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Demografischer Wandel und Frauen - Denkanstöße - frauennrw.de

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<strong>Demografischer</strong> <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>. Die Stadt, die <strong>Frauen</strong><br />

<strong>und</strong> die Zukunft.


Impressum<br />

Herausgeber<br />

Ministerium für Generationen, Familie, <strong>Frauen</strong><br />

<strong>und</strong> Integration <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s Nordrhein-Westfalen<br />

Referat Presse- <strong>und</strong> Öffentlichkeitsarbeit, Kommunikation<br />

40190 Düsseldorf<br />

www.mgffi.nrw.<strong>de</strong><br />

Koordination <strong>und</strong> Redaktion<br />

Ulrike Schultz<br />

Aka<strong>de</strong>mische Oberrätin FernUniversität in Hagen<br />

Telefon: 02331 9874215 (dienstl.)<br />

Telefon: 02331 870811<br />

Telefax: 02331 843408<br />

Gestaltung <strong>und</strong> Druck<br />

Merlin Digital GmbH, Essen<br />

POMP Druckerei <strong>und</strong> Verlag, Bottrop<br />

© 2006/MGFFI 1025<br />

Die Druckfassung kann bestellt wer<strong>de</strong>n:<br />

– im Internet: www.mgffi.nrw.<strong>de</strong>/Publikationen<br />

– telefonisch: 01803-100110<br />

C@ll-NRW (9 Cent/Min.*)<br />

(*aus <strong>de</strong>m Festnetz <strong>de</strong>r Deutschen Telekom AG)<br />

Bitte die Veröffentlichungsnummer 1025 angeben.


Kapitel 1<br />

<strong>Demografischer</strong> <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> <strong>und</strong> <strong>Frauen</strong> –<br />

<strong>Denkanstöße</strong><br />

Rita Süssmuth <strong>Frauen</strong> heute <strong>und</strong> morgen – ein Blick in die Zukunft.<br />

Zur politischen Perspektive<br />

Margot Käßmann Ethische Perspektiven beim Blick auf <strong>de</strong>n <strong>de</strong>mografischen<br />

<strong>Wan<strong>de</strong>l</strong><br />

Barbara Zibell Geschlechterverhältnisse im <strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>.<br />

Chancen <strong>und</strong> Risiken für die soziale Integration in Stadt <strong>und</strong> Region<br />

Juliane Roloff Das Alter ist weiblich – Geschlechteraspekte<br />

<strong>de</strong>s <strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>s in Deutschland<br />

Diana Auth, Barbara Holland-Cunz Alarmismus <strong>und</strong> Aktionismus.<br />

Diskurs <strong>und</strong> Politik zum <strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> in Deutschland<br />

Praxis<br />

Andreas Mittrowann, Kerstin Schmidt, Carsten Große Starmann<br />

Fit für <strong>de</strong>n <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>: Bertelsmann Stiftung startet Schulungsprogramm<br />

für kommunale Entschei<strong>de</strong>r


Rita Süssmuth<br />

<strong>Frauen</strong> heute <strong>und</strong> morgen –<br />

ein Blick in die Zukunft.<br />

Zur politischen Perspektive<br />

Der <strong>de</strong>mografische <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong><br />

Lange Zeit wur<strong>de</strong> er verdrängt, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mografische <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>. Inzwischen ist er sehr<br />

nahe gerückt <strong>und</strong> in seinen Folgen so unübersehbar, dass das Thema die Öffentlichkeit<br />

in aller Breite erreicht hat.<br />

Der Geburtenrückgang setzte Mitte <strong>de</strong>r 60er Jahre ein, wur<strong>de</strong> aber durch relativ<br />

hohe Zuwan<strong>de</strong>rung bis tief in die 90er Jahre von außen abgefe<strong>de</strong>rt <strong>und</strong> überlagert.<br />

Diese Zuwan<strong>de</strong>rungen, seien es Gastarbeiter, die Spätaussiedler, Bürgerkriegsflüchtlinge<br />

o<strong>de</strong>r Asylsuchen<strong>de</strong> sind stark zurückgegangen. Deutschland ist seit<br />

wenigen Jahren auch wie<strong>de</strong>r ein Auswan<strong>de</strong>rungsland. Außer<strong>de</strong>m fin<strong>de</strong>t eine<br />

starke Binnenwan<strong>de</strong>rung statt – von Ost nach West, aber auch in Richtung Sü<strong>de</strong>n.<br />

Kin<strong>de</strong>rgärten <strong>und</strong> Schulen wer<strong>de</strong>n geschlossen, Wohnungen stehen leer, weil <strong>de</strong>r<br />

junge Nachwuchs fehlt <strong>und</strong> die junge Generation, vor allem junge, gut ausgebil<strong>de</strong>te<br />

<strong>Frauen</strong> dorthin wan<strong>de</strong>rn, wo sie Arbeit fin<strong>de</strong>n.<br />

Deutschlands Bevölkerung altert <strong>und</strong> nimmt wegen <strong>de</strong>r geringen Geburten stetig<br />

ab. 2050 wer<strong>de</strong>n wir bei einer jährlichen Zuwan<strong>de</strong>rung von 100.000 nur noch<br />

knapp 70 Millionen sein. 2005 geborene Kin<strong>de</strong>r haben eine noch höhere<br />

19


Lebenserwartung als die Generation <strong>de</strong>r Mittelalten heute, nämlich Männer von<br />

85 <strong>und</strong> <strong>Frauen</strong> von 90 Jahren. Der Anteil <strong>de</strong>r Älteren ist weit höher als <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

unter 20-jährigen. Bis zum Jahr 2050 wird die Zahl <strong>de</strong>r unter 20-jährigen von<br />

aktuell 17 Millionen (20%) auf 12 Millionen (16%) zurückgehen. Der Anteil <strong>de</strong>r<br />

über 60-jährigen steigt von heute 18% auf 37%, 12% wer<strong>de</strong>n 2050 älter als 80<br />

Jahre sein, heute 4%. 2050 wird je<strong>de</strong>r Dritte älter als 60 Jahre sein. Schon 2020<br />

wird <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r 50 bis 64-jährigen 40% <strong>de</strong>r potenziellen Erwerbsbevölkerung<br />

in diesem Alter sein.<br />

Die Daten lassen aufhorchen, erschrecken <strong>und</strong> verleiten auch zu einseitiger<br />

Dramatisierung. Der <strong>de</strong>mografische <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> – seit Jahrzehnten bekannt – ist zwar<br />

eine Tatsache, aber kein unabwendbares Schicksal. Statt Katastrophenszenarios<br />

brauchen wir Gestaltungsszenarios.<br />

An Erkenntnissen fehlt es in <strong>de</strong>r B<strong>und</strong>esrepublik nicht, die Umsetzung lässt auf<br />

sich warten. Zurzeit konzentriert sich fast alles auf die Altersicherungssysteme,<br />

auf Rente <strong>und</strong> Pflege, Heraufsetzung <strong>de</strong>s Renteneintrittsalters, die Versorgungsprobleme<br />

<strong>de</strong>r Älteren, <strong>de</strong>nn immer weniger Erwerbstätige, müssen die Rentner<br />

<strong>und</strong> Rentnerinnen von heute <strong>und</strong> morgen versorgen.<br />

Noch haben unsere aktuellen Probleme im sozialen Sicherungssystem mit <strong>de</strong>m<br />

<strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> wenig zu tun. Es sind Einnahmeprobleme, die mit <strong>de</strong>r<br />

hohen Arbeitslosigkeit, <strong>de</strong>m Abbau <strong>de</strong>r sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze<br />

<strong>und</strong> im Ges<strong>und</strong>heitsbereich mit <strong>de</strong>m medizinisch-technischen Fortschritt<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>n entsprechend erhöhten Behandlungskosten zu tun haben. Einen erheblicher<br />

Kostenfaktor bil<strong>de</strong>te im übrigen die in <strong>de</strong>n letzten zwanzig Jahren häufige<br />

Frühverrentung, z.B. durch die Vorruhestandsregelung. Die Frühverrentung<br />

musste dringend wie<strong>de</strong>r rückgängig gemacht wer<strong>de</strong>n. Es waren nur noch 39% <strong>de</strong>r<br />

Erwerbstätigen jenseits <strong>de</strong>r Altersgrenze von 60 Jahren erwerbstätig. Inzwischen<br />

sind es wie<strong>de</strong>r 41%; <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> liegt bei 35 %. In an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn ist<br />

dieser Anteil wesentlich höher.<br />

20


<strong>Frauen</strong>leben in <strong>de</strong>mografischer Perspektive<br />

Alter<br />

Die positive Seite <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>s besteht in <strong>de</strong>r hohen durchschnittlichen<br />

Lebenserwartung <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> von 81 Jahren. Viele Ältere fühlen sich<br />

heute 10 Jahre jünger als es ihrem Alter entspricht. Die 70-jährigen fühlen sich<br />

eher wie 60-jährige. Als alt schätzen sich viele Menschen erst im Alter von<br />

75 – 80 Jahren ein. Viele wer<strong>de</strong>n gesün<strong>de</strong>r <strong>und</strong> aktiver alt als früher. Sie wollen<br />

nach <strong>de</strong>r Erwerbstätigkeit aktiv bleiben, wünschen sich flexiblere Renteneinstiegsalter,<br />

z.B. zwischen 63 <strong>und</strong> 68 Jahren wie in Finnland, mehr Altersteilzeit,<br />

flexiblere Arbeitszeitstrukturen. Ältere, gera<strong>de</strong> auch <strong>Frauen</strong>, ent<strong>de</strong>cken<br />

ganz neue, latent vorhan<strong>de</strong>ne Fähigkeiten. Sie nehmen schöpferische (gestalterische)<br />

Tätigkeiten wie Schreiben, Malen, Mo<strong>de</strong>llieren auf, sie sind kulturell,<br />

sportlich <strong>und</strong> sozial engagiert <strong>und</strong> immer häufiger sozial innovativ tätig.<br />

Auch die Wertschätzung <strong>de</strong>r Älteren ist stark ausgeprägt, sie stehen für Erfahrung<br />

<strong>und</strong> Kontinuität. Der Generationenkonflikt zeichnet sich bisher in <strong>de</strong>n Untersuchungen<br />

nicht ab. Das zeigt auch die jüngste Shell-Studie. Kritisch gesehen<br />

wer<strong>de</strong>n das <strong>de</strong>mografische Altern, das Übergewicht <strong>de</strong>r Älteren <strong>und</strong> die abnehmen<strong>de</strong><br />

Repräsentanz <strong>de</strong>r nachwachsen<strong>de</strong>n Generation.<br />

Familie <strong>und</strong> Kin<strong>de</strong>rwunsch<br />

Ehe <strong>und</strong> Familie haben nach wie vor einen hohen Stellenwert. Dies zeigt die 2005<br />

veröffentlichte Studie <strong>de</strong>s B<strong>und</strong>esinstituts für Bevölkerungsforschung (BIB):<br />

„Einstellungen zu <strong>de</strong>mografischen Trends <strong>und</strong> bevölkerungsrelevanten<br />

Politiken“. Bei <strong>de</strong>n festgestellten Wertorientierungen <strong>de</strong>r Deutschen lassen sich<br />

vier gr<strong>und</strong>legen<strong>de</strong> Dimensionen unterschei<strong>de</strong>n: 1. Partnerschaft <strong>und</strong> Kin<strong>de</strong>r;<br />

2. Selbstverwirklichung <strong>und</strong> Freizeit; 3. Gleichstellung <strong>de</strong>r Geschlechter <strong>und</strong><br />

4. Einkommen <strong>und</strong> Wohlstand.<br />

Neu sind aber die Verän<strong>de</strong>rungen in Bezug auf <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rwunsch. Die<br />

Geburtenraten liegen aktuell bei 1,34 Kin<strong>de</strong>rn je Frau. Zur Bestandserhaltung<br />

müsste dieser Wunsch bei 2,1 Kin<strong>de</strong>rn pro Frau liegen. Wir sind bisher davon ausgegangen,<br />

dass <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>rwunsch doppelt so hoch ist wie die tatsächlich geborenen<br />

Kin<strong>de</strong>r. Das trifft nicht mehr zu. 1 Nach <strong>de</strong>r Untersuchung <strong>de</strong>s BIB, ist<br />

„gewünschte Kin<strong>de</strong>rlosigkeit zu einem Teil <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>rwunsches gewor<strong>de</strong>n. Die<br />

allgemeine Wertschätzung von Familie setzt sich nicht mehr uneingeschränkt in<br />

Familiengründung um. Es wer<strong>de</strong>n heute nur noch wenig mehr Kin<strong>de</strong>r gewünscht,<br />

als man tatsächlich hat.“ Die Kin<strong>de</strong>rwünsche wer<strong>de</strong>n inzwischen auf einem sehr<br />

1 BiB, B<strong>und</strong>esinstitut für Bevölkerungsforschung beim Statistischen B<strong>und</strong>esamt. Dorbritz, Jürgen; Lessgerer, Andrea;<br />

Ruck<strong>de</strong>schel, Kerstin: Einstellungen zu <strong>de</strong>mographischen Trends <strong>und</strong> zu bevölkerungsrelevanten Politiken.<br />

Wiesba<strong>de</strong>n 2005<br />

21


niedrigen Niveau fast vollständig erfüllt. Dabei spielen die mit Kin<strong>de</strong>rn verb<strong>und</strong>enen<br />

Probleme eine wichtige Rolle. Diese sind komplexer als es die veröffentlichte<br />

Meinung nahe legt.<br />

Der Rückgang <strong>de</strong>r jüngeren Bevölkerung, die steigen<strong>de</strong> Scheidungshäufigkeit<br />

<strong>und</strong> die zunehmen<strong>de</strong> freiwillige Kin<strong>de</strong>rlosigkeit beunruhigen breite Kreise <strong>de</strong>r<br />

Bevölkerung. Die Zukunftssorge treibt die Ost<strong>de</strong>utschen noch stärker um als die<br />

West<strong>de</strong>utschen. Dabei wird die wachsen<strong>de</strong> Zahl <strong>de</strong>r unehelichen Partnerschaften<br />

<strong>und</strong> nichtehelicher Geburten nicht als besorgniserregend bewertet. Es besteht<br />

aber ein Trend, diese Probleme einseitig auf das Emanzipationsstreben, die<br />

Selbstverwirklichungswünsche <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> zurückzuführen.<br />

Erwerbstätigkeit<br />

Noch nie waren so viele gut ausgebil<strong>de</strong>te <strong>Frauen</strong> erwerbstätig, es sind heute 68%. 2<br />

Die Erwerbsquote <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> bis zum 25. Lebensjahr liegt bei 44,5%, die höchste<br />

Erwerbsquote erreichen die 45-jährigen <strong>Frauen</strong> mit 84,5%. Der <strong>de</strong>mographische<br />

<strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> erfor<strong>de</strong>rt eine noch stärkere Beteiligung <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> am Beruf, <strong>de</strong>nn<br />

das Erwerbspotenzial nimmt insgesamt aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s Bevölkerungsrückgangs in<br />

<strong>de</strong>n nächsten Jahrzehnten stark ab.<br />

Erwerbstätigkeit <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> ist heute breit akzeptiert. Die Berufsrolle <strong>de</strong>r Frau<br />

wird anerkannt, auch die gestiegenen Ausbildungskompetenzen <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> wie<br />

ihre Tätigkeit in <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nsten Tätigkeitsfel<strong>de</strong>rn. Eine Rückkehr in die<br />

alten Rollen wird nicht befürwortet. Den <strong>Frauen</strong> soll bei<strong>de</strong>s offen stehen. Aber die<br />

einseitig an die <strong>Frauen</strong> gerichteten Erwartungen in Bezug auf die Mutter- <strong>und</strong><br />

Familienrolle haben sich wenig verän<strong>de</strong>rt. Die traditionellen Geschlechterrollen<br />

unterliegen einem anhalten<strong>de</strong>n <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>, befin<strong>de</strong>n sich im Umbruch, sind aber<br />

nicht aufgelöst.<br />

Damit ergibt sich ein Dilemma: <strong>Frauen</strong> sollen mehr Kin<strong>de</strong>r bekommen, sich um<br />

die älteren Familienangehörigen kümmern, sie auch pflegen; <strong>Frauen</strong> sollen aber<br />

auch erwerbstätig sein, sich kontinuierlich weiterbil<strong>de</strong>n <strong>und</strong> öffentliche<br />

Verantwortung übernehmen.<br />

Umgekehrt wer<strong>de</strong>n Männer immer weniger als alleinige Ernährer <strong>de</strong>r Familie<br />

gesehen, <strong>und</strong> es wird erwartet, dass sie sich stärker an <strong>de</strong>r Hausarbeit beteiligen.<br />

Doch die traditionellen Familienaufgaben bleiben in hohem Maße bei <strong>de</strong>n <strong>Frauen</strong>.<br />

2 Statistisches B<strong>und</strong>esamt, Mikrozensus Fachserie 2005; Erwerbsquote <strong>Frauen</strong>: Prozentualer Anteil <strong>de</strong>r Erwerbspersonen<br />

(Erwerbstätige <strong>und</strong> Erwerbslose) an <strong>de</strong>r Gesamtheit aller Personen im erwerbsfähigen Alter (vom 15. bis 64.<br />

Lebensjahr). Rechnung: 18176/26705*100=68.06%.<br />

22


Auffällig ist, dass das <strong>Frauen</strong>bild im Westen traditioneller ist als im Osten<br />

Deutschlands. Die volle Berufstätigkeit ist für die <strong>Frauen</strong> im Osten eine<br />

Selbstverständlichkeit ebenso wie die Einfor<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>rbetreuung <strong>und</strong> die<br />

positive Einstellung dazu. Die Auffassung, dass Kin<strong>de</strong>r unter <strong>de</strong>r Erwerbstätigkeit<br />

<strong>de</strong>r Mütter lei<strong>de</strong>n <strong>und</strong> auch Schä<strong>de</strong>n davon tragen, wird im Westen viel ausgeprägter<br />

vertreten als im Osten. Das lässt sich aus <strong>de</strong>n Befragungen <strong>de</strong>s BiB ein<strong>de</strong>utig<br />

ablesen.<br />

Unter <strong>de</strong>n Befragten herrscht die Meinung vor, dass ausgeprägte Wünsche nach<br />

Selbstverwirklichung, beruflicher Karriere <strong>und</strong> voller Berufstätigkeit von Mann<br />

<strong>und</strong> Frau mit Kin<strong>de</strong>rn nicht zu vereinbaren seien o<strong>de</strong>r allenfalls nur mit einem<br />

Kind. Dabei spielt <strong>de</strong>r Einfluss <strong>de</strong>s traditionellen <strong>Frauen</strong>bilds auf die Einstellung<br />

zur eingeschränkten Vereinbarkeit Familie <strong>und</strong> Beruf eine wichtige Rolle. Das<br />

alte Bild <strong>de</strong>r notwendigen Entscheidung für Familie o<strong>de</strong>r Beruf wirkt fort <strong>und</strong><br />

geht einher mit <strong>de</strong>r Erwartung, dass <strong>Frauen</strong> im Konfliktfall ihre Erwerbstätigkeit<br />

zugunsten von Kin<strong>de</strong>rn aufgeben o<strong>de</strong>r stark reduzieren. <strong>Frauen</strong> sind <strong>und</strong> bleiben<br />

zuständig für Erziehung <strong>und</strong> für die Pflege kranker <strong>und</strong> älterer Familienangehöriger.<br />

Männer sind mit dieser Erwartung noch immer weit weniger o<strong>de</strong>r<br />

gar nicht konfrontiert. Für <strong>Frauen</strong> spielt jedoch die Vereinbarkeit von Familie <strong>und</strong><br />

Beruf eine zentrale Rolle. Die Mehrheit will bei<strong>de</strong> Lebensbereiche miteinan<strong>de</strong>r<br />

verbin<strong>de</strong>n. Dafür halten sie vorrangig Angebote an qualifizierter halb- <strong>und</strong> ganztägiger<br />

Kin<strong>de</strong>rbetreuung, familienfre<strong>und</strong>liche flexible Arbeitszeiten <strong>und</strong> Erleichterung<br />

<strong>de</strong>r Teilzeitarbeit für erfor<strong>de</strong>rlich.<br />

Chancen <strong>und</strong> Risiken <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>s:<br />

<strong>Frauen</strong> als Betroffene <strong>und</strong> Gestalterinnen<br />

Der <strong>de</strong>mografische <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> birgt Chancen <strong>und</strong> Risiken für <strong>Frauen</strong>. Die Chancen<br />

liegen in einer breiteren <strong>und</strong> höheren Beteiligung am Erwerbsleben, an gesellschaftlichen<br />

<strong>und</strong> politischen Aufgaben, an verstärkten Möglichkeiten zur<br />

Einflussnahme auf die Zukunftsgestaltung. Es ergibt sich eine Erweiterung von<br />

Optionen, mehr Partizipation. Doch diese positiv zu bewerten<strong>de</strong> Beteiligung <strong>de</strong>r<br />

Frau an allen Lebensbereichen über die alten Altersgrenzen hinaus wird zu einer<br />

individuellen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Notwendigkeit, wenn <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mografische<br />

<strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> zukunftsbezogen gestaltet wer<strong>de</strong>n soll.<br />

Wo aber liegen die Risiken?<br />

Der Blick in die Zukunft konfrontiert <strong>Frauen</strong> mit <strong>de</strong>utlich ansteigen<strong>de</strong>n<br />

Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>und</strong> Beanspruchungen. Dahinter bleiben die Perspektiven zur<br />

23


Entlastung <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> erschreckend <strong>de</strong>utlich zurück. Ohne Entlastungen wer<strong>de</strong>n<br />

die Konflikte für die <strong>Frauen</strong>, auch in <strong>de</strong>n Geschlechterbeziehungen in unverantwortlicher<br />

Weise zunehmen.<br />

Diejenigen, die <strong>de</strong>n Rückgang <strong>de</strong>r Geburten auf übertriebene Selbstverwirklichungs-<br />

<strong>und</strong> Emanzipationsinteressen <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> zurückführen, machen es<br />

sich zu einfach. Es gibt sie, die auf ihre Eigeninteressen ausgerichteten <strong>Frauen</strong><br />

<strong>und</strong> Männer. Aber <strong>de</strong>r Rückgang <strong>de</strong>r Geburten betrifft nahezu alle entwickelten<br />

Staaten in <strong>und</strong> außerhalb Europas. Und warum haben beispielsweise die<br />

Skandinavier o<strong>de</strong>r die Franzosen prozentual gesehen mehr Kin<strong>de</strong>r als die<br />

Deutschen, die Spanier o<strong>de</strong>r die Italiener? Gera<strong>de</strong> Spanien <strong>und</strong> Italien gelten als<br />

familienorientierte <strong>und</strong> kin<strong>de</strong>rfre<strong>und</strong>liche Gesellschaften.<br />

Der Rückgang <strong>de</strong>r Geburten hat zwar mit Einstellungsän<strong>de</strong>rungen, vor allem aber<br />

mit ungleichen Rahmenbedingungen zu tun, die aus lang andauern<strong>de</strong>n Fehlern<br />

<strong>de</strong>r Vergangenheit resultieren. So wie vor <strong>de</strong>r Integrationspolitik die Probleme <strong>de</strong>r<br />

Migranten <strong>und</strong> ihrer Kin<strong>de</strong>r vernachlässigt wor<strong>de</strong>n sind, fehlt es in Deutschland<br />

massiv an Kin<strong>de</strong>rbetreuung. Die kontroverse Debatte zu Nutzen <strong>und</strong> Scha<strong>de</strong>n<br />

familienergänzen<strong>de</strong>r <strong>und</strong> familienerweitern<strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>rbetreuung laufen seit <strong>de</strong>n<br />

70er Jahren. Statt i<strong>de</strong>ologische Grabenkämpfe um die Rolle <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong> <strong>de</strong>n<br />

Stellenwert familialer <strong>und</strong> außerfamilialer Erziehung zu führen, hätten wir – wie<br />

fast alle entwickelten Staaten <strong>und</strong> Gesellschaften – <strong>de</strong>n Ausbau von guter<br />

Entwicklungsför<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r in Ganztagskin<strong>de</strong>rgärten <strong>und</strong> Schulen betreiben<br />

müssen. Und dazu gehört die enge Kooperation mit <strong>de</strong>n Eltern, die entlastet<br />

<strong>und</strong> gestärkt wer<strong>de</strong>n, die Familie <strong>und</strong> Beruf vereinbaren können <strong>und</strong><br />

Zuwendungszeit für ihre Kin<strong>de</strong>r haben.<br />

Warum ist es in Deutschland schwieriger als in an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn, flexiblere familienfre<strong>und</strong>liche<br />

Arbeitszeiten zu schaffen, bei <strong>de</strong>nen Kin<strong>de</strong>r <strong>und</strong> Eltern gemeinsam<br />

das Haus verlassen <strong>und</strong> zur gleichen Zeit zurückkehren? Warum ist es so<br />

schwer, Mütter <strong>und</strong> Väter in die betriebliche <strong>und</strong> außerbetriebliche Fortbildung so<br />

einzubin<strong>de</strong>n, dass sie die Erwerbstätigkeit aus familiären Grün<strong>de</strong>n, bei Krankheit<br />

o<strong>de</strong>r Pflege unterbrechen, aber dann auch wie<strong>de</strong>r zurückkehren können?<br />

Es fehlt an äußerem Druck zum Um<strong>de</strong>nken. Der <strong>de</strong>mografische <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> ist eine<br />

Chance, wie die öffentlichen Debatten von Seiten <strong>de</strong>r Arbeitgeber <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

Familienpolitiker zeigen. Aber sie muss bewusst wahrgenommen wer<strong>de</strong>n.<br />

Isolierte Maßnahmen bringen keine o<strong>de</strong>r nur marginale Verän<strong>de</strong>rungen.<br />

Kurzfristige Maßnahmen wie das Elterngeld sind zu verbin<strong>de</strong>n mit systematischem<br />

Ausbau von Kin<strong>de</strong>rbetreuung. In einer Zeit äußerst erschwerten Zugangs<br />

24


<strong>de</strong>r jungen Generation zum Arbeitsmarkt, selbst <strong>de</strong>r gut ausgebil<strong>de</strong>ten jungen<br />

<strong>Frauen</strong> <strong>und</strong> Männer, wissen die meisten nicht, wie lange sie bei einem<br />

Unternehmen beschäftigt sind <strong>und</strong> ob sie einen neuen Arbeitsplatz erhalten.<br />

Berufliche Planung <strong>und</strong> Existenzsicherung sind um ein Vielfaches schwerer als in<br />

<strong>de</strong>r Vergangenheit. Da kann es nicht überraschen, dass vor allem viele Männer<br />

Kin<strong>de</strong>rwünsche zurückstellen o<strong>de</strong>r gar ausschließen. Die berufliche Kompetenz<br />

von <strong>Frauen</strong> ist immens gestiegen, nicht aber die Vereinbarkeit von Familie <strong>und</strong><br />

Beruf.<br />

Nicht zu unterschätzen ist die Instabilität <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong>rolle. Der Umbruch ist unverkennbar.<br />

Doch ebenso beachtenswert sind die wi<strong>de</strong>rsprüchlichen Eigen- <strong>und</strong><br />

Frem<strong>de</strong>rwartungen (vgl. BiB, S. 44f.). Dabei zeigen sich die Differenzierungen,<br />

an<strong>de</strong>rs ausgedrückt: die unterschiedlichen Optionen, von <strong>Frauen</strong> in Abhängigkeit<br />

von Alter, Bildungsabschluss <strong>und</strong> Kin<strong>de</strong>rzahl.<br />

Die Bef<strong>und</strong>e zeigen, dass das Hausfrauenmo<strong>de</strong>ll kaum noch Anklang fin<strong>de</strong>t:<br />

Wäre die Form frei wählbar, wür<strong>de</strong> sich <strong>de</strong>r größte Teil für Kin<strong>de</strong>r <strong>und</strong><br />

Teilzeitarbeit entschei<strong>de</strong>n, in Ost<strong>de</strong>utschland dominiert die Vollzeitorientierung.<br />

Jüngere <strong>Frauen</strong> sind stärker am Beruf orientiert, ältere streben häufiger eine<br />

parallele Form <strong>de</strong>r Vereinbarkeit an. <strong>Frauen</strong> mit Hochschulzugang haben seltener<br />

die Absicht <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Wunsch, <strong>de</strong>n Beruf zugunsten <strong>de</strong>r Familie zu unterbrechen<br />

o<strong>de</strong>r zugunsten <strong>de</strong>r Familie vollständig aufzugeben. <strong>Frauen</strong> mit Hauptschulabschluss<br />

o<strong>de</strong>r mittlerer Reife äußern in höherem Maße die Bereitschaft, die<br />

Berufstätigkeit zu unterbrechen o<strong>de</strong>r vollständig aufzugeben.<br />

Je höher <strong>de</strong>r Bildungsgrad <strong>de</strong>sto ausgeprägter die Orientierung an <strong>de</strong>r beruflichen<br />

Tätigkeit. Doch auch <strong>Frauen</strong> mit höherer Bildung sagen nur zu 12 %, keine<br />

Kin<strong>de</strong>r haben zu wollen. Der Wunsch nach paralleler Vereinbarkeit von Familie<br />

<strong>und</strong> Beruf nimmt in allen weiblichen Gruppierungen zu. Aber <strong>de</strong>r Bruch zwischen<br />

Wünschen <strong>und</strong> Realität bestimmt <strong>de</strong>n Alltag <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> mit <strong>de</strong>n oft kaum<br />

zu bewältigen<strong>de</strong>n beruflichen <strong>und</strong> familiären Aufgaben. Psychische Erkrankungen<br />

nehmen zu, die Zwänge weiten sich aus, die Selbstbestimmung nimmt ab.<br />

Qualitative Interviews mit <strong>Frauen</strong> unterschiedlicher Berufe <strong>und</strong> Lebenslagen 3<br />

zeigen einerseits erstarktes Selbstbewusstsein, Unabhängigkeit <strong>und</strong> Kompetenz,<br />

an<strong>de</strong>rerseits die Beanspruchungen <strong>und</strong> Zerreißproben. Auch <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mografische<br />

<strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> führt nicht von selbst zu einer Parallelität von individuellem <strong>und</strong> gesellschaftlichem<br />

strukturellen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>.<br />

<strong>Frauen</strong> sind gezwungener Maßen <strong>und</strong> verstärkt gewollt für sich selbst verantwortlich.<br />

Sie nehmen ihr Leben in ihre eigenen Hän<strong>de</strong>. Natürlich gibt es auch noch<br />

3 Dorn, Thea: Die neue F-Klasse. Wie die Zukunft von <strong>Frauen</strong> gemacht wird. München 2006<br />

25


das Phänomen <strong>de</strong>r Regression, <strong>de</strong>s Zurücks in die alte Rolle <strong>de</strong>r vermeintlichen<br />

Geborgenheit, <strong>de</strong>r Arbeitsteilung zwischen Mann <strong>und</strong> Frau.<br />

Die heute umfassen<strong>de</strong> Verantwortlichkeit <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> betrifft ihre Einflussnahme<br />

auf die Zukunftsgestaltung. Sie bezieht sich damit nicht nur auf die<br />

Geschlechterbeziehungen, die Vereinbarkeit von Familie <strong>und</strong> Beruf, son<strong>de</strong>rn insgesamt<br />

auf unsere zivilisatorische Entwicklung, die Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>n<br />

Bedürfnissen von Menschen, <strong>de</strong>n Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen von Belastungen<br />

<strong>und</strong> Anfor<strong>de</strong>rungen an Flexibilität <strong>und</strong> Mobilität, an Selbstständigkeit, <strong>und</strong> sie<br />

bezieht sich auf soziale Verb<strong>und</strong>enheit <strong>und</strong> Abhängigkeit. Es geht um die Zukunft<br />

unseres Zusammenlebens ohne weiteren Verlust an Solidarität, an Verantwortung<br />

füreinan<strong>de</strong>r.<br />

Wir brauchen <strong>und</strong> wollen Leistung, aber keine Ellenbogengesellschaft. Wir brauchen<br />

Wettbewerb, aber einen fairen. Wir brauchen starke Individuen, aber auch<br />

starke Gemeinschaften. Diese Zukunftsgestaltung ist eine Gemeinschaftsaufgabe<br />

von Staat <strong>und</strong> Gesellschaft. Daran sind <strong>Frauen</strong> zu gering beteiligt. <strong>Frauen</strong> sind<br />

nicht nur passiv Betroffene <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>s, sie müssen entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />

Akteure <strong>de</strong>r Gestaltung sein. Die Aufgaben früherer <strong>Frauen</strong>bewegungen<br />

fin<strong>de</strong>n ihre Fortsetzung in diesen neuen Aufgaben. Das ermutigt <strong>und</strong> verpflichtet.<br />

26


Margot Käßmann<br />

Ethische Perspektiven beim Blick auf <strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong><br />

Kin<strong>de</strong>r-haben<br />

Der <strong>de</strong>mografische <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> wirft viele Fragen auf, <strong>und</strong> zwingt in mancherlei<br />

Hinsicht zum Um<strong>de</strong>nken. Seit sich die ökonomischen <strong>und</strong> politischen Konsequenzen<br />

<strong>de</strong>utlich abzeichnen, ist die Frage von Kin<strong>de</strong>r-haben nicht länger<br />

„Gedöns“ im Land, <strong>Frauen</strong>sache halt, nicht ganz so ernst zu nehmen. Deutschland<br />

ist wahrhaftig zu einem kin<strong>de</strong>rarmen Land gewor<strong>de</strong>n. Wie schrieb Herwig Birg:<br />

„Deutschland steht nicht vor einer <strong>de</strong>mografischen Herausfor<strong>de</strong>rung, son<strong>de</strong>rn es<br />

beginnt zu merken, daß eine <strong>de</strong>mografische Herausfor<strong>de</strong>rung existiert. Die<br />

Herausfor<strong>de</strong>rung selbst besteht schon seit 1972. Seit diesem Jahr ist die Zahl <strong>de</strong>r<br />

Sterbefälle größer als die <strong>de</strong>r Geburten.“ 1<br />

Im vergangenen Jahr hat die Kommission Familie <strong>de</strong>r Robert Bosch Stiftung<br />

einen Bericht zum Thema „Familie <strong>und</strong> <strong>de</strong>mografischer <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>“ erarbeitet. 2<br />

Deutlich wur<strong>de</strong> dabei einerseits, wie komplex die Entwicklung ist, <strong>und</strong> an<strong>de</strong>rerseits,<br />

dass es keine einzelnen Maßnahmen gibt, um diese Entwicklung zu verän<strong>de</strong>rn,<br />

son<strong>de</strong>rn ein aufeinan<strong>de</strong>r abgestimmtes Bün<strong>de</strong>l an Maßnahmen notwendig<br />

wäre. Das „<strong>de</strong>mografische Paradox“ stellt sich wie folgt dar:<br />

1 Herwig Birg, Unser Verschwin<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong> gar nicht auffallen, FAZ 28.6.06<br />

2 http://www.bosch-stiftung.<strong>de</strong>/foer<strong>de</strong>rung/jugend/fr_02050000.html?/foer<strong>de</strong>rung/jugend/02050100.html<br />

27


Heute leben in Deutschland etwa 82,5 Millionen Menschen, im Jahr 2030<br />

könnten es dank einer umfangreichen Zuwan<strong>de</strong>rung immer noch knapp 80<br />

Millionen sein. Ein starker Rückgang <strong>de</strong>s Bevölkerungsvolumens wird erst<br />

danach einsetzen, wenn die jetzt vierzigjährigen Baby-Boomer sterben. Im Jahr<br />

2050 wird die in Deutschland leben<strong>de</strong> Bevölkerung nur noch etwa 70 Millionen<br />

Menschen umfassen, wovon ungefähr 10 Millionen neue Zuwan<strong>de</strong>rer sein wer<strong>de</strong>n.<br />

Obwohl sich <strong>de</strong>r Rückgang <strong>de</strong>r Bevölkerung über lange Zeiträume erstreckt,<br />

wer<strong>de</strong>n die Verän<strong>de</strong>rungen in <strong>de</strong>r Altersstruktur <strong>de</strong>r Bevölkerung erheblich sein.<br />

So wird sich in <strong>de</strong>n nächsten dreißig Jahren die Relation zwischen <strong>de</strong>n Über-<br />

Sechzigjährigen <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Jüngeren in etwa verdoppeln. Der Kollaps <strong>de</strong>r sozialen<br />

Sicherungssysteme ist vorprogrammiert. 3<br />

Im Bericht wer<strong>de</strong>n als Maßnahmen u.a. eine Entzerrung <strong>de</strong>s Lebensstaus <strong>de</strong>r<br />

jungen Leute empfohlen, die gleichzeitig beruflich einsteigen, eine Familiegrün<strong>de</strong>n<br />

<strong>und</strong> ihre Karriere verfolgen sollen. Eine bessere Absicherung <strong>de</strong>r<br />

„Generation Praktikum“ wird ebenso vorgeschlagen wie ein verän<strong>de</strong>rtes Steuersystem,<br />

das beispielsweise Mehrkindfamilien för<strong>de</strong>rt wie in Frankreich, o<strong>de</strong>r<br />

strukturelle Verbesserungen für die Vereinbarkeit von Familie <strong>und</strong> Beruf wie in<br />

Schwe<strong>de</strong>n. Auch das soeben eingeführte Elterngeld ist ein guter Ansatz, insgesamt<br />

also brauchen wir ein Bün<strong>de</strong>l von Initiativen, um Familien zu för<strong>de</strong>rn.<br />

Bei all <strong>de</strong>m wur<strong>de</strong> für mich aber immer wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utlich, dass politische <strong>und</strong> ökonomische<br />

Maßnahmen allein noch keine Geburtenrate steigern. Es geht auch<br />

um gr<strong>und</strong>sätzliche ethische Fragen <strong>und</strong> wahrscheinlich schlicht um ein<br />

Lebensgefühl: Bin ich bereit, mich langfristig zu bin<strong>de</strong>n, an einen Partner o<strong>de</strong>r<br />

eine Partnerin, vor allem aber an ein Kind? Die Beziehung zum Kind ist die letzte<br />

unkündbare Beziehung in unserem Land! Die Geburt eines Kin<strong>de</strong>s stellt eine<br />

Bindung dar, die mich mehr als zwanzig Jahre, ja ein Leben lang beeinflussen<br />

wird. Neben <strong>de</strong>r Bindung geht es aber auch um Zukunftshoffnung. Der berühmte<br />

Spruch, „in diese Welt kann man kein Kind setzen“, ist ja ein Zeichen von tiefstem<br />

Pessimismus. Es geht um Lebenslust, die Lust, mit an<strong>de</strong>ren zu leben, das<br />

Leben weiter zu geben von Generation zu Generation.<br />

Für mich steht die Geburtenrate <strong>de</strong>shalb auch in einem Zusammenhang mit<br />

Gottvertrauen. Mut zur verlässlichen Beziehung, Zukunftshoffnung <strong>und</strong> die<br />

Weitergabe <strong>de</strong>s Lebens, sind christliche Gr<strong>und</strong>haltungen. Für solches Gottvertrauen<br />

<strong>und</strong> für ein solches Lebensgefühl haben wir als Kirche einzustehen. Ja,<br />

je<strong>de</strong>s Kind ist erwünscht! Dass in unserem reichen Land je<strong>de</strong>s Jahr 130 000<br />

Kin<strong>de</strong>r abgetrieben wer<strong>de</strong>n, muss uns beunruhigen. Wie können wir wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />

3 Robert Bosch Stiftung, Starke Familie. Bericht <strong>de</strong>r Kommission „Familie <strong>und</strong> <strong>de</strong>mografischer <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>“, S. 34<br />

28


Müttern besser zur Seite stehen, <strong>de</strong>utlich machen, dass es bei allen Belastungen<br />

schlicht ein Glück, ein Segen ist, mit Kin<strong>de</strong>rn zu leben? Diese Frage muss uns<br />

umtreiben. Deshalb sollten wir alles tun, um <strong>Frauen</strong> einen Weg mit ihrem Kind zu<br />

eröffnen. Das wer<strong>de</strong>n gesetzliche Regelungen weniger erreichen als praktische<br />

Hilfe <strong>und</strong> menschliche Unterstützung. 4<br />

Vier ethische Aspekte unseres Themas will ich beson<strong>de</strong>rs benennen:<br />

Nord-Süd-Konflikt<br />

In diesem Rea<strong>de</strong>r soll es ja um <strong>de</strong>utsche Perspektiven gehen. Nur ist <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utsche<br />

Blick auf <strong>de</strong>n <strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> eingeschränkt, wenn nicht auch bewusst<br />

wahrgenommen wird, dass in <strong>de</strong>n armen Län<strong>de</strong>rn dieser Welt das <strong>de</strong>mografische<br />

Problem sich umgekehrt stellt: <strong>Frauen</strong> haben keinen Zugang zu Verhütungsmitteln,<br />

das Bevölkerungswachstum ist rasant.<br />

Die Rechtlosigkeit von <strong>Frauen</strong> in vielen Län<strong>de</strong>rn ist zum Verzweifeln! Auch das<br />

ist eine ethische Dimension unseres Themas. Wir können nicht von einer globalisierten<br />

Welt re<strong>de</strong>n, wenn wir ignorieren, auf wie dramatische Weise die Rechte<br />

von <strong>Frauen</strong> in vielen Teilen <strong>de</strong>r Welt mit Füßen getreten wer<strong>de</strong>n. Genitalverstümmelung,<br />

Han<strong>de</strong>l mit <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong> das Mor<strong>de</strong>n von <strong>Frauen</strong>, die frei leben<br />

wollen, sind nur einige Indikatoren hierfür. Ich bin überzeugt, dass <strong>Frauen</strong> über<br />

Grenzen schauen müssen, wenn sie von Gerechtigkeit re<strong>de</strong>n.<br />

<strong>Frauen</strong> wer<strong>de</strong>n auch in einigen Jahrzehnten noch in verschie<strong>de</strong>nen Welten leben.<br />

Das Millenniumsziel <strong>de</strong>r Halbierung <strong>de</strong>r Armut wird in absehbarer Zeit kaum<br />

erreicht wer<strong>de</strong>n. Armut wird dabei weiblich bleiben. Die Welthungerhilfe hat das<br />

plastisch formuliert: Ein Schuljahr mehr be<strong>de</strong>utet für ein Mädchen 15% mehr<br />

Einkommen <strong>und</strong> 10% weniger Kin<strong>de</strong>r. Das heißt: Bildung ist <strong>de</strong>r Schlüssel zur<br />

Gleichberechtigung von <strong>Frauen</strong>! Zwei Drittel <strong>de</strong>r weltweit 960 Millionen<br />

Analphabeten sind <strong>Frauen</strong>, zwei Drittel <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r, die keine Gr<strong>und</strong>schule besuchen<br />

sind Mädchen. Mit Bildung aber steigt das Einkommen <strong>und</strong> sinkt die<br />

Geburtenrate.<br />

Die gleichwertige Anerkennung unterschiedlicher Lebensformen<br />

Eines <strong>de</strong>r zentralen Probleme im Leben von <strong>Frauen</strong> ist heute sicher <strong>de</strong>r Druck,<br />

eine Entscheidung zu treffen. Nie waren <strong>Frauen</strong> in Deutschland so gut ausge-<br />

4 Z.B. bietet unser Netzwerk Mirjam, das nun schon mehr als fünf Jahre besteht, Schwangeren in Notlagen<br />

ein engmaschiges Hilfeangebot. http://www.netzwerk-mirjam.<strong>de</strong>/<br />

29


il<strong>de</strong>t, wie heute. Ihnen steht <strong>de</strong>r Zugang zu allen Bereichen <strong>de</strong>s Lebens offen.<br />

Dennoch kommen nur wenige <strong>Frauen</strong> „ganz oben“ an. Immer wie<strong>de</strong>r sehen sie<br />

sich in <strong>de</strong>n Konflikt gedrängt, zwischen Partnerbindung, Familiengründung <strong>und</strong><br />

beruflicher Karriere wählen zu müssen <strong>und</strong> im Gr<strong>und</strong>e mit keiner dieser<br />

Entscheidungen eine „richtige“ Entscheidung treffen zu können:<br />

Die unverheiratete, allein leben<strong>de</strong> Frau begegnet <strong>de</strong>m Vorwurf, für die<br />

Karriere alles zu opfern, nicht weiblich genug zu sein.<br />

Die verheiratete kin<strong>de</strong>rlose Frau, wird mit <strong>de</strong>m Vorwurf konfrontiert, aus<br />

purem Egoismus keine Kin<strong>de</strong>r zu bekommen.<br />

Die verheiratete Frau, die um ihrer Kin<strong>de</strong>r willen nicht erwerbstätig ist, wird<br />

allzu oft als „Muttchen“ missachtet.<br />

Die berufstätige Mutter mit Kin<strong>de</strong>rn wird in Deutschland noch immer als<br />

„Rabenmutter“ geächtet.<br />

Wichtig ist, dass alle, Männer <strong>und</strong> auch <strong>Frauen</strong> untereinan<strong>de</strong>r, die unterschiedlichen<br />

Lebensmo<strong>de</strong>lle respektieren. Dies könnte <strong>de</strong>r erste Schritt dahin sein, dass<br />

die gesellschaftliche Anerkennung <strong>de</strong>r gewählten Lebensform Realität wird <strong>und</strong><br />

Freiheit entsteht.<br />

Die Schwierigkeit, sich für ein Kind zu entschei<strong>de</strong>n<br />

<strong>Frauen</strong> geraten bei <strong>de</strong>r Entscheidung für o<strong>de</strong>r gegen Kin<strong>de</strong>r unter Druck: Will ich<br />

ein Kind? Und wenn ja, wann? Und mit wem? Die Wahlmöglichkeit kann durchaus<br />

zur Qual wer<strong>de</strong>n: <strong>Frauen</strong> suchen <strong>de</strong>n am besten geeigneten Zeitpunkt, ein<br />

Kind zu bekommen. Viele schieben diesen Zeitpunkt immer weiter hinaus, so<br />

dass sie sich eines Tages zu alt fühlen, ein Kind zu bekommen <strong>und</strong> großzuziehen.<br />

Die großartige, gut geklei<strong>de</strong>te Karrierefrau, die mit 40 beschließt, ein Kind zu<br />

bekommen, ist wohl mehr das I<strong>de</strong>albild <strong>de</strong>r Medien als das Realitätsbild im<br />

Alltag.<br />

Manche <strong>Frauen</strong> nehmen schwierige <strong>und</strong> schmerzhafte Therapien im Rahmen <strong>de</strong>r<br />

In-vitro-Fertilisation auf sich, um ein Kind zu bekommen. Monat für Monat wird<br />

gewartet <strong>und</strong> gehofft; die Sexualität wird von einem strikten Zeitplan bestimmt.<br />

Das ist eine große psychische Belastung für ein Paar. Zu<strong>de</strong>m gibt es <strong>de</strong>n Wunsch,<br />

ja manches Mal gera<strong>de</strong>zu <strong>de</strong>n Anspruch: „Hätt‘ ich ein ges<strong>und</strong>es Kind“. Große<br />

Hoffnungen wer<strong>de</strong>n in die Präimplantationsdiagnostik gesetzt. Und bei Spätabtreibungen,<br />

bei <strong>de</strong>r Amniozentese <strong>und</strong> ihrer Analyse wer<strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>r selektiert,<br />

die <strong>de</strong>n Normanfor<strong>de</strong>rungen eines ges<strong>und</strong>es Kin<strong>de</strong>s nicht entsprechen. Wenn eine<br />

Frau diese diagnostischen Maßnahmen verweigert, erntet sie Stirnrunzeln.<br />

30


Kin<strong>de</strong>r zu bekommen, hat im 21. Jahrh<strong>und</strong>ert die Selbstverständlichkeit verloren,<br />

ja vielleicht muss gesagt wer<strong>de</strong>n: die Unschuld eingebüßt. Muttersein unterliegt<br />

heute zum Teil einem Machbarkeitswahn. Es wird zum Vernunftakt, überlegt, geplant<br />

o<strong>de</strong>r zur technischen Möglichkeit, eingeleitet durch die ärztliche Wissenschaft.<br />

Und <strong>de</strong>r Wahn, Kin<strong>de</strong>r mit optimalen Genen zu schaffen, macht auch vor<br />

<strong>de</strong>m Klonen nicht mehr Halt. Der italienische Gentechnologe Severino Antinori<br />

behauptet, wie die Raelianer-Sekte, ein Kind geklont zu haben. Daraus spricht die<br />

ungeheure Arroganz eines „Machers“, Prototyp einer Zeit, die meint, alles im<br />

Griff zu haben <strong>und</strong> Unsicherheiten ausschließen zu können.<br />

Gelingen<strong>de</strong>s Leben<br />

Meines Erachtens wer<strong>de</strong>n <strong>Frauen</strong> immer mehr unter Druck geraten, individuelle,<br />

neue Formen für gelingen<strong>de</strong>s Leben zu fin<strong>de</strong>n, o<strong>de</strong>r wie heute gern gesagt wird:<br />

eine Work-Life Balance zu kreieren. Zum einen wird die Familie als gelingen<strong>de</strong><br />

Lebensform erhalten bleiben. Und das ist gut so. Dazu können Staat wie Zivilgesellschaft<br />

einiges beitragen. Ich <strong>de</strong>nke an Eltern-Kind-Zentren, an Erziehungsberatungsstellen,<br />

an Großelternbörsen etc.. Zum an<strong>de</strong>ren wird es eine Vielfalt an<br />

Lebensformen geben. <strong>Frauen</strong> wer<strong>de</strong>n dabei <strong>de</strong>m Druck zu wi<strong>de</strong>rstehen haben,<br />

alles meistern zu müssen. Kin<strong>de</strong>r versorgen, gut aussehen <strong>und</strong> erfolgreich im<br />

Beruf – das muss zu einem Burn-out-Syndrom führen! Wenn dann noch die oft<br />

gefor<strong>de</strong>rte Mobilität hinzugenommen wird, sind allein die beruflichen Anfor<strong>de</strong>rungen<br />

kaum mehr unter einen Hut zu bringen.<br />

Die Einsamkeit, die unsere Gesellschaft produzieren kann, weil Beziehungen<br />

kurzfristig sind <strong>und</strong> beruflich Flexibilität gefor<strong>de</strong>rt ist, wird <strong>Frauen</strong> langfristig<br />

belasten. Wir kennen die ökonomische Altersarmut von <strong>Frauen</strong>. Aber es existiert<br />

auch die Altersarmut an Beziehung, an verlässlichem Miteinan<strong>de</strong>r, an Fürsorge.<br />

Das erlebe ich, wenn <strong>Frauen</strong> um eine anonyme Bestattung bitten, weil ja niemand<br />

da ist, <strong>de</strong>r ihr Grab pflegen wird. Das erlebe ich, wenn <strong>Frauen</strong> zur aktiven, aber<br />

unendlich einsamen Sterbehilfe nach Zürich fahren wollen. Weil sie nicht an <strong>de</strong>r<br />

Hand eines an<strong>de</strong>ren Menschen sterben können, wollen sie lieber durch die<br />

Hand eines an<strong>de</strong>ren sterben. Da geht eine Kultur <strong>de</strong>s Miteinan<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r Solidarität<br />

verloren. Wir wer<strong>de</strong>n neue Formen <strong>de</strong>s verbindlichen Miteinan<strong>de</strong>r schaffen müssen,<br />

die auch ohne Familienban<strong>de</strong> verlässlich sind.<br />

<strong>Frauen</strong> <strong>und</strong> Religion<br />

Religion wird auch in Zukunft eine große Rolle spielen, <strong>und</strong> <strong>Frauen</strong> wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r<br />

Religion eine entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Rolle einnehmen. Viel hat sich in <strong>de</strong>n vergangenen<br />

31


Jahrzehnten zugunsten <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> verän<strong>de</strong>rt, Bischöfinnen gibt es <strong>und</strong> auch<br />

Rabinerinnen. Aber noch immer sind im Christentum <strong>Frauen</strong> nicht in allen<br />

Konfessionen in allen Funktionen als gleichwertig <strong>und</strong> gleichberechtigt anerkannt.<br />

Biblisch-theologisch liegen keine Grün<strong>de</strong> für einen Ausschluss von <strong>Frauen</strong><br />

vom Priesteramt vor, aber praktiziert wird er. Dasselbe gilt für das Ju<strong>de</strong>ntum. Im<br />

Islam wird die Frau als gleichwertig, aber nicht als gleichberechtigt angesehen.<br />

In vielen Kulturen herrscht ein patriarchales System mit ethischen Defiziten, das<br />

<strong>Frauen</strong> nicht nur rechtlos, son<strong>de</strong>rn systematisch auch zu Opfern von Gewalt<br />

macht. Die genitale Verstümmelung von <strong>Frauen</strong>, häusliche Gewalt, Vergewaltigung<br />

als Kriegswaffe – all das ist auch im 21. Jahrh<strong>und</strong>ert Realität.<br />

Gera<strong>de</strong> in Zeiten größerer kultureller Vielfalt ist dafür Sorge zu tragen, dass die<br />

erkämpften Rechte keine Papiertiger bleiben, son<strong>de</strong>rn für alle <strong>Frauen</strong> gleichermaßen<br />

gelten. Zuallererst gilt das im eigenen Land. Allzu lange hat die <strong>de</strong>utsche<br />

Mehrheitsgesellschaft ignoriert, was in <strong>de</strong>n „Ghettos“ <strong>de</strong>r Zuwan<strong>de</strong>rung gelebt<br />

wur<strong>de</strong>. Die Verfassung aber gilt für alle Menschen im Land.<br />

Unsere Zeit hat <strong>Frauen</strong> viele Lebensoptionen eröffnet. Viel ist erreicht. Aber es<br />

gilt noch mehr zu erreichen: auch <strong>und</strong> – wie beschrieben – gera<strong>de</strong> angesichts <strong>de</strong>r<br />

Verän<strong>de</strong>rungen in Zeiten <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>s.<br />

32


Barbara Zibell<br />

Geschlechterverhältnisse im<br />

<strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>.<br />

Chancen <strong>und</strong> Risiken für die soziale<br />

Integration in Stadt <strong>und</strong> Region<br />

1 Geschlechterverhältnisse<br />

Geschlechterverhältnisse wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n (Sozial-) Wissenschaften analysiert, um<br />

„die Einspannung <strong>de</strong>r Geschlechter in die gesellschaftlichen Gesamtverhältnisse<br />

kritisch zu untersuchen“ (Haug 2003: 442). Dabei spielt die Arbeitsteilung zwischen<br />

Männern <strong>und</strong> <strong>Frauen</strong> die zentrale Rolle. Diese Arbeitsteilung ist historisch<br />

<strong>und</strong> kulturell geprägt <strong>und</strong> zeichnet sich dadurch aus, dass die Männer in erster<br />

Linie <strong>de</strong>r Produktion, <strong>de</strong>r öffentlichen Sphäre von Wirtschaft <strong>und</strong> Politik zugeordnet<br />

wer<strong>de</strong>n, die <strong>Frauen</strong> <strong>de</strong>r Reproduktion, <strong>de</strong>r privaten Sphäre <strong>de</strong>s Haushalts.<br />

Dieser Form <strong>de</strong>r Arbeitsteilung liegen zwei Organisationsprinzipien zu Gr<strong>und</strong>e:<br />

das Prinzip <strong>de</strong>r Trennung (es gibt <strong>Frauen</strong>- <strong>und</strong> Männerarbeiten) <strong>und</strong><br />

das hierarchische Prinzip (Männerarbeit ist mehr wert als <strong>Frauen</strong>arbeit).<br />

1 Im folgen<strong>de</strong>n Beitrag geht es um die Verknüpfung von drei großen Themen – Geschlechterverhältnisse, <strong>de</strong>mografischer<br />

<strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> <strong>und</strong> soziale Integration im räumlichen Kontext von Stadt <strong>und</strong> Region, die im fachlichen wie im wissenschaftlichen<br />

Diskurs bisher so kaum hergestellt wor<strong>de</strong>n ist. In einem Vortrag an <strong>de</strong>r Universität Hannover hat die<br />

Autorin diesen Zusammenhang erstmals aufgegriffen (Zibell 2005). Der für diese Publikation ausgearbeitete Text<br />

baut hierauf auf sowie auf weiteren Arbeiten <strong>de</strong>r Autorin im Bereich <strong>Frauen</strong>forschung <strong>und</strong> Gen<strong>de</strong>r Mainstreaming<br />

sowie <strong>de</strong>mografischer <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> <strong>und</strong> Raumentwicklung <strong>de</strong>r vergangenen Jahre.<br />

33


Sie gelten in allen bekannten Gesellschaften, sind jedoch kein starres, unverän<strong>de</strong>rliches<br />

Phänomen: Die Prinzipien bleiben zwar dieselben, doch ihre<br />

Modalitäten variieren. So kann eine Tätigkeit, die in einer Gesellschaft als ein<strong>de</strong>utig<br />

weiblich betrachtet wird, in einem an<strong>de</strong>ren Umfeld als typisch männlich<br />

gelten (Milkman 1987, zit. nach Kergoat 2000), <strong>und</strong> umgekehrt. Das heißt: die<br />

Geschlechterverhältnisse sind weniger biologisch <strong>de</strong>terminiert als vielmehr<br />

gesellschaftlich konstruiert.<br />

1.1 Geschlechterverhältnisse in Deutschland 2<br />

Um das Prinzip <strong>de</strong>r Trennung <strong>und</strong> das hierarchische Prinzip zwischen <strong>de</strong>n<br />

Geschlechtern statistisch zu belegen, können Zahlen – Daten – Fakten zu verschie<strong>de</strong>nen<br />

Indikatoren herangezogen wer<strong>de</strong>n:<br />

für das Prinzip <strong>de</strong>r Trennung: die Erwerbsstatistik mit Aussagen über die<br />

Beteiligung von Männern <strong>und</strong> <strong>Frauen</strong> im Erwerbsleben sowie <strong>de</strong>ren unterschiedliche<br />

Zeitverwendung im gesellschaftlichen Produktions- resp.<br />

Reproduktionsbereich;<br />

für das hierarchische Prinzip: die ungleiche Entlohnung von <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong><br />

Männern für gleiche Arbeit bzw. <strong>de</strong>ren unterschiedliche Anteile an<br />

Entscheidungsfunktionen <strong>und</strong> Führungspositionen in Wirtschaft, Politik<br />

<strong>und</strong> Gesellschaft.<br />

Folgen<strong>de</strong> Resultate lassen sich festhalten 3 :<br />

<strong>Frauen</strong> sind in geringerem Maße erwerbstätig als Männer – im Jahr 2003<br />

lag dieses Verhältnis bei ca. 40% : 60%. Der Anteil <strong>Frauen</strong> an <strong>de</strong>n Erwerbspersonen<br />

nimmt jedoch zu, während die Erwerbsquoten <strong>de</strong>r Männer eher<br />

stagnieren. Bei <strong>de</strong>r Betrachtung <strong>de</strong>r Erwerbslosenzahlen ist es umgekehrt:<br />

Ten<strong>de</strong>nz bei <strong>de</strong>n Männern steigend, bei <strong>de</strong>n <strong>Frauen</strong> fallend; die Kurven<br />

gleichen sich zunehmend an.<br />

Den größten Anteil <strong>de</strong>r Arbeit leisten <strong>Frauen</strong> immer noch im Bereich <strong>de</strong>r<br />

unbezahlten Hausarbeit, egal, ob sie (auch) erwerbstätig sind o<strong>de</strong>r nicht.<br />

Dabei zeigt sich im Ost-West-Vergleich, dass die Männer im Osten –<br />

zumin<strong>de</strong>st bisher – „emanzipierter“ sind als diejenigen im Westen. Der<br />

Zeitanteil, <strong>de</strong>n die Ost-Männer für Hausarbeit aufbringen, ist jedoch<br />

rückläufig (Reichart 2001).<br />

2 Sofern nichts an<strong>de</strong>res angegeben, sind die Zahlen <strong>und</strong> Daten in diesem Kapitel <strong>de</strong>r Destatis-Seite <strong>de</strong>s Statistischen<br />

B<strong>und</strong>esamtes - StaBA - entnommen: http://www.<strong>de</strong>statis.<strong>de</strong>/basis/<strong>de</strong><br />

3 In <strong>de</strong>m erwähnten Aufsatz <strong>de</strong>r Autorin (Zibell 2005) wer<strong>de</strong>n die Geschlechterverhältnisse in Wirtschaft, Politik <strong>und</strong><br />

Gesellschaft statistisch belegt.<br />

34


Wenn <strong>Frauen</strong> erwerbstätig sind, dann sind sie dies schwerpunktmäßig in<br />

an<strong>de</strong>ren Bereichen als Männer <strong>und</strong> überwiegend in dienen<strong>de</strong>n bzw. abhängigen<br />

<strong>und</strong> unselbständigen Positionen. So ist an<strong>de</strong>rs als in <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren<br />

Wirtschaftsbereichen bei <strong>de</strong>n Dienstleistungen ein vergleichsweise hoher<br />

<strong>Frauen</strong>anteil festzustellen (<strong>Frauen</strong>anteil in verschie<strong>de</strong>nen Dienstleistungsbranchen:<br />

48,6 bzw. 58%). Nach ihrem Arbeitsverhältnis betrachtet sind<br />

<strong>Frauen</strong> unter <strong>de</strong>n Selbständigen, ArbeiterInnen <strong>und</strong> Beamten unterrepräsentiert,<br />

unter <strong>de</strong>n mithelfen<strong>de</strong>n Familienangehörigen sind sie dagegen fast<br />

ausschließlich vertreten <strong>und</strong> eine leichte Mehrheit machen sie unter <strong>de</strong>n<br />

Angestellten aus.<br />

Drei bzw. vier Muster lassen sich aus diesen Ten<strong>de</strong>nzen ablesen:<br />

Die Erwerbstätigkeit von <strong>Frauen</strong> wird insgesamt selbstverständlicher <strong>und</strong><br />

zum unverzichtbaren Bestandteil weiblicher Biographien.<br />

Die Qualität sozialer Infrastrukturen (Bsp. neue B<strong>und</strong>eslän<strong>de</strong>r) spielt offensichtlich<br />

eine Rolle für das gelebte Geschlechterverhältnis.<br />

Erwerbstätige <strong>Frauen</strong> sind vor allem im tertiären Sektor vertreten, <strong>de</strong>m<br />

Wirtschaftsbereich, <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rs als <strong>de</strong>r primäre <strong>und</strong> sek<strong>und</strong>äre Wachstumsraten<br />

aufweist.<br />

<strong>Frauen</strong> suchen – aufgr<strong>und</strong> traditioneller Prägung auf ihre Verpflichtungen<br />

in Haushalt <strong>und</strong> Familie – eher Arbeitsverhältnisse in abhängigen, nicht<br />

leiten<strong>de</strong>n Positionen <strong>und</strong> vermehrt Teilzeitbeschäftigungen; gleichzeitig<br />

wer<strong>de</strong>n sie – Kehrseite <strong>de</strong>r traditionellen Prägung – von Männern auch aus<br />

leiten<strong>de</strong>n Positionen ausgeschlossen.<br />

1.2 <strong>Frauen</strong> in Führungspositionen<br />

Für die Steuerung <strong>und</strong> Entwicklung bzw. die Gestaltung <strong>de</strong>r Zukunft sind die<br />

sog. „Entschei<strong>de</strong>r“ in Wirtschaft, Politik <strong>und</strong> Gesellschaft verantwortlich. Im<br />

Folgen<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n die Geschlechterverhältnisse in Deutschland unter diesem<br />

Aspekt genauer ausgeleuchtet. 4<br />

In <strong>de</strong>n Aufsichtsräten <strong>und</strong> Vorstandsetagen <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Wirtschaft sind<br />

<strong>Frauen</strong> völlig unterrepräsentiert. So sitzen nur in 57 <strong>de</strong>r 87 größten Unternehmen<br />

Deutschlands 5 auch <strong>Frauen</strong> im Aufsichtsrat. Von <strong>de</strong>n insgesamt<br />

1.488 Aufsichtsratsmitglie<strong>de</strong>rn sind gera<strong>de</strong> 116 <strong>Frauen</strong> – das entspricht<br />

einem durchschnittlichen Anteil von etwa 8%. Noch schlechter sieht es in<br />

4 Als Gr<strong>und</strong>lage dient eine Untersuchung <strong>de</strong>s BMBFSJ über <strong>Frauen</strong> in Führungspositionen, die vom <strong>Frauen</strong> Computer<br />

Zentrum Berlin (FCZB 2002) durchgeführt wur<strong>de</strong>.<br />

5 Das Spektrum reicht von Siemens mit 484.000 bis Neue Eurohypo AG mit 770 Beschäftigten.<br />

35


<strong>de</strong>n Vorstandsetagen aus: Hier fin<strong>de</strong>n sich überhaupt nur in 4 von<br />

87 Unternehmen auch <strong>Frauen</strong>; von <strong>de</strong>n 525 Vorstandsmitglie<strong>de</strong>rn sind nur<br />

7 <strong>Frauen</strong>, das entspricht einem durchschnittlichen Anteil von 1,3%. In <strong>de</strong>n<br />

Dachverbän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Wirtschaft, <strong>de</strong>n Arbeitgeberverbän<strong>de</strong>n zeigt sich ein<br />

entsprechen<strong>de</strong>s Geschlechterverhältnis. Einzig in <strong>de</strong>n Gewerkschaften fin<strong>de</strong>n<br />

wir ein günstigeres Verhältnis vor: Hier sind <strong>Frauen</strong> durchschnittlich<br />

mit 19% in Vorstän<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Geschäftsführungen vertreten, davon in drei<br />

Fällen (GEW, DBSH 6 , VHW 7 ) als Präsi<strong>de</strong>ntin o<strong>de</strong>r Vorsitzen<strong>de</strong> – das bestätigt<br />

die dominieren<strong>de</strong> Rolle <strong>de</strong>r Frau im Erziehungs-, Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong><br />

Bildungswesen.<br />

Im 16. Deutschen B<strong>und</strong>estag hat sich <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong>anteil von 32,5% (2002)<br />

auf 31,6% leicht verringert. In <strong>de</strong>n einzelnen Parteien zeigt sich ein sehr<br />

unterschiedliches Bild: So ist das Bündnis 90 / Die Grünen mit einem<br />

<strong>Frauen</strong>anteil von 56,9% die einzige Partei, in <strong>de</strong>nen die <strong>Frauen</strong> im<br />

B<strong>und</strong>estag überwiegen. In <strong>de</strong>r Linken ist das Verhältnis mit 46,3% <strong>Frauen</strong><br />

zu 53,7% Männern nahezu ausgewogen. Die SPD-Fraktion setzt sich zu<br />

einem Drittel aus <strong>Frauen</strong>, zu zwei Dritteln aus Männern zusammen<br />

(36%:64%). FDP (24,5%:75,5%) <strong>und</strong> CDU/CSU (20%:80%) haben bei<strong>de</strong><br />

unterdurchschnittliche <strong>Frauen</strong>anteile aufzuweisen. Das entsprechen<strong>de</strong> Bild<br />

zeigt sich in Lan<strong>de</strong>sregierungen <strong>und</strong> Landtagen. Für die kommunalen<br />

Regierungen <strong>und</strong> Parlamente lassen sich keine repräsentativen Zahlen nennen,<br />

da mangels umfassen<strong>de</strong>r Erhebungen entsprechen<strong>de</strong> Daten fehlen bzw.<br />

lückenhaft sind. Eine Auswertung <strong>de</strong>r Kommunalwahlen von Ba<strong>de</strong>n-<br />

Württemberg (Sozialministerium Ba<strong>de</strong>n-Württemberg 1999) zeigt, dass<br />

<strong>Frauen</strong> in <strong>de</strong>n Großstädten erfolgreicher sind als in Klein- <strong>und</strong> Mittelstädten.<br />

So konnten <strong>Frauen</strong> in Gemein<strong>de</strong>n bis 20.000 Ew zu 17,6%, über<br />

20.000 bis 100.000 Ew zu 22,1% <strong>und</strong> über 100.000 Ew zu 34,7% in die<br />

Kommunalparlamente einziehen (Demel / Werner 2000: 3f.).<br />

Für die Betrachtung <strong>de</strong>s gesellschaftlichen Tätigkeits- <strong>und</strong> Entscheidungsbereichs<br />

wer<strong>de</strong>n einige Stichproben aus <strong>de</strong>m Bildungs- <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Ges<strong>und</strong>heitswesen<br />

herangezogen, da <strong>Frauen</strong> hier zum einen traditionell eine wichtige<br />

Rolle einnehmen, zum an<strong>de</strong>ren hier auch wichtige Potentiale für eine<br />

nachhaltige Zukunftsbewältigung liegen:<br />

Im Bildungsbereich sind es <strong>Frauen</strong>, die <strong>de</strong>n größeren Anteil am<br />

Lehrpersonal in Gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Hauptschulen stellen; in <strong>de</strong>n weiterführen<strong>de</strong>n<br />

Schulen nimmt ihr Anteil sukzessive ab. Gleichzeitig sind es überwiegend<br />

Männer, die die Schulen leiten <strong>und</strong> nach außen vertreten; dies ist auch dort<br />

<strong>de</strong>r Fall, wo <strong>Frauen</strong> weit in <strong>de</strong>r Überzahl sind. An <strong>de</strong>n Hochschulen setzt<br />

sich diese pyrami<strong>de</strong>nartige Struktur fort: Fin<strong>de</strong>n sich unter <strong>de</strong>n Studien-<br />

6 Deutscher Berufsverband für Sozialarbeit, Sozialpädagogik <strong>und</strong> Heilpädagogik<br />

7 Verband Hochschule <strong>und</strong> Wissenschaft<br />

36


anfängerInnen noch etwa gleiche Anteile von Männern <strong>und</strong> <strong>Frauen</strong><br />

(Ten<strong>de</strong>nz steigend), so ist <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> unter <strong>de</strong>n AbsolventInnen<br />

mit 47% schon geringer; bei <strong>de</strong>n Promotionen macht ihr Anteil noch 36%<br />

aus, bei <strong>de</strong>n Habilitationen 22%. Beim wissenschaftlichen <strong>und</strong> künstlerischen<br />

Personal zeigt sich dieselbe Struktur: Unter <strong>de</strong>n wissenschaftlichen<br />

MitarbeiterInnen sind ein Drittel <strong>Frauen</strong>, unter <strong>de</strong>n ProfessorInnen 12%.<br />

An Positionen <strong>de</strong>r Hochschulleitung sind <strong>Frauen</strong> insgesamt noch mit 11%<br />

vertreten (2001; Quelle: BLK 2002: 5). Obwohl <strong>Frauen</strong> immer besser ausgebil<strong>de</strong>t<br />

sind, auch besser als Männer, zumin<strong>de</strong>st machen sie nachweislich<br />

die besseren Abschlüsse, sind sie in <strong>de</strong>n entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Positionen nicht<br />

entsprechend vertreten.<br />

Im Ges<strong>und</strong>heitswesen sind <strong>Frauen</strong> in allen Berufen, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>n sog.<br />

„Ges<strong>und</strong>heitsdienstberufen“, überproportional vertreten; Ausnahmen bil<strong>de</strong>n<br />

hier einzig Ärzte <strong>und</strong> Zahnärzte, an <strong>de</strong>nen ihr Anteil nur 27 bzw. 37,5%<br />

beträgt (2002). Die Anteile <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> an Arzt- / ZahnarzthelferInnen <strong>und</strong><br />

medizinisch- bzw. pharmazeutisch-technischen AssistentInnen beträgt<br />

nahezu bzw. exakt 100%. In <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n Interessenvertretungen,<br />

d.h. Geschäftsführungen <strong>und</strong> Vorstän<strong>de</strong>n von Ges<strong>und</strong>heitsverbän<strong>de</strong>n, liegen<br />

die <strong>Frauen</strong>anteile dagegen bei durchschnittlich 33 bzw. 31%. In 3 <strong>de</strong>r insgesamt<br />

8 Verbän<strong>de</strong> (AWMF 8 , DGE 9 , FVS 10 ) sind sie in <strong>de</strong>n Führungsgremien<br />

überhaupt nicht vertreten.<br />

Eine erste Zwischenbilanz: <strong>Frauen</strong> dienen, helfen <strong>und</strong> pflegen, sie reproduzieren<br />

<strong>und</strong> reparieren, Männer leiten, gestalten <strong>und</strong> entschei<strong>de</strong>n. <strong>Frauen</strong> sind kaum<br />

beteiligt an <strong>de</strong>r Konstruktion neuer Systeme, Welten <strong>und</strong> Räume bzw. an <strong>de</strong>n<br />

Entscheidungen, die im Vorfeld von Maßnahmen gefällt wer<strong>de</strong>n.<br />

1.3 Geschlechterverhältnisse im <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>?<br />

Die vorgestellten Zahlen – Daten – Fakten aus Wirtschaft, Politik <strong>und</strong> Gesellschaft<br />

geben einen Einblick in die sog. „Arbeitswelt“, die die erwerbstätige bzw.<br />

die öffentlich aktive Bevölkerung repräsentiert. Dabei wird <strong>de</strong>utlich, dass <strong>Frauen</strong><br />

– trotz zunehmend besserer Ausbildung – an <strong>de</strong>r Gestaltung <strong>de</strong>r Strukturen <strong>und</strong><br />

Produkte unterrepräsentiert, zum Teil sogar völlig abwesend sind.<br />

<strong>Frauen</strong> arbeiten mehrheitlich <strong>und</strong> überwiegend außerhalb <strong>de</strong>r öffentlichen Wahrnehmung,<br />

in <strong>de</strong>n unsichtbaren Welten <strong>de</strong>r Gesellschaft. Sie erbringen hier jedoch<br />

mit ihren zahlreichen unbezahlten Tätigkeiten <strong>de</strong>n größeren Anteil an <strong>de</strong>r ge-<br />

8 Arbeitsgemeinschaft <strong>de</strong>r Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften<br />

9 Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V.<br />

10 Fachverband Sucht e.V.<br />

37


samtgesellschaftlichen Leistung; das belegen die Zeitverwendungsstudien <strong>de</strong>s<br />

Statistischen B<strong>und</strong>esamtes. Trotz vereinzelter Quantensprünge, z.B. <strong>de</strong>r Tatsache,<br />

dass seit <strong>de</strong>m letzten Regierungswechsel im September 2005 eine Kanzlerin die<br />

Richtlinien <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Republik bestimmt, wird die Gesellschaft immer noch<br />

durch eine männliche Phalanx repräsentiert. Die gläserne Decke zu durchbrechen,<br />

be<strong>de</strong>utet für die einzelne Frau – trotz zahlreicher Anstrengungen durch<br />

<strong>Frauen</strong>för<strong>de</strong>rung <strong>und</strong> Mentoringprogramme – immer noch einen Kraftakt, <strong>de</strong>r nur<br />

selten gelingt. Gesellschaftliche Strukturen sind schwerfällige Tanker: Was<br />

Jahrtausen<strong>de</strong> Gültigkeit hatte, wird kaum in einer Generation umgekrempelt wer<strong>de</strong>n<br />

können, <strong>und</strong> es wird, wenn es im bisherigen Tempo weiter geht, Jahrh<strong>und</strong>erte<br />

brauchen 11 , bis die Gleichstellung <strong>de</strong>r Geschlechter erreicht ist.<br />

Ob die weitere Ausprägung <strong>de</strong>r Dienstleistungsgesellschaft <strong>und</strong> die Entwicklung<br />

zur Wissensgesellschaft diese Verän<strong>de</strong>rungen zu beschleunigen vermögen, darf<br />

zumin<strong>de</strong>st bezweifelt wer<strong>de</strong>n. Zwar bietet die Zunahme an Arbeitsplätzen im<br />

Dienstleistungsbereich, wo <strong>Frauen</strong> statistisch am stärksten vertreten <strong>und</strong> ihre<br />

Kompetenzen wie Team- <strong>und</strong> Kommunikationsfähigkeit stärker gefragt sind,<br />

durchaus Chancen. Das gilt ebenso für die Arbeitsplätze in <strong>de</strong>r neuen Wissensgesellschaft.<br />

Nach einer Studie über die Geschlechterverhältnisse in <strong>de</strong>r IT-<br />

Industrie (Dörhöfer / F<strong>und</strong>er u.a. 2004) zeigt sich jedoch, dass trotz eines relativ<br />

hohen Anteils von weiblichen Beschäftigten in diesen Bereichen bestehen<strong>de</strong><br />

Hierarchien im Geschlechterverhältnis kaum aufgebrochen wer<strong>de</strong>n <strong>und</strong> die<br />

geschlechtsspezifische Spaltung unangetastet bleibt. So sind auch hier <strong>Frauen</strong> die<br />

ersten, die in Krisenzeiten ihre Arbeitsplätze verlieren, <strong>und</strong> ihre Präsenz bleibt –<br />

trotz vergleichsweise hoher Qualifikationen in dieser Branche – in <strong>de</strong>n höheren<br />

Managementetagen dünn. Die bestehen<strong>de</strong>n Hierarchien wer<strong>de</strong>n nicht zuletzt<br />

dadurch verfestigt, dass die Geschäftsführer keinen Handlungsbedarf bezüglich<br />

<strong>Frauen</strong>för<strong>de</strong>rung sehen <strong>und</strong> Work-Life-Balance o<strong>de</strong>r Chancengleichheit bei <strong>de</strong>n<br />

unternehmerischen Prioritäten für eher unwichtig gehalten wer<strong>de</strong>n.<br />

2 Geschlechterverhältnisse <strong>und</strong> <strong>Demografischer</strong> <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong><br />

Die prognostizierten Entwicklungen sind ein<strong>de</strong>utig: Die Bevölkerung schrumpft<br />

<strong>und</strong> sie altert, zumin<strong>de</strong>st wenn nicht umgehend eine Trendwen<strong>de</strong> einsetzt. Die<br />

Geburtenrate je Frau ist seit 1960 von 2,4 / 2,3 (West / Ost) auf 1,2 / 1,4 abgesunken;<br />

<strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r über 60-Jährigen an <strong>de</strong>r Gesamtbevölkerung wird bis 2050<br />

auf 37% steigen (Bölsche / Bornhöft u.a. 2004: 39).<br />

11 In <strong>de</strong>r Schweiz wur<strong>de</strong> dieser Zeitraum gera<strong>de</strong> auf 962 Jahre beziffert; vgl. Köchli 2006<br />

38


Folge <strong>de</strong>r Schrumpfungs- <strong>und</strong> Alterungsprozesse ist nicht nur das Anwachsen <strong>de</strong>r<br />

Gruppe <strong>de</strong>r über 60-Jährigen - mit allen Konsequenzen für das Erscheinungsbild<br />

im öffentlichen Raum <strong>und</strong> die Nachfrage auf <strong>de</strong>m Markt <strong>de</strong>r Güter <strong>und</strong><br />

Dienstleistungen, auch Zahl <strong>und</strong> Anteil <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r <strong>und</strong> Jugendlichen bzw. <strong>de</strong>r<br />

Menschen im erwerbsfähigen Alter gehen dramatisch zurück. Das hat nicht nur<br />

Auswirkungen auf die sozialen Systeme, son<strong>de</strong>rn insbeson<strong>de</strong>re auch Folgen für<br />

<strong>de</strong>n fehlen<strong>de</strong>n Nachwuchs in Unternehmen <strong>und</strong> Institutionen. Die zunehmen<strong>de</strong><br />

Konkurrenz von Unternehmen, Städten <strong>und</strong> Regionen um die weniger wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n,<br />

insbeson<strong>de</strong>re qualifizierten Erwerbsfähigen nimmt zu.<br />

Zu <strong>de</strong>r eigentlichen <strong>de</strong>mografischen Entwicklung kommen die Folgen <strong>de</strong>s sog.<br />

„sozialen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>s“, <strong>de</strong>r von verschie<strong>de</strong>nen parallel verlaufen<strong>de</strong>n <strong>und</strong> ineinan<strong>de</strong>r<br />

greifen<strong>de</strong>n Prozessen geprägt ist. Neben <strong>de</strong>r Emanzipation <strong>de</strong>r Frau bzw. <strong>de</strong>r<br />

Gleichstellung gehören dazu die neuen Lebens- <strong>und</strong> Familienformen bzw. <strong>de</strong>ren<br />

Pluralisierung <strong>und</strong> Diversifizierung, zunehmen<strong>de</strong> Migrationsprozesse, die<br />

Flexibilisierung <strong>de</strong>r Arbeit, neue Informations- <strong>und</strong> Kommunikationstechnologien<br />

usw., die die Entwicklungen in Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft maßgeblich<br />

prägen. Dies führt wie<strong>de</strong>rum zu verschie<strong>de</strong>nen Konsequenzen, die u.a. auch das<br />

Geschlechterverhältnis betreffen:<br />

Wenn die erwerbsfähigen Jahrgänge gegenüber <strong>de</strong>m Altenberg schrumpfen,<br />

wird <strong>de</strong>r Druck auf die Erwerbstätigkeit <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> zunehmen. Die<br />

Gesellschaft wird es sich kaum leisten können, auf ihre weiblichen<br />

Potentiale zu verzichten. Vereinbarkeit von Familie <strong>und</strong> Beruf ist auf Dauer<br />

nicht nur ein sozialpolitisches, son<strong>de</strong>rn auch ein ökonomisches Thema.<br />

Die Diversifizierung <strong>de</strong>r Lebensformen – neben die traditionelle „Normalfamilie“<br />

aus Vater, Mutter <strong>und</strong> zwei Kin<strong>de</strong>rn sind in <strong>de</strong>n letzten 20 Jahren<br />

Alleinleben<strong>de</strong> <strong>und</strong> kin<strong>de</strong>rlose Paare; gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften;<br />

Alleinerziehen<strong>de</strong> <strong>und</strong> Patchworkfamilien sowie die sog. livingapart-together<br />

(LAT) -Paare <strong>und</strong> -Familien mit mehreren Wohnsitzen <strong>und</strong><br />

pen<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Familienangehörigen, Wohngemeinschaften aller Art <strong>und</strong> je<strong>de</strong>n<br />

Alters getreten – führt auch zu einer Diversifizierung im Wohn-, Freizeit<strong>und</strong><br />

Konsumverhalten. Nachfrageorientierung ist heute – auch in <strong>de</strong>r<br />

Wohnungswirtschaft – zu einem zentralen Thema gewor<strong>de</strong>n. <strong>Frauen</strong> spielen<br />

traditionell eine starke Rolle bei <strong>de</strong>r Entwicklung neuer Wohnformen; es ist<br />

daher auf Dauer kaum vertretbar, auf dieses Knowhow zu verzichten.<br />

Die zunehmen<strong>de</strong>n Migrationsströme werfen Fragen <strong>de</strong>r Integration auf, die<br />

nicht nur am Arbeitsplatz, son<strong>de</strong>rn insbeson<strong>de</strong>re auch im Wohnquartier <strong>und</strong><br />

im Bildungswesen an Be<strong>de</strong>utung gewinnen, Bereiche, in <strong>de</strong>nen ein Großteil<br />

<strong>de</strong>r bezahlten wie unbezahlten Arbeit von <strong>Frauen</strong> geleistet wird. Gleichzeitig<br />

ist die Zuwan<strong>de</strong>rung eine Aufgabe, die nicht nur sozialpolitisch, son<strong>de</strong>rn<br />

auch baulich-räumlich zu begleiten ist.<br />

39


Die Flexibilisierung <strong>de</strong>r Arbeit, die durch <strong>de</strong>n ökonomischen<br />

Strukturwan<strong>de</strong>l hervorgerufen wird, führt zu einer immer ungleicheren<br />

Verteilung von Einkommen <strong>und</strong> Wohlstand. Folge ist zum einen eine sozialräumliche<br />

Polarisierung zwischen <strong>de</strong>nen, die dauerhaft arbeitslos sind<br />

o<strong>de</strong>r mit wechseln<strong>de</strong>n Jobs am Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Existenzminimums leben, <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>nen, die immer mehr Arbeit <strong>und</strong> immer mehr Geld haben. Dies hat auch<br />

Konsequenzen für die soziale Polarisierung zwischen Wohnstandorten<br />

<strong>und</strong> Konsumgewohnheiten. Gleichzeitig stellen die immer schnelleren<br />

Verän<strong>de</strong>rungen in <strong>de</strong>r Arbeitswelt Anfor<strong>de</strong>rungen an <strong>de</strong>n individuellen<br />

Umgang mit erwerbslosen Zeiten wie mit wechseln<strong>de</strong>n Arbeitsverhältnissen.<br />

Auf flexible Lösungen <strong>und</strong> Verän<strong>de</strong>rung sind <strong>Frauen</strong> traditionell<br />

besser vorbereitet als Männer: Sie haben in ihren Biographien schon immer<br />

wechseln müssen zwischen Zeiten mit <strong>und</strong> ohne Berufstätigkeit, mit <strong>und</strong><br />

ohne Familie o<strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r, so dass ihnen <strong>de</strong>r Wechsel von Konstellationen,<br />

auch zwischen mehreren Jobs <strong>und</strong> im Spagat zwischen Heim- <strong>und</strong><br />

Büroarbeit, leichter fallen dürfte.<br />

Die neuen Informations- <strong>und</strong> Kommunikationstechnologien bergen schließlich<br />

Chancen <strong>und</strong> Risiken zugleich: Sie bieten neue Optionen, auch ohne<br />

Ortsverän<strong>de</strong>rung mit <strong>de</strong>n Entwicklungen mithalten zu können, dies ist<br />

gera<strong>de</strong> für Mütter bzw. Eltern, Hochbetagte o<strong>de</strong>r Menschen mit<br />

Behin<strong>de</strong>rungen, relevant. Sie bieten also Chancen auf soziale Integration,<br />

bergen aber gleichzeitig das Risiko <strong>de</strong>r Vereinsamung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Ausgrenzung<br />

<strong>de</strong>rer, die sich <strong>de</strong>n Anschluss nicht leisten können bzw. wollen o<strong>de</strong>r die mit<br />

<strong>de</strong>m dynamischen technologischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> nicht mithalten können.<br />

3 Geschlechterverhältnisse im Raum<br />

Die Geschlechterverhältnisse (= soziale Strukturen) schlagen sich auch nie<strong>de</strong>r im<br />

gebauten Raum <strong>de</strong>r Siedlungslandschaften. Die seit <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Stadtentwicklung<br />

im Industriezeitalter entstan<strong>de</strong>nen monofunktionalen Strukturen aus<br />

Wohn- <strong>und</strong> Gewerbe- / Industriegebieten, Büro- <strong>und</strong> Einkaufsstandorten haben –<br />

zusammen mit <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>npreisgefälle von innen nach außen zu Verteilungen im<br />

Raum geführt, die <strong>Frauen</strong> eher an <strong>de</strong>n Rand verweisen (vgl. Dörhöfer 1990: 15;<br />

Zibell 1995; von Sal<strong>de</strong>rn/Zibell 2006). Aufgr<strong>und</strong> ihrer traditionellen Rolle in<br />

Haushalt <strong>und</strong> Familie sind sie die Bewohnerinnen <strong>de</strong>r Wohnsiedlungen gewor<strong>de</strong>n,<br />

die im androzentrischen Planungsjargon bald als „Schlafstädte“ bezeichnet wur<strong>de</strong>n,<br />

in Verkennung <strong>de</strong>r Tatsache, dass <strong>Frauen</strong> hier regelmäßig vielfältige Arbeiten<br />

in Wohnung <strong>und</strong> Wohnumfeld verrichten, dass Kin<strong>de</strong>r <strong>und</strong> Jugendliche hier zur<br />

Schule gehen <strong>und</strong> ihre Hausaufgaben machen etc..<br />

40


Erst seit <strong>de</strong>m <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> von <strong>de</strong>r Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft, mit <strong>de</strong>m<br />

insbeson<strong>de</strong>re seit <strong>de</strong>n 1990er Jahren eine Umstrukturierung ehemaliger<br />

Industriestandorte einherging <strong>und</strong> damit neue innerstädtische Nutzungsmischungen<br />

aus Wohnen <strong>und</strong> Büro, Freizeit <strong>und</strong> Kultur möglich gewor<strong>de</strong>n sind,<br />

wird die strikte Trennung <strong>de</strong>r städtischen Funktionen gr<strong>und</strong>sätzlich wie<strong>de</strong>r in<br />

Frage gestellt. Während jedoch attraktive innerstädtische Lagen, um die es sich<br />

bei <strong>de</strong>n neuen Umstrukturierungsgebieten meist han<strong>de</strong>lt, sich zu neuen<br />

Standorten entwickeln können, in <strong>de</strong>nen kurze Wege, eine zentrale Voraussetzung<br />

für die Vereinbarkeit von Familie <strong>und</strong> Beruf, realisiert wer<strong>de</strong>n können, bleibt die<br />

Frage bei weniger attraktiven Stadtrandsiedlungen, noch dazu, wenn diese, wie so<br />

häufig, im sozialen Wohnungsbau entstan<strong>de</strong>n sind, bestehen, ob hier nachträglich<br />

– insbeson<strong>de</strong>re qualitätsvolle – Arbeitsplätze integriert wer<strong>de</strong>n können. Der<br />

<strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> <strong>de</strong>r Versorgungsstrukturen seit <strong>de</strong>n 1980er Jahren mit seinen Konzentrationsprozessen<br />

auf wenige Großverteiler <strong>und</strong> häufig fern <strong>de</strong>r Siedlungsgebiete<br />

gelegene autoaffine Standorte trägt auf seine Weise zum Schwin<strong>de</strong>n von wohnungsnahen<br />

Arbeitsplätzen im Einzelhan<strong>de</strong>l bei, die gera<strong>de</strong> für Mütter von kleineren<br />

Kin<strong>de</strong>rn bzw. teilzeitarbeiten<strong>de</strong> <strong>Frauen</strong> von beson<strong>de</strong>rem Interesse sind.<br />

Gleichzeitig haben sie nachteilige Folgen für die Gr<strong>und</strong>versorgung von<br />

Quartieren.<br />

Die <strong>de</strong>mografische Entwicklung wird mit ihren Schrumpfungsprozessen nicht<br />

zu einer gleichmäßigen Ausdünnung <strong>und</strong> Verteilung im Raum führen (vgl.<br />

Walther 1998: 31), son<strong>de</strong>rn vorhan<strong>de</strong>ne Disparitäten eher noch verschärfen. So ist<br />

eine Perforation <strong>de</strong>r Siedlungsgebiete insbeson<strong>de</strong>re an Standorten zu erwarten,<br />

die als soziale Brennpunkte bekannt sind o<strong>de</strong>r sich in Lagen befin<strong>de</strong>n, die vom<br />

öffentlichen Verkehr unzureichend erschlossen sind. Szenarien, die im Rahmen<br />

von Forschungsarbeiten für die ausge<strong>de</strong>hnten Einfamilienhausgebiete im weiteren<br />

Umland größerer Städte für das Jahr 2030 beschrieben wur<strong>de</strong>n, gehen davon<br />

aus, dass sich hier mittel- <strong>und</strong> langfristig die alten verwitweten <strong>Frauen</strong> konzentrieren<br />

wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>ren Versorgung – aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r verän<strong>de</strong>rten Strukturen im<br />

Einzelhan<strong>de</strong>l, aufgr<strong>und</strong> abnehmen<strong>de</strong>r selbständiger Mobilität <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Verfall <strong>de</strong>r<br />

Immobilienwerte in diesen Lagen – kaum noch gesichert ist (Zibell / Jürjens u.a.<br />

2004). Neue Formen mobiler Dienste <strong>und</strong> an<strong>de</strong>re Versorgungssysteme müssen<br />

zum Teil erst noch erf<strong>und</strong>en bzw. in rentable Formen gegossen wer<strong>de</strong>n. Inwieweit<br />

an<strong>de</strong>rerseits diese Standorte attraktiv wer<strong>de</strong>n könnten für MigrantInnenfamilien,<br />

die <strong>de</strong>rzeit noch größere Kin<strong>de</strong>rzahlen aufweisen bzw. stärker in Familienverbün<strong>de</strong>n<br />

leben <strong>und</strong> erschwingliche Wohnstandorte suchen, ist allenfalls Vision.<br />

Zumin<strong>de</strong>st wären gesellschaftliche Akzeptanz <strong>und</strong> soziale Integration die<br />

Voraussetzung dafür, dass sich hieraus neue Synergien entwickeln könnten, die<br />

bei<strong>de</strong>n Seiten Vorteile bringen.<br />

41


Eine an<strong>de</strong>re Seite <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>s zeigt sich mit <strong>de</strong>r Abwan<strong>de</strong>rung<br />

aus ökonomisch rückständigen <strong>und</strong> schrumpfen<strong>de</strong>n Regionen, insbeson<strong>de</strong>re in<br />

Ost- <strong>und</strong> Mitteleuropa, aber auch in peripher gelegenen ländlichen Räumen o<strong>de</strong>r<br />

alten Industrieregionen: Die gut Ausgebil<strong>de</strong>ten wan<strong>de</strong>rn ab, die mit <strong>de</strong>n schlechten<br />

Schulabschlüssen, die Arbeitslosen, die Alten bleiben da. In <strong>de</strong>n Neuen<br />

B<strong>und</strong>eslän<strong>de</strong>rn sind es heute überwiegend (junge) <strong>Frauen</strong>, die abwan<strong>de</strong>rn;<br />

<strong>Frauen</strong>mangel ist bereits ein Problem in einigen Regionen Bran<strong>de</strong>nburgs <strong>und</strong><br />

Mecklenburg-Vorpommerns. Eine geschlechtsdifferenzieren<strong>de</strong> För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r<br />

jungen <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong> Männer bzw. eine verän<strong>de</strong>rte Bildungspolitik wird zum Gebot<br />

<strong>de</strong>r St<strong>und</strong>e. Ob dies Chancen auf einen Bewusstseinswan<strong>de</strong>l auslöst o<strong>de</strong>r Gleichstellungsprozesse<br />

zu beschleunigen vermag, bleibt vorerst dahin gestellt.<br />

Zumin<strong>de</strong>st liegen hier Ansatzpunkte für eine nachhaltige <strong>und</strong> sozial orientierte<br />

Regionalpolitik, die das Arbeitskräftepotential für ländliche Räume in <strong>de</strong>r künftigen<br />

Wissensgesellschaft zu generieren vermag.<br />

4 Geschlechterverhältnisse <strong>und</strong> Soziale Integration<br />

Das Postulat <strong>de</strong>r sozialen Integration ist eng mit <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r Europäischen Stadt<br />

verknüpft, die in <strong>de</strong>r Realität jedoch immer von Segregationsprozessen geprägt<br />

war. Diese bezogen sich nicht nur auf die Ausgrenzung von Menschen an<strong>de</strong>rer<br />

Herkunft o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rer Religionen in beson<strong>de</strong>ren Stadtquartieren, son<strong>de</strong>rn auch<br />

auf die Ausgrenzung von <strong>Frauen</strong> aus <strong>de</strong>n <strong>de</strong>mokratischen Strukturen <strong>und</strong> <strong>de</strong>n<br />

Möglichkeiten zur Mitgestaltung <strong>und</strong> Mitbestimmung.<br />

Mangel an sozialer Integration zeigt sich jeweils da, wo Konflikte auftreten.<br />

Konflikte sind zwar Ausdruck sozialer Desintegration, gleichzeitig aber immer<br />

auch Quelle sozialen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>s <strong>und</strong> sozialen Lernens. Voraussetzung für einen –<br />

wie auch immer gearteten – Umgang mit Konflikten ist <strong>de</strong>ren Wahrnehmung<br />

durch Betroffene <strong>und</strong> (potentielle) AkteurInnen; eine wesentliche Rolle spielen<br />

hier sowohl eigene Erfahrungen als auch die (selektive) Berichterstattung in <strong>de</strong>n<br />

Medien. Nach <strong>de</strong>n Wohlfahrtssurveys 12 1993, 1998 wer<strong>de</strong>n die in <strong>de</strong>n Medien<br />

präsenten Konflikte zwischen Asylbewerbern <strong>und</strong> Deutschen (insgesamt 81%)<br />

z.B. als „sehr starke“ bzw. „starke“ Konflikte empf<strong>und</strong>en; die Wahrnehmung von<br />

Gegensätzen zwischen <strong>de</strong>n Geschlechtern rangiert dagegen mit 17% in West-,<br />

14% in Ost<strong>de</strong>utschland an letzter Stelle. Geschlechterverhältnisse wer<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>mnach kaum als Konflikt wahrgenommen, jedoch nehmen <strong>Frauen</strong> Benachteiligungen,<br />

auch zwischen <strong>de</strong>n Geschlechtern, ganz offensichtlich mehr wahr als<br />

Männer. Dies trifft jedoch nicht für alle <strong>Frauen</strong> per se zu, son<strong>de</strong>rn unterschei<strong>de</strong>t<br />

12 Eine speziell für die Wohlfahrtsmessung <strong>und</strong> Analyse <strong>de</strong>r Lebensqualität konzipierte Repräsentativbefragung;<br />

gehört zu <strong>de</strong>n wichtigsten Instrumenten <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Dauerbeobachtung in Deutschland<br />

42


sich nach sozialer Schicht / intellektuellem Milieu, Einkommen <strong>und</strong> Lebensform<br />

<strong>de</strong>r einzelnen Frau.<br />

4.1 Themen- <strong>und</strong> Handlungsfel<strong>de</strong>r sozialer Integration<br />

Im Zusammenhang mit Geschlechterverhältnissen wird von sozialer Integration<br />

auch in <strong>de</strong>r politischen Öffentlichkeit eigentlich nicht gesprochen. Gibt man im<br />

Internet das Stichwort „soziale Integration“ ein, so stößt man auf Hinweise zu<br />

benachteiligten Jugendlichen, wohnungsberechtigten Zuwan<strong>de</strong>rInnen, älteren<br />

MigrantInnen o<strong>de</strong>r auch auf Probleme sozialer Integration an Schulen. Alter <strong>und</strong><br />

Ethnie kommen vor, nicht hingegen die Integration o<strong>de</strong>r Desintegration <strong>de</strong>r<br />

Geschlechter. Das allgemeine Verständnis <strong>de</strong>r sozialen Integration umreißt ein<br />

Themenfeld zwischen Armut <strong>und</strong> Erwerbslosigkeit, Ungleichheit <strong>und</strong> Diskriminierung,<br />

Einwan<strong>de</strong>rungsproblematik <strong>und</strong> politischer Partizipation; dabei ist<br />

die Geschlechterfrage in einzelnen Themenfel<strong>de</strong>rn durchaus präsent – wie z.B. im<br />

Bereich <strong>de</strong>r Armut („Armut ist weiblich“) o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Partizipation, hier jedoch in<br />

aller Regel aus <strong>de</strong>r Perspektive <strong>de</strong>r Betroffenen, <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong>, selbst. Für die<br />

Notwendigkeit einer Integration <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> per se – in politische Strukturen, in<br />

Meinungsbildungs- <strong>und</strong> Entscheidungsprozesse etc. – existiert kaum ein öffentliches<br />

Bewusstsein.<br />

Die Integration <strong>de</strong>r Geschlechter bzw. <strong>de</strong>r unterschiedlichen Lebens- <strong>und</strong><br />

Arbeitswelten wird – zumin<strong>de</strong>st im politischen Raum – ganz offensichtlich auf<br />

<strong>de</strong>n privaten Bereich, die kleinste gesellschaftliche Einheit von Ehe bzw.<br />

Partnerschaft <strong>und</strong> Familie, verwiesen. Hier besteht jedoch das Problem, dass die<br />

Familie, zumin<strong>de</strong>st als soziale Einheit mit ihren verwandtschaftlichen Beziehungssystemen,<br />

in Zukunft – nicht nur angesichts <strong>de</strong>r fortgesetzten Emanzipationsbestrebungen<br />

<strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong>, son<strong>de</strong>rn auch vor <strong>de</strong>m Hintergr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mografischen<br />

<strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>s – als „Integrationsmaschine“ immer weniger funktionieren<br />

wird. Das heißt: Wahlfamilien <strong>und</strong> funktionieren<strong>de</strong> Nachbarschaften wer<strong>de</strong>n<br />

wichtiger; nicht umsonst ist das Mehrgenerationenwohnen als politisches Thema<br />

inzwischen erkannt.<br />

Die klassischen Handlungsfel<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r sozialen Integration entpuppen sich bei<br />

genauerem Hinsehen fast ausnahmslos als Bereiche, in <strong>de</strong>nen <strong>Frauen</strong> traditionell<br />

stark vertreten sind: Familie <strong>und</strong> Wohnbereich, Schule <strong>und</strong> Erziehung, Bildung<br />

<strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit bzw. Altenpflege sind klassische Domänen <strong>de</strong>r Frau. Integrationsarbeit<br />

wird heute zu großen Teilen von <strong>Frauen</strong> geleistet, dies jedoch mehr<br />

in lokalen Sozialräumen <strong>und</strong> Netzwerken als auf <strong>de</strong>r gesellschaftlichen<br />

Makroebene. Damit <strong>Frauen</strong> diese Fähigkeiten in die politische <strong>und</strong> wirtschaftliche<br />

Führungsverantwortung einbringen können, müsste Integrationsarbeit hier<br />

43


von <strong>de</strong>n Führungskräften, d.h. insbeson<strong>de</strong>re auch von Männern, geleistet wer<strong>de</strong>n<br />

– das setzt jedoch eine entsprechen<strong>de</strong> Bereitschaft bzw. Problemwahrnehmung<br />

voraus.<br />

4.2 Mögliche Strategien sozialer Integration: Sozialräume <strong>und</strong> Netzwerke<br />

Eine Strategie <strong>de</strong>r Integration, auch <strong>de</strong>r Geschlechter, kann kaum Erfolg versprechend<br />

sein, wenn sie (nur) an einer Seite <strong>de</strong>r Medaille ansetzt, <strong>de</strong>nn: Wie viel<br />

Integration im Erwerbsprozess ist durch die zunehmen<strong>de</strong> Qualifikation <strong>de</strong>r<br />

<strong>Frauen</strong> tatsächlich erreicht wor<strong>de</strong>n? Und wie viel durch Partizipation in<br />

Planungsprozessen? Voraussetzung für eine weiter gehen<strong>de</strong> Integration <strong>de</strong>r<br />

Geschlechter – <strong>Frauen</strong> in Wirtschaft <strong>und</strong> Politik, Männer in Familie <strong>und</strong><br />

Wohnumfeld bzw. im Sozial- <strong>und</strong> Versorgungsbereich – wäre eine Überwindung<br />

<strong>de</strong>r traditionellen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung.<br />

Im Rahmen <strong>de</strong>s Forschungsprojektes Stadt+Um+Land Region Braunschweig<br />

2030, das sich vor <strong>de</strong>m Hintergr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>s u.a. mit <strong>de</strong>r<br />

Zukunft von Wohnen <strong>und</strong> Versorgung beschäftigte, wur<strong>de</strong> die I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r sog.<br />

„Schule im Stadtteil“ verfolgt. Diese könnte über die primäre Bildung von<br />

SchülerInnen hinaus – insbeson<strong>de</strong>re wenn sie als solche nicht mehr gebraucht<br />

wird, weil <strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong> Nachwuchs fehlt – eine offene Institution sein mit<br />

kulturellen Angeboten aller Art, sozialen Servicefunktionen, öffentlich zugänglichen<br />

Internet-Terminals usw. (vgl. Zibell/ Jürjens/ Krüger 2004; vgl. auch: May<br />

2006). Eine so verstan<strong>de</strong>ne Schule für alle könnte <strong>de</strong>n vielfältigen Bedürfnissen<br />

im Stadtteil 13 <strong>und</strong> gleichzeitig <strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen an lebenslanges Lernen auf<br />

intergenerative Weise gerecht wer<strong>de</strong>n <strong>und</strong> die erfor<strong>de</strong>rliche Integration von zwei<br />

Seiten aus vollziehen: von <strong>de</strong>r lokalen Ebene, aber auch von Seiten <strong>de</strong>r Gesellschaft,<br />

<strong>de</strong>r Politik sowie <strong>de</strong>r Unternehmen, die ein Interesse an qualifizierten<br />

Arbeitskräften haben dürften <strong>und</strong> mit <strong>de</strong>r Unterstützung entsprechen<strong>de</strong>r Angebote<br />

in die gesellschaftliche Verantwortung eingeb<strong>und</strong>en wer<strong>de</strong>n könnten.<br />

Es kann beim Thema <strong>de</strong>r sozialen Integration nicht nur um die Fokussierung <strong>de</strong>r<br />

Sozialräume gehen, die in <strong>de</strong>r Tradition <strong>de</strong>s Sozialraumkonzeptes an <strong>de</strong>r lokalen<br />

Basis <strong>und</strong> insbeson<strong>de</strong>re in unterprivilegierten Milieus angesie<strong>de</strong>lt sind (vgl. z.B.<br />

Riege / Schubert 2002), son<strong>de</strong>rn auch um die Netzwerke, welche bisher in <strong>de</strong>r<br />

theoretischen Reflexion vor allem als abgehobene Akteursnetzwerke gedacht <strong>und</strong><br />

strukturiert sind (vgl. z.B. Fürst / Schubert 1998), zu <strong>de</strong>nen <strong>Frauen</strong> nicht dieselben<br />

Zugangsmöglichkeiten haben. Dies lässt sich am Beispiel <strong>de</strong>r neuen<br />

13 Der Begriff „Stadtteil“ wird hier gr<strong>und</strong>sätzlich auf jegliche Raumeinheiten in einer urban überformten<br />

Siedlungslandschaft angewen<strong>de</strong>t, umfasst also auch einzelne Dörfer o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Siedlungsteile im ländlichen<br />

Raum.<br />

44


Metropolregionen anschaulich verfolgen: Bei dieser aktuellen Neukonstruktion<br />

von Räumen, die sich im globalen Wettbewerb <strong>de</strong>r Städte <strong>und</strong> Regionen aufstellen,<br />

um international wahrgenommen zu wer<strong>de</strong>n <strong>und</strong> mithalten zu können,<br />

stehen persönliche Netzwerke <strong>und</strong> Wissensaustausch bzw. Kooperationen von<br />

Wirtschaft, Wissenschaft <strong>und</strong> Forschung im Mittelpunkt regionaler Standortpolitik.<br />

Statt eine neue administrative <strong>und</strong> politische interkommunale bzw.<br />

-regionale Ebene einzuführen, wer<strong>de</strong>n hier neue Raumgebil<strong>de</strong> erzeugt, die zum<br />

einen eine Herausfor<strong>de</strong>rung an die politischen Akteure darstellen <strong>und</strong> diesen eine<br />

Chance bieten, wirtschaftliche <strong>und</strong> wissenschaftliche Potenziale im Raum effektiver<br />

zu vernetzen. Zum an<strong>de</strong>ren setzt diese neue Raumkonstruktion alle bisherigen<br />

<strong>de</strong>mokratischen Regeln außer Kraft: Mitwirkung geschieht nicht mehr aufgr<strong>und</strong><br />

rechtlich fixierter Gr<strong>und</strong>lagen, son<strong>de</strong>rn aufgr<strong>und</strong> von Beziehungen bzw.<br />

sozialer <strong>und</strong> kultureller Kompetenz. Zum Eintritt in diese neuen informellen<br />

Strukturen bedarf es <strong>de</strong>r Bekanntheit bzw. <strong>de</strong>r Mitgliedschaft in traditionellen<br />

politischen, wirtschaftlichen o<strong>de</strong>r wissenschaftlichen Netzwerken, in <strong>de</strong>nen die<br />

Mehrheit <strong>de</strong>r BürgerInnen, aber zum Beispiel auch <strong>Frauen</strong> generell weniger vertreten<br />

sind. (vgl. Zibell i.E.)<br />

Es geht im Hinblick auf die Integration <strong>de</strong>r Geschlechter eben nicht nur um das<br />

Bemühen, Integration von einer Seite aus zu forcieren, es braucht genauso die<br />

Unterstützung durch die an<strong>de</strong>re Seite, in die hinein integriert wer<strong>de</strong>n soll.<br />

Sozialräume an <strong>de</strong>r lokalen Basis <strong>und</strong> alle Arten von Akteursnetzwerken müssten<br />

sich dabei aufeinan<strong>de</strong>r zu bewegen.<br />

5 Chancen <strong>und</strong> Risiken für die soziale Integration von<br />

<strong>Frauen</strong> <strong>und</strong> Männern in Stadt <strong>und</strong> Region<br />

Die real existieren<strong>de</strong> europäische Stadt ist – nach ihren baulich-räumlichen wie<br />

nach ihren sozialen <strong>und</strong> politischen Strukturen – immer noch eine Stadt <strong>de</strong>r<br />

Männer, <strong>und</strong> so ist auch je<strong>de</strong>r Diskurs über die europäische Stadt immer noch<br />

patriarchalisch geprägt.<br />

Gleichzeitig ist die real existieren<strong>de</strong> Stadt als Lebensraum für ihre<br />

BewohnerInnen regional gewor<strong>de</strong>n; Mobilitätsmuster <strong>und</strong> Aktionsräume überschreiten<br />

heute regelmäßig die Grenzen <strong>de</strong>r eigenen Wohngemein<strong>de</strong>; neue politische<br />

Strukturen <strong>und</strong> Entscheidungsprozesse erfor<strong>de</strong>rn zunehmend die interkommunale<br />

Kooperation in Stadt-Umland-Räumen.<br />

Strategien sozialer Integration müssten auf bei<strong>de</strong>n Ebenen ansetzen: auf <strong>de</strong>r<br />

Ebene <strong>de</strong>r Mitbestimmung am kommunalen Gemeinwesen wie am regionalen<br />

45


Lebensraum. Dabei können Stadt <strong>und</strong> Region diesen Auftrag nur bewältigen,<br />

wenn sie sich als Vermittlungsagenturen zwischen Sozialräumen <strong>und</strong> Netzwerken<br />

verstehen <strong>und</strong> in alle Planungs- <strong>und</strong> Entscheidungsprozesse <strong>Frauen</strong> auch als<br />

Akteurinnen einbeziehen, nicht nur als Betroffene. Die neue europäische<br />

Strategie <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>r Mainstreaming könnte diesem Anliegen entgegen kommen.<br />

Die Entstehung neuer informeller Strukturen wie die <strong>de</strong>r Metropolregionen<br />

produziert dagegen neue Ausgrenzungsmechanismen, wenn <strong>de</strong>mokratische<br />

Verfahren umgangen wer<strong>de</strong>n.<br />

Der <strong>de</strong>mografische <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> ist in je<strong>de</strong>m Fall zu bewältigen, welche Werthaltungen<br />

sich auch immer auf Dauer durchsetzen wer<strong>de</strong>n. Anhand von drei aktuellen<br />

Ten<strong>de</strong>nzen sollen abschließend einige Überlegungen angestellt wer<strong>de</strong>n, inwiefern<br />

die Integration <strong>de</strong>r Lebenswelten dazu beitragen kann, die Herausfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s<br />

<strong>de</strong>mographischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>s zu bewältigen.<br />

Ten<strong>de</strong>nz 1: weniger Erwerbspersonen – mehr erwerbstätige <strong>Frauen</strong>?<br />

Einer schwin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Zahl von Kin<strong>de</strong>rn <strong>und</strong> Jugendlichen wird nicht nur ein wachsen<strong>de</strong>s<br />

Heer an Alten <strong>und</strong> Hochbetagten gegenüberstehen; auch die Menschen im<br />

erwerbsfähigen Alter wer<strong>de</strong>n weniger. Dies scheint eine Chance für <strong>Frauen</strong>;<br />

zumin<strong>de</strong>st nimmt die Anfor<strong>de</strong>rung an <strong>Frauen</strong>, sich am Erwerbsleben stärker zu<br />

beteiligen, insgesamt zu. Inwieweit sie dadurch auch einen stärkeren Anteil an<br />

Führungsverantwortung übernehmen wer<strong>de</strong>n, ist offen.<br />

Weitere offene Fragen stellen sich im Bezug auf an<strong>de</strong>re Folgen, z.B. die<br />

Entwicklung <strong>de</strong>r Geburtenrate - wer<strong>de</strong>n wir eine weitere Reduktion zu verzeichnen<br />

haben, vor allem bei <strong>de</strong>n gut ausgebil<strong>de</strong>ten <strong>Frauen</strong>? Und wer<strong>de</strong>n die, die noch<br />

Kin<strong>de</strong>r in die Welt setzen, gr<strong>und</strong>sätzlich von Armut bedroht sein? Wer<strong>de</strong>n wir<br />

eine verstärkte Beteiligung <strong>de</strong>r Männer an <strong>de</strong>r Haus- <strong>und</strong> Sozialarbeit erleben?<br />

Fragen, die allein durch ein quantitativ verän<strong>de</strong>rtes Geschlechterverhältnis nicht<br />

beantwortet wer<strong>de</strong>n können, son<strong>de</strong>rn ein Um<strong>de</strong>nken in <strong>de</strong>n Köpfen <strong>und</strong> verän<strong>de</strong>rte<br />

Werthaltungen erfor<strong>de</strong>rn, die jedoch politisch induziert wer<strong>de</strong>n müssten.<br />

Ten<strong>de</strong>nz 2: schrumpfen<strong>de</strong> Regionen – gut <strong>und</strong> besser ausgebil<strong>de</strong>te <strong>Frauen</strong><br />

Eine verstärkte Abwan<strong>de</strong>rung aus ökonomisch rückständigen Regionen, insbeson<strong>de</strong>re<br />

in Ost- <strong>und</strong> Mitteleuropa, aber auch aus an<strong>de</strong>ren peripher gelegenen o<strong>de</strong>r<br />

altindustrialisierten Gebieten ist heute bereits Realität. Konsequenz ist <strong>de</strong>r sog.<br />

„brain drain“, <strong>de</strong>r nicht nur einen Abfluss von Humankapital <strong>und</strong> Wissen be<strong>de</strong>utet,<br />

son<strong>de</strong>rn auch Arbeitslose <strong>und</strong> damit Hoffnungslosigkeit in <strong>de</strong>n betroffenen<br />

Regionen hinterlässt. Gleichzeitig vollzieht sich eine <strong>de</strong>utliche Verän<strong>de</strong>rung im<br />

46


Bildungsstand <strong>de</strong>r Geschlechter: Mädchen machen die besseren Abschlüsse,<br />

Ten<strong>de</strong>nz steigend, die Jungen bleiben dahinter zurück. Es sind daher überwiegend<br />

junge <strong>Frauen</strong>, die vermehrt abwan<strong>de</strong>rn; entsprechend ist das Bild in vielen ost<strong>de</strong>utschen<br />

Regionen schon heute geprägt von „Männern ohne <strong>Frauen</strong>“ (Zürcher<br />

2003: 89 ff.).<br />

Es zeichnen sich neue Formen <strong>de</strong>s Geschlechterverhältnisses ab, die sowohl<br />

Risiken in sich bergen, möglicherweise aber auch Chancen, sofern es gelingt, die<br />

jungen <strong>Frauen</strong> mit entsprechen<strong>de</strong>n Arbeitsmöglichkeiten in <strong>de</strong>n betroffenen<br />

Regionen zu halten <strong>und</strong> <strong>de</strong>n jungen Männern einen vergleichbaren Bildungsstand<br />

zu vermitteln. Gleichzeitig wären Männer für die traditionellen <strong>Frauen</strong>arbeiten zu<br />

qualifizieren, um ihnen – auch in Zeiten <strong>de</strong>r Erwerbslosigkeit – sinnstiften<strong>de</strong><br />

Tätigkeiten bieten zu können. Voraussetzung sind auch hier jedoch Än<strong>de</strong>rungen<br />

im Geschlechterverhältnis bzw. ein Wertewan<strong>de</strong>l zwischen <strong>de</strong>n Tätigkeitsfel<strong>de</strong>rn<br />

in Familie <strong>und</strong> Beruf.<br />

Ten<strong>de</strong>nz 3: sozialräumliche Polarisierung – Zentren <strong>und</strong> Peripherien<br />

Schrumpfung <strong>und</strong> Abwan<strong>de</strong>rung sind nur die eine Seite <strong>de</strong>r Medaille, auf <strong>de</strong>r<br />

an<strong>de</strong>ren Seite entwickeln sich prosperieren<strong>de</strong> Städte zu Global Cities <strong>und</strong> zusammen<br />

mit ihren Umlän<strong>de</strong>rn zu Metropolregionen, in <strong>de</strong>nen weltweit agieren<strong>de</strong><br />

Unternehmen als Motoren <strong>de</strong>s regionalen Wohlstands mit <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n<br />

Geschäftswelten als Gewinner hervorgehen. Hier entstehen neue Akteursnetzwerke,<br />

in aller Regel Männerwelten mit <strong>de</strong>n für <strong>Frauen</strong> beschriebenen<br />

Integrationsschwierigkeiten.<br />

<strong>Frauen</strong> mit ihren spezifischen Kompetenzen könnten hier eine – auch wirtschaftlich<br />

interessante – Rolle für die Unternehmen einnehmen; begleitend<br />

müsste jedoch ein Wertewan<strong>de</strong>l einsetzen, <strong>de</strong>r Chancengleichheit <strong>und</strong> Work-Life-<br />

Balance für ein zentrales Qualitätskriterium einer nachhaltig ausgerichteten<br />

Wissensgesellschaft hält.<br />

Um ein weiteres Auseinan<strong>de</strong>rdriften von prosperieren<strong>de</strong>n <strong>und</strong> sich entleeren<strong>de</strong>n<br />

Räumen zu verhin<strong>de</strong>rn, scheint vor <strong>de</strong>m Hintergr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Ausführungen in diesem<br />

Beitrag eine Integration <strong>de</strong>r Geschlechter unerlässlich. Dabei wären vor allem<br />

zwei sich ergänzen<strong>de</strong> Strategien einzusetzen:<br />

Sozialräume pflegen – d.h. vor allem in <strong>de</strong>n wirtschaftsschwachen<br />

Regionen unter Einbeziehung <strong>de</strong>r traditionellen Stärken <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> die<br />

Qualifikation <strong>de</strong>s (männlichen) Nachwuchses in <strong>de</strong>n Mittelpunkt stellen,<br />

eine Aufgabe von Regionalpolitik <strong>und</strong> Wirtschaftsför<strong>de</strong>rung;<br />

47


Netzwerke bil<strong>de</strong>n – d.h. vor allem in prosperieren<strong>de</strong>n Städten <strong>und</strong> Regionen<br />

– durch Mentoringprogramme, Gleichstellungsför<strong>de</strong>rung, aber auch flankieren<strong>de</strong><br />

Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie <strong>und</strong> Beruf – <strong>Frauen</strong><br />

aktiv darin unterstützen, die gläserne Decke zu durchbrechen.<br />

Der <strong>de</strong>mografische <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> birgt Risiken, aber auch Chancen – sofern die Frage<br />

<strong>de</strong>r Integration ernsthaft in Angriff genommen wird, <strong>und</strong> zwar auf bei<strong>de</strong>n Seiten:<br />

in Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft. Das Geschlechterverhältnis ist <strong>de</strong>r Dreh- <strong>und</strong><br />

Angelpunkt <strong>de</strong>r künftigen Entwicklung, weil das <strong>de</strong>mografische Desaster ohne<br />

Verän<strong>de</strong>rungen in <strong>de</strong>r geschlechtsspezifischen Arbeits- <strong>und</strong> Rollenteilung kaum<br />

zu bewältigen ist.<br />

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Zürcher, Christoph (2003): Männer ohne <strong>Frauen</strong>. In: NZZ vom Sonntag, 19. Oktober 2003: 89ff.<br />

49


Juliane Roloff<br />

Das Alter ist weiblich –<br />

Geschlechteraspekte <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mografischen<br />

<strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>s in Deutschland<br />

„<strong>Demografischer</strong> <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>“ – dieser Begriff ist <strong>de</strong>rzeit ein Mo<strong>de</strong>wort, <strong>de</strong>m man in<br />

fast allen Bereichen unseres gesellschaftlichen Lebens begegnet. Was heißt<br />

<strong>de</strong>mografischer <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>? Als erstes sei festgehalten, dass <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mografische<br />

<strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> kein neues Phänomen ist. Er vollzieht sich bereits seit langem in<br />

Deutschland. Sprechen wir heute vom <strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>, meinen wir vor<br />

allem die <strong>de</strong>mografische Alterung. Diese ist gekennzeichnet durch eine stetig<br />

wachsen<strong>de</strong> Zahl <strong>de</strong>r alten <strong>und</strong> insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r sehr alten Menschen <strong>und</strong> zugleich<br />

durch ein stetes Sinken <strong>de</strong>r Zahl <strong>de</strong>r jüngeren Menschen.<br />

Die <strong>de</strong>mografische Alterung weist ein<strong>de</strong>utig Unterschie<strong>de</strong> zwischen Frau <strong>und</strong><br />

Mann auf – kurz:<br />

Das <strong>de</strong>mografische Altern <strong>de</strong>r Bevölkerung ist vorwiegend weiblich geprägt<br />

Am Jahresen<strong>de</strong> 2004 waren von <strong>de</strong>n in Deutschland leben<strong>de</strong>n 82,5 Millionen<br />

Menschen 51 % <strong>Frauen</strong>. O<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rs ausgedrückt: auf 100 Männer in<br />

Deutschland entfallen 104 <strong>Frauen</strong>. Dieser <strong>Frauen</strong>überschuss ist jedoch nicht für<br />

je<strong>de</strong>s Alter relevant, wie <strong>de</strong>r Altersaufbau <strong>de</strong>r Be-völkerung <strong>de</strong>s Jahres 2004 in<br />

Deutschland zeigt (Abbildung 1).<br />

51


Abb. 1: Alteraufbau 1) <strong>de</strong>r Bevölkerung in Deutschland 2004 <strong>und</strong> 2050<br />

Bis zur Altersgruppe 50 herrscht ein leichter Männerüberschuss vor. Dieser ist<br />

dadurch begrün<strong>de</strong>t, dass mehr Jungen als Mädchen zur Welt kommen <strong>und</strong><br />

infolge <strong>de</strong>r stark gesunkenen Säuglings- <strong>und</strong> Kin<strong>de</strong>rsterblichkeit überleben:<br />

Derzeit entfallen auf 1000 neugeborene Mädchen 1056 neugeborene Jungen.<br />

Bei <strong>de</strong>n ab 51-Jährigen überwiegt dann <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong>- <strong>de</strong>n Männeranteil. Dieser<br />

<strong>Frauen</strong>überschuss kommt aber erst bei <strong>de</strong>n 60-Jährigen <strong>und</strong> Älteren richtig zum<br />

Tragen: Kommen auf 100 <strong>de</strong>r zwischen 51 <strong>und</strong> 59 Jahre alten Männer 101<br />

<strong>Frauen</strong>, sind es bei <strong>de</strong>n ab 60-Jährigen 133 <strong>Frauen</strong> je 100 Männer. Die Brisanz<br />

unserer Thematik wird noch <strong>de</strong>utlicher, unterteilt man die 60-Jährigen <strong>und</strong><br />

Älteren zum einen in die Gruppe <strong>de</strong>r Jungen Alten (60- bis 79-Jährige) <strong>und</strong><br />

zum an<strong>de</strong>ren in die Gruppe <strong>de</strong>r Hochbetagten (80 Jahre <strong>und</strong> älter). Von <strong>de</strong>n heute<br />

17 Millionen Jungen Alten sind 54 % weiblich, ihr <strong>Frauen</strong>überschuss macht<br />

117 aus. Demgegenüber sind von <strong>de</strong>n 3 Millionen Hochbetagten allein 72 %<br />

<strong>Frauen</strong>, kommen also auf 100 über 80-jährige Männer 261 <strong>Frauen</strong> dieses Alters.<br />

Bei <strong>de</strong>n Hochbetagten schlägt <strong>de</strong>rzeit noch die Dezimierung <strong>de</strong>r Männerjahrgänge<br />

während <strong>de</strong>s Zweiten Weltkrieges zu Buche. Doch blickt man in die<br />

Zukunft, wird sich am Sachverhalt „hoher <strong>Frauen</strong>überschuss im Alter“ wenig<br />

än<strong>de</strong>rn, betrachtet man <strong>de</strong>n zu erwarten<strong>de</strong>n Altersaufbau <strong>de</strong>r Bevölkerung im<br />

Prognosejahr 2050 (vgl. Abbildung 1).<br />

52<br />

2004<br />

2050<br />

1) in Prozent <strong>de</strong>r Gesamtbevölkerung Datenquelle: Statistisches B<strong>und</strong>esamt


Viele Hochrechnungen <strong>de</strong>uten darauf hin, dass sich <strong>de</strong>r bereits seit langem in<br />

Deutschland angelegte <strong>de</strong>mografische Alterungsprozess in <strong>de</strong>n nächsten Jahrzehnten<br />

verstärken wird. So z.B. die „10. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung<br />

<strong>de</strong>s Statistischen B<strong>und</strong>esamtes zur Bevölkerungsentwicklung bis<br />

2050 (Variante 5)“: Bei weiter anhalten<strong>de</strong>n niedrigem Geburtenniveau von<br />

1,4 Kin<strong>de</strong>rn je Frau, einem jährlichen Zuwan<strong>de</strong>rungsplus von 200 Tausend<br />

Personen <strong>und</strong> einer steigen<strong>de</strong>n Lebenserwartung auf 86,6 Jahre (<strong>Frauen</strong>) bzw.<br />

81,1 Jahre (Männer) wird bis zum Jahr 2050 die Bevölkerung in Deutschland auf<br />

75 Millionen geschrumpft sein 1 . Aber auch dann wer<strong>de</strong>n 51 % <strong>de</strong>r Bevölkerung<br />

weiblich sein, <strong>und</strong> <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong>überschuss wird sich gleichfalls auf die älteren<br />

Jahrgänge konzentrieren, die im Gegensatz zu <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn <strong>und</strong> Jugendlichen <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>r Bevölkerung im mittleren Alter zahlenmäßig anwachsen wer<strong>de</strong>n. 2 Von <strong>de</strong>n<br />

dann voraussichtlich in Deutschland leben<strong>de</strong>n knapp 19 Millionen Menschen im<br />

Alter zwischen 60 <strong>und</strong> 80 Jahren wer<strong>de</strong>n 54 % <strong>Frauen</strong> sein bzw. wird <strong>de</strong>ren<br />

<strong>Frauen</strong>überschuss 115 ausmachen. Die über 80-Jährigen, <strong>de</strong>ren Zahl sich auf<br />

9 Millionen verdreifachen wird, wer<strong>de</strong>n einen <strong>Frauen</strong>anteil von 60 % aufweisen,<br />

bzw. es wer<strong>de</strong>n dann auf 100 hochbetagte Männer 154 hochbetagte <strong>Frauen</strong> entfallen.<br />

Die Geschlechterrelation <strong>de</strong>r Älteren wird somit künftig im Vergleich zu<br />

heute ausgeglichener sein, doch wird das <strong>de</strong>mografische Altern in Deutschland<br />

weiterhin eher <strong>de</strong>n weiblichen Bevölkerungsteil betreffen. Hauptursache hierfür<br />

wird die auch in <strong>de</strong>n nächsten Jahrzehnten gegenüber <strong>de</strong>n Männern höhere Überlebenschance<br />

<strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> sein. Zwar wird die Lebenserwartung von Frau <strong>und</strong><br />

Mann weiterhin ansteigen, doch wird die Geschlechterdifferenz bleiben. Heute<br />

kann ein 60-jähriger Mann mit im Schnitt 20 weiteren Lebensjahren rechnen,<br />

<strong>de</strong>mgegenüber macht bei <strong>de</strong>r gleichaltrigen Frau diese fernere Lebenserwartung<br />

24 Jahre aus. Folgt man <strong>de</strong>r o.a. Bevölkerungsvorausberechnung <strong>de</strong>s Statistischen<br />

B<strong>und</strong>esamtes, wer<strong>de</strong>n in ca. einem halben Jahrh<strong>und</strong>ert die dann 60 Jahre alten<br />

Männer noch eine Lebenszeit von fast 24 Jahren <strong>und</strong> die 60-jährigen <strong>Frauen</strong> von<br />

28 Jahren erwarten können. Diese weiter steigen<strong>de</strong> Lebenserwartung <strong>de</strong>r älteren<br />

Menschen wird die Rentenbezugsdauer verlängern – <strong>und</strong> dies mehr bei <strong>de</strong>n<br />

<strong>Frauen</strong>. Ein Beispiel: 2004 betrug die durchschnittliche Rentenbezugsdauer bei<br />

<strong>de</strong>n Männern 14 Jahre <strong>und</strong> bei <strong>de</strong>n <strong>Frauen</strong> knapp 20 Jahre 3 .<br />

Aber nicht nur hier bestehen zwischen Frau <strong>und</strong> Mann Unterschie<strong>de</strong>. Diese gibt<br />

es auch in <strong>de</strong>n Partnerschaftsformen <strong>und</strong> Haushaltsstrukturen <strong>und</strong> sie wer<strong>de</strong>n<br />

auch künftig ihren Bestand haben. Betrachten wir hierzu <strong>de</strong>n Status quo bei <strong>de</strong>n<br />

Älteren.<br />

1 Statistisches B<strong>und</strong>esamt 2003<br />

2 Roloff 2005 (A)<br />

3 Deutscher Rentenversicherung B<strong>und</strong> 2005<br />

53


Weniger Ehefrauen, mehr Witwen<br />

Abbildung 2 gibt einen allgemeinen Überblick über die Familienstandsstruktur<br />

<strong>de</strong>r 60-jährigen <strong>und</strong> älteren <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong> Männer in Deutschland.<br />

Abb. 2: Familienstandsstruktur <strong>de</strong>r 60-jährigen <strong>und</strong> älteren <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong><br />

Männer, Deutschland 2004<br />

Datenquelle: Statistisches B<strong>und</strong>esamt, Mikrozensus 2004; BiB, J. Roloff<br />

Abb. 3: Familienstandsstruktur <strong>de</strong>r Jungen Alten <strong>und</strong> Hochbetagten,<br />

Deutschland 2004<br />

Datenquelle: Statistisches B<strong>und</strong>esamt, Mikrozensus 2004; BiB, J. Roloff<br />

54


Demnach waren im Jahr 2004 von 100 Männern 5 ledig, 80 verheiratet, 10 verwitwet<br />

<strong>und</strong> 5 geschie<strong>de</strong>n. Für die <strong>Frauen</strong> ergaben sich 5 Ledige, 52 Verheiratete,<br />

37 Verwitwete <strong>und</strong> 6 Geschie<strong>de</strong>ne. Hier wer<strong>de</strong>n bereits die Unterschie<strong>de</strong> <strong>de</strong>utlich:<br />

Männer sind im Alter eher verheiratet, <strong>Frauen</strong> dagegen eher verwitwet. Mit<br />

zunehmen<strong>de</strong>m Alter steigt zwar bei bei<strong>de</strong>n Geschlechtern <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r<br />

Verwitweten <strong>und</strong> sinkt somit <strong>de</strong>r Verheiratetenanteil. Doch betrifft dies in einem<br />

wesentlich höheren Maße die <strong>Frauen</strong>.<br />

Wie Abbildung 3 am Beispiel <strong>de</strong>r Jungen Alten <strong>und</strong> Hochbetagten zeigt, befan<strong>de</strong>n<br />

sich von <strong>de</strong>n 60- bis 79-jährigen <strong>Frauen</strong> bereits 29 % im Witwenstand, von <strong>de</strong>n<br />

gleichaltrigen Männern waren es nur 8 %. Dagegen war die große Mehrheit von<br />

ihnen, 82 %, verheiratet. Dieser Verheiratetenanteil betrug bei <strong>de</strong>n hochbetagten<br />

Männern auch noch 66 %, bei <strong>de</strong>n <strong>Frauen</strong> nur 17 %. Zu<strong>de</strong>m ist zu sehen, dass, bei<br />

allerdings insgesamt niedrigen Prozentsätzen, <strong>de</strong>r Ledigenanteil bei <strong>de</strong>n hochbetagten<br />

<strong>Frauen</strong> höher liegt: Hatten 7 % dieser <strong>Frauen</strong> niemals geheiratet, waren<br />

es bei <strong>de</strong>n Männern gleichen Alters knapp 3 % (Abbildung 3). Die infolge <strong>de</strong>s<br />

2. Weltkrieges fehlen<strong>de</strong>n Männer auf <strong>de</strong>m damaligen Heiratsmarkt sind einer <strong>de</strong>r<br />

Grün<strong>de</strong> hierfür.<br />

Beson<strong>de</strong>rs auffällig ist die Geschlechterdifferenz bei <strong>de</strong>n über 80-jährigen<br />

Verwitweten: 72 % <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> hatten bereits ihren Ehepartner verloren, dagegen<br />

befan<strong>de</strong>n sich nur knapp 30 % <strong>de</strong>r Männer im Witwerstand (Abbildung 3). An<br />

dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Ehen alter <strong>und</strong> sehr alter Menschen<br />

überwiegend durch <strong>de</strong>n Tod eines Partners <strong>und</strong> weniger durch rechtskräftige<br />

Scheidungen en<strong>de</strong>n.<br />

Es ist ein<strong>de</strong>utig: Der Witwenstand ist die dominante Lebensform <strong>de</strong>r älteren<br />

<strong>Frauen</strong> <strong>und</strong> wird es auch in Zukunft bleiben. Die Grün<strong>de</strong> hierfür sind ganz klar:<br />

Neben <strong>de</strong>r gegenüber <strong>de</strong>n Männern höheren Überlebenschance <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> haben<br />

verwitwete Männer im Alter eher als <strong>Frauen</strong> die Chance, eine neue, zumeist<br />

jüngere, Partnerin zu fin<strong>de</strong>n. Von allen Verwitweten im Alter von 60 <strong>und</strong> mehr<br />

Jahren, die im Jahr 2004 wie<strong>de</strong>r eine Ehe eingingen, waren 79 %, Männer. Bei<br />

<strong>de</strong>n ledigen <strong>und</strong> geschie<strong>de</strong>nen 60-jährigen <strong>und</strong> älteren Eheschließen<strong>de</strong>n waren es<br />

mit 68 bzw. 65 % ebenfalls mehrheitlich Männer.<br />

Es ist natürlich, dass mit zunehmen<strong>de</strong>m Alter bei bei<strong>de</strong>n Geschlechtern, egal ob<br />

ledig, geschie<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r verwitwet, die Heiratsfreudigkeit sinkt. Doch liegt diese<br />

bis ins hohe Alter bei <strong>de</strong>n Männern im Vergleich zu <strong>de</strong>n <strong>Frauen</strong> bei weitem höher.<br />

An dieser Stelle soll ein Beispiel genügen: Hatten im Jahr 2004 von 1 000 <strong>de</strong>r<br />

über 80-jährigen geschie<strong>de</strong>nen Männer 5,5 wie<strong>de</strong>r geheiratet, machte diese<br />

„Wie<strong>de</strong>rheiratsquote“ bei <strong>de</strong>n <strong>Frauen</strong> nur 0,34 aus.<br />

55


Nichteheliche Lebensgemeinschaften im Alter –<br />

auch für <strong>Frauen</strong>?<br />

Interessant ist, wie viele Unverheiratete im Alter tatsächlich ohne Partner/in<br />

leben.<br />

Im Jahr 2004 führten 516.000 60-jährige <strong>und</strong> ältere Menschen außerhalb einer<br />

Ehe mit einem/einer Partner/in einen gemeinsamen Haushalt. Geht man zum<br />

Vergleich in das Jahr 1992 zurück, waren hier 250.000 Ältere, d.h. um über<br />

die Hälfte weniger in nichtehelichen Lebensgemeinschaften anzutreffen. Diese<br />

absoluten Zahlen zeigen bereits, dass die nichtehelichen Lebensgemeinschaften<br />

als eine neue, alternative Partnerschaftsform auch im Alter zunehmend an<br />

Be<strong>de</strong>utung gewinnen. Noch <strong>de</strong>utlicher wird diese Aussage, betrachtet man die<br />

Entwicklung <strong>de</strong>r Zahl <strong>de</strong>r in nichtehelichen Partnergemeinschaften leben<strong>de</strong>n<br />

Personen je 1 000 <strong>de</strong>r Nichtverheirateten (einschl. verheiratet, getrennt<br />

Leben<strong>de</strong>r). So lebten im Jahr 2004 von 1 000 aller noch nicht bzw. nicht mehr<br />

verheirateten über 60-Jährigen 65 nichtehelich mit einem/einer Partner/in zusammen;<br />

1992 waren es nur 35.<br />

Auch bei diesem Zusammenleben ohne Trauschein sind die Unterschie<strong>de</strong><br />

zwischen Frau <strong>und</strong> Mann unübersehbar. Waren 2004 je 1 000 <strong>de</strong>r nicht verheirateten<br />

60- bis 79-jährigen Männer 154 in einer solchen Partnerbeziehung<br />

anzutreffen, waren es je 1 000 <strong>de</strong>r gleichaltrigen <strong>Frauen</strong> nur 54. Auch bei <strong>de</strong>n<br />

Abb. 4: 60-Jährige <strong>und</strong> Ältere in nichtehelichen Lebensgemeinschaften –<br />

je 1 000 <strong>de</strong>r Nichtverheirateten 1) , 2004<br />

1) Einschl. verheiratet, getrennt Leben<strong>de</strong> Datenquelle: Statistisches B<strong>und</strong>esamt, Mikrozensus 2004; BiB, J. Roloff<br />

56


Hochbetagten waren bei weitem mehr Männer als <strong>Frauen</strong> in einer nichtehelichen<br />

Lebensgemeinschaft anzutreffen: 55 je 1 000 unverheirateter Männer, dagegen<br />

nur 9 von 1 000 unverheirateten <strong>Frauen</strong> (vgl. Abbildung 4).<br />

Man kann festhalten, dass Männer im Alter nicht nur eher wie<strong>de</strong>r heiraten als<br />

<strong>Frauen</strong>, son<strong>de</strong>rn auch auffällig mehr in nichtehelichen Partnerschaften leben.<br />

Daraus folgt:<br />

<strong>Frauen</strong> führen im Alter vorwiegend allein einen Haushalt<br />

Entsprechend <strong>de</strong>r Haushaltsstatistik <strong>de</strong>s Jahres 2004 lebten von 100 aller über<br />

60-jährigen Menschen in Deutschland 30 in Einpersonen-, 60 in Zweipersonen-,<br />

7 in Dreipersonen- <strong>und</strong> 3 in Vier- <strong>und</strong> Mehrpersonenhaushalten. Einpersonen<strong>und</strong><br />

Zweipersonenhaushalte sind somit die dominanten Haushaltsformen im<br />

Alter. Jedoch bestehen auch hier beträchtliche Unterschie<strong>de</strong> zwischen <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong><br />

Männern. Führten von 100 <strong>de</strong>r 60-jährigen <strong>und</strong> älteren <strong>Frauen</strong> 41 allein einen<br />

Haushalt, waren es von <strong>de</strong>n Männern nur 16. Dagegen sind diese am häufigsten<br />

in Zweipersonenhaushalten anzutreffen – 72 % gegenüber 51 % <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong><br />

(Abbildung 5).<br />

Wie Abbildung 5 <strong>de</strong>s Weiteren zeigt, gewinnt <strong>de</strong>r Einpersonenhaushalt mit zunehmen<strong>de</strong>m<br />

Alter an Be<strong>de</strong>utung. Dies trifft jedoch in einem auffällig höheren<br />

Abb. 5: Haushaltsstrukturen <strong>de</strong>r über 60-jährigen Männer <strong>und</strong> <strong>Frauen</strong> in<br />

Deutschland 2004<br />

Datenquelle: Statistisches B<strong>und</strong>esamt, Mikrozensus 2004; BiB, J. Roloff<br />

57


Maße für die <strong>Frauen</strong> zu: lebten (2004) z.B. 71 %, <strong>de</strong>r hochbetagten <strong>Frauen</strong> allein<br />

in einem Haushalt, waren es von <strong>de</strong>n gleichaltrigen Männern mit 29 % einige<br />

weniger. Das be<strong>de</strong>utet, dass die Alleinleben<strong>de</strong>nquote für die hochbetagten <strong>Frauen</strong><br />

das 2,4-fache Niveau <strong>de</strong>s entsprechen<strong>de</strong>n Vergleichswertes für Männer dieses<br />

Alters ausmacht.<br />

Es ist somit eine Tatsache, dass <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong>, die im Alter Alleinstehen<strong>de</strong><br />

<strong>und</strong> zugleich Alleinleben<strong>de</strong> sind, bei weitem höher ist als <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

Männer. Daran wird sich auch künftig nichts än<strong>de</strong>rn. Unter <strong>de</strong>r Annahme, dass<br />

weiterhin eher Männer als <strong>Frauen</strong> im Alter (wie<strong>de</strong>r) heiraten bzw. nichteheliche<br />

Lebensgemeinschaften eingehen, ergeben eigene Hochrechnungen <strong>de</strong>r<br />

Familienstands- <strong>und</strong> Haushaltsstrukturen älterer Menschen in Deutschland<br />

ein<strong>de</strong>utig: Die Unterschie<strong>de</strong> zwischen Mann <strong>und</strong> Frau in <strong>de</strong>n Partnerschafts-/Lebensformen<br />

wer<strong>de</strong>n auch in Zukunft ihren Bestand haben. Und dies<br />

heißt, dass ein Leben ohne feste Partnerschaft im Alter vorwiegend für <strong>Frauen</strong><br />

relevant sein wird. 4<br />

Daraus ergeben sich u.a. Konsequenzen für <strong>de</strong>n Pflegebereich. In einem<br />

Bericht über die Lebenslagen <strong>de</strong>r Pflegebedürftigen wird festgestellt, „dass<br />

<strong>Frauen</strong> ab <strong>de</strong>m achtzigsten Lebensjahr eine <strong>de</strong>utlich höhere Pflegequote aufweisen<br />

– also eher pflegebedürftig sind als Männer dieser Altersgruppe. So<br />

betrug z.B. bei <strong>de</strong>n ab 90-jährigen <strong>Frauen</strong> die Pflegequote 62 %, bei <strong>de</strong>n<br />

Männern gleichen Alters hingegen ‚nur’ 38 %“ 5 . Hinzu kommt, dass eher<br />

<strong>Frauen</strong> als Männer in Pflegeheimen anzutreffen sind: Von <strong>de</strong>n 852.000 im<br />

Jahr 2003 pflegebedürftigen hochbetagten <strong>Frauen</strong> wur<strong>de</strong>n 41 % in einem<br />

Heim stationär betreut; <strong>de</strong>mgegenüber waren es von 201.000 pflegebedürftigen<br />

Männer 27 %. Dieser Trend wird sich weiter fortsetzen. Folgt man <strong>de</strong>n<br />

Mo<strong>de</strong>llrechnungen zum künftigen Pflegebedarf <strong>de</strong>s Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung<br />

Berlin, dürfte im Jahr 2050 die Zahl <strong>de</strong>r über 80-jährigen<br />

Pflegebedürftigen voraussichtlich von <strong>de</strong>rzeitig 1 auf knapp 4 Millionen ansteigen<br />

6 . Hier wird allerdings vom medizinischen Fortschritt abstrahiert. Ein<br />

weiterer technischer Fortschritt in <strong>de</strong>r Diagnostik <strong>und</strong> Therapie, aber auch eine<br />

gesün<strong>de</strong>re Lebensweise, eine gezielte Prävention <strong>und</strong> Rehabilitation kann die<br />

Pflegewahrscheinlichkeit <strong>und</strong> somit die künftige Zahl <strong>de</strong>r Pflegebedürftigen<br />

<strong>de</strong>utlich reduzieren. Ohne an dieser Stelle näher darauf einzugehen, soll erwähnt<br />

wer<strong>de</strong>n, dass <strong>de</strong>m wahrscheinlich künftig wachsen<strong>de</strong>n Pflegebedarf ein sinken<strong>de</strong>s<br />

häusliches Pflegepotential gegenüberstehen <strong>und</strong> folglich die Nachfrage nach<br />

außerfamiliären Pflegeleistungen steigen wird.<br />

4 Mai/Roloff 2006<br />

5 Statistisches B<strong>und</strong>esamt 2004: 4<br />

6 Schulz et .al. 2001<br />

58


Die Zahl hochbetagter <strong>Frauen</strong> steigt,<br />

die Zahl potenzieller Mütter sinkt<br />

Während die Zahl <strong>de</strong>r alten <strong>und</strong> insbeson<strong>de</strong>re hochbetagten <strong>Frauen</strong> stetig wächst,<br />

ist es bei <strong>de</strong>n <strong>Frauen</strong>, die für die Reproduktion <strong>de</strong>r Bevölkerung entschei<strong>de</strong>nd<br />

sind, umgekehrt. Zwar sank <strong>de</strong>ren Zahl bisher nicht so gravierend: Gegenüber<br />

1990 waren es 2004 ein Prozent weniger. Doch folgt man <strong>de</strong>r Bevölkerungsvorausberechnung<br />

<strong>de</strong>s Statistischen B<strong>und</strong>esamtes, wer<strong>de</strong>n in etwa einem halben<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert statt heute knapp 20 Millionen nur 14 Millionen <strong>Frauen</strong> im gebärfähigen<br />

Alter (15- bis unter 50-Jährige 7 ) in Deutschland leben. Das sind 27 %<br />

weniger. Im Vergleich dazu ist die Zahl <strong>de</strong>r 80-jährigen <strong>und</strong> älteren <strong>Frauen</strong> 2004<br />

gegenüber 1990 bereits um 18 % gestiegen <strong>und</strong> wird voraussichtlich bis 2050 von<br />

heute knapp 3 auf knapp 6 Millionen weiter anwachsen.<br />

Es ist klar, dass eine sinken<strong>de</strong> Zahl <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> im gebärfähigen Alter zu sinken<strong>de</strong>n<br />

Geburtenzahlen führen kann. Doch entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r ist <strong>de</strong>ren Geburtenverhalten.<br />

Dieses ist <strong>de</strong>rzeit geprägt durch einen niedrigen Kin<strong>de</strong>rwunsch <strong>und</strong><br />

späte Geburten.<br />

Zwar wünscht sich nach wie vor die Mehrheit <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong> Männer Kin<strong>de</strong>r,<br />

jedoch „wie ein Vergleich verschie<strong>de</strong>ner, repräsentativer Umfragedaten zeigt, ist<br />

<strong>de</strong>r durchschnittliche Kin<strong>de</strong>rwunsch von <strong>Frauen</strong> in Deutschland zwischen 1988<br />

<strong>und</strong> 1992 auf unter zwei Kin<strong>de</strong>r gesunken. Seit<strong>de</strong>m liegt er relativ stabil bei<br />

1,75“. 8 Selbst wenn dieser voll realisiert wür<strong>de</strong>, reicht er für einen einfachen<br />

Ersatz <strong>de</strong>r Elterngenerationen bei weitem nicht aus. Hierfür wären 2,1 Kin<strong>de</strong>r je<br />

Frau erfor<strong>de</strong>rlich. Doch, wie die Geburtenstatistik zeigt, verharrt seit nunmehr<br />

ca. drei Jahrzehnten zumin<strong>de</strong>st <strong>de</strong>r Westen Deutschlands auf einem stabil<br />

niedrigen Geburtenniveau von durchschnittlich 1,4 Kin<strong>de</strong>rn je Frau. 9 Neben<br />

sinken<strong>de</strong>n gewünschten Kin<strong>de</strong>rzahlen sind immer spätere Geburten hierfür<br />

maßgebend. Waren 1991 verheiratete Mütter bei <strong>de</strong>r Geburt ihres ersten Kin<strong>de</strong>s<br />

im Schnitt 27 Jahre alt, sind sie jetzt 30 Jahre alt. Die Grün<strong>de</strong> für die Verlagerung<br />

<strong>de</strong>r Erstgeburten in das höhere Alter wer<strong>de</strong>n vor allem in zu langen Ausbildungszeiten<br />

einerseits <strong>und</strong> in <strong>de</strong>n Unsicherheiten auf <strong>de</strong>m Arbeitsmarkt<br />

an<strong>de</strong>rerseits gesehen. Späte Erstgeburten führen dazu, dass die Zahl zweiter <strong>und</strong><br />

weiterer Geburten sinkt. Zu<strong>de</strong>m wächst das Risiko ungewollter Kin<strong>de</strong>rlosigkeit.<br />

Jedoch bleiben auch zunehmend mehr <strong>Frauen</strong> – <strong>und</strong> auch Männer – freiwillig<br />

7 Für die Berechnung <strong>de</strong>r zusammengefassten Geburtenziffer kann man entwe<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Bestand <strong>de</strong>r 15- bis unter<br />

45-Jährigen <strong>Frauen</strong> o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r 15- bis unter 50-Jährigen <strong>Frauen</strong> zugr<strong>und</strong>elegen. In Anbetracht <strong>de</strong>r immer späteren<br />

Erstgeburten ist die letzte Option realistischer. Hierfür nur ein Zahlenbeispiel: Entfielen im Jahr 1990 auf 1 000<br />

45- bis unter 50-Jährige <strong>Frauen</strong> 1,2 Geburten, waren es im Jahr 2004 1,5 Geburten.<br />

8 Höhn, Ette, Ruck<strong>de</strong>schel 2006: 15<br />

9 Roloff 2005 (B)<br />

59


kin<strong>de</strong>rlos. In einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung (2003) 10 sagten fast<br />

ein Drittel (32 %) kin<strong>de</strong>rloser <strong>Frauen</strong> im Alter zwischen 20 <strong>und</strong> 29 Jahren, dass<br />

sie kin<strong>de</strong>rlos bleiben wollen; bei <strong>de</strong>n 30- bis 39-Jährigen betrug dieser Anteil<br />

bereits 74 %. Und 88 % <strong>de</strong>r 40- bis 49-Jährigen <strong>Frauen</strong>, die bisher kin<strong>de</strong>rlos<br />

geblieben sind, wollten es auch endgültig bleiben. Von <strong>de</strong>n jungen kin<strong>de</strong>rlosen<br />

Männern wollen mehr als die <strong>Frauen</strong>, 49 %, auch künftig keine Kin<strong>de</strong>r. Dagegen<br />

liegen bei <strong>de</strong>n 30- bis 39-Jährigen <strong>und</strong> 40- bis 49-Jährigen kin<strong>de</strong>rlosen Männern<br />

die Anteile <strong>de</strong>rer ohne Kin<strong>de</strong>rwunsch mit 68 % <strong>und</strong> 82 % etwas unter <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r<br />

<strong>Frauen</strong>.<br />

Es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass sich im Geburtenverhalten<br />

nichts Gravieren<strong>de</strong>s än<strong>de</strong>rn wird. So geht das Statistische B<strong>und</strong>esamt<br />

bei seiner Bevölkerungsvorausberechnung auch von einem weiterhin stabil<br />

niedrigen Geburtenniveau von 1,4 Kin<strong>de</strong>rn je Frau bis 2050 aus. In Anbetracht<br />

dieser Entwicklung, die die <strong>de</strong>rzeit gelten<strong>de</strong>n gesetzlichen Regelungen vor allem<br />

zur Renten-, Kranken- <strong>und</strong> Pflegeversicherung zunehmend in Frage stellt, wird<br />

<strong>de</strong>r Ruf nach mehr Kin<strong>de</strong>rn in Deutschland immer lauter. Eine <strong>de</strong>r politischen<br />

Reaktionen darauf ist die 2002 erstmalig formulierte nachhaltige Familienpolitik,<br />

die zum Inhalt hat: „familienfre<strong>und</strong>liche Strukturen, gute Kin<strong>de</strong>rbetreuung,<br />

Balance von Familie <strong>und</strong> Beruf, neue Leitbil<strong>de</strong>r für die Familiengründung,<br />

Verantwortung Erziehung, gezielte monetäre För<strong>de</strong>rung, lokale<br />

Bündnisse“. 11 Doch ist zu fragen:<br />

Können verbesserte familienpolitische Leistungen tatsächlich langfristig<br />

positive Effekte im Geburtenverhalten hervorrufen?<br />

Soziologische Untersuchungen ergeben ein<strong>de</strong>utig eine hohe Akzeptanz <strong>de</strong>r<br />

familienpolitischen Leistungen. Fragt man jedoch nach ihren Auswirkungen auf<br />

das individuelle Geburtenverhalten, ergibt sich ein an<strong>de</strong>res Bild. Ein Beleg hierfür<br />

sind Befragungsergebnisse <strong>de</strong>r repräsentativen Erhebung „Population Policy<br />

Acceptance Study“ 12 . An dieser Stelle soll nur die Einführung besserer Möglichkeiten<br />

<strong>de</strong>r Tagesbetreuung von Kin<strong>de</strong>rn als Beispiel dienen 13 . Betrachten wir<br />

zunächst die <strong>Frauen</strong> (im Alter von 20 bis 45 Jahren), die keine (weiteren) Kin<strong>de</strong>r<br />

haben wollen (Abbildung 6). Die große Mehrheit, 74 % <strong>de</strong>r kin<strong>de</strong>rlosen <strong>Frauen</strong><br />

ohne Kin<strong>de</strong>rwunsch, die eine Einführung besserer Möglichkeiten zur Tagesbetreuung<br />

von Kin<strong>de</strong>rn für sehr wünschenswert ansehen, bleiben trotz<strong>de</strong>m bei<br />

ihrem Entschluss, keine Kin<strong>de</strong>r haben zu wollen. Von <strong>de</strong>n <strong>Frauen</strong> mit Kin<strong>de</strong>rn,<br />

10 Population Policy Acceptance Study (PPAS-2003)<br />

11 BMFSFJ 2005: 12<br />

12 Dorbritz et. al. 2005<br />

13 Näheres – siehe Roloff 2005 (B)<br />

60


die keine weiteren wollen, sind es anteilig genauso viele. Immerhin wür<strong>de</strong>n 16 %<br />

<strong>de</strong>r kin<strong>de</strong>rlosen <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong> 17 % <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> mit Kin<strong>de</strong>rn über ein (weiteres)<br />

Kind nach<strong>de</strong>nken. Doch nur wenige <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> mit <strong>und</strong> ohne Kin<strong>de</strong>r, d.h.<br />

keine 10 %, wür<strong>de</strong>n sich bei Einführung einer verbesserten Kin<strong>de</strong>rbetreuung<br />

wahrscheinlich für ein Kind entschei<strong>de</strong>n. Dass die Realisierung dieser familienpolitischen<br />

Leistung eine Selbstverständlichkeit sein müsste, dieser Meinung sind<br />

71 % <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> ohne <strong>und</strong> 82 % <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> mit Kin<strong>de</strong>rn (Abbildung 6).<br />

Abb. 6: Bessere Tagesbetreuung für Kin<strong>de</strong>r vs. Geburtenverhalten,<br />

20 bis 45 Jahre alte <strong>Frauen</strong> ohne Kin<strong>de</strong>rwunsch<br />

1) Mehrfachnennungen waren möglich Datenquelle: BiB, PPAS-2003, J. Roloff<br />

Es ist ein<strong>de</strong>utig: Eine Einführung bzw. Verbesserung familienpolitischer<br />

Leistungen bringt die <strong>Frauen</strong> mehrheitlich nicht von ihrem einmal gefassten<br />

Vorsatz ab, keine (weiteren) Kin<strong>de</strong>r haben zu wollen.<br />

Betrachtet man nunmehr das mögliche Geburtenverhalten <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> mit einem<br />

Kin<strong>de</strong>rwunsch in Bezug auf eine verbesserte Tagesbetreuung für Kin<strong>de</strong>r, ergibt<br />

sich Folgen<strong>de</strong>s (Abbildung 7).<br />

Für 51 % <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> ohne Kin<strong>de</strong>r <strong>und</strong> für 75 % <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> mit Kin<strong>de</strong>rn wür<strong>de</strong> es<br />

dann leichter sein, so viele Kin<strong>de</strong>r zu haben, wie sie sich wünschen. Für allerdings<br />

nur 27 % <strong>de</strong>r bisher kin<strong>de</strong>rlosen <strong>Frauen</strong>, aber für 42 % <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> mit<br />

Kin<strong>de</strong>rn wäre es möglich, früher das Kind zu bekommen. Abgesehen davon hält<br />

aber auch hier die große Mehrheit <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> die Realisierung dieser Maßnahmen<br />

für selbstverständlich.<br />

61


Abb. 7: Bessere Tagesbetreuung für Kin<strong>de</strong>r vs. Geburtenverhalten,<br />

20 bis 45 Jahre alte <strong>Frauen</strong> mit Kin<strong>de</strong>rwunsch<br />

1) Mehrfachnennungen waren möglich Datenquelle: BiB, PPAS-2003, J. Roloff<br />

Hieraus kann man <strong>de</strong>n Schluss ziehen, dass mit einer Familienpolitik durchaus<br />

erreicht wer<strong>de</strong>n kann, dass <strong>Frauen</strong> ihren Kin<strong>de</strong>rwunsch voll realisieren <strong>und</strong><br />

zu<strong>de</strong>m ihre gewünschten Geburten zeitlich vorziehen können. Jedoch führt sie<br />

langfristig zu keiner höheren Fertilität. „Familienpolitik kann we<strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>rwünsche<br />

erzeugen noch Kin<strong>de</strong>r ‚kaufen’“. 14<br />

Das heißt aber keineswegs, dass auf eine staatlich geför<strong>de</strong>rte Familienpolitik<br />

verzichtet wer<strong>de</strong>n kann. Sie ist zweifelsohne für die Unterstützung <strong>de</strong>s Lebens<br />

mit Kin<strong>de</strong>rn unabdingbar.<br />

Fazit<br />

Die <strong>de</strong>mografische Alterung wird weiter voranschreiten <strong>und</strong> vorrangig ein<br />

Problem <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> bleiben. Die Bevölkerung wird in Zukunft von hoher Kin<strong>de</strong>rlosigkeit<br />

einerseits, von niedrigen Kin<strong>de</strong>rzahlen an<strong>de</strong>rerseits geprägt sein.<br />

Auch wenn sich wi<strong>de</strong>r Erwarten das Geburtenverhalten positiv verän<strong>de</strong>rn wür<strong>de</strong>,<br />

d.h. wie<strong>de</strong>r mehr Kin<strong>de</strong>r gewünscht <strong>und</strong> geboren wür<strong>de</strong>n, wird dies für ein<br />

14 Lengerer 2004: 411<br />

62


dauerhaft hohes Geburtenniveau nicht ausreichen. Die Hauptursache hierfür ist das<br />

seit nunmehr drei Jahrzehnten stabil niedrige Geburtenniveau. Ganz simpel ausgedrückt:<br />

Die in <strong>de</strong>n letzten Jahrzehnten Nichtgeborenen fehlen in <strong>de</strong>n nächsten<br />

Generationen als potenzielle Mütter <strong>und</strong> Väter. Infolge<strong>de</strong>ssen muss mit einem rapi<strong>de</strong>n<br />

Rückgang <strong>de</strong>r Geburtenzahlen gerechnet wer<strong>de</strong>n, was zu einer weiteren<br />

Beschleunigung <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mografischen Alterns beiträgt. Um seine Folgen bewältigen<br />

zu können, ist es unerlässlich, bereits heute <strong>de</strong>r Öffentlichkeit <strong>de</strong>utlich zu machen,<br />

dass die alten Menschen mit allen ihren sozialen, kulturellen <strong>und</strong> politischen<br />

Aktivitäten wertvolle Beiträge zur Lösung gesellschaftlicher Probleme leisten. Sie<br />

sind in unserer Gesellschaft schon längst keine Randgruppe mehr. Ein aktueller<br />

Beleg hierfür sind die Ergebnisse <strong>de</strong>s 5. Altenberichts zum Thema „Potenziale <strong>de</strong>s<br />

Alters in Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft. Der Beitrag älterer Menschen zum<br />

Zusammenhalt <strong>de</strong>r Generationen“. Hier heißt es u.a.: „Auf gesamtgesellschaftlicher<br />

Ebene be<strong>de</strong>utet <strong>de</strong>r zunehmen<strong>de</strong> Bevölkerungsanteil älterer Menschen auch, dass<br />

sozialer <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> auf Dauer ohne die Älteren (auch als Wähler) nicht gestaltbar<br />

ist“ 15 . Dieser Bericht macht zu<strong>de</strong>m <strong>de</strong>utlich, dass die Älteren ein wichtiger<br />

Aktivposten in fast allen Lebensbereichen (vor allem Arbeitsmarkt, Familie,<br />

Ehrenamt) sind. Doch „ist es dringend erfor<strong>de</strong>rlich, durch einen differenzierteren<br />

Umgang mit <strong>de</strong>m Thema Alter verstärkt die möglichen Chancen <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mografischen<br />

<strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>s in <strong>de</strong>n öffentlichen Diskurs einzubringen <strong>und</strong> politische Konzepte zu<br />

entwickeln, die explizit auf Potenziale <strong>de</strong>s Alters zurückgreifen“ 16 .<br />

15 BMFSFJ, 2005(B): 32<br />

16 BMFSFJ, 2005(B): 472<br />

63


Literaturverzeichnis<br />

B<strong>und</strong>esministerium für Familie, Senioren, <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong> Jugend (Hrsg.) 2005 (A): „Familie ja, Kin<strong>de</strong>r nein. Was ist los<br />

in Deutschland?“ Monitor Familien<strong>de</strong>mographie, Ausgabe 1-3<br />

B<strong>und</strong>esministerium für Familie, Senioren, <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong> Jugend (Hrsg.) 2005 (B): Fünfter Bericht zur Lage <strong>de</strong>r<br />

älteren Generation in <strong>de</strong>r B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland. Potenziale <strong>de</strong>s Alters in Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft. Der<br />

Beitrag älterer Menschen zum Zusammenhalt <strong>de</strong>r Generationen. Bericht <strong>de</strong>r Sachverständigenkommission an das<br />

B<strong>und</strong>esministerium für Familie, Senioren, <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong> Jugend, Berlin<br />

Deutsche Rentenversicherung B<strong>und</strong> (Hg.) 2005: Rentenversicherung in Zeitreihen. DRV-Schriften, Band 22<br />

Dorbritz, Jürgen; Lengerer Andrea; Ruck<strong>de</strong>schel, Kerstin 2005: Einstellungen zu <strong>de</strong>mographischen Trends <strong>und</strong> zu<br />

bevölkerungsrelevanten Problemen. Ergebnisse <strong>de</strong>r Population Policy Acceptance Studie in Deutschland. Wiesba<strong>de</strong>n,<br />

B<strong>und</strong>esinstitut für Bevölkerungsforschung beim Statistischen B<strong>und</strong>esamt<br />

Höhn, Charlotte; Ette, Andreas; Ruck<strong>de</strong>schel, Kerstin 2006: Kin<strong>de</strong>rwünsche in Deutschland, Konsequenzen für eine<br />

nachhaltige Familienpolitik. Robert-Bosch-Stiftung (Hrsg.)<br />

Lengerer, Andrea 2004: „Zur Akzeptanz von Familienpolitik“. In: Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, 29, 3-4,<br />

Wiesba<strong>de</strong>n: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 387-422<br />

Mai, Ralf; Roloff, Juliane 2006: Zukunft von Potenzialen in Paarbeziehungen älterer Menschen – Perspektive von<br />

Männern <strong>und</strong> <strong>Frauen</strong>. In: Deutsches Zentrum für Altersfragen (Hrsg.): Gesellschaftliches <strong>und</strong> familiäres Engagement<br />

älterer Menschen als Potenzial (Expertise zum 5. Altenbericht <strong>de</strong>r B<strong>und</strong>esregierung, Bd. 5), LIT-Verlag Münster<br />

Roloff, Juliane 2005 (A): Demographische Entwicklung, Beitrag für die Friedrich-Ebert-Stiftung, OnlineAka<strong>de</strong>mie<br />

(Modul „Generationengerechtigkeit“)<br />

Roloff, Juliane 2005 (B): Geburtenverhalten <strong>und</strong> Familienpolitik – west- <strong>und</strong> ost<strong>de</strong>utsche <strong>Frauen</strong> im Vergleich – eine<br />

empirische Studie. In: Christiane Dienel (Hrsg.): Abwan<strong>de</strong>rung, Geburtenrückgang <strong>und</strong> regionale Entwicklung,<br />

Ursachen <strong>und</strong> Folgen <strong>de</strong>s Bevölkerungsrückgangs in Ost<strong>de</strong>utschland, Verlag für Sozialwissenschaften Wiesba<strong>de</strong>n<br />

Schulz, Erika; Leidl, Reiner; Koenig, Hans-Helmut 2001: Starker Anstieg <strong>de</strong>r Pflegebedürftigkeit zu erwarten:<br />

Vorausschätzungen bis 2020 mit Ausblick auf 2050. Wochenbericht <strong>de</strong>s DIW Berlin, 5/01<br />

Statistisches B<strong>und</strong>esamt 2003: Bevölkerung Deutschlands bis 2050 – Ergebnisse <strong>de</strong>r 10. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung<br />

Statistisches B<strong>und</strong>esamt 2004: Son<strong>de</strong>rbericht: Lebenslagen <strong>de</strong>r Pflegebedürftigen – Pflege im Rahmen <strong>de</strong>r<br />

Pflegeversicherung, Deutschlan<strong>de</strong>rgebnisse <strong>de</strong>s Mikrozensus 2003, Bonn<br />

64


Diana Auth/Barbara Holland-Cunz<br />

Alarmismus <strong>und</strong> Aktionismus.<br />

Diskurs <strong>und</strong> Politik zum <strong>de</strong>mografischen<br />

<strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> in Deutschland1 Die Lage<br />

Spätestens seit <strong>de</strong>n 90er Jahren wird nicht mehr nur wissenschaftlich, son<strong>de</strong>rn<br />

auch gesellschafts-öffentlich <strong>und</strong> politisch über <strong>de</strong>n <strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong><br />

sowie seine sozialen <strong>und</strong> ökonomischen Folgen diskutiert. Zunächst stand<br />

<strong>de</strong>r Alterungsprozess <strong>de</strong>r Bevölkerung im Mittelpunkt (vgl. z.B. Enquête-<br />

Kommission <strong>Demografischer</strong> <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> 2002), doch mittlerweile sind <strong>de</strong>r<br />

Bevölkerungsrückgang <strong>und</strong> die niedrige Geburtenrate ins Zentrum <strong>de</strong>r<br />

Aufmerksamkeit gerückt (vgl. Kaufmann 2005: 15).<br />

In <strong>de</strong>r öffentlichen Debatte dominieren dramatische Bil<strong>de</strong>r von schrumpfen<strong>de</strong>n<br />

Städten, leeren Kin<strong>de</strong>rgärten <strong>und</strong> allein gelassenen pflegebedürftigen Alten, um<br />

nur einige Beispiele <strong>de</strong>r medialen „Endzeitstimmung“ zu nennen. Prognosen <strong>und</strong><br />

Mo<strong>de</strong>llrechnungen zum <strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> haben Hochkonjunktur. Die<br />

1 Der Artikel basiert auf einem Vortrag, <strong>de</strong>n wir im Oktober 2005 auf unserer Tagung „Strategien <strong>und</strong> Diskurse <strong>de</strong>mographischer<br />

Steuerung – wie wirksam ist Bevölkerungspolitik?“ an <strong>de</strong>r Universität Gießen gehalten haben.<br />

Erweiterte Fassungen dieses Artikel können nachgelesen wer<strong>de</strong>n in: Diana Auth/Barbara Holland-Cunz (Hrsg.):<br />

Grenzen <strong>de</strong>r Bevölkerungspolitik. Strategien <strong>und</strong> Diskurse <strong>de</strong>mographischer Steuerung, Opla<strong>de</strong>n: Barbara Budrich<br />

2007, i.E.<br />

65


öffentliche Debatte ist durch eine doppel<strong>de</strong>utige Struktur geprägt: Einerseits<br />

impliziert die sprachliche Rhetorik <strong>de</strong>s <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>s einen sanften, langsamen, unvermeidlichen<br />

Übergang. An<strong>de</strong>rerseits <strong>de</strong>utet die Bebil<strong>de</strong>rung eher auf dramatische<br />

Verän<strong>de</strong>rungen <strong>und</strong> gefährliche Entwicklungen hin, die dringen<strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>ln<br />

erfor<strong>de</strong>rn. Die drastischen Bil<strong>de</strong>rfolgen verweisen auf ein alarmistisches<br />

Diskursmuster, das sich in medialer Öffentlichkeit <strong>und</strong> wissenschaftlicher<br />

Debatte nachweisen lässt <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Blick auf Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen politischer<br />

Einflussnahme eher verstellt.<br />

Aber gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Politik wird dieser Diskurs dankbar aufgegriffen <strong>und</strong> in<br />

konkrete familienpolitische Maßnahmen übersetzt. Die geburtenför<strong>de</strong>rn<strong>de</strong><br />

Familienpolitik unter <strong>de</strong>n Familienministerinnen <strong>de</strong>r rot-grünen <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Großen<br />

Koalition, Renate Schmidt <strong>und</strong> Ursula von <strong>de</strong>r Leyen, weist einen signifikanten<br />

Aktionismus auf, <strong>de</strong>nn we<strong>de</strong>r die Ursachen für Kin<strong>de</strong>rlosigkeit <strong>und</strong> das Hinausschieben<br />

von Kin<strong>de</strong>rwünschen noch die generelle Steuerungsfähigkeit bevölkerungspolitischer<br />

Maßnahmen wer<strong>de</strong>n ausreichend reflektiert. Die pronatalistische<br />

Familienpolitik, die oftmals im Gewan<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gleichstellung daherkommt, dient<br />

vor allem <strong>de</strong>r Durchsetzung ökonomischer <strong>und</strong> bevölkerungspolitischer Zielsetzungen.<br />

Die Gr<strong>und</strong>lage<br />

Der öffentliche Diskurs <strong>und</strong> die familienpolitischen Maßnahmen basieren auf<br />

verschie<strong>de</strong>nen Mo<strong>de</strong>llrechnungen, <strong>de</strong>ren wichtigste <strong>und</strong> öffentlichkeitswirksamste<br />

die Berechnungen <strong>de</strong>s Statistischen B<strong>und</strong>esamtes sind. Die zehnte<br />

Bevölkerungsvorausberechnung stammt aus <strong>de</strong>m Jahr 2003 <strong>und</strong> reicht bis zur<br />

Mitte dieses Jahrh<strong>und</strong>erts. Das Statistische B<strong>und</strong>esamt hat neun Varianten mit<br />

unterschiedlichen Annahmen hinsichtlich <strong>de</strong>r Geburtenrate, <strong>de</strong>r Wan<strong>de</strong>rungsbewegungen<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Lebenserwartung berechnet. Die Spannbreite <strong>de</strong>r möglichen<br />

Bevölkerungszahl für das Jahr 2050 liegt zwischen 67 <strong>und</strong> 81 Millionen. In <strong>de</strong>r<br />

wissenschaftlichen <strong>und</strong> in <strong>de</strong>r politischen Debatte wird am häufigsten auf die<br />

mittlere Variante zurückgegriffen, weil diese als die realitätsnaheste gilt. Dort<br />

wird von einer konstant niedrigen Geburtenrate von 1,4 Kin<strong>de</strong>rn pro Frau, von<br />

einer Steigerung <strong>de</strong>r Lebenserwartung um sechs Jahre für Neugeborene sowie<br />

von einem Wan<strong>de</strong>rungsüberschuss von 200.000 ausgegangen. Unter diesen<br />

Annahmen wird die Bevölkerungszahl in Deutschland bis zum Jahr 2050 auf<br />

75 Millionen sinken, vor allem, weil aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r konstant niedrigen Geburtenrate<br />

die Zahl <strong>de</strong>r potenziellen Mütter <strong>und</strong> damit <strong>de</strong>r Neugeborenen kleiner wird.<br />

Demgegenüber steht eine steigen<strong>de</strong> Zahl an Sterbefällen, <strong>de</strong>nn die geburtenstarken<br />

Jahrgänge kommen ins hohe Alter. Die meisten ExpertInnen gehen davon<br />

66


aus, dass das Sinken <strong>de</strong>r Bevölkerungszahl durch Zuwan<strong>de</strong>rung zwar verlangsamt,<br />

aber nicht vollständig kompensiert wer<strong>de</strong>n kann. Aber die Zahl <strong>de</strong>r<br />

Deutschen geht nicht nur zurück, die Bevölkerung altert zu<strong>de</strong>m, so das<br />

Statistische B<strong>und</strong>esamt. Der Anteil <strong>de</strong>r unter 20-Jährigen Kin<strong>de</strong>r <strong>und</strong> Jugendlichen<br />

sinkt von heute 21 % auf 16 %, <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r 20-59-Jährigen, also <strong>de</strong>r<br />

Personen im erwerbsfähigen Alter, sinkt von 55 % auf 47 %, wohingegen <strong>de</strong>r<br />

Anteil <strong>de</strong>r über 60-Jährigen von 24 % auf 37 % steigt (vgl. Statistisches<br />

B<strong>und</strong>esamt 2003).<br />

Der Diskurs<br />

Im Folgen<strong>de</strong>n dokumentieren wir einige i<strong>de</strong>altypische Beiträge <strong>de</strong>s Diskurses.<br />

a) Der mediale alarmistische Diskurs erzeugt interessanterweise kaum nachhaltige<br />

Resonanz, die Beiträge beziehen sich nur wenig aufeinan<strong>de</strong>r, setzen<br />

gleichsam immer wie<strong>de</strong>r von neuem an. In <strong>de</strong>r Frankfurter Allgemeinen Zeitung<br />

(11.03.05) <strong>de</strong>nkt <strong>de</strong>r Stanfor<strong>de</strong>r Sozialwissenschaftler Stanley Kurtz (2005: 42)<br />

über die kulturellen Konsequenzen einer „überalterten Welt“ nach <strong>und</strong> diskutiert<br />

mögliche Alternativen zu <strong>de</strong>n „düsteren Aussichten“: Wie<strong>de</strong>rherstellung traditioneller<br />

Werte, neue Eugenik o<strong>de</strong>r Bevölkerungsrückgang. Kurtz unterstellt, dass<br />

insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rne Feminismus seit Beginn <strong>de</strong>s 20. Jahrh<strong>und</strong>erts eine<br />

Ten<strong>de</strong>nz zur Eugenik <strong>und</strong> seit Shulamith Firestone eine Ten<strong>de</strong>nz zur künstlichen<br />

Reproduktion habe, 2 dass Feministinnen <strong>de</strong>shalb die ersten sein wer<strong>de</strong>n, die <strong>de</strong>n<br />

neuen, äußerst zweifelhaften biopolitischen Trends (Leihmutterschaft, künstliche<br />

Gebärmutter) folgen wer<strong>de</strong>n. Der Alarmismus, <strong>de</strong>r diesen Text durchzieht,<br />

bezieht sich auf eine konstruierte Polarität, die entwe<strong>de</strong>r langsames Aussterben<br />

o<strong>de</strong>r manipulative Biopolitik prognostiziert, bei<strong>de</strong>s vorangetrieben von<br />

Feministinnen (vgl. Kurtz 2005). Ebenfalls in <strong>de</strong>r Frankfurter Allgemeinen<br />

Zeitung (13.06.05) diskutiert <strong>de</strong>r Kieler Neurologe <strong>und</strong> Psychiater Bertrand<br />

Flöttmann <strong>de</strong>n „Wunsch nach einem Kind“. Flöttmann (2005: 7) macht „das einseitige<br />

Streben nach Besitz <strong>und</strong> Vergnügen“ <strong>und</strong> <strong>de</strong>n „Geist <strong>de</strong>s Feminismus“ für<br />

die Kin<strong>de</strong>rarmut <strong>de</strong>r westlichen Welt verantwortlich. Männer <strong>und</strong> <strong>Frauen</strong> bleiben<br />

heute infantil, stellen sich nicht <strong>de</strong>n reifen Verantwortlichkeiten einer<br />

Familiengründung, sind vom Hass <strong>de</strong>s Feminismus auf Weiblichkeit, Fruchtbarkeit<br />

<strong>und</strong> pflegen<strong>de</strong> Mütterlichkeit latent durchdrungen, huldigen einer<br />

Leistungsi<strong>de</strong>ologie etc. Flöttmanns psychologisch informiertes Fazit lautet:<br />

2 Kurtz ist insofern Recht zu geben, als die Alte <strong>Frauen</strong>bewegung in Deutschland (insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r radikale Flügel)<br />

durchaus Ten<strong>de</strong>nzen zu eugenischen Positionen aufwies; auch wenn Firestone sich nicht auf diese Debatten bezieht,<br />

können ihre Positionen zur künstlichen Reproduktion, die sie als wesentlichen Schritt zur Befreiung versteht,<br />

tatsächlich in diese Tradition eingeordnet wer<strong>de</strong>n.<br />

67


68<br />

„Da <strong>de</strong>r Mensch erst durch Scha<strong>de</strong>n lernt, wer<strong>de</strong>n die Welle <strong>de</strong>r<br />

Gewalt, die Zahl <strong>de</strong>r psychiatrischen Erkrankungen <strong>und</strong> die Industrie<br />

für staatlich verordnete Zuwendung so zunehmen, daß ein neues<br />

Denken erst dann kommt, wenn die Folgen <strong>de</strong>r Verwahrlosung, <strong>de</strong>r<br />

Gefühlsarmut <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>rlosigkeit uns überschütten.“ (ebd.).<br />

Vor <strong>de</strong>r drohen<strong>de</strong>n Katastrophe bewahrt uns, Flöttmann (ebd.) zufolge, nur ein<br />

beherztes „Zurück an <strong>de</strong>n Herd“ für die <strong>Frauen</strong>. Vielleicht erscheint Flöttmanns<br />

Alarmismus, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r gängigen These vom westlichen Werteverfall huldigt, <strong>de</strong>r vor<br />

allem <strong>de</strong>m Feminismus geschul<strong>de</strong>t sei, als extrem überzogenes Beispiel, doch<br />

zeichnet <strong>de</strong>n Diskurs zum <strong>de</strong>mographischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> insgesamt eine Vorliebe für<br />

starke Worte, Begriffe <strong>und</strong> Bil<strong>de</strong>r aus... <strong>und</strong> zwar selbst für solche, die man heute<br />

nicht mehr im öffentlichen Diskurs erwarten wür<strong>de</strong>.<br />

b) Auch in <strong>de</strong>r wissenschaftlichen Debatte lassen sich Varianten <strong>de</strong>r alarmistischen<br />

Thematisierungsweise beobachten. Als <strong>de</strong>rzeit wichtigste, seriöseste Arbeit<br />

zur <strong>de</strong>mografischen Frage gilt Franz-Xaver Kaufmanns (2005) „Schrumpfen<strong>de</strong><br />

Gesellschaft“, 2005 in <strong>de</strong>r edition suhrkamp erschienen. Auch dieser Text, <strong>de</strong>r<br />

wissenschaftliche Klarheit <strong>und</strong> Ernsthaftigkeit für sich beansprucht, scheut keine<br />

starken Worte. So spricht Kaufmann (2005: 53, 62, 14, 17, 25, 47) von <strong>de</strong>r<br />

„Wucht <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mografischen Faktors“, von <strong>de</strong>r „verhängnisvolle(n) Wirkung<br />

eines langfristigen Bevölkerungsrückgangs“, bescheinigt <strong>de</strong>r Bevölkerungsentwicklung<br />

„fehlen<strong>de</strong> Nachhaltigkeit“, prognostiziert eine „Verschlechterung<br />

<strong>de</strong>r Standortbedingungen“, sieht die „Verletzung intergenerationeller Gerechtigkeit“<br />

<strong>und</strong> spricht von <strong>de</strong>r „<strong>de</strong>mografische(n) Alterslast“.<br />

Auch wenn die Begriffe auf <strong>de</strong>n ersten Blick nicht so drastisch ausfallen wie bei<br />

Flöttmann, so will auch Kaufmann mit seinem Text erhöhte Aufmerksamkeit<br />

erzeugen. In ökonomischer Sprache diskutiert <strong>de</strong>r Soziologe Kaufmann<br />

(2005: 48, 29, 73, 75) die <strong>de</strong>mografische Frage als „Fertilitätsabbruch“,<br />

Problem <strong>de</strong>s „Humanvermögen(s)“ bzw. <strong>de</strong>s „Humankapital(s)“; die niedrige<br />

Fertilität produziert, so Kaufmann, eine „Investitionslücke“. In neoliberaler<br />

Diktion heißt es als kursivierter Merksatz:<br />

„Die ‚Investitionslücke’ in das <strong>de</strong>utsche Humankapital infolge <strong>de</strong>r<br />

unter <strong>de</strong>m Reproduktionsniveau liegen<strong>de</strong>n Fertilität während <strong>de</strong>r<br />

letzten dreißig Jahre darf also in erster Annäherung auf min<strong>de</strong>stens<br />

4800 Milliar<strong>de</strong>n DM o<strong>de</strong>r 2500 Milliar<strong>de</strong>n Euro geschätzt wer<strong>de</strong>n.“<br />

(Kaufmann 2005: 82, Herv. i. O.).


Die Folgen sind, laut Kaufmann (2005: 92, 101, 107, 109, 113), gravierend:<br />

„Beschäftigungs- <strong>und</strong> Wohlstandsverluste(n)“, „erbitterte(n) Verteilungskämpfe(n)“,<br />

„Deindustrialisierung“, „soziale Desorganisation“, „Verfall <strong>de</strong>r<br />

Bauten“, „Verelendung“, „wachsen<strong>de</strong>(r) Kriminalität“, „soziale(r) Erstarrung“,<br />

„strukturelle Sklerose“ – <strong>und</strong> all diese Effekte verstärken sich wechselseitig.<br />

Kaufmann schreckt schließlich nicht davor zurück, ein Huntington´sches<br />

Szenario (allerdings ohne einschlägigen Verweis (vgl. Huntington 1997)) vom<br />

Kampf <strong>de</strong>r Kulturen zu skizzieren: junge Staaten mit hohen Geburtenraten <strong>und</strong><br />

nicht-westlichen kulturellen Orientierungen gegen die altern<strong>de</strong>n europäischen<br />

Gesellschaften – Migrationsdruck <strong>und</strong> Kriegsdrohungen inklusive (vgl.<br />

Kaufmann 2005: 58 f.). Gegen diese Gefahren <strong>und</strong> gegen die (Teil-)Kompensation<br />

<strong>de</strong>s Geburtenrückgangs durch Einwan<strong>de</strong>rung hält Kaufmann, in seiner<br />

Argumentation logisch, die formal nationalstaatlich <strong>und</strong> politisch-kulturell<br />

geprägte kollektive I<strong>de</strong>ntität hoch (vgl. Kaufmann 2005: 25 f.); die Perspektive<br />

von Bevölkerungsberechnungen darf also nicht europäisch o<strong>de</strong>r gar global sein,<br />

sie hat nationalstaatlich zu sein. Während in <strong>de</strong>r avancierten Demokratietheorie<br />

zur Transnationalisierung das Konstrukt „kollektive I<strong>de</strong>ntität“ unter heftigen<br />

argumentativen Druck geraten ist (vgl. exemplarisch Habermas 1998), versteigt<br />

sich Kaufmann (2005: 25, 27) gar zum Begriff <strong>de</strong>s „Schicksalraum(s)“, <strong>de</strong>r für<br />

seine Fragen relevant sei (wenn auch zunächst in Anführungszeichen <strong>und</strong> mit<br />

erklären<strong>de</strong>r Anmerkung, zwei Seiten weiter aber bereits ohne einschränken<strong>de</strong><br />

Zusätze, son<strong>de</strong>rn im Gegenteil mit <strong>de</strong>r üblichen Hervorhebung durch<br />

Kursivierung). Die „kollektive I<strong>de</strong>ntität“ eines Lan<strong>de</strong>s, <strong>de</strong>r „Schicksalsraum“<br />

seiner Bevölkerung, wer<strong>de</strong>n bei Kaufmann zum Bezugsrahmen für bevölkerungspolitische<br />

Überlegungen. Kaufmanns (2005: 196) politisches Gebot muss folglich<br />

lauten: „Je<strong>de</strong>r <strong>und</strong> je<strong>de</strong>“ haben entwe<strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r zu erziehen o<strong>de</strong>r Ersparnisse zu<br />

bil<strong>de</strong>n – dafür muss <strong>de</strong>r jeweilige Nationalstaat heute vorrangig sorgen. In Bezug<br />

auf das Geschlechterverhältnis kann jedoch ausdrücklich vermerkt wer<strong>de</strong>n, dass<br />

Kaufmann (2005: 146 ff.) wi<strong>de</strong>r Erwarten eine engagierte Kritik <strong>de</strong>s<br />

Paternalismus in Deutschland vorträgt <strong>und</strong> damit nicht <strong>de</strong>m allgegenwärtigen<br />

Trend folgt, das heutige Verhalten von <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong>/o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Feminismus zum<br />

eigentlichen Problem zu erklären.<br />

Ein an<strong>de</strong>rer Wissenschaftler ist ebenfalls in <strong>de</strong>r aktuellen Debatte stets präsent:<br />

Bevölkerungsforscher Herwig Birg, <strong>de</strong>n Dieter Oberndörfer (2005: 1482) „<strong>de</strong>n<br />

gegenwärtigen ‚medialen Superstar’ <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Demografie“ nennt <strong>und</strong> entsprechend<br />

scharf kritisiert. Birgs alarmistische Argumente basieren auf krassen<br />

Rechnungen, die möglichst drastische Zahlen erzeugen. So gelingt es Birg<br />

(2003: 8, 12) in einem kurzen Aufsatz, die Spannbreite <strong>de</strong>r Hochrechnungen<br />

gleichzeitig weit unter <strong>und</strong> weit über die seriösen Mo<strong>de</strong>lle zu treiben, beispielsweise<br />

die Zahl 22,4 Millionen Deutsche für das Jahr 2100 zu errechnen (ohne<br />

69


Ausgleich durch Wan<strong>de</strong>rungen) o<strong>de</strong>r mit einem benötigten Ausgleich (<strong>de</strong>s<br />

„Altenquotienten“) durch 188 Millionen junge Zuwan<strong>de</strong>rInnen bis 2050 zu<br />

drohen (vgl. auch die fast i<strong>de</strong>ntischen Zahlen in Birg 2005: 98, 117, 177). Bei<strong>de</strong><br />

Entwicklungen können dazu führen, dass Deutschland seine „weltweit bew<strong>und</strong>erte<br />

Kultur“ (Birg 2003: 16) verliert. Bei Birg scheinen die Zahlen selbst<br />

Alarmismus zu generieren. Dass Birg nicht nur im wissenschaftlichen, son<strong>de</strong>rn<br />

auch im populärwissenschaftlichen Diskurs eine wichtige Rolle spielt, lässt sich<br />

an einem aktuellen Zeitungsinterview ablesen, in <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r viel beschäftigte<br />

Experte folgen<strong>de</strong>n Satz prägt: „Man re<strong>de</strong>t über <strong>de</strong>n <strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> wie<br />

über ein Kätzchen, das auf Samtpfoten daherkommt. Er gleicht aber einem<br />

gefährlichen Raubtier mit fürchterlichen Krallen.“ (Frankfurter R<strong>und</strong>schau,<br />

26.06.06).<br />

Üblicherweise jedoch gibt sich Herwig Birg (2005), wie in seinem seit 2001<br />

mehrfach aufgelegten Buch „Die <strong>de</strong>mografische Zeitenwen<strong>de</strong>“ ersichtlich, als<br />

Wissenschaftler, <strong>de</strong>r sich mit einer Fülle von Daten, Tabellen, Schaubil<strong>de</strong>rn auf<br />

die Objektivität <strong>de</strong>r Wissenschaft Demografie verpflichtet. Bis zum zwölften<br />

Kapitel <strong>de</strong>s Textes, das mit „Demografie <strong>und</strong> Politik“ (Birg 2005: 194) überschrieben<br />

ist, bleiben die Argumente, abgesehen von <strong>de</strong>r auch bei Birg (2005: 39,<br />

123) explizit nationalen <strong>und</strong> implizit Huntington’schen Perspektive, vergleichsweise<br />

unauffällig wohlmeinend ge<strong>de</strong>utet angesichts <strong>de</strong>r explizit formulierten<br />

nationalistischen Position. Doch das zwölfte Kapitel ist eine kru<strong>de</strong>, be<strong>de</strong>nkliche,<br />

seltsame Mischung aus Gedanken zur Aufklärung, Verantwortung, Infantilisierung,<br />

Einwan<strong>de</strong>rung, Integration, Demokratie <strong>und</strong> nicht vorhan<strong>de</strong>nen Gewaltenteilung,<br />

zur wenig anerkannten Wissenschaft Demografhie, zum Holocaust,<br />

Gesellschaftsvertrag, Konstruktivismus <strong>und</strong> Rassismus, zu Niklas Luhmanns<br />

Unkenntnis etc. (vgl. Birg 2005: 194-206). Die Problematik <strong>de</strong>r Argumentation<br />

ist allerdings noch steigerbar <strong>und</strong> erreicht ihren Höhepunkt im abschließen<strong>de</strong>n<br />

dreizehnten Kapitel zur Ethik (vgl. Birg 2005: 207-218), in <strong>de</strong>m mit Immanuel<br />

Kant <strong>und</strong> Hans Jonas gleichsam ein Kategorischer Fortpflanzungsimperativ<br />

behauptet, bestritten <strong>und</strong> letztlich doch unterstellt wird. Unklar ist, wie die schillern<strong>de</strong>n<br />

Sätze zu verstehen sind, die einen Einblick in die Denkweise Birgs geben:<br />

70<br />

„Die Maxime Kants wäre z.B. verletzt, wenn das Fortpflanzungsverhalten<br />

<strong>de</strong>r jüngeren <strong>Frauen</strong>jahrgänge in Deutschland auf die<br />

gesamte Menschheit übertragen wür<strong>de</strong>. Wenn sich alle <strong>Frauen</strong> <strong>de</strong>r<br />

Welt so verhielten wie jenes Drittel zeitlebens kin<strong>de</strong>rlos bleiben<strong>de</strong>r<br />

<strong>Frauen</strong> unter <strong>de</strong>n 1965 <strong>und</strong> später geborenen Jahrgängen in<br />

Deutschland, wäre die Er<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>m Hinschei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s zuletzt<br />

geborenen Menschen, also in etwa 120 Jahren, menschenleer.“ (Birg<br />

2005: 208). Einige Seiten weiter heißt es: „...daß einige Menschen


auf Kosten an<strong>de</strong>rer kin<strong>de</strong>rlos bleiben könnten ... Das wäre so, als ob<br />

es für einen Teil <strong>de</strong>r Gesellschaft erlaubt wäre, die Gesetze zu mißachten<br />

<strong>und</strong> z.B. Steuern zu hinterziehen, vorausgesetzt, daß die<br />

an<strong>de</strong>ren Steuern zahlen <strong>und</strong> darüber hinaus freiwillig gemeinnützige<br />

Spen<strong>de</strong>n leisten ...“ (Birg 2005: 216).<br />

Eine gewisse Undurchsichtigkeit <strong>de</strong>s Textes, die aus <strong>de</strong>r Unsystematik <strong>de</strong>r<br />

Argumentation erwächst, bleibt bestehen. Man weiß nicht so recht, für welches<br />

Anliegen Birg an welchem Punkt seiner Überlegungen jeweils streitet. Gewiss ist<br />

immerhin, dass <strong>de</strong>r Bevölkerungsforscher sein Fach für gera<strong>de</strong>zu skandalös<br />

marginalisiert hält <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Nationalsozialismus in keiner Weise als akzeptable<br />

Legitimation dafür betrachtet.<br />

Wie aus <strong>de</strong>n exemplarischen Beispielen <strong>de</strong>utlich gewor<strong>de</strong>n sein sollte, gilt vor<br />

allem <strong>de</strong>n populärwissenschaftlich argumentieren<strong>de</strong>n ProtagonistInnen <strong>de</strong>r medialen<br />

Demografie-Debatte <strong>de</strong>r zeitgenössische Feminismus als Auslöser <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mografischen<br />

Frage; die Argumente sind zum Teil offen sexistisch. Der Ton ist<br />

zu<strong>de</strong>m stark kulturkritisch, <strong>de</strong>r Untergang <strong>de</strong>s Abendlan<strong>de</strong>s scheint unmittelbar<br />

vor <strong>de</strong>r Tür zu stehen. Antifeminismus <strong>und</strong> konservative Kulturkritik bil<strong>de</strong>n<br />

die Gr<strong>und</strong>lagen <strong>de</strong>s medialen Alarmismus, an <strong>de</strong>m sich Wissenschaftler mit<br />

populären Text(sort)en gerne beteiligen.<br />

In <strong>de</strong>r seriöseren wissenschaftlichen Debatte ist <strong>de</strong>r geschlechterpolitische Ton<br />

dagegen zurückhalten<strong>de</strong>r <strong>und</strong> die Argumentation orientiert sich stärker an ökonomistischen<br />

I<strong>de</strong>ologien. Dass die Emanzipationsansprüche von <strong>Frauen</strong> dazu<br />

führen können, Berufswünsche <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rwünschen vorzuziehen, wird unterstellt,<br />

doch gleichzeitig gibt es offenk<strong>und</strong>ig stellenweise schon ein Bewusstsein<br />

darüber, dass massive strukturelle Barrieren <strong>de</strong>r nach wie vor als weiblich gedachten<br />

Vereinbarkeit von Familie <strong>und</strong> Beruf entgegenstehen. Vielleicht spiegelt sich ja<br />

in <strong>de</strong>r Zurückhaltung gegenüber frauenfeindlichen Rhetoriken die Einsicht, dass<br />

nicht etwa Emanzipationswünsche, son<strong>de</strong>rn vielmehr traditionelle <strong>Frauen</strong>- <strong>und</strong><br />

Familienbil<strong>de</strong>r die Geburtenraten in Europa <strong>und</strong> vor allem hierzulan<strong>de</strong> haben<br />

sinken lassen (vgl. zweiwochendienst 211/2004: 20). Nationalistische Affekte<br />

wer<strong>de</strong>n allerdings auch im wissenschaftlichen Diskussionskontext bedient; bei<br />

diesem Motiv ist die Unterscheidung nach Textsorten nicht trennscharf.<br />

Die Politik<br />

In <strong>de</strong>r Familienpolitik hat 2002 ein Paradigmenwechsel von <strong>de</strong>r finanziellen<br />

Unterstützung von Familien, die nicht mehr weiter forciert wer<strong>de</strong>n soll, hin zum<br />

71


evölkerungspolitisch motivierten Ausbau <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>rbetreuung stattgef<strong>und</strong>en.<br />

Seit <strong>de</strong>m Beginn <strong>de</strong>r zweiten rot-grünen Legislaturperio<strong>de</strong> wird im B<strong>und</strong>esfamilienministerium<br />

unter Ministerin Renate Schmidt (SPD) eine bevölkerungsorientierte<br />

Familienpolitik betrieben. Diese wird seit 2005 von Ursula von <strong>de</strong>r<br />

Leyen (CDU), <strong>de</strong>r neuen Familienministerin <strong>de</strong>r Großen Koalition, weitergeführt.<br />

Die Familienpolitik unter <strong>de</strong>r ehemaligen Ministerin Schmidt besteht aus einem<br />

policy mix aus finanziellen Transfers, v.a. an bedürftige Familien, einer familienfre<strong>und</strong>lichen<br />

Personalpolitik <strong>de</strong>r Unternehmen <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Ausbau <strong>de</strong>r Betreuungsinfrastruktur.<br />

Auf diese Weise soll eine nachhaltige, bevölkerungsorientierte<br />

Familienpolitik umgesetzt wer<strong>de</strong>n. „Familienpolitik“, so Renate Schmidt, „kann<br />

eine höhere Geburtenrate durch bessere Rahmenbedingungen ermöglichen.“<br />

(BMFSFJ, 13.11.2004). Damit Deutschland familienfre<strong>und</strong>licher wird, hat die<br />

Ex-Familienministerin die „lokalen Bündnisse für Familien“ ins Leben gerufen,<br />

wo alle kommunalen AkteurInnen an einen Tisch geholt wer<strong>de</strong>n <strong>und</strong> vor Ort<br />

familienfre<strong>und</strong>liche I<strong>de</strong>en entwickeln <strong>und</strong> umsetzen sollen. Auch die „Allianz für<br />

die Familie“, eine Initiative zusammen mit vielen Wirtschaftsverbän<strong>de</strong>n <strong>und</strong> <strong>de</strong>m<br />

DGB, soll diesem Zweck dienen. <strong>Frauen</strong> – selten auch Männer – sollen durch<br />

flexible Arbeitszeiten, bessere Wie<strong>de</strong>reinstiegsprogramme <strong>und</strong> eine familienfre<strong>und</strong>liche<br />

Unternehmenskultur zum Kin<strong>de</strong>rkriegen motiviert wer<strong>de</strong>n (vgl.<br />

BMFSFJ/Bertelsmann Stiftung o.J.). Kernstück <strong>de</strong>r staatlichen Familienpolitik<br />

unter Schmidt ist das Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG). Für <strong>de</strong>n Ausbau <strong>de</strong>r<br />

Betreuung für unter Dreijährige wer<strong>de</strong>n seit 2005 bis zu 1,5 Mrd. Euro jährlich<br />

zur Verfügung gestellt. Bis 2010 soll ein bedarfsgerechtes Betreuungsangebot,<br />

das sind 230.000 neue Plätze für unter Dreijährige, erreicht sein. Die neue<br />

Familienministerin von <strong>de</strong>r Leyen setzt das Programm fort <strong>und</strong> droht <strong>de</strong>n<br />

Kommunen sogar mit einem Rechtsanspruch auf die Betreuung von Kin<strong>de</strong>rn<br />

ab <strong>de</strong>m zweiten Lebensjahr, falls sie kein bedarfsgerechtes Angebot an<br />

Betreuungsplätzen für Kleinkin<strong>de</strong>r bereitstellen (vgl. Koalitionsvertrag 2005).<br />

Die neue Familienministerin führt generell die pronatalistische Familienpolitik<br />

fort, in<strong>de</strong>m sie die steuerliche Absetzbarkeit von Kin<strong>de</strong>rbetreuungskosten verbessert<br />

<strong>und</strong> das einkommensabhängige Elterngeld – ein Vorschlag <strong>de</strong>r SPD,<br />

<strong>de</strong>ssen Basis das schwedische Elterngeldmo<strong>de</strong>ll ist – einführt. Für große politische<br />

<strong>und</strong> mediale Aufmerksamkeit haben die so genannten „Väter-Monate“<br />

gesorgt, die bei<strong>de</strong>n Monate also, die nicht übertragbar sein sollen. Sie sollen als<br />

Anreiz für Väter dienen, einen Teil <strong>de</strong>r Elternzeit in Anspruch zu nehmen.<br />

CDU/CSU-Politiker wie Jürgen Rüttgers o<strong>de</strong>r Norbert Geis kritisieren die<br />

Regelung als verfassungswidrig <strong>und</strong> werfen <strong>de</strong>r Familienministerin vor, sie greife<br />

in die Erziehungsfreiheit <strong>de</strong>r Eltern ein <strong>und</strong> propagiere ein einseitiges Familienleitbild:<br />

das <strong>de</strong>r Zwei-Erwerbstätigen-Familie (vgl. Frankfurter R<strong>und</strong>schau,<br />

01.12.05; 05.12.05).<br />

72


Die familienpolitischen Maßnahmen unter <strong>de</strong>n Ministerinnen Schmidt <strong>und</strong> von<br />

<strong>de</strong>r Leyen sollen potenzielle Mütter <strong>und</strong> Väter motivieren, Kin<strong>de</strong>r zu bekommen.<br />

Ein signifikanter Aktionismus fällt dabei ins Auge, schaut man sich die Grün<strong>de</strong><br />

für Kin<strong>de</strong>rlosigkeit genauer an: Für <strong>de</strong>n Rückgang <strong>de</strong>r Geburtenzahlen gibt es<br />

mehrere Erklärungen: Er kann erstens auf die Zunahme freiwilliger Kin<strong>de</strong>rlosigkeit<br />

zurückgeführt wer<strong>de</strong>n, zweitens auf uneingelöste Kin<strong>de</strong>rwünsche, die<br />

wie<strong>de</strong>rum unterschiedliche Ursachen haben können, <strong>und</strong> drittens auf die Auswirkungen<br />

später Erstgeburten. Diese haben zur Folge, dass die Zahl weiterer<br />

Geburten sinkt <strong>und</strong> das Risiko <strong>de</strong>r ungewollten Kin<strong>de</strong>rlosigkeit steigt. Insgesamt<br />

ist das Erstgeburtsalter <strong>de</strong>utlich angestiegen (vgl. Roloff 2003: 13 f.).<br />

Die zusammengefasste Geburtenziffer verharrt in Deutschland seit <strong>de</strong>n 70er<br />

Jahren auf einem niedrigen Niveau. Sie liegt <strong>de</strong>rzeit bei 1,35 Kin<strong>de</strong>rn pro Frau.<br />

Kohortenspezifische Geburtenziffern zeigen für die Geburtsjahrgänge nach 1965,<br />

dass <strong>de</strong>r Rückgang <strong>de</strong>r Zahl <strong>de</strong>r Geburten gestoppt ist (vgl. Enquête-Kommission<br />

<strong>Demografischer</strong> <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> 2002; Dorbritz 2004). In <strong>de</strong>n letzten Jahrzehnten hat<br />

die Kin<strong>de</strong>rlosigkeit in Deutschland zugenommen. In West<strong>de</strong>utschland bleibt <strong>de</strong>rzeit<br />

fast ein Viertel <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> kin<strong>de</strong>rlos, in Ost<strong>de</strong>utschland knapp 11% (vgl.<br />

BMFSFJ 2003). Der Anteil <strong>de</strong>r kin<strong>de</strong>rlosen Aka<strong>de</strong>mikerinnen liegt – an<strong>de</strong>rs als<br />

die Medien lange Zeit berichteten – je nach Datenbasis bei einem Viertel bis<br />

einem Drittel (vgl. Schmitt/Winkelmann 2005; Wirth/Dümmler 2004).<br />

Kin<strong>de</strong>r kosten Geld. Dementsprechend versuchen Paare zunächst, sich eine finanzielle<br />

Basis zu schaffen, bevor sie Kin<strong>de</strong>r bekommen. Arbeitslosigkeit, befristete<br />

Beschäftigungsverhältnisse o<strong>de</strong>r niedrige Einkommen verzögern <strong>de</strong>n Prozess <strong>de</strong>r<br />

Familiengründung. Dies gilt insbeson<strong>de</strong>re für Männer, die sich eine ökonomische<br />

Basis <strong>und</strong> eine finanzielle Stabilität wünschen, bevor sie Kin<strong>de</strong>r haben wollen<br />

(vgl. Schmitt/Winkelmann 2005; Tölke/Diewald 2003).<br />

Bei <strong>de</strong>n <strong>Frauen</strong> wirken sich eine qualifizierte Ausbildung, die gestiegene<br />

Erwerbsbeteiligung <strong>und</strong> das Emporklettern auf <strong>de</strong>r Karriereleiter in stärkerem<br />

Maße kin<strong>de</strong>rhemmend aus als bei Männern. Viele <strong>Frauen</strong> schieben ihre<br />

Kin<strong>de</strong>rwünsche aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r schwierigen Vereinbarkeit von Beruf <strong>und</strong> Elternschaft<br />

hinaus (vgl. Schmitt/Winkelmann 2005; Dienel 2003). Dazu tragen eine<br />

karrierefeindliche Unternehmenspolitik <strong>und</strong> fehlen<strong>de</strong> Kin<strong>de</strong>rbetreuungseinrichtungen<br />

bei. Es bedarf allerdings eines <strong>de</strong>utlichen Ausbaus an Kin<strong>de</strong>rbetreuungseinrichtungen,<br />

um Paare zu einer früheren Familiengründung zu<br />

motivieren, hat eine Studie zu <strong>de</strong>n Auswirkungen <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>rbetreuungsangebots<br />

auf Fertilitätsentscheidungen ergeben (vgl. Hank u.a. 2003).<br />

73


Neben <strong>de</strong>m Vereinbarkeitsproblem ist auch das starke konservative Mutterleitbild<br />

in Deutschland zu erwähnen, das <strong>Frauen</strong> zu Rabenmüttern macht, wenn sie<br />

gleichzeitig berufliche Karriereambitionen haben. Auch wenn sich mittlerweile<br />

ein geschlechterkultureller Leitbildwan<strong>de</strong>l hin zur mo<strong>de</strong>rnisierten Versorgerehe<br />

vollzogen hat, besteht die „I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r privaten Kindheit“ <strong>und</strong> <strong>de</strong>r „Zuständigkeit <strong>de</strong>s<br />

Elternhauses für die Kin<strong>de</strong>rbetreuung“ bis heute fort (Pfau-Effinger 2000: 124).<br />

Mütter sollen <strong>und</strong> wollen ihre (kleinen) Kin<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st halbtags zu Hause<br />

betreuen. Erwerbsunterbrechungen <strong>und</strong> Teilzeitarbeit prägen daher die Erwerbsbiographien<br />

von Müttern. Durch institutionelle Rahmenbedingungen wie<br />

beispielsweise <strong>de</strong>n Rechtsanspruch auf einen Halbtags-Kin<strong>de</strong>rgartenplatz für<br />

über Dreijährige o<strong>de</strong>r das Ehegattensplitting wird dieses mo<strong>de</strong>rnisiere<br />

Geschlechter-Arrangement <strong>de</strong>r Hauptverdienerehe mit Zuverdienerin verfestigt<br />

(vgl. Auth 2002).<br />

Kin<strong>de</strong>rlosigkeit ist auch eine Folge <strong>de</strong>r Zunahme von Partnerlosigkeit <strong>und</strong> instabilen<br />

Partnerschaften, <strong>de</strong>nn eine (stabile) Partnerschaft ist in <strong>de</strong>r Regel die<br />

Voraussetzung für Kin<strong>de</strong>r. SOEP-Daten zufolge sind von <strong>de</strong>n Geburtskohorten<br />

1961-1970 ca. 44% <strong>de</strong>r kin<strong>de</strong>rlosen Männer ohne Partnerin. Bei <strong>de</strong>n <strong>Frauen</strong> ist es<br />

„nur“ gut ein Viertel (vgl. Schmitt/Winkelmann: 2005).<br />

Fehlen<strong>de</strong> PartnerInnen sowie instabile Partnerschaften, die karrierefeindliche<br />

Politik vieler Unternehmen gegenüber <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong> Müttern, ein konservatives<br />

Familienleitbild, Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> wirtschaftliche Unsicherheiten sowie<br />

bewusste Kin<strong>de</strong>rlosigkeit tragen dazu bei, dass weniger Kin<strong>de</strong>r in Deutschland<br />

geboren wer<strong>de</strong>n. Angesichts dieses Ursachenbün<strong>de</strong>ls wirkt die geburtenför<strong>de</strong>rn<strong>de</strong><br />

Familienpolitik aktionistisch <strong>und</strong> hilflos:<br />

Männer <strong>und</strong> <strong>Frauen</strong>, die in instabilen Partnerschaften leben o<strong>de</strong>r Singles<br />

sind, erreicht man mit <strong>de</strong>m Ausbau von Kin<strong>de</strong>rbetreuungseinrichtungen –<br />

selbst für unter Dreijährige – nicht.<br />

Karriereorientierten <strong>Frauen</strong> nützt es für ihr berufliches Fortkommen nichts,<br />

wenn die steuerliche Absetzbarkeit von Kin<strong>de</strong>rbetreuungskosten verbessert<br />

wird.<br />

Ein bewusst kin<strong>de</strong>rloses Paar wird we<strong>de</strong>r durch finanzielle Transfers noch<br />

durch weitere Kin<strong>de</strong>rbetreuungseinrichtungen motiviert, Kin<strong>de</strong>r zu bekommen.<br />

Und wenn Männer sich aufgr<strong>und</strong> fehlen<strong>de</strong>r finanzieller <strong>und</strong> sozialer<br />

Planungssicherheit gegen Kin<strong>de</strong>r entschei<strong>de</strong>n, lassen sie sich we<strong>de</strong>r durch<br />

erweiterte Teilzeitmöglichkeiten während <strong>de</strong>r Elternzeit noch durch ein einkommensorientiertes<br />

einjähriges Elterngeld umstimmen.<br />

74


Diese Beispiele zeigen, dass die meisten Grün<strong>de</strong> für Kin<strong>de</strong>rlosigkeit nicht o<strong>de</strong>r<br />

nur bedingt politisch beeinflussbar sind. Das konservative Mutterleitbild sowie<br />

die fehlen<strong>de</strong>n Zukunftsperspektiven infolge wirtschaftlicher Unsicherheiten<br />

hängen von gesamtgesellschaftlichen <strong>und</strong> ökonomischen Entwicklungen ab, die<br />

nur zum Teil <strong>und</strong> nicht im Rahmen <strong>de</strong>r Familienpolitik politisch steuerbar sind.<br />

Die Vereinbarkeit von Beruf <strong>und</strong> Familie wird nicht nur von rechtlichen<br />

Regelungen zu Elternzeit, Teilzeitarbeit <strong>und</strong> Kin<strong>de</strong>rbetreuungseinrichtungen<br />

beeinflusst, son<strong>de</strong>rn vor allem von unternehmerischen Auffassungen von karriereadäquatem<br />

Verhalten.<br />

Bei<strong>de</strong> Familienministerinnen setzen in Bezug auf die Vereinbarkeit von Kind <strong>und</strong><br />

Karriere auf weiche Instrumente, wie die „lokalen Bündnisse für Familie“ <strong>und</strong> die<br />

„Allianz für die Familie“. Hier wird zwar an einer richtigen Stelle angesetzt, doch<br />

<strong>de</strong>r Ansatz wird erst langfristig Wirkung zeigen <strong>und</strong> das auch nur dann, wenn die<br />

Unternehmen <strong>de</strong>n Leitbildwan<strong>de</strong>l tatsächlich vollziehen. Gleichstellungspolitisch<br />

ist weiter kritisch einzuwen<strong>de</strong>n, dass einerseits Männer bzw. (potenzielle) Väter<br />

nach wie vor zu wenig in <strong>de</strong>n gesellschaftlichen <strong>und</strong> unternehmerischen Diskurs<br />

einbezogen <strong>und</strong> dass an<strong>de</strong>rerseits <strong>Frauen</strong> auf ihre Mutterrolle reduziert wer<strong>de</strong>n.<br />

Um die Vereinbarkeit von beruflicher Karriere <strong>und</strong> Familie zu verwirklichen, sind<br />

zu<strong>de</strong>m Kin<strong>de</strong>rbetreuungseinrichtungen notwendig. Insofern unterstützt das TAG<br />

die Erwerbstätigkeit von Müttern, wobei <strong>de</strong>r Ausbau vermutlich zu langsam voranschreitet,<br />

um tatsächlich Auswirkungen auf die Geburtenrate zu haben.<br />

Eine bevölkerungsorientierte Familienpolitik setzt weiterhin voraus, dass das<br />

Gebärverhalten generell steuerbar ist. Historische Vergleiche zeigen aber, dass die<br />

Steuerungsfähigkeit <strong>de</strong>s Gebärverhaltens sehr begrenzt ist (vgl. Willenbacher<br />

2007; Roloff 2007). Wenn überhaupt, dann können <strong>Frauen</strong> (<strong>und</strong> Männer) motiviert<br />

wer<strong>de</strong>n, ihre (gewünschten) Kin<strong>de</strong>r früher zu bekommen. Das kohortenspezifische<br />

Gebärverhalten ist <strong>de</strong>mgegenüber erstaunlich konstant. Aus Län<strong>de</strong>rvergleichen<br />

kann man lernen, dass politische Maßnahmen alleine nicht<br />

ausreichen, um das Gebärverhalten zu beeinflussen (vgl. Onnen-Isemann 2007<br />

für Frankreich <strong>und</strong> Neyer 2004 für die nordischen Län<strong>de</strong>r). Individuelle <strong>und</strong> familiale<br />

Entscheidungsprozesse sind komplex <strong>und</strong> wer<strong>de</strong>n min<strong>de</strong>stens im Kontext<br />

(1) ökonomischer Gegebenheiten, (2) kultureller Leitbil<strong>de</strong>r <strong>und</strong> (3) institutioneller<br />

Rahmenbedingungen getroffen.<br />

Alarmismus <strong>und</strong> Aktionismus<br />

Was be<strong>de</strong>uten die Bevölkerungs-Hochrechnungen für die Politik? Die politischen<br />

Optionen wer<strong>de</strong>n sehr unterschiedlich ausfallen, je nach<strong>de</strong>m, ob man von <strong>de</strong>r<br />

75


Zahl 67 Millionen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Zahl 81 Millionen ausgeht, also von einer erheblichen<br />

Abnahme <strong>de</strong>r Bevölkerung o<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Hoffnung auf eine doch noch stabile<br />

Entwicklung auf heutigem Niveau (Wachstumsoptionen wer<strong>de</strong>n nicht in Betracht<br />

gezogen). Das Steuerungsinstrumentarium ist beschränkt: Formen positiver<br />

Diskriminierung wie Geldleistungen, Rentenvorteile <strong>und</strong> Betreuungsgarantien<br />

haben bislang nicht zum Erfolg geführt, die Summe von vielen Milliar<strong>de</strong>n Euro<br />

familienbezogener Leistungen jährlich hat die seit Jahrzehnten niedrige<br />

Geburtenrate nicht in die Höhe schnellen lassen. Offensichtlich sollen die<br />

Geburtenraten nun an<strong>de</strong>rs gesteigert wer<strong>de</strong>n – durch die alarmistische Struktur<br />

<strong>de</strong>r öffentlichen Debatte über <strong>de</strong>n <strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> in Deutschland <strong>und</strong><br />

durch eine alarmistisch inspirierte aktionistische Familienpolitik, in <strong>de</strong>ren<br />

Mittelpunkt nicht die Wünsche von <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong> Männern stehen, son<strong>de</strong>rn ökonomische<br />

<strong>und</strong> bevölkerungspolitische Zielsetzungen. Die konkret ergriffenen<br />

Maßnahmen gehen aber entwe<strong>de</strong>r an <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n für Kin<strong>de</strong>rlosigkeit vorbei<br />

o<strong>de</strong>r sie stehen isoliert in einem sozio-ökonomischen <strong>und</strong> politischen Klima, das<br />

von prekärer Beschäftigung, ökonomischer Planungsunsicherheit, veralteten<br />

Mütterleitbil<strong>de</strong>rn <strong>und</strong> weiblichen Karrierehemmnissen geprägt ist. Familienpolitische<br />

Maßnahmen wer<strong>de</strong>n ohne ausreichen<strong>de</strong> Ursachenforschung ergriffen –<br />

es han<strong>de</strong>lt sich um pronatalistischen Aktionismus in einem alarmistisch geprägten<br />

Diskurs.<br />

Unter <strong>de</strong>m Dach <strong>de</strong>r Bevölkerungspolitik wird Familien- <strong>und</strong> Gleichstellungspolitik<br />

betrieben, aber zwischen <strong>de</strong>n drei Politikfel<strong>de</strong>rn „knirscht“ es. Sie<br />

verfolgen jeweils eigene Zielsetzungen, die sich überschnei<strong>de</strong>n können, oft aber<br />

im Konflikt miteinan<strong>de</strong>r stehen. Sie betreffen immer <strong>Frauen</strong>, aber in unterschiedlicher<br />

Weise: In <strong>de</strong>r Bevölkerungspolitik wer<strong>de</strong>n <strong>Frauen</strong> als Gebären<strong>de</strong> instrumentalisiert,<br />

in <strong>de</strong>r Familienpolitik wer<strong>de</strong>n sie auf ihr Muttersein reduziert. Auch<br />

wenn die familienpolitischen Ansätze unter <strong>de</strong>n Ministerinnen Schmidt <strong>und</strong> von<br />

<strong>de</strong>r Leyen, vor allem <strong>de</strong>r Ausbau von Kin<strong>de</strong>rbetreuungsplätzen für unter Dreijährige<br />

<strong>und</strong> das Elterngeld, gleichstellungspolitisch zu befürworten sind, bleiben<br />

sie <strong>de</strong>nnoch Nebenprodukt einer pronatalistischen Familienpolitik. Die bevölkerungspolitische<br />

Instrumentalisierung <strong>und</strong> Ökonomisierung <strong>de</strong>r Familienpolitik<br />

(bei gleichzeitiger Marginalisierung <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong>- <strong>und</strong> Gleichstellungspolitik) wird<br />

aber erstens nicht funktionieren, weil „Menschen noch nie einem Staat zuliebe<br />

Kin<strong>de</strong>r gehabt haben“ (Roloff 2003: 87); zweitens ist sie gesellschaftlich äußerst<br />

be<strong>de</strong>nklich: Wo ist eigentlich die Grenze zwischen <strong>de</strong>r Erfüllung existieren<strong>de</strong>r<br />

Kin<strong>de</strong>rwünsche <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Druck auf <strong>Frauen</strong>, Kin<strong>de</strong>r zu gebären? In <strong>de</strong>r aktuellen<br />

Mischung aus aktionistischer Politik <strong>und</strong> alarmistischem Diskurs verschwimmen<br />

tatsächlich die Grenzen zwischen positiven (materiellen) Anreizen <strong>und</strong> sanktionieren<strong>de</strong>r<br />

öffentlicher Debatte. Was <strong>de</strong>m politischen Aktionismus an Druckpotenzial<br />

fehlt, wird durch <strong>de</strong>n diskursiven Alarmismus generiert.<br />

76


Literaturverzeichnis<br />

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77


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Budrich, i.E.<br />

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78


Praxis<br />

Andreas Mittrowann, Kerstin Schmidt, Carsten Große Starmann<br />

Fit für <strong>de</strong>n <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>:<br />

Bertelsmann Stiftung startet Schulungsprogramm<br />

für kommunale Entschei<strong>de</strong>r<br />

Der <strong>de</strong>mografische <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> ist für die Städte <strong>und</strong> Gemein<strong>de</strong>n ein Thema mit<br />

hoher strategischer Be<strong>de</strong>utung, <strong>de</strong>nn in <strong>de</strong>n Kommunen wer<strong>de</strong>n die Auswirkungen<br />

am stärksten zu spüren sein. Immer weniger Kin<strong>de</strong>r, eine zunehmend<br />

ältere Bevölkerung <strong>und</strong> starke inner<strong>de</strong>utsche Wan<strong>de</strong>rungsbewegungen führen<br />

in <strong>de</strong>n Städten <strong>und</strong> Gemein<strong>de</strong>n zu tiefgreifen<strong>de</strong>n Än<strong>de</strong>rungen. Aus diesem<br />

Gr<strong>und</strong> ist es wichtig, dass die Zukunftsplanung <strong>de</strong>r Kommunen bereits heute <strong>und</strong><br />

nicht erst in einigen Jahren an <strong>de</strong>n absehbaren Entwicklungen ausgerichtet<br />

<strong>und</strong> kommunale Zukunft neu gedacht wird. Daraus resultieren wichtige<br />

Fragestellungen:<br />

Wie entwickelt sich unsere Kommune bis zum Jahr 2020 <strong>und</strong> darüber<br />

hinaus?<br />

Welche konkreten Verän<strong>de</strong>rungen wer<strong>de</strong>n lokal spürbar sein?<br />

Welche Handlungsfel<strong>de</strong>r haben in unserer Kommune höchste Priorität?<br />

Was kann konkret getan wer<strong>de</strong>n?<br />

79


Transparenz schaffen – Handlungsmöglichkeiten aufzeigen<br />

Antworten auf diese Fragen gibt <strong>de</strong>r Wegweiser <strong>Demografischer</strong> <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong><br />

(www.wegweiser<strong>de</strong>mographie.<strong>de</strong>) <strong>de</strong>r Bertelsmann Stiftung. Er verbin<strong>de</strong>t<br />

umfangreiches Analysematerial mit konkreten Handlungsempfehlungen für die<br />

Arbeit vor Ort. Als ein kommunales Frühwarn- <strong>und</strong> Informationssystem stellt <strong>de</strong>r<br />

Wegweiser in einem frei zugänglichen Internetportal für alle <strong>de</strong>utschen Städte<br />

<strong>und</strong> Gemein<strong>de</strong>n mit mehr als 5.000 Einwohnern viele wichtige Informationen zur<br />

Verfügung:<br />

52 Indikatoren zu <strong>de</strong>n Politikfel<strong>de</strong>rn Demografische Entwicklung, Soziale<br />

Lage, Wohnen sowie Wirtschaft <strong>und</strong> Arbeit<br />

eine kleinräumige Bevölkerungsprognose<br />

individuelle Demografieberichte<br />

die Beschreibung von 15 Demografietypen – inklusive spezifischer<br />

Empfehlungen für je<strong>de</strong>n Typ<br />

Darüber hinaus ist es Ziel <strong>de</strong>r Bertelsmann Stiftung, die Verantwortlichen in <strong>de</strong>r<br />

Kommunalpolitik <strong>und</strong> im kommunalen Management für die Herausfor<strong>de</strong>rungen<br />

<strong>de</strong>r <strong>de</strong>mografischen Verän<strong>de</strong>rungen zu stärken.<br />

Drei Trainingsmodule<br />

Eine Befragung durch infas Sozialforschung, die von <strong>de</strong>r Bertelsmann Stiftung<br />

in Auftrag gegeben war, bestätigt: 77 Prozent <strong>de</strong>r kommunalen Entschei<strong>de</strong>r/innen<br />

nannten das Thema „<strong>Demografischer</strong> <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>“ als wünschenswerten Fortbildungsinhalt.<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong> wur<strong>de</strong> gemeinsam mit erfahrenen<br />

Trainer/innen das „Demografie-Training für kommunale Entschei<strong>de</strong>r/innen aus<br />

Politik <strong>und</strong> Verwaltung“ entwickelt. Die Demografie-Trainings umfassen drei<br />

aufeinan<strong>de</strong>r aufbauen<strong>de</strong> Module, bei <strong>de</strong>nen Praxisorientierung <strong>und</strong> Umsetzbarkeit<br />

<strong>de</strong>r Inhalte im Vor<strong>de</strong>rgr<strong>und</strong> stehen.<br />

Das erste Modul will die kommunalen Entschei<strong>de</strong>r/innen für das Thema sensibilisieren<br />

<strong>und</strong> führt gleichzeitig in <strong>de</strong>n „Wegweiser <strong>Demografischer</strong> <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>“<br />

<strong>de</strong>r Bertelsmann Stiftung ein. Konkret wer<strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong> Fragestellungen beantwortet:<br />

Was verstehen wir unter <strong>de</strong>m Begriff „<strong>Demografischer</strong> <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>“?<br />

Auf welchen Erkenntnissen können wir bereits aufbauen?<br />

Welche Entwicklungen sind irreversibel, welche beeinfluss- <strong>und</strong> gestaltbar?<br />

80


Welche Auswirkungen wird <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mografische <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> auf unsere<br />

Infrastruktur haben?<br />

Wie können wir mit entsprechen<strong>de</strong>n Kennzahlen die eigene Stadtentwicklung<br />

steuern?<br />

Was müssen wir tun, um aus <strong>de</strong>n Herausfor<strong>de</strong>rungen für unsere Kommune<br />

Chancen zu entwickeln?<br />

Das zweite Modul zeigt die kommunalen Handlungsfel<strong>de</strong>r im Kontext <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mografischen<br />

Verän<strong>de</strong>rungen auf <strong>und</strong> gibt konkrete Hilfestellungen zur Gestaltung<br />

<strong>de</strong>r Folgen. Dazu zählen unter an<strong>de</strong>rem Themen wie Kin<strong>de</strong>r- <strong>und</strong> Familienfre<strong>und</strong>lichkeit,<br />

erfolgreiche Integration von Migranten <strong>und</strong> Migrantinnen o<strong>de</strong>r<br />

kommunale Infrastrukturpolitik. Im Mittelpunkt steht die Beantwortung <strong>de</strong>r<br />

folgen<strong>de</strong>n Kernfragen:<br />

Wie setzen wir die Erkenntnisse aus <strong>de</strong>m <strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> im<br />

Interesse unseres Kreises bzw. unserer Stadt um?<br />

Welche kommunalpolitischen Themenfel<strong>de</strong>r sind beson<strong>de</strong>rs zu berücksichtigen?<br />

Welche Verbün<strong>de</strong>ten können <strong>de</strong>n Prozess stützen <strong>und</strong> för<strong>de</strong>rn?<br />

Welche Hin<strong>de</strong>rnisse sind zu erwarten, <strong>und</strong> wie können sie beseitigt wer<strong>de</strong>n?<br />

Welche Faktoren wirken im Umsetzungsprozess motivierend <strong>und</strong> för<strong>de</strong>rnd?<br />

Wie können Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürger am Prozess aktiv beteiligt wer<strong>de</strong>n?<br />

Das dritte Modul thematisiert die strategische Umsetzung in <strong>de</strong>r kommunalpolitischen<br />

Alltagswirklichkeit <strong>und</strong> hilft, Stärken <strong>und</strong> Schwächen <strong>de</strong>r individuellen<br />

Kommunen für die künftigen Aufgaben zu analysieren. Die Teilnehmer/<br />

innen arbeiten dazu gemeinsam an <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Fragen:<br />

Was ist strategische Steuerung?<br />

Wieso eignet sich das Thema „<strong>Demografischer</strong> <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>“ für die Einführung<br />

strategischen Managements?<br />

Mit welchen Metho<strong>de</strong>n kann eine Kommune Ziele <strong>und</strong> Handlungsoptionen<br />

für eine wünschenswerte Zukunft entwickeln?<br />

Welche kommunalen Akteure sollten in ein lokales Projekt zum <strong>de</strong>mografischen<br />

<strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> einbezogen wer<strong>de</strong>n?<br />

Wie können die Prozesse in <strong>de</strong>r Kommune gestaltet wer<strong>de</strong>n?<br />

Wie lassen sich die Erfolge wirkungsvoll kommunizieren?<br />

81


Start in vier B<strong>und</strong>eslän<strong>de</strong>rn<br />

Die Demografie-Trainings wer<strong>de</strong>n seit August 2006 in Hessen, Rheinland-<br />

Pfalz, Thüringen <strong>und</strong> im Saarland angeboten. Partner <strong>de</strong>r Bertelsmann Stiftung<br />

sind die Hessische Aka<strong>de</strong>mie für politische Bildung (www.hess-aka<strong>de</strong>mie.<strong>de</strong>)<br />

<strong>und</strong> die Aka<strong>de</strong>mie für Kommunalpolitik (www.afk-aka<strong>de</strong>mie.<strong>de</strong>), bei <strong>de</strong>nen die<br />

Trainings direkt gebucht wer<strong>de</strong>n können. Weitere B<strong>und</strong>eslän<strong>de</strong>r sind für 2007 in<br />

Planung, auch in Nordrhein-Westfalen fin<strong>de</strong>n <strong>de</strong>rzeit Gespräche mit potentiellen<br />

Partnern statt. Kernaktivität <strong>de</strong>r Stiftung ist dabei die Gesamtsteuerung, die<br />

Qualifizierung von Trainern sowie <strong>de</strong>r Transfer <strong>de</strong>r Inhalte. Bereits zwei Trainer/<br />

innen-Workshops haben stattgef<strong>und</strong>en, unterstützt durch ein passgenaues Trainerhandbuch.<br />

Darüber hinaus wird die Stiftung jährlich ein- bis zweitägige<br />

Auffrischungs-Workshops für die Trainer-/innen anbieten.<br />

Erste Erfolge<br />

Wie zufrie<strong>de</strong>n die kommunalen Entschei<strong>de</strong>r/innen mit <strong>de</strong>m Demografie-<br />

Training sind, wird mittels einer Online-Befragung am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Seminars sowie<br />

sechs Monate später durch eine Transfer-Evaluation gemessen. Das im Oktober<br />

durchgeführte erste Seminar haben die Teilnehmer/innen bei einer Antwortquote<br />

von 50 Prozent mit <strong>de</strong>r Durchschnittsnote 2,0 bewertet – eine positive Motivation<br />

für alle Beteiligten!<br />

Auch Gleichstellungsbeauftragte in Nordrhein-Westfalen können als lokale<br />

Impulsgeberinnen für die Durchführung eines Demografie-Trainings in ihrem<br />

Ort zahlreiche relevante Themen adressieren.<br />

Kontakt:<br />

Andreas Mittrowann<br />

0 52 41/81 81 192<br />

andreas.mittrowann@bertelsmann.<strong>de</strong><br />

82


www.mgffi.nrw.<strong>de</strong><br />

Links<br />

www.<strong>frauennrw</strong>.<strong>de</strong><br />

www.lds.nrw.<strong>de</strong><br />

www.engagiert-in-nrw.<strong>de</strong><br />

www.frauenbueros-nrw.<strong>de</strong><br />

www.inqa.<strong>de</strong><br />

www.wirtschaftskraft-alter.<strong>de</strong><br />

www.forum-<strong>de</strong>mographie.<strong>de</strong><br />

www.bib-<strong>de</strong>mographie.<strong>de</strong><br />

www.staedtetag.<strong>de</strong><br />

www.zdwa.<strong>de</strong><br />

www.<strong>de</strong>mografische-forschung.org<br />

www.aktion2050.<strong>de</strong><br />

www.<strong>de</strong>statis.<strong>de</strong><br />

www.bertelsmann-stiftung.<strong>de</strong><br />

www.wegweiser<strong>de</strong>mographie.<strong>de</strong><br />

www.bosch-stiftung.<strong>de</strong><br />

www.volkswagenstiftung.<strong>de</strong><br />

www.srzg.<strong>de</strong><br />

www.<strong>de</strong>mographie-online.<strong>de</strong><br />

www.<strong>de</strong>motrans.<strong>de</strong><br />

www.globalife.<strong>de</strong><br />

www.moqua.arbeit<strong>und</strong>leben.<strong>de</strong><br />

www.b-b-e.<strong>de</strong><br />

www.startsocial.<strong>de</strong><br />

www.seniortrainer.<strong>de</strong><br />

83

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