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Dieselbe Modernisierung, die<br />
der Reise die Zeit entzogen hat,<br />
hat auch die Realität des Raums<br />
entzogen.<br />
Guy Debord: Die Gesellschaft des Spektakels<br />
Urbanisieren Sie sich!<br />
Forschungsreisen ins Gewebe der Stadt. Nicht nur in Wien<br />
Christoph Laimer, Elke Rauth<br />
Erkundungsreisen in den städtischen Alltag stellen eine besondere Herausforderung<br />
dar: Gilt es doch, das Bekannte, die tausendmal peripher im Archiv<br />
unserer Sinne gespeicherte urbane Oberfläche abzustreifen, den Blick des Alltäglichen<br />
auszuschalten, um Kopf und Körper frei zu machen für das Eintauchen<br />
in das Gewebe des Städtischen, für Entdeckungen, Erlebnisse, Erfahrungen.<br />
Besonders gut gelingen diese Tauchgänge in den Alltag des Urbanen zu<br />
Fuß: Offenbart das Gehen doch alleine durch seine Geschwindigkeit eine Fülle<br />
an Sinneseindrücken, die wohl von keiner anderen Fortbewegungsart geleistet<br />
werden kann. Denn erst die Gewährung einer der Raumwahrnehmung adäquaten<br />
Geschwindigkeit schafft die Voraussetzung für das Erfassen der „Realität<br />
des Raumes“ wie es Guy Debord bezeichnet hat. Zu Recht steht das Gehen als<br />
forschende Praxis daher seit langem im Mittelpunkt urbaner Raumerfahrungsund<br />
Aneignungsstrategien. Die anhaltende Beschäftigung von Wissenschaft<br />
und Kunst mit dem Gehen als urbanistischer Wissensproduktion in Form von<br />
Spaziergangsforschung, Flanerie, Promenadologie lässt vermuten, dass weder<br />
der Höhepunkt in der Auseinandersetzung erreicht noch bereits alles dazu gesagt<br />
ist – gut so.<br />
Laboratoire dérive<br />
Dem Gehen als lustvoll-forschender Praxis<br />
seit vielen Jahren verschrieben hat sich auch<br />
dérive: Der in Wien ansässige Verein für<br />
Stadtforschung bezieht sich nicht nur namentlich<br />
direkt auf die radikal gesellschaftskritische<br />
Situationistische Internationale und<br />
ihre bereits in den 1960er Jahren erprobte,<br />
umherschweifende Raumerforschungs methode,<br />
er verfolgt auch seit vielen Jahren<br />
eine spielerisch-hedonistische Praxis urbaner<br />
Raum wahrnehmung. Laboratoire dérive<br />
– Forschungs reisen International nennt sich<br />
das Format der von dérive entwickelten und<br />
von den Ideen der Psychogeographie beeinflussten<br />
künstlerischen Forschungsmethode<br />
mit Hilfe des Zufallprinzips: In Form eines<br />
Spiels erfolgt die Bewegung zu Fuß, unterstützt<br />
durch öffentliche Verkehrsmittel. Die<br />
Knotenpunkte des öffentlichen Verkehrs<br />
dienen dabei als urbane „Raumlöcher“, um<br />
in das Gewebe der Stadt ein- und an einem<br />
zufälligen, per Würfel bestimmten Ort wieder<br />
aufzutauchen, von dem aus die jeweilige<br />
Forschungsreise fortgeführt wird. Der Zufall<br />
bestimmt die Richtung des ziellosen Driftens,<br />
geleitet von Plätzen, Straßen und Orten<br />
selbst. In Eigenregie gilt es nichts und alles<br />
zu erforschen, in einem weitgehend planungs-<br />
und erwartungslosen Zustand. „Ergebt<br />
euch der Psychogeographie“ lautet die<br />
vielleicht entscheidendste der fünf einfachen<br />
Handlungsanweisungen des Stadterforschungsspiels,<br />
bei dem „der neugierige<br />
Blick zum Wegweiser der umherschweifenden<br />
Erkundung wird.“<br />
Forschen bedeutet in diesem Zusammenhang<br />
in erster Linie wahrnehmen abseits<br />
einer eingeübten Routine – die eigenen Normierungen<br />
im Raum ebenso wie den Raum<br />
selbst. Die zu diesem Zweck gegründeten<br />
Forschungsbanden bestehen idealerweise<br />
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