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Die schöne Seiten

Es soll Menschen geben, die ihre Wohnzimmerwände mit falschen Buchrücken schmücken. Buchrücken, die in goldenen Lettern verkünden, dass man in den Büchern, die sie angeblich zieren, etwas über Madame Bovary, einen jungenWerther oder Zauberberge erfahre. Doch hinter den entzückenden Rücken klafft nichts als eine gähnende Leere aus billigem Karton. Viele würden sich eine solche Dreistigkeit wohl nie erlauben, schrecken jedoch nicht davor zurück, Bücher ins Regal zu stellen, in denen man tatsächlich blättern kann, deren Inhalt ihnen aber weitgehend unbekannt ist. Schliesslich kann, wer etwas auf sich hält, nicht ein ganzes Möbel mit Kristalltieren und Familienfotos füllen. Und vor der Leere des Regals fürchten sich mindestens so viele Menschen wie vor der Entdeckung ihrer

Es soll Menschen geben, die ihre Wohnzimmerwände mit falschen Buchrücken schmücken. Buchrücken, die in goldenen Lettern verkünden, dass man in den Büchern, die sie angeblich zieren, etwas über Madame Bovary, einen jungenWerther oder Zauberberge erfahre. Doch hinter den entzückenden Rücken klafft nichts als eine gähnende Leere aus billigem Karton. Viele würden sich eine solche Dreistigkeit wohl nie erlauben, schrecken jedoch nicht davor zurück, Bücher ins Regal zu stellen, in denen man tatsächlich blättern kann, deren Inhalt ihnen aber weitgehend unbekannt ist. Schliesslich kann, wer etwas auf sich hält, nicht ein ganzes Möbel mit Kristalltieren und Familienfotos füllen. Und vor der Leere des Regals fürchten sich mindestens so viele Menschen wie vor der Entdeckung ihrer

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fotos: Jürgen Cullmann/liChtbliCk, pd<br />

Links unten:<br />

Bernd Munsteiner:<br />

«Familien», Bild, 1984,<br />

Sarderonyxrelief.<br />

Rechts unten:<br />

Tomund Jutta<br />

Munsteiner: «Twins»,<br />

Ring,2010,Turmalin<br />

«Ritmo», 750 Gelbgold.<br />

Vonlinks nach rechts:<br />

Skulptur «Dom Pedro<br />

–Ondas Maritimas»,<br />

1993,Aquamarin.<br />

«Reflektierende<br />

Perspektiven», 1992,<br />

Turmalin, Michael<br />

M.Scott Collection.<br />

«Reflektierende<br />

Perspektiven mit<br />

Bohrungen», 1967,<br />

Morganit.Alles von<br />

34 «z –die <strong>schöne</strong>n seiten» ausgabe 2/13<br />

hintergrund<br />

Bernd Munsteiner. Fortsetzung von einen weltoffenen Geist. «Natürlich hätte<br />

Seite 33<br />

ich mir vorstellen können, wegzugehen,<br />

meine Frau wäre mitgekommen.» Aber<br />

dann erkrankte ihr Vater, sie blieben und<br />

bauten einAtelier,das mit seinem Materialmix<br />

noch heute ungewöhnlich wirkt zwischen<br />

Einfamilienhäusern, und in den achtziger<br />

Jahren muss es unfassbar modern<br />

gewesen sein. Eine kreative Oase dort, wo<br />

sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen.<br />

Aber die Welt kommt auch nach Stipshausen;<br />

weiter oben am Berg entsteht ein<br />

Skulpturenpark, in dem auch ein grosses<br />

Objekt von Bernd Munsteiner steht. Alle<br />

zwei Jahre veranstaltet die Familie in<br />

ihrem Atelier umfassende Ausstellungen,<br />

dann kommen Künstler und Besucher<br />

von überallher.<br />

▼<br />

ferei steht nun auch eine elektronische<br />

Schleifmaschine mit Ultraschall,<br />

die computergesteuert<br />

Schliffe zu setzen vermag, die von<br />

Hand nicht möglich sind.<br />

Es kamen so einige Angebote von<br />

grossen Firmen im Laufe der Jahre.<br />

Für die dänische Glasmanufaktur Royal<br />

Copenhagen entwarf Bernd Munsteiner<br />

in den neunziger Jahren verwinkelte<br />

Kleinplastiken aus Glas mit dem typischen<br />

Munsteiner Schliff. Vieles hat er ausgeschlagen,<br />

er wollte frei bleiben. Freiheit ist<br />

ein Wort, das Munsteiner oft verwendet.<br />

Freiheit, daszutun, wasman will, Freiheit,<br />

das erlernte Können kreativ einzusetzen.<br />

Freiheit bedeutete für Munsteiner aber<br />

auch immer,Steine kaufen zu können; sein<br />

Grundmaterial ist ein sehr teures. Er war<br />

bereits verheiratet und Familienvater,als er<br />

sein Studium abschloss, das Geld war<br />

knapp. «Mein VaterhatteAngst, ich würde<br />

nie von meiner Arbeit leben können.» Aber<br />

es folgten die ersten Preise in Wettbewerben;<br />

Munsteiners Frau, die eine kaufmännische<br />

Ausbildung hat, nahm ihm dasAdministrative<br />

ab. Auch dasbedeuteteFreiheit.<br />

–«Nur mit Spinnereien kann man nicht<br />

überleben, fünfzig Prozent sind Planung<br />

und Organisation», sagt Munsteiner.Reich<br />

wurden sie nicht, aber es reichte, vor allem,<br />

seit Michael Scott, der erste Direktor von<br />

Apple Computers, ein guter,treuer Kunde<br />

wurde –und Munsteiner konnteseine erste<br />

grosse Skulptur verwirklichen, «Metamorphose»<br />

aus 850 Kilogramm Bergkristallmit<br />

feinen Rutilnadeln.<br />

Kreative Oase in derPrOvinz<br />

Sein wohl berühmtestes Projekt ist daseinzige,<br />

das ermit einem Stein machte, der<br />

ihm nicht gehörte:«Dom Pedro», ein 35 cm<br />

hoher Obelisk mit wellenartigen Einschnitten<br />

auf der Rückseite, wurde vom<br />

Sammlerehepaar Jane Mitchell und Jeff<br />

Bland gesponsert. Drei Monatelang lagder<br />

26 Kilo schwere Aquamarin auf dem Tisch<br />

im Atelier, ehe er sich daranwagte, jeden<br />

Tagbetrachtete erihn. Nach unzähligen<br />

Entwürfen entstand in sechs Monaten eine<br />

Aquamarinskulptur von 10363 Karat mit<br />

wellenartigen Schliffen, «Ondas Maritimas».<br />

«Es war eine aufregende und intensive<br />

Zeit –mir war klar: Eine einzige falsche<br />

Bewegung mit der Schleifmaschine kann<br />

alles zerstören.» «Dom Pedro» wird nun in<br />

Washington in der Mineral Collection des<br />

Smithsonian Museum of Natural History<br />

ausgestellt; nächsten Monat wird er ihn mit<br />

der Familie besuchen. Auch sonst reist er<br />

viel –Brasilien, Japan und USA –Stipshausen<br />

kann schnell zuklein werden für<br />

einKreisschliesst sich<br />

Vierzehn Edelsteinschliff­Philosophien hat<br />

Munsteiner im Laufe seines Schaffens begonnen,<br />

darunter «Reflexionen in Stein»,<br />

«Rhythmus», «Metamorphose». Jutta und<br />

Tomhaben bereits 17 Philosophien neu entwickelt.<br />

Keines dieser Epen ist abgeschlossen.<br />

Unddennoch scheint sich ein Kreis zu<br />

schliessen: Vater und Sohn verwirklichen<br />

gemeinsam ein Projekt aus farbigen Natur­<br />

Achaten, Bernd Munsteiners erstem Material.<br />

Fest geplant sind zwei Kirchenfenster<br />

für die evangelische Kirche in Stipshausen.<br />

Hauchdünne, quadratische Plättchen fügen<br />

sie zu Bildernzusammen, welche den natürlichen<br />

Musterndes Materials folgen und es<br />

dennoch neu interpretieren. Malena Ruder<br />

AtelierMunsteiner<br />

Im Atelier Munsteiner in Stipshausen (D)<br />

führen TomMunsteiner (rechts), Steinschleifer,<br />

und seine FrauJutta,Goldschmiedin,<br />

das Werk von Gründer Bernd Munsteiner<br />

(links) fort.Hier entstehen Unikatschmuckstücke,Schmucksteine<br />

und Skulpturen;<br />

www.munsteiner­cut.de<br />

● Zum Weiterlesen: Wilhelm Lindemann:<br />

«Bernd Munsteiner.Reflexionen in Stein»<br />

und «Munsteiner.The young generation.<br />

Tom+Jutta Munsteiner».ArnoldscheArt<br />

Publishers,jeetwa 70 Fr.; www.arnoldsche.com

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