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februar 2012 - Experimenta.de

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doch etwas sagen. Vielleicht flüstern. Das stört die Stille, sie zieht sich zurück in die an<strong>de</strong>ren<br />

Räume. O<strong>de</strong>r summen. Wenn ich summe, ist die Stille gekränkt, sie kommt für längere Zeit<br />

nicht wie<strong>de</strong>r. Aber wenn ich aus irgen<strong>de</strong>inem Grund aufhöre zu summen, weil mir zum<br />

Beispiel keine Melodie mehr einfällt o<strong>de</strong>r weil mein Mund trocken wird, dann ist die Stille<br />

wie<strong>de</strong>r da und straft mich, weil ich sie beleidigt habe. Das ist schlimm, sehr schlimm. Zur<br />

Strafe muss ich mir die Ohren zuhalten, bis das Rauschen in <strong>de</strong>n Ohren beginnt. Die Stille hört<br />

ja das Rauschen nicht, es ist nur in mir, nicht außen.<br />

Heute habe ich das Mädchen wie<strong>de</strong>r gesehen und die Frau. Die Frau hat aber keine Tasche in<br />

<strong>de</strong>r rechten Hand, auch wenn sie es wohl eilig hat. Mit <strong>de</strong>r linken zerrt sie das Kind hinter sich<br />

her. Ich kann sogar ihr Gesicht sehen, die Lippen sind zusammen gepresst, sie sieht blass<br />

aus. Ich fin<strong>de</strong> sie nicht schön. Jetzt stolpert das Kind, seine Beine knicken ein, es hängt an <strong>de</strong>r<br />

Hand <strong>de</strong>r Frau. Sie bückt sich kurz zum Kind hin, ich kann nicht sehen, ob sie die Lippen<br />

bewegt. Das Kind weint, je<strong>de</strong>nfalls sieht es so aus, als ob es weint. Ich kann es ja durch das<br />

geschlossene Fenster nicht hören. Die Frau ist böse mit <strong>de</strong>m Kind, sie zieht es weiter. Wenn<br />

das Kind weint, könnte ich es nehmen und trösten. Ich wür<strong>de</strong> es auf das Sofa setzen zu <strong>de</strong>n<br />

an<strong>de</strong>ren. Vielleicht wür<strong>de</strong> es dann lächeln. Aber es könnte auch wollen, dass ich ihm ein Lied<br />

vorsinge, um das Weinen zu vertreiben. Ich kann nicht wirklich singen, Lie<strong>de</strong>r kann ich nur<br />

summen, weil die Wörter, mit <strong>de</strong>nen man singt, zu laut tönen. Sie zerstören soviel. Das<br />

Erschrecken wür<strong>de</strong> sich ausbreiten und alles be<strong>de</strong>cken.<br />

Wenn ich mich am vor<strong>de</strong>ren Fenster ganz nach rechts in die Ecke stelle, kann ich sogar ihr<br />

Haus sehen. Es liegt gegenüber, aber weiter links. Der Eingang ist vorne am Haus. Meist<br />

stehe ich am mittleren Fenster, aber in <strong>de</strong>r letzten Zeit zieht es mich zum vor<strong>de</strong>ren Fenster. Ich<br />

warte, ob das Mädchen alleine herauskommt. Es kommt nicht oft. Die Eingangstür sieht sehr<br />

verschlossen aus. Links neben <strong>de</strong>r Tür gibt es eine schmale Glasscheibe, sie ist genauso<br />

hoch wie die Tür. Abends habe ich dort manchmal einen schwachen Lichtschein gesehen. Vor<br />

<strong>de</strong>r Glasscheibe steht ein Topf mit roten Geranien. Ich fin<strong>de</strong> Geranien nicht schön. Ich besitze<br />

keine Blumen. Man kann <strong>de</strong>r Eingangstür nicht ansehen, dass dort ein kleines Mädchen<br />

wohnt. Vielleicht wenn es ein Junge wäre, vielleicht gäbe es dann Gummistiefel vor <strong>de</strong>r Tür,<br />

weil sie zu schmutzig sind, um eingelassen zu wer<strong>de</strong>n. O<strong>de</strong>r es gäbe ein Fahrrad o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re<br />

Dinge, die Jungen besitzen. Ich überlege, ob das Mädchen einen Puppenwagen hat. Wenn<br />

es keinen hat, könnte ich ihm meinen ausleihen. Ich könnte ihm zusehen, wie es <strong>de</strong>n Wagen<br />

hin- und herbewegt. Vielleicht wür<strong>de</strong> es dann lächeln. Aber ich müsste das Mädchen mit in<br />

mein Zimmer nehmen, weil <strong>de</strong>r Wagen hier hingehört, <strong>de</strong>r Transport auf die Straße wür<strong>de</strong><br />

vielleicht Scha<strong>de</strong>n anrichten. Man müsste ihn schräg halten, dabei könnten die Kissen<br />

verrutschen o<strong>de</strong>r herausfallen. Dann wäre alles verdorben. Wenn das Mädchen jetzt<br />

herauskommt, könnte ich ihm zuwinken und es bitten, zu mir zu kommen. Ich stelle mir vor,<br />

www.eXperimenta.<strong>de</strong> 44<br />

Februar <strong>2012</strong>

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