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februar 2012 - Experimenta.de

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»Ich war früher genauso wie Sewka«, sagte Antonina Fjodorowna. »Hab immer gleich<br />

losgeheult. Und gedacht: Es wird nie besser, im ganzen Leben nicht … da kann man sich<br />

gleich <strong>de</strong>n Strick nehmen! Aber dann hab ich in einem amerikanischen Buch gelesen, ein<br />

gera<strong>de</strong>r Rücken und ein Lächeln, das ist <strong>de</strong>r Weg zum Erfolg. Und jetzt, egal, was passiert,<br />

<strong>de</strong>nke ich immer daran: Lächeln und <strong>de</strong>n Rücken gera<strong>de</strong>! Dann wird alles besser!«<br />

»Und?«, erkundigte sich Nikita vorsichtig. »Funktioniert das?« »Bislang nicht beson<strong>de</strong>rs«,<br />

gestand Antonina Fjodorowna unbekümmert. »Aber ich verzweifle nicht. Ich weiß, eines<br />

Tages wird sich alles än<strong>de</strong>rn, ganz bestimmt!«<br />

Antonina Kisseljowa, Tonja, war in <strong>de</strong>r kleinen Bergarbeiterstadt Chalmer-Ju aufgewachsen.<br />

Das liegt hinter Workuta, noch weiter nördlich, Richtung Eismeer mit <strong>de</strong>r Schmalspurbahn,<br />

die die Grube einmal pro Woche mit <strong>de</strong>m Rest <strong>de</strong>r Welt verband. Mit siebzehn hatte sie einen<br />

Kraftfahrer geheiratet. An freien Tagen machten sie Spritztouren durch die Tundra, in <strong>de</strong>m<br />

klapprigen Laster, mit <strong>de</strong>m er während <strong>de</strong>r Woche Müll auf die Hal<strong>de</strong> fuhr. Dann kam Sewa zur<br />

Welt. Und dann wur<strong>de</strong> die Grube geschlossen. Ohne je<strong>de</strong> Hoffnung, daß man sich um sie<br />

kümmern wür<strong>de</strong>, verließen die Leute nach und nach <strong>de</strong>n zum To<strong>de</strong> verurteilten Ort. Tonjas<br />

Mann aber hatte es mit <strong>de</strong>m Weggehen nicht eilig. »Die Leute haben je<strong>de</strong>n Glauben<br />

verloren!«, sagte er zu seiner Frau. »Wie kann man nur! Unser Staat ist ein Arbeiter- und-<br />

Bauern-Staat. Und was sind wir? Wir sind Arbeiter. Überleg doch mal: Kann unser Staat uns<br />

einfach <strong>de</strong>m Schicksal überlassen? Mitten in <strong>de</strong>r Tundra? Natürlich nicht! Du wirst sehen, wir<br />

kriegen eine Wohnung irgendwo im Sü<strong>de</strong>n, und diese Kleingläubigen, die jetzt weglaufen wie<br />

die Ratten, die wer<strong>de</strong>n sich in <strong>de</strong>n Hintern beißen!«<br />

Luigi Muto<br />

www.eXperimenta.<strong>de</strong> 26<br />

Februar <strong>2012</strong>

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