25.10.2012 Aufrufe

H. Keller (Hrsg.): Lehrbuch Entwicklungspsychologie

H. Keller (Hrsg.): Lehrbuch Entwicklungspsychologie

H. Keller (Hrsg.): Lehrbuch Entwicklungspsychologie

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

4. Die Rolle des<br />

menschlichen Beobachters<br />

Der menschliche Beobachter als Meßinstrument<br />

bringt seine spezifischen Probleme mit<br />

sich. In der methodologischen Literatur finden<br />

sich Formulierungen wie «... der Beobachter<br />

ist das Problem ...». Im Vergleich mit<br />

Problemen beispielsweise der experimentellen<br />

Psychologie oder der Fragebogenforschung<br />

erscheint die Formulierung allerdings<br />

übertrieben. Der menschliche Beobachter hat<br />

natürlich sowohl in quantitativer wie auch in<br />

qualitativer Hinsicht seine Verarbeitungsgrenzen.<br />

Manche Situationen sind wegen<br />

ihrer Komplexität durch einen Beobachter<br />

nicht hinreichend genau abbildbar. Für einige<br />

Probleme lassen sich technische Lösungen<br />

vorschlagen, z.B. bietet sich der Einsatz von<br />

Film- und Videokameras bzw. Tonaufnahmen<br />

an, um das Verhalten zunächst zu konservieren<br />

und eine spätere Auswertung, beispielsweise<br />

in Zeitlupe, vorzunehmen. Besonders<br />

bei Längsschnittstudien entstehen zwischen<br />

dem Beobachter und den Beobachteten soziale<br />

Beziehungen positiver oder negativer Art,<br />

und die Gegenwart eines Beobachters ändert<br />

das zu beobachtende Verhalten (beispielsweise<br />

wird man bei Besuchen von Familien<br />

kaum jemals Zeuge von Kindesmißhandlungen<br />

werden, die es offensichtlich unter Abwesenheit<br />

von wissenschaftlichen Beobachtern<br />

durchaus gibt). Schließlich ist die Forderung<br />

nach dem «blinden» Beobachter, mit der gemeint<br />

ist, daß der Beobachter mit den konkreten<br />

Hypothesen, um die es in der Untersuchung<br />

geht, nicht vertraut sein soll, häufig<br />

unrealistisch. Um bestimmte Phänomene<br />

überhaupt systematisch beobachten zu können,<br />

sind detaillierte Sachkenntnisse notwendig.<br />

Diese machen es dem Beobachter leicht,<br />

die tat-sächlichen Interessen und Ziele des<br />

Forschungsprojektes zu erschließen; oder –<br />

häufig schlimmer – Beobachter bilden sich eigene<br />

Hypothesen, die aber nicht ausgesprochen<br />

sind. Entscheidend ist hier, dafür zu sorgen,<br />

daß nicht Informationen über die Zugehörigkeit<br />

einer Versuchsperson zu einer<br />

Gruppe die eigentliche Beobachtung verfälschen.<br />

Oft ist es auch empfehlenswert, verschiedene<br />

Situationen (z.B. Klassifikation im<br />

Beobachtungsmethoden und Auswertungsverfahren<br />

«Fremde Situation»-Test und Interaktionsbeobachtung)<br />

von unabhängigen Arbeitsgruppen<br />

auswerten zu lassen. Grundsätzlich<br />

ist jede Beobachtung eine Wahrnehmungsleistung<br />

und als solche von dem gegenwärtigen<br />

Zustand des wahrnehmenden Systems mit<br />

determiniert. Jede Beobachtung ist so in gewisser<br />

Weise eine Interpretation von Ereignissen<br />

in der Umgebung.<br />

5. Reliabilität und<br />

Beobachterübereinstimmung<br />

In der Praxis der Beobachtung zeigt sich, daß<br />

die Protokolle verschiedener Beobachter sich<br />

manchmal unterscheiden. Diese Unterschiede<br />

können systematischer oder unsystematischer<br />

Natur sein, d.h. sich bei verschiedenen<br />

Durchgängen reproduzieren oder nicht reproduzieren<br />

lassen. Ein Beispiel für einen systematischen<br />

Unterschied wäre eine Reaktionszeitdifferenz<br />

zwischen zwei Beobachtern. Unsystematische<br />

Unterschiede entstehen beispielsweise<br />

durch augenblicklich mangelnde<br />

Konzentration oder Ablenkung.<br />

Solche Probleme sind durch Training der<br />

Beobachter mit geeignetem Instrumentarium<br />

weitgehend kontrollierbar. Daher hängt der<br />

Wert von Verhaltensdaten nicht unwesentlich<br />

von der Supervision und dem Training<br />

der Beobachter ab. Nicht alle Fehler und Unstimmigkeiten<br />

zwischen Beobachtern sind allerdings<br />

im strengen Sinne Fehler der Beobachter.<br />

Insbesondere ungeeignete Kategoriensysteme<br />

und ungenaue Definitionen der zu<br />

beobachtenden Verhaltensweisen sind die<br />

häufigsten Ursachen schlechter Übereinstimmung.<br />

Generell kann man sagen, daß es<br />

leichter ist, spezifische und genau definierte<br />

kleine Verhaltenseinheiten einzelner Interaktionspartner<br />

zu kodieren, als komplexe Beurteilungen<br />

abzugeben.<br />

Die Prüfung der Reliabilität geschieht über<br />

die Berechnung von Ähnlichkeitsmaßen. In<br />

der älteren Literatur wurden häufig Korrelationskoeffizienten<br />

benutzt, was aber nur unter<br />

selten zutreffenden Voraussetzungen aussagefähige<br />

Indizes ergibt. Bei Kategorialdaten und<br />

Häufigkeitsdaten ist inzwischen Cohens<br />

Kappa (Cohen, 1960; 1968) das Standardmaß<br />

247

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!