Demografischer Wandel und Frauen - Denkanstöße - frauennrw.de
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<strong>Demografischer</strong> <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>. Die Stadt, die <strong>Frauen</strong><br />
<strong>und</strong> die Zukunft.
Impressum<br />
Herausgeber<br />
Ministerium für Generationen, Familie, <strong>Frauen</strong><br />
<strong>und</strong> Integration <strong>de</strong>s Lan<strong>de</strong>s Nordrhein-Westfalen<br />
Referat Presse- <strong>und</strong> Öffentlichkeitsarbeit, Kommunikation<br />
40190 Düsseldorf<br />
www.mgffi.nrw.<strong>de</strong><br />
Koordination <strong>und</strong> Redaktion<br />
Ulrike Schultz<br />
Aka<strong>de</strong>mische Oberrätin FernUniversität in Hagen<br />
Telefon: 02331 9874215 (dienstl.)<br />
Telefon: 02331 870811<br />
Telefax: 02331 843408<br />
Gestaltung <strong>und</strong> Druck<br />
Merlin Digital GmbH, Essen<br />
POMP Druckerei <strong>und</strong> Verlag, Bottrop<br />
© 2006/MGFFI 1025<br />
Die Druckfassung kann bestellt wer<strong>de</strong>n:<br />
– im Internet: www.mgffi.nrw.<strong>de</strong>/Publikationen<br />
– telefonisch: 01803-100110<br />
C@ll-NRW (9 Cent/Min.*)<br />
(*aus <strong>de</strong>m Festnetz <strong>de</strong>r Deutschen Telekom AG)<br />
Bitte die Veröffentlichungsnummer 1025 angeben.
Kapitel 1<br />
<strong>Demografischer</strong> <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> <strong>und</strong> <strong>Frauen</strong> –<br />
<strong>Denkanstöße</strong><br />
Rita Süssmuth <strong>Frauen</strong> heute <strong>und</strong> morgen – ein Blick in die Zukunft.<br />
Zur politischen Perspektive<br />
Margot Käßmann Ethische Perspektiven beim Blick auf <strong>de</strong>n <strong>de</strong>mografischen<br />
<strong>Wan<strong>de</strong>l</strong><br />
Barbara Zibell Geschlechterverhältnisse im <strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>.<br />
Chancen <strong>und</strong> Risiken für die soziale Integration in Stadt <strong>und</strong> Region<br />
Juliane Roloff Das Alter ist weiblich – Geschlechteraspekte<br />
<strong>de</strong>s <strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>s in Deutschland<br />
Diana Auth, Barbara Holland-Cunz Alarmismus <strong>und</strong> Aktionismus.<br />
Diskurs <strong>und</strong> Politik zum <strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> in Deutschland<br />
Praxis<br />
Andreas Mittrowann, Kerstin Schmidt, Carsten Große Starmann<br />
Fit für <strong>de</strong>n <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>: Bertelsmann Stiftung startet Schulungsprogramm<br />
für kommunale Entschei<strong>de</strong>r
Rita Süssmuth<br />
<strong>Frauen</strong> heute <strong>und</strong> morgen –<br />
ein Blick in die Zukunft.<br />
Zur politischen Perspektive<br />
Der <strong>de</strong>mografische <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong><br />
Lange Zeit wur<strong>de</strong> er verdrängt, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mografische <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>. Inzwischen ist er sehr<br />
nahe gerückt <strong>und</strong> in seinen Folgen so unübersehbar, dass das Thema die Öffentlichkeit<br />
in aller Breite erreicht hat.<br />
Der Geburtenrückgang setzte Mitte <strong>de</strong>r 60er Jahre ein, wur<strong>de</strong> aber durch relativ<br />
hohe Zuwan<strong>de</strong>rung bis tief in die 90er Jahre von außen abgefe<strong>de</strong>rt <strong>und</strong> überlagert.<br />
Diese Zuwan<strong>de</strong>rungen, seien es Gastarbeiter, die Spätaussiedler, Bürgerkriegsflüchtlinge<br />
o<strong>de</strong>r Asylsuchen<strong>de</strong> sind stark zurückgegangen. Deutschland ist seit<br />
wenigen Jahren auch wie<strong>de</strong>r ein Auswan<strong>de</strong>rungsland. Außer<strong>de</strong>m fin<strong>de</strong>t eine<br />
starke Binnenwan<strong>de</strong>rung statt – von Ost nach West, aber auch in Richtung Sü<strong>de</strong>n.<br />
Kin<strong>de</strong>rgärten <strong>und</strong> Schulen wer<strong>de</strong>n geschlossen, Wohnungen stehen leer, weil <strong>de</strong>r<br />
junge Nachwuchs fehlt <strong>und</strong> die junge Generation, vor allem junge, gut ausgebil<strong>de</strong>te<br />
<strong>Frauen</strong> dorthin wan<strong>de</strong>rn, wo sie Arbeit fin<strong>de</strong>n.<br />
Deutschlands Bevölkerung altert <strong>und</strong> nimmt wegen <strong>de</strong>r geringen Geburten stetig<br />
ab. 2050 wer<strong>de</strong>n wir bei einer jährlichen Zuwan<strong>de</strong>rung von 100.000 nur noch<br />
knapp 70 Millionen sein. 2005 geborene Kin<strong>de</strong>r haben eine noch höhere<br />
19
Lebenserwartung als die Generation <strong>de</strong>r Mittelalten heute, nämlich Männer von<br />
85 <strong>und</strong> <strong>Frauen</strong> von 90 Jahren. Der Anteil <strong>de</strong>r Älteren ist weit höher als <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />
unter 20-jährigen. Bis zum Jahr 2050 wird die Zahl <strong>de</strong>r unter 20-jährigen von<br />
aktuell 17 Millionen (20%) auf 12 Millionen (16%) zurückgehen. Der Anteil <strong>de</strong>r<br />
über 60-jährigen steigt von heute 18% auf 37%, 12% wer<strong>de</strong>n 2050 älter als 80<br />
Jahre sein, heute 4%. 2050 wird je<strong>de</strong>r Dritte älter als 60 Jahre sein. Schon 2020<br />
wird <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r 50 bis 64-jährigen 40% <strong>de</strong>r potenziellen Erwerbsbevölkerung<br />
in diesem Alter sein.<br />
Die Daten lassen aufhorchen, erschrecken <strong>und</strong> verleiten auch zu einseitiger<br />
Dramatisierung. Der <strong>de</strong>mografische <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> – seit Jahrzehnten bekannt – ist zwar<br />
eine Tatsache, aber kein unabwendbares Schicksal. Statt Katastrophenszenarios<br />
brauchen wir Gestaltungsszenarios.<br />
An Erkenntnissen fehlt es in <strong>de</strong>r B<strong>und</strong>esrepublik nicht, die Umsetzung lässt auf<br />
sich warten. Zurzeit konzentriert sich fast alles auf die Altersicherungssysteme,<br />
auf Rente <strong>und</strong> Pflege, Heraufsetzung <strong>de</strong>s Renteneintrittsalters, die Versorgungsprobleme<br />
<strong>de</strong>r Älteren, <strong>de</strong>nn immer weniger Erwerbstätige, müssen die Rentner<br />
<strong>und</strong> Rentnerinnen von heute <strong>und</strong> morgen versorgen.<br />
Noch haben unsere aktuellen Probleme im sozialen Sicherungssystem mit <strong>de</strong>m<br />
<strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> wenig zu tun. Es sind Einnahmeprobleme, die mit <strong>de</strong>r<br />
hohen Arbeitslosigkeit, <strong>de</strong>m Abbau <strong>de</strong>r sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze<br />
<strong>und</strong> im Ges<strong>und</strong>heitsbereich mit <strong>de</strong>m medizinisch-technischen Fortschritt<br />
<strong>und</strong> <strong>de</strong>n entsprechend erhöhten Behandlungskosten zu tun haben. Einen erheblicher<br />
Kostenfaktor bil<strong>de</strong>te im übrigen die in <strong>de</strong>n letzten zwanzig Jahren häufige<br />
Frühverrentung, z.B. durch die Vorruhestandsregelung. Die Frühverrentung<br />
musste dringend wie<strong>de</strong>r rückgängig gemacht wer<strong>de</strong>n. Es waren nur noch 39% <strong>de</strong>r<br />
Erwerbstätigen jenseits <strong>de</strong>r Altersgrenze von 60 Jahren erwerbstätig. Inzwischen<br />
sind es wie<strong>de</strong>r 41%; <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> liegt bei 35 %. In an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn ist<br />
dieser Anteil wesentlich höher.<br />
20
<strong>Frauen</strong>leben in <strong>de</strong>mografischer Perspektive<br />
Alter<br />
Die positive Seite <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>s besteht in <strong>de</strong>r hohen durchschnittlichen<br />
Lebenserwartung <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> von 81 Jahren. Viele Ältere fühlen sich<br />
heute 10 Jahre jünger als es ihrem Alter entspricht. Die 70-jährigen fühlen sich<br />
eher wie 60-jährige. Als alt schätzen sich viele Menschen erst im Alter von<br />
75 – 80 Jahren ein. Viele wer<strong>de</strong>n gesün<strong>de</strong>r <strong>und</strong> aktiver alt als früher. Sie wollen<br />
nach <strong>de</strong>r Erwerbstätigkeit aktiv bleiben, wünschen sich flexiblere Renteneinstiegsalter,<br />
z.B. zwischen 63 <strong>und</strong> 68 Jahren wie in Finnland, mehr Altersteilzeit,<br />
flexiblere Arbeitszeitstrukturen. Ältere, gera<strong>de</strong> auch <strong>Frauen</strong>, ent<strong>de</strong>cken<br />
ganz neue, latent vorhan<strong>de</strong>ne Fähigkeiten. Sie nehmen schöpferische (gestalterische)<br />
Tätigkeiten wie Schreiben, Malen, Mo<strong>de</strong>llieren auf, sie sind kulturell,<br />
sportlich <strong>und</strong> sozial engagiert <strong>und</strong> immer häufiger sozial innovativ tätig.<br />
Auch die Wertschätzung <strong>de</strong>r Älteren ist stark ausgeprägt, sie stehen für Erfahrung<br />
<strong>und</strong> Kontinuität. Der Generationenkonflikt zeichnet sich bisher in <strong>de</strong>n Untersuchungen<br />
nicht ab. Das zeigt auch die jüngste Shell-Studie. Kritisch gesehen<br />
wer<strong>de</strong>n das <strong>de</strong>mografische Altern, das Übergewicht <strong>de</strong>r Älteren <strong>und</strong> die abnehmen<strong>de</strong><br />
Repräsentanz <strong>de</strong>r nachwachsen<strong>de</strong>n Generation.<br />
Familie <strong>und</strong> Kin<strong>de</strong>rwunsch<br />
Ehe <strong>und</strong> Familie haben nach wie vor einen hohen Stellenwert. Dies zeigt die 2005<br />
veröffentlichte Studie <strong>de</strong>s B<strong>und</strong>esinstituts für Bevölkerungsforschung (BIB):<br />
„Einstellungen zu <strong>de</strong>mografischen Trends <strong>und</strong> bevölkerungsrelevanten<br />
Politiken“. Bei <strong>de</strong>n festgestellten Wertorientierungen <strong>de</strong>r Deutschen lassen sich<br />
vier gr<strong>und</strong>legen<strong>de</strong> Dimensionen unterschei<strong>de</strong>n: 1. Partnerschaft <strong>und</strong> Kin<strong>de</strong>r;<br />
2. Selbstverwirklichung <strong>und</strong> Freizeit; 3. Gleichstellung <strong>de</strong>r Geschlechter <strong>und</strong><br />
4. Einkommen <strong>und</strong> Wohlstand.<br />
Neu sind aber die Verän<strong>de</strong>rungen in Bezug auf <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rwunsch. Die<br />
Geburtenraten liegen aktuell bei 1,34 Kin<strong>de</strong>rn je Frau. Zur Bestandserhaltung<br />
müsste dieser Wunsch bei 2,1 Kin<strong>de</strong>rn pro Frau liegen. Wir sind bisher davon ausgegangen,<br />
dass <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>rwunsch doppelt so hoch ist wie die tatsächlich geborenen<br />
Kin<strong>de</strong>r. Das trifft nicht mehr zu. 1 Nach <strong>de</strong>r Untersuchung <strong>de</strong>s BIB, ist<br />
„gewünschte Kin<strong>de</strong>rlosigkeit zu einem Teil <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>rwunsches gewor<strong>de</strong>n. Die<br />
allgemeine Wertschätzung von Familie setzt sich nicht mehr uneingeschränkt in<br />
Familiengründung um. Es wer<strong>de</strong>n heute nur noch wenig mehr Kin<strong>de</strong>r gewünscht,<br />
als man tatsächlich hat.“ Die Kin<strong>de</strong>rwünsche wer<strong>de</strong>n inzwischen auf einem sehr<br />
1 BiB, B<strong>und</strong>esinstitut für Bevölkerungsforschung beim Statistischen B<strong>und</strong>esamt. Dorbritz, Jürgen; Lessgerer, Andrea;<br />
Ruck<strong>de</strong>schel, Kerstin: Einstellungen zu <strong>de</strong>mographischen Trends <strong>und</strong> zu bevölkerungsrelevanten Politiken.<br />
Wiesba<strong>de</strong>n 2005<br />
21
niedrigen Niveau fast vollständig erfüllt. Dabei spielen die mit Kin<strong>de</strong>rn verb<strong>und</strong>enen<br />
Probleme eine wichtige Rolle. Diese sind komplexer als es die veröffentlichte<br />
Meinung nahe legt.<br />
Der Rückgang <strong>de</strong>r jüngeren Bevölkerung, die steigen<strong>de</strong> Scheidungshäufigkeit<br />
<strong>und</strong> die zunehmen<strong>de</strong> freiwillige Kin<strong>de</strong>rlosigkeit beunruhigen breite Kreise <strong>de</strong>r<br />
Bevölkerung. Die Zukunftssorge treibt die Ost<strong>de</strong>utschen noch stärker um als die<br />
West<strong>de</strong>utschen. Dabei wird die wachsen<strong>de</strong> Zahl <strong>de</strong>r unehelichen Partnerschaften<br />
<strong>und</strong> nichtehelicher Geburten nicht als besorgniserregend bewertet. Es besteht<br />
aber ein Trend, diese Probleme einseitig auf das Emanzipationsstreben, die<br />
Selbstverwirklichungswünsche <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> zurückzuführen.<br />
Erwerbstätigkeit<br />
Noch nie waren so viele gut ausgebil<strong>de</strong>te <strong>Frauen</strong> erwerbstätig, es sind heute 68%. 2<br />
Die Erwerbsquote <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> bis zum 25. Lebensjahr liegt bei 44,5%, die höchste<br />
Erwerbsquote erreichen die 45-jährigen <strong>Frauen</strong> mit 84,5%. Der <strong>de</strong>mographische<br />
<strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> erfor<strong>de</strong>rt eine noch stärkere Beteiligung <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> am Beruf, <strong>de</strong>nn<br />
das Erwerbspotenzial nimmt insgesamt aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s Bevölkerungsrückgangs in<br />
<strong>de</strong>n nächsten Jahrzehnten stark ab.<br />
Erwerbstätigkeit <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> ist heute breit akzeptiert. Die Berufsrolle <strong>de</strong>r Frau<br />
wird anerkannt, auch die gestiegenen Ausbildungskompetenzen <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> wie<br />
ihre Tätigkeit in <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nsten Tätigkeitsfel<strong>de</strong>rn. Eine Rückkehr in die<br />
alten Rollen wird nicht befürwortet. Den <strong>Frauen</strong> soll bei<strong>de</strong>s offen stehen. Aber die<br />
einseitig an die <strong>Frauen</strong> gerichteten Erwartungen in Bezug auf die Mutter- <strong>und</strong><br />
Familienrolle haben sich wenig verän<strong>de</strong>rt. Die traditionellen Geschlechterrollen<br />
unterliegen einem anhalten<strong>de</strong>n <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>, befin<strong>de</strong>n sich im Umbruch, sind aber<br />
nicht aufgelöst.<br />
Damit ergibt sich ein Dilemma: <strong>Frauen</strong> sollen mehr Kin<strong>de</strong>r bekommen, sich um<br />
die älteren Familienangehörigen kümmern, sie auch pflegen; <strong>Frauen</strong> sollen aber<br />
auch erwerbstätig sein, sich kontinuierlich weiterbil<strong>de</strong>n <strong>und</strong> öffentliche<br />
Verantwortung übernehmen.<br />
Umgekehrt wer<strong>de</strong>n Männer immer weniger als alleinige Ernährer <strong>de</strong>r Familie<br />
gesehen, <strong>und</strong> es wird erwartet, dass sie sich stärker an <strong>de</strong>r Hausarbeit beteiligen.<br />
Doch die traditionellen Familienaufgaben bleiben in hohem Maße bei <strong>de</strong>n <strong>Frauen</strong>.<br />
2 Statistisches B<strong>und</strong>esamt, Mikrozensus Fachserie 2005; Erwerbsquote <strong>Frauen</strong>: Prozentualer Anteil <strong>de</strong>r Erwerbspersonen<br />
(Erwerbstätige <strong>und</strong> Erwerbslose) an <strong>de</strong>r Gesamtheit aller Personen im erwerbsfähigen Alter (vom 15. bis 64.<br />
Lebensjahr). Rechnung: 18176/26705*100=68.06%.<br />
22
Auffällig ist, dass das <strong>Frauen</strong>bild im Westen traditioneller ist als im Osten<br />
Deutschlands. Die volle Berufstätigkeit ist für die <strong>Frauen</strong> im Osten eine<br />
Selbstverständlichkeit ebenso wie die Einfor<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>rbetreuung <strong>und</strong> die<br />
positive Einstellung dazu. Die Auffassung, dass Kin<strong>de</strong>r unter <strong>de</strong>r Erwerbstätigkeit<br />
<strong>de</strong>r Mütter lei<strong>de</strong>n <strong>und</strong> auch Schä<strong>de</strong>n davon tragen, wird im Westen viel ausgeprägter<br />
vertreten als im Osten. Das lässt sich aus <strong>de</strong>n Befragungen <strong>de</strong>s BiB ein<strong>de</strong>utig<br />
ablesen.<br />
Unter <strong>de</strong>n Befragten herrscht die Meinung vor, dass ausgeprägte Wünsche nach<br />
Selbstverwirklichung, beruflicher Karriere <strong>und</strong> voller Berufstätigkeit von Mann<br />
<strong>und</strong> Frau mit Kin<strong>de</strong>rn nicht zu vereinbaren seien o<strong>de</strong>r allenfalls nur mit einem<br />
Kind. Dabei spielt <strong>de</strong>r Einfluss <strong>de</strong>s traditionellen <strong>Frauen</strong>bilds auf die Einstellung<br />
zur eingeschränkten Vereinbarkeit Familie <strong>und</strong> Beruf eine wichtige Rolle. Das<br />
alte Bild <strong>de</strong>r notwendigen Entscheidung für Familie o<strong>de</strong>r Beruf wirkt fort <strong>und</strong><br />
geht einher mit <strong>de</strong>r Erwartung, dass <strong>Frauen</strong> im Konfliktfall ihre Erwerbstätigkeit<br />
zugunsten von Kin<strong>de</strong>rn aufgeben o<strong>de</strong>r stark reduzieren. <strong>Frauen</strong> sind <strong>und</strong> bleiben<br />
zuständig für Erziehung <strong>und</strong> für die Pflege kranker <strong>und</strong> älterer Familienangehöriger.<br />
Männer sind mit dieser Erwartung noch immer weit weniger o<strong>de</strong>r<br />
gar nicht konfrontiert. Für <strong>Frauen</strong> spielt jedoch die Vereinbarkeit von Familie <strong>und</strong><br />
Beruf eine zentrale Rolle. Die Mehrheit will bei<strong>de</strong> Lebensbereiche miteinan<strong>de</strong>r<br />
verbin<strong>de</strong>n. Dafür halten sie vorrangig Angebote an qualifizierter halb- <strong>und</strong> ganztägiger<br />
Kin<strong>de</strong>rbetreuung, familienfre<strong>und</strong>liche flexible Arbeitszeiten <strong>und</strong> Erleichterung<br />
<strong>de</strong>r Teilzeitarbeit für erfor<strong>de</strong>rlich.<br />
Chancen <strong>und</strong> Risiken <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>s:<br />
<strong>Frauen</strong> als Betroffene <strong>und</strong> Gestalterinnen<br />
Der <strong>de</strong>mografische <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> birgt Chancen <strong>und</strong> Risiken für <strong>Frauen</strong>. Die Chancen<br />
liegen in einer breiteren <strong>und</strong> höheren Beteiligung am Erwerbsleben, an gesellschaftlichen<br />
<strong>und</strong> politischen Aufgaben, an verstärkten Möglichkeiten zur<br />
Einflussnahme auf die Zukunftsgestaltung. Es ergibt sich eine Erweiterung von<br />
Optionen, mehr Partizipation. Doch diese positiv zu bewerten<strong>de</strong> Beteiligung <strong>de</strong>r<br />
Frau an allen Lebensbereichen über die alten Altersgrenzen hinaus wird zu einer<br />
individuellen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Notwendigkeit, wenn <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mografische<br />
<strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> zukunftsbezogen gestaltet wer<strong>de</strong>n soll.<br />
Wo aber liegen die Risiken?<br />
Der Blick in die Zukunft konfrontiert <strong>Frauen</strong> mit <strong>de</strong>utlich ansteigen<strong>de</strong>n<br />
Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>und</strong> Beanspruchungen. Dahinter bleiben die Perspektiven zur<br />
23
Entlastung <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> erschreckend <strong>de</strong>utlich zurück. Ohne Entlastungen wer<strong>de</strong>n<br />
die Konflikte für die <strong>Frauen</strong>, auch in <strong>de</strong>n Geschlechterbeziehungen in unverantwortlicher<br />
Weise zunehmen.<br />
Diejenigen, die <strong>de</strong>n Rückgang <strong>de</strong>r Geburten auf übertriebene Selbstverwirklichungs-<br />
<strong>und</strong> Emanzipationsinteressen <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> zurückführen, machen es<br />
sich zu einfach. Es gibt sie, die auf ihre Eigeninteressen ausgerichteten <strong>Frauen</strong><br />
<strong>und</strong> Männer. Aber <strong>de</strong>r Rückgang <strong>de</strong>r Geburten betrifft nahezu alle entwickelten<br />
Staaten in <strong>und</strong> außerhalb Europas. Und warum haben beispielsweise die<br />
Skandinavier o<strong>de</strong>r die Franzosen prozentual gesehen mehr Kin<strong>de</strong>r als die<br />
Deutschen, die Spanier o<strong>de</strong>r die Italiener? Gera<strong>de</strong> Spanien <strong>und</strong> Italien gelten als<br />
familienorientierte <strong>und</strong> kin<strong>de</strong>rfre<strong>und</strong>liche Gesellschaften.<br />
Der Rückgang <strong>de</strong>r Geburten hat zwar mit Einstellungsän<strong>de</strong>rungen, vor allem aber<br />
mit ungleichen Rahmenbedingungen zu tun, die aus lang andauern<strong>de</strong>n Fehlern<br />
<strong>de</strong>r Vergangenheit resultieren. So wie vor <strong>de</strong>r Integrationspolitik die Probleme <strong>de</strong>r<br />
Migranten <strong>und</strong> ihrer Kin<strong>de</strong>r vernachlässigt wor<strong>de</strong>n sind, fehlt es in Deutschland<br />
massiv an Kin<strong>de</strong>rbetreuung. Die kontroverse Debatte zu Nutzen <strong>und</strong> Scha<strong>de</strong>n<br />
familienergänzen<strong>de</strong>r <strong>und</strong> familienerweitern<strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>rbetreuung laufen seit <strong>de</strong>n<br />
70er Jahren. Statt i<strong>de</strong>ologische Grabenkämpfe um die Rolle <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong> <strong>de</strong>n<br />
Stellenwert familialer <strong>und</strong> außerfamilialer Erziehung zu führen, hätten wir – wie<br />
fast alle entwickelten Staaten <strong>und</strong> Gesellschaften – <strong>de</strong>n Ausbau von guter<br />
Entwicklungsför<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r in Ganztagskin<strong>de</strong>rgärten <strong>und</strong> Schulen betreiben<br />
müssen. Und dazu gehört die enge Kooperation mit <strong>de</strong>n Eltern, die entlastet<br />
<strong>und</strong> gestärkt wer<strong>de</strong>n, die Familie <strong>und</strong> Beruf vereinbaren können <strong>und</strong><br />
Zuwendungszeit für ihre Kin<strong>de</strong>r haben.<br />
Warum ist es in Deutschland schwieriger als in an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn, flexiblere familienfre<strong>und</strong>liche<br />
Arbeitszeiten zu schaffen, bei <strong>de</strong>nen Kin<strong>de</strong>r <strong>und</strong> Eltern gemeinsam<br />
das Haus verlassen <strong>und</strong> zur gleichen Zeit zurückkehren? Warum ist es so<br />
schwer, Mütter <strong>und</strong> Väter in die betriebliche <strong>und</strong> außerbetriebliche Fortbildung so<br />
einzubin<strong>de</strong>n, dass sie die Erwerbstätigkeit aus familiären Grün<strong>de</strong>n, bei Krankheit<br />
o<strong>de</strong>r Pflege unterbrechen, aber dann auch wie<strong>de</strong>r zurückkehren können?<br />
Es fehlt an äußerem Druck zum Um<strong>de</strong>nken. Der <strong>de</strong>mografische <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> ist eine<br />
Chance, wie die öffentlichen Debatten von Seiten <strong>de</strong>r Arbeitgeber <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />
Familienpolitiker zeigen. Aber sie muss bewusst wahrgenommen wer<strong>de</strong>n.<br />
Isolierte Maßnahmen bringen keine o<strong>de</strong>r nur marginale Verän<strong>de</strong>rungen.<br />
Kurzfristige Maßnahmen wie das Elterngeld sind zu verbin<strong>de</strong>n mit systematischem<br />
Ausbau von Kin<strong>de</strong>rbetreuung. In einer Zeit äußerst erschwerten Zugangs<br />
24
<strong>de</strong>r jungen Generation zum Arbeitsmarkt, selbst <strong>de</strong>r gut ausgebil<strong>de</strong>ten jungen<br />
<strong>Frauen</strong> <strong>und</strong> Männer, wissen die meisten nicht, wie lange sie bei einem<br />
Unternehmen beschäftigt sind <strong>und</strong> ob sie einen neuen Arbeitsplatz erhalten.<br />
Berufliche Planung <strong>und</strong> Existenzsicherung sind um ein Vielfaches schwerer als in<br />
<strong>de</strong>r Vergangenheit. Da kann es nicht überraschen, dass vor allem viele Männer<br />
Kin<strong>de</strong>rwünsche zurückstellen o<strong>de</strong>r gar ausschließen. Die berufliche Kompetenz<br />
von <strong>Frauen</strong> ist immens gestiegen, nicht aber die Vereinbarkeit von Familie <strong>und</strong><br />
Beruf.<br />
Nicht zu unterschätzen ist die Instabilität <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong>rolle. Der Umbruch ist unverkennbar.<br />
Doch ebenso beachtenswert sind die wi<strong>de</strong>rsprüchlichen Eigen- <strong>und</strong><br />
Frem<strong>de</strong>rwartungen (vgl. BiB, S. 44f.). Dabei zeigen sich die Differenzierungen,<br />
an<strong>de</strong>rs ausgedrückt: die unterschiedlichen Optionen, von <strong>Frauen</strong> in Abhängigkeit<br />
von Alter, Bildungsabschluss <strong>und</strong> Kin<strong>de</strong>rzahl.<br />
Die Bef<strong>und</strong>e zeigen, dass das Hausfrauenmo<strong>de</strong>ll kaum noch Anklang fin<strong>de</strong>t:<br />
Wäre die Form frei wählbar, wür<strong>de</strong> sich <strong>de</strong>r größte Teil für Kin<strong>de</strong>r <strong>und</strong><br />
Teilzeitarbeit entschei<strong>de</strong>n, in Ost<strong>de</strong>utschland dominiert die Vollzeitorientierung.<br />
Jüngere <strong>Frauen</strong> sind stärker am Beruf orientiert, ältere streben häufiger eine<br />
parallele Form <strong>de</strong>r Vereinbarkeit an. <strong>Frauen</strong> mit Hochschulzugang haben seltener<br />
die Absicht <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Wunsch, <strong>de</strong>n Beruf zugunsten <strong>de</strong>r Familie zu unterbrechen<br />
o<strong>de</strong>r zugunsten <strong>de</strong>r Familie vollständig aufzugeben. <strong>Frauen</strong> mit Hauptschulabschluss<br />
o<strong>de</strong>r mittlerer Reife äußern in höherem Maße die Bereitschaft, die<br />
Berufstätigkeit zu unterbrechen o<strong>de</strong>r vollständig aufzugeben.<br />
Je höher <strong>de</strong>r Bildungsgrad <strong>de</strong>sto ausgeprägter die Orientierung an <strong>de</strong>r beruflichen<br />
Tätigkeit. Doch auch <strong>Frauen</strong> mit höherer Bildung sagen nur zu 12 %, keine<br />
Kin<strong>de</strong>r haben zu wollen. Der Wunsch nach paralleler Vereinbarkeit von Familie<br />
<strong>und</strong> Beruf nimmt in allen weiblichen Gruppierungen zu. Aber <strong>de</strong>r Bruch zwischen<br />
Wünschen <strong>und</strong> Realität bestimmt <strong>de</strong>n Alltag <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> mit <strong>de</strong>n oft kaum<br />
zu bewältigen<strong>de</strong>n beruflichen <strong>und</strong> familiären Aufgaben. Psychische Erkrankungen<br />
nehmen zu, die Zwänge weiten sich aus, die Selbstbestimmung nimmt ab.<br />
Qualitative Interviews mit <strong>Frauen</strong> unterschiedlicher Berufe <strong>und</strong> Lebenslagen 3<br />
zeigen einerseits erstarktes Selbstbewusstsein, Unabhängigkeit <strong>und</strong> Kompetenz,<br />
an<strong>de</strong>rerseits die Beanspruchungen <strong>und</strong> Zerreißproben. Auch <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mografische<br />
<strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> führt nicht von selbst zu einer Parallelität von individuellem <strong>und</strong> gesellschaftlichem<br />
strukturellen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>.<br />
<strong>Frauen</strong> sind gezwungener Maßen <strong>und</strong> verstärkt gewollt für sich selbst verantwortlich.<br />
Sie nehmen ihr Leben in ihre eigenen Hän<strong>de</strong>. Natürlich gibt es auch noch<br />
3 Dorn, Thea: Die neue F-Klasse. Wie die Zukunft von <strong>Frauen</strong> gemacht wird. München 2006<br />
25
das Phänomen <strong>de</strong>r Regression, <strong>de</strong>s Zurücks in die alte Rolle <strong>de</strong>r vermeintlichen<br />
Geborgenheit, <strong>de</strong>r Arbeitsteilung zwischen Mann <strong>und</strong> Frau.<br />
Die heute umfassen<strong>de</strong> Verantwortlichkeit <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> betrifft ihre Einflussnahme<br />
auf die Zukunftsgestaltung. Sie bezieht sich damit nicht nur auf die<br />
Geschlechterbeziehungen, die Vereinbarkeit von Familie <strong>und</strong> Beruf, son<strong>de</strong>rn insgesamt<br />
auf unsere zivilisatorische Entwicklung, die Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>n<br />
Bedürfnissen von Menschen, <strong>de</strong>n Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen von Belastungen<br />
<strong>und</strong> Anfor<strong>de</strong>rungen an Flexibilität <strong>und</strong> Mobilität, an Selbstständigkeit, <strong>und</strong> sie<br />
bezieht sich auf soziale Verb<strong>und</strong>enheit <strong>und</strong> Abhängigkeit. Es geht um die Zukunft<br />
unseres Zusammenlebens ohne weiteren Verlust an Solidarität, an Verantwortung<br />
füreinan<strong>de</strong>r.<br />
Wir brauchen <strong>und</strong> wollen Leistung, aber keine Ellenbogengesellschaft. Wir brauchen<br />
Wettbewerb, aber einen fairen. Wir brauchen starke Individuen, aber auch<br />
starke Gemeinschaften. Diese Zukunftsgestaltung ist eine Gemeinschaftsaufgabe<br />
von Staat <strong>und</strong> Gesellschaft. Daran sind <strong>Frauen</strong> zu gering beteiligt. <strong>Frauen</strong> sind<br />
nicht nur passiv Betroffene <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>s, sie müssen entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />
Akteure <strong>de</strong>r Gestaltung sein. Die Aufgaben früherer <strong>Frauen</strong>bewegungen<br />
fin<strong>de</strong>n ihre Fortsetzung in diesen neuen Aufgaben. Das ermutigt <strong>und</strong> verpflichtet.<br />
26
Margot Käßmann<br />
Ethische Perspektiven beim Blick auf <strong>de</strong>n<br />
<strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong><br />
Kin<strong>de</strong>r-haben<br />
Der <strong>de</strong>mografische <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> wirft viele Fragen auf, <strong>und</strong> zwingt in mancherlei<br />
Hinsicht zum Um<strong>de</strong>nken. Seit sich die ökonomischen <strong>und</strong> politischen Konsequenzen<br />
<strong>de</strong>utlich abzeichnen, ist die Frage von Kin<strong>de</strong>r-haben nicht länger<br />
„Gedöns“ im Land, <strong>Frauen</strong>sache halt, nicht ganz so ernst zu nehmen. Deutschland<br />
ist wahrhaftig zu einem kin<strong>de</strong>rarmen Land gewor<strong>de</strong>n. Wie schrieb Herwig Birg:<br />
„Deutschland steht nicht vor einer <strong>de</strong>mografischen Herausfor<strong>de</strong>rung, son<strong>de</strong>rn es<br />
beginnt zu merken, daß eine <strong>de</strong>mografische Herausfor<strong>de</strong>rung existiert. Die<br />
Herausfor<strong>de</strong>rung selbst besteht schon seit 1972. Seit diesem Jahr ist die Zahl <strong>de</strong>r<br />
Sterbefälle größer als die <strong>de</strong>r Geburten.“ 1<br />
Im vergangenen Jahr hat die Kommission Familie <strong>de</strong>r Robert Bosch Stiftung<br />
einen Bericht zum Thema „Familie <strong>und</strong> <strong>de</strong>mografischer <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>“ erarbeitet. 2<br />
Deutlich wur<strong>de</strong> dabei einerseits, wie komplex die Entwicklung ist, <strong>und</strong> an<strong>de</strong>rerseits,<br />
dass es keine einzelnen Maßnahmen gibt, um diese Entwicklung zu verän<strong>de</strong>rn,<br />
son<strong>de</strong>rn ein aufeinan<strong>de</strong>r abgestimmtes Bün<strong>de</strong>l an Maßnahmen notwendig<br />
wäre. Das „<strong>de</strong>mografische Paradox“ stellt sich wie folgt dar:<br />
1 Herwig Birg, Unser Verschwin<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong> gar nicht auffallen, FAZ 28.6.06<br />
2 http://www.bosch-stiftung.<strong>de</strong>/foer<strong>de</strong>rung/jugend/fr_02050000.html?/foer<strong>de</strong>rung/jugend/02050100.html<br />
27
Heute leben in Deutschland etwa 82,5 Millionen Menschen, im Jahr 2030<br />
könnten es dank einer umfangreichen Zuwan<strong>de</strong>rung immer noch knapp 80<br />
Millionen sein. Ein starker Rückgang <strong>de</strong>s Bevölkerungsvolumens wird erst<br />
danach einsetzen, wenn die jetzt vierzigjährigen Baby-Boomer sterben. Im Jahr<br />
2050 wird die in Deutschland leben<strong>de</strong> Bevölkerung nur noch etwa 70 Millionen<br />
Menschen umfassen, wovon ungefähr 10 Millionen neue Zuwan<strong>de</strong>rer sein wer<strong>de</strong>n.<br />
Obwohl sich <strong>de</strong>r Rückgang <strong>de</strong>r Bevölkerung über lange Zeiträume erstreckt,<br />
wer<strong>de</strong>n die Verän<strong>de</strong>rungen in <strong>de</strong>r Altersstruktur <strong>de</strong>r Bevölkerung erheblich sein.<br />
So wird sich in <strong>de</strong>n nächsten dreißig Jahren die Relation zwischen <strong>de</strong>n Über-<br />
Sechzigjährigen <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Jüngeren in etwa verdoppeln. Der Kollaps <strong>de</strong>r sozialen<br />
Sicherungssysteme ist vorprogrammiert. 3<br />
Im Bericht wer<strong>de</strong>n als Maßnahmen u.a. eine Entzerrung <strong>de</strong>s Lebensstaus <strong>de</strong>r<br />
jungen Leute empfohlen, die gleichzeitig beruflich einsteigen, eine Familiegrün<strong>de</strong>n<br />
<strong>und</strong> ihre Karriere verfolgen sollen. Eine bessere Absicherung <strong>de</strong>r<br />
„Generation Praktikum“ wird ebenso vorgeschlagen wie ein verän<strong>de</strong>rtes Steuersystem,<br />
das beispielsweise Mehrkindfamilien för<strong>de</strong>rt wie in Frankreich, o<strong>de</strong>r<br />
strukturelle Verbesserungen für die Vereinbarkeit von Familie <strong>und</strong> Beruf wie in<br />
Schwe<strong>de</strong>n. Auch das soeben eingeführte Elterngeld ist ein guter Ansatz, insgesamt<br />
also brauchen wir ein Bün<strong>de</strong>l von Initiativen, um Familien zu för<strong>de</strong>rn.<br />
Bei all <strong>de</strong>m wur<strong>de</strong> für mich aber immer wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utlich, dass politische <strong>und</strong> ökonomische<br />
Maßnahmen allein noch keine Geburtenrate steigern. Es geht auch<br />
um gr<strong>und</strong>sätzliche ethische Fragen <strong>und</strong> wahrscheinlich schlicht um ein<br />
Lebensgefühl: Bin ich bereit, mich langfristig zu bin<strong>de</strong>n, an einen Partner o<strong>de</strong>r<br />
eine Partnerin, vor allem aber an ein Kind? Die Beziehung zum Kind ist die letzte<br />
unkündbare Beziehung in unserem Land! Die Geburt eines Kin<strong>de</strong>s stellt eine<br />
Bindung dar, die mich mehr als zwanzig Jahre, ja ein Leben lang beeinflussen<br />
wird. Neben <strong>de</strong>r Bindung geht es aber auch um Zukunftshoffnung. Der berühmte<br />
Spruch, „in diese Welt kann man kein Kind setzen“, ist ja ein Zeichen von tiefstem<br />
Pessimismus. Es geht um Lebenslust, die Lust, mit an<strong>de</strong>ren zu leben, das<br />
Leben weiter zu geben von Generation zu Generation.<br />
Für mich steht die Geburtenrate <strong>de</strong>shalb auch in einem Zusammenhang mit<br />
Gottvertrauen. Mut zur verlässlichen Beziehung, Zukunftshoffnung <strong>und</strong> die<br />
Weitergabe <strong>de</strong>s Lebens, sind christliche Gr<strong>und</strong>haltungen. Für solches Gottvertrauen<br />
<strong>und</strong> für ein solches Lebensgefühl haben wir als Kirche einzustehen. Ja,<br />
je<strong>de</strong>s Kind ist erwünscht! Dass in unserem reichen Land je<strong>de</strong>s Jahr 130 000<br />
Kin<strong>de</strong>r abgetrieben wer<strong>de</strong>n, muss uns beunruhigen. Wie können wir wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />
3 Robert Bosch Stiftung, Starke Familie. Bericht <strong>de</strong>r Kommission „Familie <strong>und</strong> <strong>de</strong>mografischer <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>“, S. 34<br />
28
Müttern besser zur Seite stehen, <strong>de</strong>utlich machen, dass es bei allen Belastungen<br />
schlicht ein Glück, ein Segen ist, mit Kin<strong>de</strong>rn zu leben? Diese Frage muss uns<br />
umtreiben. Deshalb sollten wir alles tun, um <strong>Frauen</strong> einen Weg mit ihrem Kind zu<br />
eröffnen. Das wer<strong>de</strong>n gesetzliche Regelungen weniger erreichen als praktische<br />
Hilfe <strong>und</strong> menschliche Unterstützung. 4<br />
Vier ethische Aspekte unseres Themas will ich beson<strong>de</strong>rs benennen:<br />
Nord-Süd-Konflikt<br />
In diesem Rea<strong>de</strong>r soll es ja um <strong>de</strong>utsche Perspektiven gehen. Nur ist <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utsche<br />
Blick auf <strong>de</strong>n <strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> eingeschränkt, wenn nicht auch bewusst<br />
wahrgenommen wird, dass in <strong>de</strong>n armen Län<strong>de</strong>rn dieser Welt das <strong>de</strong>mografische<br />
Problem sich umgekehrt stellt: <strong>Frauen</strong> haben keinen Zugang zu Verhütungsmitteln,<br />
das Bevölkerungswachstum ist rasant.<br />
Die Rechtlosigkeit von <strong>Frauen</strong> in vielen Län<strong>de</strong>rn ist zum Verzweifeln! Auch das<br />
ist eine ethische Dimension unseres Themas. Wir können nicht von einer globalisierten<br />
Welt re<strong>de</strong>n, wenn wir ignorieren, auf wie dramatische Weise die Rechte<br />
von <strong>Frauen</strong> in vielen Teilen <strong>de</strong>r Welt mit Füßen getreten wer<strong>de</strong>n. Genitalverstümmelung,<br />
Han<strong>de</strong>l mit <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong> das Mor<strong>de</strong>n von <strong>Frauen</strong>, die frei leben<br />
wollen, sind nur einige Indikatoren hierfür. Ich bin überzeugt, dass <strong>Frauen</strong> über<br />
Grenzen schauen müssen, wenn sie von Gerechtigkeit re<strong>de</strong>n.<br />
<strong>Frauen</strong> wer<strong>de</strong>n auch in einigen Jahrzehnten noch in verschie<strong>de</strong>nen Welten leben.<br />
Das Millenniumsziel <strong>de</strong>r Halbierung <strong>de</strong>r Armut wird in absehbarer Zeit kaum<br />
erreicht wer<strong>de</strong>n. Armut wird dabei weiblich bleiben. Die Welthungerhilfe hat das<br />
plastisch formuliert: Ein Schuljahr mehr be<strong>de</strong>utet für ein Mädchen 15% mehr<br />
Einkommen <strong>und</strong> 10% weniger Kin<strong>de</strong>r. Das heißt: Bildung ist <strong>de</strong>r Schlüssel zur<br />
Gleichberechtigung von <strong>Frauen</strong>! Zwei Drittel <strong>de</strong>r weltweit 960 Millionen<br />
Analphabeten sind <strong>Frauen</strong>, zwei Drittel <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r, die keine Gr<strong>und</strong>schule besuchen<br />
sind Mädchen. Mit Bildung aber steigt das Einkommen <strong>und</strong> sinkt die<br />
Geburtenrate.<br />
Die gleichwertige Anerkennung unterschiedlicher Lebensformen<br />
Eines <strong>de</strong>r zentralen Probleme im Leben von <strong>Frauen</strong> ist heute sicher <strong>de</strong>r Druck,<br />
eine Entscheidung zu treffen. Nie waren <strong>Frauen</strong> in Deutschland so gut ausge-<br />
4 Z.B. bietet unser Netzwerk Mirjam, das nun schon mehr als fünf Jahre besteht, Schwangeren in Notlagen<br />
ein engmaschiges Hilfeangebot. http://www.netzwerk-mirjam.<strong>de</strong>/<br />
29
il<strong>de</strong>t, wie heute. Ihnen steht <strong>de</strong>r Zugang zu allen Bereichen <strong>de</strong>s Lebens offen.<br />
Dennoch kommen nur wenige <strong>Frauen</strong> „ganz oben“ an. Immer wie<strong>de</strong>r sehen sie<br />
sich in <strong>de</strong>n Konflikt gedrängt, zwischen Partnerbindung, Familiengründung <strong>und</strong><br />
beruflicher Karriere wählen zu müssen <strong>und</strong> im Gr<strong>und</strong>e mit keiner dieser<br />
Entscheidungen eine „richtige“ Entscheidung treffen zu können:<br />
Die unverheiratete, allein leben<strong>de</strong> Frau begegnet <strong>de</strong>m Vorwurf, für die<br />
Karriere alles zu opfern, nicht weiblich genug zu sein.<br />
Die verheiratete kin<strong>de</strong>rlose Frau, wird mit <strong>de</strong>m Vorwurf konfrontiert, aus<br />
purem Egoismus keine Kin<strong>de</strong>r zu bekommen.<br />
Die verheiratete Frau, die um ihrer Kin<strong>de</strong>r willen nicht erwerbstätig ist, wird<br />
allzu oft als „Muttchen“ missachtet.<br />
Die berufstätige Mutter mit Kin<strong>de</strong>rn wird in Deutschland noch immer als<br />
„Rabenmutter“ geächtet.<br />
Wichtig ist, dass alle, Männer <strong>und</strong> auch <strong>Frauen</strong> untereinan<strong>de</strong>r, die unterschiedlichen<br />
Lebensmo<strong>de</strong>lle respektieren. Dies könnte <strong>de</strong>r erste Schritt dahin sein, dass<br />
die gesellschaftliche Anerkennung <strong>de</strong>r gewählten Lebensform Realität wird <strong>und</strong><br />
Freiheit entsteht.<br />
Die Schwierigkeit, sich für ein Kind zu entschei<strong>de</strong>n<br />
<strong>Frauen</strong> geraten bei <strong>de</strong>r Entscheidung für o<strong>de</strong>r gegen Kin<strong>de</strong>r unter Druck: Will ich<br />
ein Kind? Und wenn ja, wann? Und mit wem? Die Wahlmöglichkeit kann durchaus<br />
zur Qual wer<strong>de</strong>n: <strong>Frauen</strong> suchen <strong>de</strong>n am besten geeigneten Zeitpunkt, ein<br />
Kind zu bekommen. Viele schieben diesen Zeitpunkt immer weiter hinaus, so<br />
dass sie sich eines Tages zu alt fühlen, ein Kind zu bekommen <strong>und</strong> großzuziehen.<br />
Die großartige, gut geklei<strong>de</strong>te Karrierefrau, die mit 40 beschließt, ein Kind zu<br />
bekommen, ist wohl mehr das I<strong>de</strong>albild <strong>de</strong>r Medien als das Realitätsbild im<br />
Alltag.<br />
Manche <strong>Frauen</strong> nehmen schwierige <strong>und</strong> schmerzhafte Therapien im Rahmen <strong>de</strong>r<br />
In-vitro-Fertilisation auf sich, um ein Kind zu bekommen. Monat für Monat wird<br />
gewartet <strong>und</strong> gehofft; die Sexualität wird von einem strikten Zeitplan bestimmt.<br />
Das ist eine große psychische Belastung für ein Paar. Zu<strong>de</strong>m gibt es <strong>de</strong>n Wunsch,<br />
ja manches Mal gera<strong>de</strong>zu <strong>de</strong>n Anspruch: „Hätt‘ ich ein ges<strong>und</strong>es Kind“. Große<br />
Hoffnungen wer<strong>de</strong>n in die Präimplantationsdiagnostik gesetzt. Und bei Spätabtreibungen,<br />
bei <strong>de</strong>r Amniozentese <strong>und</strong> ihrer Analyse wer<strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>r selektiert,<br />
die <strong>de</strong>n Normanfor<strong>de</strong>rungen eines ges<strong>und</strong>es Kin<strong>de</strong>s nicht entsprechen. Wenn eine<br />
Frau diese diagnostischen Maßnahmen verweigert, erntet sie Stirnrunzeln.<br />
30
Kin<strong>de</strong>r zu bekommen, hat im 21. Jahrh<strong>und</strong>ert die Selbstverständlichkeit verloren,<br />
ja vielleicht muss gesagt wer<strong>de</strong>n: die Unschuld eingebüßt. Muttersein unterliegt<br />
heute zum Teil einem Machbarkeitswahn. Es wird zum Vernunftakt, überlegt, geplant<br />
o<strong>de</strong>r zur technischen Möglichkeit, eingeleitet durch die ärztliche Wissenschaft.<br />
Und <strong>de</strong>r Wahn, Kin<strong>de</strong>r mit optimalen Genen zu schaffen, macht auch vor<br />
<strong>de</strong>m Klonen nicht mehr Halt. Der italienische Gentechnologe Severino Antinori<br />
behauptet, wie die Raelianer-Sekte, ein Kind geklont zu haben. Daraus spricht die<br />
ungeheure Arroganz eines „Machers“, Prototyp einer Zeit, die meint, alles im<br />
Griff zu haben <strong>und</strong> Unsicherheiten ausschließen zu können.<br />
Gelingen<strong>de</strong>s Leben<br />
Meines Erachtens wer<strong>de</strong>n <strong>Frauen</strong> immer mehr unter Druck geraten, individuelle,<br />
neue Formen für gelingen<strong>de</strong>s Leben zu fin<strong>de</strong>n, o<strong>de</strong>r wie heute gern gesagt wird:<br />
eine Work-Life Balance zu kreieren. Zum einen wird die Familie als gelingen<strong>de</strong><br />
Lebensform erhalten bleiben. Und das ist gut so. Dazu können Staat wie Zivilgesellschaft<br />
einiges beitragen. Ich <strong>de</strong>nke an Eltern-Kind-Zentren, an Erziehungsberatungsstellen,<br />
an Großelternbörsen etc.. Zum an<strong>de</strong>ren wird es eine Vielfalt an<br />
Lebensformen geben. <strong>Frauen</strong> wer<strong>de</strong>n dabei <strong>de</strong>m Druck zu wi<strong>de</strong>rstehen haben,<br />
alles meistern zu müssen. Kin<strong>de</strong>r versorgen, gut aussehen <strong>und</strong> erfolgreich im<br />
Beruf – das muss zu einem Burn-out-Syndrom führen! Wenn dann noch die oft<br />
gefor<strong>de</strong>rte Mobilität hinzugenommen wird, sind allein die beruflichen Anfor<strong>de</strong>rungen<br />
kaum mehr unter einen Hut zu bringen.<br />
Die Einsamkeit, die unsere Gesellschaft produzieren kann, weil Beziehungen<br />
kurzfristig sind <strong>und</strong> beruflich Flexibilität gefor<strong>de</strong>rt ist, wird <strong>Frauen</strong> langfristig<br />
belasten. Wir kennen die ökonomische Altersarmut von <strong>Frauen</strong>. Aber es existiert<br />
auch die Altersarmut an Beziehung, an verlässlichem Miteinan<strong>de</strong>r, an Fürsorge.<br />
Das erlebe ich, wenn <strong>Frauen</strong> um eine anonyme Bestattung bitten, weil ja niemand<br />
da ist, <strong>de</strong>r ihr Grab pflegen wird. Das erlebe ich, wenn <strong>Frauen</strong> zur aktiven, aber<br />
unendlich einsamen Sterbehilfe nach Zürich fahren wollen. Weil sie nicht an <strong>de</strong>r<br />
Hand eines an<strong>de</strong>ren Menschen sterben können, wollen sie lieber durch die<br />
Hand eines an<strong>de</strong>ren sterben. Da geht eine Kultur <strong>de</strong>s Miteinan<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r Solidarität<br />
verloren. Wir wer<strong>de</strong>n neue Formen <strong>de</strong>s verbindlichen Miteinan<strong>de</strong>r schaffen müssen,<br />
die auch ohne Familienban<strong>de</strong> verlässlich sind.<br />
<strong>Frauen</strong> <strong>und</strong> Religion<br />
Religion wird auch in Zukunft eine große Rolle spielen, <strong>und</strong> <strong>Frauen</strong> wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r<br />
Religion eine entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Rolle einnehmen. Viel hat sich in <strong>de</strong>n vergangenen<br />
31
Jahrzehnten zugunsten <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> verän<strong>de</strong>rt, Bischöfinnen gibt es <strong>und</strong> auch<br />
Rabinerinnen. Aber noch immer sind im Christentum <strong>Frauen</strong> nicht in allen<br />
Konfessionen in allen Funktionen als gleichwertig <strong>und</strong> gleichberechtigt anerkannt.<br />
Biblisch-theologisch liegen keine Grün<strong>de</strong> für einen Ausschluss von <strong>Frauen</strong><br />
vom Priesteramt vor, aber praktiziert wird er. Dasselbe gilt für das Ju<strong>de</strong>ntum. Im<br />
Islam wird die Frau als gleichwertig, aber nicht als gleichberechtigt angesehen.<br />
In vielen Kulturen herrscht ein patriarchales System mit ethischen Defiziten, das<br />
<strong>Frauen</strong> nicht nur rechtlos, son<strong>de</strong>rn systematisch auch zu Opfern von Gewalt<br />
macht. Die genitale Verstümmelung von <strong>Frauen</strong>, häusliche Gewalt, Vergewaltigung<br />
als Kriegswaffe – all das ist auch im 21. Jahrh<strong>und</strong>ert Realität.<br />
Gera<strong>de</strong> in Zeiten größerer kultureller Vielfalt ist dafür Sorge zu tragen, dass die<br />
erkämpften Rechte keine Papiertiger bleiben, son<strong>de</strong>rn für alle <strong>Frauen</strong> gleichermaßen<br />
gelten. Zuallererst gilt das im eigenen Land. Allzu lange hat die <strong>de</strong>utsche<br />
Mehrheitsgesellschaft ignoriert, was in <strong>de</strong>n „Ghettos“ <strong>de</strong>r Zuwan<strong>de</strong>rung gelebt<br />
wur<strong>de</strong>. Die Verfassung aber gilt für alle Menschen im Land.<br />
Unsere Zeit hat <strong>Frauen</strong> viele Lebensoptionen eröffnet. Viel ist erreicht. Aber es<br />
gilt noch mehr zu erreichen: auch <strong>und</strong> – wie beschrieben – gera<strong>de</strong> angesichts <strong>de</strong>r<br />
Verän<strong>de</strong>rungen in Zeiten <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>s.<br />
32
Barbara Zibell<br />
Geschlechterverhältnisse im<br />
<strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>.<br />
Chancen <strong>und</strong> Risiken für die soziale<br />
Integration in Stadt <strong>und</strong> Region<br />
1 Geschlechterverhältnisse<br />
Geschlechterverhältnisse wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n (Sozial-) Wissenschaften analysiert, um<br />
„die Einspannung <strong>de</strong>r Geschlechter in die gesellschaftlichen Gesamtverhältnisse<br />
kritisch zu untersuchen“ (Haug 2003: 442). Dabei spielt die Arbeitsteilung zwischen<br />
Männern <strong>und</strong> <strong>Frauen</strong> die zentrale Rolle. Diese Arbeitsteilung ist historisch<br />
<strong>und</strong> kulturell geprägt <strong>und</strong> zeichnet sich dadurch aus, dass die Männer in erster<br />
Linie <strong>de</strong>r Produktion, <strong>de</strong>r öffentlichen Sphäre von Wirtschaft <strong>und</strong> Politik zugeordnet<br />
wer<strong>de</strong>n, die <strong>Frauen</strong> <strong>de</strong>r Reproduktion, <strong>de</strong>r privaten Sphäre <strong>de</strong>s Haushalts.<br />
Dieser Form <strong>de</strong>r Arbeitsteilung liegen zwei Organisationsprinzipien zu Gr<strong>und</strong>e:<br />
das Prinzip <strong>de</strong>r Trennung (es gibt <strong>Frauen</strong>- <strong>und</strong> Männerarbeiten) <strong>und</strong><br />
das hierarchische Prinzip (Männerarbeit ist mehr wert als <strong>Frauen</strong>arbeit).<br />
1 Im folgen<strong>de</strong>n Beitrag geht es um die Verknüpfung von drei großen Themen – Geschlechterverhältnisse, <strong>de</strong>mografischer<br />
<strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> <strong>und</strong> soziale Integration im räumlichen Kontext von Stadt <strong>und</strong> Region, die im fachlichen wie im wissenschaftlichen<br />
Diskurs bisher so kaum hergestellt wor<strong>de</strong>n ist. In einem Vortrag an <strong>de</strong>r Universität Hannover hat die<br />
Autorin diesen Zusammenhang erstmals aufgegriffen (Zibell 2005). Der für diese Publikation ausgearbeitete Text<br />
baut hierauf auf sowie auf weiteren Arbeiten <strong>de</strong>r Autorin im Bereich <strong>Frauen</strong>forschung <strong>und</strong> Gen<strong>de</strong>r Mainstreaming<br />
sowie <strong>de</strong>mografischer <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> <strong>und</strong> Raumentwicklung <strong>de</strong>r vergangenen Jahre.<br />
33
Sie gelten in allen bekannten Gesellschaften, sind jedoch kein starres, unverän<strong>de</strong>rliches<br />
Phänomen: Die Prinzipien bleiben zwar dieselben, doch ihre<br />
Modalitäten variieren. So kann eine Tätigkeit, die in einer Gesellschaft als ein<strong>de</strong>utig<br />
weiblich betrachtet wird, in einem an<strong>de</strong>ren Umfeld als typisch männlich<br />
gelten (Milkman 1987, zit. nach Kergoat 2000), <strong>und</strong> umgekehrt. Das heißt: die<br />
Geschlechterverhältnisse sind weniger biologisch <strong>de</strong>terminiert als vielmehr<br />
gesellschaftlich konstruiert.<br />
1.1 Geschlechterverhältnisse in Deutschland 2<br />
Um das Prinzip <strong>de</strong>r Trennung <strong>und</strong> das hierarchische Prinzip zwischen <strong>de</strong>n<br />
Geschlechtern statistisch zu belegen, können Zahlen – Daten – Fakten zu verschie<strong>de</strong>nen<br />
Indikatoren herangezogen wer<strong>de</strong>n:<br />
für das Prinzip <strong>de</strong>r Trennung: die Erwerbsstatistik mit Aussagen über die<br />
Beteiligung von Männern <strong>und</strong> <strong>Frauen</strong> im Erwerbsleben sowie <strong>de</strong>ren unterschiedliche<br />
Zeitverwendung im gesellschaftlichen Produktions- resp.<br />
Reproduktionsbereich;<br />
für das hierarchische Prinzip: die ungleiche Entlohnung von <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong><br />
Männern für gleiche Arbeit bzw. <strong>de</strong>ren unterschiedliche Anteile an<br />
Entscheidungsfunktionen <strong>und</strong> Führungspositionen in Wirtschaft, Politik<br />
<strong>und</strong> Gesellschaft.<br />
Folgen<strong>de</strong> Resultate lassen sich festhalten 3 :<br />
<strong>Frauen</strong> sind in geringerem Maße erwerbstätig als Männer – im Jahr 2003<br />
lag dieses Verhältnis bei ca. 40% : 60%. Der Anteil <strong>Frauen</strong> an <strong>de</strong>n Erwerbspersonen<br />
nimmt jedoch zu, während die Erwerbsquoten <strong>de</strong>r Männer eher<br />
stagnieren. Bei <strong>de</strong>r Betrachtung <strong>de</strong>r Erwerbslosenzahlen ist es umgekehrt:<br />
Ten<strong>de</strong>nz bei <strong>de</strong>n Männern steigend, bei <strong>de</strong>n <strong>Frauen</strong> fallend; die Kurven<br />
gleichen sich zunehmend an.<br />
Den größten Anteil <strong>de</strong>r Arbeit leisten <strong>Frauen</strong> immer noch im Bereich <strong>de</strong>r<br />
unbezahlten Hausarbeit, egal, ob sie (auch) erwerbstätig sind o<strong>de</strong>r nicht.<br />
Dabei zeigt sich im Ost-West-Vergleich, dass die Männer im Osten –<br />
zumin<strong>de</strong>st bisher – „emanzipierter“ sind als diejenigen im Westen. Der<br />
Zeitanteil, <strong>de</strong>n die Ost-Männer für Hausarbeit aufbringen, ist jedoch<br />
rückläufig (Reichart 2001).<br />
2 Sofern nichts an<strong>de</strong>res angegeben, sind die Zahlen <strong>und</strong> Daten in diesem Kapitel <strong>de</strong>r Destatis-Seite <strong>de</strong>s Statistischen<br />
B<strong>und</strong>esamtes - StaBA - entnommen: http://www.<strong>de</strong>statis.<strong>de</strong>/basis/<strong>de</strong><br />
3 In <strong>de</strong>m erwähnten Aufsatz <strong>de</strong>r Autorin (Zibell 2005) wer<strong>de</strong>n die Geschlechterverhältnisse in Wirtschaft, Politik <strong>und</strong><br />
Gesellschaft statistisch belegt.<br />
34
Wenn <strong>Frauen</strong> erwerbstätig sind, dann sind sie dies schwerpunktmäßig in<br />
an<strong>de</strong>ren Bereichen als Männer <strong>und</strong> überwiegend in dienen<strong>de</strong>n bzw. abhängigen<br />
<strong>und</strong> unselbständigen Positionen. So ist an<strong>de</strong>rs als in <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren<br />
Wirtschaftsbereichen bei <strong>de</strong>n Dienstleistungen ein vergleichsweise hoher<br />
<strong>Frauen</strong>anteil festzustellen (<strong>Frauen</strong>anteil in verschie<strong>de</strong>nen Dienstleistungsbranchen:<br />
48,6 bzw. 58%). Nach ihrem Arbeitsverhältnis betrachtet sind<br />
<strong>Frauen</strong> unter <strong>de</strong>n Selbständigen, ArbeiterInnen <strong>und</strong> Beamten unterrepräsentiert,<br />
unter <strong>de</strong>n mithelfen<strong>de</strong>n Familienangehörigen sind sie dagegen fast<br />
ausschließlich vertreten <strong>und</strong> eine leichte Mehrheit machen sie unter <strong>de</strong>n<br />
Angestellten aus.<br />
Drei bzw. vier Muster lassen sich aus diesen Ten<strong>de</strong>nzen ablesen:<br />
Die Erwerbstätigkeit von <strong>Frauen</strong> wird insgesamt selbstverständlicher <strong>und</strong><br />
zum unverzichtbaren Bestandteil weiblicher Biographien.<br />
Die Qualität sozialer Infrastrukturen (Bsp. neue B<strong>und</strong>eslän<strong>de</strong>r) spielt offensichtlich<br />
eine Rolle für das gelebte Geschlechterverhältnis.<br />
Erwerbstätige <strong>Frauen</strong> sind vor allem im tertiären Sektor vertreten, <strong>de</strong>m<br />
Wirtschaftsbereich, <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rs als <strong>de</strong>r primäre <strong>und</strong> sek<strong>und</strong>äre Wachstumsraten<br />
aufweist.<br />
<strong>Frauen</strong> suchen – aufgr<strong>und</strong> traditioneller Prägung auf ihre Verpflichtungen<br />
in Haushalt <strong>und</strong> Familie – eher Arbeitsverhältnisse in abhängigen, nicht<br />
leiten<strong>de</strong>n Positionen <strong>und</strong> vermehrt Teilzeitbeschäftigungen; gleichzeitig<br />
wer<strong>de</strong>n sie – Kehrseite <strong>de</strong>r traditionellen Prägung – von Männern auch aus<br />
leiten<strong>de</strong>n Positionen ausgeschlossen.<br />
1.2 <strong>Frauen</strong> in Führungspositionen<br />
Für die Steuerung <strong>und</strong> Entwicklung bzw. die Gestaltung <strong>de</strong>r Zukunft sind die<br />
sog. „Entschei<strong>de</strong>r“ in Wirtschaft, Politik <strong>und</strong> Gesellschaft verantwortlich. Im<br />
Folgen<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n die Geschlechterverhältnisse in Deutschland unter diesem<br />
Aspekt genauer ausgeleuchtet. 4<br />
In <strong>de</strong>n Aufsichtsräten <strong>und</strong> Vorstandsetagen <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Wirtschaft sind<br />
<strong>Frauen</strong> völlig unterrepräsentiert. So sitzen nur in 57 <strong>de</strong>r 87 größten Unternehmen<br />
Deutschlands 5 auch <strong>Frauen</strong> im Aufsichtsrat. Von <strong>de</strong>n insgesamt<br />
1.488 Aufsichtsratsmitglie<strong>de</strong>rn sind gera<strong>de</strong> 116 <strong>Frauen</strong> – das entspricht<br />
einem durchschnittlichen Anteil von etwa 8%. Noch schlechter sieht es in<br />
4 Als Gr<strong>und</strong>lage dient eine Untersuchung <strong>de</strong>s BMBFSJ über <strong>Frauen</strong> in Führungspositionen, die vom <strong>Frauen</strong> Computer<br />
Zentrum Berlin (FCZB 2002) durchgeführt wur<strong>de</strong>.<br />
5 Das Spektrum reicht von Siemens mit 484.000 bis Neue Eurohypo AG mit 770 Beschäftigten.<br />
35
<strong>de</strong>n Vorstandsetagen aus: Hier fin<strong>de</strong>n sich überhaupt nur in 4 von<br />
87 Unternehmen auch <strong>Frauen</strong>; von <strong>de</strong>n 525 Vorstandsmitglie<strong>de</strong>rn sind nur<br />
7 <strong>Frauen</strong>, das entspricht einem durchschnittlichen Anteil von 1,3%. In <strong>de</strong>n<br />
Dachverbän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Wirtschaft, <strong>de</strong>n Arbeitgeberverbän<strong>de</strong>n zeigt sich ein<br />
entsprechen<strong>de</strong>s Geschlechterverhältnis. Einzig in <strong>de</strong>n Gewerkschaften fin<strong>de</strong>n<br />
wir ein günstigeres Verhältnis vor: Hier sind <strong>Frauen</strong> durchschnittlich<br />
mit 19% in Vorstän<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Geschäftsführungen vertreten, davon in drei<br />
Fällen (GEW, DBSH 6 , VHW 7 ) als Präsi<strong>de</strong>ntin o<strong>de</strong>r Vorsitzen<strong>de</strong> – das bestätigt<br />
die dominieren<strong>de</strong> Rolle <strong>de</strong>r Frau im Erziehungs-, Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong><br />
Bildungswesen.<br />
Im 16. Deutschen B<strong>und</strong>estag hat sich <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong>anteil von 32,5% (2002)<br />
auf 31,6% leicht verringert. In <strong>de</strong>n einzelnen Parteien zeigt sich ein sehr<br />
unterschiedliches Bild: So ist das Bündnis 90 / Die Grünen mit einem<br />
<strong>Frauen</strong>anteil von 56,9% die einzige Partei, in <strong>de</strong>nen die <strong>Frauen</strong> im<br />
B<strong>und</strong>estag überwiegen. In <strong>de</strong>r Linken ist das Verhältnis mit 46,3% <strong>Frauen</strong><br />
zu 53,7% Männern nahezu ausgewogen. Die SPD-Fraktion setzt sich zu<br />
einem Drittel aus <strong>Frauen</strong>, zu zwei Dritteln aus Männern zusammen<br />
(36%:64%). FDP (24,5%:75,5%) <strong>und</strong> CDU/CSU (20%:80%) haben bei<strong>de</strong><br />
unterdurchschnittliche <strong>Frauen</strong>anteile aufzuweisen. Das entsprechen<strong>de</strong> Bild<br />
zeigt sich in Lan<strong>de</strong>sregierungen <strong>und</strong> Landtagen. Für die kommunalen<br />
Regierungen <strong>und</strong> Parlamente lassen sich keine repräsentativen Zahlen nennen,<br />
da mangels umfassen<strong>de</strong>r Erhebungen entsprechen<strong>de</strong> Daten fehlen bzw.<br />
lückenhaft sind. Eine Auswertung <strong>de</strong>r Kommunalwahlen von Ba<strong>de</strong>n-<br />
Württemberg (Sozialministerium Ba<strong>de</strong>n-Württemberg 1999) zeigt, dass<br />
<strong>Frauen</strong> in <strong>de</strong>n Großstädten erfolgreicher sind als in Klein- <strong>und</strong> Mittelstädten.<br />
So konnten <strong>Frauen</strong> in Gemein<strong>de</strong>n bis 20.000 Ew zu 17,6%, über<br />
20.000 bis 100.000 Ew zu 22,1% <strong>und</strong> über 100.000 Ew zu 34,7% in die<br />
Kommunalparlamente einziehen (Demel / Werner 2000: 3f.).<br />
Für die Betrachtung <strong>de</strong>s gesellschaftlichen Tätigkeits- <strong>und</strong> Entscheidungsbereichs<br />
wer<strong>de</strong>n einige Stichproben aus <strong>de</strong>m Bildungs- <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Ges<strong>und</strong>heitswesen<br />
herangezogen, da <strong>Frauen</strong> hier zum einen traditionell eine wichtige<br />
Rolle einnehmen, zum an<strong>de</strong>ren hier auch wichtige Potentiale für eine<br />
nachhaltige Zukunftsbewältigung liegen:<br />
Im Bildungsbereich sind es <strong>Frauen</strong>, die <strong>de</strong>n größeren Anteil am<br />
Lehrpersonal in Gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Hauptschulen stellen; in <strong>de</strong>n weiterführen<strong>de</strong>n<br />
Schulen nimmt ihr Anteil sukzessive ab. Gleichzeitig sind es überwiegend<br />
Männer, die die Schulen leiten <strong>und</strong> nach außen vertreten; dies ist auch dort<br />
<strong>de</strong>r Fall, wo <strong>Frauen</strong> weit in <strong>de</strong>r Überzahl sind. An <strong>de</strong>n Hochschulen setzt<br />
sich diese pyrami<strong>de</strong>nartige Struktur fort: Fin<strong>de</strong>n sich unter <strong>de</strong>n Studien-<br />
6 Deutscher Berufsverband für Sozialarbeit, Sozialpädagogik <strong>und</strong> Heilpädagogik<br />
7 Verband Hochschule <strong>und</strong> Wissenschaft<br />
36
anfängerInnen noch etwa gleiche Anteile von Männern <strong>und</strong> <strong>Frauen</strong><br />
(Ten<strong>de</strong>nz steigend), so ist <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> unter <strong>de</strong>n AbsolventInnen<br />
mit 47% schon geringer; bei <strong>de</strong>n Promotionen macht ihr Anteil noch 36%<br />
aus, bei <strong>de</strong>n Habilitationen 22%. Beim wissenschaftlichen <strong>und</strong> künstlerischen<br />
Personal zeigt sich dieselbe Struktur: Unter <strong>de</strong>n wissenschaftlichen<br />
MitarbeiterInnen sind ein Drittel <strong>Frauen</strong>, unter <strong>de</strong>n ProfessorInnen 12%.<br />
An Positionen <strong>de</strong>r Hochschulleitung sind <strong>Frauen</strong> insgesamt noch mit 11%<br />
vertreten (2001; Quelle: BLK 2002: 5). Obwohl <strong>Frauen</strong> immer besser ausgebil<strong>de</strong>t<br />
sind, auch besser als Männer, zumin<strong>de</strong>st machen sie nachweislich<br />
die besseren Abschlüsse, sind sie in <strong>de</strong>n entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Positionen nicht<br />
entsprechend vertreten.<br />
Im Ges<strong>und</strong>heitswesen sind <strong>Frauen</strong> in allen Berufen, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>n sog.<br />
„Ges<strong>und</strong>heitsdienstberufen“, überproportional vertreten; Ausnahmen bil<strong>de</strong>n<br />
hier einzig Ärzte <strong>und</strong> Zahnärzte, an <strong>de</strong>nen ihr Anteil nur 27 bzw. 37,5%<br />
beträgt (2002). Die Anteile <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> an Arzt- / ZahnarzthelferInnen <strong>und</strong><br />
medizinisch- bzw. pharmazeutisch-technischen AssistentInnen beträgt<br />
nahezu bzw. exakt 100%. In <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n Interessenvertretungen,<br />
d.h. Geschäftsführungen <strong>und</strong> Vorstän<strong>de</strong>n von Ges<strong>und</strong>heitsverbän<strong>de</strong>n, liegen<br />
die <strong>Frauen</strong>anteile dagegen bei durchschnittlich 33 bzw. 31%. In 3 <strong>de</strong>r insgesamt<br />
8 Verbän<strong>de</strong> (AWMF 8 , DGE 9 , FVS 10 ) sind sie in <strong>de</strong>n Führungsgremien<br />
überhaupt nicht vertreten.<br />
Eine erste Zwischenbilanz: <strong>Frauen</strong> dienen, helfen <strong>und</strong> pflegen, sie reproduzieren<br />
<strong>und</strong> reparieren, Männer leiten, gestalten <strong>und</strong> entschei<strong>de</strong>n. <strong>Frauen</strong> sind kaum<br />
beteiligt an <strong>de</strong>r Konstruktion neuer Systeme, Welten <strong>und</strong> Räume bzw. an <strong>de</strong>n<br />
Entscheidungen, die im Vorfeld von Maßnahmen gefällt wer<strong>de</strong>n.<br />
1.3 Geschlechterverhältnisse im <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>?<br />
Die vorgestellten Zahlen – Daten – Fakten aus Wirtschaft, Politik <strong>und</strong> Gesellschaft<br />
geben einen Einblick in die sog. „Arbeitswelt“, die die erwerbstätige bzw.<br />
die öffentlich aktive Bevölkerung repräsentiert. Dabei wird <strong>de</strong>utlich, dass <strong>Frauen</strong><br />
– trotz zunehmend besserer Ausbildung – an <strong>de</strong>r Gestaltung <strong>de</strong>r Strukturen <strong>und</strong><br />
Produkte unterrepräsentiert, zum Teil sogar völlig abwesend sind.<br />
<strong>Frauen</strong> arbeiten mehrheitlich <strong>und</strong> überwiegend außerhalb <strong>de</strong>r öffentlichen Wahrnehmung,<br />
in <strong>de</strong>n unsichtbaren Welten <strong>de</strong>r Gesellschaft. Sie erbringen hier jedoch<br />
mit ihren zahlreichen unbezahlten Tätigkeiten <strong>de</strong>n größeren Anteil an <strong>de</strong>r ge-<br />
8 Arbeitsgemeinschaft <strong>de</strong>r Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften<br />
9 Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V.<br />
10 Fachverband Sucht e.V.<br />
37
samtgesellschaftlichen Leistung; das belegen die Zeitverwendungsstudien <strong>de</strong>s<br />
Statistischen B<strong>und</strong>esamtes. Trotz vereinzelter Quantensprünge, z.B. <strong>de</strong>r Tatsache,<br />
dass seit <strong>de</strong>m letzten Regierungswechsel im September 2005 eine Kanzlerin die<br />
Richtlinien <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Republik bestimmt, wird die Gesellschaft immer noch<br />
durch eine männliche Phalanx repräsentiert. Die gläserne Decke zu durchbrechen,<br />
be<strong>de</strong>utet für die einzelne Frau – trotz zahlreicher Anstrengungen durch<br />
<strong>Frauen</strong>för<strong>de</strong>rung <strong>und</strong> Mentoringprogramme – immer noch einen Kraftakt, <strong>de</strong>r nur<br />
selten gelingt. Gesellschaftliche Strukturen sind schwerfällige Tanker: Was<br />
Jahrtausen<strong>de</strong> Gültigkeit hatte, wird kaum in einer Generation umgekrempelt wer<strong>de</strong>n<br />
können, <strong>und</strong> es wird, wenn es im bisherigen Tempo weiter geht, Jahrh<strong>und</strong>erte<br />
brauchen 11 , bis die Gleichstellung <strong>de</strong>r Geschlechter erreicht ist.<br />
Ob die weitere Ausprägung <strong>de</strong>r Dienstleistungsgesellschaft <strong>und</strong> die Entwicklung<br />
zur Wissensgesellschaft diese Verän<strong>de</strong>rungen zu beschleunigen vermögen, darf<br />
zumin<strong>de</strong>st bezweifelt wer<strong>de</strong>n. Zwar bietet die Zunahme an Arbeitsplätzen im<br />
Dienstleistungsbereich, wo <strong>Frauen</strong> statistisch am stärksten vertreten <strong>und</strong> ihre<br />
Kompetenzen wie Team- <strong>und</strong> Kommunikationsfähigkeit stärker gefragt sind,<br />
durchaus Chancen. Das gilt ebenso für die Arbeitsplätze in <strong>de</strong>r neuen Wissensgesellschaft.<br />
Nach einer Studie über die Geschlechterverhältnisse in <strong>de</strong>r IT-<br />
Industrie (Dörhöfer / F<strong>und</strong>er u.a. 2004) zeigt sich jedoch, dass trotz eines relativ<br />
hohen Anteils von weiblichen Beschäftigten in diesen Bereichen bestehen<strong>de</strong><br />
Hierarchien im Geschlechterverhältnis kaum aufgebrochen wer<strong>de</strong>n <strong>und</strong> die<br />
geschlechtsspezifische Spaltung unangetastet bleibt. So sind auch hier <strong>Frauen</strong> die<br />
ersten, die in Krisenzeiten ihre Arbeitsplätze verlieren, <strong>und</strong> ihre Präsenz bleibt –<br />
trotz vergleichsweise hoher Qualifikationen in dieser Branche – in <strong>de</strong>n höheren<br />
Managementetagen dünn. Die bestehen<strong>de</strong>n Hierarchien wer<strong>de</strong>n nicht zuletzt<br />
dadurch verfestigt, dass die Geschäftsführer keinen Handlungsbedarf bezüglich<br />
<strong>Frauen</strong>för<strong>de</strong>rung sehen <strong>und</strong> Work-Life-Balance o<strong>de</strong>r Chancengleichheit bei <strong>de</strong>n<br />
unternehmerischen Prioritäten für eher unwichtig gehalten wer<strong>de</strong>n.<br />
2 Geschlechterverhältnisse <strong>und</strong> <strong>Demografischer</strong> <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong><br />
Die prognostizierten Entwicklungen sind ein<strong>de</strong>utig: Die Bevölkerung schrumpft<br />
<strong>und</strong> sie altert, zumin<strong>de</strong>st wenn nicht umgehend eine Trendwen<strong>de</strong> einsetzt. Die<br />
Geburtenrate je Frau ist seit 1960 von 2,4 / 2,3 (West / Ost) auf 1,2 / 1,4 abgesunken;<br />
<strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r über 60-Jährigen an <strong>de</strong>r Gesamtbevölkerung wird bis 2050<br />
auf 37% steigen (Bölsche / Bornhöft u.a. 2004: 39).<br />
11 In <strong>de</strong>r Schweiz wur<strong>de</strong> dieser Zeitraum gera<strong>de</strong> auf 962 Jahre beziffert; vgl. Köchli 2006<br />
38
Folge <strong>de</strong>r Schrumpfungs- <strong>und</strong> Alterungsprozesse ist nicht nur das Anwachsen <strong>de</strong>r<br />
Gruppe <strong>de</strong>r über 60-Jährigen - mit allen Konsequenzen für das Erscheinungsbild<br />
im öffentlichen Raum <strong>und</strong> die Nachfrage auf <strong>de</strong>m Markt <strong>de</strong>r Güter <strong>und</strong><br />
Dienstleistungen, auch Zahl <strong>und</strong> Anteil <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r <strong>und</strong> Jugendlichen bzw. <strong>de</strong>r<br />
Menschen im erwerbsfähigen Alter gehen dramatisch zurück. Das hat nicht nur<br />
Auswirkungen auf die sozialen Systeme, son<strong>de</strong>rn insbeson<strong>de</strong>re auch Folgen für<br />
<strong>de</strong>n fehlen<strong>de</strong>n Nachwuchs in Unternehmen <strong>und</strong> Institutionen. Die zunehmen<strong>de</strong><br />
Konkurrenz von Unternehmen, Städten <strong>und</strong> Regionen um die weniger wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n,<br />
insbeson<strong>de</strong>re qualifizierten Erwerbsfähigen nimmt zu.<br />
Zu <strong>de</strong>r eigentlichen <strong>de</strong>mografischen Entwicklung kommen die Folgen <strong>de</strong>s sog.<br />
„sozialen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>s“, <strong>de</strong>r von verschie<strong>de</strong>nen parallel verlaufen<strong>de</strong>n <strong>und</strong> ineinan<strong>de</strong>r<br />
greifen<strong>de</strong>n Prozessen geprägt ist. Neben <strong>de</strong>r Emanzipation <strong>de</strong>r Frau bzw. <strong>de</strong>r<br />
Gleichstellung gehören dazu die neuen Lebens- <strong>und</strong> Familienformen bzw. <strong>de</strong>ren<br />
Pluralisierung <strong>und</strong> Diversifizierung, zunehmen<strong>de</strong> Migrationsprozesse, die<br />
Flexibilisierung <strong>de</strong>r Arbeit, neue Informations- <strong>und</strong> Kommunikationstechnologien<br />
usw., die die Entwicklungen in Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft maßgeblich<br />
prägen. Dies führt wie<strong>de</strong>rum zu verschie<strong>de</strong>nen Konsequenzen, die u.a. auch das<br />
Geschlechterverhältnis betreffen:<br />
Wenn die erwerbsfähigen Jahrgänge gegenüber <strong>de</strong>m Altenberg schrumpfen,<br />
wird <strong>de</strong>r Druck auf die Erwerbstätigkeit <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> zunehmen. Die<br />
Gesellschaft wird es sich kaum leisten können, auf ihre weiblichen<br />
Potentiale zu verzichten. Vereinbarkeit von Familie <strong>und</strong> Beruf ist auf Dauer<br />
nicht nur ein sozialpolitisches, son<strong>de</strong>rn auch ein ökonomisches Thema.<br />
Die Diversifizierung <strong>de</strong>r Lebensformen – neben die traditionelle „Normalfamilie“<br />
aus Vater, Mutter <strong>und</strong> zwei Kin<strong>de</strong>rn sind in <strong>de</strong>n letzten 20 Jahren<br />
Alleinleben<strong>de</strong> <strong>und</strong> kin<strong>de</strong>rlose Paare; gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften;<br />
Alleinerziehen<strong>de</strong> <strong>und</strong> Patchworkfamilien sowie die sog. livingapart-together<br />
(LAT) -Paare <strong>und</strong> -Familien mit mehreren Wohnsitzen <strong>und</strong><br />
pen<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Familienangehörigen, Wohngemeinschaften aller Art <strong>und</strong> je<strong>de</strong>n<br />
Alters getreten – führt auch zu einer Diversifizierung im Wohn-, Freizeit<strong>und</strong><br />
Konsumverhalten. Nachfrageorientierung ist heute – auch in <strong>de</strong>r<br />
Wohnungswirtschaft – zu einem zentralen Thema gewor<strong>de</strong>n. <strong>Frauen</strong> spielen<br />
traditionell eine starke Rolle bei <strong>de</strong>r Entwicklung neuer Wohnformen; es ist<br />
daher auf Dauer kaum vertretbar, auf dieses Knowhow zu verzichten.<br />
Die zunehmen<strong>de</strong>n Migrationsströme werfen Fragen <strong>de</strong>r Integration auf, die<br />
nicht nur am Arbeitsplatz, son<strong>de</strong>rn insbeson<strong>de</strong>re auch im Wohnquartier <strong>und</strong><br />
im Bildungswesen an Be<strong>de</strong>utung gewinnen, Bereiche, in <strong>de</strong>nen ein Großteil<br />
<strong>de</strong>r bezahlten wie unbezahlten Arbeit von <strong>Frauen</strong> geleistet wird. Gleichzeitig<br />
ist die Zuwan<strong>de</strong>rung eine Aufgabe, die nicht nur sozialpolitisch, son<strong>de</strong>rn<br />
auch baulich-räumlich zu begleiten ist.<br />
39
Die Flexibilisierung <strong>de</strong>r Arbeit, die durch <strong>de</strong>n ökonomischen<br />
Strukturwan<strong>de</strong>l hervorgerufen wird, führt zu einer immer ungleicheren<br />
Verteilung von Einkommen <strong>und</strong> Wohlstand. Folge ist zum einen eine sozialräumliche<br />
Polarisierung zwischen <strong>de</strong>nen, die dauerhaft arbeitslos sind<br />
o<strong>de</strong>r mit wechseln<strong>de</strong>n Jobs am Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Existenzminimums leben, <strong>und</strong><br />
<strong>de</strong>nen, die immer mehr Arbeit <strong>und</strong> immer mehr Geld haben. Dies hat auch<br />
Konsequenzen für die soziale Polarisierung zwischen Wohnstandorten<br />
<strong>und</strong> Konsumgewohnheiten. Gleichzeitig stellen die immer schnelleren<br />
Verän<strong>de</strong>rungen in <strong>de</strong>r Arbeitswelt Anfor<strong>de</strong>rungen an <strong>de</strong>n individuellen<br />
Umgang mit erwerbslosen Zeiten wie mit wechseln<strong>de</strong>n Arbeitsverhältnissen.<br />
Auf flexible Lösungen <strong>und</strong> Verän<strong>de</strong>rung sind <strong>Frauen</strong> traditionell<br />
besser vorbereitet als Männer: Sie haben in ihren Biographien schon immer<br />
wechseln müssen zwischen Zeiten mit <strong>und</strong> ohne Berufstätigkeit, mit <strong>und</strong><br />
ohne Familie o<strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r, so dass ihnen <strong>de</strong>r Wechsel von Konstellationen,<br />
auch zwischen mehreren Jobs <strong>und</strong> im Spagat zwischen Heim- <strong>und</strong><br />
Büroarbeit, leichter fallen dürfte.<br />
Die neuen Informations- <strong>und</strong> Kommunikationstechnologien bergen schließlich<br />
Chancen <strong>und</strong> Risiken zugleich: Sie bieten neue Optionen, auch ohne<br />
Ortsverän<strong>de</strong>rung mit <strong>de</strong>n Entwicklungen mithalten zu können, dies ist<br />
gera<strong>de</strong> für Mütter bzw. Eltern, Hochbetagte o<strong>de</strong>r Menschen mit<br />
Behin<strong>de</strong>rungen, relevant. Sie bieten also Chancen auf soziale Integration,<br />
bergen aber gleichzeitig das Risiko <strong>de</strong>r Vereinsamung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Ausgrenzung<br />
<strong>de</strong>rer, die sich <strong>de</strong>n Anschluss nicht leisten können bzw. wollen o<strong>de</strong>r die mit<br />
<strong>de</strong>m dynamischen technologischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> nicht mithalten können.<br />
3 Geschlechterverhältnisse im Raum<br />
Die Geschlechterverhältnisse (= soziale Strukturen) schlagen sich auch nie<strong>de</strong>r im<br />
gebauten Raum <strong>de</strong>r Siedlungslandschaften. Die seit <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Stadtentwicklung<br />
im Industriezeitalter entstan<strong>de</strong>nen monofunktionalen Strukturen aus<br />
Wohn- <strong>und</strong> Gewerbe- / Industriegebieten, Büro- <strong>und</strong> Einkaufsstandorten haben –<br />
zusammen mit <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>npreisgefälle von innen nach außen zu Verteilungen im<br />
Raum geführt, die <strong>Frauen</strong> eher an <strong>de</strong>n Rand verweisen (vgl. Dörhöfer 1990: 15;<br />
Zibell 1995; von Sal<strong>de</strong>rn/Zibell 2006). Aufgr<strong>und</strong> ihrer traditionellen Rolle in<br />
Haushalt <strong>und</strong> Familie sind sie die Bewohnerinnen <strong>de</strong>r Wohnsiedlungen gewor<strong>de</strong>n,<br />
die im androzentrischen Planungsjargon bald als „Schlafstädte“ bezeichnet wur<strong>de</strong>n,<br />
in Verkennung <strong>de</strong>r Tatsache, dass <strong>Frauen</strong> hier regelmäßig vielfältige Arbeiten<br />
in Wohnung <strong>und</strong> Wohnumfeld verrichten, dass Kin<strong>de</strong>r <strong>und</strong> Jugendliche hier zur<br />
Schule gehen <strong>und</strong> ihre Hausaufgaben machen etc..<br />
40
Erst seit <strong>de</strong>m <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> von <strong>de</strong>r Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft, mit <strong>de</strong>m<br />
insbeson<strong>de</strong>re seit <strong>de</strong>n 1990er Jahren eine Umstrukturierung ehemaliger<br />
Industriestandorte einherging <strong>und</strong> damit neue innerstädtische Nutzungsmischungen<br />
aus Wohnen <strong>und</strong> Büro, Freizeit <strong>und</strong> Kultur möglich gewor<strong>de</strong>n sind,<br />
wird die strikte Trennung <strong>de</strong>r städtischen Funktionen gr<strong>und</strong>sätzlich wie<strong>de</strong>r in<br />
Frage gestellt. Während jedoch attraktive innerstädtische Lagen, um die es sich<br />
bei <strong>de</strong>n neuen Umstrukturierungsgebieten meist han<strong>de</strong>lt, sich zu neuen<br />
Standorten entwickeln können, in <strong>de</strong>nen kurze Wege, eine zentrale Voraussetzung<br />
für die Vereinbarkeit von Familie <strong>und</strong> Beruf, realisiert wer<strong>de</strong>n können, bleibt die<br />
Frage bei weniger attraktiven Stadtrandsiedlungen, noch dazu, wenn diese, wie so<br />
häufig, im sozialen Wohnungsbau entstan<strong>de</strong>n sind, bestehen, ob hier nachträglich<br />
– insbeson<strong>de</strong>re qualitätsvolle – Arbeitsplätze integriert wer<strong>de</strong>n können. Der<br />
<strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> <strong>de</strong>r Versorgungsstrukturen seit <strong>de</strong>n 1980er Jahren mit seinen Konzentrationsprozessen<br />
auf wenige Großverteiler <strong>und</strong> häufig fern <strong>de</strong>r Siedlungsgebiete<br />
gelegene autoaffine Standorte trägt auf seine Weise zum Schwin<strong>de</strong>n von wohnungsnahen<br />
Arbeitsplätzen im Einzelhan<strong>de</strong>l bei, die gera<strong>de</strong> für Mütter von kleineren<br />
Kin<strong>de</strong>rn bzw. teilzeitarbeiten<strong>de</strong> <strong>Frauen</strong> von beson<strong>de</strong>rem Interesse sind.<br />
Gleichzeitig haben sie nachteilige Folgen für die Gr<strong>und</strong>versorgung von<br />
Quartieren.<br />
Die <strong>de</strong>mografische Entwicklung wird mit ihren Schrumpfungsprozessen nicht<br />
zu einer gleichmäßigen Ausdünnung <strong>und</strong> Verteilung im Raum führen (vgl.<br />
Walther 1998: 31), son<strong>de</strong>rn vorhan<strong>de</strong>ne Disparitäten eher noch verschärfen. So ist<br />
eine Perforation <strong>de</strong>r Siedlungsgebiete insbeson<strong>de</strong>re an Standorten zu erwarten,<br />
die als soziale Brennpunkte bekannt sind o<strong>de</strong>r sich in Lagen befin<strong>de</strong>n, die vom<br />
öffentlichen Verkehr unzureichend erschlossen sind. Szenarien, die im Rahmen<br />
von Forschungsarbeiten für die ausge<strong>de</strong>hnten Einfamilienhausgebiete im weiteren<br />
Umland größerer Städte für das Jahr 2030 beschrieben wur<strong>de</strong>n, gehen davon<br />
aus, dass sich hier mittel- <strong>und</strong> langfristig die alten verwitweten <strong>Frauen</strong> konzentrieren<br />
wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>ren Versorgung – aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r verän<strong>de</strong>rten Strukturen im<br />
Einzelhan<strong>de</strong>l, aufgr<strong>und</strong> abnehmen<strong>de</strong>r selbständiger Mobilität <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Verfall <strong>de</strong>r<br />
Immobilienwerte in diesen Lagen – kaum noch gesichert ist (Zibell / Jürjens u.a.<br />
2004). Neue Formen mobiler Dienste <strong>und</strong> an<strong>de</strong>re Versorgungssysteme müssen<br />
zum Teil erst noch erf<strong>und</strong>en bzw. in rentable Formen gegossen wer<strong>de</strong>n. Inwieweit<br />
an<strong>de</strong>rerseits diese Standorte attraktiv wer<strong>de</strong>n könnten für MigrantInnenfamilien,<br />
die <strong>de</strong>rzeit noch größere Kin<strong>de</strong>rzahlen aufweisen bzw. stärker in Familienverbün<strong>de</strong>n<br />
leben <strong>und</strong> erschwingliche Wohnstandorte suchen, ist allenfalls Vision.<br />
Zumin<strong>de</strong>st wären gesellschaftliche Akzeptanz <strong>und</strong> soziale Integration die<br />
Voraussetzung dafür, dass sich hieraus neue Synergien entwickeln könnten, die<br />
bei<strong>de</strong>n Seiten Vorteile bringen.<br />
41
Eine an<strong>de</strong>re Seite <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>s zeigt sich mit <strong>de</strong>r Abwan<strong>de</strong>rung<br />
aus ökonomisch rückständigen <strong>und</strong> schrumpfen<strong>de</strong>n Regionen, insbeson<strong>de</strong>re in<br />
Ost- <strong>und</strong> Mitteleuropa, aber auch in peripher gelegenen ländlichen Räumen o<strong>de</strong>r<br />
alten Industrieregionen: Die gut Ausgebil<strong>de</strong>ten wan<strong>de</strong>rn ab, die mit <strong>de</strong>n schlechten<br />
Schulabschlüssen, die Arbeitslosen, die Alten bleiben da. In <strong>de</strong>n Neuen<br />
B<strong>und</strong>eslän<strong>de</strong>rn sind es heute überwiegend (junge) <strong>Frauen</strong>, die abwan<strong>de</strong>rn;<br />
<strong>Frauen</strong>mangel ist bereits ein Problem in einigen Regionen Bran<strong>de</strong>nburgs <strong>und</strong><br />
Mecklenburg-Vorpommerns. Eine geschlechtsdifferenzieren<strong>de</strong> För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r<br />
jungen <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong> Männer bzw. eine verän<strong>de</strong>rte Bildungspolitik wird zum Gebot<br />
<strong>de</strong>r St<strong>und</strong>e. Ob dies Chancen auf einen Bewusstseinswan<strong>de</strong>l auslöst o<strong>de</strong>r Gleichstellungsprozesse<br />
zu beschleunigen vermag, bleibt vorerst dahin gestellt.<br />
Zumin<strong>de</strong>st liegen hier Ansatzpunkte für eine nachhaltige <strong>und</strong> sozial orientierte<br />
Regionalpolitik, die das Arbeitskräftepotential für ländliche Räume in <strong>de</strong>r künftigen<br />
Wissensgesellschaft zu generieren vermag.<br />
4 Geschlechterverhältnisse <strong>und</strong> Soziale Integration<br />
Das Postulat <strong>de</strong>r sozialen Integration ist eng mit <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r Europäischen Stadt<br />
verknüpft, die in <strong>de</strong>r Realität jedoch immer von Segregationsprozessen geprägt<br />
war. Diese bezogen sich nicht nur auf die Ausgrenzung von Menschen an<strong>de</strong>rer<br />
Herkunft o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rer Religionen in beson<strong>de</strong>ren Stadtquartieren, son<strong>de</strong>rn auch<br />
auf die Ausgrenzung von <strong>Frauen</strong> aus <strong>de</strong>n <strong>de</strong>mokratischen Strukturen <strong>und</strong> <strong>de</strong>n<br />
Möglichkeiten zur Mitgestaltung <strong>und</strong> Mitbestimmung.<br />
Mangel an sozialer Integration zeigt sich jeweils da, wo Konflikte auftreten.<br />
Konflikte sind zwar Ausdruck sozialer Desintegration, gleichzeitig aber immer<br />
auch Quelle sozialen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>s <strong>und</strong> sozialen Lernens. Voraussetzung für einen –<br />
wie auch immer gearteten – Umgang mit Konflikten ist <strong>de</strong>ren Wahrnehmung<br />
durch Betroffene <strong>und</strong> (potentielle) AkteurInnen; eine wesentliche Rolle spielen<br />
hier sowohl eigene Erfahrungen als auch die (selektive) Berichterstattung in <strong>de</strong>n<br />
Medien. Nach <strong>de</strong>n Wohlfahrtssurveys 12 1993, 1998 wer<strong>de</strong>n die in <strong>de</strong>n Medien<br />
präsenten Konflikte zwischen Asylbewerbern <strong>und</strong> Deutschen (insgesamt 81%)<br />
z.B. als „sehr starke“ bzw. „starke“ Konflikte empf<strong>und</strong>en; die Wahrnehmung von<br />
Gegensätzen zwischen <strong>de</strong>n Geschlechtern rangiert dagegen mit 17% in West-,<br />
14% in Ost<strong>de</strong>utschland an letzter Stelle. Geschlechterverhältnisse wer<strong>de</strong>n<br />
<strong>de</strong>mnach kaum als Konflikt wahrgenommen, jedoch nehmen <strong>Frauen</strong> Benachteiligungen,<br />
auch zwischen <strong>de</strong>n Geschlechtern, ganz offensichtlich mehr wahr als<br />
Männer. Dies trifft jedoch nicht für alle <strong>Frauen</strong> per se zu, son<strong>de</strong>rn unterschei<strong>de</strong>t<br />
12 Eine speziell für die Wohlfahrtsmessung <strong>und</strong> Analyse <strong>de</strong>r Lebensqualität konzipierte Repräsentativbefragung;<br />
gehört zu <strong>de</strong>n wichtigsten Instrumenten <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Dauerbeobachtung in Deutschland<br />
42
sich nach sozialer Schicht / intellektuellem Milieu, Einkommen <strong>und</strong> Lebensform<br />
<strong>de</strong>r einzelnen Frau.<br />
4.1 Themen- <strong>und</strong> Handlungsfel<strong>de</strong>r sozialer Integration<br />
Im Zusammenhang mit Geschlechterverhältnissen wird von sozialer Integration<br />
auch in <strong>de</strong>r politischen Öffentlichkeit eigentlich nicht gesprochen. Gibt man im<br />
Internet das Stichwort „soziale Integration“ ein, so stößt man auf Hinweise zu<br />
benachteiligten Jugendlichen, wohnungsberechtigten Zuwan<strong>de</strong>rInnen, älteren<br />
MigrantInnen o<strong>de</strong>r auch auf Probleme sozialer Integration an Schulen. Alter <strong>und</strong><br />
Ethnie kommen vor, nicht hingegen die Integration o<strong>de</strong>r Desintegration <strong>de</strong>r<br />
Geschlechter. Das allgemeine Verständnis <strong>de</strong>r sozialen Integration umreißt ein<br />
Themenfeld zwischen Armut <strong>und</strong> Erwerbslosigkeit, Ungleichheit <strong>und</strong> Diskriminierung,<br />
Einwan<strong>de</strong>rungsproblematik <strong>und</strong> politischer Partizipation; dabei ist<br />
die Geschlechterfrage in einzelnen Themenfel<strong>de</strong>rn durchaus präsent – wie z.B. im<br />
Bereich <strong>de</strong>r Armut („Armut ist weiblich“) o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Partizipation, hier jedoch in<br />
aller Regel aus <strong>de</strong>r Perspektive <strong>de</strong>r Betroffenen, <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong>, selbst. Für die<br />
Notwendigkeit einer Integration <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> per se – in politische Strukturen, in<br />
Meinungsbildungs- <strong>und</strong> Entscheidungsprozesse etc. – existiert kaum ein öffentliches<br />
Bewusstsein.<br />
Die Integration <strong>de</strong>r Geschlechter bzw. <strong>de</strong>r unterschiedlichen Lebens- <strong>und</strong><br />
Arbeitswelten wird – zumin<strong>de</strong>st im politischen Raum – ganz offensichtlich auf<br />
<strong>de</strong>n privaten Bereich, die kleinste gesellschaftliche Einheit von Ehe bzw.<br />
Partnerschaft <strong>und</strong> Familie, verwiesen. Hier besteht jedoch das Problem, dass die<br />
Familie, zumin<strong>de</strong>st als soziale Einheit mit ihren verwandtschaftlichen Beziehungssystemen,<br />
in Zukunft – nicht nur angesichts <strong>de</strong>r fortgesetzten Emanzipationsbestrebungen<br />
<strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong>, son<strong>de</strong>rn auch vor <strong>de</strong>m Hintergr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mografischen<br />
<strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>s – als „Integrationsmaschine“ immer weniger funktionieren<br />
wird. Das heißt: Wahlfamilien <strong>und</strong> funktionieren<strong>de</strong> Nachbarschaften wer<strong>de</strong>n<br />
wichtiger; nicht umsonst ist das Mehrgenerationenwohnen als politisches Thema<br />
inzwischen erkannt.<br />
Die klassischen Handlungsfel<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r sozialen Integration entpuppen sich bei<br />
genauerem Hinsehen fast ausnahmslos als Bereiche, in <strong>de</strong>nen <strong>Frauen</strong> traditionell<br />
stark vertreten sind: Familie <strong>und</strong> Wohnbereich, Schule <strong>und</strong> Erziehung, Bildung<br />
<strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit bzw. Altenpflege sind klassische Domänen <strong>de</strong>r Frau. Integrationsarbeit<br />
wird heute zu großen Teilen von <strong>Frauen</strong> geleistet, dies jedoch mehr<br />
in lokalen Sozialräumen <strong>und</strong> Netzwerken als auf <strong>de</strong>r gesellschaftlichen<br />
Makroebene. Damit <strong>Frauen</strong> diese Fähigkeiten in die politische <strong>und</strong> wirtschaftliche<br />
Führungsverantwortung einbringen können, müsste Integrationsarbeit hier<br />
43
von <strong>de</strong>n Führungskräften, d.h. insbeson<strong>de</strong>re auch von Männern, geleistet wer<strong>de</strong>n<br />
– das setzt jedoch eine entsprechen<strong>de</strong> Bereitschaft bzw. Problemwahrnehmung<br />
voraus.<br />
4.2 Mögliche Strategien sozialer Integration: Sozialräume <strong>und</strong> Netzwerke<br />
Eine Strategie <strong>de</strong>r Integration, auch <strong>de</strong>r Geschlechter, kann kaum Erfolg versprechend<br />
sein, wenn sie (nur) an einer Seite <strong>de</strong>r Medaille ansetzt, <strong>de</strong>nn: Wie viel<br />
Integration im Erwerbsprozess ist durch die zunehmen<strong>de</strong> Qualifikation <strong>de</strong>r<br />
<strong>Frauen</strong> tatsächlich erreicht wor<strong>de</strong>n? Und wie viel durch Partizipation in<br />
Planungsprozessen? Voraussetzung für eine weiter gehen<strong>de</strong> Integration <strong>de</strong>r<br />
Geschlechter – <strong>Frauen</strong> in Wirtschaft <strong>und</strong> Politik, Männer in Familie <strong>und</strong><br />
Wohnumfeld bzw. im Sozial- <strong>und</strong> Versorgungsbereich – wäre eine Überwindung<br />
<strong>de</strong>r traditionellen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung.<br />
Im Rahmen <strong>de</strong>s Forschungsprojektes Stadt+Um+Land Region Braunschweig<br />
2030, das sich vor <strong>de</strong>m Hintergr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>s u.a. mit <strong>de</strong>r<br />
Zukunft von Wohnen <strong>und</strong> Versorgung beschäftigte, wur<strong>de</strong> die I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r sog.<br />
„Schule im Stadtteil“ verfolgt. Diese könnte über die primäre Bildung von<br />
SchülerInnen hinaus – insbeson<strong>de</strong>re wenn sie als solche nicht mehr gebraucht<br />
wird, weil <strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong> Nachwuchs fehlt – eine offene Institution sein mit<br />
kulturellen Angeboten aller Art, sozialen Servicefunktionen, öffentlich zugänglichen<br />
Internet-Terminals usw. (vgl. Zibell/ Jürjens/ Krüger 2004; vgl. auch: May<br />
2006). Eine so verstan<strong>de</strong>ne Schule für alle könnte <strong>de</strong>n vielfältigen Bedürfnissen<br />
im Stadtteil 13 <strong>und</strong> gleichzeitig <strong>de</strong>n Anfor<strong>de</strong>rungen an lebenslanges Lernen auf<br />
intergenerative Weise gerecht wer<strong>de</strong>n <strong>und</strong> die erfor<strong>de</strong>rliche Integration von zwei<br />
Seiten aus vollziehen: von <strong>de</strong>r lokalen Ebene, aber auch von Seiten <strong>de</strong>r Gesellschaft,<br />
<strong>de</strong>r Politik sowie <strong>de</strong>r Unternehmen, die ein Interesse an qualifizierten<br />
Arbeitskräften haben dürften <strong>und</strong> mit <strong>de</strong>r Unterstützung entsprechen<strong>de</strong>r Angebote<br />
in die gesellschaftliche Verantwortung eingeb<strong>und</strong>en wer<strong>de</strong>n könnten.<br />
Es kann beim Thema <strong>de</strong>r sozialen Integration nicht nur um die Fokussierung <strong>de</strong>r<br />
Sozialräume gehen, die in <strong>de</strong>r Tradition <strong>de</strong>s Sozialraumkonzeptes an <strong>de</strong>r lokalen<br />
Basis <strong>und</strong> insbeson<strong>de</strong>re in unterprivilegierten Milieus angesie<strong>de</strong>lt sind (vgl. z.B.<br />
Riege / Schubert 2002), son<strong>de</strong>rn auch um die Netzwerke, welche bisher in <strong>de</strong>r<br />
theoretischen Reflexion vor allem als abgehobene Akteursnetzwerke gedacht <strong>und</strong><br />
strukturiert sind (vgl. z.B. Fürst / Schubert 1998), zu <strong>de</strong>nen <strong>Frauen</strong> nicht dieselben<br />
Zugangsmöglichkeiten haben. Dies lässt sich am Beispiel <strong>de</strong>r neuen<br />
13 Der Begriff „Stadtteil“ wird hier gr<strong>und</strong>sätzlich auf jegliche Raumeinheiten in einer urban überformten<br />
Siedlungslandschaft angewen<strong>de</strong>t, umfasst also auch einzelne Dörfer o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Siedlungsteile im ländlichen<br />
Raum.<br />
44
Metropolregionen anschaulich verfolgen: Bei dieser aktuellen Neukonstruktion<br />
von Räumen, die sich im globalen Wettbewerb <strong>de</strong>r Städte <strong>und</strong> Regionen aufstellen,<br />
um international wahrgenommen zu wer<strong>de</strong>n <strong>und</strong> mithalten zu können,<br />
stehen persönliche Netzwerke <strong>und</strong> Wissensaustausch bzw. Kooperationen von<br />
Wirtschaft, Wissenschaft <strong>und</strong> Forschung im Mittelpunkt regionaler Standortpolitik.<br />
Statt eine neue administrative <strong>und</strong> politische interkommunale bzw.<br />
-regionale Ebene einzuführen, wer<strong>de</strong>n hier neue Raumgebil<strong>de</strong> erzeugt, die zum<br />
einen eine Herausfor<strong>de</strong>rung an die politischen Akteure darstellen <strong>und</strong> diesen eine<br />
Chance bieten, wirtschaftliche <strong>und</strong> wissenschaftliche Potenziale im Raum effektiver<br />
zu vernetzen. Zum an<strong>de</strong>ren setzt diese neue Raumkonstruktion alle bisherigen<br />
<strong>de</strong>mokratischen Regeln außer Kraft: Mitwirkung geschieht nicht mehr aufgr<strong>und</strong><br />
rechtlich fixierter Gr<strong>und</strong>lagen, son<strong>de</strong>rn aufgr<strong>und</strong> von Beziehungen bzw.<br />
sozialer <strong>und</strong> kultureller Kompetenz. Zum Eintritt in diese neuen informellen<br />
Strukturen bedarf es <strong>de</strong>r Bekanntheit bzw. <strong>de</strong>r Mitgliedschaft in traditionellen<br />
politischen, wirtschaftlichen o<strong>de</strong>r wissenschaftlichen Netzwerken, in <strong>de</strong>nen die<br />
Mehrheit <strong>de</strong>r BürgerInnen, aber zum Beispiel auch <strong>Frauen</strong> generell weniger vertreten<br />
sind. (vgl. Zibell i.E.)<br />
Es geht im Hinblick auf die Integration <strong>de</strong>r Geschlechter eben nicht nur um das<br />
Bemühen, Integration von einer Seite aus zu forcieren, es braucht genauso die<br />
Unterstützung durch die an<strong>de</strong>re Seite, in die hinein integriert wer<strong>de</strong>n soll.<br />
Sozialräume an <strong>de</strong>r lokalen Basis <strong>und</strong> alle Arten von Akteursnetzwerken müssten<br />
sich dabei aufeinan<strong>de</strong>r zu bewegen.<br />
5 Chancen <strong>und</strong> Risiken für die soziale Integration von<br />
<strong>Frauen</strong> <strong>und</strong> Männern in Stadt <strong>und</strong> Region<br />
Die real existieren<strong>de</strong> europäische Stadt ist – nach ihren baulich-räumlichen wie<br />
nach ihren sozialen <strong>und</strong> politischen Strukturen – immer noch eine Stadt <strong>de</strong>r<br />
Männer, <strong>und</strong> so ist auch je<strong>de</strong>r Diskurs über die europäische Stadt immer noch<br />
patriarchalisch geprägt.<br />
Gleichzeitig ist die real existieren<strong>de</strong> Stadt als Lebensraum für ihre<br />
BewohnerInnen regional gewor<strong>de</strong>n; Mobilitätsmuster <strong>und</strong> Aktionsräume überschreiten<br />
heute regelmäßig die Grenzen <strong>de</strong>r eigenen Wohngemein<strong>de</strong>; neue politische<br />
Strukturen <strong>und</strong> Entscheidungsprozesse erfor<strong>de</strong>rn zunehmend die interkommunale<br />
Kooperation in Stadt-Umland-Räumen.<br />
Strategien sozialer Integration müssten auf bei<strong>de</strong>n Ebenen ansetzen: auf <strong>de</strong>r<br />
Ebene <strong>de</strong>r Mitbestimmung am kommunalen Gemeinwesen wie am regionalen<br />
45
Lebensraum. Dabei können Stadt <strong>und</strong> Region diesen Auftrag nur bewältigen,<br />
wenn sie sich als Vermittlungsagenturen zwischen Sozialräumen <strong>und</strong> Netzwerken<br />
verstehen <strong>und</strong> in alle Planungs- <strong>und</strong> Entscheidungsprozesse <strong>Frauen</strong> auch als<br />
Akteurinnen einbeziehen, nicht nur als Betroffene. Die neue europäische<br />
Strategie <strong>de</strong>s Gen<strong>de</strong>r Mainstreaming könnte diesem Anliegen entgegen kommen.<br />
Die Entstehung neuer informeller Strukturen wie die <strong>de</strong>r Metropolregionen<br />
produziert dagegen neue Ausgrenzungsmechanismen, wenn <strong>de</strong>mokratische<br />
Verfahren umgangen wer<strong>de</strong>n.<br />
Der <strong>de</strong>mografische <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> ist in je<strong>de</strong>m Fall zu bewältigen, welche Werthaltungen<br />
sich auch immer auf Dauer durchsetzen wer<strong>de</strong>n. Anhand von drei aktuellen<br />
Ten<strong>de</strong>nzen sollen abschließend einige Überlegungen angestellt wer<strong>de</strong>n, inwiefern<br />
die Integration <strong>de</strong>r Lebenswelten dazu beitragen kann, die Herausfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s<br />
<strong>de</strong>mographischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>s zu bewältigen.<br />
Ten<strong>de</strong>nz 1: weniger Erwerbspersonen – mehr erwerbstätige <strong>Frauen</strong>?<br />
Einer schwin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Zahl von Kin<strong>de</strong>rn <strong>und</strong> Jugendlichen wird nicht nur ein wachsen<strong>de</strong>s<br />
Heer an Alten <strong>und</strong> Hochbetagten gegenüberstehen; auch die Menschen im<br />
erwerbsfähigen Alter wer<strong>de</strong>n weniger. Dies scheint eine Chance für <strong>Frauen</strong>;<br />
zumin<strong>de</strong>st nimmt die Anfor<strong>de</strong>rung an <strong>Frauen</strong>, sich am Erwerbsleben stärker zu<br />
beteiligen, insgesamt zu. Inwieweit sie dadurch auch einen stärkeren Anteil an<br />
Führungsverantwortung übernehmen wer<strong>de</strong>n, ist offen.<br />
Weitere offene Fragen stellen sich im Bezug auf an<strong>de</strong>re Folgen, z.B. die<br />
Entwicklung <strong>de</strong>r Geburtenrate - wer<strong>de</strong>n wir eine weitere Reduktion zu verzeichnen<br />
haben, vor allem bei <strong>de</strong>n gut ausgebil<strong>de</strong>ten <strong>Frauen</strong>? Und wer<strong>de</strong>n die, die noch<br />
Kin<strong>de</strong>r in die Welt setzen, gr<strong>und</strong>sätzlich von Armut bedroht sein? Wer<strong>de</strong>n wir<br />
eine verstärkte Beteiligung <strong>de</strong>r Männer an <strong>de</strong>r Haus- <strong>und</strong> Sozialarbeit erleben?<br />
Fragen, die allein durch ein quantitativ verän<strong>de</strong>rtes Geschlechterverhältnis nicht<br />
beantwortet wer<strong>de</strong>n können, son<strong>de</strong>rn ein Um<strong>de</strong>nken in <strong>de</strong>n Köpfen <strong>und</strong> verän<strong>de</strong>rte<br />
Werthaltungen erfor<strong>de</strong>rn, die jedoch politisch induziert wer<strong>de</strong>n müssten.<br />
Ten<strong>de</strong>nz 2: schrumpfen<strong>de</strong> Regionen – gut <strong>und</strong> besser ausgebil<strong>de</strong>te <strong>Frauen</strong><br />
Eine verstärkte Abwan<strong>de</strong>rung aus ökonomisch rückständigen Regionen, insbeson<strong>de</strong>re<br />
in Ost- <strong>und</strong> Mitteleuropa, aber auch aus an<strong>de</strong>ren peripher gelegenen o<strong>de</strong>r<br />
altindustrialisierten Gebieten ist heute bereits Realität. Konsequenz ist <strong>de</strong>r sog.<br />
„brain drain“, <strong>de</strong>r nicht nur einen Abfluss von Humankapital <strong>und</strong> Wissen be<strong>de</strong>utet,<br />
son<strong>de</strong>rn auch Arbeitslose <strong>und</strong> damit Hoffnungslosigkeit in <strong>de</strong>n betroffenen<br />
Regionen hinterlässt. Gleichzeitig vollzieht sich eine <strong>de</strong>utliche Verän<strong>de</strong>rung im<br />
46
Bildungsstand <strong>de</strong>r Geschlechter: Mädchen machen die besseren Abschlüsse,<br />
Ten<strong>de</strong>nz steigend, die Jungen bleiben dahinter zurück. Es sind daher überwiegend<br />
junge <strong>Frauen</strong>, die vermehrt abwan<strong>de</strong>rn; entsprechend ist das Bild in vielen ost<strong>de</strong>utschen<br />
Regionen schon heute geprägt von „Männern ohne <strong>Frauen</strong>“ (Zürcher<br />
2003: 89 ff.).<br />
Es zeichnen sich neue Formen <strong>de</strong>s Geschlechterverhältnisses ab, die sowohl<br />
Risiken in sich bergen, möglicherweise aber auch Chancen, sofern es gelingt, die<br />
jungen <strong>Frauen</strong> mit entsprechen<strong>de</strong>n Arbeitsmöglichkeiten in <strong>de</strong>n betroffenen<br />
Regionen zu halten <strong>und</strong> <strong>de</strong>n jungen Männern einen vergleichbaren Bildungsstand<br />
zu vermitteln. Gleichzeitig wären Männer für die traditionellen <strong>Frauen</strong>arbeiten zu<br />
qualifizieren, um ihnen – auch in Zeiten <strong>de</strong>r Erwerbslosigkeit – sinnstiften<strong>de</strong><br />
Tätigkeiten bieten zu können. Voraussetzung sind auch hier jedoch Än<strong>de</strong>rungen<br />
im Geschlechterverhältnis bzw. ein Wertewan<strong>de</strong>l zwischen <strong>de</strong>n Tätigkeitsfel<strong>de</strong>rn<br />
in Familie <strong>und</strong> Beruf.<br />
Ten<strong>de</strong>nz 3: sozialräumliche Polarisierung – Zentren <strong>und</strong> Peripherien<br />
Schrumpfung <strong>und</strong> Abwan<strong>de</strong>rung sind nur die eine Seite <strong>de</strong>r Medaille, auf <strong>de</strong>r<br />
an<strong>de</strong>ren Seite entwickeln sich prosperieren<strong>de</strong> Städte zu Global Cities <strong>und</strong> zusammen<br />
mit ihren Umlän<strong>de</strong>rn zu Metropolregionen, in <strong>de</strong>nen weltweit agieren<strong>de</strong><br />
Unternehmen als Motoren <strong>de</strong>s regionalen Wohlstands mit <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n<br />
Geschäftswelten als Gewinner hervorgehen. Hier entstehen neue Akteursnetzwerke,<br />
in aller Regel Männerwelten mit <strong>de</strong>n für <strong>Frauen</strong> beschriebenen<br />
Integrationsschwierigkeiten.<br />
<strong>Frauen</strong> mit ihren spezifischen Kompetenzen könnten hier eine – auch wirtschaftlich<br />
interessante – Rolle für die Unternehmen einnehmen; begleitend<br />
müsste jedoch ein Wertewan<strong>de</strong>l einsetzen, <strong>de</strong>r Chancengleichheit <strong>und</strong> Work-Life-<br />
Balance für ein zentrales Qualitätskriterium einer nachhaltig ausgerichteten<br />
Wissensgesellschaft hält.<br />
Um ein weiteres Auseinan<strong>de</strong>rdriften von prosperieren<strong>de</strong>n <strong>und</strong> sich entleeren<strong>de</strong>n<br />
Räumen zu verhin<strong>de</strong>rn, scheint vor <strong>de</strong>m Hintergr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Ausführungen in diesem<br />
Beitrag eine Integration <strong>de</strong>r Geschlechter unerlässlich. Dabei wären vor allem<br />
zwei sich ergänzen<strong>de</strong> Strategien einzusetzen:<br />
Sozialräume pflegen – d.h. vor allem in <strong>de</strong>n wirtschaftsschwachen<br />
Regionen unter Einbeziehung <strong>de</strong>r traditionellen Stärken <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> die<br />
Qualifikation <strong>de</strong>s (männlichen) Nachwuchses in <strong>de</strong>n Mittelpunkt stellen,<br />
eine Aufgabe von Regionalpolitik <strong>und</strong> Wirtschaftsför<strong>de</strong>rung;<br />
47
Netzwerke bil<strong>de</strong>n – d.h. vor allem in prosperieren<strong>de</strong>n Städten <strong>und</strong> Regionen<br />
– durch Mentoringprogramme, Gleichstellungsför<strong>de</strong>rung, aber auch flankieren<strong>de</strong><br />
Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie <strong>und</strong> Beruf – <strong>Frauen</strong><br />
aktiv darin unterstützen, die gläserne Decke zu durchbrechen.<br />
Der <strong>de</strong>mografische <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> birgt Risiken, aber auch Chancen – sofern die Frage<br />
<strong>de</strong>r Integration ernsthaft in Angriff genommen wird, <strong>und</strong> zwar auf bei<strong>de</strong>n Seiten:<br />
in Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft. Das Geschlechterverhältnis ist <strong>de</strong>r Dreh- <strong>und</strong><br />
Angelpunkt <strong>de</strong>r künftigen Entwicklung, weil das <strong>de</strong>mografische Desaster ohne<br />
Verän<strong>de</strong>rungen in <strong>de</strong>r geschlechtsspezifischen Arbeits- <strong>und</strong> Rollenteilung kaum<br />
zu bewältigen ist.<br />
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49
Juliane Roloff<br />
Das Alter ist weiblich –<br />
Geschlechteraspekte <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mografischen<br />
<strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>s in Deutschland<br />
„<strong>Demografischer</strong> <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>“ – dieser Begriff ist <strong>de</strong>rzeit ein Mo<strong>de</strong>wort, <strong>de</strong>m man in<br />
fast allen Bereichen unseres gesellschaftlichen Lebens begegnet. Was heißt<br />
<strong>de</strong>mografischer <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>? Als erstes sei festgehalten, dass <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mografische<br />
<strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> kein neues Phänomen ist. Er vollzieht sich bereits seit langem in<br />
Deutschland. Sprechen wir heute vom <strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>, meinen wir vor<br />
allem die <strong>de</strong>mografische Alterung. Diese ist gekennzeichnet durch eine stetig<br />
wachsen<strong>de</strong> Zahl <strong>de</strong>r alten <strong>und</strong> insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r sehr alten Menschen <strong>und</strong> zugleich<br />
durch ein stetes Sinken <strong>de</strong>r Zahl <strong>de</strong>r jüngeren Menschen.<br />
Die <strong>de</strong>mografische Alterung weist ein<strong>de</strong>utig Unterschie<strong>de</strong> zwischen Frau <strong>und</strong><br />
Mann auf – kurz:<br />
Das <strong>de</strong>mografische Altern <strong>de</strong>r Bevölkerung ist vorwiegend weiblich geprägt<br />
Am Jahresen<strong>de</strong> 2004 waren von <strong>de</strong>n in Deutschland leben<strong>de</strong>n 82,5 Millionen<br />
Menschen 51 % <strong>Frauen</strong>. O<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rs ausgedrückt: auf 100 Männer in<br />
Deutschland entfallen 104 <strong>Frauen</strong>. Dieser <strong>Frauen</strong>überschuss ist jedoch nicht für<br />
je<strong>de</strong>s Alter relevant, wie <strong>de</strong>r Altersaufbau <strong>de</strong>r Be-völkerung <strong>de</strong>s Jahres 2004 in<br />
Deutschland zeigt (Abbildung 1).<br />
51
Abb. 1: Alteraufbau 1) <strong>de</strong>r Bevölkerung in Deutschland 2004 <strong>und</strong> 2050<br />
Bis zur Altersgruppe 50 herrscht ein leichter Männerüberschuss vor. Dieser ist<br />
dadurch begrün<strong>de</strong>t, dass mehr Jungen als Mädchen zur Welt kommen <strong>und</strong><br />
infolge <strong>de</strong>r stark gesunkenen Säuglings- <strong>und</strong> Kin<strong>de</strong>rsterblichkeit überleben:<br />
Derzeit entfallen auf 1000 neugeborene Mädchen 1056 neugeborene Jungen.<br />
Bei <strong>de</strong>n ab 51-Jährigen überwiegt dann <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong>- <strong>de</strong>n Männeranteil. Dieser<br />
<strong>Frauen</strong>überschuss kommt aber erst bei <strong>de</strong>n 60-Jährigen <strong>und</strong> Älteren richtig zum<br />
Tragen: Kommen auf 100 <strong>de</strong>r zwischen 51 <strong>und</strong> 59 Jahre alten Männer 101<br />
<strong>Frauen</strong>, sind es bei <strong>de</strong>n ab 60-Jährigen 133 <strong>Frauen</strong> je 100 Männer. Die Brisanz<br />
unserer Thematik wird noch <strong>de</strong>utlicher, unterteilt man die 60-Jährigen <strong>und</strong><br />
Älteren zum einen in die Gruppe <strong>de</strong>r Jungen Alten (60- bis 79-Jährige) <strong>und</strong><br />
zum an<strong>de</strong>ren in die Gruppe <strong>de</strong>r Hochbetagten (80 Jahre <strong>und</strong> älter). Von <strong>de</strong>n heute<br />
17 Millionen Jungen Alten sind 54 % weiblich, ihr <strong>Frauen</strong>überschuss macht<br />
117 aus. Demgegenüber sind von <strong>de</strong>n 3 Millionen Hochbetagten allein 72 %<br />
<strong>Frauen</strong>, kommen also auf 100 über 80-jährige Männer 261 <strong>Frauen</strong> dieses Alters.<br />
Bei <strong>de</strong>n Hochbetagten schlägt <strong>de</strong>rzeit noch die Dezimierung <strong>de</strong>r Männerjahrgänge<br />
während <strong>de</strong>s Zweiten Weltkrieges zu Buche. Doch blickt man in die<br />
Zukunft, wird sich am Sachverhalt „hoher <strong>Frauen</strong>überschuss im Alter“ wenig<br />
än<strong>de</strong>rn, betrachtet man <strong>de</strong>n zu erwarten<strong>de</strong>n Altersaufbau <strong>de</strong>r Bevölkerung im<br />
Prognosejahr 2050 (vgl. Abbildung 1).<br />
52<br />
2004<br />
2050<br />
1) in Prozent <strong>de</strong>r Gesamtbevölkerung Datenquelle: Statistisches B<strong>und</strong>esamt
Viele Hochrechnungen <strong>de</strong>uten darauf hin, dass sich <strong>de</strong>r bereits seit langem in<br />
Deutschland angelegte <strong>de</strong>mografische Alterungsprozess in <strong>de</strong>n nächsten Jahrzehnten<br />
verstärken wird. So z.B. die „10. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung<br />
<strong>de</strong>s Statistischen B<strong>und</strong>esamtes zur Bevölkerungsentwicklung bis<br />
2050 (Variante 5)“: Bei weiter anhalten<strong>de</strong>n niedrigem Geburtenniveau von<br />
1,4 Kin<strong>de</strong>rn je Frau, einem jährlichen Zuwan<strong>de</strong>rungsplus von 200 Tausend<br />
Personen <strong>und</strong> einer steigen<strong>de</strong>n Lebenserwartung auf 86,6 Jahre (<strong>Frauen</strong>) bzw.<br />
81,1 Jahre (Männer) wird bis zum Jahr 2050 die Bevölkerung in Deutschland auf<br />
75 Millionen geschrumpft sein 1 . Aber auch dann wer<strong>de</strong>n 51 % <strong>de</strong>r Bevölkerung<br />
weiblich sein, <strong>und</strong> <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong>überschuss wird sich gleichfalls auf die älteren<br />
Jahrgänge konzentrieren, die im Gegensatz zu <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn <strong>und</strong> Jugendlichen <strong>und</strong><br />
<strong>de</strong>r Bevölkerung im mittleren Alter zahlenmäßig anwachsen wer<strong>de</strong>n. 2 Von <strong>de</strong>n<br />
dann voraussichtlich in Deutschland leben<strong>de</strong>n knapp 19 Millionen Menschen im<br />
Alter zwischen 60 <strong>und</strong> 80 Jahren wer<strong>de</strong>n 54 % <strong>Frauen</strong> sein bzw. wird <strong>de</strong>ren<br />
<strong>Frauen</strong>überschuss 115 ausmachen. Die über 80-Jährigen, <strong>de</strong>ren Zahl sich auf<br />
9 Millionen verdreifachen wird, wer<strong>de</strong>n einen <strong>Frauen</strong>anteil von 60 % aufweisen,<br />
bzw. es wer<strong>de</strong>n dann auf 100 hochbetagte Männer 154 hochbetagte <strong>Frauen</strong> entfallen.<br />
Die Geschlechterrelation <strong>de</strong>r Älteren wird somit künftig im Vergleich zu<br />
heute ausgeglichener sein, doch wird das <strong>de</strong>mografische Altern in Deutschland<br />
weiterhin eher <strong>de</strong>n weiblichen Bevölkerungsteil betreffen. Hauptursache hierfür<br />
wird die auch in <strong>de</strong>n nächsten Jahrzehnten gegenüber <strong>de</strong>n Männern höhere Überlebenschance<br />
<strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> sein. Zwar wird die Lebenserwartung von Frau <strong>und</strong><br />
Mann weiterhin ansteigen, doch wird die Geschlechterdifferenz bleiben. Heute<br />
kann ein 60-jähriger Mann mit im Schnitt 20 weiteren Lebensjahren rechnen,<br />
<strong>de</strong>mgegenüber macht bei <strong>de</strong>r gleichaltrigen Frau diese fernere Lebenserwartung<br />
24 Jahre aus. Folgt man <strong>de</strong>r o.a. Bevölkerungsvorausberechnung <strong>de</strong>s Statistischen<br />
B<strong>und</strong>esamtes, wer<strong>de</strong>n in ca. einem halben Jahrh<strong>und</strong>ert die dann 60 Jahre alten<br />
Männer noch eine Lebenszeit von fast 24 Jahren <strong>und</strong> die 60-jährigen <strong>Frauen</strong> von<br />
28 Jahren erwarten können. Diese weiter steigen<strong>de</strong> Lebenserwartung <strong>de</strong>r älteren<br />
Menschen wird die Rentenbezugsdauer verlängern – <strong>und</strong> dies mehr bei <strong>de</strong>n<br />
<strong>Frauen</strong>. Ein Beispiel: 2004 betrug die durchschnittliche Rentenbezugsdauer bei<br />
<strong>de</strong>n Männern 14 Jahre <strong>und</strong> bei <strong>de</strong>n <strong>Frauen</strong> knapp 20 Jahre 3 .<br />
Aber nicht nur hier bestehen zwischen Frau <strong>und</strong> Mann Unterschie<strong>de</strong>. Diese gibt<br />
es auch in <strong>de</strong>n Partnerschaftsformen <strong>und</strong> Haushaltsstrukturen <strong>und</strong> sie wer<strong>de</strong>n<br />
auch künftig ihren Bestand haben. Betrachten wir hierzu <strong>de</strong>n Status quo bei <strong>de</strong>n<br />
Älteren.<br />
1 Statistisches B<strong>und</strong>esamt 2003<br />
2 Roloff 2005 (A)<br />
3 Deutscher Rentenversicherung B<strong>und</strong> 2005<br />
53
Weniger Ehefrauen, mehr Witwen<br />
Abbildung 2 gibt einen allgemeinen Überblick über die Familienstandsstruktur<br />
<strong>de</strong>r 60-jährigen <strong>und</strong> älteren <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong> Männer in Deutschland.<br />
Abb. 2: Familienstandsstruktur <strong>de</strong>r 60-jährigen <strong>und</strong> älteren <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong><br />
Männer, Deutschland 2004<br />
Datenquelle: Statistisches B<strong>und</strong>esamt, Mikrozensus 2004; BiB, J. Roloff<br />
Abb. 3: Familienstandsstruktur <strong>de</strong>r Jungen Alten <strong>und</strong> Hochbetagten,<br />
Deutschland 2004<br />
Datenquelle: Statistisches B<strong>und</strong>esamt, Mikrozensus 2004; BiB, J. Roloff<br />
54
Demnach waren im Jahr 2004 von 100 Männern 5 ledig, 80 verheiratet, 10 verwitwet<br />
<strong>und</strong> 5 geschie<strong>de</strong>n. Für die <strong>Frauen</strong> ergaben sich 5 Ledige, 52 Verheiratete,<br />
37 Verwitwete <strong>und</strong> 6 Geschie<strong>de</strong>ne. Hier wer<strong>de</strong>n bereits die Unterschie<strong>de</strong> <strong>de</strong>utlich:<br />
Männer sind im Alter eher verheiratet, <strong>Frauen</strong> dagegen eher verwitwet. Mit<br />
zunehmen<strong>de</strong>m Alter steigt zwar bei bei<strong>de</strong>n Geschlechtern <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r<br />
Verwitweten <strong>und</strong> sinkt somit <strong>de</strong>r Verheiratetenanteil. Doch betrifft dies in einem<br />
wesentlich höheren Maße die <strong>Frauen</strong>.<br />
Wie Abbildung 3 am Beispiel <strong>de</strong>r Jungen Alten <strong>und</strong> Hochbetagten zeigt, befan<strong>de</strong>n<br />
sich von <strong>de</strong>n 60- bis 79-jährigen <strong>Frauen</strong> bereits 29 % im Witwenstand, von <strong>de</strong>n<br />
gleichaltrigen Männern waren es nur 8 %. Dagegen war die große Mehrheit von<br />
ihnen, 82 %, verheiratet. Dieser Verheiratetenanteil betrug bei <strong>de</strong>n hochbetagten<br />
Männern auch noch 66 %, bei <strong>de</strong>n <strong>Frauen</strong> nur 17 %. Zu<strong>de</strong>m ist zu sehen, dass, bei<br />
allerdings insgesamt niedrigen Prozentsätzen, <strong>de</strong>r Ledigenanteil bei <strong>de</strong>n hochbetagten<br />
<strong>Frauen</strong> höher liegt: Hatten 7 % dieser <strong>Frauen</strong> niemals geheiratet, waren<br />
es bei <strong>de</strong>n Männern gleichen Alters knapp 3 % (Abbildung 3). Die infolge <strong>de</strong>s<br />
2. Weltkrieges fehlen<strong>de</strong>n Männer auf <strong>de</strong>m damaligen Heiratsmarkt sind einer <strong>de</strong>r<br />
Grün<strong>de</strong> hierfür.<br />
Beson<strong>de</strong>rs auffällig ist die Geschlechterdifferenz bei <strong>de</strong>n über 80-jährigen<br />
Verwitweten: 72 % <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> hatten bereits ihren Ehepartner verloren, dagegen<br />
befan<strong>de</strong>n sich nur knapp 30 % <strong>de</strong>r Männer im Witwerstand (Abbildung 3). An<br />
dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Ehen alter <strong>und</strong> sehr alter Menschen<br />
überwiegend durch <strong>de</strong>n Tod eines Partners <strong>und</strong> weniger durch rechtskräftige<br />
Scheidungen en<strong>de</strong>n.<br />
Es ist ein<strong>de</strong>utig: Der Witwenstand ist die dominante Lebensform <strong>de</strong>r älteren<br />
<strong>Frauen</strong> <strong>und</strong> wird es auch in Zukunft bleiben. Die Grün<strong>de</strong> hierfür sind ganz klar:<br />
Neben <strong>de</strong>r gegenüber <strong>de</strong>n Männern höheren Überlebenschance <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> haben<br />
verwitwete Männer im Alter eher als <strong>Frauen</strong> die Chance, eine neue, zumeist<br />
jüngere, Partnerin zu fin<strong>de</strong>n. Von allen Verwitweten im Alter von 60 <strong>und</strong> mehr<br />
Jahren, die im Jahr 2004 wie<strong>de</strong>r eine Ehe eingingen, waren 79 %, Männer. Bei<br />
<strong>de</strong>n ledigen <strong>und</strong> geschie<strong>de</strong>nen 60-jährigen <strong>und</strong> älteren Eheschließen<strong>de</strong>n waren es<br />
mit 68 bzw. 65 % ebenfalls mehrheitlich Männer.<br />
Es ist natürlich, dass mit zunehmen<strong>de</strong>m Alter bei bei<strong>de</strong>n Geschlechtern, egal ob<br />
ledig, geschie<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r verwitwet, die Heiratsfreudigkeit sinkt. Doch liegt diese<br />
bis ins hohe Alter bei <strong>de</strong>n Männern im Vergleich zu <strong>de</strong>n <strong>Frauen</strong> bei weitem höher.<br />
An dieser Stelle soll ein Beispiel genügen: Hatten im Jahr 2004 von 1 000 <strong>de</strong>r<br />
über 80-jährigen geschie<strong>de</strong>nen Männer 5,5 wie<strong>de</strong>r geheiratet, machte diese<br />
„Wie<strong>de</strong>rheiratsquote“ bei <strong>de</strong>n <strong>Frauen</strong> nur 0,34 aus.<br />
55
Nichteheliche Lebensgemeinschaften im Alter –<br />
auch für <strong>Frauen</strong>?<br />
Interessant ist, wie viele Unverheiratete im Alter tatsächlich ohne Partner/in<br />
leben.<br />
Im Jahr 2004 führten 516.000 60-jährige <strong>und</strong> ältere Menschen außerhalb einer<br />
Ehe mit einem/einer Partner/in einen gemeinsamen Haushalt. Geht man zum<br />
Vergleich in das Jahr 1992 zurück, waren hier 250.000 Ältere, d.h. um über<br />
die Hälfte weniger in nichtehelichen Lebensgemeinschaften anzutreffen. Diese<br />
absoluten Zahlen zeigen bereits, dass die nichtehelichen Lebensgemeinschaften<br />
als eine neue, alternative Partnerschaftsform auch im Alter zunehmend an<br />
Be<strong>de</strong>utung gewinnen. Noch <strong>de</strong>utlicher wird diese Aussage, betrachtet man die<br />
Entwicklung <strong>de</strong>r Zahl <strong>de</strong>r in nichtehelichen Partnergemeinschaften leben<strong>de</strong>n<br />
Personen je 1 000 <strong>de</strong>r Nichtverheirateten (einschl. verheiratet, getrennt<br />
Leben<strong>de</strong>r). So lebten im Jahr 2004 von 1 000 aller noch nicht bzw. nicht mehr<br />
verheirateten über 60-Jährigen 65 nichtehelich mit einem/einer Partner/in zusammen;<br />
1992 waren es nur 35.<br />
Auch bei diesem Zusammenleben ohne Trauschein sind die Unterschie<strong>de</strong><br />
zwischen Frau <strong>und</strong> Mann unübersehbar. Waren 2004 je 1 000 <strong>de</strong>r nicht verheirateten<br />
60- bis 79-jährigen Männer 154 in einer solchen Partnerbeziehung<br />
anzutreffen, waren es je 1 000 <strong>de</strong>r gleichaltrigen <strong>Frauen</strong> nur 54. Auch bei <strong>de</strong>n<br />
Abb. 4: 60-Jährige <strong>und</strong> Ältere in nichtehelichen Lebensgemeinschaften –<br />
je 1 000 <strong>de</strong>r Nichtverheirateten 1) , 2004<br />
1) Einschl. verheiratet, getrennt Leben<strong>de</strong> Datenquelle: Statistisches B<strong>und</strong>esamt, Mikrozensus 2004; BiB, J. Roloff<br />
56
Hochbetagten waren bei weitem mehr Männer als <strong>Frauen</strong> in einer nichtehelichen<br />
Lebensgemeinschaft anzutreffen: 55 je 1 000 unverheirateter Männer, dagegen<br />
nur 9 von 1 000 unverheirateten <strong>Frauen</strong> (vgl. Abbildung 4).<br />
Man kann festhalten, dass Männer im Alter nicht nur eher wie<strong>de</strong>r heiraten als<br />
<strong>Frauen</strong>, son<strong>de</strong>rn auch auffällig mehr in nichtehelichen Partnerschaften leben.<br />
Daraus folgt:<br />
<strong>Frauen</strong> führen im Alter vorwiegend allein einen Haushalt<br />
Entsprechend <strong>de</strong>r Haushaltsstatistik <strong>de</strong>s Jahres 2004 lebten von 100 aller über<br />
60-jährigen Menschen in Deutschland 30 in Einpersonen-, 60 in Zweipersonen-,<br />
7 in Dreipersonen- <strong>und</strong> 3 in Vier- <strong>und</strong> Mehrpersonenhaushalten. Einpersonen<strong>und</strong><br />
Zweipersonenhaushalte sind somit die dominanten Haushaltsformen im<br />
Alter. Jedoch bestehen auch hier beträchtliche Unterschie<strong>de</strong> zwischen <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong><br />
Männern. Führten von 100 <strong>de</strong>r 60-jährigen <strong>und</strong> älteren <strong>Frauen</strong> 41 allein einen<br />
Haushalt, waren es von <strong>de</strong>n Männern nur 16. Dagegen sind diese am häufigsten<br />
in Zweipersonenhaushalten anzutreffen – 72 % gegenüber 51 % <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong><br />
(Abbildung 5).<br />
Wie Abbildung 5 <strong>de</strong>s Weiteren zeigt, gewinnt <strong>de</strong>r Einpersonenhaushalt mit zunehmen<strong>de</strong>m<br />
Alter an Be<strong>de</strong>utung. Dies trifft jedoch in einem auffällig höheren<br />
Abb. 5: Haushaltsstrukturen <strong>de</strong>r über 60-jährigen Männer <strong>und</strong> <strong>Frauen</strong> in<br />
Deutschland 2004<br />
Datenquelle: Statistisches B<strong>und</strong>esamt, Mikrozensus 2004; BiB, J. Roloff<br />
57
Maße für die <strong>Frauen</strong> zu: lebten (2004) z.B. 71 %, <strong>de</strong>r hochbetagten <strong>Frauen</strong> allein<br />
in einem Haushalt, waren es von <strong>de</strong>n gleichaltrigen Männern mit 29 % einige<br />
weniger. Das be<strong>de</strong>utet, dass die Alleinleben<strong>de</strong>nquote für die hochbetagten <strong>Frauen</strong><br />
das 2,4-fache Niveau <strong>de</strong>s entsprechen<strong>de</strong>n Vergleichswertes für Männer dieses<br />
Alters ausmacht.<br />
Es ist somit eine Tatsache, dass <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong>, die im Alter Alleinstehen<strong>de</strong><br />
<strong>und</strong> zugleich Alleinleben<strong>de</strong> sind, bei weitem höher ist als <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />
Männer. Daran wird sich auch künftig nichts än<strong>de</strong>rn. Unter <strong>de</strong>r Annahme, dass<br />
weiterhin eher Männer als <strong>Frauen</strong> im Alter (wie<strong>de</strong>r) heiraten bzw. nichteheliche<br />
Lebensgemeinschaften eingehen, ergeben eigene Hochrechnungen <strong>de</strong>r<br />
Familienstands- <strong>und</strong> Haushaltsstrukturen älterer Menschen in Deutschland<br />
ein<strong>de</strong>utig: Die Unterschie<strong>de</strong> zwischen Mann <strong>und</strong> Frau in <strong>de</strong>n Partnerschafts-/Lebensformen<br />
wer<strong>de</strong>n auch in Zukunft ihren Bestand haben. Und dies<br />
heißt, dass ein Leben ohne feste Partnerschaft im Alter vorwiegend für <strong>Frauen</strong><br />
relevant sein wird. 4<br />
Daraus ergeben sich u.a. Konsequenzen für <strong>de</strong>n Pflegebereich. In einem<br />
Bericht über die Lebenslagen <strong>de</strong>r Pflegebedürftigen wird festgestellt, „dass<br />
<strong>Frauen</strong> ab <strong>de</strong>m achtzigsten Lebensjahr eine <strong>de</strong>utlich höhere Pflegequote aufweisen<br />
– also eher pflegebedürftig sind als Männer dieser Altersgruppe. So<br />
betrug z.B. bei <strong>de</strong>n ab 90-jährigen <strong>Frauen</strong> die Pflegequote 62 %, bei <strong>de</strong>n<br />
Männern gleichen Alters hingegen ‚nur’ 38 %“ 5 . Hinzu kommt, dass eher<br />
<strong>Frauen</strong> als Männer in Pflegeheimen anzutreffen sind: Von <strong>de</strong>n 852.000 im<br />
Jahr 2003 pflegebedürftigen hochbetagten <strong>Frauen</strong> wur<strong>de</strong>n 41 % in einem<br />
Heim stationär betreut; <strong>de</strong>mgegenüber waren es von 201.000 pflegebedürftigen<br />
Männer 27 %. Dieser Trend wird sich weiter fortsetzen. Folgt man <strong>de</strong>n<br />
Mo<strong>de</strong>llrechnungen zum künftigen Pflegebedarf <strong>de</strong>s Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung<br />
Berlin, dürfte im Jahr 2050 die Zahl <strong>de</strong>r über 80-jährigen<br />
Pflegebedürftigen voraussichtlich von <strong>de</strong>rzeitig 1 auf knapp 4 Millionen ansteigen<br />
6 . Hier wird allerdings vom medizinischen Fortschritt abstrahiert. Ein<br />
weiterer technischer Fortschritt in <strong>de</strong>r Diagnostik <strong>und</strong> Therapie, aber auch eine<br />
gesün<strong>de</strong>re Lebensweise, eine gezielte Prävention <strong>und</strong> Rehabilitation kann die<br />
Pflegewahrscheinlichkeit <strong>und</strong> somit die künftige Zahl <strong>de</strong>r Pflegebedürftigen<br />
<strong>de</strong>utlich reduzieren. Ohne an dieser Stelle näher darauf einzugehen, soll erwähnt<br />
wer<strong>de</strong>n, dass <strong>de</strong>m wahrscheinlich künftig wachsen<strong>de</strong>n Pflegebedarf ein sinken<strong>de</strong>s<br />
häusliches Pflegepotential gegenüberstehen <strong>und</strong> folglich die Nachfrage nach<br />
außerfamiliären Pflegeleistungen steigen wird.<br />
4 Mai/Roloff 2006<br />
5 Statistisches B<strong>und</strong>esamt 2004: 4<br />
6 Schulz et .al. 2001<br />
58
Die Zahl hochbetagter <strong>Frauen</strong> steigt,<br />
die Zahl potenzieller Mütter sinkt<br />
Während die Zahl <strong>de</strong>r alten <strong>und</strong> insbeson<strong>de</strong>re hochbetagten <strong>Frauen</strong> stetig wächst,<br />
ist es bei <strong>de</strong>n <strong>Frauen</strong>, die für die Reproduktion <strong>de</strong>r Bevölkerung entschei<strong>de</strong>nd<br />
sind, umgekehrt. Zwar sank <strong>de</strong>ren Zahl bisher nicht so gravierend: Gegenüber<br />
1990 waren es 2004 ein Prozent weniger. Doch folgt man <strong>de</strong>r Bevölkerungsvorausberechnung<br />
<strong>de</strong>s Statistischen B<strong>und</strong>esamtes, wer<strong>de</strong>n in etwa einem halben<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert statt heute knapp 20 Millionen nur 14 Millionen <strong>Frauen</strong> im gebärfähigen<br />
Alter (15- bis unter 50-Jährige 7 ) in Deutschland leben. Das sind 27 %<br />
weniger. Im Vergleich dazu ist die Zahl <strong>de</strong>r 80-jährigen <strong>und</strong> älteren <strong>Frauen</strong> 2004<br />
gegenüber 1990 bereits um 18 % gestiegen <strong>und</strong> wird voraussichtlich bis 2050 von<br />
heute knapp 3 auf knapp 6 Millionen weiter anwachsen.<br />
Es ist klar, dass eine sinken<strong>de</strong> Zahl <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> im gebärfähigen Alter zu sinken<strong>de</strong>n<br />
Geburtenzahlen führen kann. Doch entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r ist <strong>de</strong>ren Geburtenverhalten.<br />
Dieses ist <strong>de</strong>rzeit geprägt durch einen niedrigen Kin<strong>de</strong>rwunsch <strong>und</strong><br />
späte Geburten.<br />
Zwar wünscht sich nach wie vor die Mehrheit <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong> Männer Kin<strong>de</strong>r,<br />
jedoch „wie ein Vergleich verschie<strong>de</strong>ner, repräsentativer Umfragedaten zeigt, ist<br />
<strong>de</strong>r durchschnittliche Kin<strong>de</strong>rwunsch von <strong>Frauen</strong> in Deutschland zwischen 1988<br />
<strong>und</strong> 1992 auf unter zwei Kin<strong>de</strong>r gesunken. Seit<strong>de</strong>m liegt er relativ stabil bei<br />
1,75“. 8 Selbst wenn dieser voll realisiert wür<strong>de</strong>, reicht er für einen einfachen<br />
Ersatz <strong>de</strong>r Elterngenerationen bei weitem nicht aus. Hierfür wären 2,1 Kin<strong>de</strong>r je<br />
Frau erfor<strong>de</strong>rlich. Doch, wie die Geburtenstatistik zeigt, verharrt seit nunmehr<br />
ca. drei Jahrzehnten zumin<strong>de</strong>st <strong>de</strong>r Westen Deutschlands auf einem stabil<br />
niedrigen Geburtenniveau von durchschnittlich 1,4 Kin<strong>de</strong>rn je Frau. 9 Neben<br />
sinken<strong>de</strong>n gewünschten Kin<strong>de</strong>rzahlen sind immer spätere Geburten hierfür<br />
maßgebend. Waren 1991 verheiratete Mütter bei <strong>de</strong>r Geburt ihres ersten Kin<strong>de</strong>s<br />
im Schnitt 27 Jahre alt, sind sie jetzt 30 Jahre alt. Die Grün<strong>de</strong> für die Verlagerung<br />
<strong>de</strong>r Erstgeburten in das höhere Alter wer<strong>de</strong>n vor allem in zu langen Ausbildungszeiten<br />
einerseits <strong>und</strong> in <strong>de</strong>n Unsicherheiten auf <strong>de</strong>m Arbeitsmarkt<br />
an<strong>de</strong>rerseits gesehen. Späte Erstgeburten führen dazu, dass die Zahl zweiter <strong>und</strong><br />
weiterer Geburten sinkt. Zu<strong>de</strong>m wächst das Risiko ungewollter Kin<strong>de</strong>rlosigkeit.<br />
Jedoch bleiben auch zunehmend mehr <strong>Frauen</strong> – <strong>und</strong> auch Männer – freiwillig<br />
7 Für die Berechnung <strong>de</strong>r zusammengefassten Geburtenziffer kann man entwe<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Bestand <strong>de</strong>r 15- bis unter<br />
45-Jährigen <strong>Frauen</strong> o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r 15- bis unter 50-Jährigen <strong>Frauen</strong> zugr<strong>und</strong>elegen. In Anbetracht <strong>de</strong>r immer späteren<br />
Erstgeburten ist die letzte Option realistischer. Hierfür nur ein Zahlenbeispiel: Entfielen im Jahr 1990 auf 1 000<br />
45- bis unter 50-Jährige <strong>Frauen</strong> 1,2 Geburten, waren es im Jahr 2004 1,5 Geburten.<br />
8 Höhn, Ette, Ruck<strong>de</strong>schel 2006: 15<br />
9 Roloff 2005 (B)<br />
59
kin<strong>de</strong>rlos. In einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung (2003) 10 sagten fast<br />
ein Drittel (32 %) kin<strong>de</strong>rloser <strong>Frauen</strong> im Alter zwischen 20 <strong>und</strong> 29 Jahren, dass<br />
sie kin<strong>de</strong>rlos bleiben wollen; bei <strong>de</strong>n 30- bis 39-Jährigen betrug dieser Anteil<br />
bereits 74 %. Und 88 % <strong>de</strong>r 40- bis 49-Jährigen <strong>Frauen</strong>, die bisher kin<strong>de</strong>rlos<br />
geblieben sind, wollten es auch endgültig bleiben. Von <strong>de</strong>n jungen kin<strong>de</strong>rlosen<br />
Männern wollen mehr als die <strong>Frauen</strong>, 49 %, auch künftig keine Kin<strong>de</strong>r. Dagegen<br />
liegen bei <strong>de</strong>n 30- bis 39-Jährigen <strong>und</strong> 40- bis 49-Jährigen kin<strong>de</strong>rlosen Männern<br />
die Anteile <strong>de</strong>rer ohne Kin<strong>de</strong>rwunsch mit 68 % <strong>und</strong> 82 % etwas unter <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r<br />
<strong>Frauen</strong>.<br />
Es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass sich im Geburtenverhalten<br />
nichts Gravieren<strong>de</strong>s än<strong>de</strong>rn wird. So geht das Statistische B<strong>und</strong>esamt<br />
bei seiner Bevölkerungsvorausberechnung auch von einem weiterhin stabil<br />
niedrigen Geburtenniveau von 1,4 Kin<strong>de</strong>rn je Frau bis 2050 aus. In Anbetracht<br />
dieser Entwicklung, die die <strong>de</strong>rzeit gelten<strong>de</strong>n gesetzlichen Regelungen vor allem<br />
zur Renten-, Kranken- <strong>und</strong> Pflegeversicherung zunehmend in Frage stellt, wird<br />
<strong>de</strong>r Ruf nach mehr Kin<strong>de</strong>rn in Deutschland immer lauter. Eine <strong>de</strong>r politischen<br />
Reaktionen darauf ist die 2002 erstmalig formulierte nachhaltige Familienpolitik,<br />
die zum Inhalt hat: „familienfre<strong>und</strong>liche Strukturen, gute Kin<strong>de</strong>rbetreuung,<br />
Balance von Familie <strong>und</strong> Beruf, neue Leitbil<strong>de</strong>r für die Familiengründung,<br />
Verantwortung Erziehung, gezielte monetäre För<strong>de</strong>rung, lokale<br />
Bündnisse“. 11 Doch ist zu fragen:<br />
Können verbesserte familienpolitische Leistungen tatsächlich langfristig<br />
positive Effekte im Geburtenverhalten hervorrufen?<br />
Soziologische Untersuchungen ergeben ein<strong>de</strong>utig eine hohe Akzeptanz <strong>de</strong>r<br />
familienpolitischen Leistungen. Fragt man jedoch nach ihren Auswirkungen auf<br />
das individuelle Geburtenverhalten, ergibt sich ein an<strong>de</strong>res Bild. Ein Beleg hierfür<br />
sind Befragungsergebnisse <strong>de</strong>r repräsentativen Erhebung „Population Policy<br />
Acceptance Study“ 12 . An dieser Stelle soll nur die Einführung besserer Möglichkeiten<br />
<strong>de</strong>r Tagesbetreuung von Kin<strong>de</strong>rn als Beispiel dienen 13 . Betrachten wir<br />
zunächst die <strong>Frauen</strong> (im Alter von 20 bis 45 Jahren), die keine (weiteren) Kin<strong>de</strong>r<br />
haben wollen (Abbildung 6). Die große Mehrheit, 74 % <strong>de</strong>r kin<strong>de</strong>rlosen <strong>Frauen</strong><br />
ohne Kin<strong>de</strong>rwunsch, die eine Einführung besserer Möglichkeiten zur Tagesbetreuung<br />
von Kin<strong>de</strong>rn für sehr wünschenswert ansehen, bleiben trotz<strong>de</strong>m bei<br />
ihrem Entschluss, keine Kin<strong>de</strong>r haben zu wollen. Von <strong>de</strong>n <strong>Frauen</strong> mit Kin<strong>de</strong>rn,<br />
10 Population Policy Acceptance Study (PPAS-2003)<br />
11 BMFSFJ 2005: 12<br />
12 Dorbritz et. al. 2005<br />
13 Näheres – siehe Roloff 2005 (B)<br />
60
die keine weiteren wollen, sind es anteilig genauso viele. Immerhin wür<strong>de</strong>n 16 %<br />
<strong>de</strong>r kin<strong>de</strong>rlosen <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong> 17 % <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> mit Kin<strong>de</strong>rn über ein (weiteres)<br />
Kind nach<strong>de</strong>nken. Doch nur wenige <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> mit <strong>und</strong> ohne Kin<strong>de</strong>r, d.h.<br />
keine 10 %, wür<strong>de</strong>n sich bei Einführung einer verbesserten Kin<strong>de</strong>rbetreuung<br />
wahrscheinlich für ein Kind entschei<strong>de</strong>n. Dass die Realisierung dieser familienpolitischen<br />
Leistung eine Selbstverständlichkeit sein müsste, dieser Meinung sind<br />
71 % <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> ohne <strong>und</strong> 82 % <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> mit Kin<strong>de</strong>rn (Abbildung 6).<br />
Abb. 6: Bessere Tagesbetreuung für Kin<strong>de</strong>r vs. Geburtenverhalten,<br />
20 bis 45 Jahre alte <strong>Frauen</strong> ohne Kin<strong>de</strong>rwunsch<br />
1) Mehrfachnennungen waren möglich Datenquelle: BiB, PPAS-2003, J. Roloff<br />
Es ist ein<strong>de</strong>utig: Eine Einführung bzw. Verbesserung familienpolitischer<br />
Leistungen bringt die <strong>Frauen</strong> mehrheitlich nicht von ihrem einmal gefassten<br />
Vorsatz ab, keine (weiteren) Kin<strong>de</strong>r haben zu wollen.<br />
Betrachtet man nunmehr das mögliche Geburtenverhalten <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> mit einem<br />
Kin<strong>de</strong>rwunsch in Bezug auf eine verbesserte Tagesbetreuung für Kin<strong>de</strong>r, ergibt<br />
sich Folgen<strong>de</strong>s (Abbildung 7).<br />
Für 51 % <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> ohne Kin<strong>de</strong>r <strong>und</strong> für 75 % <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> mit Kin<strong>de</strong>rn wür<strong>de</strong> es<br />
dann leichter sein, so viele Kin<strong>de</strong>r zu haben, wie sie sich wünschen. Für allerdings<br />
nur 27 % <strong>de</strong>r bisher kin<strong>de</strong>rlosen <strong>Frauen</strong>, aber für 42 % <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> mit<br />
Kin<strong>de</strong>rn wäre es möglich, früher das Kind zu bekommen. Abgesehen davon hält<br />
aber auch hier die große Mehrheit <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> die Realisierung dieser Maßnahmen<br />
für selbstverständlich.<br />
61
Abb. 7: Bessere Tagesbetreuung für Kin<strong>de</strong>r vs. Geburtenverhalten,<br />
20 bis 45 Jahre alte <strong>Frauen</strong> mit Kin<strong>de</strong>rwunsch<br />
1) Mehrfachnennungen waren möglich Datenquelle: BiB, PPAS-2003, J. Roloff<br />
Hieraus kann man <strong>de</strong>n Schluss ziehen, dass mit einer Familienpolitik durchaus<br />
erreicht wer<strong>de</strong>n kann, dass <strong>Frauen</strong> ihren Kin<strong>de</strong>rwunsch voll realisieren <strong>und</strong><br />
zu<strong>de</strong>m ihre gewünschten Geburten zeitlich vorziehen können. Jedoch führt sie<br />
langfristig zu keiner höheren Fertilität. „Familienpolitik kann we<strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>rwünsche<br />
erzeugen noch Kin<strong>de</strong>r ‚kaufen’“. 14<br />
Das heißt aber keineswegs, dass auf eine staatlich geför<strong>de</strong>rte Familienpolitik<br />
verzichtet wer<strong>de</strong>n kann. Sie ist zweifelsohne für die Unterstützung <strong>de</strong>s Lebens<br />
mit Kin<strong>de</strong>rn unabdingbar.<br />
Fazit<br />
Die <strong>de</strong>mografische Alterung wird weiter voranschreiten <strong>und</strong> vorrangig ein<br />
Problem <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> bleiben. Die Bevölkerung wird in Zukunft von hoher Kin<strong>de</strong>rlosigkeit<br />
einerseits, von niedrigen Kin<strong>de</strong>rzahlen an<strong>de</strong>rerseits geprägt sein.<br />
Auch wenn sich wi<strong>de</strong>r Erwarten das Geburtenverhalten positiv verän<strong>de</strong>rn wür<strong>de</strong>,<br />
d.h. wie<strong>de</strong>r mehr Kin<strong>de</strong>r gewünscht <strong>und</strong> geboren wür<strong>de</strong>n, wird dies für ein<br />
14 Lengerer 2004: 411<br />
62
dauerhaft hohes Geburtenniveau nicht ausreichen. Die Hauptursache hierfür ist das<br />
seit nunmehr drei Jahrzehnten stabil niedrige Geburtenniveau. Ganz simpel ausgedrückt:<br />
Die in <strong>de</strong>n letzten Jahrzehnten Nichtgeborenen fehlen in <strong>de</strong>n nächsten<br />
Generationen als potenzielle Mütter <strong>und</strong> Väter. Infolge<strong>de</strong>ssen muss mit einem rapi<strong>de</strong>n<br />
Rückgang <strong>de</strong>r Geburtenzahlen gerechnet wer<strong>de</strong>n, was zu einer weiteren<br />
Beschleunigung <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mografischen Alterns beiträgt. Um seine Folgen bewältigen<br />
zu können, ist es unerlässlich, bereits heute <strong>de</strong>r Öffentlichkeit <strong>de</strong>utlich zu machen,<br />
dass die alten Menschen mit allen ihren sozialen, kulturellen <strong>und</strong> politischen<br />
Aktivitäten wertvolle Beiträge zur Lösung gesellschaftlicher Probleme leisten. Sie<br />
sind in unserer Gesellschaft schon längst keine Randgruppe mehr. Ein aktueller<br />
Beleg hierfür sind die Ergebnisse <strong>de</strong>s 5. Altenberichts zum Thema „Potenziale <strong>de</strong>s<br />
Alters in Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft. Der Beitrag älterer Menschen zum<br />
Zusammenhalt <strong>de</strong>r Generationen“. Hier heißt es u.a.: „Auf gesamtgesellschaftlicher<br />
Ebene be<strong>de</strong>utet <strong>de</strong>r zunehmen<strong>de</strong> Bevölkerungsanteil älterer Menschen auch, dass<br />
sozialer <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> auf Dauer ohne die Älteren (auch als Wähler) nicht gestaltbar<br />
ist“ 15 . Dieser Bericht macht zu<strong>de</strong>m <strong>de</strong>utlich, dass die Älteren ein wichtiger<br />
Aktivposten in fast allen Lebensbereichen (vor allem Arbeitsmarkt, Familie,<br />
Ehrenamt) sind. Doch „ist es dringend erfor<strong>de</strong>rlich, durch einen differenzierteren<br />
Umgang mit <strong>de</strong>m Thema Alter verstärkt die möglichen Chancen <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mografischen<br />
<strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>s in <strong>de</strong>n öffentlichen Diskurs einzubringen <strong>und</strong> politische Konzepte zu<br />
entwickeln, die explizit auf Potenziale <strong>de</strong>s Alters zurückgreifen“ 16 .<br />
15 BMFSFJ, 2005(B): 32<br />
16 BMFSFJ, 2005(B): 472<br />
63
Literaturverzeichnis<br />
B<strong>und</strong>esministerium für Familie, Senioren, <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong> Jugend (Hrsg.) 2005 (A): „Familie ja, Kin<strong>de</strong>r nein. Was ist los<br />
in Deutschland?“ Monitor Familien<strong>de</strong>mographie, Ausgabe 1-3<br />
B<strong>und</strong>esministerium für Familie, Senioren, <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong> Jugend (Hrsg.) 2005 (B): Fünfter Bericht zur Lage <strong>de</strong>r<br />
älteren Generation in <strong>de</strong>r B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland. Potenziale <strong>de</strong>s Alters in Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft. Der<br />
Beitrag älterer Menschen zum Zusammenhalt <strong>de</strong>r Generationen. Bericht <strong>de</strong>r Sachverständigenkommission an das<br />
B<strong>und</strong>esministerium für Familie, Senioren, <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong> Jugend, Berlin<br />
Deutsche Rentenversicherung B<strong>und</strong> (Hg.) 2005: Rentenversicherung in Zeitreihen. DRV-Schriften, Band 22<br />
Dorbritz, Jürgen; Lengerer Andrea; Ruck<strong>de</strong>schel, Kerstin 2005: Einstellungen zu <strong>de</strong>mographischen Trends <strong>und</strong> zu<br />
bevölkerungsrelevanten Problemen. Ergebnisse <strong>de</strong>r Population Policy Acceptance Studie in Deutschland. Wiesba<strong>de</strong>n,<br />
B<strong>und</strong>esinstitut für Bevölkerungsforschung beim Statistischen B<strong>und</strong>esamt<br />
Höhn, Charlotte; Ette, Andreas; Ruck<strong>de</strong>schel, Kerstin 2006: Kin<strong>de</strong>rwünsche in Deutschland, Konsequenzen für eine<br />
nachhaltige Familienpolitik. Robert-Bosch-Stiftung (Hrsg.)<br />
Lengerer, Andrea 2004: „Zur Akzeptanz von Familienpolitik“. In: Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft, 29, 3-4,<br />
Wiesba<strong>de</strong>n: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 387-422<br />
Mai, Ralf; Roloff, Juliane 2006: Zukunft von Potenzialen in Paarbeziehungen älterer Menschen – Perspektive von<br />
Männern <strong>und</strong> <strong>Frauen</strong>. In: Deutsches Zentrum für Altersfragen (Hrsg.): Gesellschaftliches <strong>und</strong> familiäres Engagement<br />
älterer Menschen als Potenzial (Expertise zum 5. Altenbericht <strong>de</strong>r B<strong>und</strong>esregierung, Bd. 5), LIT-Verlag Münster<br />
Roloff, Juliane 2005 (A): Demographische Entwicklung, Beitrag für die Friedrich-Ebert-Stiftung, OnlineAka<strong>de</strong>mie<br />
(Modul „Generationengerechtigkeit“)<br />
Roloff, Juliane 2005 (B): Geburtenverhalten <strong>und</strong> Familienpolitik – west- <strong>und</strong> ost<strong>de</strong>utsche <strong>Frauen</strong> im Vergleich – eine<br />
empirische Studie. In: Christiane Dienel (Hrsg.): Abwan<strong>de</strong>rung, Geburtenrückgang <strong>und</strong> regionale Entwicklung,<br />
Ursachen <strong>und</strong> Folgen <strong>de</strong>s Bevölkerungsrückgangs in Ost<strong>de</strong>utschland, Verlag für Sozialwissenschaften Wiesba<strong>de</strong>n<br />
Schulz, Erika; Leidl, Reiner; Koenig, Hans-Helmut 2001: Starker Anstieg <strong>de</strong>r Pflegebedürftigkeit zu erwarten:<br />
Vorausschätzungen bis 2020 mit Ausblick auf 2050. Wochenbericht <strong>de</strong>s DIW Berlin, 5/01<br />
Statistisches B<strong>und</strong>esamt 2003: Bevölkerung Deutschlands bis 2050 – Ergebnisse <strong>de</strong>r 10. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung<br />
Statistisches B<strong>und</strong>esamt 2004: Son<strong>de</strong>rbericht: Lebenslagen <strong>de</strong>r Pflegebedürftigen – Pflege im Rahmen <strong>de</strong>r<br />
Pflegeversicherung, Deutschlan<strong>de</strong>rgebnisse <strong>de</strong>s Mikrozensus 2003, Bonn<br />
64
Diana Auth/Barbara Holland-Cunz<br />
Alarmismus <strong>und</strong> Aktionismus.<br />
Diskurs <strong>und</strong> Politik zum <strong>de</strong>mografischen<br />
<strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> in Deutschland1 Die Lage<br />
Spätestens seit <strong>de</strong>n 90er Jahren wird nicht mehr nur wissenschaftlich, son<strong>de</strong>rn<br />
auch gesellschafts-öffentlich <strong>und</strong> politisch über <strong>de</strong>n <strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong><br />
sowie seine sozialen <strong>und</strong> ökonomischen Folgen diskutiert. Zunächst stand<br />
<strong>de</strong>r Alterungsprozess <strong>de</strong>r Bevölkerung im Mittelpunkt (vgl. z.B. Enquête-<br />
Kommission <strong>Demografischer</strong> <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> 2002), doch mittlerweile sind <strong>de</strong>r<br />
Bevölkerungsrückgang <strong>und</strong> die niedrige Geburtenrate ins Zentrum <strong>de</strong>r<br />
Aufmerksamkeit gerückt (vgl. Kaufmann 2005: 15).<br />
In <strong>de</strong>r öffentlichen Debatte dominieren dramatische Bil<strong>de</strong>r von schrumpfen<strong>de</strong>n<br />
Städten, leeren Kin<strong>de</strong>rgärten <strong>und</strong> allein gelassenen pflegebedürftigen Alten, um<br />
nur einige Beispiele <strong>de</strong>r medialen „Endzeitstimmung“ zu nennen. Prognosen <strong>und</strong><br />
Mo<strong>de</strong>llrechnungen zum <strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> haben Hochkonjunktur. Die<br />
1 Der Artikel basiert auf einem Vortrag, <strong>de</strong>n wir im Oktober 2005 auf unserer Tagung „Strategien <strong>und</strong> Diskurse <strong>de</strong>mographischer<br />
Steuerung – wie wirksam ist Bevölkerungspolitik?“ an <strong>de</strong>r Universität Gießen gehalten haben.<br />
Erweiterte Fassungen dieses Artikel können nachgelesen wer<strong>de</strong>n in: Diana Auth/Barbara Holland-Cunz (Hrsg.):<br />
Grenzen <strong>de</strong>r Bevölkerungspolitik. Strategien <strong>und</strong> Diskurse <strong>de</strong>mographischer Steuerung, Opla<strong>de</strong>n: Barbara Budrich<br />
2007, i.E.<br />
65
öffentliche Debatte ist durch eine doppel<strong>de</strong>utige Struktur geprägt: Einerseits<br />
impliziert die sprachliche Rhetorik <strong>de</strong>s <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>s einen sanften, langsamen, unvermeidlichen<br />
Übergang. An<strong>de</strong>rerseits <strong>de</strong>utet die Bebil<strong>de</strong>rung eher auf dramatische<br />
Verän<strong>de</strong>rungen <strong>und</strong> gefährliche Entwicklungen hin, die dringen<strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>ln<br />
erfor<strong>de</strong>rn. Die drastischen Bil<strong>de</strong>rfolgen verweisen auf ein alarmistisches<br />
Diskursmuster, das sich in medialer Öffentlichkeit <strong>und</strong> wissenschaftlicher<br />
Debatte nachweisen lässt <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Blick auf Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen politischer<br />
Einflussnahme eher verstellt.<br />
Aber gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Politik wird dieser Diskurs dankbar aufgegriffen <strong>und</strong> in<br />
konkrete familienpolitische Maßnahmen übersetzt. Die geburtenför<strong>de</strong>rn<strong>de</strong><br />
Familienpolitik unter <strong>de</strong>n Familienministerinnen <strong>de</strong>r rot-grünen <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Großen<br />
Koalition, Renate Schmidt <strong>und</strong> Ursula von <strong>de</strong>r Leyen, weist einen signifikanten<br />
Aktionismus auf, <strong>de</strong>nn we<strong>de</strong>r die Ursachen für Kin<strong>de</strong>rlosigkeit <strong>und</strong> das Hinausschieben<br />
von Kin<strong>de</strong>rwünschen noch die generelle Steuerungsfähigkeit bevölkerungspolitischer<br />
Maßnahmen wer<strong>de</strong>n ausreichend reflektiert. Die pronatalistische<br />
Familienpolitik, die oftmals im Gewan<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gleichstellung daherkommt, dient<br />
vor allem <strong>de</strong>r Durchsetzung ökonomischer <strong>und</strong> bevölkerungspolitischer Zielsetzungen.<br />
Die Gr<strong>und</strong>lage<br />
Der öffentliche Diskurs <strong>und</strong> die familienpolitischen Maßnahmen basieren auf<br />
verschie<strong>de</strong>nen Mo<strong>de</strong>llrechnungen, <strong>de</strong>ren wichtigste <strong>und</strong> öffentlichkeitswirksamste<br />
die Berechnungen <strong>de</strong>s Statistischen B<strong>und</strong>esamtes sind. Die zehnte<br />
Bevölkerungsvorausberechnung stammt aus <strong>de</strong>m Jahr 2003 <strong>und</strong> reicht bis zur<br />
Mitte dieses Jahrh<strong>und</strong>erts. Das Statistische B<strong>und</strong>esamt hat neun Varianten mit<br />
unterschiedlichen Annahmen hinsichtlich <strong>de</strong>r Geburtenrate, <strong>de</strong>r Wan<strong>de</strong>rungsbewegungen<br />
<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Lebenserwartung berechnet. Die Spannbreite <strong>de</strong>r möglichen<br />
Bevölkerungszahl für das Jahr 2050 liegt zwischen 67 <strong>und</strong> 81 Millionen. In <strong>de</strong>r<br />
wissenschaftlichen <strong>und</strong> in <strong>de</strong>r politischen Debatte wird am häufigsten auf die<br />
mittlere Variante zurückgegriffen, weil diese als die realitätsnaheste gilt. Dort<br />
wird von einer konstant niedrigen Geburtenrate von 1,4 Kin<strong>de</strong>rn pro Frau, von<br />
einer Steigerung <strong>de</strong>r Lebenserwartung um sechs Jahre für Neugeborene sowie<br />
von einem Wan<strong>de</strong>rungsüberschuss von 200.000 ausgegangen. Unter diesen<br />
Annahmen wird die Bevölkerungszahl in Deutschland bis zum Jahr 2050 auf<br />
75 Millionen sinken, vor allem, weil aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r konstant niedrigen Geburtenrate<br />
die Zahl <strong>de</strong>r potenziellen Mütter <strong>und</strong> damit <strong>de</strong>r Neugeborenen kleiner wird.<br />
Demgegenüber steht eine steigen<strong>de</strong> Zahl an Sterbefällen, <strong>de</strong>nn die geburtenstarken<br />
Jahrgänge kommen ins hohe Alter. Die meisten ExpertInnen gehen davon<br />
66
aus, dass das Sinken <strong>de</strong>r Bevölkerungszahl durch Zuwan<strong>de</strong>rung zwar verlangsamt,<br />
aber nicht vollständig kompensiert wer<strong>de</strong>n kann. Aber die Zahl <strong>de</strong>r<br />
Deutschen geht nicht nur zurück, die Bevölkerung altert zu<strong>de</strong>m, so das<br />
Statistische B<strong>und</strong>esamt. Der Anteil <strong>de</strong>r unter 20-Jährigen Kin<strong>de</strong>r <strong>und</strong> Jugendlichen<br />
sinkt von heute 21 % auf 16 %, <strong>de</strong>r Anteil <strong>de</strong>r 20-59-Jährigen, also <strong>de</strong>r<br />
Personen im erwerbsfähigen Alter, sinkt von 55 % auf 47 %, wohingegen <strong>de</strong>r<br />
Anteil <strong>de</strong>r über 60-Jährigen von 24 % auf 37 % steigt (vgl. Statistisches<br />
B<strong>und</strong>esamt 2003).<br />
Der Diskurs<br />
Im Folgen<strong>de</strong>n dokumentieren wir einige i<strong>de</strong>altypische Beiträge <strong>de</strong>s Diskurses.<br />
a) Der mediale alarmistische Diskurs erzeugt interessanterweise kaum nachhaltige<br />
Resonanz, die Beiträge beziehen sich nur wenig aufeinan<strong>de</strong>r, setzen<br />
gleichsam immer wie<strong>de</strong>r von neuem an. In <strong>de</strong>r Frankfurter Allgemeinen Zeitung<br />
(11.03.05) <strong>de</strong>nkt <strong>de</strong>r Stanfor<strong>de</strong>r Sozialwissenschaftler Stanley Kurtz (2005: 42)<br />
über die kulturellen Konsequenzen einer „überalterten Welt“ nach <strong>und</strong> diskutiert<br />
mögliche Alternativen zu <strong>de</strong>n „düsteren Aussichten“: Wie<strong>de</strong>rherstellung traditioneller<br />
Werte, neue Eugenik o<strong>de</strong>r Bevölkerungsrückgang. Kurtz unterstellt, dass<br />
insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rne Feminismus seit Beginn <strong>de</strong>s 20. Jahrh<strong>und</strong>erts eine<br />
Ten<strong>de</strong>nz zur Eugenik <strong>und</strong> seit Shulamith Firestone eine Ten<strong>de</strong>nz zur künstlichen<br />
Reproduktion habe, 2 dass Feministinnen <strong>de</strong>shalb die ersten sein wer<strong>de</strong>n, die <strong>de</strong>n<br />
neuen, äußerst zweifelhaften biopolitischen Trends (Leihmutterschaft, künstliche<br />
Gebärmutter) folgen wer<strong>de</strong>n. Der Alarmismus, <strong>de</strong>r diesen Text durchzieht,<br />
bezieht sich auf eine konstruierte Polarität, die entwe<strong>de</strong>r langsames Aussterben<br />
o<strong>de</strong>r manipulative Biopolitik prognostiziert, bei<strong>de</strong>s vorangetrieben von<br />
Feministinnen (vgl. Kurtz 2005). Ebenfalls in <strong>de</strong>r Frankfurter Allgemeinen<br />
Zeitung (13.06.05) diskutiert <strong>de</strong>r Kieler Neurologe <strong>und</strong> Psychiater Bertrand<br />
Flöttmann <strong>de</strong>n „Wunsch nach einem Kind“. Flöttmann (2005: 7) macht „das einseitige<br />
Streben nach Besitz <strong>und</strong> Vergnügen“ <strong>und</strong> <strong>de</strong>n „Geist <strong>de</strong>s Feminismus“ für<br />
die Kin<strong>de</strong>rarmut <strong>de</strong>r westlichen Welt verantwortlich. Männer <strong>und</strong> <strong>Frauen</strong> bleiben<br />
heute infantil, stellen sich nicht <strong>de</strong>n reifen Verantwortlichkeiten einer<br />
Familiengründung, sind vom Hass <strong>de</strong>s Feminismus auf Weiblichkeit, Fruchtbarkeit<br />
<strong>und</strong> pflegen<strong>de</strong> Mütterlichkeit latent durchdrungen, huldigen einer<br />
Leistungsi<strong>de</strong>ologie etc. Flöttmanns psychologisch informiertes Fazit lautet:<br />
2 Kurtz ist insofern Recht zu geben, als die Alte <strong>Frauen</strong>bewegung in Deutschland (insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r radikale Flügel)<br />
durchaus Ten<strong>de</strong>nzen zu eugenischen Positionen aufwies; auch wenn Firestone sich nicht auf diese Debatten bezieht,<br />
können ihre Positionen zur künstlichen Reproduktion, die sie als wesentlichen Schritt zur Befreiung versteht,<br />
tatsächlich in diese Tradition eingeordnet wer<strong>de</strong>n.<br />
67
68<br />
„Da <strong>de</strong>r Mensch erst durch Scha<strong>de</strong>n lernt, wer<strong>de</strong>n die Welle <strong>de</strong>r<br />
Gewalt, die Zahl <strong>de</strong>r psychiatrischen Erkrankungen <strong>und</strong> die Industrie<br />
für staatlich verordnete Zuwendung so zunehmen, daß ein neues<br />
Denken erst dann kommt, wenn die Folgen <strong>de</strong>r Verwahrlosung, <strong>de</strong>r<br />
Gefühlsarmut <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>rlosigkeit uns überschütten.“ (ebd.).<br />
Vor <strong>de</strong>r drohen<strong>de</strong>n Katastrophe bewahrt uns, Flöttmann (ebd.) zufolge, nur ein<br />
beherztes „Zurück an <strong>de</strong>n Herd“ für die <strong>Frauen</strong>. Vielleicht erscheint Flöttmanns<br />
Alarmismus, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r gängigen These vom westlichen Werteverfall huldigt, <strong>de</strong>r vor<br />
allem <strong>de</strong>m Feminismus geschul<strong>de</strong>t sei, als extrem überzogenes Beispiel, doch<br />
zeichnet <strong>de</strong>n Diskurs zum <strong>de</strong>mographischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> insgesamt eine Vorliebe für<br />
starke Worte, Begriffe <strong>und</strong> Bil<strong>de</strong>r aus... <strong>und</strong> zwar selbst für solche, die man heute<br />
nicht mehr im öffentlichen Diskurs erwarten wür<strong>de</strong>.<br />
b) Auch in <strong>de</strong>r wissenschaftlichen Debatte lassen sich Varianten <strong>de</strong>r alarmistischen<br />
Thematisierungsweise beobachten. Als <strong>de</strong>rzeit wichtigste, seriöseste Arbeit<br />
zur <strong>de</strong>mografischen Frage gilt Franz-Xaver Kaufmanns (2005) „Schrumpfen<strong>de</strong><br />
Gesellschaft“, 2005 in <strong>de</strong>r edition suhrkamp erschienen. Auch dieser Text, <strong>de</strong>r<br />
wissenschaftliche Klarheit <strong>und</strong> Ernsthaftigkeit für sich beansprucht, scheut keine<br />
starken Worte. So spricht Kaufmann (2005: 53, 62, 14, 17, 25, 47) von <strong>de</strong>r<br />
„Wucht <strong>de</strong>s <strong>de</strong>mografischen Faktors“, von <strong>de</strong>r „verhängnisvolle(n) Wirkung<br />
eines langfristigen Bevölkerungsrückgangs“, bescheinigt <strong>de</strong>r Bevölkerungsentwicklung<br />
„fehlen<strong>de</strong> Nachhaltigkeit“, prognostiziert eine „Verschlechterung<br />
<strong>de</strong>r Standortbedingungen“, sieht die „Verletzung intergenerationeller Gerechtigkeit“<br />
<strong>und</strong> spricht von <strong>de</strong>r „<strong>de</strong>mografische(n) Alterslast“.<br />
Auch wenn die Begriffe auf <strong>de</strong>n ersten Blick nicht so drastisch ausfallen wie bei<br />
Flöttmann, so will auch Kaufmann mit seinem Text erhöhte Aufmerksamkeit<br />
erzeugen. In ökonomischer Sprache diskutiert <strong>de</strong>r Soziologe Kaufmann<br />
(2005: 48, 29, 73, 75) die <strong>de</strong>mografische Frage als „Fertilitätsabbruch“,<br />
Problem <strong>de</strong>s „Humanvermögen(s)“ bzw. <strong>de</strong>s „Humankapital(s)“; die niedrige<br />
Fertilität produziert, so Kaufmann, eine „Investitionslücke“. In neoliberaler<br />
Diktion heißt es als kursivierter Merksatz:<br />
„Die ‚Investitionslücke’ in das <strong>de</strong>utsche Humankapital infolge <strong>de</strong>r<br />
unter <strong>de</strong>m Reproduktionsniveau liegen<strong>de</strong>n Fertilität während <strong>de</strong>r<br />
letzten dreißig Jahre darf also in erster Annäherung auf min<strong>de</strong>stens<br />
4800 Milliar<strong>de</strong>n DM o<strong>de</strong>r 2500 Milliar<strong>de</strong>n Euro geschätzt wer<strong>de</strong>n.“<br />
(Kaufmann 2005: 82, Herv. i. O.).
Die Folgen sind, laut Kaufmann (2005: 92, 101, 107, 109, 113), gravierend:<br />
„Beschäftigungs- <strong>und</strong> Wohlstandsverluste(n)“, „erbitterte(n) Verteilungskämpfe(n)“,<br />
„Deindustrialisierung“, „soziale Desorganisation“, „Verfall <strong>de</strong>r<br />
Bauten“, „Verelendung“, „wachsen<strong>de</strong>(r) Kriminalität“, „soziale(r) Erstarrung“,<br />
„strukturelle Sklerose“ – <strong>und</strong> all diese Effekte verstärken sich wechselseitig.<br />
Kaufmann schreckt schließlich nicht davor zurück, ein Huntington´sches<br />
Szenario (allerdings ohne einschlägigen Verweis (vgl. Huntington 1997)) vom<br />
Kampf <strong>de</strong>r Kulturen zu skizzieren: junge Staaten mit hohen Geburtenraten <strong>und</strong><br />
nicht-westlichen kulturellen Orientierungen gegen die altern<strong>de</strong>n europäischen<br />
Gesellschaften – Migrationsdruck <strong>und</strong> Kriegsdrohungen inklusive (vgl.<br />
Kaufmann 2005: 58 f.). Gegen diese Gefahren <strong>und</strong> gegen die (Teil-)Kompensation<br />
<strong>de</strong>s Geburtenrückgangs durch Einwan<strong>de</strong>rung hält Kaufmann, in seiner<br />
Argumentation logisch, die formal nationalstaatlich <strong>und</strong> politisch-kulturell<br />
geprägte kollektive I<strong>de</strong>ntität hoch (vgl. Kaufmann 2005: 25 f.); die Perspektive<br />
von Bevölkerungsberechnungen darf also nicht europäisch o<strong>de</strong>r gar global sein,<br />
sie hat nationalstaatlich zu sein. Während in <strong>de</strong>r avancierten Demokratietheorie<br />
zur Transnationalisierung das Konstrukt „kollektive I<strong>de</strong>ntität“ unter heftigen<br />
argumentativen Druck geraten ist (vgl. exemplarisch Habermas 1998), versteigt<br />
sich Kaufmann (2005: 25, 27) gar zum Begriff <strong>de</strong>s „Schicksalraum(s)“, <strong>de</strong>r für<br />
seine Fragen relevant sei (wenn auch zunächst in Anführungszeichen <strong>und</strong> mit<br />
erklären<strong>de</strong>r Anmerkung, zwei Seiten weiter aber bereits ohne einschränken<strong>de</strong><br />
Zusätze, son<strong>de</strong>rn im Gegenteil mit <strong>de</strong>r üblichen Hervorhebung durch<br />
Kursivierung). Die „kollektive I<strong>de</strong>ntität“ eines Lan<strong>de</strong>s, <strong>de</strong>r „Schicksalsraum“<br />
seiner Bevölkerung, wer<strong>de</strong>n bei Kaufmann zum Bezugsrahmen für bevölkerungspolitische<br />
Überlegungen. Kaufmanns (2005: 196) politisches Gebot muss folglich<br />
lauten: „Je<strong>de</strong>r <strong>und</strong> je<strong>de</strong>“ haben entwe<strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r zu erziehen o<strong>de</strong>r Ersparnisse zu<br />
bil<strong>de</strong>n – dafür muss <strong>de</strong>r jeweilige Nationalstaat heute vorrangig sorgen. In Bezug<br />
auf das Geschlechterverhältnis kann jedoch ausdrücklich vermerkt wer<strong>de</strong>n, dass<br />
Kaufmann (2005: 146 ff.) wi<strong>de</strong>r Erwarten eine engagierte Kritik <strong>de</strong>s<br />
Paternalismus in Deutschland vorträgt <strong>und</strong> damit nicht <strong>de</strong>m allgegenwärtigen<br />
Trend folgt, das heutige Verhalten von <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong>/o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Feminismus zum<br />
eigentlichen Problem zu erklären.<br />
Ein an<strong>de</strong>rer Wissenschaftler ist ebenfalls in <strong>de</strong>r aktuellen Debatte stets präsent:<br />
Bevölkerungsforscher Herwig Birg, <strong>de</strong>n Dieter Oberndörfer (2005: 1482) „<strong>de</strong>n<br />
gegenwärtigen ‚medialen Superstar’ <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Demografie“ nennt <strong>und</strong> entsprechend<br />
scharf kritisiert. Birgs alarmistische Argumente basieren auf krassen<br />
Rechnungen, die möglichst drastische Zahlen erzeugen. So gelingt es Birg<br />
(2003: 8, 12) in einem kurzen Aufsatz, die Spannbreite <strong>de</strong>r Hochrechnungen<br />
gleichzeitig weit unter <strong>und</strong> weit über die seriösen Mo<strong>de</strong>lle zu treiben, beispielsweise<br />
die Zahl 22,4 Millionen Deutsche für das Jahr 2100 zu errechnen (ohne<br />
69
Ausgleich durch Wan<strong>de</strong>rungen) o<strong>de</strong>r mit einem benötigten Ausgleich (<strong>de</strong>s<br />
„Altenquotienten“) durch 188 Millionen junge Zuwan<strong>de</strong>rInnen bis 2050 zu<br />
drohen (vgl. auch die fast i<strong>de</strong>ntischen Zahlen in Birg 2005: 98, 117, 177). Bei<strong>de</strong><br />
Entwicklungen können dazu führen, dass Deutschland seine „weltweit bew<strong>und</strong>erte<br />
Kultur“ (Birg 2003: 16) verliert. Bei Birg scheinen die Zahlen selbst<br />
Alarmismus zu generieren. Dass Birg nicht nur im wissenschaftlichen, son<strong>de</strong>rn<br />
auch im populärwissenschaftlichen Diskurs eine wichtige Rolle spielt, lässt sich<br />
an einem aktuellen Zeitungsinterview ablesen, in <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r viel beschäftigte<br />
Experte folgen<strong>de</strong>n Satz prägt: „Man re<strong>de</strong>t über <strong>de</strong>n <strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> wie<br />
über ein Kätzchen, das auf Samtpfoten daherkommt. Er gleicht aber einem<br />
gefährlichen Raubtier mit fürchterlichen Krallen.“ (Frankfurter R<strong>und</strong>schau,<br />
26.06.06).<br />
Üblicherweise jedoch gibt sich Herwig Birg (2005), wie in seinem seit 2001<br />
mehrfach aufgelegten Buch „Die <strong>de</strong>mografische Zeitenwen<strong>de</strong>“ ersichtlich, als<br />
Wissenschaftler, <strong>de</strong>r sich mit einer Fülle von Daten, Tabellen, Schaubil<strong>de</strong>rn auf<br />
die Objektivität <strong>de</strong>r Wissenschaft Demografie verpflichtet. Bis zum zwölften<br />
Kapitel <strong>de</strong>s Textes, das mit „Demografie <strong>und</strong> Politik“ (Birg 2005: 194) überschrieben<br />
ist, bleiben die Argumente, abgesehen von <strong>de</strong>r auch bei Birg (2005: 39,<br />
123) explizit nationalen <strong>und</strong> implizit Huntington’schen Perspektive, vergleichsweise<br />
unauffällig wohlmeinend ge<strong>de</strong>utet angesichts <strong>de</strong>r explizit formulierten<br />
nationalistischen Position. Doch das zwölfte Kapitel ist eine kru<strong>de</strong>, be<strong>de</strong>nkliche,<br />
seltsame Mischung aus Gedanken zur Aufklärung, Verantwortung, Infantilisierung,<br />
Einwan<strong>de</strong>rung, Integration, Demokratie <strong>und</strong> nicht vorhan<strong>de</strong>nen Gewaltenteilung,<br />
zur wenig anerkannten Wissenschaft Demografhie, zum Holocaust,<br />
Gesellschaftsvertrag, Konstruktivismus <strong>und</strong> Rassismus, zu Niklas Luhmanns<br />
Unkenntnis etc. (vgl. Birg 2005: 194-206). Die Problematik <strong>de</strong>r Argumentation<br />
ist allerdings noch steigerbar <strong>und</strong> erreicht ihren Höhepunkt im abschließen<strong>de</strong>n<br />
dreizehnten Kapitel zur Ethik (vgl. Birg 2005: 207-218), in <strong>de</strong>m mit Immanuel<br />
Kant <strong>und</strong> Hans Jonas gleichsam ein Kategorischer Fortpflanzungsimperativ<br />
behauptet, bestritten <strong>und</strong> letztlich doch unterstellt wird. Unklar ist, wie die schillern<strong>de</strong>n<br />
Sätze zu verstehen sind, die einen Einblick in die Denkweise Birgs geben:<br />
70<br />
„Die Maxime Kants wäre z.B. verletzt, wenn das Fortpflanzungsverhalten<br />
<strong>de</strong>r jüngeren <strong>Frauen</strong>jahrgänge in Deutschland auf die<br />
gesamte Menschheit übertragen wür<strong>de</strong>. Wenn sich alle <strong>Frauen</strong> <strong>de</strong>r<br />
Welt so verhielten wie jenes Drittel zeitlebens kin<strong>de</strong>rlos bleiben<strong>de</strong>r<br />
<strong>Frauen</strong> unter <strong>de</strong>n 1965 <strong>und</strong> später geborenen Jahrgängen in<br />
Deutschland, wäre die Er<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>m Hinschei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s zuletzt<br />
geborenen Menschen, also in etwa 120 Jahren, menschenleer.“ (Birg<br />
2005: 208). Einige Seiten weiter heißt es: „...daß einige Menschen
auf Kosten an<strong>de</strong>rer kin<strong>de</strong>rlos bleiben könnten ... Das wäre so, als ob<br />
es für einen Teil <strong>de</strong>r Gesellschaft erlaubt wäre, die Gesetze zu mißachten<br />
<strong>und</strong> z.B. Steuern zu hinterziehen, vorausgesetzt, daß die<br />
an<strong>de</strong>ren Steuern zahlen <strong>und</strong> darüber hinaus freiwillig gemeinnützige<br />
Spen<strong>de</strong>n leisten ...“ (Birg 2005: 216).<br />
Eine gewisse Undurchsichtigkeit <strong>de</strong>s Textes, die aus <strong>de</strong>r Unsystematik <strong>de</strong>r<br />
Argumentation erwächst, bleibt bestehen. Man weiß nicht so recht, für welches<br />
Anliegen Birg an welchem Punkt seiner Überlegungen jeweils streitet. Gewiss ist<br />
immerhin, dass <strong>de</strong>r Bevölkerungsforscher sein Fach für gera<strong>de</strong>zu skandalös<br />
marginalisiert hält <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Nationalsozialismus in keiner Weise als akzeptable<br />
Legitimation dafür betrachtet.<br />
Wie aus <strong>de</strong>n exemplarischen Beispielen <strong>de</strong>utlich gewor<strong>de</strong>n sein sollte, gilt vor<br />
allem <strong>de</strong>n populärwissenschaftlich argumentieren<strong>de</strong>n ProtagonistInnen <strong>de</strong>r medialen<br />
Demografie-Debatte <strong>de</strong>r zeitgenössische Feminismus als Auslöser <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mografischen<br />
Frage; die Argumente sind zum Teil offen sexistisch. Der Ton ist<br />
zu<strong>de</strong>m stark kulturkritisch, <strong>de</strong>r Untergang <strong>de</strong>s Abendlan<strong>de</strong>s scheint unmittelbar<br />
vor <strong>de</strong>r Tür zu stehen. Antifeminismus <strong>und</strong> konservative Kulturkritik bil<strong>de</strong>n<br />
die Gr<strong>und</strong>lagen <strong>de</strong>s medialen Alarmismus, an <strong>de</strong>m sich Wissenschaftler mit<br />
populären Text(sort)en gerne beteiligen.<br />
In <strong>de</strong>r seriöseren wissenschaftlichen Debatte ist <strong>de</strong>r geschlechterpolitische Ton<br />
dagegen zurückhalten<strong>de</strong>r <strong>und</strong> die Argumentation orientiert sich stärker an ökonomistischen<br />
I<strong>de</strong>ologien. Dass die Emanzipationsansprüche von <strong>Frauen</strong> dazu<br />
führen können, Berufswünsche <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rwünschen vorzuziehen, wird unterstellt,<br />
doch gleichzeitig gibt es offenk<strong>und</strong>ig stellenweise schon ein Bewusstsein<br />
darüber, dass massive strukturelle Barrieren <strong>de</strong>r nach wie vor als weiblich gedachten<br />
Vereinbarkeit von Familie <strong>und</strong> Beruf entgegenstehen. Vielleicht spiegelt sich ja<br />
in <strong>de</strong>r Zurückhaltung gegenüber frauenfeindlichen Rhetoriken die Einsicht, dass<br />
nicht etwa Emanzipationswünsche, son<strong>de</strong>rn vielmehr traditionelle <strong>Frauen</strong>- <strong>und</strong><br />
Familienbil<strong>de</strong>r die Geburtenraten in Europa <strong>und</strong> vor allem hierzulan<strong>de</strong> haben<br />
sinken lassen (vgl. zweiwochendienst 211/2004: 20). Nationalistische Affekte<br />
wer<strong>de</strong>n allerdings auch im wissenschaftlichen Diskussionskontext bedient; bei<br />
diesem Motiv ist die Unterscheidung nach Textsorten nicht trennscharf.<br />
Die Politik<br />
In <strong>de</strong>r Familienpolitik hat 2002 ein Paradigmenwechsel von <strong>de</strong>r finanziellen<br />
Unterstützung von Familien, die nicht mehr weiter forciert wer<strong>de</strong>n soll, hin zum<br />
71
evölkerungspolitisch motivierten Ausbau <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>rbetreuung stattgef<strong>und</strong>en.<br />
Seit <strong>de</strong>m Beginn <strong>de</strong>r zweiten rot-grünen Legislaturperio<strong>de</strong> wird im B<strong>und</strong>esfamilienministerium<br />
unter Ministerin Renate Schmidt (SPD) eine bevölkerungsorientierte<br />
Familienpolitik betrieben. Diese wird seit 2005 von Ursula von <strong>de</strong>r<br />
Leyen (CDU), <strong>de</strong>r neuen Familienministerin <strong>de</strong>r Großen Koalition, weitergeführt.<br />
Die Familienpolitik unter <strong>de</strong>r ehemaligen Ministerin Schmidt besteht aus einem<br />
policy mix aus finanziellen Transfers, v.a. an bedürftige Familien, einer familienfre<strong>und</strong>lichen<br />
Personalpolitik <strong>de</strong>r Unternehmen <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Ausbau <strong>de</strong>r Betreuungsinfrastruktur.<br />
Auf diese Weise soll eine nachhaltige, bevölkerungsorientierte<br />
Familienpolitik umgesetzt wer<strong>de</strong>n. „Familienpolitik“, so Renate Schmidt, „kann<br />
eine höhere Geburtenrate durch bessere Rahmenbedingungen ermöglichen.“<br />
(BMFSFJ, 13.11.2004). Damit Deutschland familienfre<strong>und</strong>licher wird, hat die<br />
Ex-Familienministerin die „lokalen Bündnisse für Familien“ ins Leben gerufen,<br />
wo alle kommunalen AkteurInnen an einen Tisch geholt wer<strong>de</strong>n <strong>und</strong> vor Ort<br />
familienfre<strong>und</strong>liche I<strong>de</strong>en entwickeln <strong>und</strong> umsetzen sollen. Auch die „Allianz für<br />
die Familie“, eine Initiative zusammen mit vielen Wirtschaftsverbän<strong>de</strong>n <strong>und</strong> <strong>de</strong>m<br />
DGB, soll diesem Zweck dienen. <strong>Frauen</strong> – selten auch Männer – sollen durch<br />
flexible Arbeitszeiten, bessere Wie<strong>de</strong>reinstiegsprogramme <strong>und</strong> eine familienfre<strong>und</strong>liche<br />
Unternehmenskultur zum Kin<strong>de</strong>rkriegen motiviert wer<strong>de</strong>n (vgl.<br />
BMFSFJ/Bertelsmann Stiftung o.J.). Kernstück <strong>de</strong>r staatlichen Familienpolitik<br />
unter Schmidt ist das Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG). Für <strong>de</strong>n Ausbau <strong>de</strong>r<br />
Betreuung für unter Dreijährige wer<strong>de</strong>n seit 2005 bis zu 1,5 Mrd. Euro jährlich<br />
zur Verfügung gestellt. Bis 2010 soll ein bedarfsgerechtes Betreuungsangebot,<br />
das sind 230.000 neue Plätze für unter Dreijährige, erreicht sein. Die neue<br />
Familienministerin von <strong>de</strong>r Leyen setzt das Programm fort <strong>und</strong> droht <strong>de</strong>n<br />
Kommunen sogar mit einem Rechtsanspruch auf die Betreuung von Kin<strong>de</strong>rn<br />
ab <strong>de</strong>m zweiten Lebensjahr, falls sie kein bedarfsgerechtes Angebot an<br />
Betreuungsplätzen für Kleinkin<strong>de</strong>r bereitstellen (vgl. Koalitionsvertrag 2005).<br />
Die neue Familienministerin führt generell die pronatalistische Familienpolitik<br />
fort, in<strong>de</strong>m sie die steuerliche Absetzbarkeit von Kin<strong>de</strong>rbetreuungskosten verbessert<br />
<strong>und</strong> das einkommensabhängige Elterngeld – ein Vorschlag <strong>de</strong>r SPD,<br />
<strong>de</strong>ssen Basis das schwedische Elterngeldmo<strong>de</strong>ll ist – einführt. Für große politische<br />
<strong>und</strong> mediale Aufmerksamkeit haben die so genannten „Väter-Monate“<br />
gesorgt, die bei<strong>de</strong>n Monate also, die nicht übertragbar sein sollen. Sie sollen als<br />
Anreiz für Väter dienen, einen Teil <strong>de</strong>r Elternzeit in Anspruch zu nehmen.<br />
CDU/CSU-Politiker wie Jürgen Rüttgers o<strong>de</strong>r Norbert Geis kritisieren die<br />
Regelung als verfassungswidrig <strong>und</strong> werfen <strong>de</strong>r Familienministerin vor, sie greife<br />
in die Erziehungsfreiheit <strong>de</strong>r Eltern ein <strong>und</strong> propagiere ein einseitiges Familienleitbild:<br />
das <strong>de</strong>r Zwei-Erwerbstätigen-Familie (vgl. Frankfurter R<strong>und</strong>schau,<br />
01.12.05; 05.12.05).<br />
72
Die familienpolitischen Maßnahmen unter <strong>de</strong>n Ministerinnen Schmidt <strong>und</strong> von<br />
<strong>de</strong>r Leyen sollen potenzielle Mütter <strong>und</strong> Väter motivieren, Kin<strong>de</strong>r zu bekommen.<br />
Ein signifikanter Aktionismus fällt dabei ins Auge, schaut man sich die Grün<strong>de</strong><br />
für Kin<strong>de</strong>rlosigkeit genauer an: Für <strong>de</strong>n Rückgang <strong>de</strong>r Geburtenzahlen gibt es<br />
mehrere Erklärungen: Er kann erstens auf die Zunahme freiwilliger Kin<strong>de</strong>rlosigkeit<br />
zurückgeführt wer<strong>de</strong>n, zweitens auf uneingelöste Kin<strong>de</strong>rwünsche, die<br />
wie<strong>de</strong>rum unterschiedliche Ursachen haben können, <strong>und</strong> drittens auf die Auswirkungen<br />
später Erstgeburten. Diese haben zur Folge, dass die Zahl weiterer<br />
Geburten sinkt <strong>und</strong> das Risiko <strong>de</strong>r ungewollten Kin<strong>de</strong>rlosigkeit steigt. Insgesamt<br />
ist das Erstgeburtsalter <strong>de</strong>utlich angestiegen (vgl. Roloff 2003: 13 f.).<br />
Die zusammengefasste Geburtenziffer verharrt in Deutschland seit <strong>de</strong>n 70er<br />
Jahren auf einem niedrigen Niveau. Sie liegt <strong>de</strong>rzeit bei 1,35 Kin<strong>de</strong>rn pro Frau.<br />
Kohortenspezifische Geburtenziffern zeigen für die Geburtsjahrgänge nach 1965,<br />
dass <strong>de</strong>r Rückgang <strong>de</strong>r Zahl <strong>de</strong>r Geburten gestoppt ist (vgl. Enquête-Kommission<br />
<strong>Demografischer</strong> <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> 2002; Dorbritz 2004). In <strong>de</strong>n letzten Jahrzehnten hat<br />
die Kin<strong>de</strong>rlosigkeit in Deutschland zugenommen. In West<strong>de</strong>utschland bleibt <strong>de</strong>rzeit<br />
fast ein Viertel <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong> kin<strong>de</strong>rlos, in Ost<strong>de</strong>utschland knapp 11% (vgl.<br />
BMFSFJ 2003). Der Anteil <strong>de</strong>r kin<strong>de</strong>rlosen Aka<strong>de</strong>mikerinnen liegt – an<strong>de</strong>rs als<br />
die Medien lange Zeit berichteten – je nach Datenbasis bei einem Viertel bis<br />
einem Drittel (vgl. Schmitt/Winkelmann 2005; Wirth/Dümmler 2004).<br />
Kin<strong>de</strong>r kosten Geld. Dementsprechend versuchen Paare zunächst, sich eine finanzielle<br />
Basis zu schaffen, bevor sie Kin<strong>de</strong>r bekommen. Arbeitslosigkeit, befristete<br />
Beschäftigungsverhältnisse o<strong>de</strong>r niedrige Einkommen verzögern <strong>de</strong>n Prozess <strong>de</strong>r<br />
Familiengründung. Dies gilt insbeson<strong>de</strong>re für Männer, die sich eine ökonomische<br />
Basis <strong>und</strong> eine finanzielle Stabilität wünschen, bevor sie Kin<strong>de</strong>r haben wollen<br />
(vgl. Schmitt/Winkelmann 2005; Tölke/Diewald 2003).<br />
Bei <strong>de</strong>n <strong>Frauen</strong> wirken sich eine qualifizierte Ausbildung, die gestiegene<br />
Erwerbsbeteiligung <strong>und</strong> das Emporklettern auf <strong>de</strong>r Karriereleiter in stärkerem<br />
Maße kin<strong>de</strong>rhemmend aus als bei Männern. Viele <strong>Frauen</strong> schieben ihre<br />
Kin<strong>de</strong>rwünsche aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r schwierigen Vereinbarkeit von Beruf <strong>und</strong> Elternschaft<br />
hinaus (vgl. Schmitt/Winkelmann 2005; Dienel 2003). Dazu tragen eine<br />
karrierefeindliche Unternehmenspolitik <strong>und</strong> fehlen<strong>de</strong> Kin<strong>de</strong>rbetreuungseinrichtungen<br />
bei. Es bedarf allerdings eines <strong>de</strong>utlichen Ausbaus an Kin<strong>de</strong>rbetreuungseinrichtungen,<br />
um Paare zu einer früheren Familiengründung zu<br />
motivieren, hat eine Studie zu <strong>de</strong>n Auswirkungen <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>rbetreuungsangebots<br />
auf Fertilitätsentscheidungen ergeben (vgl. Hank u.a. 2003).<br />
73
Neben <strong>de</strong>m Vereinbarkeitsproblem ist auch das starke konservative Mutterleitbild<br />
in Deutschland zu erwähnen, das <strong>Frauen</strong> zu Rabenmüttern macht, wenn sie<br />
gleichzeitig berufliche Karriereambitionen haben. Auch wenn sich mittlerweile<br />
ein geschlechterkultureller Leitbildwan<strong>de</strong>l hin zur mo<strong>de</strong>rnisierten Versorgerehe<br />
vollzogen hat, besteht die „I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r privaten Kindheit“ <strong>und</strong> <strong>de</strong>r „Zuständigkeit <strong>de</strong>s<br />
Elternhauses für die Kin<strong>de</strong>rbetreuung“ bis heute fort (Pfau-Effinger 2000: 124).<br />
Mütter sollen <strong>und</strong> wollen ihre (kleinen) Kin<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st halbtags zu Hause<br />
betreuen. Erwerbsunterbrechungen <strong>und</strong> Teilzeitarbeit prägen daher die Erwerbsbiographien<br />
von Müttern. Durch institutionelle Rahmenbedingungen wie<br />
beispielsweise <strong>de</strong>n Rechtsanspruch auf einen Halbtags-Kin<strong>de</strong>rgartenplatz für<br />
über Dreijährige o<strong>de</strong>r das Ehegattensplitting wird dieses mo<strong>de</strong>rnisiere<br />
Geschlechter-Arrangement <strong>de</strong>r Hauptverdienerehe mit Zuverdienerin verfestigt<br />
(vgl. Auth 2002).<br />
Kin<strong>de</strong>rlosigkeit ist auch eine Folge <strong>de</strong>r Zunahme von Partnerlosigkeit <strong>und</strong> instabilen<br />
Partnerschaften, <strong>de</strong>nn eine (stabile) Partnerschaft ist in <strong>de</strong>r Regel die<br />
Voraussetzung für Kin<strong>de</strong>r. SOEP-Daten zufolge sind von <strong>de</strong>n Geburtskohorten<br />
1961-1970 ca. 44% <strong>de</strong>r kin<strong>de</strong>rlosen Männer ohne Partnerin. Bei <strong>de</strong>n <strong>Frauen</strong> ist es<br />
„nur“ gut ein Viertel (vgl. Schmitt/Winkelmann: 2005).<br />
Fehlen<strong>de</strong> PartnerInnen sowie instabile Partnerschaften, die karrierefeindliche<br />
Politik vieler Unternehmen gegenüber <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong> Müttern, ein konservatives<br />
Familienleitbild, Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> wirtschaftliche Unsicherheiten sowie<br />
bewusste Kin<strong>de</strong>rlosigkeit tragen dazu bei, dass weniger Kin<strong>de</strong>r in Deutschland<br />
geboren wer<strong>de</strong>n. Angesichts dieses Ursachenbün<strong>de</strong>ls wirkt die geburtenför<strong>de</strong>rn<strong>de</strong><br />
Familienpolitik aktionistisch <strong>und</strong> hilflos:<br />
Männer <strong>und</strong> <strong>Frauen</strong>, die in instabilen Partnerschaften leben o<strong>de</strong>r Singles<br />
sind, erreicht man mit <strong>de</strong>m Ausbau von Kin<strong>de</strong>rbetreuungseinrichtungen –<br />
selbst für unter Dreijährige – nicht.<br />
Karriereorientierten <strong>Frauen</strong> nützt es für ihr berufliches Fortkommen nichts,<br />
wenn die steuerliche Absetzbarkeit von Kin<strong>de</strong>rbetreuungskosten verbessert<br />
wird.<br />
Ein bewusst kin<strong>de</strong>rloses Paar wird we<strong>de</strong>r durch finanzielle Transfers noch<br />
durch weitere Kin<strong>de</strong>rbetreuungseinrichtungen motiviert, Kin<strong>de</strong>r zu bekommen.<br />
Und wenn Männer sich aufgr<strong>und</strong> fehlen<strong>de</strong>r finanzieller <strong>und</strong> sozialer<br />
Planungssicherheit gegen Kin<strong>de</strong>r entschei<strong>de</strong>n, lassen sie sich we<strong>de</strong>r durch<br />
erweiterte Teilzeitmöglichkeiten während <strong>de</strong>r Elternzeit noch durch ein einkommensorientiertes<br />
einjähriges Elterngeld umstimmen.<br />
74
Diese Beispiele zeigen, dass die meisten Grün<strong>de</strong> für Kin<strong>de</strong>rlosigkeit nicht o<strong>de</strong>r<br />
nur bedingt politisch beeinflussbar sind. Das konservative Mutterleitbild sowie<br />
die fehlen<strong>de</strong>n Zukunftsperspektiven infolge wirtschaftlicher Unsicherheiten<br />
hängen von gesamtgesellschaftlichen <strong>und</strong> ökonomischen Entwicklungen ab, die<br />
nur zum Teil <strong>und</strong> nicht im Rahmen <strong>de</strong>r Familienpolitik politisch steuerbar sind.<br />
Die Vereinbarkeit von Beruf <strong>und</strong> Familie wird nicht nur von rechtlichen<br />
Regelungen zu Elternzeit, Teilzeitarbeit <strong>und</strong> Kin<strong>de</strong>rbetreuungseinrichtungen<br />
beeinflusst, son<strong>de</strong>rn vor allem von unternehmerischen Auffassungen von karriereadäquatem<br />
Verhalten.<br />
Bei<strong>de</strong> Familienministerinnen setzen in Bezug auf die Vereinbarkeit von Kind <strong>und</strong><br />
Karriere auf weiche Instrumente, wie die „lokalen Bündnisse für Familie“ <strong>und</strong> die<br />
„Allianz für die Familie“. Hier wird zwar an einer richtigen Stelle angesetzt, doch<br />
<strong>de</strong>r Ansatz wird erst langfristig Wirkung zeigen <strong>und</strong> das auch nur dann, wenn die<br />
Unternehmen <strong>de</strong>n Leitbildwan<strong>de</strong>l tatsächlich vollziehen. Gleichstellungspolitisch<br />
ist weiter kritisch einzuwen<strong>de</strong>n, dass einerseits Männer bzw. (potenzielle) Väter<br />
nach wie vor zu wenig in <strong>de</strong>n gesellschaftlichen <strong>und</strong> unternehmerischen Diskurs<br />
einbezogen <strong>und</strong> dass an<strong>de</strong>rerseits <strong>Frauen</strong> auf ihre Mutterrolle reduziert wer<strong>de</strong>n.<br />
Um die Vereinbarkeit von beruflicher Karriere <strong>und</strong> Familie zu verwirklichen, sind<br />
zu<strong>de</strong>m Kin<strong>de</strong>rbetreuungseinrichtungen notwendig. Insofern unterstützt das TAG<br />
die Erwerbstätigkeit von Müttern, wobei <strong>de</strong>r Ausbau vermutlich zu langsam voranschreitet,<br />
um tatsächlich Auswirkungen auf die Geburtenrate zu haben.<br />
Eine bevölkerungsorientierte Familienpolitik setzt weiterhin voraus, dass das<br />
Gebärverhalten generell steuerbar ist. Historische Vergleiche zeigen aber, dass die<br />
Steuerungsfähigkeit <strong>de</strong>s Gebärverhaltens sehr begrenzt ist (vgl. Willenbacher<br />
2007; Roloff 2007). Wenn überhaupt, dann können <strong>Frauen</strong> (<strong>und</strong> Männer) motiviert<br />
wer<strong>de</strong>n, ihre (gewünschten) Kin<strong>de</strong>r früher zu bekommen. Das kohortenspezifische<br />
Gebärverhalten ist <strong>de</strong>mgegenüber erstaunlich konstant. Aus Län<strong>de</strong>rvergleichen<br />
kann man lernen, dass politische Maßnahmen alleine nicht<br />
ausreichen, um das Gebärverhalten zu beeinflussen (vgl. Onnen-Isemann 2007<br />
für Frankreich <strong>und</strong> Neyer 2004 für die nordischen Län<strong>de</strong>r). Individuelle <strong>und</strong> familiale<br />
Entscheidungsprozesse sind komplex <strong>und</strong> wer<strong>de</strong>n min<strong>de</strong>stens im Kontext<br />
(1) ökonomischer Gegebenheiten, (2) kultureller Leitbil<strong>de</strong>r <strong>und</strong> (3) institutioneller<br />
Rahmenbedingungen getroffen.<br />
Alarmismus <strong>und</strong> Aktionismus<br />
Was be<strong>de</strong>uten die Bevölkerungs-Hochrechnungen für die Politik? Die politischen<br />
Optionen wer<strong>de</strong>n sehr unterschiedlich ausfallen, je nach<strong>de</strong>m, ob man von <strong>de</strong>r<br />
75
Zahl 67 Millionen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Zahl 81 Millionen ausgeht, also von einer erheblichen<br />
Abnahme <strong>de</strong>r Bevölkerung o<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Hoffnung auf eine doch noch stabile<br />
Entwicklung auf heutigem Niveau (Wachstumsoptionen wer<strong>de</strong>n nicht in Betracht<br />
gezogen). Das Steuerungsinstrumentarium ist beschränkt: Formen positiver<br />
Diskriminierung wie Geldleistungen, Rentenvorteile <strong>und</strong> Betreuungsgarantien<br />
haben bislang nicht zum Erfolg geführt, die Summe von vielen Milliar<strong>de</strong>n Euro<br />
familienbezogener Leistungen jährlich hat die seit Jahrzehnten niedrige<br />
Geburtenrate nicht in die Höhe schnellen lassen. Offensichtlich sollen die<br />
Geburtenraten nun an<strong>de</strong>rs gesteigert wer<strong>de</strong>n – durch die alarmistische Struktur<br />
<strong>de</strong>r öffentlichen Debatte über <strong>de</strong>n <strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> in Deutschland <strong>und</strong><br />
durch eine alarmistisch inspirierte aktionistische Familienpolitik, in <strong>de</strong>ren<br />
Mittelpunkt nicht die Wünsche von <strong>Frauen</strong> <strong>und</strong> Männern stehen, son<strong>de</strong>rn ökonomische<br />
<strong>und</strong> bevölkerungspolitische Zielsetzungen. Die konkret ergriffenen<br />
Maßnahmen gehen aber entwe<strong>de</strong>r an <strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n für Kin<strong>de</strong>rlosigkeit vorbei<br />
o<strong>de</strong>r sie stehen isoliert in einem sozio-ökonomischen <strong>und</strong> politischen Klima, das<br />
von prekärer Beschäftigung, ökonomischer Planungsunsicherheit, veralteten<br />
Mütterleitbil<strong>de</strong>rn <strong>und</strong> weiblichen Karrierehemmnissen geprägt ist. Familienpolitische<br />
Maßnahmen wer<strong>de</strong>n ohne ausreichen<strong>de</strong> Ursachenforschung ergriffen –<br />
es han<strong>de</strong>lt sich um pronatalistischen Aktionismus in einem alarmistisch geprägten<br />
Diskurs.<br />
Unter <strong>de</strong>m Dach <strong>de</strong>r Bevölkerungspolitik wird Familien- <strong>und</strong> Gleichstellungspolitik<br />
betrieben, aber zwischen <strong>de</strong>n drei Politikfel<strong>de</strong>rn „knirscht“ es. Sie<br />
verfolgen jeweils eigene Zielsetzungen, die sich überschnei<strong>de</strong>n können, oft aber<br />
im Konflikt miteinan<strong>de</strong>r stehen. Sie betreffen immer <strong>Frauen</strong>, aber in unterschiedlicher<br />
Weise: In <strong>de</strong>r Bevölkerungspolitik wer<strong>de</strong>n <strong>Frauen</strong> als Gebären<strong>de</strong> instrumentalisiert,<br />
in <strong>de</strong>r Familienpolitik wer<strong>de</strong>n sie auf ihr Muttersein reduziert. Auch<br />
wenn die familienpolitischen Ansätze unter <strong>de</strong>n Ministerinnen Schmidt <strong>und</strong> von<br />
<strong>de</strong>r Leyen, vor allem <strong>de</strong>r Ausbau von Kin<strong>de</strong>rbetreuungsplätzen für unter Dreijährige<br />
<strong>und</strong> das Elterngeld, gleichstellungspolitisch zu befürworten sind, bleiben<br />
sie <strong>de</strong>nnoch Nebenprodukt einer pronatalistischen Familienpolitik. Die bevölkerungspolitische<br />
Instrumentalisierung <strong>und</strong> Ökonomisierung <strong>de</strong>r Familienpolitik<br />
(bei gleichzeitiger Marginalisierung <strong>de</strong>r <strong>Frauen</strong>- <strong>und</strong> Gleichstellungspolitik) wird<br />
aber erstens nicht funktionieren, weil „Menschen noch nie einem Staat zuliebe<br />
Kin<strong>de</strong>r gehabt haben“ (Roloff 2003: 87); zweitens ist sie gesellschaftlich äußerst<br />
be<strong>de</strong>nklich: Wo ist eigentlich die Grenze zwischen <strong>de</strong>r Erfüllung existieren<strong>de</strong>r<br />
Kin<strong>de</strong>rwünsche <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Druck auf <strong>Frauen</strong>, Kin<strong>de</strong>r zu gebären? In <strong>de</strong>r aktuellen<br />
Mischung aus aktionistischer Politik <strong>und</strong> alarmistischem Diskurs verschwimmen<br />
tatsächlich die Grenzen zwischen positiven (materiellen) Anreizen <strong>und</strong> sanktionieren<strong>de</strong>r<br />
öffentlicher Debatte. Was <strong>de</strong>m politischen Aktionismus an Druckpotenzial<br />
fehlt, wird durch <strong>de</strong>n diskursiven Alarmismus generiert.<br />
76
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77
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78
Praxis<br />
Andreas Mittrowann, Kerstin Schmidt, Carsten Große Starmann<br />
Fit für <strong>de</strong>n <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>:<br />
Bertelsmann Stiftung startet Schulungsprogramm<br />
für kommunale Entschei<strong>de</strong>r<br />
Der <strong>de</strong>mografische <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> ist für die Städte <strong>und</strong> Gemein<strong>de</strong>n ein Thema mit<br />
hoher strategischer Be<strong>de</strong>utung, <strong>de</strong>nn in <strong>de</strong>n Kommunen wer<strong>de</strong>n die Auswirkungen<br />
am stärksten zu spüren sein. Immer weniger Kin<strong>de</strong>r, eine zunehmend<br />
ältere Bevölkerung <strong>und</strong> starke inner<strong>de</strong>utsche Wan<strong>de</strong>rungsbewegungen führen<br />
in <strong>de</strong>n Städten <strong>und</strong> Gemein<strong>de</strong>n zu tiefgreifen<strong>de</strong>n Än<strong>de</strong>rungen. Aus diesem<br />
Gr<strong>und</strong> ist es wichtig, dass die Zukunftsplanung <strong>de</strong>r Kommunen bereits heute <strong>und</strong><br />
nicht erst in einigen Jahren an <strong>de</strong>n absehbaren Entwicklungen ausgerichtet<br />
<strong>und</strong> kommunale Zukunft neu gedacht wird. Daraus resultieren wichtige<br />
Fragestellungen:<br />
Wie entwickelt sich unsere Kommune bis zum Jahr 2020 <strong>und</strong> darüber<br />
hinaus?<br />
Welche konkreten Verän<strong>de</strong>rungen wer<strong>de</strong>n lokal spürbar sein?<br />
Welche Handlungsfel<strong>de</strong>r haben in unserer Kommune höchste Priorität?<br />
Was kann konkret getan wer<strong>de</strong>n?<br />
79
Transparenz schaffen – Handlungsmöglichkeiten aufzeigen<br />
Antworten auf diese Fragen gibt <strong>de</strong>r Wegweiser <strong>Demografischer</strong> <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong><br />
(www.wegweiser<strong>de</strong>mographie.<strong>de</strong>) <strong>de</strong>r Bertelsmann Stiftung. Er verbin<strong>de</strong>t<br />
umfangreiches Analysematerial mit konkreten Handlungsempfehlungen für die<br />
Arbeit vor Ort. Als ein kommunales Frühwarn- <strong>und</strong> Informationssystem stellt <strong>de</strong>r<br />
Wegweiser in einem frei zugänglichen Internetportal für alle <strong>de</strong>utschen Städte<br />
<strong>und</strong> Gemein<strong>de</strong>n mit mehr als 5.000 Einwohnern viele wichtige Informationen zur<br />
Verfügung:<br />
52 Indikatoren zu <strong>de</strong>n Politikfel<strong>de</strong>rn Demografische Entwicklung, Soziale<br />
Lage, Wohnen sowie Wirtschaft <strong>und</strong> Arbeit<br />
eine kleinräumige Bevölkerungsprognose<br />
individuelle Demografieberichte<br />
die Beschreibung von 15 Demografietypen – inklusive spezifischer<br />
Empfehlungen für je<strong>de</strong>n Typ<br />
Darüber hinaus ist es Ziel <strong>de</strong>r Bertelsmann Stiftung, die Verantwortlichen in <strong>de</strong>r<br />
Kommunalpolitik <strong>und</strong> im kommunalen Management für die Herausfor<strong>de</strong>rungen<br />
<strong>de</strong>r <strong>de</strong>mografischen Verän<strong>de</strong>rungen zu stärken.<br />
Drei Trainingsmodule<br />
Eine Befragung durch infas Sozialforschung, die von <strong>de</strong>r Bertelsmann Stiftung<br />
in Auftrag gegeben war, bestätigt: 77 Prozent <strong>de</strong>r kommunalen Entschei<strong>de</strong>r/innen<br />
nannten das Thema „<strong>Demografischer</strong> <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>“ als wünschenswerten Fortbildungsinhalt.<br />
Aus diesem Gr<strong>und</strong> wur<strong>de</strong> gemeinsam mit erfahrenen<br />
Trainer/innen das „Demografie-Training für kommunale Entschei<strong>de</strong>r/innen aus<br />
Politik <strong>und</strong> Verwaltung“ entwickelt. Die Demografie-Trainings umfassen drei<br />
aufeinan<strong>de</strong>r aufbauen<strong>de</strong> Module, bei <strong>de</strong>nen Praxisorientierung <strong>und</strong> Umsetzbarkeit<br />
<strong>de</strong>r Inhalte im Vor<strong>de</strong>rgr<strong>und</strong> stehen.<br />
Das erste Modul will die kommunalen Entschei<strong>de</strong>r/innen für das Thema sensibilisieren<br />
<strong>und</strong> führt gleichzeitig in <strong>de</strong>n „Wegweiser <strong>Demografischer</strong> <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>“<br />
<strong>de</strong>r Bertelsmann Stiftung ein. Konkret wer<strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong> Fragestellungen beantwortet:<br />
Was verstehen wir unter <strong>de</strong>m Begriff „<strong>Demografischer</strong> <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>“?<br />
Auf welchen Erkenntnissen können wir bereits aufbauen?<br />
Welche Entwicklungen sind irreversibel, welche beeinfluss- <strong>und</strong> gestaltbar?<br />
80
Welche Auswirkungen wird <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mografische <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> auf unsere<br />
Infrastruktur haben?<br />
Wie können wir mit entsprechen<strong>de</strong>n Kennzahlen die eigene Stadtentwicklung<br />
steuern?<br />
Was müssen wir tun, um aus <strong>de</strong>n Herausfor<strong>de</strong>rungen für unsere Kommune<br />
Chancen zu entwickeln?<br />
Das zweite Modul zeigt die kommunalen Handlungsfel<strong>de</strong>r im Kontext <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mografischen<br />
Verän<strong>de</strong>rungen auf <strong>und</strong> gibt konkrete Hilfestellungen zur Gestaltung<br />
<strong>de</strong>r Folgen. Dazu zählen unter an<strong>de</strong>rem Themen wie Kin<strong>de</strong>r- <strong>und</strong> Familienfre<strong>und</strong>lichkeit,<br />
erfolgreiche Integration von Migranten <strong>und</strong> Migrantinnen o<strong>de</strong>r<br />
kommunale Infrastrukturpolitik. Im Mittelpunkt steht die Beantwortung <strong>de</strong>r<br />
folgen<strong>de</strong>n Kernfragen:<br />
Wie setzen wir die Erkenntnisse aus <strong>de</strong>m <strong>de</strong>mografischen <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> im<br />
Interesse unseres Kreises bzw. unserer Stadt um?<br />
Welche kommunalpolitischen Themenfel<strong>de</strong>r sind beson<strong>de</strong>rs zu berücksichtigen?<br />
Welche Verbün<strong>de</strong>ten können <strong>de</strong>n Prozess stützen <strong>und</strong> för<strong>de</strong>rn?<br />
Welche Hin<strong>de</strong>rnisse sind zu erwarten, <strong>und</strong> wie können sie beseitigt wer<strong>de</strong>n?<br />
Welche Faktoren wirken im Umsetzungsprozess motivierend <strong>und</strong> för<strong>de</strong>rnd?<br />
Wie können Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürger am Prozess aktiv beteiligt wer<strong>de</strong>n?<br />
Das dritte Modul thematisiert die strategische Umsetzung in <strong>de</strong>r kommunalpolitischen<br />
Alltagswirklichkeit <strong>und</strong> hilft, Stärken <strong>und</strong> Schwächen <strong>de</strong>r individuellen<br />
Kommunen für die künftigen Aufgaben zu analysieren. Die Teilnehmer/<br />
innen arbeiten dazu gemeinsam an <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Fragen:<br />
Was ist strategische Steuerung?<br />
Wieso eignet sich das Thema „<strong>Demografischer</strong> <strong>Wan<strong>de</strong>l</strong>“ für die Einführung<br />
strategischen Managements?<br />
Mit welchen Metho<strong>de</strong>n kann eine Kommune Ziele <strong>und</strong> Handlungsoptionen<br />
für eine wünschenswerte Zukunft entwickeln?<br />
Welche kommunalen Akteure sollten in ein lokales Projekt zum <strong>de</strong>mografischen<br />
<strong>Wan<strong>de</strong>l</strong> einbezogen wer<strong>de</strong>n?<br />
Wie können die Prozesse in <strong>de</strong>r Kommune gestaltet wer<strong>de</strong>n?<br />
Wie lassen sich die Erfolge wirkungsvoll kommunizieren?<br />
81
Start in vier B<strong>und</strong>eslän<strong>de</strong>rn<br />
Die Demografie-Trainings wer<strong>de</strong>n seit August 2006 in Hessen, Rheinland-<br />
Pfalz, Thüringen <strong>und</strong> im Saarland angeboten. Partner <strong>de</strong>r Bertelsmann Stiftung<br />
sind die Hessische Aka<strong>de</strong>mie für politische Bildung (www.hess-aka<strong>de</strong>mie.<strong>de</strong>)<br />
<strong>und</strong> die Aka<strong>de</strong>mie für Kommunalpolitik (www.afk-aka<strong>de</strong>mie.<strong>de</strong>), bei <strong>de</strong>nen die<br />
Trainings direkt gebucht wer<strong>de</strong>n können. Weitere B<strong>und</strong>eslän<strong>de</strong>r sind für 2007 in<br />
Planung, auch in Nordrhein-Westfalen fin<strong>de</strong>n <strong>de</strong>rzeit Gespräche mit potentiellen<br />
Partnern statt. Kernaktivität <strong>de</strong>r Stiftung ist dabei die Gesamtsteuerung, die<br />
Qualifizierung von Trainern sowie <strong>de</strong>r Transfer <strong>de</strong>r Inhalte. Bereits zwei Trainer/<br />
innen-Workshops haben stattgef<strong>und</strong>en, unterstützt durch ein passgenaues Trainerhandbuch.<br />
Darüber hinaus wird die Stiftung jährlich ein- bis zweitägige<br />
Auffrischungs-Workshops für die Trainer-/innen anbieten.<br />
Erste Erfolge<br />
Wie zufrie<strong>de</strong>n die kommunalen Entschei<strong>de</strong>r/innen mit <strong>de</strong>m Demografie-<br />
Training sind, wird mittels einer Online-Befragung am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Seminars sowie<br />
sechs Monate später durch eine Transfer-Evaluation gemessen. Das im Oktober<br />
durchgeführte erste Seminar haben die Teilnehmer/innen bei einer Antwortquote<br />
von 50 Prozent mit <strong>de</strong>r Durchschnittsnote 2,0 bewertet – eine positive Motivation<br />
für alle Beteiligten!<br />
Auch Gleichstellungsbeauftragte in Nordrhein-Westfalen können als lokale<br />
Impulsgeberinnen für die Durchführung eines Demografie-Trainings in ihrem<br />
Ort zahlreiche relevante Themen adressieren.<br />
Kontakt:<br />
Andreas Mittrowann<br />
0 52 41/81 81 192<br />
andreas.mittrowann@bertelsmann.<strong>de</strong><br />
82
www.mgffi.nrw.<strong>de</strong><br />
Links<br />
www.<strong>frauennrw</strong>.<strong>de</strong><br />
www.lds.nrw.<strong>de</strong><br />
www.engagiert-in-nrw.<strong>de</strong><br />
www.frauenbueros-nrw.<strong>de</strong><br />
www.inqa.<strong>de</strong><br />
www.wirtschaftskraft-alter.<strong>de</strong><br />
www.forum-<strong>de</strong>mographie.<strong>de</strong><br />
www.bib-<strong>de</strong>mographie.<strong>de</strong><br />
www.staedtetag.<strong>de</strong><br />
www.zdwa.<strong>de</strong><br />
www.<strong>de</strong>mografische-forschung.org<br />
www.aktion2050.<strong>de</strong><br />
www.<strong>de</strong>statis.<strong>de</strong><br />
www.bertelsmann-stiftung.<strong>de</strong><br />
www.wegweiser<strong>de</strong>mographie.<strong>de</strong><br />
www.bosch-stiftung.<strong>de</strong><br />
www.volkswagenstiftung.<strong>de</strong><br />
www.srzg.<strong>de</strong><br />
www.<strong>de</strong>mographie-online.<strong>de</strong><br />
www.<strong>de</strong>motrans.<strong>de</strong><br />
www.globalife.<strong>de</strong><br />
www.moqua.arbeit<strong>und</strong>leben.<strong>de</strong><br />
www.b-b-e.<strong>de</strong><br />
www.startsocial.<strong>de</strong><br />
www.seniortrainer.<strong>de</strong><br />
83