februar 2012 - Experimenta.de
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war, hinzuspringen, nicht, um es abzuheben, son<strong>de</strong>rn um es mit einer Berührung zum<br />
Schweigen zu bringen, es zu veranlassen, unter gar keinen Umstän<strong>de</strong>n weiter zu klingeln, um<br />
nicht etwas auszulösen, das außerhalb seiner Kontrolle war. Doch er konnte es einfach nur<br />
aus sicherer Entfernung anstarren. Es klingelte beharrlich, während draußen <strong>de</strong>r Lärm <strong>de</strong>r<br />
Masse anschwoll und, wie ihm schien, näher kam. Er hatte sich in diesem Raum<br />
eingeschlossen, und wenn jemand ihn noch erreichen wollte, <strong>de</strong>r ihn jetzt, nach <strong>de</strong>r Meldung<br />
nicht für tot hielt, so konnte er es nur auf <strong>de</strong>m Weg über das Telefon tun. Aber wer sollte ihn hier<br />
vermuten? Er stand mitten im Zimmer, in <strong>de</strong>m Raum, in <strong>de</strong>m er vor sechzehn Jahren<br />
begonnen hatte, dieses Land zu regieren, im Herzen <strong>de</strong>s Gebäu<strong>de</strong>komplexes, <strong>de</strong>n er für sich<br />
und seine Frau hatte errichten lassen, und <strong>de</strong>r ja längst nicht fertig war, <strong>de</strong>r niemals fertig<br />
wer<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>, so wie er geplant war, aber das wusste nur er, sein ganzes Leben lang und<br />
auch noch weit darüber hinaus, sollte an diesem ungeheuerlichen Palast weitergebaut<br />
wer<strong>de</strong>n, er wäre niemals vollen<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn wenn das Haus fertig ist, das hatte seine<br />
Mutter immer gesagt, dann zieht <strong>de</strong>r Teufel ein. Nun aber, dachte er mit einer plötzlichen<br />
Traurigkeit, die selbst seine Angst überschattete, wird wohl niemand daran weiterbauen. Sie<br />
wer<strong>de</strong>n durch diese Räume gehen und alles anfassen, die großen Spiegel, die Tapeten und<br />
Teppiche, sie wer<strong>de</strong>n alles schmutzig machen, sie wer<strong>de</strong>n sich ihre verschwitzten Hän<strong>de</strong> an<br />
<strong>de</strong>n Vorhängen abwischen und ihre in meinen Küchen fettig gewor<strong>de</strong>nen Mün<strong>de</strong>r, sie wer<strong>de</strong>n<br />
sich die Ärsche abwischen an meinen Brokat- und Samtstoffen, sie wer<strong>de</strong>n mein Parkett<br />
zerkratzen mit ihren Straßenschuhen, sie wer<strong>de</strong>n alles nassspucken und nasspinkeln und<br />
nassweinen, dieses sogenannte Volk mit seinen ungehobelten Manieren, das ich mir<br />
zeitlebens habe fernhalten können, wird mir jetzt zu nahe kommen, und als er das dachte und<br />
Martina Köhler<br />
www.eXperimenta.<strong>de</strong> 10<br />
Februar <strong>2012</strong>