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Dresden Discussion Paper Series in Economics - Technische ...

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„verlorengegangenen sozialen Errungenschaften“ weniger e<strong>in</strong>en realen Wunsch<br />

nach der Rückkehr der DDR, als vielmehr e<strong>in</strong>e partielle Überforderung <strong>in</strong>folge der<br />

Übertragung wesentlicher Lebensrisiken auf den e<strong>in</strong>zelnen. 67<br />

4.2 Der ‚kapitalistische Geist‘ und die ostdeutsche Transformationsgesellschaft<br />

Der evangelische Theologe und ehemalige ostdeutsche Bürgerrechtler Ehrhart Neubert<br />

(1990) spiegelt zum Zeitpunkt des 1990 beg<strong>in</strong>nenden deutschen Wiedervere<strong>in</strong>igungsprozesses<br />

Max Webers These zur Entstehung des modernen Kapitalismus aus<br />

dem Wirken zweier Revolutionen – e<strong>in</strong>er äußeren der Form und e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>neren des<br />

Geistes und der Mentalität 68 – an der ostdeutschen Gesellschaft. Neubert postulierte,<br />

daß die protestantische Ethik des Weberschen ‚kapitalistischen Geistes‘ im Zusammenbruch<br />

der DDR als „protestantische Revolution“ zur Entfaltung kam und im<br />

deutschen Wiedervere<strong>in</strong>igungsprozeß fortwirken werde. Übersehen hat Neubert dabei<br />

allerd<strong>in</strong>gs die mentalen Dispositionen e<strong>in</strong>es Großteils der DDR-Bevölkerung, die<br />

die unterstellte (und erhoffte) <strong>in</strong>nere Wirkungskraft des protestantischen Elements<br />

unrealistisch ersche<strong>in</strong>en lassen. Streng genommen war die sogenannte Wende<br />

1989/90 <strong>in</strong> der DDR auch ke<strong>in</strong>e Revolution im eigentlichen S<strong>in</strong>ne, weil die psychisch-mentalen<br />

Strukturen und der autoritär-gehemmte Charakter des Zusammenlebens<br />

nicht überwunden wurden, sondern lediglich e<strong>in</strong> Wechsel der äußeren, formalen<br />

Institutionen vollzogen wurde. Die gesellschaftliche Entwicklung nach 1990<br />

zeigt, daß es weder e<strong>in</strong>e Rückbes<strong>in</strong>nung auf „den Träger [des liberalen] Erbes“ 69 –<br />

den Protestantismus – gibt, noch daß heute e<strong>in</strong>e „Webersche“, also geistig motivierte,<br />

erfolgreiche ökonomische Entwicklung <strong>in</strong> Ostdeutschland nachvollzogen werden<br />

kann. 70<br />

sorgten, angeblich klassenlosen Gesellschaft. E<strong>in</strong> nach 1990 (re-)produzierter Mythos ist der (politisch<br />

oft gepriesene und zitierte) von der Nischenkultur des Ostens, <strong>in</strong> der angeblich jeder (mit „Anpassung“,<br />

also Opportunismus) se<strong>in</strong>en <strong>in</strong>dividuellen Freiraum letztendlich doch f<strong>in</strong>den konnte.<br />

Die Nischenkultur war zum<strong>in</strong>dest <strong>in</strong>direkt von der <strong>in</strong> der gesamten Gesellschaft herrschenden Repression<br />

bee<strong>in</strong>flußt. Die Enthüllungen über Stasimachenschaften bis <strong>in</strong> die Familien offenbaren dies<br />

drastisch (als beispielhaft gilt der Lebensbericht des Frankfurter [Oder] Arztes Erhard Scholz: ‚Die<br />

Stadt der kranken Gehirne‘ [1999]). Grundsätzlich gilt, daß die opportunistische Anpassung der<br />

Mehrheit (bspw. über die stillschweigende Akzeptanz der Jugendweihe und der Massenorganisationen<br />

etc. – um se<strong>in</strong>e „Ruhe“ zu bekommen) dabei ke<strong>in</strong> Ausdruck von tatsächlich gelebter freier Individualität<br />

se<strong>in</strong> kann.<br />

67 E<strong>in</strong> augensche<strong>in</strong>liches Beispiel von Abgrenzungsidentität ist die nach dem Zusammenbruch des<br />

Kommunismus <strong>in</strong> den Staaten des ehemaligen Ostblocks von den postkommunistischen als auch traditionalen<br />

(z. B. die Orthodoxe Kirche) und nationalistischen Kräften <strong>in</strong> Osteuropa beklagte Furcht<br />

vor „Amerikanisierung“ oder „Verwestlichung“ der Gesellschaft – im paradoxen Verbund mit dem<br />

gleichzeitigen Streben nach den Statussymbolen des „Westens“.<br />

68 Schluchter 1996, S. 19<br />

69 Neubert 1990, S. 708<br />

70 vgl. auch Patzelt 2003<br />

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