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12. august – 18. september 2010

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Zwischen Opernhandlung und Liturgie<br />

Für den Philosophen Ernst Bloch galt die Trompetenfanfare, auf der Mitte<br />

zwischen Opernhandlung und Liturgie, als das Gegenstück zur «tuba mirum<br />

spargens sonum» der römischen Totenmesse, zu jener weithin schallenden<br />

Posaune, die den sterblichen Sünder am Tag der Apokalypse vor das Jüngste<br />

Gericht ruft. Ins Irdische und dramaturgisch Vordergründige gewendet,<br />

zeigt die Trompete tatsächlich nicht mehr an als das rettende Eintreffen<br />

eines hohen Staatsbeamten. Bloch, in erweiterter Auslegung, erkannte hinter<br />

dem zwischen Pizarro und seinen Wachsoldaten verabredeten Alarm-<br />

Code das «geheime Ostern», das auch einem «Dies irae» <strong>–</strong> dem vom Requiem-Text<br />

beschworenen Tag des Strafgerichts <strong>–</strong> noch innewohne. Der<br />

Beethoven des Fidelio <strong>–</strong> so Bloch <strong>–</strong> habe nicht bloss Strafe und Rettung, er<br />

habe nicht weniger als «eine Ankunft des Messias» anzukündigen. Den Gatten<br />

Florestan und Leonore, dem erkorenen Opfer eines Verbrechens und seiner<br />

Retterin, stellt sich dieser Dreh- und Angelpunkt einer utopischen Vision<br />

aus unterschiedlichen, ja gegenläufigen Perspektiven dar.<br />

Die Musikwelt ist sich zwar einig, dass Beethoven nur eine einzige Oper geschrieben<br />

hat; doch hat er dem Leonore/Fidelio-Stoff in einem Zeitraum von<br />

zehn Jahren drei Varianten gegeben.<br />

Deren Abweichungen sind, bei aller<br />

Verarbeitung und Modifikation des<br />

identischen Musikmaterials, beträchtlich<br />

genug, um die Auffassung<br />

zu stützen, es handle sich um potentiell<br />

drei Opern, die alle nur demselben<br />

Handlungsgrundriss folgen.<br />

Alle drei Versionen des Werks, 1805,<br />

1806 und 1814 uraufgeführt, stimmen<br />

auf dem kritischen Höhepunkt<br />

der Kerkerszene darin überein, dass<br />

Leonore sich dem Dolch Pizarros entgegenwirft<br />

und die Pistole zieht. Von<br />

ferne, vom Turm her, interveniert die<br />

Trompete. Erstarrung. Kündigt sich<br />

so an, was Verhängnis, was Rettung<br />

sein könnte?<br />

In den ersten beiden Fassungen der<br />

Partitur stürzt Pizarro nach oben ins<br />

Freie, der Kerkermeister Rocco, Leonores<br />

Flehen um Beistand überhörend,<br />

eilt ihm nach. Nur diese beiden<br />

wissen, was das Signal zu bedeuten<br />

hat. Leonore, am Ende ihrer Kräfte,<br />

fällt in Ohnmacht. Der vorsichtige<br />

Rocco nutzt schnell noch die Gelegenheit,<br />

ihre Pistole an sich zu bringen.<br />

Für die Zurückbleibenden unten im<br />

Kellergewölbe scheint alles verloren:<br />

Sollte ausgerechnet im Augenblick<br />

des Wiederfindens das todesmutige<br />

Verkleidungs- und Hasardspiel der<br />

Heldin gescheitert, der letzte Hoffnungsstern<br />

erloschen sein? Überleben<br />

wird allein die für ewig beschwo-<br />

Ludwig van Beethoven<br />

Fidelio op. 72<br />

entstehung: Die Oper liegt in drei<br />

verschiedenen Fassungen vor. Die<br />

erste entstand 1804/05 im Auftrag<br />

des Theaters an der Wien; Anfang<br />

1806 überarbeitete Beethoven das<br />

Werk grundlegend, und von März<br />

bis Mai 1814 folgte eine dritte,<br />

abermals wesentlich umgestaltete<br />

Version.<br />

uraufführung: Die Erstfassung<br />

kam am 21. November 1805 unter<br />

Beethovens Leitung am Theater<br />

an der Wien heraus; dort feierte<br />

auch die Zweitfassung am<br />

29. März 1806 Premiere. Die dritte<br />

Version wurde am 23. Mai 1814<br />

am Kärnt nertortheater in Wien<br />

uraufgeführt; der bereits stark<br />

hör geschädigte Beethoven<br />

dirigierte erneut, «aber Kapellmeis<br />

ter Umlauf lenkte hinter<br />

seinem Rücken alles zum besten»,<br />

wie Librettist Treitschke berichtete.<br />

Bisher eine aufführung bei<br />

Lucerne FestivaL: am 26. August<br />

2004 mit der Staatskapelle Berlin<br />

unter Leitung von Daniel Barenboim.<br />

spieldauer: Erster Aufzug ca. 72<br />

Minuten, Zweiter Aufzug ca. 60<br />

Minuten.<br />

18 Francisco de Goya, Liebendes Paar<br />

19

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