Anwaltsblatt 1998/02 - Österreichischer Rechtsanwaltskammertag
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I<br />
Abhandlungen<br />
Vermittlervollmacht ausgestattet worden; lange Briefe und Ein-<br />
gaben wurden gewechselt. Im 3. Prozeßaktenband der Kanz-<br />
lei Oskar Samek ist aus den fast 20 Druckseiten eines Memo-<br />
randums, welches gemeinsam von Oskar Samek, Kar/ Kraus<br />
und Heinrich Fischer für den Vermittler Bronsgeest verfaßt<br />
worden war, für Musikhistoriker von Interesse, daß die vom<br />
Berliner Schiffbauerdamm-Theater geplante Neuinszenierung<br />
von Offenbachs ,,Briganten" - auch diese mit einer Neubear-<br />
beitung des Librettos durch Kar/ Kraus, der deswegen selbst<br />
nach Berlin fuhr, um bei der Einstudierung dabei zu sein -<br />
durch eine Zündholzschachtel fast vereitelt wurde: Als Kar/<br />
Kraus, der seine Wiener Vortragslust nach Berlin exportierte,<br />
dort während seines Vortrages des 1. Aktes im Hause von Kurt<br />
Weillvor illustrem Kreis bemerkte, daß ,,der Herr Generalmu-<br />
sikdirektor" - Otto Klemperer - seinem Vortrag nicht mit der<br />
ihm gebührenden ehrfurchtsvollen Spannung lauschte, son-<br />
dern ,,die Aufmerksamkeit auf sich durch allerlei Späße ab-<br />
lenkte (sic), die keine Beziehung zum Inhalt des Kunstwerkes<br />
hatten, wie zB dadurch, daß er eine Zündholzschachtel ab-<br />
wechselnd auf die Häupter seiner Sitznachbarinnen legte",<br />
war die ,,Fortsetzung des Werkes" durch Otto K. vereitelt.<br />
Zeiten waren das! Man weiß ia, daß Off0 Klemperer als für<br />
die damalige Zeit extrem lustig galt (siehe das Geschichten-<br />
Bändchen ,,Sagen Sie einfach Otto zu mir!"). Aber daß er<br />
schon damals etc? na gut.<br />
Die Angelegenheit wurde iedoch nach einer ,,energischen<br />
schriftlichen Erklärung" des Mitdirektors vom Schiffbauer-<br />
damm-Theater, des Schriftstellers Heinrich Fischer, von dem<br />
wir vorhin erfahren haben, daß er Träger einer schriftlichen<br />
Vollmacht von Kar/ Kraus war (was im Sinne Kraus'als Tragen<br />
einer literarischen Auszeichnung verstanden werden durfte),<br />
erledigt: Weil sich Klemperer bei Kraus ,,in aller Form und<br />
durchaus würdig" wegen der Ausschreitung seiner damaligen<br />
guten Laune entschuldigte, ia späterhin (diese) sogar durch<br />
exzessive Begeisterung für , Perichole" 6 la Kraus wettmachte,<br />
mutierte er bei Kraus sofort wieder zur Persona grata. Als sich<br />
Kraus aber dann wegen seiner Mitarbeit bei den Proben um<br />
ein Sonderhonorar bemühte und vom Operndirektor Curjel mit<br />
der kühlen Bemerkung, diese Mitarbeit hätte sich ,,in den bei<br />
Autoren üblichen Grenzen gehalten", abschlägig beschieden<br />
wurde und Kraus davon Klemperer erzählte, worauf dieser die<br />
,,groteske Frage" stellte: ,,Ja, haben Sie denn einen schriftli-<br />
chen Vertrag?", war er beim Neo-Librettisten Kraus offenbar<br />
wieder unten durch - wahrscheinlich aber nur so lange, bis<br />
Curjel, als dieser - von wem wohl? - davon erfuhr, von sich<br />
gab: ,,Es<br />
dürfte ihnen ia bekannt sein, daß ich Direktor der<br />
Kroll-Oper bin und daß Herr Klemperer Kapellmeister ist".<br />
MaW: Direktoren haben das Sagen, Autoren das Schreiben<br />
und Dirigenten fuchteln nur mit den Armen herum.<br />
Aus diesem Memorandum von Kraus/Samek/Fischer erfahren<br />
wir aber auch, daß Kraus bei einer Auseinandersetzung im<br />
Büro des Direktors Curjel, wo er auf der - nein, auf seiner -<br />
Texttreue insistierte, die Bemerkung fallen ließ, daß er , für ein<br />
Komma über Leichen schreite".<br />
Diesen drastischen Ausdruck , höchsten künstlerischen Verant-<br />
wortungsgefühls", der wohl kaum als eine persönliche Bedro-<br />
hung des Herrn Curjel aufzufassen war, habe selbiger später<br />
zum Anlaß genommen, dem Berliner Rechtsvertreter des Herrn<br />
Kraus zu beteuern, daß eine Zusammenarbeit unmöglich ge-<br />
wesen wäre, da Herr Kraus ihn , bis aufs Blut sekkiert'' habe.<br />
Dennoch erwies sich die griffige Äußerung nicht vollständig<br />
als Metapher: Über Leichen, das nicht, aber ,,für ein Komma<br />
schreiten", das sehr wohl, bis zu Gericht nämlich. Und das<br />
kam so:<br />
Die Prager Zeitschrift ,,Gegen-Angriff", die daraufhin zu ei-<br />
nem seiner liebsten Prozeßgegner avancierte, veröffentlichte<br />
am 19. 1 1. 1933 - man beachte das Datum -einen ,,Nachruf<br />
auf Kar/Kraus"/ der damals zwar nicht ganz gesund war, aber<br />
noch immer munter die , Fackel" schwenkte und vollschrieb. In<br />
der Literaturgeschichte ist bekannt, daß Kar/ Kraus während<br />
des ersten Weltkrieges kein kritisches Wort an der Kriegfüh-<br />
rung oder an den ,,Mittelmächten" äußerte; erst als der Zu-<br />
sammenbruch der Mittelmächte entschieden war, so schrieb<br />
der , Gegen-Angriff", habe sie keiner so beredt verflucht wie<br />
er. Aber noch erstaunlicher war sein vollständiges Schweigen<br />
zu Hitler vor und nach dessen Machtergreifung in Deutschland.<br />
Im Originalton des ,,Gegen-Angriff: ,,Auch heute suche Kraus<br />
- dreiviertel Jahre nach dem Ausbruch des Hitlertums - sein<br />
Schweigen, das zum Himmel schreit, zu erklären. Er leide zu<br />
tief und habe auch sonst Rücksicht zu nehmen! Im letzten<br />
Fackel-Heft habe er sich mit einer Grabrede auf Adolf loos<br />
begnügt und auf der letzten Seite sein Schweigen mit folgen-<br />
dem Gedicht besungen:<br />
,,Man frage nicht, was oll die Zeit ich machte.<br />
Ich bleibe stumm;<br />
Und sage nicht, warum.<br />
Und Stille gibt es, da die Erde krachte.<br />
Kein Wort das trab<br />
Man spricht nur aus dem Schlaf.<br />
Und träumt von einer Sonne, welche lachte.<br />
Es geht vorbei;<br />
Nachher war's einerlei.<br />
Das Wort entschlief, als jene Welt erwachte.<br />
Man beachte die 5. Zeile ,,Kein Wort das traF;". Diese Zeile<br />
ist Gegenstand von 131 (!) Briefen, Eingaben und Artikeln, die<br />
auf den folgenden rund 50 Seiten, sei es vollständig zitiert<br />
oder nur kurz gefaßt, im 3. Band der Samek-Prozeßakten<br />
dargeboten werden; freilich waren auch die Beschuldigung<br />
100<br />
Anwfll <strong>1998</strong>/2