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schmitzkatze 04 - Schmitz Buch

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spurensuche<br />

Ein paar Tage verreisen bevor der Winter kommt. Das Motorrad ausprobieren. Irgendwohin.<br />

An einen Ort, den ich noch nicht kannte. Als ich von Bruno und Schmuel erzählt bekam, auf<br />

einer langen Autofahrt, war mir plötzlich klar, wo ich hin wollte. Schnell habe ich sein gelassen,<br />

den Leuten zu erklären, was ich vorhatte. Mal habe ich erzählt, ich führe in die Nähe von<br />

Krakau, dann habe ich von Oswiecim gesprochen, weil Oswiecim unverfänglicher klingt als<br />

der deutsche Name Auschwitz. Auschwitz klingt brutal. Auschwitz ist Geschichte. Auschwitz<br />

schmerzt. Wenn schon die Frage »Was willst du denn da?« nicht gestellt wurde, verwundert<br />

war bald jeder. Ehrlich: Unterwegs habe ich mich auch einige Male gefragt: Was willst du<br />

hier überhaupt?<br />

Jetzt bin ich wieder zu Hause. Jetzt weiß ich, es hat Sinn gemacht.<br />

Ich habe mich auf Spurensuche begeben. Dabei war ich nicht so unvoreingenommen<br />

wie Bruno, der ja schließlich Forscher werden wollte. Nein, ich habe »Der<br />

Junge im gestreiften Pyjama« am Vorabend gelesen und bin dann mit einer Betroffenheit,<br />

die mich selbst überrascht hat, in das Museum Auschwitz, wie es offiziell<br />

heißt, gefahren. Eintrittsgelder sind nicht zu entrichten, aber Gruppen, vor allem<br />

Schulklassen müssen zwingend an einer Führung teilnehmen (Zu Recht, damit niemand<br />

die Chance der Geschichtsverfälschung bekommt.) Kindern unter vierzehn<br />

Jahren wird von einem Besuch abgeraten.<br />

Ich könne mich gerne einer Führung anschließen, sagt mir eine freundliche, junge<br />

Polin in einwandfreiem Deutsch, doch ich lehne ab. Ich möchte das, was ich sehe,<br />

ungefiltert auf mich wirken lassen. Außerdem suche ich Bruno und Schmuel.<br />

Auf dem Gelände sind tatsächlich viele Schulgruppen. Polnische selbstverständlich,<br />

Englisch wird gesprochen, Niederländisch, Französisch und vor der Baracke<br />

rechts sehe ich eine Schulklasse aus Deutschland. Die Jugendlichen sind eine Spur<br />

zu laut. Wer kann es ihnen verdenken, sie sind ja noch viel weiter weg vom Geschehen<br />

als ich. Sie können nicht viel wissen.<br />

Ich gehe durchs Tor, halte mich gleich links und gehe am Zaun entlang, doppelreihig,<br />

drei Meter hoch. In einiger Entfernung hat jemand eine gelbe Rose an den<br />

Stacheldraht geklemmt. Hier könnten Bruno und Schmuel gesessen haben, im<br />

Schneidersitz, der eine diesseits, der andere jenseits des Zaunes. Hier könnten sie<br />

über Gott und das Leben geredet haben.<br />

Zu Beginn des <strong>Buch</strong>es fragt Bruno seinen Vater, wer denn die Menschen auf der<br />

anderen Seite des Zaunes seien.<br />

»Das sind eigentlich gar keine Menschen, Bruno.«, bekommt er zur Antwort.<br />

Mit jedem Ausflug zum Zaun muss Bruno klar geworden sein, dass sein Vater lügt.<br />

Vielleicht nur unbewusst, sicher konnte er es sich nicht eingestehen, schließlich ist<br />

der Vater die Autorität in seinem Leben. Aber Schmuel ist zweifelsohne ein Mensch<br />

und zwar ein ganz besonderer.<br />

»Schmuel? Klingt schön, wenn man es ausspricht. Wie, wenn der Wind weht.«<br />

sagt Bruno.<br />

»Bruno? Ich glaube, dein Name gefällt mir auch. Er klingt, als würde sich jemand<br />

die Arme reiben, um sich zu wärmen.«, sagt Schmuel.<br />

Aus den beiden werden großartige Freunde und ginge die Geschichte gut aus,<br />

wären es heute zwei alte Männer, die von sich sagen würden, sie seien immer durch<br />

dick und dünn gegangen. Aber kann eine solche Geschichte gut enden?<br />

Ich gehe weiter. In den Baracken von einst sind heute separate Ausstellungen. Mit<br />

einer Schulklasse aus Berlin betrete ich ein Gebäude. Ich finde eine Wand mit hunderten<br />

von Koffern, ein Meer aus Kämmen, Haarspangen, Rasierpinseln und einen<br />

Berg aus Schuhen. Achtzigtausend höre ich einen Führer sagen. Die Jugendlichen<br />

sind ganz still. Einige Kinder schlucken, sie begreifen langsam. Ein Mädchen läuft<br />

schluchzend hinaus. Draußen in der Sonne wird sie von einer Lehrerin getröstet.<br />

Die beiden umarmen sich, die Frau streicht dem Mädchen immer wieder durchs<br />

Haar. Sie sagt nichts. Was auch.<br />

In der letzten Baracke hängen hunderte gestreifte Pyjamas, in Reih und Glied.<br />

Es scheint, als wären gebückte, dünne ausgezehrte Körper darin, auf ihrem letzten<br />

Marsch...<br />

Thomas <strong>Schmitz</strong><br />

<strong>schmitzkatze</strong> <strong>schmitzkatze</strong> <strong>04</strong> 02<br />

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