H. Keller (Hrsg.): Lehrbuch Entwicklungspsychologie
H. Keller (Hrsg.): Lehrbuch Entwicklungspsychologie
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tungen von Lebensbedingungen und Geschehnissen<br />
darüber entscheiden, wie die<br />
Person handeln wird; und<br />
4. die Attraktivität der Metapher der Erzählung<br />
(«narrative, story»), um zu charakterisieren,<br />
wie Menschen sich selbst, ihrem<br />
Handeln und ihren Erfahrungen Sinn zu<br />
geben versuchen.<br />
Es liegt auf der Hand, daß alle diese Trends<br />
die Verwendung der in diesem Aufsatz referierten<br />
Methoden nahelegen. Anders als die<br />
experimentelle Untersuchung des Einflusses<br />
von Variablen, bei der Gruppen (Stichproben)<br />
von Personen unterschiedlichen Bedingungen<br />
(«treatments») ausgesetzt werden, ist<br />
es Programm und Anliegen von Tagebüchern,<br />
das einzelne Individuum in seinen Besonderheiten<br />
zu rekonstruieren – in den besonderen<br />
Lebenserfahrungen, die immer auch kulturelle<br />
Erfahrungen sind, wie auch in den Besonderheiten<br />
seiner subjektiven Interpretation<br />
der Welt. Zu diesem Zweck nehmen in modernen<br />
Tagebuchstudien (ähnlich wie schon<br />
in der Frühzeit der <strong>Entwicklungspsychologie</strong>)<br />
Erzählungen und Gespräche mit den beobachteten<br />
Personen eine zentrale Rolle ein.<br />
Aus der mit diesen Methoden verbundenen<br />
besonderen Kenntnis der Lebenswelt der Person<br />
durch den Beobachter/Forscher – wir<br />
werden unten dafür den Begriff Interpretationskompetenz<br />
vorschlagen – erwächst auch<br />
ein besserer Zugang zum Verständnis jener<br />
Prozesse der Sinngebung und Bedeutungsverleihung,<br />
die die subjektive Welt von den objektiven<br />
Gegebenheiten unterscheiden.<br />
4. Erstes Resümee: Das<br />
Verhältnis von Methoden<br />
zum Gegenstand, den Zielen<br />
und den Theorien in der<br />
<strong>Entwicklungspsychologie</strong><br />
Bevor wir näher auf die einzelnen Methoden<br />
eingehen, können wir schon an dieser Stelle<br />
einige generelle Schlüsse ziehen.<br />
1. Die Vorstellung, Methoden seien das<br />
Werkzeug zur Untersuchung bestimmter<br />
Tagebücher, Gespräche und Erzählungen<br />
Fragestellungen und deshalb sei ihre Akzeptanz<br />
primär anhand der Adäquatheit<br />
für die im Einzelfall angestrebten Untersuchungsziele<br />
und Gegenstände zu bewerten,<br />
ist zu einfach. Welche Methoden als<br />
«wissenschaftlich» akzeptiert werden,<br />
wird in erster Linie nach Kriterien beurteilt,<br />
die von dem allgemeinen theoretischen<br />
Rahmen sowie von noch generelleren<br />
Vorstellungen von Wissenschaftlichkeit<br />
abhängen. Wie der Blick in die Historie<br />
gezeigt hat, haben sich die allgemeinen<br />
theoretischen Prämissen der <strong>Entwicklungspsychologie</strong><br />
im Laufe der letzten<br />
hundert Jahre mehrmals grundlegend verändert.<br />
Und wie wir noch sehen werden,<br />
sind auch die generellen Kriterien von<br />
«Wissenschaftlichkeit» grundlegenden<br />
Veränderungen unterworfen (vgl. Abschnitt<br />
8).<br />
2. Folglich sind Wandlungen in den Forschungsmethoden<br />
kein kumulativer Prozeß<br />
der sukzessiven Vervollkommnung<br />
einmal eingeführter Verfahren. Die Geschichte<br />
der akzeptierten und präferierten<br />
Methoden der <strong>Entwicklungspsychologie</strong><br />
ist von Diskontinuitäten und Zäsuren gekennzeichnet.<br />
3. Während die eingeengte Gegenstandsdefinition<br />
des Behaviorismus seit einigen<br />
Jahrzehnten passé ist, gelten in weiten<br />
Kreisen der <strong>Entwicklungspsychologie</strong><br />
immer noch die Maximen des methodologischen<br />
Behaviorismus. Die Akzeptanz<br />
von Methoden der Datenerhebung wird<br />
immer noch wie bei Watson nach Gesichtspunkten<br />
beurteilt, die sich aus der<br />
uneingeschränkten Orientierung der Psychologie<br />
an dem Ideal der Naturwissenschaften<br />
ergeben.<br />
5. Tagebuchaufzeichnungen<br />
Der Terminus Tagebuchaufzeichnung ist<br />
mehrdeutig. Er bezeichnet erstens eine längsschnittliche<br />
Strategie entwicklungspsychologischer<br />
Datenerhebung und zweitens eine<br />
spezielle Form der Dokumentation von Beobachtungen<br />
– eben im Tagebuch. Nur die erste<br />
Bedeutung ist aus methodischer Sicht belang-<br />
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