24.10.2012 Aufrufe

STILBLÜTEN - Anduin

STILBLÜTEN - Anduin

STILBLÜTEN - Anduin

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

RELIGION UND ROLLENSPIEL<br />

- KANN MAN BEIDES MITEINANDER VERBINDEN? -<br />

Ich möchte von vorneherein Folgendes<br />

klarstellen: Dieses Essay beschäftigt sich nicht<br />

mit der Frage, ob Rollenspiele religiös vertretbar<br />

sind, ob sie Okkultismus Vorschub leisten oder<br />

Glaubenskonzepte propagieren, welche mit<br />

dem der jeweiligen Amtskirche kollidieren.<br />

Dieser Beitrag hat nichts mit Glaubensfragen<br />

oder religiösen Dogmen zu tun. Ich möchte<br />

hier lediglich ein paar Gedanken niederlegen,<br />

welche mir in Zusammenhang mit Religion und<br />

Rollenspiel in den Sinn gekommen sind.<br />

Vorab etwas zum besseren Verständnis: Ich<br />

gehöre zu der Handvoll von Leuten auf diesem<br />

Planteten, welche “Rapture: The Second<br />

Coming” leiten, ein ”Spiel des theologischen<br />

Terrors”, wie es auf dem Umschlag heißt. Das<br />

Rollenspiel selbst wird nicht mehr hergestellt,<br />

der Hersteller ist vor Jahren in Konkurs<br />

gegangen, also kann ich ruhig darüber reden,<br />

ohne mich des Verdachtes der Schleichwerbung<br />

auszusetzen.<br />

“Rapture” verabreitet im weitesten Sinne<br />

die christliche Endzeit gemäß der Offenbarung<br />

des Johannes mit einigen kreativ/eigenwilligen<br />

Ergänzung durch die Autoren. Als Spielleiter<br />

begann ich mich daraufhin etwas mit der Bibel,<br />

vor allem der Offenbarung, zu befassen, und<br />

entdeckte, dass hier einiges an sehr gutem,<br />

rollenspielerisch verwertbarem Material<br />

schlummert. Ich denke, viele Konzepte oder<br />

Grundgedanken (die wahrscheinlich in jeder<br />

Religion auftauchen) lassen sich durchaus ins<br />

Rollenspiel übertragen bzw. dort wiederfinden.<br />

Erlösung<br />

Alle Menschen streben nach Erlösung.<br />

Erlösung von ihrem Leid, Unglück, dem Bösen<br />

als solchen, ihrem Frust usw.; im schlimmsten<br />

Falle nach der Erlösung von diesem Leben.<br />

Erlösung ist auch ein zentrales Thema der<br />

Religion: Im Buddhismus ist “alles Leben Leid”,<br />

das Leid aber kann überwunden werden durch<br />

den achtteiligen Pfad (rechtes Denken, Handeln<br />

usw.); am Ende überwindet die Seele das Rad<br />

der Widergeburt, geht ins Nirvana ein und<br />

vereinigt sich wieder mit dem kosmischen<br />

Urgrund. Im Christentum bedeutet Erlösung<br />

die Befreiung von den Sünden und den<br />

Versuchungen des Bösen; dem erlösten Mensch<br />

wird von Gott vergeben.<br />

Je nach Auffassung des Glaubens ist der<br />

Mensch entweder in der Lage, sich selbst<br />

zu erlösen – durch richtiges Verhalten bzw.<br />

Buße – oder er Bedarf dazu der Gnade eines<br />

göttlichen Wesens.<br />

Auch im Rollenspiel taucht die Thematik<br />

der Erlösung in verschiedenster Form auf.<br />

Der einfachste Fall ist die Errettung aus einer<br />

Gefahr. Die Spielercharaktere (SC) müssen sich<br />

entweder selbst aus einer Gefahr befreien oder<br />

anderen Beistand leisten. In Tolkiens “Herr<br />

der Ringe” geht es darum, die Welt vor der<br />

Bedrohung durch Sauron und seinen Einen<br />

Ring zu erlösen. Auf dem Weg dorthin werden<br />

die Beteiligten verschiedenen Gefahren und<br />

Versuchungen ausgesetzt; auch der Hobbit<br />

Frodo, der Ringträger, erliegt schließlich den<br />

Einflüsterungen des Einen Ringes.<br />

An anderer Stelle im Herrn der Ringe taucht<br />

das Thema der Erlösung ebenfalls auf: das Heer<br />

der untoten Eidbrecher, die in die Schlacht<br />

gegen das Böse ziehen, um ihren Schwur doch<br />

noch zu erfüllen und dadurch ihre Ruhe zu<br />

finden.<br />

Im Fantasy-Rollenspiel “Warhammer”<br />

bedeutet Erlösung, die Welt von der Bedrohung<br />

durch das Chaos zu erretten – allerdings weist<br />

das Regelwerk darauf hin, dass sich das Chaos<br />

nur eindämmen, aber nicht vernichten läßt; in<br />

“Vampire: The Dark Ages” (dt. “Vampire aus<br />

der Alten Welt”) bedeutet die Erlösung, das Tier<br />

in sich zu bekämpfen und zu überwinden; im<br />

Fantasy-Rollenspiel “Gemini” wird die mögliche<br />

Erlösung durch ein Kind verkörpert, welches als<br />

einziges über die unterbewußte Macht verfügt,<br />

die Mächte der Finsternis für immer aus der Welt<br />

zu vertreiben; im Horror-Rollenspiel “Kult” ist<br />

es das “Erwachen”, die Wiedererlangung aller<br />

gottähnlichen Fähigkeiten, über die der Mensch<br />

einst verfügte, und der Ausbruch aus einer<br />

Jahrtausende währenden Gefangenschaft.<br />

Dies sind nur einige Beispiele, die vor allem<br />

auf den Spielhintergrund zielen. Auf einer<br />

persönlicheren, den SC näheren Ebene, kann<br />

Erlösung bedeuten, einen Fluch zu brechen<br />

oder einer drohenden Gefahr zu entrinnen bzw.<br />

jemanden aus einer Gefahr zu befreien. In der<br />

Warhammer-Kampagne “Dying of the Light”<br />

müssen die SC verhindern, dass ein mächtiger<br />

53<br />

Dämon in die Welt zurückkehrt; dabei spielt<br />

ein Kind die Schlüsselrolle. Die angestrebte (Er-<br />

)Lösung ist dabei eine zweifache: Zum einen<br />

muß die Welt vor dem Dämon gerettet und<br />

zum zweiten das Kind aus seiner schicksalhaften<br />

Verstrickung befreit werden; und zuletzt<br />

möchten die SC sicherlich auch noch lebend<br />

aus der Angelegenheit rauskommen. Weitere<br />

Beispiele kann jeder bei genauerem Hinsehen<br />

selbst finden: die Eltern aus der Sklaverei<br />

befreien, einen Dämon exorzieren, den<br />

eigenen Ruf wiederherstellen, den Kopf aus<br />

der Schlinge ziehen, nachdem man fälschlich<br />

eines Verbrechens beschuldigt wurde – alles<br />

Varianten des Erlösungs-Themas.<br />

Prüfung<br />

Gott erlaubt Satan, die Standfestigkeit von<br />

Hiobs Glauben zu prüfen, und daraufhin muß<br />

der arme Mann alle möglichen Plagen vom<br />

Aussatz bis zum Tod seiner Kinder über sich<br />

ergehen lassen, nur um sich in Gottes Augen<br />

würdig zu erweisen. Der Satan führt Christus<br />

auf einen hohen Berg und zeigt ihm alle<br />

Reichtümer der Welt, um ihn in Versuchung<br />

zu führen. Doch Jesus widersteht. Auch im<br />

Rollenspiel kommen immer wieder Prüfungen<br />

vor: zum Beispiel, indem die Helden durch<br />

ein mit Fallen und Monstren gespicktes<br />

Verlies laufen, ihren Grips und ihre<br />

Kampfstärke beweisen müssen, nur um sich<br />

am Ende würdig zu erweisen; würdig, dem<br />

Endgegner gegenüberzutreten oder den<br />

Schatz einzusacken, das benötigte Heilmittel<br />

zu finden, den weisen Mann, der als Einziger<br />

weiterhelfen kann und so weiter. Zwar handelt<br />

es sich hierbei nicht unbedingt um göttliche<br />

Prüfungen – wenngleich auch die Götter in<br />

einzelnen Rollenspiel-Systemen ihre Anhänger<br />

auffordern können, in ihrem Sinne zu handeln –,<br />

aber diese Prüfungen werden den SC oft durch<br />

eine höhere Macht – das Schicksal oder einfach<br />

ihr Lehnsherr – auferlegt. Oft nimmt der SC die<br />

Prüfung auch freiwillig auf sich, weil ihm eine<br />

Belohnung – Geld, Wissen, Macht – in Aussicht<br />

gestellt wird.<br />

In “Vampire” bedeutet der Aufstieg in<br />

den einzelnen Wegen – weg vom Tier, hin<br />

zur Erlösung, dass der SC immer mehr

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!