Die Inszenierung des Individuellen hat also<br />
sehr wohl die soziale Rolle <strong>in</strong>s Kalkül aufzunehmen. Vor diesem H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> erst läßt sich<br />
nach der <strong>in</strong>dividuellen Variante suchen. Und dazu bedarf es des Vergleiches. Und den<br />
vermeidet die kunsthistorische Literatur genau dort, wo es um Rollen geht durch die<br />
Inszenierung des Lay-Outs pe<strong>in</strong>lich. Abbildungen von Individuen werden nach anderen<br />
Kriterien e<strong>in</strong>ander gegenübergestellt <strong>und</strong> pe<strong>in</strong>lich genau durch Textseiten von e<strong>in</strong>ander<br />
geschieden. Das dient e<strong>in</strong>em anderen unmittelbaren Vergleich, sonst hätte das<br />
Temperament-typische längst zu deutlich am <strong>Bild</strong> gegen die Texte der Autoren sprechen<br />
müssen. Hier liegt noch e<strong>in</strong> weites Feld offen vor uns auf der Suche nach Glücksfällen, wie<br />
des Chronisten Beschreibung des Trierer Kurfürsten.<br />
10
Anmerkungen:<br />
1. Thomas Mann, Der Zauberberg. Frankfurt/M, S. Fischer, 1960, S.68.<br />
2. Hans Ost, Leonardo-Porträt <strong>in</strong> der Kgl. Bibliothek Tur<strong>in</strong> <strong>und</strong> andere Fälschungen des Giuseppe<br />
Bossi. Berl<strong>in</strong> 1980, Abb.1, S.9.<br />
3. E<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Kunstgeschichte häufig zitiertes Beispiel e<strong>in</strong>es frühen <strong><strong>Bild</strong>nis</strong>ses im Vergleich mit<br />
zeitgenössischer Beschreibung ist das von Franz von Assisi, 1181/82-1226. (Lit. LCI, Bd.6, 1974,<br />
Sp.266 ff. Dort die Beschreibung des Thomas von Celano, Leben <strong>und</strong> W<strong>und</strong>er des Heiligen<br />
Franziskus von Assisi. E<strong>in</strong>führung, Übersetzung, Anmerkungen Engelbert Grau, Werl, 1955, Kap.<br />
XXIX, 83., S.156-157; 2.Aufl. 1964, S.149-150. Datierung auf 1228 nicht belegt, vgl. Henry<br />
Thode, Franz von Assisi <strong>und</strong> die Anfänge der Kunst der Renaissance <strong>in</strong> Italien. Berl<strong>in</strong> 1926 (IG<br />
320), S. XXVII, Quellen I. "vor 1230" (neu ediert von Konstant<strong>in</strong> Suysken, Acta sanctorum,<br />
Mensis Octobris, Antwerpen 1768, Bd.10,2, lib.1, cap. X, 83, S.706. [LAb1, 10,2]) zwischen<br />
1228 <strong>und</strong> 1230 geschrieben, da sie wohl die im ersteren Jahre (1228) erfolgte Kanonisierung, nicht<br />
aber die Überführung des Leichnams <strong>in</strong> die neue Kirche S. Francesco, 1230 erfolgt, enthält. Neue<br />
Ausgabe mit ital. Übersetzung von Amoni, Rom 1880. Thomas verfaßt 4 Legenden, daß die 2.<br />
davon, auf Befehl Gregor's IX., die hier genannte sei, beruht auf ke<strong>in</strong>em authentischen Zeugnis,<br />
sondern auf Vermutung (Wadd<strong>in</strong>g), der aber die größte Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit nicht abzusprechen<br />
ist. (S.576). Erster Bericht von Aussehen des Franciscus entstand, als er 1220 <strong>in</strong> Bologna<br />
predigte. Unter den Zuhörern befand sich der Archidiaconus <strong>und</strong> Studierende Thomas Spalatensis.<br />
Er schrieb: "Cum essem <strong>in</strong> studio Bononiae ego Thomas, civis Spalatensis ... vidi sanctum<br />
Franciscum praedicantem <strong>in</strong> platea ante palatium parvum... Et sordidus erat habitus ejus, persona<br />
contemptibilis, et facies <strong>in</strong>decora..." (schmutzig war se<strong>in</strong> Gewand, verächtlich se<strong>in</strong>e Person <strong>und</strong><br />
unschön /häßlich-entstellt/ se<strong>in</strong> Gesicht). Wadd<strong>in</strong>g, Annales m<strong>in</strong>orum II, 1731, Bd.1, 1220; Acta<br />
Sanctorum, Bd. 10,2 Appendix § VII, S.842, 142.<br />
Ausführlicher Thomas von Celano:"... Fac<strong>und</strong>issimus homo [er war (e<strong>in</strong> außerordentlich<br />
redegewandter Mann mit)], facie hilaris [von heiterem (fröhlichem) Antlitze], vultu benignus [von<br />
gütigem Blicke (Gesichtsausdruck)], immunis ignaviae /Trägheit/ [frei von Feigheit], <strong>in</strong>solentiae<br />
expers [wie von Unverschämtheit/Rücksichtslosigkeit]; staturam mediocris [se<strong>in</strong>e Statur war<br />
mäßig groß (von nicht sonderlich großer Gestalt)], parvitati vic<strong>in</strong>ior [eher kle<strong>in</strong> (als groß)]. Caput<br />
mediocre ac rot<strong>und</strong>um [der Kopf von mittlerer Größe <strong>und</strong> r<strong>und</strong> (er hatte e<strong>in</strong>en nicht sonderlich<br />
großen, r<strong>und</strong>en Kopf)], facies utr<strong>in</strong>que oblonga & protensa [das Gesicht (etwas) länglich zugleich<br />
<strong>und</strong> vorgebaut (gedehnt)], frons parva & plana [die Stirn kle<strong>in</strong> (niedrige) <strong>und</strong> eben]; mediocres<br />
oculi, nigri & simplices [die Augen mäßig (nicht sonderlich) groß, schwarz <strong>und</strong> e<strong>in</strong>fältig<br />
(unverdorbene)], fusci capilli [die Haare schwarz (dunkles)], supercilia recta [die Augenbrauen<br />
gradl<strong>in</strong>ig], nasus subtilis, aequalis & rectus [die Nase fe<strong>in</strong>, gleichmäßig <strong>und</strong> gerade (aufwärts<br />
gerichtet)], aures erectae & parvae [(aber) die Ohren abstehend <strong>und</strong> kle<strong>in</strong>], & tempora plana [die<br />
Schläfen eben (flach)]: l<strong>in</strong>gua placabilis, ignea & acuta [die Zunge (Sprache) versöhnlich<br />
(gew<strong>in</strong>nend), feurig <strong>und</strong> scharf]; vox vehemens, dulcis, clara atque sonora [die Stimme gewaltig<br />
(mächtig), süß hell (klar) <strong>und</strong> klangreich (wohlkl<strong>in</strong>gend)]; dentes conjuncti, aequales & albi [die<br />
Zähne geschlossen (dicht), gleichmäßig <strong>und</strong> weiß]; modica labia, atque subtilia [die Lippen mäßig<br />
(schmal) <strong>und</strong> fe<strong>in</strong> (zart)]: barba nigra [der Bart schwarz], pilis non plenè respersa [mit spärlichem<br />
Haar (nicht voll)]: subtile collum [der Hals zart (schlank)], humeri recti [die Schultern gerade],<br />
11
evia bracchia [die Arme kurz], tenues manus [die Hände zart], digiti longi [die F<strong>in</strong>ger lang],<br />
ungues producti [die Nägel (etwas) vorstehend], crura subtilia [die Unter/Schenkel (Be<strong>in</strong>e)<br />
schwach (dünn)], parvuli pedes [die Füße (sehr) kle<strong>in</strong>], tenuis cutis [die Haut zart], caro<br />
paucissima [das Fleisch sehr spärlich (mager)]; aspera vestis [das Gewand rauh], somnus<br />
brevissimus [der Schlaf sehr kurz], manus largissima [die Hand sehr freigebig]; et quia erat<br />
humillimus [<strong>und</strong> weil er über alle Maßen demütig war], omnem mansuetud<strong>in</strong>em ostendebat ad<br />
omnes hom<strong>in</strong>es [zeigte er <strong>in</strong> jeder Beziehung allen Menschen gegenüber nur Sanftmut<br />
<strong>und</strong>], omnium moribus utiliter se conformans [paßte sich den Sitten Aller zu ihrem Nutzen an. Sanctior<br />
<strong>in</strong>ter sanctos [Der Heiligste unter Heiligen], <strong>in</strong>ter peccatores quasi unus ex illis [unter Sündern gleichsam<br />
e<strong>in</strong>er von ihnen]."(Übersetzung Thode 1926:70, <strong>in</strong> () nach LCI).<br />
Das zugehörige <strong><strong>Bild</strong>nis</strong>: Subiaco, Sacro Speco, Kapelle Gregors IX., dat. um 1228. Noch ohne<br />
Heiligensche<strong>in</strong>, ohne die W<strong>und</strong>male, als "Frater Franciscus" bezeichnet. In der L<strong>in</strong>ken e<strong>in</strong> Zettel:<br />
"pax huic (domui)." Blondbärtiger Kopf ! Zeitpunkt der Entstehung mit großer Sicherheit aus<br />
Inschrift feststellen, die unter den sicher von gleicher Hand herrührenden anderen Fresken der<br />
Kapelle sich bef<strong>in</strong>det: "hic est papa Gregorius olim episcopus hostiensis qui hanc consecravit<br />
ecclesiam./Pontificis summi fuit anno picta sec<strong>und</strong>o./Haec domus hic primo quo summo fuit<br />
honore/Hauserat et vitam celestem duxerat idem/Perque duos menses sanctos maceraverat<br />
arctus./Julius est unus, Augustus fervidus alter." 2.Jahr des Pontifikats Gregor ist 1228, noch vor<br />
der Heiligsprechung gemalt, also vor 16.Juli. Vgl. Luigi Grassi, Francesco d'Assisi. In:<br />
Encyclopedia cattolica. Città del Vaticano - Firenze 1950, Bd.5, Sp.1578-1588, Iconografia,<br />
Sp.1579-1588, Abb. Sp.1579, 1581; G. Böhm, <strong><strong>Bild</strong>nis</strong> <strong>und</strong> Individuum, München 1985:16.<br />
4. L. von Wilckens, Perikopenbuch des Kuno von Falkenste<strong>in</strong>, 1380. In: Kaiser Karl IV.<br />
Ausstellungskatalog Nürnberg 1978, Nr. 118.<br />
5. F. Ronig, Die Statue des Trierer Kurfürsten am "Schönen Brunnen" <strong>in</strong> Nürnberg - e<strong>in</strong> Porträt? In:<br />
Landesk<strong>und</strong>liche Viertesljahresblätter, hrsg. von der Gesellschaft für nützliche Forschungen<br />
Bd.23, 1977, S.131 - 134, Abb.1 - 3.<br />
6. Arkosolgrab, Chor, Nordseite; F. Lehfeld, Die Bau- <strong>und</strong> Kunstdenkmäler des Regierungsbezirks<br />
Coblenz, Düsseldorf 1886, S.147.<br />
7. Monumenta Germaniae Historica. Deutsche Chroniken IV,1, Hannover 1883, S.51.<br />
8. Die Parler <strong>und</strong> der Schöne Stil. Kat. Bd.3, Köln 1978, S.213-214. E<strong>in</strong>en Vergleichbaren Fall<br />
behandelt Claire Richter Sherman, The Portraits of Charles V of France (1338 - 1380), New York<br />
1969, S.9 - 11, Beschreibung von 1404 der äußeren Ersche<strong>in</strong>ung Charles V., ohne auf das von<br />
uns behandelte Problem aufmerksam zu werden. Bei ihr bleibt die Beschreibung <strong>und</strong>iskutiert. Zum<br />
<strong><strong>Bild</strong>nis</strong> Giovanni Bicci de Medici (von Massaccio?) <strong>und</strong> Beschreibung der Person durch Giovanni<br />
Cavalcanti vgl. Trifon Trapesnokoff, Die Porträtdarstellungen der Mediceer des XV.<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts. Diss. Heidelberg. Strassburg 1909, S.1-4 ff.<br />
9. Justitia, Fortitudo, Prudentia, Temperantia. 3 theologische Tugenden: Fides, Spes, Caritas. LCI,<br />
Bd.4, Freiburg 1972, Sp.364.<br />
10. S. Diamond (Hrsg.), The Roots of Psychology: A Source Book <strong>in</strong> the History of Ideas, New York<br />
1974.<br />
12
11. Michele Savonarola [1384 - 1464], * Speculum physionomiae.+ [um 1450]. Vgl. Chastel - Kle<strong>in</strong><br />
1969:79, Anm.10, S.116.<br />
12. So z.B. gilt Vergleichbares für die Köpfe des Petrus-Altares, Aachen, Suermondt-Luwig-Museum,<br />
um 1500 aus e<strong>in</strong>er Werkstatt <strong>in</strong> der Nachfolge Arndt von Zwolles aus dem Gebiet Geldern-Kleve,<br />
vgl. B.Bremme, Die szenischen Reliefs des Petrusaltares im Suermondt-Ludwig-Museum. In:<br />
Aachener Kunstblätter des Museumsvere<strong>in</strong>s, Bd.58, 1989/90, S.87 - 109.<br />
13. ausgeschieden aus dem Werk Donatellos bei H.W.Janson, The Sculpture of Donatello, Bd.2,<br />
Pr<strong>in</strong>ceton 1957, S.237 - 240.<br />
14. seit Platon, Republik, 5,19,474, gilt der Adler als e<strong>in</strong> königliches Tier.<br />
15. Zur Technik der Konstruktion von Biographien W.Bersch<strong>in</strong>, "Sueton <strong>und</strong> Plutarch im<br />
14.Jahrh<strong>und</strong>ert." In: Biographie <strong>und</strong> Autobiographie <strong>in</strong> der Renaissance. Hrsg. von A. Buck, =<br />
Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 4, Wiesbaden 1983, S.35 - 43.<br />
16. Leon Battista Alberti, * De pictura praestantissima, et nunquam satis laudata arte libri tres [...].+<br />
(1436). II, 41 - 42. Ed. Grayson 1972, S.80 - 81: Emotionen nach Cicero, De amicitia 14.50;<br />
Basel 1540, Nachdruck Portland, Oregon 1972 = The Pr<strong>in</strong>ted Sources of Western Art, ed.<br />
Theodore Besterman, Bd.7, S.77 - 81: "Animos de<strong>in</strong>de spectantium movebit historia, cum qui<br />
ader<strong>in</strong>t quieti hom<strong>in</strong>es, suum animi motum maxime praese ferent. Fit nanque (!) natura, qua nihil<br />
sui similium rapatius <strong>in</strong>veniri potest, ut lugentibus, collugeamus: ridentibus, arrideamus:<br />
dolentibus, condoleamus. Sed hi motus animi, ex motibus corporis cognoscuntur. Nam videmus,<br />
ut tristes, quod curis adstricti, et aegritud<strong>in</strong>e defessi s<strong>in</strong>t, totis sensibus ac viribus torpeant,<br />
<strong>in</strong>terque pallentia, et admodum labentia membra, sese lenti det<strong>in</strong>eant. Est quidem merentibus<br />
pressa frons, ceruix languida, denique omnia veluti defessa, et neglecta procidunt. Iratis vero,<br />
quod animi ira <strong>in</strong>cendantur, et vultus et oculi <strong>in</strong>tumescunt, ac rubent, membrorumque omnium<br />
motus, pro furore irac<strong>und</strong>iae, <strong>in</strong> eisdem acerrime et iactab<strong>und</strong>i sunt. Laeti autem et hilares cum<br />
sumus, tum solutos, et quibusdam flexionibus gratos motus habemus. [...]. Est et daemonis<br />
pictoris mirifica, quod <strong>in</strong> eius tabulis adesse irac<strong>und</strong>um, <strong>in</strong>iustum, <strong>in</strong>constantem, unaque et<br />
exorabilem, et clementem, misericordem, gloriosum, humilem, ferocemque facile <strong>in</strong>telligas. [...]<br />
Pictori ergo corporis motus notissimi s<strong>in</strong>t oportet, quos quidem multa solertia à natura petendos<br />
censeo. Res enim perdifficilis est prope, <strong>in</strong>f<strong>in</strong>itis animi motibus, corporis quoque motus variare.<br />
Tum quis hoc, nisi qui expertus sit, crediderit, usque adeo esse difficile, cum velis, ridentes vultus<br />
effigiare, vitare id, ne plorab<strong>und</strong>i magis quam alacres videantur. Tum vero et quis poterit s<strong>in</strong>e<br />
maximo studio et diligentia vultus exprimere, <strong>in</strong> quibus et os et mentam, et oculi, et genae, et<br />
frons, et supercilia <strong>in</strong> unum ad luctum, aut ad hilaritatem conveniant. Idcirco diligentissime ex ipsa<br />
natura cuncta perscrutanda. [...] Laudatur et navis apud Romam, ea <strong>in</strong> qua noster Etruscus picto<br />
Giottus, <strong>und</strong>ecim metu et stupore perculsos, ob socium, quem supra <strong>und</strong>as meantem videbant,<br />
expressit, ita pro se quenque suum turbati animi <strong>in</strong>ditium vultu, et toto corpore praeferentem, ut<br />
<strong>in</strong> s<strong>in</strong>gulis, s<strong>in</strong>guli affectionum motus, appareant. Sed decet hunc totum locum de motibus,<br />
brevissime transigere. Sunt nanque motus alij animorum, quos docti affectionies nuncupant, ut ira,<br />
dolor, gaudium, timor, desiderium, et eiusmodi: sunt et alij corporum."<br />
17. G.W. Allport, Personality, a psychological <strong>in</strong>terpretation. London 1937, S.26-50 verzeichnet 50<br />
unterschiedliche Verwendungen des Begriffs "persona". S.Greeblatt, Fiction and Friction. In:<br />
T.C.Heller et al., Reconstruct<strong>in</strong>g Individualism: Autonomy, Individuality, and the Self <strong>in</strong> Western<br />
13
Thought. Stanford 1986, S.30-52; Ulrich Fülleborn - Manfred Engel (Hrsg.), Das neuzeitliche Ich<br />
<strong>in</strong> der Literatur des 18. <strong>und</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>erts. Zur Dialektik der Moderne. E<strong>in</strong> <strong>in</strong>ternationales<br />
Symposion. München 1988.<br />
18. Desiderio da Settignano zugeschrieben von Ursula Schlegel, Zu Donatello <strong>und</strong> Desiderio da<br />
Settignano. Beobachtungen zur physiognomischen Gestaltung im Quattrocento. In: Jahrbuch der<br />
Berl<strong>in</strong>er Museen, 9, 1967, S.347 - 358. Dem folgt Artur Rosenauer, Donatello, Mailand 1993,<br />
S.319 f. M.Marek, Donatellos Niccolo da Uzzano 'ritrarre dal naturale' <strong>und</strong> Bürgertugend. In:<br />
Donatello-Studien, III, XVI, 1989:263-271. G<strong>und</strong>olf W<strong>in</strong>ter, Zwischen Individualität <strong>und</strong><br />
Idealität. Die <strong><strong>Bild</strong>nis</strong>büste. Stuttgart 1985, S.137 - 145 kann zwar aus der Komposition die<br />
formale Stimmigkeit der Kopfwendung e<strong>in</strong>leuchtend ableiten, nicht aber die Frage beantworten<br />
(S.138-139, Verweis auf den Markus), geschweige denn überhaupt erst e<strong>in</strong>mal stellen, warum<br />
Donatello diese Darstellung hier angewandt hat. Zur Kopfhaltung Mart<strong>in</strong> Warnke, Erhobenen<br />
Hauptes. In: I.B.Fliedl - Chr.Geismar (Hg.), Die Beredsamkeit des Leibes, Ausst.Kat. Wien<br />
Albert<strong>in</strong>a, Salzburg - Wien 1992, S.190-194. Anders stellt sich diese Frage dar, wenn man die<br />
Tanz- <strong>und</strong> Anstandsbücher zu Rate zieht. Rudolf zur Lippe (Naturbeherrschung am Menschen,<br />
Bd.2, Frankfurt/M 1974, S.236 ff "Der aufrechte Gang des Hochwohlgeborenen.") hat diesen Fall<br />
gleichsam nebenbei mit erfaßt nach Fabritio Caroso, Nobilità di dame, altra volta chiamato Il<br />
Baler<strong>in</strong>o, Venedig 1600, Trattato secondo, S.34 - 37. Und er kommt zu der Formulierung:<br />
"Allerd<strong>in</strong>gs ist das Ergebnis, daß der Mensch ke<strong>in</strong>eswegs <strong>in</strong> der vom Quattrocento gerühmten<br />
"Tugend der Lässigkeit" dasteht; vielmehr ist se<strong>in</strong> gesamter Körper von e<strong>in</strong>er Hülle gespannter<br />
Muskeln zusammengezogen. Dieser Zustand wurde nun derart ausgerichtet, daß die Hülle von<br />
Spannung dem Stauen des Volumens nach oben h<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em bestimmten Maße dienen mußte."<br />
Und die resultierende gewöhnliche Haltung sei der erhobene Kopf, wie es etwa 1548 Francesco<br />
d'Hollanda beschrieb: "Der Kopf wie gen Himmel erhoben, die Augen ganz oben, das Gesicht<br />
ganz von unten gesehen, so daß die Nasenlöcher, der M<strong>und</strong>, der ganze Bart <strong>und</strong> der ganze Hals<br />
sichtbar werden; diese Ansicht ist sehr schwierig <strong>und</strong> sehr edel." Campell, Portrait 1990 86 255<br />
n.18.<br />
19. Warnke (wie Anm. 15), reihte folgende Epitheta für dieses Haltungsmotiv ane<strong>in</strong>ander:<br />
mittelalterliche Anbetungshaltung, schwierig - edel, Signal selbstbewußter Kraft, virtù,<br />
verantwortungsbewußte Energie, Anflug von Überheblichkeit, aufmerksames H<strong>in</strong>horchen, kecke<br />
Herausforderung, kurzer Befehlsgestus, Demonstration souveräner Macht, ohne auf die<br />
physiognomische Tradition oder gar deren Niederschlag <strong>in</strong> der biographischen Literatur zu<br />
verweisen, wie z.B. auf die Chrakterisierung Caesars, des Augustus, Galbas, Vespasians,<br />
Claudius', Tiberius', Domitians, Vitellius' <strong>in</strong> Sueton, De vita Caesarum XII.<br />
20. nach We<strong>in</strong>rich.<br />
21. Volker Kapp, Die Lehre von der actio als Schlüssel zum Verständnis der Kultur der frühen<br />
Neuzeit. In: Volker Kapp (Hrsg.), Die Sprache der Zeichen <strong>und</strong> <strong>Bild</strong>er. Rhetorik <strong>und</strong> nonverbale<br />
Kommunikation <strong>in</strong> der frühen Neuzeit. = Ars rhetorica, Bd.1, Marburg 1990, S.40-64, die<br />
geme<strong>in</strong>same Basis ist Cicero.<br />
22. Johann Rothmann, Chiromancia sampt ihrer Theorick ... Erfurt 1595, Fol. C rE.<br />
23. M.Foucault, Ordnung der D<strong>in</strong>ge, Frankfurt/M. 1973, S.47 - 50.<br />
14
24. Plot<strong>in</strong>, Enneade IV,8 = Nr.6 der chronologischen Ordnung, § 15 ff.<br />
25. Ezio Raimondi, Ritrattistica Petrarchesca. In. Convivium _ Dai Dettori al Novecento - Studi <strong>in</strong><br />
ricordo di Calcaterra, 1953, 74 - 86; Alice M. Colby, The portrait <strong>in</strong> Twelfth-century French<br />
Literature - An Example of the Stilistic Orig<strong>in</strong>ality of Chrétien de Troyes. Genf 1965; <strong>Peter</strong> Maria<br />
Schon, Das literarische Porträt im französischen Mittelalter. In: Archiv Studien der neueren<br />
Sprachen <strong>und</strong> Literatur 202, 1965, 241 - 263; Willi Hirdt, Descriptio superficialis. Zum<br />
Frauenportrait <strong>in</strong> der italienischen Epik. In: Arcadia. Zeitschrift für vergleichende<br />
Literaturwissenschaft, Bd.5, Berl<strong>in</strong> 1970, S.39-57.<br />
26. Derartige Kataloge erwähnt Willi Hirdt, Descriptio superficialis. Zum Frauenporträt <strong>in</strong> der<br />
italienischen Epik. In: Arcadia, Zeitschrift für vergleichende Literaturwissenschaft, Bd.5, Berl<strong>in</strong><br />
1970, S.39-57 zu Petrarcas Beschreibung der Sofonisba (1338/41, 19 Details), Bocaccios Emilia<br />
(1339, 20 Details), Pulcis Antea (15 Details) <strong>und</strong> Ariosts Alc<strong>in</strong>a (14 Details: chioma, guancia,<br />
fronte, archi, occhi, naso, bocca, filze di perle, labro, collo, petto, bracchia, man, piede), Tassos<br />
Armida (4 Details: chioma, volto, bocca, petto, mamme). Zur ambivalenten Deutung der<br />
Körperteile Hildegard Elisabeth Keller, "Vom handfesten Geist <strong>und</strong> durchsichtigem Fleisch.<br />
Impressionen aus der deutschsprachigen Hoheliedauslegung des 12.Jahrh<strong>und</strong>erts." In: Paul Michel<br />
(Hrsg.), Symbolik des menschlichen Leibes. = Schriften zur Symbolforschung, Bd.10. Bern -<br />
Berl<strong>in</strong> - Frankfurt/M - New York - Paris - Wien 1995, S.121 - 137.<br />
27. Caius Suetonius Tranquillus [um 75 - ], * De Vita Caesarum.+ 120 n.Chr. Nach Biographie,<br />
physiognomische Charakterisierung der physischen Ersche<strong>in</strong>ung, gefolgt von Angaben zu<br />
Ges<strong>und</strong>heit, Vorlieben <strong>und</strong> Charaktereigenschaften. Vgl. J.Couiss<strong>in</strong>, "Suétone physiognomiste<br />
dans les Vies Des XII Césare." In: Revue des Etudes lat<strong>in</strong>es, Bd.31, Paris 1953, S.234 - 256. Die<br />
neuartige, systhematische, physische Darstellung von Personen erklärt sich aus der Verwendung<br />
Modelle der physiognomischen Literatur zur Darstellung von Entsprechungen der physischen<br />
Ersche<strong>in</strong>ung zu ihrem Charakter.<br />
28. Marek, Michaela: Ekphrasis <strong>und</strong> Herrschaftsallegorie. Antike <strong>Bild</strong>beschreibungen bei Tizian <strong>und</strong><br />
Leonardo. Worms 1985.<br />
29. So hatte Friedrich Barbarossa "Pulcherrimis manibus" (Acerbus Morena, Mon.Germ.Hist.S.S.<br />
XVIII, S.640) <strong>und</strong> über He<strong>in</strong>rich II. von England "Manus eius quanadam grossitie sua hom<strong>in</strong>is<br />
<strong>in</strong>curiam protestantur; earum enim cultum prorsus neglegit." (<strong>Peter</strong> von Blois, Migne, PL 207,<br />
S.197, No. 66); weitere Angaben bei Alw<strong>in</strong> Schultz, Quid de perfecta corporibus pulchritud<strong>in</strong>e<br />
Germani saec. XII et XIII. senser<strong>in</strong>t. 1866, S.14.<br />
30. Leone de'Sommi 1556:47.<br />
31. Baldassare Castiglione, 1478 - 1529, "Libro del Cortigiano", verfaßt: Buch I - III ca. 1508 - 1515<br />
(ante quem), Buch IV vor 1518, Ms. zur editio pr<strong>in</strong>ceps datiert 23.5.1524, Erstausgabe 1528.<br />
Erasmus, De civilitate morum puerilium, 1530. H.de la Fonta<strong>in</strong>e Verwey, The first book of<br />
etiquette for children: Erasmus's De civilitate morum puerilium. In: Quaerendo, Bd.1, 1971:19-30;<br />
Übersetzung: P.Dolan (Ed.), The Essential Erasmus, New York 1964. Zur weiteren Gruppe dieser<br />
Erziehungs- <strong>und</strong> <strong>Bild</strong>ungsliteratur <strong>Peter</strong> Burke, The language of gesture <strong>in</strong> early modern Italy. In:<br />
Jan Bremmer - Herman Roodenburg, A Cultural History of Gesture. New York 1991, S.71-83.<br />
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32. das satirische Werk war 1443 begonnen <strong>und</strong> 1450 vollendet; ed. critica e traduzione a cura di R<strong>in</strong>o<br />
Consolo, Genua 1986. "De familia" 1432-1434, Buch IV "De Amicizia" um 1440, vgl.<br />
W.Sombart, Der Bourgeois, Leipzig 1913, 136 ff; Joan Gadol, Leon Battista Alberti. Universal<br />
Man of the Early Renaissance, Chicago 1969, S.215.<br />
33. Raymond Bruyer, * Le visage et l' expression faciale: approche neuropsychologique.+ =<br />
Psychologie et sciences huma<strong>in</strong>es, Bd.118, Brüssel - Lüttich 1983, " La perception et la<br />
reconnaissance du visage: bilan provisoire."S.55-71.<br />
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