28.10.2013 Aufrufe

Die schöne Seiten

Es soll Menschen geben, die ihre Wohnzimmerwände mit falschen Buchrücken schmücken. Buchrücken, die in goldenen Lettern verkünden, dass man in den Büchern, die sie angeblich zieren, etwas über Madame Bovary, einen jungenWerther oder Zauberberge erfahre. Doch hinter den entzückenden Rücken klafft nichts als eine gähnende Leere aus billigem Karton. Viele würden sich eine solche Dreistigkeit wohl nie erlauben, schrecken jedoch nicht davor zurück, Bücher ins Regal zu stellen, in denen man tatsächlich blättern kann, deren Inhalt ihnen aber weitgehend unbekannt ist. Schliesslich kann, wer etwas auf sich hält, nicht ein ganzes Möbel mit Kristalltieren und Familienfotos füllen. Und vor der Leere des Regals fürchten sich mindestens so viele Menschen wie vor der Entdeckung ihrer

Es soll Menschen geben, die ihre Wohnzimmerwände mit falschen Buchrücken schmücken. Buchrücken, die in goldenen Lettern verkünden, dass man in den Büchern, die sie angeblich zieren, etwas über Madame Bovary, einen jungenWerther oder Zauberberge erfahre. Doch hinter den entzückenden Rücken klafft nichts als eine gähnende Leere aus billigem Karton. Viele würden sich eine solche Dreistigkeit wohl nie erlauben, schrecken jedoch nicht davor zurück, Bücher ins Regal zu stellen, in denen man tatsächlich blättern kann, deren Inhalt ihnen aber weitgehend unbekannt ist. Schliesslich kann, wer etwas auf sich hält, nicht ein ganzes Möbel mit Kristalltieren und Familienfotos füllen. Und vor der Leere des Regals fürchten sich mindestens so viele Menschen wie vor der Entdeckung ihrer

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

FOTOS: PD<br />

Als ob er geahnt hätte, dass ihm nicht<br />

viel Zeit vergönnt sein würde, stürzte<br />

sich Cesare Colombo in die Arbeit. Einer<br />

Ausbildung zum Maler und Bildhauer<br />

liess der 1930 in Mailand Geborene ein<br />

Architekturstudium folgen. Seine wahre<br />

Liebe fand «Joe» jedoch im Möbeldesign.<br />

<strong>Die</strong> Umstände waren günstig, in Italien<br />

hattesich seit den fünfziger Jahren eine<br />

produktive Designszene gebildet, die mit<br />

Achille Castiglioni, GioPonti und Ettore<br />

DESIGN<br />

DER KLASSIKER<br />

Sessel ausderZukunft<br />

Manchen soll schon ein «supercalifragilisticexpialidocious»<br />

entfahren, wenn sie<br />

einen gewöhnlichen Regenschirm erspähen.<br />

Zumindest jenen, die 1964 gebannt im<br />

Kino sassen und sich von der Welt eines<br />

singenden Kindermädchens namens Mary<br />

Poppins, dasmit einem Schirm fliegt, ver-<br />

MEIN DING<br />

Sottsass über herausragende Exponenten<br />

verfügte. Undder Wettlauf ums Weltall<br />

lieferte den geistigen Hintergrund, um<br />

sich auf dasLeben in der Zukunft zu<br />

konzentrieren. Genau dies tat Joe<br />

Colombo. Er ersann utopische Städtemodelle,<br />

entwickeltefuturistische<br />

Interieurs und experimentierte mit<br />

neuen Produktionsverfahren und<br />

Materialien wie Fiberglasund PVC.<br />

Seinen Sessel «4801» entwarf er allerdings<br />

Singen im Regen<br />

zaubern liessen. Heisst ein Schirmständer<br />

nun gar «Mary P», spürt selbst, wer nicht<br />

zur Tagträumerei neigt, ein bisschen Luft<br />

unter den Füssen. Oder er beginnt, eine<br />

eingängige Melodie zu pfeifen. Und all<br />

jenen, die bei diesem Namen aufgrund<br />

ihres jugendlichen Alters eher an eine amerikanische<br />

Rapperin denken oder aufgrund<br />

ihres fortgeschrittenen Alters überhaupt<br />

keine Assoziationen mehr bilden, bleibt<br />

immerhin dasStaunen über den «phantastischen<br />

Pragmatismus» der schwedischen<br />

Designerin EvaSchildt. Oder mit welchen<br />

Worten sollteman ihre Idee sonst bezeichnen,<br />

das heruntertropfende Wasser aus<br />

den zugeklappten Regenschirmen einfach<br />

mithilfe eines grossen Schwammes aufzusaugen?<br />

Mary Poppins wäre unvermittelt<br />

ein «supercalifragilisticexpialidocious»<br />

über die Lippen gekommen, denn zur<br />

richtigen Anwendung ihres absurden<br />

Wortkonstrukts meinte sie nur: «Something<br />

to say when you don’t know what<br />

to say». (das.)<br />

● EvaSchildts Schirmständer «MaryP»<br />

von DesignHouse Stockholm ist für<br />

269 Franken bei Holm in Zürich erhältlich;<br />

www.holmsweetholm.ch<br />

aus gebogenem Holz. Dass ihn der<br />

Möbelhersteller Kartell, der auf Kunststoff<br />

spezialisiertist, nun im entsprechenden<br />

Material anbietet, kann als<br />

Hommage an den Visionär Colombo<br />

verstanden werden. Er starb 1971 an<br />

seinem 41.GeburtstaganHerzversagen.<br />

Gelebt hatteJoe Colombo so, wie er<br />

gearbeitet hatte–ohne Rücksicht auf<br />

Verluste. David Streiff Corti<br />

● www.kartell.it<br />

FÜNF TIPPS FÜRS LEBEN<br />

Daniel Gafner<br />

Daniel Gafner,nach welchen Kriterien<br />

ordnet man eine Bibliothek?<br />

1. In einer öffentlichen Bibliothek<br />

haben alle Bücher ihren festen Platz.<br />

2. Spannend wird es aber erst, wenn man<br />

dasBuch neben dem gesuchten Titel<br />

entdeckt.<br />

3. Interessant ist die «dynamisch»<br />

geordneteKunstbibliothek Sitterwerk.<br />

4. Privat ist die Organisation nach<br />

Farben eine ansprechende Lösung.<br />

5. Egal, wie sie geordnet sind, Bücher<br />

wollen umgedreht, aufgeschlagen<br />

und beschnuppertwerden.<br />

● www.postfossil.ch<br />

Designer Daniel Gafner lebt in Zürich.<br />

JoeColombos<br />

«Poltrona 4801» ist<br />

in Schwarz und<br />

transparent für<br />

2136Franken bei<br />

TeoJakob erhältlich;<br />

www.teojakob.ch<br />

«z –die <strong>schöne</strong>n seiten» ausgabe 2/13 13

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!