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februar 2012 - Experimenta.de

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sich automatisch auseinan<strong>de</strong>r, und er trat hinein mit einem beinahe kindlichen Erstaunen über<br />

das Funktionieren <strong>de</strong>r Dinge, als wäre nicht das Geringste geschehen. Die Türen schlossen<br />

sich, er entsicherte die Sperre zum Kellergeschoß mit seinem Schlüssel, drückte <strong>de</strong>n<br />

untersten Knopf, und <strong>de</strong>r Aufzug setzte sich in Bewegung. Er spürte die Fahrt, die ihm von <strong>de</strong>n<br />

Fußspitzen bis in <strong>de</strong>n Kopf stieg und dabei erfasste ihn ein leichter Schwin<strong>de</strong>l, so dass er sich<br />

an <strong>de</strong>n mahagonigetäfelten Wän<strong>de</strong>n kurzzeitig festhalten musste, <strong>de</strong>r Schweiß brach ihm<br />

aus, und er öffnete <strong>de</strong>n Mund, um in seinen Ohren ein Knacken zu erzeugen. Er hatte immer<br />

Angst davor gehabt, dass er einmal nach <strong>de</strong>m Überwin<strong>de</strong>n eines Höhenunterschie<strong>de</strong>s<br />

plötzlich taub sein könne, aber jetzt, dachte er, während er mit <strong>de</strong>m Knacken die Ohren wie<strong>de</strong>r<br />

freibekam, wäre es vielleicht das Beste. Ich könnte dann nicht hören, wie groß ihre Freu<strong>de</strong><br />

über meinen Tod ist. Er blickte auf seine Uhr. Sie zeigte jetzt dreiundzwanzig Uhr<br />

dreiundzwanzig, Schnapszahl, Schnapszahl dachte er, und in diesem Augenblick wur<strong>de</strong> ihm<br />

klar, dass sie, wenn sie ihren Irrtum erkannten, wenn sie erkannten, dass er noch lebte, ihn<br />

natürlich töten wür<strong>de</strong>n, ja, sie wür<strong>de</strong>n ihn töten.<br />

Er hatte sich unter <strong>de</strong>m Tod noch niemals etwas vorstellen müssen, in all <strong>de</strong>n Jahren waren<br />

ihm immer wie<strong>de</strong>r Zahlen darüber vorgelegt wor<strong>de</strong>n, die er unterschrieben hatte, <strong>de</strong>r Tod war<br />

eine Zahl und konnte sich in viele verschie<strong>de</strong>ne Zahlen verwan<strong>de</strong>ln, oft auch in<br />

Schnapszahlen, wie er sich jetzt erinnerte, neunundneunzig zum Beispiel noch vor drei<br />

Wochen während <strong>de</strong>r Demonstration o<strong>de</strong>r neunhun<strong>de</strong>rtneunundneunzig, er wusste es nicht<br />

mehr genau. Er hatte geglaubt, dass er, nicht zuletzt hinter <strong>de</strong>n Mauern dieser Gebäu<strong>de</strong> und<br />

durch seine Unterschrift unter all diese Zahlen, vor <strong>de</strong>m Tod, wie durch ein geheimes<br />

Einvernehmen mit ihm, geschützt war, nur er allein, niemand sonst, auch seine Frau nicht,<br />

Martina Köhler<br />

www.eXperimenta.<strong>de</strong> 14<br />

Februar <strong>2012</strong>

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