eBook - Das Geheimnis von Mirith Gilad
eBook - Das Geheimnis von Mirith Gilad
eBook - Das Geheimnis von Mirith Gilad
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das<br />
<strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
eine märchenhafte Erzählung <strong>von</strong> Therese Achtelik<br />
Fu¨r meine Familie, Anna, Franzi, Caro,<br />
Anne, Kai, Howard Shore & Peter Jackson!<br />
Danke fu¨r die Inspiration, den Glauben und die<br />
Unterstu¨tzung . . .<br />
Rese<br />
<strong>eBook</strong> 13. Ausgabe 11. Juli 2007<br />
© 2006-2007 Endorin Publishing<br />
Textcopyright © Therese Achtelik, Berlin 2002<br />
Satz & Gestaltung: Kai Wilhelm | case-media.de<br />
Website: http://endorin.podspot.de<br />
Auszugsweise Veröffentlichung mit Rücksprache der Herausgeber (podcast@case-media.de) unter Berücksichtigung<br />
der Quellenangabe http://endorin.podspot.de, sowie sonstige Unterstützung sind erwünscht und erlaubt.<br />
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<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Der schwarze Fürst, Prolog .................................4<br />
Die Weberinnen der Zeit ......................................8<br />
Schicksalswende .................................................9<br />
Adawans Verhängniss .......................................13<br />
Am Ufer der Slììt ...............................................14<br />
Die Weibschaft <strong>von</strong> Nìvelau ...............................16<br />
Im Schummerwald .............................................19<br />
Wanderung nach Zwergenheim ........................24<br />
Ankunft im Späherhort ......................................26<br />
Bei Beroniens Flossenfurt ................................28<br />
Wanderung zur Reudenriedfeste .....................33<br />
Im Fürstenturm ..................................................34<br />
Drudenthing auf dem Schutterbühl ..................38<br />
Raub der neunten Fàrnukktochter ....................40<br />
Hoherat im Hause Erìndals ..............................42<br />
Esragùls Heimkehr ............. ..............................44<br />
Des Gütigen Kunde ............. ..............................49<br />
Aufruhr in Emyth-Ovràs ....................................52<br />
Nurninzauber ..................................................54<br />
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong> <strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong> ........................57<br />
<strong>Das</strong> Heerlager der Uradhèl ................................59<br />
Ruf der Mordìldrachen .................................... 62<br />
Hundris wanderndes Gesicht ............................64<br />
Im Herzen der Bugdrisfeste ............................68<br />
Ilandòrs Licht & Dhurandòrs Schatten ..............70<br />
Mordìs Rakk, das Drachenhorn .....................75<br />
Esragùls Ende ...............................................77<br />
Oanghùl, die Stadt der Verdammten ................80<br />
Die Schlüsseltore <strong>von</strong> Amardhûn ..............82<br />
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<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Der schwarze Fürst - Prolog<br />
„I agdùnde Jàromìne, fìn a Ruòn Fàndelor.<br />
Vànàr tyha ewe bùnde dis a Drùdis tànadòr.<br />
Nì ù Tuge, Nì ù Igde, Nì ù Sìlath vàkravèn.<br />
Igne Fin a Daklla Drude, Igne ewe Sakrìsen.“<br />
Vadànàkk der Rìvner ging in die Geschichte Endorìns als gefährlichster Gegner der<br />
Wavan, dem lichten Magiergeschlecht aus dem Schoße Ilandòrs, ein.<br />
Sein wirklicher Name war Jaromìn <strong>von</strong> Fàndern, denn er entstammte dem<br />
Geschlecht der sterblichen Andrìr. Als Sohn des angesehenen Edelmanns Rùon,<br />
Truchseß <strong>von</strong> Fàndelor, wuchs er in der Burgstadt Enòrhan, dem Sitz der sterblichen<br />
Hochkönige und Adelsgeschlechter, auf.<br />
Enòrhan war eine prunkvolle Stadt mit großzügigen Bauten, üppigen Gärten und<br />
weit angelegten Festplätzen. Hier versammelten sich die vermögendsten Familien<br />
Lìthandrìens, deren Speisekammern stets gefüllt waren und deren Schatzkammern<br />
Kiste um Kiste reinen Goldes bargen. <strong>Das</strong> Leben in Enòrhan war bestimmt <strong>von</strong><br />
Intrige, Müßiggang und allen nur erdenklichen Lustbarkeiten. Die Burgstadt im<br />
Herzen des Dûrgentales war ein Sündenpfuhl, ein Hof der Eitelkeiten und ein Hort<br />
unvorstellbarer Verschwendung. Es gab keinen Tag an dem die Fanfaren nicht zu<br />
einem Umzuge bliesen. An dem kein Fest gefeiert wurde. An dem zu keiner Tafelei<br />
geladen war.<br />
Zu jener Zeit galten die Könige und Adelsgeschlechter der Andrìr als<br />
„Bauernschinder“ unter dem einfachen Volke, dass die kleinen Fürstentümer, die<br />
sich ringsum über die Lande erstreckten, bevölkerte. Die Tagelöhner und Bauern<br />
die im nächstliegenden Dûrgental angesiedelt waren hungerten und arbeiteten<br />
Jahr um Jahr auf den weitreichenden Vielkornfeldern. Ein hoher Soll der<br />
Ernteerträge wurde <strong>von</strong> den verhaßten Frohnern eingetrieben, so dass kaum etwas<br />
für den Eigenbedarf übrig blieb. Die Herrschaftlichkeiten führten ein kostspieliges<br />
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<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Leben. Allein die Truchseße Lìthandrìens unterhielten neben ihren Enòrhankasten<br />
große Anwesen, die in den jeweiligen Verwaltungsgebieten lagen.<br />
Früh schon prägte der gierige Geist Enòrhans Jaromìns Charakter. <strong>Das</strong> zunehmende<br />
Verlangen nach Macht verdrängte Anstand und Güte aus seiner Seel. Er liebte<br />
die Jagd, aber nicht um der Beute willen, sondern um den Akt des Erlegens als das<br />
größte Symbol uneingeschränkter Gewalt.<br />
Rùon, der sich vor den Machenschaften des Adelsstandes oft in die Bescheidenheit<br />
Fandelòrs flüchtete, war machtlos. Unter den sorgenvollen Augen des Vaters vergiftete<br />
das ausschweifende Leben das unstete Herz seines Sohnes. Mit jedem Jahr<br />
verfiel Jaromìn mehr und mehr dem Wahn als größter Fürst aller Zeiten in die<br />
Geschichte der Menschheit einzugehen.<br />
Als Jaromìn dem Knabenalter entwachsen war verließ er die vermeintliche Enge<br />
der Hochstadt, um seinen Traum <strong>von</strong> Ruhm und Unsterblichkeit zu verwirklichen.<br />
Der Schelte und der züchtigenden Hand seines Vaters entronnen, verschlug es ihn<br />
nach einer langen, ermattenden Wanderung nach Dakbundel, dem Reich der<br />
schwarzen Druden.<br />
Unter der Obhut <strong>von</strong> Ravnìk, der obersten Seherin, wurde er in der Hexenkunst<br />
unterwiesen. Jaromìn zeigte sich, zur Freude seiner Meisterin, als ein wißbegieriger<br />
und fleißiger Schüler. Dem Sohn Fàndelors dämmerte es, das jenes dunkle<br />
Handwerk ihm bei seinen ehrgeizigen Plänen hilfreich sein könnte. Ravnìk indes<br />
war angetan <strong>von</strong> dem ungestümen Jüngling und sorgte sich um ihn als wäre er ihr<br />
eigener Sohn.<br />
Drei Jahre verstrichen und der Drudenrath hielt die Zeit für gekommen den<br />
Menschensohn zu weihen. Bei der Drudìntaufe, die einmal im Jahr bei<br />
Wintereinbruch statt fand, legte Jaromìn den Namen seiner Herkunft ab und erhielt<br />
den drudischen Titel Vàd–à–nàkk, der Abtrünnige. Mit der Abkehr <strong>von</strong> Tugend und<br />
Ehrbarkeit wurde er in die Gemeinschaft der Druden aufgenommen und war nun<br />
Sohn des Noldis, dem Gott aller Schatten, der weit über den Wolken in seinem Hort<br />
Dhurandòr hauste.<br />
Vàdànàkk vertraute seinen alten Traum und wenig später sein Vorhaben der<br />
„schwarzen Mutter“ an. Ravnìk war ihrem Schützling so verfallen, das sie ihn für<br />
auserwählt hielt den Thron des entmachteten Dûnkelrìvens zu besteigen, um<br />
Dhurandòrs Kraft wieder erstarken zu lassen. Die Macht der Avanan war vor etlichen<br />
Zeiten durch die Hand des elbischen Rechthüters Idanìs und den<br />
Wavanweisen gebannt worden. Die dunklen Magier, gemeinhin als Rìvner bekannt<br />
5
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
und gefürchtet, brauchten einen neuen Fürsten, der die zerfallenen Schattenlande<br />
einte, um zu alter Stärke zu gelangen. Einen Fürsten mit Verstand und Tücke. Einen<br />
Fürsten der nicht aus ihren Reihen stammte. Einen Fürsten, der sich durch<br />
Gnadenlosigkeit auszeichnete, der haßte und ein Herz aus Stein besaß. Zudem<br />
standen die Zeichen günstig, denn wie so oft in Endorìns jahrtausendalter<br />
Geschichte wiegten sich die lichten Urawesen in allzu großer Sicherheit.<br />
Vàdànàkk wurde zum Herrscher über die Schattenlande gekrönt und setzte den<br />
Drudenrath als ausführende Kraft ein. Er erhielt Avràs den Ungorstab und ging<br />
Bündnisse mit Ògerìd dem König der Ungorelben, Gòlugàn dem Fürsten der<br />
Raffwesen und Tùldon dem König der Truggestalten ein. In Avràs, dem zerstörerischsten<br />
Element aller Dunkelgüter, vereinte er die Macht jedes Schattengrales.<br />
Mit diesem Zauberstab schuf er Bugdris und seine bösartige Gefolgschaft aus dem<br />
schroffen Felsmassiv des unbewohnten Spaltgebirges und wies ihnen die Ebene<br />
<strong>von</strong> Gràn-Dhùr am Fuße des Grandhìsberges als ewige Heimstatt zu.<br />
Die Ygdonriesen waren zerstörerische Kreaturen die Unheil bringen sollten über die<br />
lichten Reiche. Der Rìvner plante einen mächtigen Feldzug um die Caladländer in<br />
seine Gewalt zu bringen. Doch es gab Einen, der ihm dabei besonders ein Dorn im<br />
Auge war: Jener der den Titel Weisester aller Weisen trug. Jener, der unsterblich<br />
war und seit Jahrtausenden über Endorìn wachte: Adawan der Sehende, oder auch<br />
Onhèn so wie seine Brüder, Elov und Alvenas, ihn zu nennen pflegten. Als erster<br />
Sohn der Schöpfungsgötter Ilandòrs war er einst ausersehen in den Spiegel der<br />
ewigen Weisheit bei Ukdrasìns Quelle zu blicken. Zwar verbüßte jener dabei sein<br />
Augenlicht, aber ihm wurde der Titel zuteil der Mächtigste Aller zu sein und er hatte<br />
mehr gesehen als zwei Augen es drei Leben lang vermochten.<br />
Vàdànàkk sah in ihm einen erbitterten Feind und Konkurrenten. Seine Eitelkeit trieb<br />
ihn an ein Mittel zu ersinnen, wie er das Oberhaupt der Wavan beseitigen könnte.<br />
Im Hochsitze Asarangs fand er schließlich einen Verbündeten. Sein Name war<br />
Gìldefìn, später Gàràmakk der Durchtriebene genannt.<br />
Gìldefìn besaß ein schwaches Herz. Er war weise, aber nicht weise genug den<br />
Verlockungen einer reich gefüllten Schatzkammer zu widerstehen. Der dunkle Fürst<br />
bot ihm ein Viertel des Rìvenschatzes wenn er einen Weg fände den Ordensführer<br />
der Gwydioner zu stürzen. Adawan galt als unsterblich, jedoch besaß auch er eine<br />
wunde Stelle die nur Wenige kannten. Gìldefìn erschlich sich mit viel Schmeichelei<br />
und Tücke seine Kenntnis darüber. Doch trotz aller Heimlichkeit und Vorsicht<br />
wurde er in den Gewölben der weißen Stadt gestellt und des Hochstandes verwiesen.<br />
Er zog zur Höllhagfeste und wurde zum ersten Diener Vàdànàkks ernannt.<br />
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<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Gìldefìn, nun in Gàràmakk umbenannt, war dem schwarzen Fürsten treu ergeben.<br />
Doch auch er war <strong>von</strong> einer unermesslichen Gier vergiftet und so handelte er oftmals<br />
in seinem eigenen Interesse.<br />
An einem bitteren Wintertag war Vàdànàkks schicksalshafte Stunde gekommen.<br />
Dûnkelrìvens Bündnisheere waren gerüstet und bereit in die entscheidende, lang<br />
erwartete Schlacht zu ziehen. Doch Dûnkelrìvens ehrgeizige Pläne wurden vereitelt,<br />
der Feldzug schlug fehl. Zu wuchtig waren die Hiebe der Friedriesen, zu wendig<br />
die Bògner der Uraelben, zu scharf die Klingen der Zwerge, zu entschlossen die<br />
Lanzen der Ritterschaft Lìthandrìens. Die Lichteren konnten die Schlacht für sich<br />
entscheiden und Dhurandòrs Schattenmacht abermals bezwingen.<br />
Auf Trollingens Wurzenwildebene fand Vàdànàkk ein trauriges Ende. Sein prunkvoller<br />
Harnisch wurde <strong>von</strong> einem Bògnerpfeil durchbohrt und der ehrgeizige Sohn<br />
Rùons <strong>von</strong> Fàndelor starb durch die sichere Hand eines andrìschen Edelmannes<br />
und die unbezwingbare Macht des Elbengutes Tìranaùk.<br />
Doch den weißen Magiern entging, das Dûnkelrìvens Macht nur geschwächt und<br />
nicht gebrochen war. Vàdànàkk fand seinen würdigen Erben, den ebenso besessenen<br />
wie verschlagenen Gàràmakk . . . .<br />
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<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong> Mìrìth Gìlad<br />
„Seite an Seite kämpften ehedem Bartub und Frìdolfìn aus dem Logrìntale, die<br />
düstere Allmacht Dûnkelrìvens zu entzweien. Schulter an Schulter im Elbenheere<br />
Erìndals, das der lichte Idanìs als erster Herold geleitet.<br />
Doch leidlich erging es dem edlen Bartub, den die Hiebe der Abtrünnigen an Herz<br />
und Leibe tödlich trafen. Er fiel auf dem Schlachtfeld <strong>von</strong> Trollingen, so wie Viele<br />
waren gefallen. Doch bevor der Elràl Rufe ihn gen Valhalwen geführet, ergriff er die<br />
Hand des Gefährten und rang ihm ab den Schwure: <strong>Das</strong> jener seinem Weibe<br />
Joruna, die der Niederkunft nicht ferne war, ein guter Gemahl möge sein. Hernach<br />
ging Frìdolfìn nach Igrìmlore und nahm ein den Platze Bartubens.“<br />
Die Weberinnen der Zeit<br />
Es begab sich einst, an einem stürmischen Winterabend das Lèfule, Sohn aus dem<br />
Geschlecht der Galdeoner, das Licht der Welt erblickte.<br />
<strong>Das</strong> Wehgeschrei Jorunas hallte über die zerklüfteten Ausläufer des Arlàthberges<br />
und lockte die Geister ins Logrìntal. Es tobte die Folgia um die barackene Hütte, die<br />
Ahnengeister zu führen. Es suchten die Alwen des Hauses Schwelle ein nahendes<br />
Unheil zu mahnen. Es schlüpfte die lähmende Ràre durch einen hölzernen Spalt,<br />
Jorunas Seele gen Halwenìr zu geleiten.<br />
Am Wochenbett harrte Urdìna mit ihren Gefolginnen bis Lèfule dem Mutterleib entglitten<br />
war. Kaum das sein Kopf in ihren Händen ruhte, weissagten die Nurnìnen<br />
und sponnen im Widerschein des knisternden Feuers Fäden aus silbernem<br />
Flachse. Joruna starb im eisigen Würgegriff des Plagegeistes, ehe der Kindssegen<br />
über ihre Lippen kam. So fiel es der uralten Urdìna anheim das Kindlein den<br />
erschlafften Armen der Mutter zu entreißen, ihren Segen zu sprechen und sein<br />
Schicksal zu beschwören:<br />
Von allen Seiten, sollen die Schutzgeister der Ahnen Euch schirmen auf welchem<br />
Pfade Ihr auch wandeln mögt.<br />
Tugendhaft sollt Ihr sein, gleich dem rechtschaffenden Idànis der Schlacht um<br />
Schlacht die lichten Heere Erìndals geleitet. Mutig sollt Ihr sein, gleich dem edlen<br />
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<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Bartub, dessen Tapferkeit weithin ist gerühmet. Weise sollt Ihr sein, Onhèns Pfade<br />
folgend, der da waltet im lichten Gwydiontal, der Welten Ebenmaß zu schauen.<br />
Euch sei die Macht zuteile die Länder zu einen wenn Elend und Not gleich einem<br />
Schatten über Endorìns Rund herauf ziehen. Der Wavan Stande selbst sollt Euch<br />
verbunden sein. Denn Euch ist Großes vorherbestimmt. So verleiht Euch das<br />
Schicksal die Gabe die Höchste aller Würden zu tragen.<br />
Doch wisset, Lèfulaìs, seid auf der Hut und wägt mit Bedacht wem Ihr das Band der<br />
Freundschaft letztlich bietet. Denn bald schon ziehen Schatten auf, die Sonne zu<br />
verdunkeln! Hütet Euch vor Gàràmakk und seinen finsteren Gesellen. Der Stand<br />
der Avanan rüstet sich <strong>von</strong> dem Momente an, da der kalte Nordwind <strong>von</strong> Eurem<br />
Name kunde tat, um der Weissagung Macht zu brechen!<br />
Es wird die Zeit kommen da Ihr, Zögling Frìdolfìns, Sohne Galdeons aus dem<br />
Schoße Ilandòrs, drohet dunklen Mächten anheimzufallen. So sei es! Im Zeichen<br />
der Gewesenen, der Währenden und der Seienden.<br />
Wie Urdìna die Losrunen geworfen hatte sponnen die Weiber den Schicksalsfaden.<br />
Und als das letzte Netz prunkener Verheißung fertig gewebt war fiel das Kind in tiefen<br />
Schlummer. Die weißen Nurnìnen geboten dem Vater einen letzten Gruß und<br />
entschwanden lautlos in die Finsternis.<br />
Schicksalswende<br />
Sechzehn Jahre gingen ins Land. Jahrein, Jahraus wuchs Lèfule zu einem stattlichen<br />
Jüngling heran und stetig wuchs die Unerbittlichkeit des Winters, der mit eisigem<br />
Frost eine verlockende und doch tödliche Zauberwelt um ihn herum erschuf.<br />
Und Tag wie Nacht waltete der Nordwind mit machtvollem Brausen und Getöse am<br />
Horizont.<br />
Es war als zürnte eine dunkle Macht dem Knaben, der dem grimmigen Gàràmakk<br />
dereinst die Vorherrschaft über Endorìn streitig machen sollte. Nur kurz währten die<br />
Sommermonate und dennoch kehrte, vom Tage seiner Geburt an, Friede ein im<br />
Hause Frìdolfìns, dem der rotgelockte Sohn, schon fast zum Manne gereift, die<br />
reinste Freude schenkte.<br />
Unter Lèfules emsiger Hand und der Wendigkeit seines Geistes verhalf er dem<br />
Alten zu Ehren und Auskommen. Er scheute keine Mühe, war frei <strong>von</strong> Eitelkeit. Er<br />
achtete die Hofgeister und brachte ihnen Opfer dar. Er war erfüllt <strong>von</strong> aufrichtiger<br />
Liebe zum Vater, dessen Heil er stets zu wahren suchte. Dabei fürchtete er weder<br />
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<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
die unselige Ràre, die hinter der Feuerstelle lauerte, noch den Beserker der des<br />
nachts sein Unwesen in den nahegelegenen Igrìmwäldern trieb.<br />
Doch Lèfules unbeschwerte Tage gingen zur Neige, denn das Unheil nahte, gleich<br />
einem schleichenden Schatten der den lichten Horizont zu trüben begann. Die<br />
Losrunen im Nurnìnhause Sylfiens begannen sich <strong>von</strong> Neuem zu drehen, die<br />
Wende seines Schicksals zu verkünden.<br />
So begab es sich alsbald, in einer stürmischen Gewitternacht, das er aus einem<br />
üblen Traume hochgerissen war. In der Dunkelheit gewahr der Knabe einem<br />
unheimlichen Laut, der <strong>von</strong> der anderen Seite des Gelaßes zu ihm herüber drang.<br />
Es jagte ihm einen eiskalten Schauer über den Rücken und er spürte die Krallen<br />
der Angst bis ins Mark. Behende sprang er auf, tastete sich zur fast erloschenen<br />
Feuerstelle heran und schürte mit zitternder Hand die Glut zu Feuer. Eine klagende,<br />
gequälte Seele kam ihm wie eine weit entfernte Erinnerung in den Sinn.<br />
Sowie es lichter war, folgte er dem grausigen Laut bis an des Vaters Statt und fand<br />
seinen Traum erfüllt. Die schwelende Ràre drückte des alten Frìdolfìn Brust und<br />
teuflisch ritt das boshafte Weib den geliebten Vater zuschunde. Mit erbleichtem<br />
Gesicht und angstvollen Augen focht jener den Kampf eines Sterbenden.<br />
Lèfule entfuhr ein entsetzter Schrei und er rief die Ràre beim Namen um ihren<br />
Zauber zu bannen. Doch jene verrichtete ihr schauriges Werk und entschwand. Da<br />
warf sich Lèfule über den leblosen Leib des Vaters und flehte ihn an, dem Lockruf<br />
der Elràl zu widerstehen. Doch Frìdolfìns Augen sollten auf immer geschlossen bleiben.<br />
Ein eisiger Wind fegte durch den Raum und riß seine Seele mit sich fort.<br />
Gebrochen und voll des Kummers, verharrte der Knabe bei seines Vaters Stätte<br />
und hielt die erstarrte Hand Frìdolfìns.<br />
Der purpurne Himmelsglanz brachte den Tag und Lèfule beklagte noch immer den<br />
gewesenen Vater. Einsamkeit und Trauer hielten Einkehr in seines jungen Herzens<br />
Glut. Kein Leben regte sich mehr und eine lähmende Verzweiflung bemächtigte sich<br />
seiner Seele. Er beschloß an Frìdolfìns Seite zu verharren bis sein eigenes Leben<br />
erloschen war.<br />
Doch just in diesem Moment der schmerzhaften Kümmernis brach ein Wehklagen<br />
unter des Hauses Schwelle hervor. Drùvart, Ettensteins guter Schwellenwichtel,<br />
kroch aus einer Nische hervor. Er klopfte sich den Staub <strong>von</strong> den Knien und hustete<br />
leise. Dann zog er seine blaue Zipfelmütze sachte vom Kopf, presste sie gegen<br />
sein kleines Herz und trat hin zum armen Lèfulaìse:<br />
„Hab mein Bündelchen geschnüret, nach all den guten Jahren. Verlassen nun muss<br />
ich dies Haus. Geschmähet sei die Ràre! Welch Unglück sie gebracht, des Nachts<br />
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<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
als sie <strong>von</strong> hinnen kam. Ein Tränlein geb' ich meinem Herren, den sie mit sich<br />
nahm.<br />
Der sel'ge Frìdolf throne nun hoch droben in Valhalwen. Ihm sei der Friede dort vergönnt,<br />
die Runen sind gefallen. Auch Ihr, oh Herr, sollt lassen <strong>von</strong> Eures Vaters<br />
Statt. Doch Eure Wohlgesonnenheit ich Euch zu danken hab' !<br />
Nehmt „Vììlanìk den Zauberstein“ als meine Dankesgabe. Es sollt Euch auf ewig<br />
hilfreich sein, s‘ ist meine ganze Habe. Naht Unheil Euch so reibet ihn, werft<br />
Stöckelein dazu. Ein Zwerglein wird Euch dienlich sein, vertreibt den Spuk im Nu!<br />
Nun ziehe ich <strong>von</strong> Dannen, wünsch Euch das Glück auf Erden. Geschmähet sei<br />
die Ràre, der Druckegeister Schergin. Schon plagt es mich, das Ach und Weh,<br />
werd' nie mehr frohgemute sein. Gesegnet sei Dein gütig Herz, oh holdes Knäblein<br />
Lèfulaìs!„<br />
So sprach das Wichtelchen. Doch bevor es gramgebeugt <strong>von</strong> Dannen zog, warf es<br />
funkelnden Zauberstaub auf des Hauses Schwelle. Und plötzlich, wie <strong>von</strong> unsichtbarer<br />
Hand, setzte sich jener in windeseile zu einem leuchtenden Quarzstein<br />
zusammen.<br />
Lèfule tat in seiner Mutlosigkeit wie es ihm geheißen war. Er schnürte die Habe und<br />
barg den wunderlichen Stein in einem Säcklein aus Linnen. Er band den roten<br />
Schopf der anmutig sein Antlitz rahmte, dessen rundliche Züge bereits zu verblassen<br />
begannen. In seinen Augen war Bartubs Mut gespiegelt. Seine Lippen zeugten<br />
<strong>von</strong> Idanisens Redlichkeit. Seine Wohlgestalt war den Lichtelben gleich und die<br />
hohe Stirn maß die Ganzheit seines Geistes.<br />
So teilte er die Glut. Den Feuerkranze legend rief er Òrkven im Sturmgewand herbei.<br />
Und sogleich eilten Nord- und Südwind heran die Flammen himmelwärts zu<br />
blasen. Lèfules Herz war vor Wehmut schwer als seine Augen die Feuerbrunst<br />
gewahren, die nach dem Vaterhause gierte. <strong>Das</strong> Gut Ettenstein zerbarst in<br />
Hunderte <strong>von</strong> Stücken und Funken stoben auf, wann immer des Feuers Kraft einen<br />
Balken niedergeschmettert hatte. Lefùle spürte, das die Tage seiner Kindheit nun<br />
verloren waren. Und etwas in seiner Brust forderte ihn auf seiner Wege zu gehen.<br />
Doch er hielt hockend inne, denn die Stimme der Trauer beraubte ihn mit einem Mal<br />
dieser sonderbaren, neuen Kraft.<br />
Plötzlich jedoch erschienen ihm, im Auf und Ab des lodernden Kessels, die<br />
Nurnìngeister und raunten ihm, als flackernde Schatten, wissend zu:<br />
„Die Mutter nahm die Ràre Euch, dem Vater entriß sie das Leben. Erfüllet nun der<br />
Nurnin Schwur, sollt nach dem Glücke jetzt streben. In die Fremde sollt Ihr ziehen<br />
so wie es Drùvartis geheißen. Frischen Mutes, forschen Schritts, das Herz wird <strong>von</strong><br />
Stund an Euch leiten. Wie weit Ihr auch der Heimat entrückt die Euch das Lieben<br />
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<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
lehrte, nun lehrt Euch das Leben. Ihr kehrt nicht zurück. Bald tanzen die Flammen<br />
und Schwerter. Dem Sonnenlauf sollt Ihr folgen, die Wavan seien Euch hold.<br />
Doch nie vergeßt des Mannes Lehr, dessen Herz Euch so rein war wie Gold.„<br />
Der Weberinnen Mahnung gab Lèfules Willen Kraft. Er wandte das Haupt gen<br />
Norden ab, Urdìnas Verheißung zu folgen.<br />
Dreizehn Tage und dreizehn Nächte lang war er nun ohne Unterlass auf<br />
Wanderschaft. Behende überwandte er des Arlàthberges Felshaine und nie war es<br />
ihm bange. Kein Berg schien zu hoch, kein Pass zu schmal. Nie litt es ihm an<br />
Verzagung, so furchterregend die Bergriesen auch ächzen und grollen mochten<br />
sobald er Fuß vor Fuße setzte. Ihrer Wohlgesonnenheit gewiß, denn jene waren <strong>von</strong><br />
friedlicher Natur und dem gerechten Ildafùr folgsame Untertanen, folgte er dem<br />
Klang seines Herzens.<br />
So führten ihn die unsichtbaren Fäden der Weberinnen. Vàrdìna gebot ihm Schutz<br />
im Seienden. Aus Skudìnas Zauberquell der Erinnerung schöpfte er Kraft und<br />
Urdìnas süße Verheißungen lockten Lèfule immer weiter in fremdes, menschenfernes<br />
Land. Weiter und weiter trieb ein eiserner Willen ihn an. Und jeder seiner langen<br />
Wege unterstand dem Schutz Sylfìens. Tief unten im Hort des Seins, wo die<br />
Weberinnen der Zeit das Glück in jeden seiner Schritte banden.<br />
So fand er einen Unterschlupf wenn es stürmte. So entsprang eine Quelle dem<br />
steinernen Grund wenn es ihn dürstete. So tat ein Spalt sich auf, wenn er hinabzugleiten<br />
drohte an den Hängen des ewigen Eises. Wohlbehalten ließ der Knabe alsbald<br />
die eisigen Gefilde des Càross Passes hinter sich und gelangte beim Abstieg<br />
zum Grenzforst Lìthandrìens, in dessen immergrünen undurchdringlichen Herzen<br />
das Reich des gerechten und doch erbarmungslosen Fàrnos lag.<br />
Behütet durchkämmte er des Waldherren schillernde Gärten. Durchquerte die lichten<br />
Wälder Kastarèniens und wurde, ob seiner Tugendhaftigkeit, <strong>von</strong> der Fàrnis, des<br />
Walders Gemahlin, üppig beschenkt. Ihr fruchtbarer Atemhauch liess Pilze wachsen<br />
und brachte den wohlduftenden, moosigen Grund zum erblühen. Denn sie liess<br />
vergehen und entstehen, waltete im Lauf der Jahreszeiten mit wohlmundenden<br />
Kräutern und Beeren. Er teilte sie mit allerlei Getier. Wohlwissend, daß das weidende<br />
Reh am Hain, der hämmernde Specht im Geäst, die Waldherrin selbst gewesen<br />
ist. Und war jene mißgünstig dem Menschen geneigt da Boshaftigkeit ihn leitete,<br />
neckte sie ihn und führte ihn in die Irre. Doch Lèfule verneigte sich, wie ihn sein<br />
Vater es gelehrt hatte, tief vor der Macht des uralten, barbrüstigen Weibes. Auch<br />
dem Fàrnos brachte er Opfer dar. Denn jener tarnte sich unter den sonnengefluteten<br />
Lichtungen und Wiesen, maß fünf Fuß an Stammeslänge und stürzte ahnungslose<br />
Unholde, die des Waldes Frucht beraubten, ins Verderben.<br />
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<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Tagsüber wanderte Lèfule bis seine Füße wund und zerschrundet waren.<br />
Unbeirrbar durchquerte er das dichte Labyrinth aus Bäumen und Büschen. Des<br />
Nachts ruhte er an Fàrnisens moosigen Busen und schlief so fest, das er den<br />
Singsang der Nachtigallen, die hoch über seinem Kopf im Geäst thronten und herangeflattert<br />
kamen um seine Schönheit zu besingen, nicht vernahm.<br />
Adawans Verhängnis<br />
Weit in der Ferne, in den finsteren Tiefen Dûnkelrivens, harrte Gàràmakk der irdische<br />
Diener des Schattenvaters Noldìs voll Verbitterung und Hass. Die Frevler<br />
begannen sich um ihn zu scharen und er sandte Boten in die Trügerlande aus.<br />
Noldis selbst, Schöpfer aller Halbwesen, wütete in seinem Hort Dhurandòr der sich<br />
in der unendlichen Wölbung des Himmelszeltes befand. Dort ballten sich am schattigen<br />
Horizont die Wolken um dem Auserwählten das Fürchten zu lehren.<br />
Um Gàràmakks Burgturm flogen die schwarzen Späher kreischend umher. In<br />
Emyth-Ovrás, dem Zaubersaal in dem der Ungorpantìr verborgen lag, lauerte<br />
Grìmlokk im düsteren Gewölbe die Unheilsaat zu züchten. Alles Böse Dûnkelrivens<br />
einte sich um der Nurnìnen Weissagung die Stirn zu bieten. Die Schwerter schmiedend,<br />
die Klingen wetzend, den Zauber sprechend und beschwor den Dämon<br />
Akìnan, den Grìmlokk einst geschaffen hatte, der Wavanmagier Bann zu brechen<br />
und sich <strong>von</strong> den Fesseln Adawans zu befreien.<br />
Adawan, der Weiseste aller Weisen, thronte derweil in Asarangs marmornem<br />
Zaubersaal, das Herz getrübt <strong>von</strong> hoher Minne, den Geist versponnen in einfältige<br />
Liebesbande die er zur boshaften Hexerin Vàdi geknüpft hatte.<br />
Jene war aus Gàràmakks Höllhagfeste gekommen und verdingte sich, in dessen<br />
Auftrag, als berückende Jungfer. Sie umwarb den Höchsten aller Meister mit lustvollen<br />
Worten und zarten Berührungen bis sie dessen Gunst gewann und Adawan<br />
war teuflisch in sein Unglück geführt. Vàdi warf desselben Wechslergewand, mit<br />
dem er in verschiedene Häute zu schlüpfen vermochte, hinab in die unberechenbaren<br />
Tiefen der Dornenschlucht und jener vergaß den ersten Diener Dhùrandors,<br />
den er des Hochstandes einst verwiesen hatte, wachend zu umkreisen. Und sie, die<br />
dem schwarzen Fürsten Dûnkelrivens unter dem Tisch die Hand gereicht hatte,<br />
raubte des Wavans Sinne und säate Mißgunst im lichten Hochsitze Endorìns. Des<br />
Tages ritt sie die Argùlen, der Wavan hurtigste Drachen, umrundete Endorìns<br />
Weiten, um den Schurken kund zu tun wo Lèfule sich auf seiner Wanderschaft<br />
befand.<br />
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<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Elov und Alvenas, Adawans Brüder und engste Berater, waren fort um den<br />
Jugendstab der schönen Aryuvàn zu suchen. Lìrdan nannte sich das kostbare Gut<br />
und es verlieh seinem Träger ewige Schönheit und die Fähigkeit der Zeiten<br />
Endlichkeit unversehrt zu überdauern. <strong>Das</strong> Gesicht Grìmlokks verbarg sich hinter<br />
diesem arglistigen Spiel. Aryvàn selbst blieb verschollen und die Gwydion, wie das<br />
Geschlecht der Wavan im hochelbischen genannt wurde, lagen in tückischem<br />
Zauberschlummer. So fehlten viele hundert wachende Augen denen Vàdis böses<br />
Spiel hätte gewahr werden sollen.<br />
Am Ufer der Slììt<br />
Am zwanzigsten Tag seiner ungewissen Reise gelangte Lèfule an einen Fluß.<br />
Durch Endorìns Herzen rauschte die Slììt, in deren unklaren Tiefen die Gebeine<br />
Gefallener wogten. Deren wirbelnde Mitte ein giftiger Strudel war der Lanzen und<br />
Schwerter mit sich führte.<br />
Nach Norden zog der Lauf Berònien teilend gen Zwergenheim. Dort wo die Wasser<br />
sich klärten und der Fàrnukken Schmiedekunst als Kühlung dienten.<br />
Gen Osten gabelten sich die Fluten der Slììt, schwarze Wirbel gebährend, zur kargen<br />
Steinbruchshöhe. Dort wo an den schartigen Hängen des Grandìs- Berges verdarbtes<br />
Ygdonenvolk hauste und nach Bruchwallens Golde grub. Gen Süden durchzogen<br />
die wogenden Arme die elbischen Caladlande. Dort wo das alterlose Volk<br />
des Erìndal waltete und lebte.<br />
Südwestwärts trieb der Strom seine gischtgewalgte Zunge in die finsteren Engen<br />
Dùnkllandes, dem Reich der verbannten Daìner. Gen Westen floß die Slììt zu<br />
Munatìrs Quelle, dem Gestade des Seelenhüters Elgroll Unbarme. Dort in den<br />
Tiefen der Erde tat sich Gerònikks Schlund auf und alljene die voll <strong>von</strong> Sünde waren<br />
bereitete der riesige Steinwarge, nach ihrem irdischen Tode, einen unangenehmen<br />
Empfang. In der vom Hauch der Sühne geschwärzten Nàvandargrotte die den<br />
Wimmernssee umschloß endeten die Wasser der Slììt und fanden zugleich ihren<br />
Anfang als eine <strong>von</strong> Tränen gereinigte Quelle.<br />
Hier nun wirkte der Zauber, den Urdìna einst gesprochen hatte. Lèfule befand sich<br />
an der Weggabelung seines Schicksals. Um Rast zu halten liess er sich am Saum<br />
des Ufers nieder und beugte das Haupt über das eiskalte Nass, sein erschöpftes<br />
Anlitz zu kühlen. Doch gerade in diesem Augenblick vernahm er ein geheimnisvolles<br />
Wispern, das im Rauschen der Wellen erklang:<br />
„Tausend Tropfen tief. Tausend Tränen lang. Wer seid Ihr stolzer Knabe, der blicket<br />
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<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
da so bang? So schön ist Euer Antlitz. So rein scheint Euer Geist. So tugendhaft<br />
das Herz, an Mut und Frieden reich.So sagt uns wer Ihr seid, auf das wir raten können.<br />
Wohin der Weg Euch führet, beim Namen Euch zu nennen. Ob ins Verderben<br />
ob hin zum Glück. Ihr habt zu wählen durch Euer Geschick. Ob Ihr Euch mäßigt,<br />
ob Ihr Euch mühet. Ein jeder erhält was ihm gebühret !„<br />
Da gab Lèfule seine Herkunft preis. Während er seine Stimme erhob und forschend<br />
auf den Fluß starrte, kehrte Stille ein rings um ihn her. Doch alsbald hob der<br />
Quelling erneut zu raunen an:<br />
„Steht an Eures Schicksals Scheide, Knäblein Lèfulaìs. Ist Eure Seelentiefe Gold<br />
und <strong>von</strong> Arglist rein. So wollen wir Euch erzählen vom Weg der führt ins Glück. Doch<br />
reitet Euch ein böser Geist kehrt Ihr nie mehr zurück.<br />
So lasset uns Euch prüfen, verweilet hier des Nachts. Erstrahl'n die Sterne am<br />
Himmelszelt, küssen wir Euch wach. Dann harret dort der Dinge, unterm<br />
Nadelbaum.<br />
Doch nun, Lèfulaìse fallt in tiefen Traum. Ob Geize oder Großgemut, folgt Eures<br />
Herzens weisem Ruf. Alsdenn wähnt Euer Handeln so wie es Euch beliebt.<br />
Ist die Zeit veronnen wird Ewynor zu Euch kommen, Euer Schicksal zu besiegeln<br />
an der heil`gen Grenze Slììt.„<br />
Und kaum das der Wassergeist verstummt war, fiel Lèfule in tiefen, traumlosen<br />
Schlaf. Sowie Alwìnor, Endorìns Sonnendrachen, dem Horizont entwichen war fand<br />
der Abendstern seinen Platz am dämmerigen Gestirn. Zugleich kamen die Elfen<br />
aus Flinkenwasser herbei, den roten Schopf Lèfules zupfend und seine vollen<br />
Lippen mit kaltem Hauche küßend, bis er erwachte. Lèfule blickte verwundert um<br />
sich her. Die Wasser der Slììt waren umwölkt <strong>von</strong> feinem Nebelgarn, das einem<br />
Fischernetze gleich des Flußes dunkle Tiefen überspann. Der Eulen Ruf schwang<br />
sich zur Klage auf, doch dem Knaben schauerte es nicht. Wütend zerrten Òrkvens<br />
Gevatter an den düsteren Baumwipfeln und mahnend schüttelten sie daraufhin ihr<br />
prächtiges Blätterwerk. Doch Lèfule wurde es nicht bange. Des Mondes Licht, ganz<br />
gespenstisch anzusehen, spendete ihm gute Sicht und so wartete er in des Walders<br />
Armen auf die Erfüllung <strong>von</strong> Ewynors Verheißung.<br />
Stunde um Stunde verann und Lèfule wurden die Lider schwer, als er unversehens<br />
ein Wehklagen vernahm, das <strong>von</strong> einem Baumstumpf kam. Seine Augen erblickten<br />
ein Erdweiblein das gefangen schien. Und wie er näher zu ihr herantrat, fing es<br />
fürchterlich zu hadern und zu weinen an:<br />
„Ach weh, ach weh ! Oh große Not ! Welch Unglück hat mich ereilet. Kein Beerlein,<br />
Kein Wasser, kein Krummen Brot solang ich hier schon verweilet.<br />
Hab der Fàrnisen Hollunder beraubt, ich stahl ihr nur eine Blüte! Da hat sie<br />
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<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
geschrien, getobt und geschnaubt, das Bäumchen hab ich ihr gehütet.<br />
Da schickt` sie den Älbing, den Plagegeist, der flocht das Haar mir zu Ketten. Nun<br />
sitze ich hier im Quastenkranz und bitte Euch mich zu erretten. Lasst mich nicht harren<br />
bis das der Morgen anbricht sonst schlägt mir die letzte Stund'. Dann erstarr'<br />
ich zu Stein für immerdar, ich bitt' Euch um Eure Gunst.<br />
Holder Fremdling, der Ihr mich erhörtet, schenkt Euer Haar dem Älben. Löset den<br />
Zopf, brecht ihn vom Kopf und nässet mit Wasser denselben. Schöner Jüngling ich<br />
flehe Euch, mein Dank sei Euch gewiß. Tauscht ihr den Schopf und löst den Bann<br />
ein Troll Euch gewogen ist. Befreit Ihr mich so schenk ich Euch dies Wurzelchen. Es<br />
ist nicht das was es Euch scheint, es ist ein Zauberding. Droht Euch Gefahr so<br />
kostet da<strong>von</strong> kein Schaden sollt nehmen der Leib:<br />
Es heilet vom Schmerz wenn der Knochen gebricht.<br />
Es stillet das Blut wie tief die Klinge auch sitzt.<br />
Es schließet den Spalt den das Messer geritzt.<br />
Dies Hölzchen birgt „Aìnukens Saft“ der jede Wunde heilt. Ach weh, ach weh ! Ich<br />
bitte Euch so helft mir aus der Not. Sobald der Mond seinen Lauf gemacht droht mir,<br />
Wìkììn, der Tod ! „<br />
Arg flehte das Weiblein Lèfule so das der nicht lang zögerte. Mit einem Rosenzweig<br />
schnitt er den roten Schopf entzwei. Da löste sich schon der Älbingkranz der das<br />
Weiblein Wìkììn gefangen hielt. Dankbar blickte sie ihn aus ihren schrumpeligen,<br />
pechschwarzen Äuglein an und schnaufte voll freudiger Erregung. Es wärmte<br />
Lèfule das Herz und jener schritt zum Ufer das Haar zu befeuchten. Er beeilte sich<br />
um das arme Trollein gänzlich zu befreien.<br />
Die Weibschaft <strong>von</strong> Nìvelau<br />
Kaum das er angelangt war sein Haar zu wässern verebbte der rastlose<br />
Wellenschlag. Ein heiterer Singsang erklang, den Schönsten den Lèfule je vernommen<br />
hatte. Aus den Wassern des Flußes schwang sich plötzlich eine Jungfrau<br />
empor und wandelte ihm anmutig lächelnd entgegen, ohne das sie den wogenden<br />
Fluß mit ihren feinen Füßen berührte. Er war ganz trunken <strong>von</strong> ihrem schönen<br />
Anlitz: Dem Glanz der sie schwelend umfing, dem Blütenkranz der ihren Kopf<br />
schmückte und den schillernden, klaren Augen, die gewaschenen Edelsteinen glichen.<br />
Voll waren ihre süßen Lippen und ihr Leib so zart und geschmeidig wie feinstes<br />
Brockatgeschmeide. Ihr sanfter Blick ruhte auf Lèfules Wohlgestalt. Sie legte<br />
ihre zarten Hände auf die Brust und streckte sie dann dem Jüngling sehnend ent-<br />
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<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
gegen. Doch unversehens zogen Nebel um sie her und aus dem schwelenden Garn<br />
erwuchsen die üppigen Nebelfrauen:<br />
„Oh schöner Jüngling, Knäblein fein. Reiht Euch in unseren Reigen ein. Vergesst<br />
wer Ihr seid, lasst all Euer Tun. Es ist an der Zeit um auszuruhn. Kommt Lèfule, wir<br />
warten schon lang, Euch zu bieten der holden Irkja Hand. Ihre liebliche Stimme gilt<br />
Euren Ohren, ihre Leibespracht Eurem Aug. Einzig Ihr seid auserkoren, so nehmet<br />
sie zur Frau.<br />
Wir schenken Euch Vandarìm, das da liegt in Endorìns Tiefe. Der Schatzkammer<br />
Gold sollt Euer sein. Glänzendes Silber, wertvoller Stein <strong>von</strong> Zwergenhand kunstvoll<br />
geschmiedet. Kommt nur, kommt, wir warten schon lang, wir legen Euch alles<br />
zu Füßen. Dies golden bestickte Edelgewand sollt Euch als Herrscher begrüßen.<br />
Kommt, so kommt ! Was zögert Ihr noch, genug habt Ihr gelitten. Vandarìms Völker<br />
erwarten Euch, einen König soll man nicht bitten. So lasset Euch denn fallen in<br />
Irkjas sehnende Arme. Schicksal sei gnädig, seie Uns hold, sollst Dich Unser erbarmen.<br />
„<br />
Und wie sie zuende gesprochen, fühlte sich Lèfule so seltsam leicht. Befriedet<br />
schien ihm sein unstetes Gemüt und warm wurde es in seines Herzens Grund<br />
sobald er Irkjas Blick kreuzte. Je länger seine Augen auf ihrem Anlitz ruhten, desto<br />
größer schien ihm sein Verlangen nach der Jungfrauen Leib. Es loderte als angefachte<br />
Flamme in ihm auf. Schon lockerte sich die Hand, die das Haar umschlossen<br />
hielt und er verspürte den Drang es in die Böschung zu werfen. Eine ungeahnte<br />
Rührung bemächtigte sich seiner und er konnte dem Drängen der<br />
Nebelweibschaft kaum noch Widerstand leisten.<br />
Als Lèfule sich erhoben hatte, fing die Nebelweibschaft zu tanzen an und zog einem<br />
Hexenkessel gleich wilde Kreise. In ihrer Mitte wirbelte, verheißungsvoll schimmernd<br />
das Prunkgewand. Jäh erschien er selbst darin und Irkja ruhte, als Abbild<br />
himmelsgleicher Schönheit, in seinen Armen.<br />
Doch bevor der Jüngling ins Wasser schritt, gewahr er dem Schreien des<br />
Trollweibes und er fand sich zweigeteilt in aufrichtiger Ehrbarkeit und ungeahntem<br />
Begehr, dass sein Herz zu spalten drohte. Seine Gedanken begannen sich ebenso<br />
wie ein Kreisel zu drehen und obwohl seine Finger den Schopf noch immer<br />
umschlossen, besetzten die gesprochenen Zeilen allmählich seinen Verstand:<br />
„Vergesst wer Ihr seid. Lasst all Euer tun. Es ist an der Zeit um auszuruhn...“<br />
Schrecklich begann es in den Wassern der Slììt zu brodeln. Lèfule warf den Schopf<br />
achtlos beiseite. Düster bäumten sich die Wellen auf sowie er seinen Fuß hinein<br />
getaucht hatte. Gebannt wandelte er Schritt für Schritt dem Trugbild entgegen und<br />
verbüßte ein Stück seiner selbst. Strudel zogen rings um ihn her. Je weiter der<br />
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<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Nebelfrauen unbarmherziger Zauber ihn leitete, desto stärker rissen sie an seinem<br />
Leib. Doch plötzlich verharrte Lèfule, dem die Wellen schon bis zur Hüfte reichten.<br />
Abermals schrie die Wììkìn vom Ufer her und in ihrem Flehen schien es ihm, als vernähme<br />
er des geliebten Vaters Stimme:<br />
„Gib acht mein Sohn. Gib acht! <strong>Das</strong> Schöne verführt als Blendwerk der Nacht.<br />
Hinter jedem Gepränge verbergen sich Schatten. Halte die Sinne wach! Laß Dich<br />
nicht täuschen <strong>von</strong> großen Versprechen. Es leitet Dich irre, es wird sich rächen. Hör<br />
auf die Tugend, vertrau ihren Kräften. <strong>Das</strong> wahre Gefühl, es fühlt Dich zum Besten.<br />
Gib acht, mein Sohn ! Gib Acht ! <strong>Das</strong> Schöne verführt als Blendwerk der Nacht.<br />
Hinter jedem Gepränge verbergen sich Schatten. Halte die Sinne wach!„<br />
Lèfule sammelte sich und entsagte der süßen Versuchung. Die Weibschaft entfloh<br />
sogleich zurück ins schwelende Nìvelau. Doch aus dem lieblichen Leib der Jungfrau<br />
brach ein Untier hervor, das Grausigste das ein Mensch je gesehen hatte. Gräßlich<br />
war des Scheusals Maul und ebenso schaurig der Laut dem es entfuhr. Es besaß<br />
nur ein Auge und jenes glotzte trübe auf ihn herab wie das eines riesigen Zyklopen.<br />
Den einstigen weichen Busen durchwalgte nun schuppiges Fleisch und der schöne<br />
Blütenkranz war ein Algengeflecht das dem Scheusal modrig vom Kopfe hing.<br />
Rings um das Trugbild ballten sich die Wasser und ein Wirbel riss es hinab in die<br />
Tiefe.<br />
Kaum das die Irkja entschwunden war, verebbte der Wellen Getöse. Lèfule dankte<br />
des Vaters Geist und zugleich eilte er hin zum Schopf, ihn zu wässern, so wie es<br />
ihm geheißen war.<br />
Slììtens Wasser umspülten das rote Haar und entrißen es den Händen des<br />
Jünglings. Lèfule war das Herz schwer als der Strom es <strong>von</strong> Dannen trug. Er kehrte<br />
zurück zu des Baumes Strunk um der Wììkìn da<strong>von</strong> zu berichten. Doch wie er am<br />
Stumpf angelangt war, fand er sie befreit. Wortlos gab sie ihm kleines Hölzchen und<br />
verschwand kurz darauf in ihrem Erdloch.<br />
Plötzlich hörte Lèfule ein seltsames Klingen und er blickte zum Fluß hinüber. Ein<br />
Geist schwebte in seiner Mitte und es funkelte mehr als nur die Spiegelung des<br />
Mondes auf den wogenden Fluten:<br />
„Mut, Tugend, Bescheidenheit, habt Ihr Ewynòr bewiesen: Geharret habt ihr im<br />
dunklen Wald. Mitleid dem armen Trolle gezeigt. Widerstanden der Irkjen lockenden<br />
Leib. Seit Eurem Herzen treue geblieben.<br />
Wahrlich, Fremder Eure Seele ist rein. Kein Reichtum konnt' rauben der Tugend<br />
Schein. Kein Königreich konnt' Euch verfänglich sein. Habt Vandarìms Schätze<br />
gemieden.So nehmet Aìnuk, das Zauberholz, aus dem Grale der Farnomisen. Es<br />
birgt Endorìns Kräutersaft, es gebe seinem Träger Kraft, <strong>von</strong> jeder Wund' zu gene-<br />
18
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
sen.<br />
Nun Lèfulaìse wandert nach Norden, so wie’s Euer Schicksal verheißt. Es wird ein<br />
langer, lohnender Weg, ein Fährtweiser gäb Euch Geleit. Wahret Aìnuk, wahrt<br />
Vììlanìk, den Stein den Euch Drùvartis gegeben. Was auch passiere seied nicht<br />
bang. <strong>Das</strong> Gralsgut schützt Euer Leben.<br />
Alsdenn Lèfulaìse, macht Euch auf, mit dem Beistand der Gwydionweisen. Ewynòrs<br />
Wasser wünschen Euch Glück auf allen Euren Reisen. “<br />
Und wie Ewynòr hinabgetaucht war, erschien Lèfule Fìndegìl, der Fährtenweiser.<br />
Fìndegìl war ein Helferwichtel aus dem Geschlecht der Taurìnva, dass in den<br />
Kräuterhainen Iravìnjals beheimatet war und im Dienst der guten Feen und<br />
Waldgeister stand. Er war <strong>von</strong> winziger Statur und ähnelte einem knorrigen Stück<br />
Borke das, ganz in grün bekleidet, zum leben erwacht war.<br />
Er verbeugte sich vor des Jünglings Riesengestalt und nickte ihm aufmunternd zu.<br />
Dann zog das Männlein seine Wünschelrute Bùttruten aus dem ledernen<br />
Wämslein. Alsdann bahnten die Zwei sich ihren Weg durch unwegsames Gesträuch<br />
das Slììtens Böschungen säumte. Sie waren nicht weit gewandert, da erreichten<br />
Lèfule und sein kleiner Gefährte den vorbestimmten Pfad.<br />
Im Schummerwald<br />
Stunde für Stunde wandelten sie in des Mondes silbernen Schein und Stunde um<br />
Stunde rückten sie näher zu des fernen Zwergenheims Grenze.<br />
Ohne Rast durchstreiften sie das Unterholz und Lèfules Kräfte waren bald ausgezehrt.<br />
Sein wärmender Umhang war zerschlissen, sein Schuhwerk gebrochen und<br />
seine Glieder schienen ihm so schwer, als trüge er einen Ygdonier auf seinem<br />
Rücken. Fìndegìl indes schritt beflissen voran im fahlen Lichte Bùttrùtens. Nie<br />
schaute er zum Wegesrand. Nie wand er sein winziges Haupt zurück. Sine wachen<br />
Augen blickten geradewegs auf die Rutenpitze und lasen in ihrem zuckenden Hin<br />
und Her den rechten Wege ab.<br />
Der Helferswichtel schien nimmermüde in seiner Emsigkeit, doch ihm erging es<br />
wohler als Lèfule. Er war verbunden mit der Macht des Varulìdengrales. Der<br />
Jüngling sammelte all seine Kraft und suchte Schritt zu halten. Verlor er des<br />
Winzlings Spur war es wohl um ihn geschehen. Denn Gefahr lauerte überall, ob<br />
hinter Busch oder Borke, im düsteren Schummerwald.<br />
Dicht an dicht stand allerlei knorriges Gehölz, und kaum ein silberner Strahl <strong>von</strong> des<br />
Monddrachens Schuppenkleide, schien den Boden des uralten, knarrenden Waldes<br />
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<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
zu erreichen. Versumpft war der schwemmige Grund, so daß der Wanderer stets<br />
zu sinken drohte. Nur mühsam kam Lèfule voran denn es war finster um ihn her.<br />
Ab und an entfloh dem Dickicht seltsames Getier und manches Mal schien es ihm<br />
als griffe etwas nach seinem Leibe.<br />
Bald schon lichtete sich des Waldes Unwegsamkeit und Lèfule erreichte einen Platz<br />
an dem das Gebüsch <strong>von</strong> einer wundersamen Kraft niedergemäht schien und<br />
Steine in gleichmäßigen Abständen aufgeschichtet waren. Er betrachtete verwundert<br />
die Umgebung und siedend heiß forschten seine Augen nach Fìndegìl. Doch<br />
nirgends konnte er ihn erspähen. Entmutigt liess sich der Jüngling auf einen großen<br />
Stein nieder. Er hoffte das der Fährtenweiser sein Verschwinden bemerken würde<br />
und bald zurückkkehrte.<br />
Wie er da saß, den müden Kopf in die Hände gestützt, fiel ein Zäpflein aus einem<br />
der Wipfel herab geradewegs vor seine wunden Füße. Und wie das Zäpflein vor<br />
seine Füße fiel. Da verwandelte es sich in ein Schlinggewächs, das in windeseile<br />
seine Beine umschlang. Abermals fiel etwas vom Wipfel herab und nun war es ein<br />
Zweiglein.Es umrundete viermal den Stein und entpuppte sich als Dornenflechte,<br />
die sich flinkerhand um Lèfules Brust schnürte. Sodann rollte ein Nüßlein heran und<br />
wie es heran gerollt war, wechselte es ebenso seine Gestalt. Just offenbarte sich<br />
ein Däumling, auf dessen Kopf ein Kleeblättlein thronte. Es war Bòrknoll <strong>von</strong><br />
Finsterlich, der König dieses Gestades:<br />
„Hei ho, Ho hei. Oh sehet doch! Was für ein seltsames Wesen, durchstreift des<br />
Nachts den Schummerwald. Laut hat sein Echo das Holze durchschallt, nun ist es<br />
aufgelesen. Wer drang in Finsterborkens Hain? Wer ist so närrisch, groß statt klein.<br />
Wer schreckt mein Volke in seinem Heim? Hat nicht um Einlaß gebeten? Seht nur,<br />
seht! Der arme Tor, ein Menschlein ist’s, zu necken! <strong>Das</strong> wird eine lustige<br />
Schelmerei. Kommt ihr Wechsler, kommt herbei. Wir spielen ihm einen tollen<br />
Streich. Es wird ihm an Mute gebrechen.<br />
<strong>Das</strong> wird dem Knäblein eine Lehr. Gar schauriger als die grausigste Mär. Gefangen<br />
ist’s, ganz ohne Wehr. Kommt wir woll’n es erschrecken! Wer Bòrknolls Ärger auf<br />
sich zieht hat Finsterborkens Spott verdient. Heran Gesinde, heran so fangt den<br />
Schabernack an.“<br />
Der König war ein Bursche <strong>von</strong> übelgesinnter Natur. Groß war seine Macht auch<br />
wenn er ein Winzling gewesen war. Er herrschte über das Wechslergesindt das im<br />
Schummerwalde hauste.<br />
Niemand der seinen Fuß nach Finsterborken setzte, konnte sich dem üblen Spiel<br />
des Finsterlichen entziehen. Nicht der ehrbarste Ritter, der kunstvoll sein Schwert<br />
zückte. Nicht der wendigste Elb, der blitzschnell den Pfeile schoss. Ein Wavan<br />
Zauberer selbst hätte es nicht vermocht des Wechslers Bann zu brechen.<br />
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<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Denn stets jagt das Wechselbalg den Eindringling: Fällt listig vom Baum auf des<br />
Ahnungslosen Kopf. Wird zum Stolperstein und tut dem Wanderer ein Elend. Wird<br />
zum tanzenden Irrgelicht und lockt jeden Fremdling ins Verderben.<br />
Lèfule fand sich gefesselt, umringt <strong>von</strong> Bòrknolls Häschern. Fìndegìl war hinfort<br />
und dem Jüngling schien es, als gäb es kein Entrinnen mehr. Wie sehr er auch sann<br />
und sich mühte. Er war in Ketten gelegt und die Flechten schnürten sich so fest um<br />
seinen entkräfteten Leib, das er sie nicht zu lösen vermochte.<br />
Sein müder Blick ruhte derweilen auf dem König. Der Gnom nahm ein klitzekleines<br />
Eichenzepter in seine Hand und tat seinen Befehl hämisch kund:<br />
„Buchenbork und Strauchhollunder, lullt es ein in Zauberschlummer. Trollt Euch,<br />
lasst das Knäblein ziehen, irren über Stock und Stein. Dem Wechsler kann es nicht<br />
entfliehn, jagt es in den Wald hinein! Ein Irrlicht sollt ins Moor es leiten. Ein Greifer<br />
es ins Sumpfloch treiben. Und sitzt es fest, fleht um Erbarmen, wird Bòrknòll sich<br />
am Unglück laben. Dann bringt des Wechslers Fluch den Wahn. Recht geschiehts<br />
dem Menschennarren! Der sich groß und wichtig macht. Doch kommts stehts<br />
anders als gedacht! Lernen sollt es, Buße tun. Rauben wollt es, Finsterns Gut !<br />
Doch jäh zu seinem Mißgeschicke gesellt sich unser höchstes Glücke! Seht nur, an<br />
dem prächtig Wamse schmiegt sich ein Säcklein aus Linnen. Birgt den allerschönsten<br />
Schatz, es wird den Albrich gnädig stimmen! Seht nur! Seht, die Zaubergabe<br />
aus Endorìns LichterGrale.<br />
Albeon wird großgesonnen sein, ich tausch das Gralsgut einfach ein! Beròniens<br />
Gold und Edelstein, sollen bald mein eigen sein. Hei ho, Ho hei was für ein Fang.<br />
Hurtig, bringt den Zaubertrank!“<br />
Nachdem der König gesprochen hatte, schwang er sein Zepter in die Lüfte empor.<br />
Schon eilte das Gesinde herbei und brachten einen hölzernen Krug, der mit trübem<br />
Schlummersaft gefüllt war. Alsdann flößte ein Trugbalg das üble Gebräu, Lèfule<br />
Tropfen für Tropfen ein, bis der Krug geleert war. Plötzlich erschien Lèfule ein<br />
freundlich züngelndes Licht, er folgte dem flüsternden Glanz und vergaß alsbald<br />
wohin es ihn führte.<br />
Mit dem ersten Silberstreifen des Tages, fand sich Lèfule noch immer gefangen.<br />
Doch hockte er nicht mehr auf dem Stein und rings um ihn her war auch keine<br />
Waldeslichtung.Der Jüngling stakte in einem morastenen Pfuhl, der ihm bis zum<br />
Hals hin reichte. Ratlos prüfte sein Blick den trostlosen Ort, an den es ihn wunderwie<br />
verschlagen hatte.<br />
Nebel schwelten über dem sumpfigen Grund, der nur karg mit Achweiden bestückt<br />
war, deren Äste traurig ins Naß hingen. Spärlich fiel das Licht aufs Erdreich, so als<br />
täte der tiefschwarze Grund es verschlingen.<br />
21
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Lèfule suchte eine sonderliche Entkräftung heim. So als sei er Stunde um Stunde<br />
umhergeirrt. Und wahrlich er war die ganze Nacht hindurch über Stock und Stein<br />
gestolpert. Geleitet hatte ein Lichtlein ihn, getrieben eine Greiferklaue und als er<br />
steckenblieb im düsteren Moderhàuge, bescherte ihm des Wechslers<br />
Verwünschung allerlei grausigen Schabernack der ihn zu ängstigen suchte.<br />
Doch ängstigen tat nur ein Verhängnis ihn, denn er gewahr dem fehlenden<br />
Gralsgut, das Bòrknoll aus seinem Wams gestohlen hatte.<br />
Unbeholfen versuchte sich der Jüngling zu befreien. Doch wie sehr er sich auch<br />
wand, es gab abermals kein Entrinnen. Wann immer er sich nach oben gekämpft<br />
hatte, gab der Boden nach und sackte ein Stückchen tiefer ab. Des Kämpfens müde<br />
fügte sich Lèfule in sein betrübliches Mißgeschick. Es dürstete ihn, es fror ihn und<br />
der Hunger verschaffte ihm ein übles Befinden. So hing er ohne Hoffnung im<br />
Moderhàuge und haderte mit seinem Los.<br />
Stunde für Stunde fristete er allein mit sich und dem Hoffen auf ein jähes Ende.<br />
Dann und wann regte sich etwas im Gebüsch und ein Funken Zuversicht keimte in<br />
des Jünglings Herzen auf. Doch vergebens war all sein Rufen, denn der Finsterliche<br />
hatte ihn ins Einödmoor geführt. Einsam war es dort, als wie das schwärzeste<br />
Verlies. Marternd war des Moores Fenn als wie die Ràre die die Brust zusammenpresste.<br />
Jammervoll war es als wie Munatìrs Wimmernsee dort wo der<br />
Schluchzenchor sein Wehklagen erhob und jedem, der sein Lied vernahm, das<br />
Herz entzweite. Moderhàugen war ein gänzlich unbewohntes Gefilde und alljene<br />
die es in seinen Dunst verschlug, fanden keinen Weg zurück. Gerade richtig für<br />
Einen, den Bòrknoll als Dieb zu entlarven meinte.<br />
Und dennoch war die Rettung nicht weit, denn das verlorene Gralsgut war nicht der<br />
einzige Schutz der ihm zuteil war. Vàrdìna sponn in Sylfìen eifrig feines Gutengarn<br />
und warf die Losrunen um Lèfules Wohl herbei zu führen. Als der Jüngling sich<br />
schon verloren glaubte und dachte Elrals Stimme hauche eisig an seinem Ohr, vernahm<br />
er abermals ein Rascheln vom Gebüsch her und ein grüner Schimmer webte<br />
des Pfuhles Mitte entgegen:<br />
„Eile, Eile, Eile! Wartet eine Weile. Euer Weh ist nun vernommen, harret aus wir werden<br />
kommen. Eure Rettung ist schon nahe. Lindergrün und Stillenfarne bringen wir<br />
dem armen Wesen. Es sollt <strong>von</strong> seinem Leid genesen!<br />
Lang hat seine Qual gedauert, weit war der Ruf der uns erreichte. Moosenlinds<br />
Genesensaft gäb dem armen Menschlein Kraft. Oh ihr bösen Wechslerbanne, weichet<br />
alsdenn weichet! Hier ein Schälchen Rindenwurzig, da ein Becher<br />
Heidenmost. Dort ein Bündel weißen Mooses, heilsam ist die Wùnenkost. Viel an<br />
Stund hat er durchlitten, einen herben Weg bestritten:<br />
22
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Gekühlt sei die Stirn mit Reif vom Laube.<br />
Gesalbet der Leib mit Iravìnjals Heilerhauche.<br />
Weilet! Weilet! Er erwachet, stark und kühn so scheint sein Geist. Dies ist nicht der<br />
Reise Ende. So sein Schicksal es verheißt. Nun hurtig auf, zu jener Stelle, hin zum<br />
Schummerwald Gefälle. Auf den Stein wo er gefangen, dort wartet schon ein<br />
Fährtenweis.„<br />
Sodann enthoben ihn die Heilgeister Iravìnjals dem schlammigen Pfuhl und trugen<br />
ihn auf ihren Eìlenrößern zum Rand des Schummerwaldes. Als Lèfule dort angelangt<br />
war und aus seinem Dämmer erwachte, fand er sich wie <strong>von</strong> Zauberhand sitzend<br />
auf dem Stein wieder. Fìndegìl ruhte zu seinen Füßen als wäre er nie hinfort<br />
gewesen. Bùttrùten war erloschen und ragte aus des schlafenden Wichtels<br />
Wämslein.<br />
Nadlafìrs Abendhauch durchwalgte die würzige Luft und dem Jüngling schien es,<br />
als hätte er einen langen Traum geträumt. Doch wie er in sein eigenes Wams griff<br />
wurde ihm die arge Gewißheit vor Augen geführt, das es kein Traum gewesen war.<br />
<strong>Das</strong> Gralsgut blieb verschollen. . . .<br />
In der dämmerigen Ferne, inmitten Beronìens gräßlichem Räudenried, hielten<br />
Albeon und der Finsterliche Rat.<br />
Im Schutz der schattigen Dunkbuchen offenbarte Bòrknoll dem Alberichfürsten was<br />
sich des Nachts zuvor, im Schummerwald, ereignet hatte. Albeon war hoch erfreut<br />
als der Wechslerkönig ihm das Gralsgut gegen ein Zehntel seines Schatzes bot.<br />
Jener zögerte nicht lang und befahl seinem Schatzhüter die gewünschten<br />
Edelsteine aus den Kammern der Riedenfeste herbei zu holen. So eilte der<br />
Schätzer <strong>von</strong> Dannen und die Landsherren besiegelten den Tausch mit ihrem<br />
Ehrenwort. Doch der Alberich war allerorts als Schurke bekannt mit dem kein ehrbarer<br />
Handel <strong>von</strong>statten ging. Spielte er doch selbst den listigen Ungorelben dann<br />
und wann einen mißlichen Streich. Freilich die Gier trübte des Finsterlichen<br />
Verstand. Heimtückisches führte Albeon im Schilde, ganz wie es dem niederträchtigen<br />
und boshaften Charakter seines durchtriebenen Wesen entsprach.<br />
Als der Schatzhüter aus der Riedenfeste zurückgekehrt war, da brachte er drei<br />
Säcke voll Stein. Und wie Bòrknoll dem Alberich die Gralsgabe überreichte, entschwand<br />
jener im Irrgang Schurfengrabens.<br />
Des Wechslers Dienerschaft brachte den vermeintlichen Schatz zurück in den<br />
Schummerwald und der Finsterliche rieb sich frohgemut die Hände. Doch der einfältige<br />
König war tückisch um sein Gut betrogen worden und bald schon ließ sein<br />
bärbeißiges Zornesgeschrei, die Baumhaine Finsterborkens erzittern.<br />
Albeon hockte derweilen in seiner Räudenriedfeste und schickte einen Gesandten<br />
23
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
nach Dûnkelrìven, um den schwarzen Zauberern <strong>von</strong> der kostbaren Ausbeute zu<br />
berichten.<br />
Wanderung nach Zwergenheim<br />
Pfad um Pfad waren die Gefährten gewandert das Gralsgut zu suchen, das ihnen<br />
in Finsterborken verloren ging. Rastlos durchquerten sie Endorìns Trügerlande.<br />
Durchstreiften wohlbehalten Beronìens morastenen Räudenried.<br />
Überquerten dessen alterschwache Brücke, die das faulige Wasser der Flossenfurt<br />
überspann. Erklommen unversehrt den wuchernden Schutterbühl des greulichen<br />
Dakbundelhorst, in dessen Geäst und Gerinde ruchloses Hexenvolk hauste.<br />
Durchstiegen Trollingens erstarrte Wurzenwildheide. Dort wo die vorzeitlichen<br />
Lichterkriege einst gewütet hatten. Hier stapften sie über zerbrochenesWaffengut<br />
hinweg und in großflächige Krater hinein die, vor langer, langer Zeit, eine mächtige<br />
Riesenschleuder ausgehoben hatte.<br />
Kein Wesen kreuzte ihren Weg. Kein Unhold folgte ihren unermüdlichen Tritten. Kein<br />
Zauber suchte ihnen ein Leid zu tun. Doch unablässig flog eine Krähenschar über<br />
ihren Häuptern hinweg, die düsteren Cuìvethscharen. Feindliche Späher aus dem<br />
weit entfernten Dûnkelrìven.<br />
Viele Tage dauerte ihre Reise, sie gönnten sich weder Rast noch Ruhe und schließlich<br />
gelangten sie ermattet und zerlumpt zu Zwergenheims Grenzwald.<br />
Hier lichtete sich der Horizont und der Blick war preisgegeben auf ein strahlendes<br />
Wolkenmeer. Prächtig gedieh der fruchtbare Mischehain, der umspült war <strong>von</strong> der<br />
Schmiedenau, die als klares Bächlein fröhlich dahin plätscherte.<br />
Lèfule und der Helferswichtel machten Halt und liessen sich im weichen Gras nieder.<br />
Alsbald lugte ein Zwergenknappe hinter einem Baum hervor und horchte argwöhnisch<br />
welches Anliegen sie in Fàrnukks Reich geführt hatte. Sodann nahm der<br />
Knappe Òdorfìn, die Fremdlinge in Empfang und geleitete sie nach Evenàr, der<br />
Schmiedestatt der Fàrnukken.<br />
Bei der Zwergen Stätte angelangt, führte man die Fremdlinge dem König vor. Sie<br />
nahmen Platz vor einer Eichenwurzel, wo Fàrnukk auf einem üppig verzierten<br />
Silberstuhl thronte. Der König musterte die Eindringlinge ohne Argwohn. Dann<br />
lächelte er doch aus dem Lächeln ging ein schmerzverzerrtes Grinsen hervor und<br />
die Lippen Fàrnukks begannen eigentümlich zu beben wähend er leise sprach:<br />
„Odòrfìn, Fàrnukkens Knappe, tat Kunde uns <strong>von</strong> Eurem Begehr. Leidlich geht’s<br />
dem Zwergenvolke, ärger geht es nimmer mehr. Euer heikel Unterfangen sei auch<br />
unser höchst Belange. Unser Heim ist bald bedroht, sein Schicksal liegt in Eurer<br />
24
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Hand. Weh uns plagt ein düstres Ahnen <strong>von</strong> hinnen sind die Zwergengaben. Die der<br />
Wechsler bei Euch fand.<br />
Wohl scheint, als das Finsterborken handeln tat mit Albeon. Der eine wollt die<br />
Macht uns rauben, den Steine Vììlanìk ertauschen. Der andere aus dem Zwiegelicht<br />
war auf Beronìens Schatz erpicht. Weh! Zu unsrer größten Schande ging der<br />
Tausche denn <strong>von</strong> statten. Ohne einen einzigen Dünkel wurd' das Gralsgut fortgeschaffet.<br />
Auch Aìnuken ist <strong>von</strong> hinnen, das Allerheiler Wurzelchen. Ach Weh! Oh<br />
Weh! <strong>Das</strong> Ende naht dem Lichterwald <strong>von</strong> Endorìn.<br />
Wehe, weh! Welch Mißgeschick, verlassen sind wir ohne Glück. Denn nun muß<br />
Fàrnukk sich fügen des Fürsten greuelich Verlang. Auf das Albeonens Kammer Tag<br />
um Tag sich füllet dann. Übel hat er uns geplagt mit so manchem bösen Schrecken.<br />
Wollt das Schmiedbächlein vergiften, mit dem Fluch uns an sich ketten. Fàrnukk tat<br />
um Gnade ringen. Doch der böse Alberich, wollt Beronìen das Krönlein bringen und<br />
die Zwerg zur Arbeit zwingen.War auf unsere Grub erpicht.<br />
Alsdenn wir taten uns enthalten und erhielten manche Frist. Der Gralsraub scheint<br />
ein Unterpfand das dieselb geendigt ist. Fàrnomanis tat uns Kunde das die Rettung<br />
ist nicht weit. <strong>Das</strong> ein Jüngling wird geleitet, hin zu uns, vom Fährtenweis. Und der<br />
herzensgute Walder hat erzählt <strong>von</strong> Eurer Ehr. Vom Verstande, Eurem Mute, vom<br />
zugewiesenen Gralesgute und es bangte uns nimmer mehr.<br />
Doch nun, oh Fremdling, scheint die Hoffnung denn zu schwinden. Seht doch,<br />
unser Kunstgewerkel. Alles, alles geht <strong>von</strong> hinnen und mein Volke wird zum<br />
Knechte in Albeons Räudenfeste. Sollt es uns nicht bald gelingen einen anderen<br />
Weg zu finden.“<br />
Fàrnukk senkte das Haupt und wischte sich eine Träne aus dem Auge. Die Zwerge<br />
um ihn her huschten flink <strong>von</strong> Dannen und kehrten mit einem Humpen Honigwein<br />
zurück um ihrem König ein Wohl zu tun. Fàrnukk wies seine Dienerschaft an auch<br />
den Wandersgesellen einen Trunk zu reichen. Denn Zwergenheim war bevölkert<br />
vom Geschlecht der Helferswichtel und somit weithin für seine Gastfreundschaft<br />
gerühmt. So saßen sie vor dem Hochsitz Evenàrs und täfelten um zu frischer Kraft<br />
zu finden.<br />
Sodann hat der Zwergenkönig sein höfisches Schneiderlein bestellt und trug ihm<br />
auf, der Gefährten Gewänder auszubessern und obendrein Maß zu nehmen für<br />
zwei neue Pelerin. Danach rief Fàrnukk sein höfisches Schusterlein herbei und wies<br />
an die gebrochenen Schuhwerke zu flicken. So entledigten sich der Jüngling und<br />
Fìndgìl ihrer Kleider. Flinkerhand hatten die Zwerge, alle großen und kleinen<br />
Löchlein gestopft, die schrundigen Schuhe und Stiefelein geflickt und in windeseile<br />
zwei neue Pelerin aus grobem Garne genäht.<br />
25
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Dann entfachte Bòkadìn, der Zwerge Flammenmeister, ein Feuer um den<br />
Wanderern ein Lager zu richten. Und wie das Lager gerichtet war kam Gòdòwin<br />
mit seinem Wachgefolge herbeigeeilt. Die Zwergenwächter waren gerüstet mit allerlei<br />
Wehr und zückten dann und wann ihr Messerchen wenn sich im Busch etwas<br />
unverhofft regte. In ihrer schützenden Mitte fanden die Gefährten endlich Ruhe und<br />
waren bald entschlummert.<br />
Die Zeit eilte dahin. Schon taten Mondàfìrs Tore sich auf und entließen den<br />
Sternspeiher Nadlafìr ins nächtliche Gestirn. Die Flammen des Feuers waren bald<br />
verloschen und Lèfule ruhte sanft auf der moosenen Lagerstatt, die Mühen der<br />
Reise vergessend.<br />
Doch unversehens gesellte sich Fàrnukk zu ihm und schreckte ihn aus mancher<br />
schönen Träumerei. So hielten sie zu später Stunde Rat unter dem winkenden<br />
Blätterwerk der herrschaftlichen Zwergeneiche im Herzen Evenàrs.<br />
Ankunft im Späherhort<br />
Zu jener Zeit waren die Cuivethscharen Dûnkelrìvens im Hort der Höllhagfeste<br />
angelangt.<br />
Gàràmakk war im Kreise der Avanan den Turm hinaufgestiegen und erwählte<br />
Krafadùn, den Geschicktesten aller Seher, ihm kundzutun was sich in den<br />
Caladwäldern zugetragen hatte. So berichtete das Scharfauge seinem Meister vom<br />
Versagen der Nebelweibschaft, <strong>von</strong> der verlorenen Spur des Jünglings im Dickicht<br />
Finsterborkens und schließlich <strong>von</strong> seiner wohlbehaltenen Ankunft im Reich des<br />
Zwergenkönigs. Der dunkle Zauberer ergrimmte als er <strong>von</strong> der Unversehrtheit des<br />
Auserwählten erfuhr. Dreimal hub er kräftig mit seinem Zauberstab auf den steinernen<br />
Grund. Dreimal spieh das Zauberholz Zornesblitze aus und ein schauriges<br />
Donnergrollen erschütterte die Gemäuer der Höllhagfeste.<br />
Als die Wolken sich um den Burgturm gesammelt hatten und Òrkvens Brauseneffen<br />
zu Toben begannen, schnellte unversehens ein Falke auf das Gesimse.<br />
Rùdruìn, der Gesandte des Räudenried, war aus dem fernen Beronìen gekommen<br />
um dem Gebieter der Avanan die Botschaft seines Meisters zu überbringen. Was<br />
im Schutz der Achweiden und Dunkbuchen Krafadùn und seinen Schergen verborgen<br />
geblieben war, sollte er dem schwarzen Fürsten Dûnkelrìvens berichten.<br />
Jener hat den fremden Greif zur Rede gestellt und solcher gab krächzend Antwort<br />
ihm:<br />
„Ich, Rùdruìn bin gesandt aus dem fernen Albrichland. Aus Beronìens düsteren<br />
26
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Tiefen, aus dem schaurig Räudenrieden. Euch, oh Herr, denn zu berichten was in<br />
Trügerland geschah. Jedes Wort bei meiner Klaue, jedes Bruchstücke ist wahr. Hier<br />
nun folgt die Kunde, was mein Aug gesehen. Und zu Eurer größten Freude leidlich<br />
tat‘ s dem Bub ergehen:<br />
In Finsterborkens Schummerwald saß er fest im Moderhaùge. In diesem unbewohnt<br />
Gestade hat er sich bald verlorn geglaubet. Doch fürwahr er wurd' gerettet <strong>von</strong> dem<br />
Heilervolk Mooslindens. Und die Wùnen halfen ihm den rechten Weg zurückzufinden.<br />
Doch das Gralsgut ging verloren, das die Lichtergeist ihm gaben und so ist der<br />
Knab‘ beraubet, allen schützend Helfersgaben.<br />
Jäh hockt er da bei Fàrnukken und hält emsig hohen Rat. Wohlwissend, wo das<br />
Gralsgut ruhet und wer’s denn gestohlen hat. <strong>Das</strong> Gute liegt bei meinem Herren,<br />
der hats den Wechslern abgenommen und, oh Fürst, Euch seis versichert jetzt ist<br />
Eure Zeit gekommen. Albeon, der da ist mein Meister will dienlich sein in Euer<br />
Belang und bietet Euch, ganz wohlgesonnen, einen guten Handel an.<br />
Alsdenn er steht im herben Streite, wie Ihr folglich wissen müßt. Er will die Zwerg<br />
sich unterwerfen, gab ihnen so manche Frist. Nun das Blatt hat sich gewendet denn<br />
das Schicksal ist Uns hold. Tauschen will er die Zaubergabe aus Endorins<br />
Lichtergrale gegen Fàrnukks Eichengrube, die gefüllet ist mit Gold.<br />
Albeon stehet kurz vorm Kriege mit Fàrnukkens Zwergenheere. Helft ihm baldigst<br />
sich zu rüsten und Ihr bekommt was Ihr begehret. Tut Räudenried die Zwerg<br />
bezwingen wird’s den Jüngling zu Euch bringen. Auf das Ihr endigt was ist begonnen.<br />
Adawans Macht scheint bald verronnen. So ist’s Albeons höchst‘ Verlang den<br />
Jüngling zu vernichten. Sodenn, oh Fürst, traget mir auf was es gilt nun zu berichten.“<br />
Wie Rùdruìn dies geschildert hatte hob Gàràmakk Avras empor. In seinen Augen<br />
erglomm ein finsteres Leuchten und er dankte den dunklen Mächten. Die Späher<br />
flogen krächzend auf, ihrem Herrscher zu huldigen so als hätte jener schon den<br />
Sieg über Asarang errungen. Der Stand der Avanan verbeugte sich ehrerbietend<br />
vor seinem dunklen Hohemeister.<br />
Grìmlokk, der nicht weit vom Geschehen gestanden hatte, hielt sich geduckt und<br />
lauschte was dort <strong>von</strong>statten ging. Im Stillen tat sein Herz sich auf, war es doch sein<br />
höchstes Begehr Avras, der Avanan Hohestab, selbst zu tragen. Voll abgründigem<br />
Hass starrte er auf den Dûnkler. Denn stetig war er Gàràmakks erster Diener und<br />
vollbrachte in diesem Amt so manche böse Tat. Doch tat er es nicht um des<br />
Fürstens Willen sondern zu seinem eigenen Wohle. So erheischte sich Grìmlokk<br />
„der Kriecher“ des Ungorherren Gefälligkeit und lauerte in seinem Schatten auf den<br />
rechten Augenblick. Doch seine Zeit war noch nicht gekommen. . . .<br />
Gàràmakk indes sicherte Albeon die Dienste seines Albgefolges zu und sandte<br />
27
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Krafadùn zu Ogeròtt dem Herzog Dunkllandes. Jener finstere Herold sollte ein Heer<br />
stellen und in weniger als vier Tagesmärschen nach Beronìens Räudenfeste gezogen<br />
sein. Dort sollten Rìvens Schergen und die Alberiche sich einen und im<br />
Hinterhalt lauern bis die Widersacher die Grenze überschritten. Demjenigen dem es<br />
gelänge den Jünglinge zu töten oder gefangen zu nehmen, sollte ausreichend Gut<br />
und Lohn versichert sein.<br />
Sodenn der Pakt besiegelt war wies Gàràmakk Grìmlokk an die Vadì, welcheseit<br />
dreißig Monden schon im Gwydionhaìne weilte, vom Vorzeichen des nahenden<br />
Sieges zu unterrichten. Dieselbe sollte derweilen das Ihrige verrichten.<br />
Bei Beroniens Flossenfurt<br />
Trübe wälzten sich die Wolken am weiten Horizont herauf. Kein Vöglein zwitscherte,<br />
kein Blatt regte sich. <strong>Das</strong> Schmiedbächlein selbst war verstummt und floß lautlos<br />
<strong>von</strong>dannen. Schwefeldunst war aus Nìvelauen heraufgezogen und walgte über<br />
die Baumwipfel fort. Alles kündete <strong>von</strong> einem herannahenden Unheil.<br />
In Evenàr herrschte ein reges Gedränge. Die Zwerge rüsteten sich gegen<br />
Beronìens Alberichheer. Bòkadìn entfachte der Schmieden Feuer. Gòdòwin kauerte<br />
vor des Königs Thron, Rat zu halten wie der Feldzug <strong>von</strong>statten gehen sollte.<br />
Derweil huschte Òdorfìn emsig <strong>von</strong> Platz zu Platze und wies an wieviel an<br />
Schwertern und Schildern gefertigt werden sollten.Wieviel an Rüstung sie gebrauchen<br />
täten.<br />
Rastlos bliesen die Blasebalge, stetig erklirrten die Hämmer wenn sie dumpf auf die<br />
Amboße stießen. Fortwährend zischte es in den Wassern der Schmiedenau sobald<br />
die Wehrstücke zur Kühlung hinabgelassen wurden. Bald schon stiegen fahle<br />
Schwelen über dem Bach auf und trugen den Dunst des bevorstehenden Krieges<br />
weit hinter Zwergenheims Grenze.<br />
Fìnua, des Königs neunte Tochter, wies die Weibschaft an Speisen zu fertigen und<br />
Heilekräuter zu sammeln. So brieten, kochten und dünsteten sie der Streiter Kost<br />
und hegten die Heilergaben. Fìnua indes blickte oft hinüber zum Vaterhause und<br />
fand Gefallen an dem Ehrenmann, der gekommen war den Helferswichteln<br />
Beistand zu leisten. Und wie Lèfule dann und wann zu Òdorfìn hinüberschritt da<br />
erwiderte er manches Mal ihren gefälligen Blick. Auch wenn Fìnua klein gewesen<br />
war und ihm gerade einmal bis zur Hüfte reichte, so war sie doch die schönste aller<br />
Zwergentöchter: Ihr Haar hatte die Farbe des Laubes. In ihren Augen wohnte die<br />
Weisheit der Walder und ihr Leib war so zierlich als entstammte sie dem<br />
28
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Elfengeschlecht, dass an den Ufern der Flinkenwasser hauste.<br />
Viel an Zeit war veronnen und die Dunkelheit ergoß sich bereits über den<br />
Grenzwald. Erschöpft waren die Zwergenleute und auf das Kommende blickend<br />
harrten sie auf Evenàrs Versammlungsplatze aus. <strong>Das</strong> Frachtgut war verstaut und<br />
Fàrnukks Heer glänzte gerüstet in des Feuers Widerschein. Nach einer langanhaltenden<br />
Stille aus der Furcht und Unwillen sprach, trat die neunte Zwergentochter<br />
aus seinen Reihen hervor. Sie blickte voller Trauer in die <strong>von</strong> Sorge zerfurchten<br />
Gesichter ihres kleinen Volkes. Dann nahm sie in seiner Mitte Platz und mit ihren<br />
zarten Händen spielte Fìnua den Mischehainern ein letztes Lied auf ihrer Harfe<br />
Ragnatìr:<br />
„Lebt nun wohl, Ihr edlen Streiter, die Ihr ziehet in die Schlacht. Achtbar ist ein jedes<br />
Herz. Groß der Groll, den es entfacht. So sollt führen es die Klinge und das eigen<br />
Leben schützen. Sollt das eigen Heime schirmen und die Brust des Feindes ritzen.<br />
Zieht nun fort, Ihr edlen Streiter, die Ihr treue seid dem Reich. Kommet unversehret<br />
wieder zu der Zwerge Schmiedehain. Lasset Eure Arbeit ruhen, bald schon kehret<br />
Ihr zurück und dem Schmiedgewerkel lauschen sei der Weiber größtes Glück.<br />
Lebet wohl, Ihr edlen Streiter, die Ihr ziehet nun <strong>von</strong> Dannen. Ungewiß ist Euer<br />
Schicksal. Edelmut ist Euer Belange. Sorgt Euch nicht um unser Wohle aus der<br />
Erinnerung ziehen wir Kraft. Herzet Eure grämigen Weiber denens bangt vor dieser<br />
Schlacht.<br />
Ziehet fort, Ihr edlen Streiter. Furchtlos ist der Zwergen Seel'. Euer Gefährt in diesem<br />
Kampfe ist vom Schicksal auserwählt. Gut geschärft sind Eure Klingen also<br />
habet guten Mut. <strong>Das</strong> Eisen das dieselben schuf kam aus Eurer Heimat Grub'.“<br />
Der süße Klang des Spieles verzauberte Lèfule und jener war <strong>von</strong> einem sonderlichen<br />
Banne ergriffen. Je länger er der lieblichen Stimme lauschte desto mehr verspürte<br />
er ein wunderliches Regen in seines Herzens Grund.<br />
Kurz vor dem Aufbruch begann sich Lèfule Schwert und Schild, welche im Vergleich<br />
zu Farnùkks Wehr den Werkzeugen eines Riesen entsprachen, um den Leib zu<br />
schnüren. Am Riemen des Schildes fand er ein silbernes Glöckchen das leise zu<br />
klingeln begann sowie er es schulterte. Er nahm es sachte in seine Hand und<br />
begutachtete das Schmuckstück <strong>von</strong> allen Seiten.Erneut erklang ein leises Klingen<br />
und wie er sich umwandte, entdeckte er Fìnua die nun abseits saß und ihr<br />
Harfenspiel fortsetzte. Sie lächelte ihm zaghaft zu und winkte verlegen in seine<br />
Richtung. Lèfule erwiderte das Lächeln und ein brennender Schmerz durchfuhr ihn.<br />
Diese Schlacht, so schwor er bei sich, sollte nicht nur ihm und Fàrnukk dienen. Er<br />
wollte sie auch für Fìnua bestehen, damit dieses wunderbare, reine Geschöpf<br />
seine Heimat nicht entbehren müsse. Dieser Gedanke verlieh ihm eine tapfere<br />
Gewißheit denn auch ihn ängstigte es vor dem bevorstehenden Kampfe. So knüpf-<br />
29
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
te sich in dieser hoffnungslosen, schweren Zeit ein feines Minneband zwischen der<br />
schönen Fìnua und dem ehrbaren Andrìr Lefùlaìs.<br />
Alsbald zog das Heer <strong>von</strong> Dannen. Hunderte <strong>von</strong> Zwergen, viele hundert Schritte<br />
durchstreiften den Mischehain und über den vielzähligen, geschirmten Köpfen wehten<br />
die Silbergold durchwirkten Banner Zwergenheimes.<br />
Allen voran schritt Fìndegìl den rechten Wege suchend. Danach folgten der<br />
Zwergenkönig und Lèfule dessen Leib mit einem ritterlichen Harnisch versehen<br />
war. Er marschierte entschlossen in seine erste Schlacht. Unter den roten<br />
Strähnen, die ihm während des Marsches unablässig ins Gesicht fielen, verbarg er<br />
alles Bangen. Kühn umklammerte er den Griff seines Schwertes und das klingelnde<br />
Glöckchen, dass er dicht bei sich trug, hieß ihn nun das Schrecknis des Bösen<br />
abzuwehren.Bòkadìn, Òdorfìn, und Gòdòwin trugen Fackeln, nach dem Feind<br />
Ausschau haltend, der in nicht allzu weiter Ferne lauerte.<br />
Mit dem ersten Morgengrauen standen der Jüngling und das Zwergenheer kurz vor<br />
der Flossenfurtbrücke, die nicht weit entfernt lag <strong>von</strong> Albeons Räudenriedfeste.<br />
Viel an Weg hatten sie hinter sich gebracht bis sie letztlich die morastene Einöde<br />
Beronìens erreichten. Doch niemand war erschöpft denn der Unwille gegen die<br />
Alberiche tat ihren Kampfeswillen stärken. Um sie herum war es ungewöhnlich still,<br />
nur die Flossenfurt schnellte rauschend dahin. An beiden Seiten des Ufers versperrten<br />
Dunkbuchen der Streiter forschenden Blick. An der Uferböschung selbst,<br />
schwelte dichtes Truggarne herauf so das es den sicheren Tritt erschwerte.<br />
Es fing zu regnen an und das Heer machte Halt vor der zerrütteten Brücke. Lèfule<br />
schritt bedächtig voran, das Schwert zum Kampfe erhoben. Alsbald erreichte er<br />
unversehrt die Brückenmitte und gab dem Zwergenkönig ein Zeichen. Fàrnukk folgte<br />
ihm nur zögerlich und die anderen Zwerge taten es ihm gleich. Über ihren Köpfen<br />
sauste ein aufgeschreckter Kauz hinweg und sein mahnendes Rufen verhieß nichts<br />
Gutes.<br />
Kaum das sie am anderen Ufersaume angelangt waren, durchschnitt ein schauerliches<br />
Lärmen die Grabesstille. Unversehens stürmten die Alberichknappen und<br />
das Dûnkllheer zu beiden Seiten heran und schufen einen tosenden Kessel der den<br />
Zwergen den Rückzug verwehrt hielt. Arg war da Zwergenheims Heer in den<br />
Hinterhalt geführt.<br />
Jäh brach das Gestirn auf und ein schauriges Donnergrollen liess den düsteren<br />
Horizont erzittern. Danach schoß Hagel ins Kampfgemetzel und Blitze erleuchteten<br />
das grausige Geschehen.<br />
Die mächtige Reiterschaft Dûnkllandes trieb ihre schwarzen Rößer an und nicht<br />
wenige Zwerge, die es überraschte, fanden unter den kräftigen Hufschlägen ihren<br />
30
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
sicheren Tod. Ein Meer aus Lanzen und Speeren fiel in den Kessel mit ein und die<br />
Schleudern der unberittenen Alberiche trafen nicht wenige geschirmte Köpfe. Auch<br />
wenn viele der Zwerge den erzenen Geschoßen zu trotzen suchten, indem sie sich<br />
mit ihren Schildchen bedeckten, so zerbarsten sie doch ob der Wucht des unverhofften<br />
Aufpralles.<br />
Derweil harrte die Nachhut der Rìvner Schergen in der Ferne unterm Blätterwerk<br />
der Dunkbuchen.<br />
Tapfer schlugen sich die Zwerge, rollten flinkerhand unter den schwarzen<br />
Schlachtrößern der Ungorelben hindurch. Sprangen hinterrücks hinauf und stießen<br />
den Widersachern ihre scharfen Schwertlein ins Genicke.<br />
Rissen zu Sechst das Roß hinab und erschlugen den Reiter mit seiner eigenen<br />
Lanze. Stellten dem Fußvolk der Alberiche ein Bein und huben ihnen mit all ihrer<br />
Kraft die wuchtigen Erzenkugeln auf das unbedeckte Haupt.<br />
Doch da rannte manch ein Zwerg um sein Leben, wurde <strong>von</strong> der Brücke gestoßen<br />
und hing als zappelndes Bündel an den hölzernen Streben der altersschwachen<br />
Flossendfurtbrücke. Da suchte manch ein Zwerg das Weite und ertrank in den eisigen<br />
Schnellen der Furt. Da konnte manch ein Zwerg dem blutigen Kessel entrinnen<br />
und wurde im schützenden Böschungsgraben <strong>von</strong> einer Lanze unversehens aufgespießt.<br />
Unermüdlich kämpften Òdorfìn, Gòdòwin und Bòkadìn, die Augen wütend<br />
auf die Angreifer gerichtet und versuchten Fàrnukks Leben mit ihrem Eigenen zu<br />
schützen.<br />
Es krachten die Lanzen, es schnellten die Schleudern, es klirrten die Schwerter, es<br />
schäumten die Rößer. Da floß das Blut schneller als der Bachlauf der Furt. <strong>Das</strong><br />
Wehklagen der Gefallenen hallte als mahnendes Echo über die Ländereien<br />
Endorìns hinweg.<br />
Weitab im Reich Elgroll Unbarmes, dem Hüter der sühnenden Seelen, begannen<br />
die Wellen des Wimmernsees sich zu kräuseln und der Schluchzenchor erhob<br />
seine Klage auf alljene die ihr Leben beim Räudenried liessen.<br />
Gleich einem angefachten Feuer griff das Kriegsgewirre um sich und es strömten<br />
mehr und mehr Reiterschaften heran. Auch wenn viele Raffwesen und Dûnkler<br />
gefallen waren, so war ihre Zahl doch endlos gewesen. Und bald schon schrumpfte<br />
der Zwerge Hunderschaften auf einige Wenige die noch zähen Widerstand leisteten.<br />
In den gelichteten Reihen der Fàrnukkschar griff die traurige Gewissheit um<br />
sich, das der Feldzug ein hoffnungsloses Unterfangen gewesen war. Òdorfìn ließ<br />
sein Leben am Saum der Flossenfurt. Da stampfte ein Roß ihn nieder. Bòkadìn fiel<br />
inmitten des Schlachtfeldes. Da erwürgte ihn ein Schleuderriemen. Gòdòwin starb<br />
abseits des Getümmels durch eine Albenlanze, als er Fàrnukk zu retten suchte. Der<br />
31
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Zwergenkönig selbst war nie wieder gesehen und kein Wesen Endorìns weiß wohin<br />
es ihn verschlagen hatte.<br />
Die Nebel begannen sich alsbald zu lichten und gaben ein jammervolles Bild preis.<br />
Umringt <strong>von</strong> einigen Zwergen stand Lèfule mit erhobenem Schwert. Feindliches<br />
Blut klebte an der Klinge und rann an seinen Händen herunter. Auch er kämpfte mit<br />
großem Mut und bis zur Erschöpfung hin. Sein silberner Harnisch gebot ihm Schutz<br />
vor den Eisenschleudern der Alberiche. Sein prachtvolles Schild wehrte die<br />
Lanzenhiebe der mordlüsternen Schergen Ogeròtts ab. Lèfules Schwert tanzte wie<br />
<strong>von</strong> selbst in seiner Hand. Wann immer ein Zwerg gefallen war, schlug es kräftiger<br />
zu und zerspaltete den Feind ohne Erbarmen. Doch der Kummer erschwerte sein<br />
Herz und suchte ihn der Kampfeslust zu berauben. Wie er jedoch auf die liebgewonnenen<br />
Gefährten blickte, die unermüdlich um sich huben, fand er zurück zu frischen<br />
Kräften.<br />
Viel an Zeit war verstrichen, viel an Leben gelassen. Als plötzlich ein Hornsignal<br />
erklang das die Nachhut zum Rückzuge blies. Aus dem Wald ritt ein stattlicher<br />
Ungorelb heran, Ogeròtt der Feldherr Gàràmakks. Seinen Harnisch hielt das<br />
Banner der Avanan umschlungen und seine Rüstung glänzte glutrot im<br />
Dämmerlicht. In des Elben Riesenhand stakte das prachtvolle Schwert Harùgen,<br />
dessen Klinge so scharf war, das es selbst Stein zu spalten vermochte.<br />
Als der Scherge Dhurandòrs Lèfule erblickte, trieb er die Sporn in des Roßes<br />
Flanke und jagte dem Jüngling in gestrecktem Galopp entgegen.Dann machte er<br />
abrupt Halt und glitt behende vom Rücken des mächtigen Tieres herab. Zwei bösartig<br />
glühende Augen blitzten unter seinem Helm hervor. Augen voll gierigem Hass<br />
und der Entschlossenheit dem Jüngling ein schnelles und doch qualvolles Ende zu<br />
bereiten. Ogeròtt schickte sich sogleich an den Auserwählten zu ermorden um Gut<br />
und Lohn aus Gàràmakks Schätzerei zu erlangen.<br />
Doch des Dùnklers Bestimmung war es den heeren Zweikampf zu verlieren. Kaum<br />
das er Lèfule feindsinnig umkreiste und Harùgen über dessen Kopf niedersausen<br />
lassen wollte, auf das sein Körper durch den Schlag zerschmettert würde, wich der<br />
Jüngling blitzschnell zurück. Ogeròtt hielt eine Sekunde lang inne. Er war überrascht<br />
das er Lèfule verfehlt hatte denn Harùgen traf doch immer zielgenau. Diese<br />
eine Sekunde des Innehaltens kostete den Ungorelben sein Leben. Die Klinge<br />
Evenàrs tanzte nun wie wild um seinen Harnisch herum. Mächtig war der Schlag<br />
der die silbernen Riemen traf. Stählern die Klinge die sie durchschnitt und letztlich<br />
zerbarst mit einem lauten Krachen des Herolds Panzer und gab die Brust desselben<br />
frei. Entschlossen führte Lèfule das Schwert, die Zwerge zu rächen die ihr<br />
32
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Leben liessen bei der Flossenfurtbrücke.<br />
Bald war Ogeròtt seiner Wehr beraubt. Der Jüngling zwang mit aller Kraft den<br />
Schrecklichen darnieder und wie jener darnieder gegangen war, da bohrte sich<br />
Evenàrs eiserne Klinge tief in Ogeròttens schwarzes Herz und riß es entzwei.<br />
So richtete Lèfule Gàràmakks Landeshüter und wie die finsteren Augen desselben<br />
sich schlossen, schien es Lèfule, als gelte es noch Großes zu verrichten.<br />
Wanderung zur Räudenriedfeste<br />
Fàrnukks geschlagenes Heer machte sich gesenkten Hauptes und herrschaftslos<br />
auf zur Schmiedestatt <strong>von</strong> Evenàr. Die Schlacht war verloren und verloren war viel<br />
an Leben aus dem Mischehainvolke. Sein Schicksal war nun besiegelt. Es mußte<br />
fortziehen an einen sicheren Orte weitab <strong>von</strong> Beròniens Grenze. Es mußte seine<br />
Eichengrube verlassen die viel an Silber und Eisen in ihrem Herzen barg. So machten<br />
sich die Wenigen auf und wanderten nach Evenàr um sodann gen Mildenbüttel<br />
im Eìnantal zu ziehen. Dort hausten die wenigen Abkömmlinge ihres Geschlechtes<br />
unter dem Himmelszelt. So wie es die Helferswichtel seit Generationen taten bevor<br />
es sie in die Tiefe zwang.<br />
Indes begaben sich Lèfule und sein Fährtenweiser zu Albeons Räudenriedfeste um<br />
das Gralsgut zurück zu holen dessen Bestimmung sich noch nicht erfüllt hatte.<br />
Sònawìrs Licht war verloschen und so irrten sie Bùttrùtens Weissung folgend durch<br />
die Finsternis. Ein rechter Weg war nur schwer auszumachen im Säulenmeer<br />
Dûnkwaldens. Dicht an Dicht drängten sich die wuchtigen Strunke und ragten<br />
gewaltig in den Himmel hinauf. Gleich einem Irrgang folgte Baum auf Baume und<br />
verwehrte dem Wanderer die Sicht auf den nahenden Waldesrand. Wie die<br />
Gefährten dort wandelten hub Òrkven zu Tosen an, rauschte mahnend durch das<br />
Astgewirre und fegte eisig über ihre Häupter hinweg.<br />
Stark zerrte des Sturmherren Atem an den Wipfeln der Dunkbuchen so das rings<br />
um die Gefährten her, ein Blätterregen hinabrauschte. Lèfule zog seinen Umhang<br />
fester um den frostigen Leibe um sich vor der Sturmgewalt zu schützen.Vom<br />
Feldzug ausgezehrt, vom Schrecken geplagt kamen sie nur mühsam voran.Doch<br />
abermals war ihnen Schutz zuteil, der dem lichten Sylfìen Lugtann entsprang. Die<br />
Nurnìn liessen das Fatumschiffchen tanzen und flochten geleitendes Garne in des<br />
Jünglings Schicksalsteppich mit ein. Sodann schwindete Òrkvens Kraft und befriedet<br />
zog jener <strong>von</strong> Dannen.<br />
33
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Alsbald lichteten sich die Bäume und sie gelangten zum Waldesrand. Vor ihnen lag<br />
ein Tal das im schattigen Dämmerlicht den Blick auf die schwarzen Mauern einer<br />
Burg preisgab. Sie waren bei der Räudenriedfeste angelangt und jene war umgeben<br />
<strong>von</strong> den übelriechenden, glucksenden Wassern des Quaddenweihers.<br />
<strong>Das</strong> uralte Gemäuer war <strong>von</strong> Schwarzmoos bewachsen und <strong>von</strong> Schattenflechten<br />
umrankt. Die zu allen Seiten welk vom Stein herabhingen. Zum bewachten Tore hin<br />
führte die uralte Räudenbrück. Diese war umhüllt <strong>von</strong> Trügerschwelen dem: „ Fürs<br />
Auge des Gehers dichten und fürs Auge des Spähers lichten“- Nebelgarn<br />
Beronìens. Zwei Türme erwuchsen dem Grund und ragten hoch ins abendliche<br />
Gestirn hinauf. Um sie herum flogen unablässig Rùdruìn und seine Paladine, nach<br />
dem Eindringling Ausschau haltend, der Ogeròtts Harùghieben entkommen war.<br />
Die Feste wurde auch „die Schauerhafte“ genannt, denn niemand der sie je betreten<br />
hatte kam unversehrt wieder heraus. In den Untergewölben reihten sich die<br />
Verliese aneinander und viele ehrbare und weniger ehrbare Endorìaner fanden dort<br />
unter quälender Folter ihren sicheren Tod.<br />
Manch einer wollte da eine schlimme Tat rächen. Denn oftmalig fielen die Alberiche<br />
über Dörfer und Städte her um Hab und Gut der unbescholtenen Bürger zu plündern.<br />
Manch einer wollte sein Gute zurück, das Albeon beim Handel arglistig<br />
ertauschte. Und so manch unbescholtener Wandersgeselle, der sein Abenteuer<br />
suchte, war im Säulenwalde aufgelesen und fand unverhofft sein jähes Ende.<br />
Im Fürstenturm<br />
Lèfule und Fìndegìl hielten sich geduckt und harrten im Schutz des Unterholzes<br />
aus, bis die kreischenden Späher zur Ruhe gekommen waren und sich im Turmesinneren<br />
nieder liessen. Dann zückte der Jüngling sein Schwert und schlich mit dem<br />
Helferswichtel zum Rand des Quaddenweihers.<br />
Ungesehen durchstakten sie die niederen Wasser und hielten horchend inne, wenn<br />
dann und wann ein Falgtöllpler zu Krächzen anhub. Es schien als ob niemand ihre<br />
Gegenwart bemerkte. Derhalben schwangen sie sich lautlos auf die Brücke und<br />
schritten verhalten dem Tore entgegen. Doch sie waren nicht weit gekommen als<br />
plötzlich eine rauhe Stimme im schwelenden Dunkel erklang. Guin und Gampìl, die<br />
Festenwacht, saß beim Tor im Fackelscheine leerte Methumpen um Methumpen<br />
und hub ihre Krüge auf die ruhmreiche Bezwingung des Zwergenheeres. Doch alsbald<br />
vernahm ihr waches Ohr Tritte, die <strong>von</strong> der knarrenden Räudenbrücke kamen<br />
und so sprangen sie auf und hielten die Fackeln suchend in die Finsternis.<br />
34
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Da zückte Fìndegìl Bùttrùten und beschwor den Blendezauber bis die Spitze der<br />
Rute zu leuchten begann als wäre sie aus purem Golde. Danach huschte er flink an<br />
den Wächtern vorüber und entschwand im nahen Gebüsch.<br />
Die Räudenwacht war <strong>von</strong> einfachem Schlag. Raffgierig bis ins innerste Mark und<br />
süßem Met erheblich zugeneigt. Nun, da ihr Verstand vom Gerstensaft getrübt war<br />
konnten sie faulen Zauber nicht durchschauen. Da half ein wenig Gefunkel und sie<br />
stoben wie die Elstern da<strong>von</strong>. Der Blendezauber entfaltete seine Macht und die<br />
törichten Trunkbolde stürzten dem lockenden Glanz, in der Hoffnung es sei ein<br />
Wandersgesell kleinerer Gattung der Goldstücke mit sich führte, nach. Lèfule indes<br />
war zum Tor geschritten und entwich durch einen Spalt in den finsteren Innenhof.<br />
Schatten, in schwarze Gewänder gehüllt, drängten über grobes Holzwerk auf und<br />
ab, daß die schartigen Mauern der Burg <strong>von</strong> innen her säumte.<br />
Scharf waren der Höfer Augen, die aus den Tiefen ihrer Kappen funkelten den<br />
Schleier der Nacht zu durchforsten. Achtsam war ihr Tritt wie sie beiläufig über den<br />
Hofe eilten. Der Jüngling verharrte unter einer der Steigen und er tat gut daran.<br />
Albeons Wacht war in ihrer Raffgier bestechlich und doch war sie im gleichen Maße<br />
eine unverkennbare Gefahr für jeden, der sich ungesehen in die Festung schlich.<br />
Ab und an näherten sich die düsteren Gestalten und Lèfule erspähte mit wachsendem<br />
Unbehagen die markigen Hände, die allseits bereit, spitze Dolche hielten.<br />
Dieser Anblick liess ihn erschauern denn es dämmerte ihm, dass jene geschliffenen<br />
Klingen mit einem unerwünschten Fremdling keine Gnade kannten. Allenfalls<br />
die Gnade eines geschwinden Todes.<br />
So verharrte er dicht an einen Balken gedrängt bis die dritte Wacht vorübergeschritten<br />
war. Dann löste er sich aus dem Dunkel und lief so schnell ihn seine Beine trugen<br />
hinüber zur zweiten Turmespforte. Dort angelangt presste er sich mit aller<br />
Leibeskraft gegen das schwere Holz bis jenes den Weg freigab.<br />
Kaum das er im Inneren des Turmes war befielen Lèfule arge Zweifel, ob er den<br />
Richtigen erwählt hatte. Er verwarf diesen Gedanken jedoch wieder und versuchte<br />
auf sein Glück zu vertrauen. So beschritt er die vielhundert Steige auf der Suche<br />
nach Albeons Gemach. Stufe um Stufe hatte er überwunden, steil führte der<br />
Anstieg zur Turmspitze herauf. Kalt pfiff der Wind durch die Gauben, so das manch<br />
eine der Fackeln, die den Weg säumte, unversehens erlosch. Noch immer hielt<br />
Lèfules Hand das Schwert umschlossen. Mut und Angst erfüllten gleichermaßen<br />
sein glühendes Herz. Geriet er in die Fänge der Alberich stünde es schlecht um<br />
Leib und Leben.<br />
Höher und höher führten ihn die Stiegen. Zzweihundert an der Zahl hatte er erklommen<br />
und zusehends schwanden seine Kräfte. Keuchend sank er auf der steinernen<br />
35
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Treppe ins sich zusammen und eine bleierne Müdigkeit übermannte ihn. Seine<br />
Glieder waren steifgefroren. Seine Füße wund und <strong>von</strong> Schwielen übersaät. An seinen<br />
Händen klebte Ogeròttens schwarzes Blut.<br />
Aufeinmal durchzuckte ihn ein schneidender Schmerz und er gewahr den Wunden<br />
der Geschoße die ihn selbst gestreift hatten im wilden Schlachtgetümmel. Vor seinen<br />
Augen tauchten die Schreckensbilder unversehens wieder auf: Der Marsch gen<br />
Beronìen; der unverhoffte Angriff und das geschlagene Zwergenheer. Der Mut verließ<br />
ihn und er sehnte sich nach Ruhe. Nach einer moosenen Lagerstatt und<br />
süßem Harfenspiel unter einem befriedeten Himmelszelt.<br />
Wie er an Fìnua dachte war es ihm, als höre er ganz deutlich jenes sehnsuchtsvolle<br />
Klingen direkt an seinem Ohr. Er blickte um sich und ganz plötzlich schwang sich<br />
ein weißes Täublein auf das Gesimse und ließ sich anschließend in Lèfules Schoß<br />
nieder.<br />
<strong>Das</strong> Täublein war Tròna der Nurnìnen Botin aus dem lichten Sylfìen Lugtann. Sanft<br />
blickten ihre Äuglein Lèfule an und gleich einem zarten Klingen entfuhr ein leises<br />
Gurren ihrer Kehle. Dann flatterte sie lautlos empor und hieß dem Jüngling ihr zu<br />
folgen. Ein wenig Hoffnung keimte da in seinem Inneren auf. Auf den Griff seines<br />
Schwertes gestützt hievte er sich mit letzter Mühe hoch und folgte gebeugt dem<br />
Echo der sanften Schwingen. Es schien ihm als brächte das Täublein ihn zum rechten<br />
Ort.<br />
Gleich einer Spirale wand sich die Steige durch den Turm. Lèfule schleppte sich<br />
voran und seine Finger gruben sich <strong>von</strong> Stufe zu Stufe fester in die eiskalte<br />
Turmmauer. Sein Körper brannte und seine Lider wurden schwer. Wie ein Blinder<br />
zwang er sich voran und endlos erschien im die Zeit in der er den Turm zu erklimmen<br />
versuchte. Schließlich erreichte er, gekrümmt vor Erschöpfung, das oberste<br />
Geschoß Lèfule griff nach der letzten Fackel und leuchtete in die Dunkelheit hinein.<br />
Vor ihm war eine Pforte die mit einem Herrschaftssiegel verziert war. Da wußte er,<br />
das seine Hoffnung rechtbehalten hatte. Er war bei Albeons Stätte angelangt. Und<br />
diese Gewißheit liess neue Kraft in ihm erstarken.<br />
Er öffnete die schwere Tür und betrat das Gelaß. Sowie er sich umblickte erschollen<br />
unversehens Stimmen und Hufgeklapper vom Innenhof her. Der Fürst und seine<br />
Dienerschaft waren vom Schlachtfeld heimgekehrt.<br />
Lèfule blickte eilends um sich und wußte nicht recht wohin er seinen suchenden<br />
Blick richten sollte. Da flog Tròna auf eine Eichentruhe, die sich am Fuße der mit<br />
Bärenfellen ausgelegten Lagerstatt Albeons befand. Lèfule trat sachte an die Truhe<br />
heran. Sie war mit einem schweren Eisenschloss verriegelt. Zwei Aaren deren<br />
Krallen einen Ring formten hielten das mächtige Schloss umschlossen. In dem Ring<br />
36
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
stakte ein Keil der eine halbe Elle lang war und bis zum Boden hin reichte.<br />
Lèfule schritt zur Truhe und hub mit dem Schwert darauf ein. Doch wie Evenàrs<br />
Klinge auf den Keil traf, begann es in den Augen der Aaren zu funkeln.Mit bloßen<br />
Händen versuchte er nun den Zauberpflock zu lösen. Aber die Aaren neigten ihre<br />
Köpfe bis ihre Mäuler den Keil erreicht hatten. Dann hakten sich die scharfen<br />
Schlunde an dem Eisen fest. Wie sehr der Jüngling sich auch mühte, wie sehr er<br />
auch zerrte und stanzte, keine Macht hätte es vermocht des Fürsten Truhe zu öffnen.<br />
Lèfule setzte alles daran den dunklen Zauber zu bannen, bald jedoch schmerzten<br />
seine Hände so stark das er schließlich <strong>von</strong> seinem Unterfangen abließ. Entmutigt<br />
sank er nieder und spürte unversehens eine rythmisch aufeinanderfolgende<br />
Erschütterung des Bodens. Etwas näherte sich... .<br />
Da flog das Täublein auf seine Schulter und ließ einen glimmenden Span in seine<br />
rechte Hand fallen. Der Span barg in sich Anèlors Flamme, einem Haar aus der<br />
Mähne des Sonnendrachen. Wie er den Span an die Schließe hielt, gaben die<br />
Aaren, den Ring frei denn zu mächtig war der Urazauber. Sodann löste sich der<br />
Riegel knarrend und der eiserne Pflock zerbarst in tausend Stücke.<br />
Lèfule fand in der Truhe das Linnensäcklein, das man ihm dereinst geraubt hatte.<br />
Und als er das Linnensäcklein öffnete lagen dort unversehrt Vììlanìk der<br />
Zauberstein und Aìnuk die Heilerwurzel.<br />
Der Jüngling barg hastig die Gaben aus den Caladgralen. Doch als er zurück zur<br />
Pforte schritt um schleunigst zu verschwinden, gewahr er schwerer Tritte und einer<br />
Vielzahl an Stimmen auf dem steinernen Flur. Albeon kam vom Festmahl zum<br />
Gelaß heraufgeschritten. Etwas mahnte ihn nach dem Rechten zu schauen, da der<br />
Feind entkommen war. Und Recht behalten sollte sein listiges Gemüt.<br />
Lèfule indes wich <strong>von</strong> der Pforte zurück und Angst verursachte ihm Schauer und<br />
Fieber. Da flog das Täublein abermals auf und wies mit dem Köpfchen zur<br />
Eichentruhe. Dort entdeckte er wie <strong>von</strong> Zauberhand einen samtenen Umhang:<br />
Naglafòr, das Gralsgut der Alberiche. Wer diesen Pelerin an sich trug blieb selbst<br />
den Augen eines Riesengreifs verborgen. Albeon diente das Gewand bei seinen<br />
schmählichen Hehlereien. So blieb er wohlbehalten wenn er und seine Schergen<br />
ihrem räuberischen Handwerk fröhnten.<br />
Lèfule warf den Umhang über sich und gerade in diesem Augenblick beschritten<br />
der Alberichfürst und seine Gesellen das Gelaß. Als die schrecklichen Augen<br />
begannen jeden Winkel der Statt zu durchkämmen war der Jüngling bereits die<br />
Stufen, so schnell ihn seine matten Füße trugen, hinabgeeilt. Von Draußen her<br />
37
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
erscholl das Kreischen der Späher, die ein Unheil ahnten. Von Drinnen heraus<br />
erscholl ein wehklagendes Geheul denn Guin und Gampìl wurden flinkerhand für<br />
ihr einfältiges Vergehen geahndet.<br />
Albeon selbst war scheußlich hinters Licht geführt worden. Er haderte und tobte. Da<br />
wußte er nicht wie schrecklich es um ihn stand. Denn Gàràmakk fühlte sich vom<br />
Fürsten Beronìens betrogen. Man erzählte demselben wie arglistig und unehrbar<br />
jener gewesen war und die Avanan witterten heimtückischen Verrat: Ogeròtt war<br />
tot; das Ungorheer geschrumpft; der Auserwählte wohlauf an Leib und Leben; das<br />
Gralsgut zurückerobert. Dies schienen Gàràmakk bedeutsame Unterpfande für<br />
Albeons teuren Betrug. Derselbe sollte ein schlimmes Ende finden, in den<br />
Folterkammern <strong>von</strong> Emyth Dorhàn, den grauenvollen Verliesen der Avananfeste.<br />
Drudenthing auf dem Schutterbühl<br />
In den durchwachsenen Tiefen des Dakbundelhorst tummelte sich allerlei verdarbtes<br />
Hexenvolk, das hoch im Astwerk der Knorrborktannen siedelte. Im dämmernden<br />
Zwielicht krochen sie <strong>von</strong> den Wipfeln herab und auf ihren krummen Rücken trugen<br />
sie Tiegel; Schöpfkellen; Kelche und Säcke die mit allerlei Zaubergehölz gefüllt<br />
waren. Hutzelige Gestalten humpelten über den wuchernden Waldesgrund und<br />
strömten vielerorts aus dem unwegsamen Dickicht zum heiligen Schutterbühl. Dem<br />
Versammlungsplatz der schwarzen Druden.<br />
Der Schutterbühl lag inmitten des Tannicht und war ein Hügel der <strong>von</strong> wilder<br />
Nadelrinde gesäumt war. Flechten zogen sich beidseitig zur Bühlspitze hinauf. Dort,<br />
wo viele Zauberfeuer den Boden geschwärzt hatten und die Luft durchwalgt war<br />
<strong>von</strong> Ruß und einem eigentümlichen Gestank.<br />
Einmal im Jahr, wenn die Winterstürme über das Land hinweg brausten und gewaltige<br />
Blitze die Feuer entfachten, trafen sich die leidigen Hexen und huldigten dem<br />
Schattenvater Dhurandòrs. Oftmals boten sie Dûnkelrìven dabei ihre Dienste an<br />
und vielmalig waren diese wirkungsvoller als jede gewonnene Schlacht. Denn<br />
Hexenzauber ist wie eine Schlinge, die sich verstohlen ausgelegt im rechten<br />
Moment zusammenzog. Für die Avanan war die Zeit gekommen den Drudenrath zu<br />
befragen und der Mond stand günstig für tückisches Hexenwerk.<br />
Ganz Dakbundel war auf den Beinen. Es herrschte ein reges Getümmel. Alles<br />
drängte zur Thingstätte hin die im Herzen des Waldes lag.<br />
Bucklige Wesen huschten emsig hin und her: die Feuer zu schüren; die Tiegel zu<br />
erhitzen; die Wurzeln zu schroten. Modertrolle stapften <strong>von</strong> Dannen Wasser herbei-<br />
38
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
zuschaffen das sie aus dem trüben Naß des Trugtümpels schöpften.<br />
Als die Feuer geschürt; die Tiegel erhitzt; die Wurzeln gemahlen waren; die Wasser<br />
brodelten und spuckten; kehrte Ruhe ein auf dem Schutterbühl. Ravnìk, die oberste<br />
Seherin des Drudenreiches, trat hervor und schritt gebeugt, wie es Hexen einst<br />
taten, zum Hohefeuer das auf der Bühlspitze loderte.<br />
Ihr Flickenumhang flatterte im zerrenden Wind und das verwehte Haar offenbarte<br />
ihr scheußliches Anlitz das <strong>von</strong> Pocken und Narben bedeckt war. So gräßlich wie<br />
ihre Gestalt so garstig war ihr Wesen. Die Seherin galt als verschlagenes Weib dessen<br />
Inneres <strong>von</strong> Raffgier und Boshaftigkeit zerfressen war. Ravnìk starrte in den<br />
eisernen Tiegel und beschwor die Zauberwasser preiszugeben was Dûnkelrìven<br />
begehrte:<br />
„ Il agdarèn, ìl tebìn. Il vanàr, kràtokk nìg sèffìn.<br />
Retkìs, algrìs ù tànnan. Selgùr hevìtt Rìvellàn.<br />
Tùva Fèlras tì hagùl. Olnùk gràva Drudìs Buhl.<br />
Àlvnìg yhdàk, kùrkìs Èwe. Hevìtt quèga ùtìs Lève.<br />
Ù Idàl tìs Trollìnga. Ò evìk margìs mordèma.<br />
Igràl ùkven, gundràl vakìs. Quèga ìs Aràngà sakrìs.<br />
Igràl Dùnklla àkovìsen. Wàvàn tùrso Dàklla Rìven.<br />
Seherschwelen ziehet auf, sagt was Euer Aug erblickt. Offenbart dem<br />
Hexentannicht, welch Botschaft Rivenlande schickt. Oh, Ihr Mächte tuet kund, eint<br />
Euch auf dem Schutterbühl. Gesellt Euch hin zum Drudenrath, sagt welch Begehr<br />
Euch zu uns führt.<br />
Einst schwor Ràvnìk ewige Treue, dem selg‘en Zaubrer Vàdànakkes.Dem die elend<br />
Uraelben, nach dem Leben bald getrachtet. Da fielen ein in Trollingen Idànìsens<br />
Schützenhorden. Den edlen Herrn der Avanan mit garstiger Tücke zu ermorden.<br />
Nun ist der Dunkler Zeit gekommen, den Gewesenen zu rächen. Und die Macht der<br />
Wavan Frevler denn auf immerdar zu brechen.<br />
Als Ravnìk die Brombeerwurzeln in die Wasser mischte, erschütterte ein Beben den<br />
Schutterbühl und krachend zog vom Norden her ein mächtiges Gewitter heran.<br />
Alsdenn blickte sie in den schwarzen Tiegel und jener verhieß ihrem unsichtbaren<br />
dritten Auge was sich zugetragen hatte. Dûnkelrìven sandte ihr die Zeichen das<br />
Gàràmakks Pläne zu scheitern drohten. Jener war auf ihren listigen Rat angewiesen.<br />
<strong>Das</strong> alte Weib erschauderte vor Abscheu als sie das Bild eines Jünglings im<br />
Wasserspiegel sah, den die weißen Nurnìn als Heilsbringer auserwählt hatten:<br />
„ Utìs okrìd vay Lèfùle. Vanàr turdàl eìlawùre.<br />
39
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Igràl ìs Urdìla paàgna. Sylfè Lùgtann ìkem ràfna.<br />
Vaylà tùrso kràvàtokk. Tìha feljèn Ìsaglokk.<br />
Ù mìnnàme òt gàtùva. Ù Lefùl òdra Fìnùa.<br />
Margìs, bùndra uthèn Drìse! Ùkayàkìs trùdìk Fìnìe.<br />
ùtìs Akìn Stenìgshìve tì à Lèfùle mordìse!“<br />
Hütet Euch denn Lèfulaìse, der da stolz umhergeblickt. Den Urdìnen auserwählt,<br />
den da Schicksalstann geschickt. Unheil droht dem Menschensohne, der da kam<br />
aus Igrìmlore. Der da ging nach Zwergenheim, Fàrnukks Not sich zu erbarmen.Den<br />
im regen Schlachtgetümmel zarte Minne tat umgarnen. Noch immer harret Akìnan,<br />
dereinst Hüter lichter Grale. Wittert Lèfulaìses Fährte, wird dem Jüngling bald zur<br />
Plage. Rìvner, tut Euch eiligst einen mit den Steinbruchshöher Riesen. Geraubt sei<br />
denn das Zwergenweib, schafft Fìnua zu Bùgdrìsen. Lockt den unbedachten Feind<br />
durch den Raub nach Steinbruchshorten. Aus dem dunklen Hinterhalt sollt Akìnan<br />
ihn denn ermorden.<br />
Die Dakbundhorster hatten still verharrt, bis Ravnìk die letzte Formel gesprochen<br />
hatte. Dann griffen sie nach den Holzscheiten, zogen sie aus den Feuern und<br />
hoben sie jubelnd empor.<br />
Die Seherin fuhr mit der Hand durch die kochenden Zauberwasser und warf allerlei<br />
Gewürze hinein, bis das Gebräu blutrot gemischt war. Danach schöpfte sie das<br />
geheime Wurzelblut in einen Krug und warf eine Botenrune hinzu. Schließlich wies<br />
sie Wargìs, Dakbundels Schnellfußgesandten, an die Botschaft nach Dûnkelrìven<br />
zu tragen. So machte sich der riesige Grauwolf, den Krug im Maule eilend auf den<br />
Weg, denn Gàràmakk wartete schon voller Ungeduld. Doch lang hat sein Warten<br />
nicht gewährt, denn mit der Morgendämmerung erschien der Warge auf der eisernen<br />
Zackenbrücke der Höllhagfeste.<br />
Raub der neunten Fàrnukktochter<br />
In Zwergenheim, offenbarte das fahle Sonnenlicht einen verwüsteten Mischehain,<br />
eine verschüttete Grube und ein niedergebranntes Evenàr. Die Bäume waren<br />
umgestürz. Die Wasser des Schmiedbächleins führten allerlei verzweifelte Wehr<br />
und floßen als ein rotes Rinnsal, trostlos <strong>von</strong>dannen. Der Zwergen Häuser waren<br />
zertrümmert. Hab und Gut geplündert.<br />
Rauch schwelte dort wo einst der dumpfe Klang der Hämmer erscholl. Stille umgab<br />
den Platz wo die Gesänge erklangen. Blut durchtränkte den Grund wo einst der<br />
Honigwein geflossen war. Ausgerottet war alles friedfertige Schaffen und Sein. Über<br />
40
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
dem einst so blühenden Zwergendorf webte der unheilvolle Hauch <strong>von</strong> Tod und<br />
Vergeltung.<br />
Es trug sich mit dem ersten Abendstern zu das Khùrodal und Haldùrik, Bùgdris<br />
Ygdonknappen, aus Dàrvenhohe gekommen und über den Mischehain hergefallen<br />
waren. <strong>Das</strong> Beben ihres Schrittes hatte die wenigen Zwerge aus den Häuschen<br />
getrieben.<br />
Ygdonriesen waren aus groben Felsgestein beschaffen und wurden dereinst vom<br />
bösen Rìvner Vàdànakk, dem Gàràmakk zu Zeiten der Lichterkriege treue ergeben<br />
war, gemeißelt und beseelt. Sie hausten im nördlichen Spaltergebirge in der Ebene<br />
<strong>von</strong> Gràn-Dhûr und pflegten in den Tiefen des gewaltigen Grandhìsberges ihre<br />
Heimstatt. Ygdonier waren gräßliche Wesen, die einzig erschaffen wurden um<br />
Schrecknis zu verbreiten. Sie waren auch als Wurfriesen bekannt, da es ihnen innewohnte<br />
sich im Streite mit Felsbrocken zu bewerfen. Sie waren Meister darin<br />
Unfriede u nd Aufruhr zu stiften und jener der sie aussandte mußte ein äußerst<br />
böser Schurke gewesen sein.Es war Gàràmakk selbst gewesen der nach Ravnìks<br />
Weissung die Bruderschaft mit Bugdris, dem König der Ygdonier, eingegangen war<br />
und ihm viel an Gold und Edelsteinen gegeben hatte. Kaum das er die hölzerne<br />
Rune des Drudenrathes entschlüsselt hatte, sandte er Krafadùn zu Bugdrìsfeste<br />
und bald horteten Dûnkelrìvens Schätzer Kiste um Kiste reinen Goldes so wie es<br />
Bugdris verlangte.<br />
Jener König schickte sodann seine furchtbarsten Knappen gen Zwergenheim, die<br />
neunte Tochter des Fàrnukk zu suchen und nach Dàrvenhohe zu bringen. So wie<br />
es der düstere Pakt vorsah. Die Fàrnukkwichtel waren abermals vom Unheil überrascht.<br />
Kaum gerüstet suchten die letzten Mannen ihre Heimat zu verteidigen und<br />
fochten um Gut und Leben. Doch Riesen waren allzu groß für diese kleinen Leute<br />
und ohne die schützende Kraft ihres Gralsgutes in windeseile bezwungen. Zu<br />
mächtig waren der Riesen Tritte; zu wuchtig ihre Hände; zu stumpf und böswillig ihr<br />
Geist.<br />
Khùrodals Finger gruben sich durch die Büsche und zerquetschten alles was dort<br />
um Schutz ringend hockte. Haldùriks Hand zerschlug die Dächlein und durchwühlte<br />
die Stätten um zu schauen was sich darin befand. Die Augen der Knappen glotzten<br />
furchterregend umher um die schöne Fìnua im Gewimmel auszumachen.<br />
Nachdem viel Leben zerquetscht und viele Häuser zerschlagen waren, fanden sie<br />
schließlich das arme Zwergenweib hockend unter Evenàrs Herrschaftswurzel.<br />
Khùrodal hob sie wie eine Feder auf, legte sie auf seine Hand und schloss die<br />
Finger. Fìnua selbst wehrte sich soweit ihre Kräfte es zuließen. Sie trommelte mit<br />
den Fäustchen gegen die wuchtigen Glieder aus Stein. Sie fiel in die Handfläche<br />
41
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
zurück, rappelte sich <strong>von</strong> Neuem auf und blickte durch die Ritzen zum letzten Mal<br />
auf den rauchschwelenden Mischehain. Voller Gram fasste sie sich an ihr kleines<br />
und doch so großes Herz wie sie tief unter sich die gelichteten Wipfel ihrer Heimat<br />
vorbeiziehen sah. So ergab sie sich schließlich ihrem grauenvollen Schicksal und<br />
kauerte sich in dem Käfig zusammen aus dem es kein Entrinnen gab. Sodann stapften<br />
die Ygdonier zurück ins Spaltergebirge und Zwergenheim war der Ödnis preisgegeben.<br />
Derweilen setzte das Mischehainvolk über ins lichte Halwenìr und wurde <strong>von</strong> Elral,<br />
der Uraseelen Hüterin, empfangen. An jenem wundersamen Ort herrschte immerwährender<br />
Friede und der Zwergen Geister liessen sich nieder, die Leiden ihres<br />
geendigten <strong>Das</strong>eins zu vergessen. Seither war kaum ein Fàrnukkwichtel in Endorìn<br />
je wieder gesehen. <strong>Das</strong> kleine Volk im Eìnantal, das aus diesem Geschlechte übrigblieb,<br />
weilte fortan im Verborgenen. Und wagte es, der Überlieferung nach, nie wieder<br />
ins Licht hinauszutreten. So lebten seine Nachkommen in Abgeschiedenheit.<br />
Tief unter der Erde, in den Silbermienen des Büttelberges.<br />
Hoherat im Hause Erìndals<br />
Im fernen Elwenas Irdaìne, nahe der Flüsterfälle lag Mìrìth Gìlad die Stadt der<br />
Uraelben. Diese Stätte war der lichteste Ort Endorìns und nur Wenigen war das<br />
Glück beschienen sie zu erblicken. Hier war der Friede allgegenwärtig und keine<br />
düstere Macht hatte je die Grenzen überschritten. So stark war die Kraft des alterslosen<br />
Volkes, das auserwählt war Asarangs Wavanweisen vom Anbeginn der<br />
Jahrtausende dienlich zur Hand zu gehen.<br />
Die Lichteren waren ein friedliches Volk, dem eine besondere Gabe für prächtige<br />
Kunst innewohnte. Sie sangen die Schönsten aller Weisen mit glockenkarer<br />
Stimme. Sobald der Sonnendrachen dem Horizont entwich und die Holzfeuer entzündet<br />
waren, hallte ihr Klang über die Berge und Täler hinfort und jener dem die<br />
Gabe zuteil war, die Lieder zu erlauschen, vergaß Kummer und Not um sich her.<br />
Tief unten im Daìntal, im Hause Erìndals dem Elbenkönig, saßen Aldraìs der erste<br />
Bogenschütze und Idanìs der Rechthüter und hielten Rat.<br />
Schatten hatten sich ihres Gemütes bemächtigt denn Asarangs Hochstand hielt<br />
sich lang schon bedeckt und sandte keine Zeichen hin nach Gìladstadt. Eine<br />
schlimme Ahnung keimte da in Idanìs Herzen auf. Es schien ihm als wenn der<br />
Horizont sich verdunkeln täte. Als wenn ein trügerischer Schleier über der<br />
Hochzauberer Gwydionhaine schwelte. Als wenn Dûnkelrìven zu neuen Kräften<br />
42
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
gekommen wäre und die Zeit nahte in der es galt der Avanan Macht abermals zu<br />
bannen.<br />
Unversehens walgten große Schatten heran und Dùnedìl, der Gesandte<br />
Ardenwìns, kam mit mächtigen Schwingschlage herabgeeilt.Dùnedìl enstammte<br />
dem Geschlecht der Riesengreife, die die Gebirgsketten Endorìns beherrschten<br />
und auf Oàrghànd, dem höchsten aller Berge ihre Heimstatt pflegten.<br />
Der mächtige Greif liess sich auf dem Altan <strong>von</strong> Erìndals Herrschaftskaste nieder.<br />
Sowie er die Schwingen gerichtet hatte, verneigte er sich tief und fing eigentümlich<br />
zu schnarren an:<br />
„Gruß Euch, edle Lichtgestalten. Segen dem Weisen Erìndal. Ich bin gekommen<br />
mich hinzu gesellen zu der Lichteren Hoherat. Der Greifer König Ardenwìn auf der<br />
Spitze bei Gìlandhòrten, hat da erspäht im Dämmerlicht der Avanan Cuivethhorden.<br />
Böses hat da sein Ohr erlauscht als sich die Krähen ihm genähert. Im Hochstande<br />
webt der Zauber Rìvens, der den Blick der Meister verklärt.<br />
Gàràmakk hat sich aufgemacht Endorin an sich zu binden. Sich an jenen zu<br />
rächen die Ihm einst raubten die Macht. Unsere Zeit beginnt zu entschwinden. Bald<br />
sollt geendigt sein Adawanens Geschick, denn Rìvenland lässt ihn morden.<br />
Gerichtet sollt sein der Hochgutsweis der den Rìvner verbannte vom Gwydionhain.<br />
Mit dem Tode des unguten Vàdànakk ward der Dunkler zum Fürsten geworden.<br />
Vieles tat sich ereignen nun, viel an Leides ist geschehen. Fàrnukks Schahren sind<br />
auf immer fort. Elend tats ihnen ergehen. Eine edle dennoch verlorene Schlacht tat<br />
zehren an ihren Kräften. Da überfielen Ygdonier den Mischehain, nach des Rìvners<br />
Weissung brachten sie Pein, den Tod Ogeròttens zu rächen. Die bösen Mächte<br />
einen sich Endorìen ins Dunkel zu stürzen. Rìvens Schatten sind ausgezogen,<br />
Gutes und Lichtes zu würgen.<br />
Doch jäh glimmt ein Licht in der Dunkelheit, gibt Hoffnung in dieser düsteren Zeit.<br />
Ein Jüngling wurde ausgesandt die Lichterland zu wahren. In seinen Adern fließt<br />
Bartubs Blut, der einst trotzte allen Gefahren. Er ist nicht weit <strong>von</strong> Mìrìth Gìlad, er<br />
irrt mit seinem Gefährt. F`nua zu suchen, die da wurde geraubt entschlossen führt<br />
er das Schwert. Auf seinen Schultern ruht die Bestimmung das Unglück abzuwenden.<br />
Suchet den Andrìr und führet ihn her, er gehe uns sicher zu Händen.„<br />
Als Idanìs dies vernommen hatte zögerte er nicht lang. Sogleich wies er einen<br />
Knappen an den Elbenkönig zu unterrichten, wie es um die Lichterlande stand. Sein<br />
Herz hatte ihn nicht getäuscht wie ihn düstere Gedanken plagten.Doch da gab es<br />
keine Zeit zu hadern, die lichte Welt mußte Dûnkelrìven am Wiedererstarken hindern.<br />
43
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Obschon die Elben ein gütiges Volk gewesen sind, so waren sie doch ein kämpferisches<br />
Geschlecht, das viele tausend Jahre lang allem Bösen getrotzt hatte. Wann<br />
immer Schatten aufzogen, zogen sie in die Schlacht um jene die sie aussandten zu<br />
vertreiben. Nun war es abermals an der Zeit die Bògner, das elbische<br />
Schützenheer, zu rüsten. Sodann sandte des Hochstands Rechtshüter den Eilboten<br />
Ilìgan ins Gwydiontale auf das Adawans unglücksseliges Schicksal abzugewendet<br />
werde. Aldraìs, Daìntals flinkester Schütze, wurde ausgesandt Lèfule in den<br />
Wäldern die die Flüsterfälle umrahmten zu suchen und nach Mìrìth Gìlad zu geleiten.<br />
Alle Hoffnung ruhte auf dem unbedarften Menschensohn in dessen Hand nun<br />
Endorìns ungewisses Schicksal lag.<br />
Esragùls Heimkehr<br />
Zu jener Zeit begab es sich das Esragùl der Gütige beim Silberberg angelangt war.<br />
Weit war er gereist denn Jahr um Jahr zog er aus zu schauen ob Licht und Schatten<br />
im Ebenmaße wirkten. Da ritt er auf seinem Argùlendrachen am Horizont dahin und<br />
vielmalig liess er sich in Städtlein und Dörfchen nieder um den geplagten<br />
Caladwesen helfend zur Hand zu gehen.<br />
Der alte Zauberer war Adawans Meister und sein engster Vertrauter zugleich. Lang<br />
schon gebot er dem Wavan Beistand und Rat in schweren Zeiten. Esragùls <strong>Das</strong>ein<br />
währte viele tausend Jahre und seine Weisheit war den Wavan dienlich bei so<br />
manch argem Verhängnis in der langen Geschichte der alten Welt.<br />
Doch nun war die Zeit gekommen die den Gütigen selbst ratlos stimmte. Vernahm<br />
er doch ein böses Flüstern im Wind, als er Endorìns Gestirn umritt: Da drang an<br />
sein Ohr das Echo einer greulichen Schlacht wie er Beronìen streifte. Da sah er<br />
Feuer und Blitze im Dunkel des Drudenwalds erglimmen. Da spürte er ein mächtiges<br />
Beben wie er sich Zwergenheim genähert hatte. Und über Dûnkelrìven kreisten<br />
Späher, die gleich einer schwarzen Wolke gen Asarang zogen. Die Sorge war es<br />
die Esragùl mahnte unverzüglich zurückzukehren.<br />
Ein düsteres Ahnen ergriff ihn, wie er Cèragon zur Eile antrieb. Und jener feurig rote<br />
Drache jagte so schnell wie er es nur vermochte am weiten Himmelszelt entlang:<br />
die Schwingen schlagend; die Nüstern blähend; die Klauen streckend. Esragùl hielt<br />
die Zügel straff und lehnte sich gegen den Wind der schneidig in sein Anlitz peitschte.<br />
Zerzaust und durchfroren landeten sie schließlich auf Andulìns schneebedeckter<br />
Kuppel, die majestätisch ins Abendlicht hinauf ragte.<br />
Der Gütige glitt erschöpft vom schuppigem Leib seines Argùlendrachen hinab und<br />
44
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
ließ ihn rasten. Er selbst riß sich die Kapuze seines weißen Gewandes vom Kopf,<br />
holte tief Luft und machte sich auf Mìral, seinen Zauberstab, gestützt auf zu<br />
Asarangs Glockenpforte. Beschwerlich war der Abstieg doch der Alte überwandt<br />
Kluft für Kluft und wanderte im Dämmerlicht durch die Farnheide, die die Ausläufer<br />
des Berges säumte.<br />
Mit dem ersten Abendstern erreichte Esragùl schließlich den Ròghanàn, der in der<br />
Ebene <strong>von</strong> Arangìs lag. Der Ròghanàn war ein klarer See der sich weit ins<br />
Gwydiontal erstreckte. Seine Wasser waren tief als wie die Weisheit und der Friede<br />
der an jenem Ort herrschte. Weishauber bewachten den See der zum Hochsitze der<br />
Wavan führte. Sie lebten am seichten Ufersrand dort wo die Zwirbelwellen blau<br />
schimmerten bevor sie aufs Land glitten.<br />
Esragùl betrat den eisernen Steg der zum Wasser hin führte und wartete auf die<br />
Rhòganàn Hüter auf das sie ihm Einlass gewährten und einen Flößer vom anderen<br />
Ufer herüber schickten. Doch wie er im schleichenden Dunkel verharrte, zogen<br />
Nebelschwaden auf und weit und breit war kein Weishauber zu erblicken. Da<br />
beschwor er Mìral, auf das ein Schiffchen angeschwemmt werde mit dem er überzusetzen<br />
vermochte. Die Arìnglohe an des Zauberstabs Spitze erglomm lichte nach<br />
gesprochenem Zauber und schon trieb eine Gondel <strong>von</strong> der Mitte des Sees heran.<br />
Schwerfällig ließ sich Esragùl in die schwankende Gondel fallen. Dann klatschte er<br />
dreimal in die Hände und das Schiffchen trieb eilend zum anderen Ufersrand hinüber.<br />
Bald schon ragten die weißen Mauern der Burgstadt vor ihm auf. Im Abendwind<br />
wehten die Banner und im funkelnden Sternenlicht begann der weiße Stein, aus<br />
dem Herzen der Wüste Morgelàn, zu schimmern. Esragùl blickte mit stummer<br />
Freude auf diese Pracht, lang hat er sein Heim entbehrt. Die Glockenpforte begann<br />
leise zu klingen um vom Ankömmling zu berichten. Doch wie sehr sie auch läutete<br />
und klirrte sie schlug vergebens . . . .<br />
Mit dem ersten Klang der Lautergall erreichten Lèfule und Fìndegìl die Ausläufer<br />
des Undarwaldes. Sie waren dem reißenden Mìrlyan Strom gefolgt der unweit ihres<br />
Lagers in die Flüsterfälle mündete. Sonawìrs Strahlen durchfluteten alsbald den<br />
Elbenforst der sogleich in goldenem Licht erstrahlte und sein tausendgrünes Haupt<br />
stolz in den Himmel reckte. Die Gefährten hatten kaum Rast gehalten und noch<br />
immer offenbarte ihre Erscheinung die Mühen und das Schrecknis vergangener<br />
Tage.<br />
Lèfules Herz erbebte im Zorn wie er immerwieder <strong>von</strong> Neuem an das Geschehene<br />
dachte. Er fand keine Zeit um zu Kräften zu kommen und doch trieb ihn das Bild<br />
des verwüsteten Evenàr voran. Wie er das Unglück schaute da begriff er das böse<br />
45
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Mächte am Werk waren. <strong>Das</strong> ein dunkler Zauber bei Fàrnukks Schmiedestatt gewütet<br />
hatte. Ein Zauber dessen Herkunft und Sinn ihm bislang verborgen blieben. Es<br />
dämmerte ihm das es der Todeshauch der Vergeltung gewesen sein musste, der<br />
das friedliche Dorf dem Erdboden gleich gemacht hatte.<br />
Als ihm gewahr wurde das kein Fàrnukke am Leben geblieben war durchstreifte er<br />
den Hain um nach Fìnua zu suchen. Da fand er bei Evenàrs Herrschaftswurzel der<br />
Zwergin Harfe Ragnatìr doch nirgends konnte er das holde Weib erspähen.<br />
Unverdrossen harrte, er das Kleinod in den Händen haltend, unschlüssig was er<br />
nun tun sollte. Schließlich trat Fìndegìl zu ihm hin und riet ihm gen Mìrìth Gìlad zu<br />
wandern um Rat zu suchen beim alterslosen Volke des Weisen Erìndal.<br />
Nicht lang waren sie dem Arìnyapfad gefolgt, der <strong>von</strong> Gelbdorn und Forsykleien<br />
gesäumt war, als sie plötzlich ein Rascheln vernahmen das im Gebüsch erklang.<br />
Eine Gestalt näherte sich den Gefährten. Da duckte sich der Jüngling und hieß<br />
Fìndegìl es ihm gleich zu tun. Anschließend schlichen sie hinter den mächtigen<br />
Strunk einer Forsye und Lèfule zog stillschweigend das Schwert aus der Scheide.<br />
Just trat ein hochgewachsener Elb aus dem blühenden Niederwald hervor. Seine<br />
stattliche Gewandung liess Lèfule innehalten und seine Hand erstarren. <strong>Das</strong> braune<br />
Haar des Uraelben war zu einem herrschaftlichen Zopf gebunden. Seine dunklen<br />
Augen blickten wachsam und edelmütig zugleich. Über den stolz gereckten<br />
Schultern schwang sich ein prunkvoller Köcher den ein prächtiger Längner kreuzte.<br />
Es war Aldraìs der Bògner, der ausgesandt wurde den Jüngling in den<br />
Undartiefen aufzulesen um ihn gen Mìrìth Gìlad zu führen.<br />
Lèfule senkte das Schwert, gab sich zu erkennen und verneigte sich gleich dem<br />
Fährtenweiser tief vor dem edlen Fremdling. Doch jener schritt auf ihn zu und kniete<br />
nieder, die Hand auf das Herz legend, so wie es die Bògner zum Gruße taten:<br />
„ Aryû ghandar fin Lèfule, aryû ghandar ulin Vaìse. Mi Aldrâis vale Bôgne dis a<br />
Elwenas Irdaìne.“<br />
Dann stand er auf und reichte den Gefährten Ayàren, Erìndals Lichteflore. Ayàren<br />
war ein feines Gewebe, dass um den Gurt geschlungen, jenem der es trug den<br />
Schutz der Elben verbürgte.<br />
„Der lichteren Schützen erster Bògner heißet Euch Willkommen.Doch auf Lichte folget<br />
Schatten nun ist Unsere Zeit gekommen, Irdaìns Streiterskraft zu rüsten und die<br />
Köcher denn zu schultern.<br />
Unsere Pfeile denn zu spitzen, Sohne aus dem Herzen Lôrtals!<br />
Mit dem ersten Sterne schon tat Undaren ich durchstreifen, Euch zu suchen und zu<br />
leiten nach Mìrìth Gìlads Flüsterhaine. Auf des Königes Befehle seit Ihr auserwählt,<br />
beizustehn‘ den Lichteren, da Rìvens Schatten sich vermehrt.<br />
So wie einstmals Euer Vater aus Lìthandrien zu uns fand. Reichet uns ,oh<br />
46
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Menschensohne Eure starke, reine Hand. Auf es eilt, so folget mir unsere Stätte ist<br />
nicht weit. Dort sollt Ihr ruhen und erfahren welch Schicksal Endorin ereilt.“<br />
Der Bògner erhob sich und stieß Pfiffe aus. Sodann kamen zwei weiße Rößer den<br />
Arìnyapfad herauf getrabt. Aldraìs schwang sich geschickt auf Ryne, seiner Stute.<br />
Dann gebot er Lèfule und dem Helferswichtel auf Ìlaris, dem zweiten Streiterroße,<br />
Platz zu nehmen.<br />
Alsbald jagten sie im gleißenden Morgenlicht auf dem Rücken der stattlichen<br />
Traber gen Mìrìth Gìlad.<br />
In den Hallen Asarangs herrschte eine unheilvolle Stille. Nichts regte sich obschon<br />
der Abendwind durch die offen Gauben brauste. Vadì, die dunkle Hexerin hockte<br />
im Marmorsaal und beschwor den Urapantìr zu offenbaren welch Eindringling sich<br />
der Burgstadt näherte. Wie die Boshafte im Funkeln des weißen Kristalles den alten<br />
Zauberer erblickte beschwor sie das Schlüsseltor dem Gütigen den Einlass zu verwehren.<br />
Esragùl harrte derweilen Stunde für Stunde vor den Mauern Asarangs. Die<br />
Arìnglohe glühte Nacht und Tag hindurch, doch kein Urazauber konnte die Pforte<br />
öffnen. Der Alte grübelte lang darüber und spürte das Dhurandòrs Schattenmacht<br />
allgegenwärtig war. Vergebens murmelte er die lichten Formeln, zu lang schon hielt<br />
Dûnkelrìvens Höllenkunst den Hochsitz in seinem finsteren Banne gefangen.<br />
Als die Nacht über die weißen Gemäuer hereingebrochen war, hielt Vadì die Zeit für<br />
gekommen ihr heimtückisches Werk zu verrichten. So wie der schwarze Fürst es<br />
ihr aufgetragen hatte. Noch immer irrten Elov und Alvenas auf ihren Argùlen durch<br />
Endorìns Schattenlande. Lìrdan den Jugendstab der weisen Aryuvàn zu suchen.<br />
Zauberwasser trübten ihren Blick und unguter Zauber war es, der ihnen die rasche<br />
Heimkehr verwehrte.<br />
Aryuvàn selbst war in eine Drossel verwandelt worden und thronte in einem Käfig<br />
bei Adawans Lagerstatt. Der Meister selbst war vergiftet <strong>von</strong> Lust und Begierde so<br />
das er die Trauerklagen, die das unscheinbare Vöglein Nacht um Nacht sang, nicht<br />
zu deuten vermochte. <strong>Das</strong> Minneband zur Vadì schwächte seine Macht und<br />
Ilandòrs höchster Sohn erfüllte alles was die Trügerische begehrte.<br />
Als Nadlafìrs fahle Sichel hoch am Himmelszelt stand, stieg die Hexerin die<br />
Tausendfußsteige hinab und ließ sich im Untergewölbe der Flößer nieder. Die Stille<br />
hatte sich bis in die steinernen Tiefen der Burgstadt hinabgesenkt. Denn Wächter,<br />
Flößer und der Wavanrat lagen viele Monate schon in tiefem Zauberschlaf. Adawan<br />
selbst schlummerte Tag um Tag ermattet auf seiner seidenen Lagerstatt im obersten<br />
Turmgeschoß.<br />
Die Boshafte schürte das Feuer in der Flößer Ruhekammer und harrte aus bis die<br />
Wasser brodelten und kochten. Danach schöpfte sie aus einem Eichenfass drei<br />
47
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Kellen Honigwein und mischte sie mit der Druden Sterbewurzel, die Grìmlokk ihr vor<br />
fünf Monden zugeleitet hatte. Sodann goß sie den Sterbetrunk in den Tiegel und<br />
aus ihrem Ruldìsringe ließ sie drei Tropfen Mordìlblut in das Gebräue fallen.<br />
Mordìlen waren der Avanan Streiterdrachen und so todbringend wie die<br />
Feuersbrunst die sich aus ihrem Rachen ergoß war ihr tiefschwarzes Blut. Dies war<br />
Adawans wunde Stelle. Denn sein inneres Auge erlischt kommt es mit Mordìlblut in<br />
Berührung. Als die Schwelen über dem Todessaft aufstiegen, zogen Düsterwolken<br />
auf. Und wie Vadì den Saft in einen Krug füllte zerbarsten sie krachend am<br />
Horizont.<br />
Auf dem Rhòganàn bäumten sich die Wellen auf und Esragùl sprang auf, um die<br />
Vorboten der Gezeitenwende wissend. Mìrals Licht schoß hoch in den Himmel hinauf,<br />
so das die Arìnglohe den Gwydionhain, trotz der Nebel Dhurandòrs, erhellte.<br />
Im Brausen und Tosen <strong>von</strong> Òrkvens Sturmneffen, den peitschenden Regen im<br />
Anlitz, beschwor Esragùl die guten Mächte Asarangs zu erwachen und das Böse<br />
zu bannen. Doch seine tiefe Stimme entschwand im Kampf der Elemente.<br />
Schon näherte sich eine schwarze Wolke der weißen Stadt . . . Cuìveths, die<br />
Späher Gàràmakks. Allen voran steuerte Krafadùn benommen kreischend, mit<br />
durchnäßten Gefieder auf die Scharten des höchsten Turmes zu.<br />
Adawan ruhte derweil in seinem Gelaß. Die üppig bestickte Schleppe seines prächtigen<br />
Silbergewandes hatte er sich über den Leib geworfen, um Ruhe zu finden.<br />
Iragùn des Meisters Ring glomm nur schwach. Und geschwächt war der Zauberer,<br />
dessen Seele sich seit vielen Sonnen und Monden schon nach der berückenden<br />
Jungfrau verzehrte, die ihm die Hand hielt und liebkoste. Bald tauchte ein Schatten<br />
im Gemach auf. Vadì war gekommen ihr schreckliches Zauberwerk zu beenden.<br />
Schritt für Schritt schlich sie der Lagerstatt entgegen, ohne das der Wavan ihre<br />
Gegenwart bemerkte. Die Schleppe des Kleides war auf den steinernen Grund<br />
gefallen und glitzerte fahl in Nadlafìrs Licht. Ein kalter Wind umspielte Adawans<br />
schlaffen Leib, doch der Weise rührte sich nicht um die fröstelnde Hülle zu bedekken.<br />
Vadì trat näher heran und ein trügerisches Lächeln umspielte ihre Lippen. Da<br />
hob die verzauberte Aryuvàn zu krächzen an um ihren Gebieter vorm drohenden<br />
Ende zu bewahren. Doch in Vadìs bösartigen Augen blitzte ein kaltes Funkeln auf<br />
und das Vöglein war seiner mahnenden Stimme beraubt. Sodann beugte sich die<br />
Hexerin über den ersten Sohn Ilandòrs und benetzte seine Lippen mit dem<br />
Giftgebräue.<br />
Ein Donnergrollen walgte über die Mauern hinfort und wie Adawans Herzschlag<br />
verstummte, endigte das Lärmen der Himmelsgewalten und die klaren Wasser des<br />
Rhòganàn verwandelten sich in einen pechschwarzen Spiegel.<br />
Iragùn das Urakleinod war erloschen und Vadì bemächtigte sich des Ringes, um<br />
48
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
jenen triumphierend ihrem Meister zu gereichen. Sowie sie das Kleinod an ihrem<br />
eigenen Finger steckte begann es dunkelrot zu schimmern. Dunkelrot wie das Blut,<br />
dunkelrot wie die Banner Rìvens, dunkelrot wie die glühenden Eisen aus den<br />
Folterkammern der Höllhagfeste. Die Macht der Wavan schien gebrochen.<br />
Des Gütigen Kunde<br />
Nach tiefem Schlummer erwachte Lèfule in reinste Seide gewickelt auf seiner<br />
Ruhestatt im Haus des Rechthüters Idanìs. Viel an Zeit hatte er auf dem Altan der<br />
Kammer verbracht wie er im Daìntal angelangt war.<br />
Staunend blickte er da auf das vielzählige Gefunkel der Leuchfeuer und auf die grazilen<br />
Bauten <strong>von</strong> Mìrìth Gìlad. Als er frisch gewandet auf der weichen Stätte ruhte,<br />
studierte er der Uralben Schnitzereien die das prächtige Gemach ausgeschmückten.<br />
Sehnsucht erfüllte sein Herz wie er den Gesängen der Lichteren lauschte.<br />
Doch währte der Genuß jener süßen Klänge nicht lang denn im gleichmäßigen<br />
Rauschen der gewaltigen Flüsterfälle übermannte ihn sobald der wohlverdiente<br />
Schlaf.<br />
Nun zierte der lichte Morgendämmer den Horizont und sinnend blickte der Jüngling<br />
auf die gewaltigen Wasser die donnernd ins Tal floßen. Alles Geschehene, alles<br />
Gesagte zog an seinem inneren Auge vorüber und langsam begriff er das es nicht<br />
der Zufall gewesen sein kann der ihn leitete, sondern eine Bestimmung aus der<br />
Hand der Nurnìngeister.<br />
Im Traum war ihm sein Vater erschienen und ein Streiter <strong>von</strong> edler Statur. Manches<br />
Mal sah er das Greuel einer Schlacht, vielmalig sah er einen silbernen Bogen in seinen<br />
Händen ruhen. Manches Male sah er die schöne Fìnua hockend in einem kalten<br />
Steinverschlag und oftmalig kündete ein schauriges Beben <strong>von</strong> einer teuflisch<br />
übergroßen Macht die ihn verfolgte.Wie Lèfule da sinnend stand und in die Wasser<br />
des Mìrlyanstromes blickte gewahr er plötzlich einen Zug seltsamer Gestalten, die<br />
die Daìnbrücke vom anderen Ufer her überquerten. Auf prachtvollen Rößern, seltsamen<br />
Fuhrgewerke und zu Fuße rückte die angeregt murmelnde Schlange aus<br />
bunten Bannern und Gesandten immer näher heran. Der Jüngling staunte über<br />
manch wundersames Wesen und noch mehr als ein roter Drache vom Himmel hinabgebraust<br />
kam.<br />
Flinkfüßige Wurzeltrolle kamen auf knorrigen Beinen herangeeilt. Sie siedelten im<br />
fernen Torikkforst, der die steinernen Schluchten des Clucaìnn Gebirges begrünte.<br />
49
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Ihnen folgten zugleich humpelnde Grauben, ein angesehenes Völkchen aus dem<br />
Schoße der Quellinggeister. Ihre großen, tiefschwarzen Augen schauten wachsam<br />
umher und unter ihren weiten Gewändern schillerten Schuppen hervor. Grauben,<br />
halb Mensch halb Tier, hausten in den bewegten Wassern des anthrazitenen Lurgìs<br />
Vàr der im Lande Jòrthawath gelegen hatte.<br />
Große Flöße walgten über den Fluß heran und unter dem wehenden<br />
Grünbaumbanner zeigte sich eine hochgewachsene Schar herrschaftlicher<br />
Braunelben, die in smaragdene Gewänder gehüllt waren. Sie kamen aus dem fernen<br />
Mìrìth Ebornìr, der hölzernen Stadt im Herzen Belfòrtyns. Selbst eine<br />
Gesandtschaft aus Lìthandrien ritt auf wendigen Rößern heran. Die sterblichen<br />
Ehrenmannen waren <strong>von</strong> edler Statur und Fadhlan der Tapfere tat das blaue<br />
Drachenbanner, welches ein goldenes Schwert kreuzte, mit Stolz und Achtbarkeit<br />
führen. Ihnen folgte Fuß auf Fuß ein unablässiger, raunender Strom: Wandernde<br />
Druìden, Zauberer mit langen Bärten aus der Ordensstadt Thuìndal, wackere<br />
Hùldren die in den Schluchten <strong>von</strong> Gòròdhun Schmiedehandel betrieben, Waldfeen<br />
aus der verwunschenen Vìndal Aure, Findlinger, Elfen, Nìquen, Muren, selbst ein<br />
Baumriese aus dem weit entfernten Norsalìon - Sie alle, nicht immer in<br />
Freundschaft verbunden, waren gekommen um Rat zu suchen bei den lichten<br />
Hütern <strong>von</strong> Mìrìth Gìlad. Ein mächtiger Schatten breitete sich zusehends über die<br />
lichten Reiche Endorìns aus und erregte alle Gemüter.<br />
Als Lèfule sich zu wundern begann, erschien die Dienerschaft des Idanìs in seinem<br />
Gemach und wies ihn an zu tafeln um sodann dem Rat beizuwohnen der bei<br />
Erìndals Kaste einberufen worden war.<br />
Der Lichteren Ratsaal war ein auslaufender Altan der auf der Höhe der Flüsterfälle<br />
lag. Zu beiden Seiten drängten sich die Boten und wie Lèfule den Saal betreten<br />
hatte, verebbte alles Gemurmel rings um ihn her und bis auf die brausenden<br />
Wasser, war Stille eingekehrt. Die Gefolgschaften musterten den Jüngling begierig<br />
und eine sonderbare Ehrfurcht lag in so manchem Blicke.<br />
Erìndal der Elbenkönig saß auf einem reich geschmückten Thron und ein bronzenes<br />
Diadem war in sein schütteres Haar geflochten.. Unterhalb des<br />
Herrschaftssitzes hockte Aldraìs, besonnen auf den steinbehauenen Grunde blikkend.<br />
Den Bògner schmückte ein silbernes Livree und auf seiner hohen Stirn<br />
prangte ein Runenzeichen, das Lèfule nicht zu deuten vermochte. Idanìs stand auf<br />
des Altanes Mitte, gewandet in ein moosgrünes Schleppenkleid, eine Schriftrolle<br />
ruhte in seiner Hand und auch sein Haupt zierte ein Diadem das sein Haar eigentümlich<br />
umrahmte.<br />
Lèfule beugte sich vor und neigte sich ehrerbietend zum Gruße. Doch der<br />
50
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Rechthüter wies ihn an sich einen Platz zu suchen. Wie der Jüngling die<br />
Gesandtenreihen abgeschritten hatte und sich schließlich zum Hùldrenfürsten<br />
Golvàn gesellte, kreuzte er den Blick eines hoheitsvollen Zauberers, der auf einem<br />
weißen Stabe gestützt ihm tief in die Augen schaute. Lèfule war sonderlich gebannt<br />
und es schien ihm just in diesem Augenblicke als befiele ihn eine tiefe Traurigkeit.<br />
Der Weise hatte einen langen grauen Bart der bis zum Boden reichte. Seine Stirn<br />
war zerfurcht so als wäre er schon viele hundert Jahre auf Erden gewandelt und<br />
unter seinen fliehenden Brauen leuchteten dem Jüngling zwei braungrüne Augen,<br />
gleich einem Spiegel, entgegen. Plötzlich sah Lèfule sich selbst darinnen und abermals<br />
erschien ihm ein silberner Bogen der funkelnd in seinen Händen ruhte. Es war<br />
ihm als gewahrte er einer Feuersbrunst die sein Bilde sodann verschluckte. Dem<br />
Jüngling wurde es seltsam zumute und noch immer spürte er einen ungekannten<br />
Schmerz der sich mit aufkeimender Entschlossenheit vermischte.<br />
Wahrlich der Zauberer war Jahrtausende alt und gezeichnet <strong>von</strong> Pein und schwerem<br />
Kummer. Es war Esragùl der Gütige selbst, der nach Mìrìth Gìlad geeilt kam<br />
wie Ilìgan der Elbenbote seinen Wege an den Ausläufern des Andulìnberges kreuzte.<br />
Idanìs bat denselben vorzutreten und der Alte tat mühselig einen Schritt aus<br />
dem Kreise der Gesandten. Sodenn fing der Weise zu seufzen an:<br />
„Mein Herz vermag die Worte nicht zu sprechen, die ich nun zu sprechen habe. Ein<br />
Leid erfüllet meine Seel, zerreißt sie ohne Gnade. Doch ist’s nicht eine Bürde die<br />
ich allein bestehen sollt. Es ist Unser aller Schicksal, Freunde, und solches ist Uns<br />
nicht hold.<br />
Wir alle die wir nach Rat gesucht, sahen das Unglück nicht nahen. Und selbst dem<br />
Höchsten aller Weisen versagten die Sehersgaben. Er ist entschwunden nach<br />
Thùlengan, kann keinen Beistand Uns geben. Die Hexerin Vadì, die Teufelin,<br />
beraubte ihm des irdischen Lebens. Drei Tropfen Mordilblute zerstörten des<br />
Meisters Kräfte. Sowie die Sichel am Himmel gestanden mischte die Garst'ge die<br />
Säfte.<br />
Die weiße Stadt lag ahnungslos in tiefem Zauberschlummer. Der Wavan selbst ward<br />
wach und schlief, nun trifft uns arger Kummer. Der Hauch des Todes webt im lichten<br />
Gwydiontale und die Mauern der weißen Burg ächzen vor Weh und vor Qualen.<br />
Der Rhòganàn selbst trägt Trauer seine Wasser sind schwarz und trübe. Am<br />
Horizont da walgt es grau und lastet auf Unser Gemüte.<br />
Noch ärger stehts denn immer noch schlummert der Wavan Rat. Die Zauberbande<br />
mürben das Licht, zerstören die lichte Macht! Der Dunkler raubte Iragùn den Schutz<br />
der weißen Stadt. Und ihre Pracht wird bald entschwinden wird er nicht heimwärts<br />
gebracht.<br />
51
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Doch Freunde, es bleibt keine Zeit in Kummer zu verweilen! Wir müssen handeln,<br />
Endorin retten! Es eilet, Wir sollten eilen! Noch gibt es Hoffnung für Eure Völker,<br />
Hoffnung für Euer Heim. In unsern Reihen steht ein Jüngling, jener sollt auserwählt<br />
sein. Gemeinsam müssen wir ziehen in eine lange, bittere Schlacht. Gemeinsam<br />
sollt Uns das Eine gelingen, das Böse zu bannen und zu bezwingen, das so Vieles<br />
an Schrecken gebracht! „<br />
Als Esragùl verstummte ging ein aufgeregtes Flüstern durch die Reihen der<br />
Gesandten und Schrecken waltete auf den vielen Gesichtern. Doch Erìndal gebot<br />
Ruhe und mahnte zur Besonnenheit. Danach traten die Legaten zusammen den<br />
Bund zu schließen, die Heere zu einen und sich zu rüsten.<br />
Lèfule blieb allein zurück und Fragen wirbelten durch seinen Kopf. Fragen auf die er<br />
eigentlich keine Antwort bekommen wollte. Denn seine Ahnung bekam Formen,<br />
unvorstellbare Formen und das machte ihm Angst. Auf seinen Schultern begann<br />
sich eine Last auszubreiten so das er drohte unter ihr zusammenzubrechen. Er taumelte<br />
den Weg zurück in sein Gelaß und warf sich mit allerletzter Kraft auf die<br />
Lagerstatt. Sein Traum sollte wieder einmal zur argen Gewißheit werden. Eine<br />
unsichtbare Schlinge legte sich um seine Kehle und die Worte des Alten zogen sie<br />
zu ....<br />
Aufruhr in Emyth-Ovràs<br />
Im steinernen Hort <strong>von</strong> Emyth-Ovràs, dem Pfeilersaal im Herzen der Höllhagfeste,<br />
herrschte Aufruhr. Der schwarze Fürst wanderte rastlos umher und mit ihm der<br />
Avananrat. Bis auf die schleifenden Schleppen der roten Pelerin und den hallenden<br />
Schritten war kaum ein Laut zu vernehmen. Emyth-Ovràs lag in den düsteren Tiefen<br />
der Rìvenburg und diente der geheimen Zusammenkunft. Keine lichte Macht und<br />
sei sie noch so groß gewesen konnte dort hinein gelangen. Denn dies war jener<br />
sagenumwobene Ort an dem Vàdànàkk, Ògerìd, Tùldon und Golugàn vor langer,<br />
langer Zeit die Schattengrale geeint hatten und somit Avras erschufen.<br />
Viele Monde und Sonnen schon verharrte der Dunkler in den Tiefen seiner Burg,<br />
unstet nach Ungorpantìr, dem Sehersgute, blickend das ihm Nachricht geben sollte<br />
was sich in der weißen Stadt zugetragen hatte.<br />
Plötzlich öffnete sich eine der mächtigen Zackenpforten. Rònegul und Salgurìn, des<br />
schwarzen Fürsten erste Ratsherren, kamen hineingeeilet. In ihrem Schatten wandelte<br />
eine dürre Gestalt die sich vor Ehrfurcht krümmte. Es war Vadì die schwarze<br />
52
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Hexe selbst. Gàràmakk bestieg hastig den Throne, der aus grobem Marsgestein<br />
beschaffen war. Als er Platz genommen hatte erstrahlte der Avrasstab in glutrotem<br />
Glanz.Die Hexerin hielt sich im Hinterhalt bis Salgurìn auf die Knie gegangen war<br />
und dem Fürsten <strong>von</strong> der Ankunft seiner Spießgesellin berichtet hatte. Dann eilte er<br />
zu den versammelten Avanan und Gàràmakk gebot der Vadì vorzutreten.<br />
Die Hexerin erschien in einem schwarzen Gewand und ihr Haar war so rot wie die<br />
Rìvenbanner die aus den Turmscharten der Burg ragten. In ihrem schönen und<br />
doch grausamen Anlitz prangte nur ein Auge, das dunkelgrün wie Moosenflechte<br />
schillerte. Wie der Meister sie zur Rede gestellt hatte, entfuhr ihren Lippen die<br />
Kunde, die sich gleich einem Krächzen an den steinernen Gewölben brach und als<br />
Echo fortsetzte. Als sie zu erzählen begann traten die Avanan noch enger zusammen<br />
und senkten ehrerbietend die Häupter.<br />
Der schwarze Fürst hielt die Augen geschlossen, versunken harrte er auf seinem<br />
Thron und lauschte der Hexerin, die je näher sie dem Ende kam eine fiebrige<br />
Erregung ergriff.<br />
Wie sie den Tod des weisen Wavan geschildert hatte, erschütterte ein<br />
Donnergrollen den Pfeilersaal und Gàràmakks Augen öffneten sich. Rot wie Glut<br />
funkelte es aus den Schlitzen hervor, so als täte heißes Gestein aus seinen scheußlichen<br />
Tiefen quellen. Da zog Vadi Iragùn aus einem Säcklein hervor um es dem<br />
Dunkler triumphierend zu reichen. Doch jäh sprang ein Blitz aus Avras Spitze und<br />
ging krachend auf den Ring über. Und wie der schwarze Fürst den Ring in seiner<br />
eigenen Hand hielt, da entfuhr ein schauerliches Heulen seiner Kehle und irre war<br />
sein Blick. Er stemmte sich vom Marsthrone ab und hob die Hände empor.<br />
Im Schein der flackernden Feuer tanzte sein mächtiger Schatten an den Gemäuern<br />
entlang und über der Burg hallte das Echo der Cuivethscharen wieder. Von Neuem<br />
sprang ein teuflischer Funke <strong>von</strong> Avras Spitze ab und ein flammender Span formte<br />
sich aus. Gàràmakk richtete, unter vorgefallenen Strähnen, seinen Blick auf die<br />
schwarze Hexe. Mit gespannten Fingern wies er auf sie und murmelte ungorische<br />
Formeln. Der Span glitt <strong>von</strong> der Spitze ab, dann tänzelte er eine Weile lang in der<br />
schwelenden Luft und verschwand zischend in Vadis gräßlichem Auge.<br />
Sodann wies der Dunkler seine Häscher an die schreiende; flehende; heulende;<br />
ihrer Macht beraubten Hexe in Ketten zu legen und ins tiefste Verlies zu verbannen<br />
auf das sie dort einen qualvollen Tod erleide.<br />
Die Avanan fielen vor dem Meister darnieder und huldigten den schwarzen<br />
Mächten. Doch Rònegul gebot dem Fürsten sich zu mäßigen. Seine Weisheit<br />
mahnte ihn, denn noch war der Schicksalsfaden nicht zum Ende hin gesponnen<br />
und er ahnte das die Lichteren sich rüsteten. So wie einst als er Vàdànàkk als<br />
53
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Famulus zugetan war. Und klug genug war er um zu wissen das die Macht der<br />
Söhne Ilandòrs eine Unbeugsame war.<br />
Der Ratsherr schritt zum Sockel des Ungorpantìr, der sich in der Mitte des Saales<br />
erhob. Dann zog er den Zauberflor vom tiefblauen Sehersgute. Ein gleißendes Licht<br />
erklomm, das den Stein wie einen Feuerball umfasste. Rònegul hielt seine linke<br />
Hand mit gespreizten Fingern über den Pantìr. Ein Bild begann sich in den blauen<br />
Tiefen auszuformen. Es entstanden die Bauten <strong>von</strong> Mìrìth Gìlad. Nochmals glomm<br />
das Licht auf und nun zeigte sich ein Rat der auf des Elbenköniges Altan zusammentrat.<br />
Aus dem Rat ging die Hundertschaft der Legaten hervor die nach ihrer<br />
Heimstatt drängten und die Tausendheere der elbischen Bògner durchkämmten<br />
einen Forst sich zu rüsten. Wie der Ungorpantìr seine Offenbarung geendigt hatte,<br />
schoß das Licht hoch hinauf so das die Avanan sich die Pelerin schützend über die<br />
Häupter zogen. Die göttliche Flamme des Schattenvaters walgte über die<br />
Dornenschlucht hinfort.<br />
Rònegul erschauderte und Gàràmakk blickte voller Hass auf das Gesehene. Er<br />
strich sich das wirre Haar aus dem Anlitz und warf voller Verachtung den Zauberflor<br />
über das Sehersgut. Mit der gleichen Verachtung schritt er an Rònegul vorbei und<br />
bat in scharfem Ton Grìmlokk zu sich. Dann traten die Avanan zusammen und<br />
schmiedeten die ersten Pläne.<br />
Ravnìk sollte um Rat gebeten werden. Man wähnte die Ebene <strong>von</strong> Gràn-Dhûr als<br />
Ort für die schicksalshafte Schlacht. Die dunklen Zauberer schickten sich an die<br />
Mordìlen zu beschwören. Deren tödliche Feuersbrunst sollte sich im rechten<br />
Moment über die Caladheere vom Himmel hinab ergießen. Sodann sandten sie die<br />
Cuiveth aus auf das die Heere der Ungorelben, Rùgùren, Alberiche, Riesentrolle<br />
und so manch anderem schrecklichen Wesen sich einten und zum Fuße des<br />
Grandhìsberges zogen.<br />
Schließlich schickten die Dunkler Grìmlokk ins Spaltgebirge zu Bùgdrìs um ihn vom<br />
nahenden Feldzug zu berichten. Dort wo tief unten in der Finsternis des Raldakk-<br />
Ûn die schöne Fìnua voll des Jammers harrte und dem betörenden Edelmanne<br />
gedachte, in den Stunden der quälenden Ungewissheit und Einsamkeit. Dort wo<br />
gleich einem hungrigen Wolf Akìnan, der Laìradämon, um sie herumschlich und<br />
auf den Auserwählten wartete den er als Beutegut erhalten sollte.<br />
Nurnìnzauber<br />
Drei Tage und drei Nächte lang währte das rege Schaffen im lichten Herzen Mìrìth<br />
54
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Gìlads. Die Legatenschaft trat noch oft zusammen um den Fortgang des Heerzuges<br />
zu planen. Bògner durchschwärmten die lichten Gassen und fertigten in den Tiefen<br />
des Undarwaldes die kunstvollen Bögen, Pfeile und Köcher an, für die die Lichteren<br />
weithin berühmt waren. In den offenen Kasten drängte sich die bunte Schar der<br />
Gesandten und rüstete sich für den Heimweg um die Fürsten, Könige, Landsherren<br />
und Stammesführer <strong>von</strong> der bevorstehenden Schlacht zu unterrichten.<br />
Lèfule indes war in sich gekehrt und suchte die Einsamkeit. Es war die Sorge um<br />
die schöne Fìnua und die Bürde seines Schicksals die ihn gleichermaßen bedrängten<br />
und bedrückten. Nun war es ihm deutlich das sein Traum dem Schoß einer<br />
düsteren Vorhersehung entstammte und er rang mit sich ob es nicht besser wäre<br />
zu fliehen um sich jener Vorhersehung zu entziehen. Und doch wußte er das man<br />
den Händen der Weberinnen nicht entkommen konnte. Oftmals ,in jenen Stunden<br />
der Pein, wünschte er sich zurück in die vergangenen Tage.<br />
Da gedachte er der Zeit als er im grünen Igrìmlore den Hof des Vaters gehütet und<br />
das Feld bestellt hatte. Da hoffte er die sanfte Hand Fridolfìns zu spüren und einmal<br />
noch in dessen liebende Augen zu blicken die ihm soviel an Zuversicht gaben.<br />
Da verzehrte sich sein Herz vor brennender Sehnsucht nach den schützenden<br />
Baumhainen des Igrìmwaldes. Und ebenso träumte er <strong>von</strong> dem verzückenden<br />
Weibe an das er bei Fàrnukkens Mischehain dereinst sein Herz verloren hatte.<br />
So wandelte er geplagt <strong>von</strong> vergangenem Bilderzauber allein für sich den<br />
Arìnyapfad entlang und blickte in die walgenden Wasser des mächtigen<br />
Mìrlyanstromes. Die Schwermut wollte nicht weichen, ihr schwarzer Mantel zog sich<br />
fest um seine junge Seele und beraubte ihm jener geheimnisvollen Kraft die ihn bisher<br />
voran getrieben hatte. Da ließ er sich, <strong>von</strong> tiefer Trauer ergriffen, mitten im<br />
Walde nieder und blickte versunken auf die bewegten Wipfel der Lerchenbäume,<br />
deren Geäst ihm geheimnisvoll zu zuwinken begann.. Und wie er da hockte formte<br />
sich im Auf und Ab der Blätter das Bild der Nurnin Urdìna aus und freundlich schaute<br />
ihr Anlitz auf ihn herab:<br />
„Der Zeiten Schwere sollt nicht lasten auf Euch, armer Lèfulaìse. <strong>Das</strong> Leben gab<br />
Euch Geschick und Verstand, nun wechselt es sein lichtes Gewand auf ungeahntes<br />
Geheiße. Die Bürde die Euch anheimgefallen ist nur den Tapfersten zugeteilet. So<br />
findet sich in Jenen die Kraft zu brechen des dunklen Fürsten Macht auf das die<br />
Lichteren seien befreiet.<br />
Plagt Euch nicht Sohne Igrìmlors das Gute wird sich finden. Habet Vertrauen in<br />
Euer Herz, Beharrlichkeit überdaure den Schmerz, es sollt nicht in Kummer sich<br />
winden. Gesegnet seid ihr, denkt immer daran, die Zeit wird es Euch zeigen. Nutzt<br />
sie denn mit Wohlbedacht, peinigt Euch nicht, doch habet Acht. Kummer und<br />
55
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Schrecken wandeln sich schnelle zu freudigem Reigen.<br />
Sodenn Lèfule sammelt Euch, vergießet nicht länger Tränen, das <strong>Geheimnis</strong> des<br />
Lebens lieget darin seine Bürden zu bestehen!”<br />
Ein starker Wind wirbelte der Lerchen Geäste auf und der Nurnìngeist verschwand.<br />
Da fühlte Lèfule plötzlich wie der düstere Schleier, der ihn gefangenhielt, für einen<br />
Moment lang zu weichen begann. Wie er sich erhob um gen Mìrìth Gìlad zurück zu<br />
wandern gewahr er einem Reiter der sich ihm betulich näherte. Da erkannte Lèfule<br />
das es der alte Zauberer war der auf Aldraìs weißer Stute thronte.<br />
Der Gütige glitt schwerfällig <strong>von</strong> Rynes Rücken herab und so standen sie eine Weile<br />
im Zwielicht vor einander, ohne das einer das Wort ergriff. Väterlich war der tiefe<br />
Blicke des wunderlichen Alten und als Lèfule schließlich das Haupt zum Gruße<br />
senkte, gebot derselbe mit einem Nicken ihm Folge zu geleisten.<br />
Viel an Zeit war verronnen. Besonnen folgte der Jüngling dem alten Manne, der<br />
sich auf einen weißen Stab gestützt den Weg durch den Niederwald bahnte. So<br />
durchquerten sie gleich einem Schatten das dämmerige Rosenholz. Tiefer und tiefer<br />
führte ihr Pfad in den Undarforst hinein und je tiefer ihr Pfad sie leitete desto verwunschener<br />
war es um sie her.<br />
Wundersam war des Waldes Dickicht. Undurchdringlich schien das Geäst miteinander<br />
verwoben zu sein und doch gab es den Weg preis wann immer Esragùl einen<br />
Schritt nach vorne tat. Wunderlich war der Weg. Denn es schien als liefen die<br />
Gefährten im Kreis, der sich gleich der Windung eines Schneckenhauses immer<br />
enger zusammenzog. Der sanfte Abendhauch war angefüllt <strong>von</strong> allerlei süßen<br />
Düften und aus der friedlichen Stille brach dann und wann ein verzückender<br />
Singsang hervor der hoch droben in den Wipfeln erscholl.<br />
Sowie die Sterne am Horizont standen, erhellte der vermeintliche Wanderstab des<br />
Alten, gleich einer silbernen Fackel den verzauberten Niederwald. Und jener friedliche<br />
Zauber löste Schritt für Schritt die lastende Pein aus Angst und Kummer in des<br />
Auserwählten Herz. Als die Nacht gleich einem samtenen Schleier am Gestirn<br />
webte, gelangten sie an einen mannshohen Rosenbusch dessen Geäst mit prächtigen<br />
Blüten besetzt war, die wie Edelsteine im Mondlicht schimmerten. Gleich<br />
einem mächtigen Tor schoß er hoch hinauf und verwehrte den Wanderern den<br />
Eintritt.<br />
Da hob der Gütige seinen Stab empor und rief mit tiefer Stimme die uraische<br />
Formel aus, auf das der Elbenzauber seinen Banne löse:<br />
Ningdal, ningdal edro andor. Pedo mellon Gùlen vandor. Ad Endorìn ambar dùlòr.<br />
Mordo endìen lomìen gulòr. Ungor Nolden, ungor Sìren lannèth abre Fin ad Igrìm.<br />
Edro, edro fìnnèth laì. Ad Endorin tulta ember, ember naìd Anàr Vaì! Ad Ilandòr tulta<br />
56
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
ember, ember tulta Wànàth . . . Naì!!!<br />
Als Esragùl die elbische Losung gerufen hatte, begann das Dickicht knisternd den<br />
Weg freizugeben. Strunk für Strunk der Rosenflechte wand sich auseinander. Und<br />
wie zwei Hände die ineinandergriffen und sich öffneten verschwand das Tor unversehens<br />
und ein Hain <strong>von</strong> unvorstellbarer Schönheit offenbarte sich dem geblendeten<br />
Jüngling und dem wissenden Zauberer. Lèfule schritt zaghaft in den Elbenhort<br />
hinein und gebannt <strong>von</strong> der Pracht ergriff ihn Freude wie Trauer gleichermaßen und<br />
das Herz ging ihm darauf über.<br />
Weißmoos und Heidekraut zierte den weichen Grund und der <strong>von</strong> einem klaren<br />
Bächlein durchzogen war, das gleich einer entzückenden Melodie, im Mondlicht<br />
da<strong>von</strong> plätscherte. Lindsträucher säumten den Rand des Haines. Ihre zierlichen<br />
Strunke waren <strong>von</strong> einem feinen Nebel umgarnt. In der Mitte des Hages prangte ein<br />
Lunafelsen der geheimnisvoll zu leuchten begann wie die Gefährten sich ihm<br />
näherten .... .<br />
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong> Mìrìth Gìlad<br />
Leichtfüßig wandelte Lèfule dem Mondstein entgegen. Eine göttliche Allmacht<br />
offenbarte sich in jenem Augenblick und sanft begann es in den Wipfeln der Birken<br />
zu rauschen. Dem Jüngling schien es als senkten die Blumen ihre leuchtenden<br />
Köpfchen sobald er einen Schritt getan. Und wie er zum Gestirn hinauf schaute<br />
gewahr er den Sternen, die blau zu leuchten begannen und blau wie die Wasser<br />
des Mìrlyanstromes brach das Licht aus dem Lunafelsen hervor, das sich hundertfach<br />
in seinen Augen wiederspiegelte. Gleich einem Juwel glimmte und funkelte es<br />
rings um ihn her und feierlich war ihm zumute wie er an der Seite Esragùls die niederen<br />
Wasser des heiligen Baches durchschritt.<br />
So harrten sie beim Elbengral und blickten auf den majestätischen Hort in dessen<br />
kristallenem Herzen der Kraftquell des Elbenvolkes verborgen lag.<br />
Seit Jahrtausenden schützte jener das Leben und Schaffen der Lichteren. Denn<br />
dereinst wurden sie <strong>von</strong> der Muttergöttin Nìngdal auf die Erde gesandt. Wie sich die<br />
Elben, vor langer langer Zeit daran machten, in ihren silbernen Gondeln die Wasser<br />
der Valfàlàs See zu durchqueren, um die ewigen Gestade Thûlengâns zu verlassen,<br />
gab Hundrìs der Vatergott seinen Schutzbefohlenen ein Gralsgut mit auf den<br />
Weg. Dieses war gleichbedeutend Symbol ihrer Reinheit, Weisheit und<br />
Unsterblichkeit gewesen. Und dieses Gut wachte <strong>von</strong> jenem Tage an über Mìrìth<br />
Gìlad - Die Stadt die nie gefallen ist.<br />
Hier ruhte ihr <strong>Geheimnis</strong> und nur einem Auserwählten war das Los zuteile es zu<br />
57
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
erblicken. Doch der Jüngling war nicht der Erste aus dem Geschlecht der Andrìr der<br />
den sagenumwobenen Haine betreten hatte.<br />
Der alte Zauberer wandte sich dem Jüngling zu und ein geheimnisvolles Lächeln<br />
umspielte seine Lippen. Dann legte Esragùl seine Hand an das Gestein und stemmte<br />
Mìrals Spitze in eine der schimmernden Kerben. Jäh flackerte es in den blauen<br />
Tiefen auf und aus dem tausendfachen Glimmen erwuchs ein Spiegel der das Bild<br />
einer Göttin preisgab, deren schönes Anlitz <strong>von</strong> einem Lichterkranz gerahmt wurde.<br />
Nìngdal, die Göttin der lichten Schöpfung:<br />
„Noldìs der Schattenvater, greift nach dem Siegel der Macht. Der abtrünnige Sohn<br />
aus Dhûrandors Schoß, hat sein Werk zur Vollendung gebracht. Und doch bestehet<br />
Hoffnung da Avàn und Wàvàn sich streiten. Sollte der Schatten das Lichte denn reißen<br />
zerbricht der Lauf der Gezeiten. Dann schwindet der Welten Ebenmaß das <strong>von</strong><br />
unsrer Hand ist geschaffen. Thronet Nadlafìr am schwarzen Gestirn, stürbe der<br />
Alwinordrachen. Wer seid Ihr, die Ihr den Haine betreten, zu jener schicksalshaften<br />
Stund. Gebet preis Euer <strong>Geheimnis</strong> ihr Caladwesen, gebet Antwort, tuet kund.“<br />
Und wie das Bild der Göttin in sich verharrte gebot Esragùl der Gütige Lèfule die<br />
Gralsgaben vorzuzeigen die ihm der Schwellenwichtel, das Erdweiblein und die<br />
glückliche Hand des Schicksals zugeteilt hatte. Und wie jener die Gaben aus dem<br />
Futteral zog, lebte das Bild <strong>von</strong> Neuem auf:<br />
„Edler Andrìr Lèfulaìs, aus dem Schoße Igrìmlores. So habet Ihr doch noch gefunden<br />
zu der Lichteren Ilandòrtore. Mit Mut habt Ihr die Bürden bestanden die Euch<br />
in die Wiegen geleget. Nun folget die Größte aller Bürden doch lohnend sei Eur<br />
Streben. So ist Euch zugewiesen die vierte Lichtergabe. Der Elben Bogen Tìranàuk<br />
der allmächtigste aller Grale. Er sollt Euch Beistande leisten im wüsten<br />
Schlachtgemetze.<br />
Verzaget nicht in Zeiten der Not, Ihr tragt den größten aller Schätze. Möget Ihr die<br />
Kraft finden den Kampfe zu überstehen. Über allem schwebet der Götter Aug,<br />
wacht über alles Geschehen. So sei Euch das silbern Gute ein Schimmer in dunklen<br />
Gefällen. Führt Entschlossenheit Eure Hand wird der Schatten am Lichte zerschellen.“<br />
Plötzlich öffnete sich der Mondstein und in seinem lichten Inneren glänzte ein silberner<br />
Bogen. Es war ein prunkvoller Längner so wie die Bògner ihn mit sich führten.<br />
Doch dieser war um drei Ellen länger und sein Spann bestand aus einem Haar<br />
aus der Mähne eines Einhorns. Die Sehne war fein und leicht jedoch stark und<br />
biegsam. Den Spann umfasste zu beiden Seiten ein kunstvoll geschnitztes<br />
Drachenmaul und auf des Bogens Rücken waren rätselhafte Elbenrunen eingeritzt.<br />
58
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Jene Runen verliehen dem Träger ungeahnte Fertigkeiten, denn den Längner tat<br />
einzig die Geisteskraft des Auserwählten leiten. Neben Tìranauk ruhte der prachtvolle<br />
Köcher Nìrnadìs der sich <strong>von</strong> selbst zu füllen vermochte wenn die Pfeile sich<br />
erschöpften. Nìrnadìspfeile besaßen edelsteinerne Spitzen die einen stählernen<br />
Panzer auf hundertfuß Erntfernung bündig durchdrangen.<br />
Esragùl tat einen Schritt in den Hort hinein und griff behutsam nach dem Bogen um<br />
ihn Lèfule zu reichen. Als der Jüngling auf das Elbengut in seinen Händen blickte,<br />
da loderte eine Flamme der Beharrlichkeit in ihm auf und er fühlte sich gestärkt und<br />
gerüstet für den bevorstehenden Kampf. In seinem Geist erschien ihm die schöne<br />
Fìnua und das innere Lodern brannte den letzten Zweifel nieder. Lèfule war zum<br />
Manne gereift. Der Zauber Ilandòrs entfaltete nun seine magische Kraft.<br />
Viele Monde gingen ins Land. Schon stoben die Schicksalsdrosseln aus Druìdorens<br />
glühendem Hort und zogen gleich einem Schleier über das Gestirn gen Grân-<br />
Dhûren hinweg. Ihr mahnendes Echo hallte über den Horizont fort und schreckte<br />
die ehrbaren Völker aus ihrem friedlichen Schaffen und Sein. Òrkvens Gefolge<br />
brauste über die Ebenen, walgte über die Bergspitzen hinfort und wirbelte tosend<br />
die Wasser auf. Der Hauch der Vorhersehung liess alles Leben erstarren und am<br />
düsteren Gestirn tobten die Elemente. Ein dämmeriger Schatten kündete <strong>von</strong> der<br />
herannahenden Schlacht. Im lichten Sylfìen hockten die Nurnìn und webten Netze<br />
aus schwarzem Garn.<br />
<strong>Das</strong> Fatumschiffchen schwang sich <strong>von</strong> Osten gen Westen, <strong>von</strong> Süden gen Norden<br />
das Schicksal des Auserwählten mit dem aller Wesen Endorìns zu verknüpfen.Die<br />
Zeit in der Ilandòrs Söhne und Dhûrandhors Kreaturen um das Vermächtnis der<br />
Schöpfung stritten war gekommen.<br />
<strong>Das</strong> Heerlager der Uradhèl<br />
Die Uradhèl sammelten sich vor den Toren Mìrìth Gìlads. Zehntausend Mann stark<br />
war nun das Heer der Lichteren. Ein riesiges Zeltlager breitete sich in windseile an<br />
den Ufern des Mìrlyan Stromes aus. Aus allen Winkeln Endorìns strömten die<br />
Herolde mit ihren Kriegern herbei, dem Ruf der Legaten und dem Befehl der<br />
Stammesführer folgend. Und täglich kamen neue Verbündete hinzu.<br />
Zwischen den prachtvollen Fürsten- und einfachen Linnenzelten, den wehenden<br />
Bannern unterschiedlichster Farbe und Form; den Rüstlagern; Wehrständern die<br />
sich überall befanden und den schnaubenden Rößern, die vor sich hin dösten oder<br />
nervös zu tänzeln begannen, brannten Hunderte <strong>von</strong> Holzfeuern. An jenen Feuern<br />
59
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
versammelten sich die tapferen Bògner, Ritter und andere Streiter. Nicht immer<br />
waren sie einander Freund und mit Wohlgefallen zugetan aber das Leid und die<br />
Entschlossenheit einte sie in dieser schweren Zeit. Auf großen, kleinen und winzigen<br />
Spießen hingen ganze Schweine, Hühnergrappeln oder Meglìhappen. In riesigen<br />
Tiegeln kochten Eintopf und Kleienbrei. Überall roch es nach dem süßlichen<br />
Raspel der geernteten Forsyfrüchte. In hastig errichteten Erdöfen garten Yantafisch<br />
und Sauerteigspachteln, sowie manch andere außergewöhnlich mundende Speise.<br />
Tonkrüge mit Honigwein und Fässer mit Gerstensanft gefüllt, wurden unablässig<br />
auf Wägen herangekarrt.<br />
Huldrische Tumbatrommeln; elbische Wìlwarìnflöten; andrìsche Limbahörner und<br />
elfische Tìlda-Harfen erzeugten eine eigentümliche Melodie zu der sich die kehligen<br />
Laute der Mùren; das Brummen der Ghòro`daner und der schwebende<br />
Hohegesang der Uraelben gesellte.<br />
Hier und da durchdrang wildes Gelächter und angeregtes Gemurmel den musikalischen<br />
Reigen. Und ebenso erschollen Schleif- und Schlaggeräusche, aus dem<br />
Herzen des Heerlagers, <strong>von</strong> Jenen die Stunde um Stunde Schwerter und Lanzen<br />
fertigten, Lang- und Kurzbögen richteten, Pfeile und Speere schnitzten, Feuerböcke<br />
und Wehrgefährte bauten.<br />
Abseits des ganzen Trubels, dem Tanz und der Geselligkeit, befand sich unter dem<br />
Blätterwerk eines hochgewachsenen Nèanwarbaumes ein besonders großes und<br />
prachtvolles Zelt.<br />
Aus mehreren Lagen weißer Tìucaleinen war es beschaffen und silberne Fäden<br />
schufen ein großes Ornament das seinen Eingang markierte. Auf dem Dach des<br />
Zeltes waren zwei Banner befestigt die einen Bogen und eine Rune zeigten, die<br />
Wahrzeichen Mìrìth Gìlads und Elwenas Irdaìnes.<br />
Vor dem Prachtgezelt hatte Fìndegìl es sich gemütlich gemacht und knabberte<br />
gedankenverloren an einem Wurzelschürf herum. Im Inneren saßen der Rechthüter<br />
und Esragùl angeregt miteinander ins Gespräch vertieft. Der Alte rauchte Pfeife und<br />
lauschte Idanìs, der uralte Formeln aus längst vergangenen Tagen rezitierte. Auf<br />
einem kunstvollen Holztische waren Papierrollen und Landkarten gestapelt sowie<br />
mehrere Prachtbücher deren Einband elbische Schriftzeichen zierten.<br />
Lèfule hockte auf dem Boden, neben ihm ruhte in Seidentücher eingeschlagen<br />
Tìranàuk der Elbenbogen. Er stöberte erst in einigen Papierstapeln herum, dann<br />
zog er eine reich beschriftete Rolle hervor und begann sie wißbegierig zu studieren.<br />
Diese Fundgrube aus der alten Zeit fesselte ihn. Sie war sowohl in eldaìva als<br />
auch in andrìsch verfasst und hatte den Jüngling auf eine seltsame Art zu sich gerufen.<br />
So als bilde sie einen wichtigen Teil des Rätsels das sich ihm nach der<br />
60
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Begegnung mit Nìngdal im Elbenhain zu entschlüsseln begann. <strong>Das</strong> Papier war alt<br />
und fleckig und dennoch mit Blattgold gerahmt und filigranem Schrifthandwerk versehen.<br />
Lèfule ergriff ein Gefühl der Feierlichkeit als er in die Anfänge des vierten<br />
Zeitalters <strong>von</strong> Endorìn einzutauchen begann.<br />
Der Schreiber nannte sich Gorgìm, ein Streiter aus dem Geschlecht der Andrìr und<br />
fahrendes Mitglied der Vaìthûn, einem Orden der für Gerechtigkeit und<br />
Tugendhaftigkeit einstand. Er berichtete <strong>von</strong> einer großen Schlacht die zur Zeit <strong>von</strong><br />
Lèfules Vorderen geschlagen wurde. Es war eine Art preisendes Hohelied auf Einen<br />
der sich darin besonders verdient gemacht hatte. Sein Name war: Bartub <strong>von</strong><br />
Gàldeon.<br />
. . . Von weit her kam er gereist , zog mit uns durch kahle Lande. Der Schatten trieb<br />
ihn aus dem Haus, wo er einst knüpfte zarte Bande. Stark und mutig war der<br />
Streiter in sich ruhend manchmal heiter. Immer kühn mit klarem Kopf unter seinem<br />
roten Schopf.<br />
Wie ein Elb so hochgewachsen, kunstvoll mit dem Längner schießend, prachtvoll<br />
mit dem Schwerte schlagend wenn Schwächere um Hilfe riefen. Eifrig war er stets<br />
zur Stelle immer wachsam immer helle, tat er jedes Wesen achten, auch solche die<br />
ihm Kummer brachten.<br />
Als er richten tat sein Heim, hat den Ruf er gleich vernommen. Rat zu suchen, Hilfe<br />
bietend , Schatten waren aufgekommen. Und so kam er zu Vaìthûn, unserem ritterlichen<br />
Orden um gen Elwenas zu ziehen. Am Himmel walgten Cuiveth Horden.<br />
Die Nöte gingen immerfort wuchsen bald an jedem Ort. Jeden Platz den wir durchritten<br />
hat der Noldìs fortgerissen. Und ärger kams denn unser Meister, Unwìn war<br />
sein Name, fiel im Kampf mit einem Ygdòn, der zeigte kein Erbarmen. Geschickt hat<br />
den der Drudenforst, der abertückisch Hexenhort. Doch Bartuben war zur Stelle,<br />
führte uns durch die Gefälle. Bis nahen tat der Elben Haine im lichten Elwenas<br />
Irdaìne. . .<br />
An dieser Stelle endete der erste Teil der Schrift. Dunkle Flecken lagen auf den folgenden<br />
Zeilen so das Lèfule nur einen geringen Teil zu entschlüsseln vermochte.<br />
Es folgten Reime auf eine alles entscheidene Schlacht und wie sehr sich der edle<br />
Bartub <strong>von</strong> Galdeòn darin hervortat. Wie er mit schrecklichen Wesen rang. Wie er<br />
erbittert gegen des Schattenvaters Kreaturen kämpfte. Wie sein Schwert durch<br />
Albenhand gebrochen wurde und eine Lanze ihn tödlich an Leib und Leben traf. Wie<br />
er die Hand seines Freundes ergriff und ihm einen letzten Schwur abrang . . .<br />
.Damit endete das Hohelied. Die letzten Zeilen waren <strong>von</strong> einem Feuermal zerfressen.<br />
Lèfule spürte wie das Blut durch seinen Körper walgte. Er ahnte das sein<br />
Schicksal nun die sich wiederholende Folge jener Geschichte war.<br />
61
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Irgendetwas verband ihn mit jenem tapferen Mann , der sich so kühn und entschlossen<br />
den bösen Mächten gestellt hatte. Und darüber hinaus ergriff ihn eine ungekannte<br />
Rührung die sich tief in sein Herz schnitt.<br />
Ruf der Mordìldrachen<br />
Gàràmakk stand an einer Gaube, sein Haar wehte im Wind. Der Schleier der Nacht<br />
hing über der Dornenschlucht und der schwarze Fürst hielt die Zeit für gekommen<br />
die Mordìlen aus ihrem Schlaf zu erwecken.<br />
Die Mordìl waren eine Schöpfung Dhurandòrs. Es waren riesige Drachen die mächtiger<br />
waren als Alles was sich zu jener Zeit in der Luft fortbewegte. Sie waren mächtiger<br />
noch als die Argùlenrößer der Wavanweisen. Es gab nur Wenige an der Zahl<br />
aber ihre zerstörerische Kraft war eine der Wirksamsten wenn es darum ging Unheil<br />
über die Caladländer zu bringen.<br />
Mordìlen waren halb so groß wie ein Riese. Ihr fleischiger Leib war <strong>von</strong> einem<br />
Panzer aus Schuppen umgeben der jeder Lanze standhielt. Nur unterhalb des<br />
Herzens waren sie verwundbar aber ihre Wendigkeit machte es jenen schwer, die<br />
sie dort zu treffen versuchten. Sie hatten riesige Köpfe die mit einem Schlund endeten,<br />
aus dessen wahnwitzigen Tiefen Feuersbrünste herausbrachen die alles<br />
Leben, das ihnen zu nahe kam, verschlangen. An ihren Klauen befanden sich<br />
Dreißig Ellen lange Krallen, die tiefe Kerben in die Erde rißen und hundert Streiter<br />
aufeinmal zerquetschen konnten. Auf ihren schwarzen Flügeln prangten riesige<br />
Stacheln, die jeden angreifenden Drachen entzwei rissen. Ihre Stimmen waren wie<br />
ein eisiger Windhauch der, je lauter sie einander zuriefen, zu einem Wirbelsturm<br />
wurde der alles mit sich fortriss. Dies waren Endorìns furchtbarste Kreaturen <strong>von</strong><br />
Noldis dem Schattenvater geschaffen. Schrecklicher noch und zerstörerischer als<br />
die klobigen Ygdonier. Doch es gab Zwei, denen sie untertan und fügsam ware:.<br />
Ihrem Gottvater und dem schwarzen Fürsten selbst.<br />
Gàràmakk sah in ihnen die beste Waffe um den Caladwesen im Schlachtgetümmel<br />
Einhalt zu bieten. Denn er hatte aus dem eitlen Fehlschlag seines Vorgängers<br />
gelernt. Zu einem bestimmten Zeitpunkt wollte er die Falle zuschnappen lassen.<br />
Genau in jenem Augenblicke wenn die Lichteren den Sieg schon vor sich sehen<br />
sollten.<br />
Noch nie, in der Geschichte Endorìns, wurden alle Mordìlen zum Kampf gerufen, da<br />
sie unfruchtbar waren und sich folglich nicht vermehrten. Aber der schwarze Fürst<br />
62
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
sah in dem Gebrauch ihrer Hundertschaft die gewonnene Schlacht als triumphalen<br />
Sieg in seinen Händen ruhen.<br />
Obwohl ihn Ronegùl zur Vorsicht gemahnt hatte, kroch er auf das enge Gesimse,<br />
rappelte sich hoch und schaute hinab in die Tiefen der Dornenschlucht. Dann setzte<br />
er das Drachenhorn an seine Lippen und begann dreimal hintereinander hineinzublasen.<br />
Diesen Vorgang wiederholte er mehrere Male. Ein tiefes Brummen formte<br />
sich zu einem Dröhnen aus das <strong>von</strong> den steil abfallenden Felswänden als Echo<br />
wiederhallte und die Kronen der knorrigen Dornrankbäume wie ein Windhauch<br />
erschütterte. Plötzlich durchdrang ein Grollen die Schlucht und darauf folgte ein<br />
gigantisches Beben. Gàràmakk krallte sich an die Außenmauer seiner Burg um den<br />
Halt nicht zu verlieren. Die Erschütterungen folgten rythmisch aufeinander und<br />
Düsterwolken zogen heran in deren Mitte es aufblitzte und donnerte. Der Boden<br />
brach auf und aus der schwarzen Tiefe walgte ein hundertfaches Glühen herauf und<br />
schließlich schwangen sich dunkle Ungetümer mit glutroten Krallen aus dem aufgebrochenen<br />
Erdreich empor. Sie flogen mit riesigen Schwingen auf die Berghänge<br />
und liessen sich dort flügelschlagend nieder.<br />
Als alle neunundneunzig Mordìlen sich versammelt hatten blickten ihre rotglühenden<br />
Riesenaugen in die Schlucht hinab und wie sich in den finsteren Tiefen ein<br />
gewaltiger Leib zu regen begann, fingen sie schrecklich zu jaulen und zu speien an.<br />
Ihr Führer und Meister Umànvàr erwachte. Auch er schwang sich empor, streckte<br />
seine Klauen aus und warf zischend den Kopf ins Genick. Dann räkelte er sich und<br />
stärkte knackend seine Glieder. Er öffnete sein schreckliches Maul und fing auf drakonisch<br />
zu flüstern an:<br />
„Radakk, kunka adhag mennakk. Kunka adhag siddak enhagh. Adh edheldakk<br />
wanakk helvokk, kunka helvokk menakk delvogg. Adh Avànà avigh helnett. Menakk<br />
Umàn avagg ghelnet.<br />
Was ist dein Begehr das du es wagst uns zu erwecken. Du uns mit dem<br />
Drachenhorne zwingst die Klauen auszustrecken. So sag uns was zutun ist, oh großer<br />
Avavan. Schick uns hinaus an jenen Ort ins himmelweite Land. Zeigt uns die<br />
Wege die in die Ferne führen. Sag uns welche Wesen sollen unseren Zorn denn<br />
spüren. Wir werden Euch gehorchen was immer ihr auch wollt. Jene mit Klau und<br />
Feuer morden die es treffen sollt`.“<br />
Gàràmakk hob Avras empor und zeigte gen Dàrvenhohe. Dann begann er mit drakonischen<br />
Ungorformeln zu antworten und hielt mit Umvànàr und seiner<br />
Gefolgschaft Rat während Blitz und Donner den Horizont zerbersten liessen. Die<br />
Mordìlen, der Schrecken aller Caladwesen waren nach ihrem tausendjährigem<br />
Schlaf erwacht und bereit die Welt in eine zweite Dunkelheit zu stürzen.<br />
63
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Hundris wanderndes Gesicht<br />
Fünfzig Tagesmärsche lang war das Abertausendheer der Uradhèl gewandert. Wie<br />
eine Narbe hinterliessen sie eine Spur aus tausendfachen Tritten, die sich über<br />
sämtliche Ländereien Endorìns zog. Hagelregen und Fallstürme hatten die Reise<br />
erschwert und manchen Streiter sowie manches Roß erschlagen. Viele lichte<br />
Wesen strömten noch während des Marsches heran und reihten sich in die wogende<br />
Masse aus Rittern; Bògnern; Rößern und Fracht- und Fuhrgewerken mit ein. Nur<br />
die Riesen, die im fernen Arlàthgebirge hausten, waren noch nicht angekommen.<br />
Ilìgan der Elbengesandte war, kurz nachdem das Lager im Undarwald sich aufgelöst<br />
hatte, aufgebrochen um Ildafùr, dem Könige der Friedriesen, <strong>von</strong> der nahenden<br />
Jahrtausendschlacht zu berichten.<br />
Die Uradhèl standen nun kurz vor Dàrvenhohe. Vor ihnen erhoben sich bereits die<br />
Wehrgipfel des Spaltgebirges und ein beschwerlicher Aufstieg erwartete sie. Doch<br />
vorerst ließen sich die erschöpften Mannen zur Rast danieder. Tranken und speisten<br />
um zu neuen Kräften zu gelangen.<br />
Am äußersten Lagersrand hatten sich die scheuen Nyrnarè versammelt. Sie zählten<br />
zu den Heilervölkern und waren ein Wichtelgeschlecht das in den Kräuterhainen<br />
Kastarèniens beheimatet war. Sie konnten ihre Größe verändern. Mal waren sie<br />
winzig klein wie die Beeren eines Rotpfeilerstrauches. Mal so groß wie ein Andrìr.<br />
Ihre kleine Statur bevorzugten sie jedoch. So wanderten sie tagein, tagaus durch<br />
das weite Gräsermeer der Farnòshaine um verletzte Wesen <strong>von</strong> ihren Wunden<br />
genesen zu machen oder die Elral zu beschwören auf das die Toten übersetzen<br />
konnten ins lichte Halwenìr. Nun saßen sie in weiße Leinen gehüllt beim Feuer und<br />
tranken Vàndelkrautsuppe die eine ihrer Spezialitäten war. Sie sprachen kein Wort<br />
miteinander denn die Nyrnarè lasen die Gedanken <strong>von</strong> ihren tiefblauen Augen ab.<br />
Auch sie mußten auf Weissung des Waldherren ihre ersterbende Heimat verlassen.<br />
Die Farnìs war unheilbar erkrankt und der Boden unfruchtbar geworden. Welches<br />
Heilmittel sie in langen Nächten auch ersonnen und zusammenstellten, nichts<br />
konnte der Waldherrin zur Besserung verhelfen. So folgten sie der Spur Aìnuks,<br />
ihrem heiligen Gral, um den verwundeten Streitern beim Feldzug eine heilende<br />
Hand zu gereichen die die angeschlagenen Lebenskräfte im heeren<br />
Schlachtgetümmel stärken sollte.<br />
Wie sie da schweigend saßen und ihre Suppe löffelten fuhr Gandefìn, ihr Heilemeister<br />
plötzlich herum und blickte in die Ebene, die bereits ins glühende Dämmerlicht<br />
getaucht war. Er gewahr einer Reiterschaft am Horizont die sich dem Feldlager stetig<br />
näherte. Er zögerte nicht lange und hieß Tylefìn, seinen ersten Schüler, sich zum<br />
Prachtzelt der Uraelben zu begeben um den Rechthüter und den Gütigen <strong>von</strong> der<br />
64
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Ankunft der Fremdlinge zu berichten.<br />
Nachdem Idanìs, Lèfule und der Gütige die Botschaft erhalten hatten, fanden sie<br />
sich eiligst am Lagersrand ein. Aldraìs platzierte Bògner zu beiden Seiten denn die<br />
Widersacher der Caladwesen waren nicht weit entfernt <strong>von</strong> ihrer Lagerstatt. Er<br />
mahnte zur Vorsicht und verwies auf den Umstand das es sich, entgegen der<br />
Vermutung das neue Streiter zum Heerlager hinzu kamen, ebensogut um eine Falle<br />
der Ungordhèl handeln könnte.<br />
Die Reiter trabten immer näher heran wie eine Staubwolke die jeden Moment über<br />
das Feldlager hinwegziehen würde. Es war eine Hundertschaft <strong>von</strong> Kriegern die<br />
mächtige Calderrößer führten, deren wuchtige Stirnen mit seltsamen Symbolen aus<br />
roter Tonerde versehen waren. Schließlich machten sie Halt und waren einige Fuß<br />
<strong>von</strong> den Abgesandten Ilandòrs entfernt. Sie warfen Sättel und Zügel ab und ließen<br />
die Pferde rasten. Dann stellten sie sich auf und ein riesiger Streiter trat aus ihren<br />
Reihen hervor. Er ging ein paar Schritte auf die Gesandtschaft zu und fiel schwerfällig<br />
auf die Knie. Es war Avaldor der Schutzgebende der die weiten Gräsermeere<br />
Lithandròrs seine Heimat nannte.<br />
Er blickte auf und erhob sich aus seiner Verbeugung. In seinen Augen spiegelte sich<br />
die Verzagung eines Verzweifelten wieder:<br />
„Wir zogen einst wachsam duch die Lande. Geeint bis in den Tod durch geschworene<br />
Bande. Hatten den Schrecken des Bösen verwunden und halfen dem Land<br />
stets zu gesunden. In Anèmm Ghadàr bei der Quelle der Weisheit lag unsere heilige<br />
Statt. Wir durchritten die Ebenen Lithandròrs und bestritten so manche Schlacht.<br />
Unter wehenden Bannern auf dem Rücken der Calder machten wir uns zu Euch auf<br />
den Weg. Den Zeichen des Himmels folgend, da es Lithandròr schlecht ergeht.<br />
Die Quellen versiegen; das Gras ist verdorrt; das Vieh wird geraubt <strong>von</strong> den Plagen.<br />
Die Menschen sie hungern. Es stirbt Frau und Kind. Es stellen sich vielhundert<br />
Fragen. Ein Feind hat gewütet in unserem Heim, doch ist er nicht zu greifen.<br />
Niemand vermag zu packen ihn und zu Tode zu schleifen. Wir kämpften einen langen<br />
Kampf doch er breitet als Schatten sich aus. So trieb er uns in bangem<br />
Begreifen aus Anèmm Ghadàr hinaus.“<br />
Die Ghadàner wurden nach dieser Kunde sogleich in Empfang genommen und zum<br />
Hauptzelt geführt. Dort sollten sie <strong>von</strong> Idanìs Antworten auf ihre bangen Fragen<br />
erhalten. Avaldòr stutzte wie er zu Lèfule schritt um ihm die Hand zu reichen. Etwas<br />
ließ ihn inne halten und ein Ausdruck der Ehrfurcht lag in seinem Blick. Er verneigte<br />
sich tief vor dem fremden Jüngling der einen silbernen Bogen über der Schulter<br />
trug den ein prachtvoller Köcher kreuzte....<br />
65
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Der Morgen dämmerte bereits und doch schien es als wäre es noch tief in der<br />
Nacht. Die Uradhél machten sich daran den Galdakk-Ûn zu besteigen, um in die<br />
Talkesselebene <strong>von</strong> Gran-Dhûr zu gelangen. Den mühseligen Aufstieg verfolgten<br />
mächtige Erschütterungen so als täte der Berg jeden Moment lang einstürzen. <strong>Das</strong><br />
Abertausendheer war umfangen <strong>von</strong> unablässigen Schneewehen die um den Gipfel<br />
tanzten und so den klaren Blick verwehrten.<br />
Die Rößer waren wild geworden, sträubten sich voran zu gehen und den drängenden<br />
Zügeln und Tritten nachzugeben. Sie warfen die Köpfe in den Nacken,<br />
schnaubten, wieherten und versuchten so ihrer Weigerung Ausdruck zu verleihen.<br />
Doch schließlich gaben sie den Reitern nach.<br />
Eine noch größere Herausforderung bestand darin die Feuerböcke und Wehrfuhren<br />
unbeschadet den Berg hinauf zu schaffen. Immerwieder blieben die Karren in<br />
Schnee und Geröll stecken oder eine Böe erfasste sie und drängte sie den schmalen<br />
Pfad entlang zum Abgrund hin. Nur mit Mühe stemmten sich die Fuhrleute<br />
gegen das Fahrgewerke und hievten es mit aller Kraft weiter hoch zu den schützenden<br />
Felsdächern des Galdakk-Ûn..<br />
Lèfule ritt inmitten des Heerstromes auf einem stattlichen Calder den ihm Avaldòr<br />
als Geschenk der Ghàdàner verehrte. Er hatte sich tief in seinen Umhang vergraben<br />
und hielt sich schützend die Hände vor den Mund um Frost und Kälte abzuwehren.<br />
Aber es war vergebens eine bleierne Müdigkeit umfing ihn und er hockte<br />
wie ein Bündel auf seinem Roß das jederzeit zu kippen drohte. Esragùl ritt neben<br />
ihm her und schaute oftmals prüfend zu ihm hin, sich vergewissernd das der<br />
Auserwählte seine Kräfte schonte aber dennoch genügend da<strong>von</strong> besaß um den<br />
schweren Aufstieg unbeschadet zu überstehen. Manches Male erwiderte Lèfule<br />
seinen sorgenvollen, väterlichen Blick und nickte ihm verständig zu. Der Wind zerrte<br />
immer stärker an ihm. Doch er lehnte sich gegen die Himmelsgewalt und hatte<br />
alle Mühe nicht vom Roß zu fallen. Der Schnee fegte ihm ins Gesicht so das er fast<br />
blind war und nicht mehr begriff was um ihn herum geschah. Er fühlte sich wie in<br />
einem weißen Traum und hörte das Sausen des Sturmherren in dem das Rufen und<br />
Geschrei der Bergführer versank nur noch aus weiter Ferne. Immer deutlicher<br />
jedoch vernahm er seinen eigenen Herzschlag und den Atemhauch der aus seinem<br />
Inneren heraus über die Lippen glitt. Schließlich übermannte ihn eine unendliche<br />
Müdigkeit die das Brennen auf seiner Haut mit einem Mal ersterben ließ. Eine<br />
weiße Dunkelheit begann ihn zu umfangen. Plötzlich vernahm er aus der unendlichen<br />
Stille heraus süße Feengesänge und ein zartes Klingen das ihn zu sich rief.<br />
Lèfule öffnete seine Augen, streckte die Hände aus und begann durch einen Haine<br />
zu wandeln, der den fruchtbaren Gärten Kastarèniens glich. Er blickte ins weiche<br />
Gras das seine nackten Füße ehrfürchtig berührten und erkannte das Gesicht der<br />
66
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Waldherrin die ihm freundlich zulächelte. Er sah zu den Stämmen der<br />
Grünerweiden und gewahr dem Auge des Waldherren das ihm zuversichtlich entgegen<br />
blickte. Er blickte in die Wasser eines Bächleins und gewahr einem Bilde das<br />
sich in den Untiefen formte. Es war die Nurnìn Skùdina und sie flüsterte ihm lichte<br />
Uraformeln zu.<br />
Er schaute zum blauen Himmel empor und aus den Wolken formten sich Gesichter<br />
die schließlich in eines übergangen: In das Anlitz eines stattlichen Edelmannes der<br />
ihm in seinem Traum bei Idanísens Stätte erscheinen war. Dann formte sich ein<br />
Bogen aus der sonnendurchfluteten Pracht und die tiefe Stimme des<br />
Schöpfungsgottes Hundrìs erscholl aus dem Wispern der Feen und Elfen:<br />
„Wir alle sind gekommen Euch Beistande zu geben. Bestanden habt ihr die<br />
Prüfung, rein ist Euer Streben. Jetzt hat die Zeit begonnen da Euer Schicksal sich<br />
erfüllt. Lang schon haben wir . . . in Schweigen uns gehüllt.<br />
Nun ist der Moment gekommen <strong>von</strong> Eurem Vater zu erzählen. <strong>Das</strong> Rätsel Euer<br />
Herkunft lösend, das Euch so lang schon quälet. Gelesen habt ihr im Prachtgezelt<br />
<strong>von</strong> Bartub dem edlen Streiter. Er war Ilandòrs erschaffener Sohn, wuchs auf bei<br />
Hugìn <strong>von</strong> Galdeòn. Wie Ihr ein stetig Geteilter.<br />
Einst zog er aus zu den Vaithûn, ein düstres Ahnen hatte ihn überkommen. Igrìmlor<br />
war befallen <strong>von</strong> Plagen, der Vater starb in seinen liebenden Armen. Da war er vor<br />
Kummer schwer und benommen. Doch harrte er nicht lang bei dessen Totenstatt.<br />
Es verschlug ihn darauf gen Lìngìs Arèn, der Vaìthûnen heiligen Stadt.<br />
Von dort aus gelangte er sodann nach Elwenas Irdaine, wo sie sogleich begruben<br />
des Meisters Unwin Gebeine, der die Fahrt nicht überstand. Er ward getötet <strong>von</strong><br />
einem Ygdonen, durch dessen erbarmungslose Hand.<br />
Bei Mìrìth Gìlad erfuhr er <strong>von</strong> der Lichteren kommenden Schlacht. Von den schwelenden<br />
Schatten Dhurandòrs, dem tückischern Vàd-Anàkk. Auch <strong>von</strong> seinem<br />
Schicksal tat man kunde ihm. Er sollt der Elben Gute führen der nur den Tapfersten<br />
gebühret.<br />
In der großen Lichterschlacht hat Sylfìens Segen ihn bewacht. Er kämpfte sich<br />
durch schreckliche Horden der Weissung folgend Vàd-Anàkk zu morden. Er brachte<br />
schlußlich den Avan zu Falle. Doch eine Albenlanz stieß in sein Herz und zerquetschte<br />
es gleich einer Kralle.<br />
Nun wisst Ihr um Eure Herkunft, Iland`ors zweiter Sohn. Euch sei es nun beschienen<br />
zu besteigen der Wavan Thron. Doch vorerst zieht gewissenhaft in den heeren<br />
Kriege. Helft die Ungordhèl zu Falle zu bringen, das Schrecknis des Bösen darnieder<br />
zu ringen. Auf das die Quellen der Schatten seien befriedet.“<br />
Nachdem Hundrìs zu Lèfule gesprochen hatte erstarb seine Stimme im Rauschen<br />
67
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
des Windes. Wieder umfing den Jüngling ein weißes Dunkel. Er hörte das Pochen<br />
seines Herzen und seinen Atem ganz deutlich und dennoch gewahr er unversehens<br />
dem durchdringenden Schreien und Rufen der Heerführer.<br />
Wie er erwachte fand er sich sitzend auf dem Roß des Gütigen wieder, der abgestiegen<br />
war und die Zügel gehend führte. Sein Calder ging ungesattelt neben ihnen<br />
her. Lèfule wunderte sich. Er mußte <strong>von</strong> seinem Roß gefallen sein. War es nur ein<br />
Traum den er geträumt hatte oder eine Offenbarung. Er gedachte Hundrìs gesprochenen<br />
Worten als Esragùl plötzlich herumfuhr und ihn forschend anblickte. Dann<br />
nickte er wissend und folgte weiter dem Weg des Stromes der bald am Gipfel angelangt<br />
war.<br />
Der Jüngling begann zu begreifen und nun da er um seine wahre Herkunft wußte<br />
flüsterte ihm sein Herz Mut zu. Derjenige der ihm das Leben geschenkt hatte vererbte<br />
ihm ein Schicksal das reich war an Herausforderungen und Abenteuer.<br />
Dennoch war es Lèfule zugleich eine lastende Bürde und die Ungewissheit ob er<br />
fähig war sie zu bestehen liess den Zweifel an seiner Seele nagen.<br />
Im Herzen der Bugdrìsfeste<br />
<strong>Das</strong> Heerlager erstreckte sich weit in den Talkessel hinein. Als die Dämmerung über<br />
Gran-Dhûr hineinbrach wurden die Holzfeuer entzündet und ein tausendfaches<br />
Glimmen erhellte flackernd die erstarrten Ausläufer des Grandhìs Berges, dessen<br />
mächtige Kuppel drohend in den Abendhimmel ragte und in den schwelenden<br />
Düsterwolken verschwand.<br />
Ein tiefschwarzer Riss, der sich wie eine Narbe ins Gestein gefressen hatte, markierte<br />
den Schlund des Schreckens. Denn „der Pfad der steinernen Schatten“ führte<br />
in die Bugdrìsfeste hinein. Dort wo sich tief unter der Erde das zehntausendköpfige<br />
Heer berittener Alben; in schmiedeiserne Rüstungen gepresste Ygdonen und<br />
Hunderte <strong>von</strong> Gefolgschaften aus dem Geschlecht der wandelnden Halbwesen und<br />
Schattengeister versammelt hatte. Geführt und mit Soll erkauft vom abtrünnigen<br />
Wavan Gàràmakk.<br />
Lärm erscholl aus den Tiefen Bruchwallens, jener sagenhaften Goldmiene die unter<br />
den Labyrinthgängen der Ygdonfeste lag. Hölzerne Stiegen führten hinab zu den<br />
Brennöfen der Rüststatt. In ihrem Herzen fertigten die Ornethùl und Tìgulìer glühendes<br />
Eisen und biegsamen Stahl zu Schwertern; Helmen; Rüstungen und<br />
Lanzenköpfen. Sie goßen das flüssige Material in ausgestanzte Formen aus Stein,<br />
warteten bis es erkaltete und schlugen es anschließend auf Hunderten <strong>von</strong><br />
68
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Amboßen zurecht. Die Ygdonier selbst hatten sich zu einer riesigen Schlange aufgereiht.<br />
Eine mächtige Gestalt nach der anderen trat hervor, lehnte sich den Helfern<br />
entgegen und bekam einen der Helme über den starren Kopf gezogen. An einer<br />
anderen Stelle wiederum wurde das fertige Rüstzeug den hitzigen Streitern übergeben.<br />
Etwas oberhalb der Rüststatt befand sich eine Halle aus grobem Gestein. Dort versammelten<br />
sich die großen und kleinen Kreaturen der Ungordhèl. Der Met floß<br />
reichlich und Bratenspieße garten über den Feuern. In den Gewölbeseen wurde<br />
nach Blindflössern gefischt, jenen riesenhaften Fischen bei denen zwei Bissen<br />
bereits eine Sättigung bewirkten. Die rauflustigen Torokk, gemeinhin als Steintrolle<br />
bekannt, brauchten jedoch in Anbetracht ihrer Größe und Gier gleich mehrere<br />
Zwanzig an der Zahl. Ihre wuchtigen Pranken durchwühlten die Wasser und an den<br />
Felsbrocken floss das Blut unzähliger Fische in Rinnsaalen herab. Ein eigentümliches<br />
Klatschen aufschlagender Körper und das Knacken gebrochener Wirbel<br />
durchdrangen das Gewölbe. Es roch nach den fauligen Wassern des Bucken-Vàr<br />
und nach Exkrementen. Über dem Wehrlager stieg schwelender Dunst auf und es<br />
stank fürchterlich nach angebranntem Fleisch, Moder und dem Muff <strong>von</strong><br />
Schattenmoose das aus den vielen Rissen und Ritzen des Steinbodens hervor<br />
lugte.<br />
An den Feuern herrschte ein Gebrüll und Gejaule das sich zu einer grauenhaften<br />
Melodie zusammen mehrte. Zu einer todkündenden Melodie für alle die der lichten<br />
Welt zugetan waren und für sie eintreten sollten. Zwischen den ruhenden<br />
Ungorelben; den Metfässer leerenden Ygdoniern; den Schwerter schwingenden<br />
Rùgùren; den pöbelnden Ukûlakk und den feisten Alberichen hinkten die tölpelhaften<br />
Gòlcaron, eine primitive Unterart der Steintrolle, als Wehrhelfer entlang. Sie<br />
waren ausgesandt zu schauen ob jedes Schattenwesen auch gut gerüstet und die<br />
Waffen noch unversehrt waren. Denn es kam allzu häufig vor das ein törichter<br />
Trunkbolde mit seiner Schleuder auf wandelnde Schatten am Gemäuer zielte. Oder<br />
das sich streitbare Gesellen mit den Schwerten einen herben Kampfe lieferten,<br />
wobei das Rüstwerk an den steinernen Klauen der Ygdonier zumeist zerbrach.<br />
Nach Bugdrìs Weissung sollte das Heer in nicht weniger als drei Monden gerüstet<br />
und vollzählig sein. Dann sollten die Ungordhèl zusammen mit den Mordìlen eine<br />
tödliche Falle schaffen an der die Caladwesen und die Welt der Wavanweisen zerbrechen<br />
und untergehen sollte.<br />
69
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Ilandòrs Licht & Dhurandòrs Schatten<br />
Der lichte Morgen dämmerte. Krähenscharen kreisten zwischen den Gipfeln des<br />
Spaltgebirges umher. <strong>Das</strong> gleißende Morgenlicht ließ die Caladwesen in besonderer<br />
Schönheit erstrahlen. Unberührt waren die Reihen der Streiter. Noch glänzten<br />
ihre Rüstungen ohne <strong>von</strong> Blut befleckt oder zerissen zu sein. Ganz vorn unter<br />
wehenden Bannern stand die Fußwehr mit Schildern und Schwertern gerüstet.<br />
Dahinter hatten sich die elbischen Bògner mit ihren Längnern aufgereiht. Es folgte<br />
das Lanzenmeer der Reiterschaften welche zu Füßen der Friedriesen, die dem Ruf<br />
Iligans gefolgt waren, standen. Ildafùr und seine Knappen, Galdafòr und Aldafìr, bildeten<br />
die Spitze des Gigantenheeres, das mit Felsbrocken; gewaltigen Hämmern<br />
und allerlei anderen Wurfgeschoßen gerüstet in den Kampf ging.<br />
Die Uradhèl bildeten zwei Flanken. Idanìs führte jene linkerhand und Esragùl jene<br />
rechterhand. In der Mitte eingefasst standen am Kopf des Heeres Avaldòr und<br />
Lèfule. Sie saßen auf geschirmten Caldern deren kunstvoll geflochtene Mähnen<br />
dem Reiter einen zusätzlichen Halt gaben. Zwischen den Reihen lugten die<br />
Wehrfuhren und Feuerböcke hervor, die Schneisen schlagen sollten in die Allmacht<br />
des Schattenheeres. Es herrschte eine unheilvolle Stille, die Uradhèl erwarteten<br />
ihren Feind mit Bedacht. Jeden Moment könnten die Tausendschaften der<br />
Ungordhèl aus den Tiefen des Grandhìs Berges herausquellen. Aber noch regte<br />
sich nichts.<br />
Lèfule war bereit . . . bereit seinem Schicksal entgegen zu treten. Sein roter Schopf<br />
ragte unter seinem Helm hervor, über seinen Schultern hing der prachtvolle<br />
Nìrnadisköcher, in seiner rechten Hand hielt der den prunkvollen Lägner Tìranauk<br />
und an seinem Gürtel stakte die Klinge Evenàrs. Zudem trug er die Gralsgaben bei<br />
sich die bald ihre schicksalshafte Anwendung finden sollten.<br />
Entschlossenheit erfüllte sein Herz und eine brennnende Wut über alles Geschaute<br />
gesellte sich hinzu. Sie tat seinen Willen in dieser schwarzen Stunde stärken. Er<br />
wollte Rache nehmen . . . Rache für den Hinterhalt bei der Flossenfurt; Rache an<br />
jenen die die Fàrnukken vertrieben und mordeten; Rache an solchen die die schöne<br />
Fìnua ihrer Heimat entrißen und gefangen hielten. Er wollte es seinem wahren<br />
Vater gleichtun mit dessem Schicksal er, Kraft der Vorhersehung, verbunden war. Er<br />
wollte kämpfen bis zum letzten Tropfen seines Blutes um die Schatten Dhurandòrs<br />
zu vertreiben und die Caladländer vor deren zerstörerischen Dunkelheit zu bewahren.<br />
Lèfule war gerüstet und gereift um dem Grauen der Avanan die Stirn zu bieten.<br />
Gleich Bartub <strong>von</strong> Galdeon war er zu einem edlen, mutigen Streiter herangewachsen<br />
der nun seine letzte Prüfung zu bestehen hatte.<br />
70
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Stunden harrten sie aus ohne das sich etwas regte. Doch plötzlich zogen<br />
Wolkenwände auf die am Horizont aufeinanderprallten, so das ein lärmendes<br />
Donnern den Himmel durchwalgte. Dann öffnete sich der Schlund des Berges und<br />
die Schlachtchöre der Ungordhèl erschollen aus dem hundertfachen Horngebläse,<br />
das ihnen voran ging. Schwere Tritte liessen den Boden erbeben. Eine schwarze<br />
Wolke bewegte sich gleich einer wütenden Riesenschlange auf das Heer der<br />
Lichtwesen. Ganz oben an der Kuppel des Berges hatte sich der Rat des<br />
Aavangeschlechtes, allen voran Gàràmakk und Grìmlokk, versammelt. Mit erhobenen<br />
Händen die Avras in sich bargen überblickte der schwarze Fürst seine gesammelten<br />
Heerschahren und an seinem kunstvoll gewundenen Gürtel prangte das<br />
Drachenhorn. Wieder erschollen Hornsignale die sich fragend zum Dùnkler aufschwangen.<br />
Der liess seinen Zauberstab auf den Boden sausen und Blitze stoben<br />
aus dessen marmorner Spitze und verglühten sogleich in der Tiefe. Funken regneten<br />
auf die Ungordhèl herab die nun zum Angriff bliesen. Dann setzten sich die<br />
Streiter in Bewegung.<br />
Die Reihen der Alberiche; Rùgu`ren; Ungorelben; Halbwesen und Ygdonier kamen<br />
erst nur langsam voran. Die Torokk und Gòlcaron führten Wehrfuhren und<br />
Schleudern mit sich deren grobe Unterbauten sich nur schwer in Schwung bringen<br />
liessen. Nun erklang auch aus den Reihen der Uradhèl das dumpfe Dröhnen der<br />
Kriegstrommeln und das eigentümliche Brummen der Hörner. Dann, ganz plötzlich,<br />
begann die Fußwehr voranzustürmen gefolgt <strong>von</strong> den sausenden Pfeilen der<br />
Bògner die die ersten Reihen der Ungordhèl zu Falle brachten. Ihnen folgten die<br />
Außenflügel der Reiterschaften die zugleich eine Schneise in die Reihen schlugen<br />
und sich in gestrecktem Galopp die Führung des Heeres aneigneten. Die Heere<br />
begannen sich im Ansturm noch einmal neu zu formieren. Dann hetzten sie erbarmungslos<br />
aufeinander zu.<br />
Sandwolken wirbelten auf wie die streitenden Heere sich umzingelten und versuchten<br />
die gegnerischen Linien zu durchbrechen.<br />
Die Vorhut traf Schwerter schwingend aufeinander. Dann mischten sich die Flanken<br />
und über den Köpfen der Fußwehr erscholl das Geräusch <strong>von</strong> Lanzen die klirrend<br />
aufeinander trafen. <strong>Das</strong> Volk der Hùldren hub mit Kurzschwertern auf die Rùgùren<br />
ein. Und mancher Gòròdhaner verfehlte den Schlag und wurde durch markige<br />
Hände zu Boden gerungen und mit einem Stein erschlagen. Die Ukûlakk rissen<br />
einen Reiter vom Roß, huben ihm Dolche in die Brust und wurden gleich darauf <strong>von</strong><br />
herannahenden Lanzen aufgespießt. Rößer wurden zu Fall gebracht und manche<br />
fanden unter den fliehenden Hufen ihren sicheren Tod.<br />
71
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Die Bògner strömten herbei und erschoßen ihren Feind auf kurze Distanz.<br />
Flinkfüßig tänzelte Aldraìs zwischen den aufgebrachten Reihen der Streiter umher<br />
um den kämpfenden Caladwesen helfend zur Seite zu stehen wenn sie sich in allzu<br />
großer Bedrängnis befanden. Lèfule selbst hielt sich dicht hinter Esragùl. Jedoch<br />
nicht um sich hinter dessen Rücken versteckt zu halten sondern um zahlreiche<br />
Übergriffe, die <strong>von</strong> hinterrücks kamen, abzuwehren. Doch er geriet selbst immer<br />
mehr in die Fänge der heranströmenden Halbwesen und war unermütlich darin<br />
Harnische zu sprengen, mit Evenàrs Klinge die schrecklichen Untiere darnieder zu<br />
ringen und den Bogen einzusetzen während der Feind in a großer Ferne zahlreich<br />
auf ihn lauerte.<br />
Unter die Rößer mischten sich die Reittiere des Schattenheeres. Es waren blutgierige<br />
Geschöpfe mit riesigen Hauern, die denen eines wildgewordenen Keilers glichen.<br />
Mit heraushängender Zunge und hochgezogenen Lefzen schlugen sie wütende<br />
Haken und stürzten auf die Calder zu um sich an derem süßlichen Fleische zu<br />
laben.<br />
Mitten im Schlachtgetümmel wurden die Feuerböcke aufgestellt und bald flogen<br />
brennende Strohbüschel umher, die Reihen der Nachhut zu durchbrechen. Es folgten<br />
die eiserenen Bleikugeln der Steinschleudern die auf die harrenden Reihen<br />
übergingen und Chaos zu stiften begannen. So das viele der Streiter <strong>von</strong> den<br />
Geschoßen überrascht zu Boden gingen. Es klirrten die Schwerter und Lanzen, es<br />
erschollen Schreie und ein schreckliches Geheul aus dem tosenden<br />
Schlachtkessel. Da sausten die Schleudern und Wurfspeere schneidend durch die<br />
Luft und als tausendfaches Echo setzte sich das blutige Treiben an den Bergen des<br />
Spaltgebirges fort.<br />
Rauchfahnen stiegen mahnend in den Wolken durchsetzten Horizont, das Blut floß<br />
in Strömen und begann sich in der Ebene gleich einem roten Teppich auszubreiten.<br />
Lèfule rang mit dem Schrecknis des Bösen. Er ließ sein Roß hinter sich und stakte<br />
das Schwerte schwingend umher, den Feind immer dicht auf seinen Fersen. Eine<br />
Horde Ungorelben umzingelte ihn und hub <strong>von</strong> allen Seiten auf den Jüngling ein.<br />
Doch der fuhr in seiner Wendigkeit im Kreis herum und wehrte die schweren<br />
Klingen flinkerhand ab. Dann nahm er sich Tìranauk zur Hand begann sich dreimal<br />
um die eigene Achse zu drehen, richtete den Bogen auf die Angreifer und streckte<br />
alle Sechs auf einen Streich nieder.<br />
Ein berittener Alberich näherte sich sogleich. Unter seiner Kappe lugten zwei glühende<br />
Augen hervor. Er umkreiste Lèfule und trug eine lange Eisenkette bei sich<br />
die mit einer Dornen durchwirkten Kugel endete. Er liess seinen gierigen Wolfskeiler<br />
72
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
den Jüngling umkreisen und hub mit der Dornenkette auf ihn ein. Diese traf jedoch<br />
nur auf Luft denn der Jüngling verschwand blitzschnell unter den Leib des mächtigen<br />
Tieres. Ratlos blickte der Alberich um sich als sein Reittier plötzlich wütend zu<br />
grunzen begann. Es tänzelte rückwärts und begann Etwas abzuwehren das sich<br />
am Schwanzende hochhievte und auf seinen Rücken glitt. Es war Lèfule.<br />
Blitzschnell griff jener nach der Eisenkette und begann mit aller Kraft seinen Gegner<br />
zu erwürgen, der nach einem längeren Handgemenge schließlich tot vom Keiler fiel.<br />
Dann raste der ungestüme Wildfang ungebremst durch die Reihen. So dass Lèfule<br />
alle Mühe hatte nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Plötzlich jedoch jaulte der<br />
Keiler auf und fiel zu Boden. Avaldòr war dem Jüngling zu Hilfe geeilt und hatte das<br />
Ungetüm mit einer Lanze nieder gestreckt. Lèfule sprang behende <strong>von</strong> seinem<br />
Rücken rannte auf ein gestürtztes Roß zu und zwang es sich aufzurichten. Gerade<br />
als er aufsteigen wollte bäumte es sich unversehens auf, wieherte und trabte<br />
da<strong>von</strong>. Lèfule verspürte einen rasenden Schmerz. Eine Speerspitze hatte sich<br />
durch seine Schulter gebohrt. Der Jüngling griff sich an die Brust und fuhr herum.<br />
Und wie er herumgefahren war erblickte er das scheußliche Anlitz eines Torokk.<br />
Lèfule wurde heiß und kalt zugleich, dann durchfuhr ihn ein Zittern und er kippte mit<br />
starren Augen, die Hand in den Knochen gekrallt vornüber und fiel ins schlammige<br />
Naß. Wie auf der Spitze des Galdakk-Ûn umfing ihn ein Schleier. Er blickte auf und<br />
gewahr aus der Ferne Esragùl der herangeritten kam. Dann näherte sich ihm <strong>von</strong><br />
oben herab eine schrecklich verzerrte Maske die nach einer Lanze griff und . . . . sie<br />
nach unten sausen liess. In diesem Moment jedoch schlug Esragùls Calder einen<br />
Haken und der Gütige trennte mit nur einem Hieb seines Zauberstabes den Kopf<br />
vom Leib des Rùgùren ab. Dann gab er Lèfule ein Zeichen das auf das Bündel an<br />
seinem Wams deutete. Sogleich zog Lèfule noch ganz benommen, Aìnuk die<br />
Zauberwurzel hervor, brach einen Brocken ab und führte ihn zu seinem Mund. Ein<br />
warmes Kribbeln durchlief seine Wunde und vor ihm formte sich die Hand der<br />
Farnise aus. Sie griff sanft an seine Schulter und strich über den offenen Spalt.<br />
Dann verschwand die Hand wieder und als Lèfule sich aufraffte und abermals zum<br />
Spalt herab blickte war jener auf wundersame Weise verschwunden.<br />
Er zog sich am Griff seines Schwertes hoch und blickte sich in den Reihen der<br />
kämpfenden Söhne Ilandòrs, die mit der Schattenmacht Dhurandòrs rangen,<br />
um.Doch verharrte er nur einen kurzen Moment denn sogleich war er gezwungen<br />
den Bogen zu schultern.<br />
Weit hinter dem Schlachtgemetzel lauerte zu beiden Seiten die Nachhut der<br />
Riesen. Es waren bereits Stunden die der Feldzug nun schon währte. Langsam<br />
wurden die Reihen der Caladwesen zurückgedrängt. Ildafùr und seine Knappen<br />
hielten nun die Zeit für gekommen vorzustoßen, da die Ygdonier sich bereits ihren<br />
73
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Wege zum Schlachtgetümmel hin bahnten. Der Himmel brach auf und benetzte die<br />
steinernen Giganten mit einem zarten Regenschleier. Aufrecht standen die<br />
Friedriesen, die in eldaìva auch Sîdener genannt wurden, da . . . mit erhobenen<br />
Häuptern und massigen, stolz gereckten Schultern. Ein geisterhaftes Knistern das<br />
immer lauter wurde und sich zunehmend mehrte begann die Leiber der steinernen<br />
Kolosse zu durchfahren. Knarrend tat Ildafur, dessen Anlitz dem einer riesigen<br />
Marionette glich, einen Schritt nach vorn. Dann öffnete er seinen Schlund und ein<br />
eigentümliches Knarzen liess seine Gefolgschaft aus der Erstarrung erwachen. Den<br />
Boden durchfuhr ein gewaltiges Zittern wie der Gigantenkönig einen Zweiten tat.<br />
Dann öffnete sich abermals sein Maul und nun durchschnitt ein Geheul die Ebene<br />
als täte Felsgestein sich lösen und als Lawine auf Gran-Dhùr darnieder prasseln.<br />
Die Uradhèl brachten sich eiligst an den Westflanken in Sicherheit. Die Ungordhèl<br />
taten es ihnen gleich und zogen sich an die Nordflanken des Spaltgebirges zurück.<br />
Auch die Ygdonier formierten sich, sie bargen Wurfgeschosse und gewaltige<br />
Hämmer in ihren mächtigen Pranken. Khùrdodal und Haldurìkk, Bugdris Knappen,<br />
standen dem Riesenheer vor und sollten es an des Königs Stelle in die Schlacht<br />
führen. Auch sie taten zwei, drei Schritte und liessen den Grund erzittern. Dann<br />
schlugen sie mit den Händen gegen ihre geschirmten Köpfe. Von der Kuppel des<br />
Grandhis-Berges fielen erneut Funken herab und auf Gàràmakks verschlagenem<br />
Gesicht zeichnete sich ein furchtbares Lächeln ab wie er Avras darnieder sausen<br />
liess. Es ertönte ein langgezogenes Hornsignal und die Heere stürmten polternd<br />
einander entgegen. Bald darauf begannen die mächtigen Kreaturen aufeinander<br />
einzuschlagen. Die Ygdonier huben auf die unbedeckten Köpfe der Friedriesen ein<br />
und schwangen die Hämmer bis die Gliederteile <strong>von</strong> Ildafùrs Gefolschaft zerbrachen<br />
und die wuchtigen Kreaturen in sich zusammenfielen. Die Sîdener hingegen<br />
rissen den Ygdonen die Helme vom Haupt und schlugen mit gewaltigen Fäusten<br />
darauf ein. Die mächtigen Leiber verkeilten sich solang ineinander bis es auf einer<br />
der Seiten zu tödlichen Rissen kam die das Gesteine sprengten. Ein Beben folgte<br />
jeder niedergerungenen Kreatur, die krachend auf dem Boden aufschlug und in tausendfache<br />
Geröllstücke zerbarst. Und so verwandelte sich die Ebene <strong>von</strong> Gran-<br />
Dhùr binnen kurzer Zeit in eine gewaltige Wüste aus Stein. Immer mehr Giganten<br />
der Ungordhèl strömten heran und doch kämpften die Friedriesen zu entschlossen<br />
und drängten die schwarzen Reihen zurück. Sie hielten Stand und wirkten in ihrer<br />
Massivität unverwüstlich. Wann immer ein Sîd zu Boden ging verdoppelten sie ihre<br />
Kraft und schufen einen Wall den die Ygdonier vergebens zu durchbrechen suchten.<br />
Weitab, an den schützenden Ausläufern der westlichen Bergflanken eilten die<br />
74
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Nyrnarè den schwer verletzten Streitern zu Hilfe. Doch für manch einen konnte es<br />
keine Rettung mehr geben. So verstarb Avaldòr in Idanìs Armen wie so Viele tapfere<br />
Mannen an jenem schicksalshaften Tag. Und des Hùldrenfürsten Augen schlossen<br />
sich wie Tylefìn ihm Weißmoos auf das Herze band Doch da gab es keine Zeit<br />
in Kummer zu verharren. Trotz der Erschöpfung und der ungezählten Wunden sammelte<br />
sich das Heer der Uradhèl <strong>von</strong> Neuem am Fuße des Raldakk-Ûn und verließ<br />
seinen schützenden Hort. Die Caladwesen schöpften neue Hoffnung da die mächtige<br />
Hand des Friedriesenkönigs den schwarzen Erzriesen Einhalt gebot. Abermals<br />
mischten sich die Heere und es schien als übernähmen Ilandòrs Söhne die<br />
Führung in diesem heeren Streite . . . .<br />
Mordìs Rakk, das Drachenhorn<br />
Gàràmakk, Dhurandòrs erster Diener, stand auf der Spitze des Grandhìs- Berges.<br />
Gespannt beobachtete er das Geschehen und über seine Gestalt zogen Krafadùn<br />
und die Scharfäugler hinweg. Mit seinen schwarzen Augen gewahr der Fürst aller<br />
Schatten dem Vormarsch der Caladwesen, die die Ungordhèl <strong>von</strong> beiden Seiten zu<br />
umzingeln begannen. Aus dem Schlachtkessel heraus vernahm er die Todesschreie<br />
der Ukùlakk und Rùgùren die in den entschlossenen Rufen der Uradhèl untergingen.<br />
Und er sah die Ygdonier, die zur Bugdrìsfeste hindrängten, flüchten und unter<br />
den Schlägen der Sîdener zerbersten.<br />
Nun war es an der Zeit den Caladwesen das Fürchten zu lehren und jenen zu vernichten<br />
der der Weissung nach sein ärgster Widersacher war. Der Dùnkler griff<br />
nach dem prachtvollen Horne, dass an seinem Gürtel befestigt war. Es war der letzte<br />
Stoßzahn aus dem Maul des Gadafanten Felatòkk.<br />
Jenem Könige der vor langer Zeit die Steppen Endorìns beherrschte. Gadafanten<br />
waren gewaltige Tiere, die einst die gräsernen Weiten der Marna-Aùre die zwischen<br />
Kastarènien und Igradhûr, der Heimstatt der Einhörner, lag durchzogen. Doch ihre<br />
Tausendschaften wurden als Reittiere zur Zeit der Lichterkriege genutzt. Sie starben<br />
zu Tausenden und ihr Volk überlebte die Schlacht nicht. In der<br />
Wurzenwildebene Trollingens lagen nun die Bruchstücke ihrer mächtigen Körper<br />
verteilt, die den Erdtrollen als willkommene Behausung dienten.<br />
<strong>Das</strong> Mundtsück des Gadafantenhornes war mit Gold verziert und bestand aus zwei<br />
Drachenklauen die das Ende des Stoßzahnes umfassten. Gàràmakk setzte es<br />
behutsam an seine Lippen und blies dreimal hinein, so das das tiefe Brummen, das<br />
kurz darauf einsetzte, den Talkessel ausfüllte. Dann begann der Horizont sich zu<br />
75
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
verdunkeln und ein grauenhaftes Kreischen das aus der Ferne näher zu rücken<br />
begann durchfuhr das Tosen der Elemente. Mordìs Rakk hatte nach Umànvàr und<br />
seiner scheußlichen Gefolgschaft gerufen und die Mordìl folgten ihm. Für einen<br />
Moment hielten die Streiter inne. Suchend richteten sie ihren Blick gen Horizont.<br />
Eine unheilvolle Stille breitete sich wie ein Lauffeuer aus und Lèfule ergriff die<br />
Ahnung das etwas Mörderisches sich seinen Weg herab bahnte. Plötzlich schwangen<br />
sich mächtige Drachen über die Kuppel des Grandhìs Berges und fegten feuerspeiend<br />
über die Streiter hinweg. Die Bògner formierten sich und zielten auf die<br />
Unterseite der Körper aber die machtvollen Kreaturen erwiesen sich als schnell und<br />
wendig. Sie durchbrachen die Stellungen der Schützen und rissen die ersten<br />
Reihen mit ihren Klauen fort. Dann öffneten sie ihre Mäuler und fielen Flammen<br />
speiend in den Schlachtkessel mit ein. Immer dichter zogen sie ihre Kreise und<br />
schufen tödliche Feuertiegel aus denen es kein Entrinnen gab. Umànvàr der<br />
Schrecklichste und Größte aller Drachen zog über das Geschehen hinweg und<br />
suchte den Auserwählten im Getümmel auszumachen.<br />
Immer dichter flog er heran um dann schnell wie ein Blitz aufzusteigen und den<br />
zahllosen ´Pfeilen die nun auf ihn zielten zu entkommen. Er drehte und wand sich<br />
in der Luft, hielt den Kopf dabei jedoch gesenkt und glotzte mit furchterregenden,<br />
glühenden Augen umher. Schließlich gewahr der Fürst der Mordìlen einem<br />
Zauberer in dessem Schatten eine Gestalt mit einem Golcàron rang und mit einem<br />
besonders prachtvollen Längner um sich schoß. Umànvàr kam näher, öffnete seinen<br />
Schlund und bließ einen Feuerball auf die Gefährten nieder. Seine Ohren, die<br />
sich als kleine Scharten gleich hinter den Augen befanden, streiften dabei uraische<br />
Formeln, die der alte Mann trotzig gegen das Schlachtgelärme in die<br />
Himmelsgewalten rief. Ein weißes Licht glomm auf. Der Feuerball schoß darauf zu<br />
und prallte wie an einer unsichtbaren Mauer daran ab. Dann blieb er eine Weile in<br />
der Luft stehen und kam Umànvàr mit voller Wucht entgegen. Zornig wich der<br />
Drache aus und Zorn war es der ihn nun blind nach unten vorstoßen liess und den<br />
Zauberer, noch bevor er seinen Spruch beendet hatte, mit seinen Krallen niederriß.<br />
In diesem Moment legte Lèfule mehrere Nìnrnadìspfeile an die Sehne seines<br />
Längners, richtete sie aus, konzentrierte sich auf die Unterseite des Bauches und<br />
zielte ohne zu Zögern auf den schuppigen Leib der über ihm hinwegfegte. Zehn der<br />
Pfeile schlugen unterhalb der zweiten Herzkammer ein. Der Mordìl stöhnte auf,<br />
schlug mit einem lauten Krachen auf dem Boden auf und erdrückte mit seinem<br />
gewaltigen Leib viele Streiter, die unter seinem kalten Flügelschlage mit der<br />
Nachhut der Ukùlakk gerungen hatten. Geschwächt und ohne die nötige Kraft aufzusteigen<br />
blieb Umànvàr einige Momente regungslos liegen. Dann bäumte er sich<br />
wütend auf und spieh Lèfule der vor ihm stand und nach Esragùl suchte noch einen<br />
Feuerball entgegen. Derselbe bückte sich so schnell er nur konnte und das<br />
76
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Flammengeschoß verglühte sogleich in der flirrenden Luft hinter ihm. Lèfule trat<br />
näher an den Drachen heran, dessen Flügel nun mit huldrischen Erzkugeln beschoßen<br />
wurden und ob der vielen Löcher in der gespannten Haut das schreckliche<br />
Untier folglich flugunfähig machten. Umànvàr riß sein Maul auf und zischte giftig.<br />
Der Drache war schwer verwundet und Lèfule nutzte diesen Vorteil für sich aus. Er<br />
rannte los und wich den Hauern aus mit denen der Mordìl aufgebracht nach ihm<br />
schnappte. Dann hievte er sich an einem Widerhaken auf den Hals des Ungeheuers<br />
hoch und hub solange auf ihn ein bis die Wirbel brachen und aus der Wunde ein<br />
gewaltiger Riß hervor ging, der den Kopf vom Leibe trennte. Dann fiel Lefule kopfüber<br />
herunter, rollte sich zur linken Pranke hinüber und verharrte erschöpft im<br />
Schutz ihres Schattens. Seine Augen wurden dunkel. Doch bevor die Müdigkeit ihn<br />
für einige Minuten übermannte gewahr er im rauchschwelenden Horizont mächtiger<br />
Kreaturen, die mit großen Schwingen zum Schlachtfelde heranzogen.<br />
Aus der weiten Ferne kam Ardenwìn, der Greifer Könige, mit seiner Gefolgschaft<br />
heran und eilte den Caladwesen zur Hilfe. Nun balgten sich am düsteren<br />
Himmelszelt Drache und Greif und manch riesigen Leib zwang es dabei in die<br />
unheilvolle Tiefe.<br />
Esragùls Ende<br />
Stunden waren vergangen erschöpft suchte Lefule Schutz hinter einem mächtigen<br />
Felsbrocken, einem zerbrochenem Glied aus der Hand eines gefallenen<br />
Frieddriesen. Er lehnte sich gegen den Stein und befühlte seine zahlreichen<br />
Wunden an den erschlafften Gliedern. Dann zog er sich den Helm vom Kopfe und<br />
schnappte nach Luft. Hinter der schützenden Deckung tobten die entfesselten<br />
Heere. Lèfule hielt inne und doch spähten seine Augen unruhig umher. Ruß<br />
bedeckte seinen Körper und die Rauch durchwalgte Luft raubte ihm den Atem. Ein<br />
ungeheuerliches Durstgefühl brannte in seiner Kehle und er öffnete den Mund um<br />
ein paar Tropfen des sauren Regens zu erhaschen der unablässig auf ihn herabrieselte.<br />
Die Schreie der Gefallenen klangen in seinen Ohren. Der dumpfe Aufschlag zerfetzter<br />
Körper; das Klirren der Schwerter und Lanzen; das Sausen der Pfeile und das<br />
Knistern der lodernden Flammen wuchsen zu einem dröhnenden Kreisel heran der<br />
sich in seinem Kopf zu drehen begann. Er schloß für einen Moment die Augen und<br />
rieb sich die Stirn so als versuchte er das Geschaute wie einen schrecklichen<br />
Traum, der sich seiner Gedanken bemächtigte, zu verscheuchen. Plötzlich jedoch<br />
verhallten die Schreie; das Klirren der Lanzen und Schwerter; das Sausen der<br />
Pfeile und aus Lèfules tiefstem Inneren bahnte sich ein sanften Klingen seinen Weg<br />
77
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
heraus und formte sich zu einer süßen Melodie der an das zarte Spiel einer Harfe<br />
erinnerte. In seinem Herzen tat sich ein Spalt auf und aus diesem Spalt heraus quoll<br />
eine eigentümliche Kraft die wärmend seine ermatteten Glieder umfing und durch<br />
seine Adern floß.<br />
Unversehens spürte er eine Hand die an seiner Schulter rüttelte. Er blickte auf.<br />
Esragùl, vom schweren Kampf mit Umànvàr gezeichnet, hatte sich zu ihm durchgeschlagen<br />
und brach an seiner Seite zusammen. <strong>Das</strong> Anlitz des Gütigen war aschfahl<br />
und Blut rann aus seiner Brust. Der Zauberstab des Weisen glitt aus dessen<br />
Fingern und rollte vor seine Füße. Die Arìnglohe glühte nur noch schwach und das<br />
prächtige Eichenholz war grau und brüchig geworden. Lèfule übermannte eine tiefe<br />
Trauer und er zog den Wavan zu sich heran bis er in seinen Armen ruhte. Dann<br />
holte er Aìnuk aus seinem Wams hervor und hieß den alten Zauberer da<strong>von</strong> zu<br />
kosten. Doch dieser schüttelte den Kopf und wehrte Lèfules Drängen einen Bissen<br />
zu nehmen verdrossen ab.<br />
Mit letzter Mühe ergriff er Lèfules Hand. In seinem Blick lag eine tiefe Klarheit und<br />
er mahnte seinen Schützling, dass es nun an der Zeit war nach dem Steinverschlag<br />
zu suchen und die schrecklichste Schattenkreatur der Ungoren zu vernichten. Auf<br />
das er sich seiner Bestimmung mit Wohlbedacht und größter Achtsamkeit füge. Und<br />
das er nie vergessen sollte das die Welt aus Elementen bestünde die nur im<br />
Ebenmaß miteinander auf Endorìns Weiten wirken konnten. So wie es die<br />
Schöpfung vorgab. Esragùl wies dabei auf das Linnensäcklein an Lèfules Wams.<br />
Dann durchfuhr den Zauberer ein wildes Zucken und sein Blick verblasste.<br />
Esragùls Aufgabe war nun erfüllt und er begab sich auf die lange Reise nach<br />
Thûlengan um dort in den Reihen der unsterblichen Seelen seinen Platz einzunehmen.<br />
Lèfule entfuhr ein Schrei des Aufbegehrens und er presste Esragùl an sein Herz,<br />
schüttelte dessen leblosen Leib auf das er wieder erwache. Doch es war vergebens,<br />
sein irdisches Leben war auf immer erloschen.<br />
Nach einer rasenden Ohnmacht liess der Jüngling <strong>von</strong> dem Toten ab. Er schlug sich<br />
die Hände vor das Gesicht und Tränen schoßen unter ihnen hervor. Die gleiche<br />
Leere und Verzweiflung umfing ihn wie einst als er sein Vaterhause verlassen<br />
mußte. Und wieder gewahr er dem verzweifelten Ringen der Lichteren die sich tapfer<br />
gegen Gàràmakks Todesdrachen zu verteidigen suchten. Die süße Kraft die ihn<br />
vorangetrieben hatte wich dem Leid Tausender die ihr Leben ließen und für die es<br />
keine Rückkehr mehr geben sollte. Doch jäh in diesem Augenblick der Verlassenheit<br />
erschien ihm Fìndegìl, sein treuer Gefährte. Er hob den Wünschel Bùttrùten empor<br />
und wies ihn an ihm zu folgen.<br />
78
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Die Dämmerung brach herein. Lèfule und Findegìl bahnten sich ihren Weg durch<br />
die brennenden Fuhrgewerke und über leblose Körper hinweg. Asche regnete<br />
unablässig auf sie herab und der Nebel der sie umfing machte ihre Körper unsichtbar<br />
dem Auge des Feindes gegenüber. So entfernten sie sich immer weiter vom<br />
Schlachtfeld und gelangten schließlich zu einem hoch aufragenden Mammutfelsen<br />
dessen Öffnung ein schwarzer Schlund markierte der sich im Inneren zu einer<br />
gewaltigern Höhle ausformte.<br />
Wie sie die Öffnung passierten schlug ihnen ein übler Dunst entgegen. <strong>Das</strong> Licht<br />
der Wünschelrute offenbarte in der feuchten Dunkelheit riesiges Tropfgestein das<br />
<strong>von</strong> den feuchten Wänden herab hing. Der Untergrund war rissig und in den vielen<br />
Narben bildeten sich kleine Rinnsaale die in ungeahnte Tiefen hinabflossen. Immer<br />
weiter führte ihr Weg sie hinab und je tiefer sie gelangten desto mehr nahm der<br />
eigentümliche Gestank, der an einen Bärenhort erinnerte, zu. Seltsames Getier<br />
stob da<strong>von</strong> wenn Buttrùtens Licht das uralte Gestein streifte und die vorsichtigen<br />
Tritte der Gefährten setzten sich dabei als mahnendes Echo fort.<br />
Lèfule hatte alle Mühe nicht zu stürzen denn immer wieder ragten unversehens<br />
grobe Schieferbrocken vor seinen Füßen auf und er drohte durch den matschigen<br />
Grund abzurutschen. Ab und an machte Fìndegìl Halt und leuchtete zurück damit<br />
sein Schützling unbeschadet weiter gelangen konnte, so wie es der Gütige ihm aufgetragen<br />
hatte.<br />
So wanderten sie durch die Dunkelheit bis sich die Höhle zu verengen begann und<br />
sie an ein Tor gelangten dessen grob ausgestanzter Rahmen <strong>von</strong> gewaltigen<br />
Wölbungen umrandet war, die sich zu einer Buchstabenreihe zusammenfügten. Sie<br />
ergaben das drudische Wort Omràc Narg, Wolfsschlund. Hier machte F`ìndegìl<br />
Halt. Er legte seine Wünschelrute beiseite und blickte Lèfule der sich erschöpft auf<br />
den Griff seines Schwertes stützte lange an. Dann wies er zur Öffnung hin und<br />
sprach zu seinem Gefährten:<br />
„Viele Wege, viele Pfade finden irgendwann ein Ende. <strong>Das</strong> Schicksal flocht zusammen<br />
uns doch nun erfolgt die Wende. Dort hinab so steiget nun, tapfrer Lefulaìse,<br />
allein müßt ihr jetzt wandeln, hin zum Ende Eurer Reise. Die Bande unserer<br />
Freundschaft ketten mich an diesen Ort und kehrt ihr nicht zurück so bleib ich<br />
immerfort.<br />
Denkt dort Draußen tobt, die größte aller Schlachten und hier in diesem düsteren<br />
Hort, diesem unliebsamen Ort, wird ein böser Schatten denn nach Eurem Leben<br />
trachten. Sodann ich werd` verweilen des Wandrers Glücke zu beschwören und<br />
hoffe dabei stets die Götter mögen mich erhören.“<br />
Lèfule reichte dem Fährtenweiser die Hand. Eine Rührung durchfuhr sein Herz wie<br />
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<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
er den treuen Worten seines Gefährten gelauscht hatte und gleichermaßen war er<br />
entschlossen dem Schrecken Aller ein Ende zu bereiten. Den Nurnìn gedenkend,<br />
deren Fäden ihn zu diesem Ort geleitet hatten, umfasste er den Griff seines<br />
Schwertes und machte sich daran den Schlund mit eingezogenem Kopf zu durchschreiten.<br />
Oanghùl, die Stadt der Verdammten<br />
Eine bedrohliche Stille waltete im Omrác Narg. Nur das unablässige Tropfen des<br />
Wassers das an den Wänden hinab wanderte durchbrach im rhytmischen<br />
Sekundentakt den Mantel des ewigen Schweigens. Lèfule tastete sich wie ein<br />
Blinder voran. Ihm schlug ein übler Dunst entgegen der aus dem kalten Gestein zu<br />
quellen schien. Es war der Hauch des Todes der jeden seiner zaghaften Schritte<br />
umfing und er spürte aus der Unebenheit des Bodens heraus alte Knochen zerbersten.<br />
Mit jedem Atemzug sog er die Gewißheit mit ein, das irgendwo im Dunkel ein<br />
Dämon auf ihn lauern müßte, der danach gierte ihn mit seinen Klauen zu zerquetschen.<br />
Nun war er allein, auf sich gestellt. Am Ende aller Dinge angekommen und<br />
es war nur noch eine Fingerspitze weit bis der Faden der Nurnìn seine ungewisse<br />
Erfüllung finden sollt. Schier endlos führte der Pfad ihn immer tiefer in das Herz des<br />
Berges hinein. Der Jüngling irrte durch die Dunkelheit bis die Luft sich auffrischte<br />
und der Weg, nach einer schneckenhausartigen Biegung, sein plötzliches Ende<br />
fand. Er mündete in ein Untergewölbe das sich unversehens vor Lèfule auftat.<br />
<strong>Das</strong> Echo seiner verstummten Schritte hallte an den Wänden fort. Er hatte abprubt<br />
Halt gemacht und ruderte mit den Armen um ins Gleichgewicht zu kommen. Es<br />
hätte nicht viel gefehlt und er wäre in einen Abgrund gestürzt dessen Tiefe er nur<br />
erahnen konnte. Lèfule taumelte rückwärts und hielt sich mit Mühe und Not an<br />
einem steinernen Vorsprung fest. Dann griff er in sein Wams und zog das<br />
Linnensäcklein hervor. Nach einigem Tasten angelte er Vììlanik, der Zwerge<br />
Gralsgute, heraus. Der Stein war kühl und wog, trotz seiner geringen Größe, schwer<br />
in Lèfules Hand.<br />
Er drehte und wendete ihn ein paar Mal mit seinen Fingern hin und her. Dann ließ<br />
er ihn kreisförmig in seiner Handfläche auf und ab tanzen. Ein fahles Glimmen<br />
umfing das Gralsgut aber nichts geschah. Keine Zauberfunken prasselten nieder,<br />
kein Helferswichtel erschien ihm um ihm seine Dienste anzubieten. Er wiederholte<br />
den Vorgang ein paar mal aber ohne Erfolg. Entmutigt sackte er in sich zusammen.<br />
Ergriffen <strong>von</strong> einer plötzlichen Einsamkeit starrte er versunken ins gähnende<br />
Niemandsland das irgendwo vor ihm lag. Ein dunkler Schleier breitete sich über<br />
80
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
seine Gedanken aus. Er verspürte die leere und den Kummer über Esragùls Tod.<br />
Zum Gefühl des Alleinseins gesellte sich der Wunsch den alten Magier in diesem<br />
Moment des Zweifelns an seiner Seite zu haben. Er fragte sich bange ob er stark<br />
und weise genug war die Aufgabe die ihm zuteil geworden war zu bestehen.<br />
Plötzlich jedoch, in diesem Augenblick der Verzweiflung, hörte er eine Stimme die<br />
warm und voll seine Gedanken durchdrang. Sie wiederholte eine Formel die aus<br />
einer weit entfernten Erinnerung in sein Gedächtnis zurückkehrte:<br />
„Naht Unheil Euch so reibet ihn. Werft Stöckelein dazu. Ein Zwerglein wird Euch<br />
dienlich sein, vertreibt des Spuk im Nu ...“<br />
In seinem Geist sah er Drùvart, Ettensteins Schwellenwichtel, vor sich. Die Stimme<br />
jedoch gehörte einem anderen vertrauten Gesicht. Lèfules Hand fuhr wie <strong>von</strong> selbst<br />
in die Brusttasche seines Wamses. Durch einen glücklichen Zufall erfühlte er ein<br />
Stück Forsyholz das sich im Futter verfangen hatte. Er pflegte bei seinen<br />
Streifzügen durch den Undarwald stets ein paar Strauchbeeren als kleine<br />
Wegzehrung bei sich zu tragen. Nun kam ihm diese Gewohnheit zugute. Er zog das<br />
Hölzchen heraus und rieb mit der anderen Hand den Stein. Dann liess er es sachte<br />
zu Boden fallen. Der Zauberstein begann zu pulsieren und aus dem zuckenden<br />
Lichtkegel ging ein Winzling hervor, Earfàrn der Hüter des Farnomisengrales. Der<br />
Jüngling beugte sich herab bis sie auf gleicher Blickhöhe waren. Dann bat er das<br />
Männlein um eine Fackel die es vermochte die tiefste Finsternis zu erhellen und die<br />
selbst dem Atem des Sturmherren standhielt. Eàrfarn nickte und mit seinem Zerfall<br />
in Hunderte <strong>von</strong> Lichtteilchen verschwand Vììlanik wie <strong>von</strong> Zauberhand. An seiner<br />
Stelle barg Lèfule den eisernen Griff der ewigen Fackel Narwarìl deren Licht die<br />
Dunkelheit taggleich erhellte.<br />
Die Zauberfackel gab den Blick auf eine gewaltige Grotte preis die mit einer Kuppel<br />
aus gezacktem Salzgestein abschloß. Ein riesiger See füllte das starre Gewölbe<br />
aus in dessen Mitte sich eine Insel aus schroffem Felsmassiv auftürmte. Die eigentümlichen<br />
Steinplatten, die aus dem Grunde emporragten, waren über Brücken und<br />
grob ausgeschlagene Treppen miteinander verbunden, die ihren Abschluß in fuchsbauartigen<br />
Löchern fanden. Ein Teil der behelfsmäßig errichteten Außenmauern<br />
war eingestürzt und wurde vom Wasser geflutet das sich unaufhaltsam in den Stein<br />
fraß. Stege aus modrigen Balken umrahmten die gespenstische Kulisse, die schon<br />
seit langem unbewohnt und dem Zerfall anheimgefallen war. An eiserne Pflöcke<br />
gekettet trieben die Überreste alter Boote und Fähren hin und her. Sie konnten nur<br />
noch auf die Gnade hoffen auf Grund zu laufen um in den Tiefen des Sees ihr trauriges<br />
Ende zu finden. Vor Lèfules Augen lag Oanghùl, die Stadt der Verdammten.<br />
81
<strong>Das</strong> <strong>Geheimnis</strong> <strong>von</strong><br />
<strong>Mirith</strong> <strong>Gilad</strong><br />
Alles Leben war an diesem Ort schon seit langer Zeit verloschen aber jeden, den<br />
es einstmals hierher verschlug, war es bestimmt gewesen ein <strong>Das</strong>ein in Schrecken<br />
und Armut zu fristen. Oangûl beherbergte einst alljene unglücklichen Geschöpfe,<br />
die zur Zeit der Lichterkriege in die Fänge der Avanan gerieten. Sie waren als<br />
Sklaven Dhurandòrs verschleppt worden und schufteten in den Salzmienen die sich<br />
rund um die Grotte erstreckten. Unter den erbarmungslosen Peitschenhieben der<br />
Steintrolle und Ungorelben wurden sie täglich wie eine Herde Vieh zusammen<br />
getrieben. Dann verlud man sie auf kleine Fähren und brachte sie zu den Gruben.<br />
So verging Tag um Tag in dieser kalten, unwirklichen Welt aus der es kein Entrinnen<br />
gab denn die Wachen waren schreckliche Geschöpfe. Unbezwingbar und gierig<br />
nach Folter und Leid. Jeder Fluchtversuch wurde vereitelt und mit einem langsamen,<br />
qualvollen Tode bestraft indem der Flüchtige und seine Helfer an einen Pfahl<br />
gekettet wurden, der mit eisernen Dornen versehen war um dort elendig zu verhungern.<br />
Wenn das Horn nach dem Tagewerk zur Sammlung blies kehrten die Entrechteten<br />
mit brennenden Augen, salzgegerbter Haut und gekrümmten Rücken aus den<br />
Schächten zurück. Dann waren sie sich einige Zeit selbst überlassen bis die wenigen<br />
Stunden der Rast vorüber waren und die Schinderei <strong>von</strong> Neuem begann. Doch<br />
irgendwann bereitete eine unbekannte Macht dem Elend ein plötzliches Ende und<br />
Oanghûl war fortan dem Untergang geweiht.<br />
Die Schlüsseltore <strong>von</strong> Amardhûn<br />
Lèfule beleuchtete den Boden. Vor seinen Füßen gähnte ein Abgrund <strong>von</strong> etwa<br />
zehn Metern Tiefe. An der Außenkante war ein vierfach gewundenes Tau angebracht<br />
das an einer Eisenkralle befestigt war. <strong>Das</strong> Tau verlor sich in der Tiefe und<br />
endete vor einer schmalen Plattform die auf der Höhe des Sees lag. Dort unten<br />
schaukelte verloren ein einziges Boot vor sich hin...<br />
Demnächst gehts weiter ...<br />
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