STILBLÜTEN - Anduin
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RELIGION UND ROLLENSPIEL<br />
- KANN MAN BEIDES MITEINANDER VERBINDEN? -<br />
Ich möchte von vorneherein Folgendes<br />
klarstellen: Dieses Essay beschäftigt sich nicht<br />
mit der Frage, ob Rollenspiele religiös vertretbar<br />
sind, ob sie Okkultismus Vorschub leisten oder<br />
Glaubenskonzepte propagieren, welche mit<br />
dem der jeweiligen Amtskirche kollidieren.<br />
Dieser Beitrag hat nichts mit Glaubensfragen<br />
oder religiösen Dogmen zu tun. Ich möchte<br />
hier lediglich ein paar Gedanken niederlegen,<br />
welche mir in Zusammenhang mit Religion und<br />
Rollenspiel in den Sinn gekommen sind.<br />
Vorab etwas zum besseren Verständnis: Ich<br />
gehöre zu der Handvoll von Leuten auf diesem<br />
Planteten, welche “Rapture: The Second<br />
Coming” leiten, ein ”Spiel des theologischen<br />
Terrors”, wie es auf dem Umschlag heißt. Das<br />
Rollenspiel selbst wird nicht mehr hergestellt,<br />
der Hersteller ist vor Jahren in Konkurs<br />
gegangen, also kann ich ruhig darüber reden,<br />
ohne mich des Verdachtes der Schleichwerbung<br />
auszusetzen.<br />
“Rapture” verabreitet im weitesten Sinne<br />
die christliche Endzeit gemäß der Offenbarung<br />
des Johannes mit einigen kreativ/eigenwilligen<br />
Ergänzung durch die Autoren. Als Spielleiter<br />
begann ich mich daraufhin etwas mit der Bibel,<br />
vor allem der Offenbarung, zu befassen, und<br />
entdeckte, dass hier einiges an sehr gutem,<br />
rollenspielerisch verwertbarem Material<br />
schlummert. Ich denke, viele Konzepte oder<br />
Grundgedanken (die wahrscheinlich in jeder<br />
Religion auftauchen) lassen sich durchaus ins<br />
Rollenspiel übertragen bzw. dort wiederfinden.<br />
Erlösung<br />
Alle Menschen streben nach Erlösung.<br />
Erlösung von ihrem Leid, Unglück, dem Bösen<br />
als solchen, ihrem Frust usw.; im schlimmsten<br />
Falle nach der Erlösung von diesem Leben.<br />
Erlösung ist auch ein zentrales Thema der<br />
Religion: Im Buddhismus ist “alles Leben Leid”,<br />
das Leid aber kann überwunden werden durch<br />
den achtteiligen Pfad (rechtes Denken, Handeln<br />
usw.); am Ende überwindet die Seele das Rad<br />
der Widergeburt, geht ins Nirvana ein und<br />
vereinigt sich wieder mit dem kosmischen<br />
Urgrund. Im Christentum bedeutet Erlösung<br />
die Befreiung von den Sünden und den<br />
Versuchungen des Bösen; dem erlösten Mensch<br />
wird von Gott vergeben.<br />
Je nach Auffassung des Glaubens ist der<br />
Mensch entweder in der Lage, sich selbst<br />
zu erlösen – durch richtiges Verhalten bzw.<br />
Buße – oder er Bedarf dazu der Gnade eines<br />
göttlichen Wesens.<br />
Auch im Rollenspiel taucht die Thematik<br />
der Erlösung in verschiedenster Form auf.<br />
Der einfachste Fall ist die Errettung aus einer<br />
Gefahr. Die Spielercharaktere (SC) müssen sich<br />
entweder selbst aus einer Gefahr befreien oder<br />
anderen Beistand leisten. In Tolkiens “Herr<br />
der Ringe” geht es darum, die Welt vor der<br />
Bedrohung durch Sauron und seinen Einen<br />
Ring zu erlösen. Auf dem Weg dorthin werden<br />
die Beteiligten verschiedenen Gefahren und<br />
Versuchungen ausgesetzt; auch der Hobbit<br />
Frodo, der Ringträger, erliegt schließlich den<br />
Einflüsterungen des Einen Ringes.<br />
An anderer Stelle im Herrn der Ringe taucht<br />
das Thema der Erlösung ebenfalls auf: das Heer<br />
der untoten Eidbrecher, die in die Schlacht<br />
gegen das Böse ziehen, um ihren Schwur doch<br />
noch zu erfüllen und dadurch ihre Ruhe zu<br />
finden.<br />
Im Fantasy-Rollenspiel “Warhammer”<br />
bedeutet Erlösung, die Welt von der Bedrohung<br />
durch das Chaos zu erretten – allerdings weist<br />
das Regelwerk darauf hin, dass sich das Chaos<br />
nur eindämmen, aber nicht vernichten läßt; in<br />
“Vampire: The Dark Ages” (dt. “Vampire aus<br />
der Alten Welt”) bedeutet die Erlösung, das Tier<br />
in sich zu bekämpfen und zu überwinden; im<br />
Fantasy-Rollenspiel “Gemini” wird die mögliche<br />
Erlösung durch ein Kind verkörpert, welches als<br />
einziges über die unterbewußte Macht verfügt,<br />
die Mächte der Finsternis für immer aus der Welt<br />
zu vertreiben; im Horror-Rollenspiel “Kult” ist<br />
es das “Erwachen”, die Wiedererlangung aller<br />
gottähnlichen Fähigkeiten, über die der Mensch<br />
einst verfügte, und der Ausbruch aus einer<br />
Jahrtausende währenden Gefangenschaft.<br />
Dies sind nur einige Beispiele, die vor allem<br />
auf den Spielhintergrund zielen. Auf einer<br />
persönlicheren, den SC näheren Ebene, kann<br />
Erlösung bedeuten, einen Fluch zu brechen<br />
oder einer drohenden Gefahr zu entrinnen bzw.<br />
jemanden aus einer Gefahr zu befreien. In der<br />
Warhammer-Kampagne “Dying of the Light”<br />
müssen die SC verhindern, dass ein mächtiger<br />
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Dämon in die Welt zurückkehrt; dabei spielt<br />
ein Kind die Schlüsselrolle. Die angestrebte (Er-<br />
)Lösung ist dabei eine zweifache: Zum einen<br />
muß die Welt vor dem Dämon gerettet und<br />
zum zweiten das Kind aus seiner schicksalhaften<br />
Verstrickung befreit werden; und zuletzt<br />
möchten die SC sicherlich auch noch lebend<br />
aus der Angelegenheit rauskommen. Weitere<br />
Beispiele kann jeder bei genauerem Hinsehen<br />
selbst finden: die Eltern aus der Sklaverei<br />
befreien, einen Dämon exorzieren, den<br />
eigenen Ruf wiederherstellen, den Kopf aus<br />
der Schlinge ziehen, nachdem man fälschlich<br />
eines Verbrechens beschuldigt wurde – alles<br />
Varianten des Erlösungs-Themas.<br />
Prüfung<br />
Gott erlaubt Satan, die Standfestigkeit von<br />
Hiobs Glauben zu prüfen, und daraufhin muß<br />
der arme Mann alle möglichen Plagen vom<br />
Aussatz bis zum Tod seiner Kinder über sich<br />
ergehen lassen, nur um sich in Gottes Augen<br />
würdig zu erweisen. Der Satan führt Christus<br />
auf einen hohen Berg und zeigt ihm alle<br />
Reichtümer der Welt, um ihn in Versuchung<br />
zu führen. Doch Jesus widersteht. Auch im<br />
Rollenspiel kommen immer wieder Prüfungen<br />
vor: zum Beispiel, indem die Helden durch<br />
ein mit Fallen und Monstren gespicktes<br />
Verlies laufen, ihren Grips und ihre<br />
Kampfstärke beweisen müssen, nur um sich<br />
am Ende würdig zu erweisen; würdig, dem<br />
Endgegner gegenüberzutreten oder den<br />
Schatz einzusacken, das benötigte Heilmittel<br />
zu finden, den weisen Mann, der als Einziger<br />
weiterhelfen kann und so weiter. Zwar handelt<br />
es sich hierbei nicht unbedingt um göttliche<br />
Prüfungen – wenngleich auch die Götter in<br />
einzelnen Rollenspiel-Systemen ihre Anhänger<br />
auffordern können, in ihrem Sinne zu handeln –,<br />
aber diese Prüfungen werden den SC oft durch<br />
eine höhere Macht – das Schicksal oder einfach<br />
ihr Lehnsherr – auferlegt. Oft nimmt der SC die<br />
Prüfung auch freiwillig auf sich, weil ihm eine<br />
Belohnung – Geld, Wissen, Macht – in Aussicht<br />
gestellt wird.<br />
In “Vampire” bedeutet der Aufstieg in<br />
den einzelnen Wegen – weg vom Tier, hin<br />
zur Erlösung, dass der SC immer mehr