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schmitzkatze 04 - Schmitz Buch

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Ein Problem, das heute immer wieder von den Medien aufgegriffen wird und das der Gesellschaft<br />

auch tatsächlich unter den Nägeln brennt, ist der deutsche Umgang mit alten Menschen. Der Klartext<br />

Verlag hat dieses Thema ebenfalls aufgegriffen, allerdings bereits zu einem Zeitpunkt als noch<br />

kein Mensch davon sprach. 1989 erschien das <strong>Buch</strong> »Tatort Pflegeheim«, in dem Zivildienstleistende<br />

gravierende Missstände in Pflegeheimen aufgedeckt hatten.<br />

»Das <strong>Buch</strong> haben wir damals über 50.000 Mal verkauft.« sagt Claßen. »Wir haben eine richtige<br />

Lawine losgetreten. Das wäre heute übrigens undenkbar.«<br />

Würde das <strong>Buch</strong> 2007 erscheinen, hätte es die Chance »so 500 bis 1000 mal verkauft zu werden.<br />

Mehr nicht.«<br />

Warum, will ich wissen. Was hat sich verändert?<br />

Zunächst einmal sei die Anzahl der Konkurrenzmedien gewachsen. »Damals gab es kaum mehr<br />

als drei Fernsehsender, heute sind es fünfzig. Damals gab es zwei politische Magazine in der<br />

Woche, heute sind es zehn am Tag. Und sei doch mal ehrlich: heute bestimmt das Aufkochen von<br />

irgendeinem nebensächlichen Scheiß das öffentliche Geschehen. Darüber kann man aber keine<br />

Bücher mehr machen, weil das ja zwei Tage später keinen mehr interessiert.«<br />

Geschichten gäbe es viele zu erzählen. Manche spielten nicht einmal im Ruhrgebiet.<br />

Februar 1990 zum Beispiel. Ludger Claßen bekommt das Angebot, die Memoiren des Erich<br />

Honecker zu verlegen.<br />

»Stell dir vor, da sitzt dieser alte Mann versteckt in der Dachkammer eines Brandenburger Pastors<br />

und faselt seine Sicht der Dinge in ein Mikrofon und will dafür 90.000 US-Dollar haben. Der alte<br />

Kommunist will bezahlt werden in der Währung seiner Feinde. Ich habe zunächst einmal nicht<br />

abgelehnt sondern im Gegenzug Spiegel und Stern informiert und einen Vorabdruck angeboten.<br />

Irgendwie wollte ich ja die Kosten wieder rein kriegen.«<br />

Stern und Spiegel waren aber extrem vorsichtig, vor allem der Stern war ja bekanntlich nach 1983<br />

noch Hitler-Tagebuch-geschädigt. Man würde keinen Scheckbuchjournalismus betreiben, erklärten<br />

beide Blätter unisono. Wenn aber Honecker die Echtheit durch Unterschrift bestätigt, wolle man<br />

ernsthaft eine Vorabveröffentlichung in Erwägung ziehen.<br />

»Diese Unterschrift verweigerte Honecker aber vehement. Ich weiß nicht, warum. Aber mein<br />

Traum vom vorgezogenen Ruhestand war damit ausgeträumt.«<br />

Ich frage Ludger Claßen, ob er einen Zusammenhang sieht zwischen dem Klartext Verlag und<br />

dem Ruhrgebiet als Kulturhauptstadt 2010. Dabei muss ich gestehen, dass ich mir seine Antwort<br />

schon – zumindest als grobes Raster – zurechtgelegt habe. Sicher wird er mir jetzt erzählen von<br />

Kooperationen die er mit der Ruhr 2010 GmbH eingehen werde. Schließlich ist Klartext doch der<br />

einzige ernst zu nehmende Ruhrgebietsverlag, um den man dann nicht herumkommen wird, wenn<br />

es um Publikationen geht. Außerdem spielt ja auch die WAZ eine nicht geringe Rolle.<br />

Seine Antwort war eine ganz andere, aber sie hätte mich nicht überraschen dürfen.<br />

»Das Selbstbewusstsein hat lange Nachkriegsjahre brach gelegen im Pott. Wir haben aber erkannt,<br />

dass Selbstbewusstsein eine Menge mit Kultur zu tun hat, vor allem mit Alltagskultur. Und Alltagskultur<br />

im Revier heißt unbedingt auch Fußball. Mit Erscheinen unserer Fußballbücher, zuerst<br />

1994 »Jungens, Euch gehört der Himmel« über die Geschichte der Oberliga West und dann »Als<br />

die Ente laufen lernte«, haben wir den Leuten gesagt, ihr braucht euch nicht zu verstecken, hier<br />

passiert Großartiges. Wir haben dann nachgelegt mit dem <strong>Buch</strong> »Im Tal der Könige«. Ein Revier-<br />

Reiseführer, der erste seiner Art, in dem keine Route beschrieben, sondern Lebensgefühl vermittelt<br />

wurde. Das Lebensgefühl des Ruhrgebiets. Zum Erstarken des Selbstwertgefühls der Leute hier<br />

haben wir sicherlich einen bescheidenen Anteil beigetragen. Aber ohne dieses neue Gefühl wäre die<br />

Idee Ruhrgebiet – Kulturhauptstadt 2010 nicht zu denken gewesen.«<br />

Thomas <strong>Schmitz</strong><br />

<strong>schmitzkatze</strong> <strong>04</strong><br />

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