Februar 2012 - EU-Koordination
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ezenSionen<br />
Nachhaltigkeit<br />
ist ein Thema, das<br />
längst alle Grenzen<br />
sprengt, weil unser<br />
Lebensstil globale<br />
Auswirkungen hat.<br />
Der Klimawandel<br />
ist in vollem Gange,<br />
die Ressourcen<br />
schwinden, die USA<br />
und der reiche Norden<br />
Europas sind für enorme Treibhausgasemissionen<br />
verantwortlich, die dem Planeten<br />
buchstäblich den Atem rauben.<br />
Lebenskunst wird in den nächsten Jahrzehnten<br />
also Über-Lebenskunst. Ihr war im<br />
vergangenen Sommer im Haus der Kulturen<br />
der Welt in Berlin ein ganzes Festival<br />
gewidmet. Dabei ging es sowohl um die<br />
künstlerische Betrachtung des Themas als<br />
auch um unseren Alltag, der sich verändern<br />
muss. Die bunte Mischung reichte vom Flaschenpfand<br />
über Konsumverzicht, Ökolandbau<br />
und Bienenvölker, über Trinkwasser<br />
aus der Spree und Energiegewinnung<br />
per Fahrrad-„Disko“ bis zu einer regionalen<br />
Vorratskammer und holländischem Salat,<br />
der im Wasser wächst.<br />
Die Anthologie „Über Lebenskunst:<br />
Utopien nach der Krise“ liefert dazu nun<br />
einen intellektuellen, philosophischen und<br />
literarischen Hintergrund. Die Zukunft<br />
unserer Zivilisation steht auf dem Spiel –<br />
welche Perspektiven hat der Mensch, um<br />
zu überleben? Autoren und Philosophen<br />
aus 19 Ländern suchen nach Antworten.<br />
Die Beiträge aus Russland und Afrika, Indonesien<br />
und Haiti, Frankreich, der Türkei<br />
und Australien, China und den USA<br />
zeigen sehr unterschiedliche Perspektiven<br />
und Betroffenheiten. Es geht um die ökonomischen<br />
und ökologischen Auswirkungen<br />
wachsender Naturzerstörung, die sozialen<br />
Folgen von Tsunamis und anderen Naturkatastrophen,<br />
um Korruption und soziale<br />
umwelt aktuell <strong>Februar</strong> <strong>2012</strong><br />
Gemeinsam leben – eine Kunst<br />
Auf dem Festival „Über Lebenskunst“ haben sich KünstlerInnen<br />
aus aller Welt im letzten Sommer mit Utopien für<br />
die Zeit nach der Krise beschäftigt. Wie die jetzt erschienene<br />
Textsammlung zeigt, sind es oftmals gerade die<br />
Umwege, die in Krisenzeiten weiterführen.<br />
Verantwortung, Ölpreis und Nahrungsmittelkrisen.<br />
Die Prognosen sind manchmal düster:<br />
„Es wird weder Sieger noch Besiegte geben<br />
– die ganze Welt wird ins Verderben stürzen.<br />
Keine Arche mehr, kein Noah“, schreibt<br />
der französische Philosoph Michel Serres<br />
und sieht doch Chancen des Überlebens:<br />
in anderen Techniken, einer anderen Wirtschaftsweise<br />
und einer anderen Politik, die<br />
in einen „Naturvertrag“ münden könnte.<br />
Der russische Autor Michail Schischkin<br />
weiß, dass Menschen keinen Sinn für Ökologie<br />
haben, wenn sie ums nackte Überleben<br />
kämpfen müssen: „Ökologische Probleme<br />
werden in Russland von existentielleren<br />
Sorgen verdrängt.“ Schischkin beklagt die<br />
Unfähigkeit zu aktiver Opposition: „In<br />
meinem Land sterben nicht nur Tier- und<br />
Pflanzenarten aus, sondern die menschliche<br />
Art selbst.“<br />
Auf eine gemeinsame Nord-Süd-Ethik<br />
hofft der Schriftsteller Louis-Philippe<br />
Dalembert aus Haiti. Seine Kritik gilt der<br />
technologischen Dominanz des Nordens<br />
und einem Lebensstil in den In dus trie natio<br />
nen, von dem die Menschen im Süden<br />
nur träumen können. Und der chinesische<br />
Dichter Liao Yiwu, dessen Werke in der<br />
Volksrepublik verboten sind, findet in der<br />
Weisheit des Laozi (Laotse) Perspektiven<br />
für die Zukunft.<br />
Die Beiträge liefern rationale Erklärungen<br />
und historische Analysen, sie verbinden<br />
kulturelle Traditionen mit der Suche<br />
nach einer neuen Gemeinsamkeit des Zusammenlebens,<br />
die in ein kosmopolitisches<br />
Weltbewusstsein münden muss. Denn die<br />
Grenzen des Wachstums sind längst erreicht.<br />
[christiane Schwalbe]<br />
X narbutovic, K.; stemmler, s. (Hrsg.): Über Lebenskunst.<br />
Utopien nach der Krise. suhrkamp, Berlin<br />
2011, 390 s., 11,95 €, isBn 978-3-518-46273-7.<br />
www.ueber-lebenskunst.org<br />
Rezensionen<br />
Service<br />
eine andere entwicklung<br />
In der außergewöhnlichen Studie<br />
„Beyond Developmentality“ untersucht<br />
der Ökologe Debal Deb, worauf<br />
es beim Abschied vom industriellen<br />
Wachstum ankommt.<br />
Die Industriegesellschaft<br />
ist uns<br />
längst nicht mehr<br />
selbstverständlich.<br />
Zu deutlich ist die<br />
ökologische und<br />
soziale Not. Kritik<br />
an unserer Lebensweise<br />
hat es dennoch<br />
schwer: Der<br />
Fortschritt habe nun mal seinen Preis,<br />
heißt es. Und nur er befähige uns, die Not<br />
zu überwinden.<br />
Dieses Vertrauen in den Fortschritt ist<br />
für Debal Deb Ausdruck der „developmentality“.<br />
Der indische Ökologe kennzeichnet<br />
dieses Entwicklungsdenken als Einstellung,<br />
„die Überfluss mit Entwicklung gleichsetzt,<br />
Entwicklung in Begriffen des Brutto national<br />
ein kom mens-Wachstums misst und<br />
Entwicklung als Bestimmung der Kultur<br />
begreift“ (Übersetzungen: D. K.). Wer diese<br />
Maßstäbe infrage stelle, werde leicht verdächtigt,<br />
den Völkern ein besseres Leben<br />
vorenthalten zu wollen und insbesondere<br />
technische Errungenschaften zu verwerfen.<br />
Diesem Missverständnis möchte Deb<br />
zuvorkommen. Sein Hauptargument<br />
lautet, das industrielle Wachstum sei geeignet,<br />
das vorzeitige Ende der Menschheit<br />
einzuleiten – durch Zerstörung der<br />
grundlegenden Ökosysteme des Planeten.<br />
Die Auseinandersetzung mit vor indus triellen<br />
Gesellschaften könne uns dagegen zu<br />
einer Kultur anregen, die den Wohlstand<br />
weltweit mehre, auf industrielles Wachstum<br />
aber verzichte. Dies erfordere einen<br />
Wandel auch in Wissenschaft und Technik,<br />
nicht jedoch deren Aufgabe.<br />
Der Autor wurde 1961 im damaligen<br />
Kalkutta geboren. Er promovierte in Ökologie<br />
und arbeitet seit 15 Jahren freiberuflich.<br />
1997 gründete er in Westbengalen<br />
eine unabhängige Tauschbank für altes<br />
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