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februar 2012 - Experimenta.de

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in die Augen trieb und er hatte das Weinen bei <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nsten Anlässen als Mittel<br />

eingesetzt, so dass bestimmte Dinge, die ihn betrafen, sofort in <strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rgrund gestellt<br />

wur<strong>de</strong>n. Er spürte, wie sich in seiner Magengegend ein schmerzhaftes Ziehen bemerkbar<br />

machte, als spränge er von großer Höhe herab. Er blieb gedankenlos sitzen, als befän<strong>de</strong> er<br />

sich in einem Traum, <strong>de</strong>r je<strong>de</strong>n Moment vorbeigehen musste. Vielleicht brauchte er sich nur in<br />

<strong>de</strong>n Arm zu kneifen und erwachte zwei Stockwerke höher in seinem Bett, er versuchte es,<br />

aber es passierte nichts, nur die Konturen <strong>de</strong>s Raumes verschwammen ein wenig vor seinen<br />

Augen. Was mitnehmen, dachte er, was brauche ich noch, was wer<strong>de</strong> ich noch nötig haben.<br />

Er öffnete vorsichtig die oberste Schubla<strong>de</strong> seines Schreibtisches, nahm einen gol<strong>de</strong>nen<br />

Brieföffner heraus und legte ihn auf die gläserne Schreibtischplatte, daneben einen<br />

Taschenrechner. Es gab ihm ein gutes, kühles Gefühl, diese Gegenstän<strong>de</strong> zu berühren. Ich<br />

kann das nicht essen, dachte er, ich kann das nicht anziehen, und er spürte, wie ihm <strong>de</strong>r<br />

Schweiß auf die Stirn trat, fuhr sich mit <strong>de</strong>r Hand über die Augen und legte dann bei<strong>de</strong>s in die<br />

Schubla<strong>de</strong> zurück. Vielleicht kann ich die Uhr verkaufen, dachte er, eine echte Rolex, die<br />

teuerste, die er sich hatte anfertigen lassen, um sie bei repräsentativen Anlässen zu tragen, er<br />

nahm sie heraus und betrachtete sie. Sie zeigte dreiundzwanzig Uhr neunzehn, und er<br />

verglich die Zeit mit <strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>r Wanduhr, exakt, dachte er, sie funktionieren immerhin exakt.<br />

Er presste die Uhr an sein Ohr, ja, sie tickte, und er atmete in kurzen Stößen ein und aus und<br />

nahm das Ticken <strong>de</strong>r Uhr als neuerlichen Beweis dafür, dass er lebte. Er zog sie befriedigt<br />

über sein Handgelenk. Dann legte er bei<strong>de</strong> Hän<strong>de</strong> auf die gläserne Tischplatte, er liebte Glas,<br />

alles so durchsichtig wie nur möglich machen, hatte er immer gedacht, keine Verstecke. Als er<br />

die Hän<strong>de</strong> wegnahm, blieben für einen Moment feuchte Abdrücke auf <strong>de</strong>r Platte zurück, er<br />

Martina Köhler<br />

www.eXperimenta.<strong>de</strong> 12<br />

Februar <strong>2012</strong>

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