NATURFREUNDiN - NaturFreunde Deutschlands
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THEMA<br />
ATOMENDLAGER<br />
Der Zukunft Bescheid sagen<br />
Atomare Endlagerung braucht ein Konzept, um vor strahlendem Abfall zu warnen<br />
bDie ältesten Schriftzeichen, die wir entziffern<br />
können, sind gerade 5.000 Jahre alt. In<br />
8.000 bis 12.000 Jahren wird unser gesamter<br />
heutiger Sprachschatz verschwunden sein, erwarten<br />
Sprachforscher. Dagegen erfordert die<br />
Lagerung hochradioaktiven Abfalls einen Isolationszeitraum<br />
von einer Million Jahre. Bei der Suche<br />
nach einer Endlagerstätte spielen allerdings<br />
vor allem geologische Aspekte eine Rolle. Aber<br />
dann? Versenken wir unseren tödlichen Müll ohne<br />
Warnung in der Erde?<br />
Wir sind die erste Gesellschaft der Welt, die ihren<br />
Nachkommen solche unabsehbaren Gefahren<br />
hinterlässt: Weder wissen wir heute, wie dieser<br />
Müll langfristig sicher gelagert werden kann,<br />
noch, wie wir unserer Zukunft Bescheid sagen,<br />
was für gefährlichen Dreck wir vergraben haben.<br />
Welche Nachrichten nehmen unsere Nachfahren<br />
überhaupt ernst? Schließlich hat sich der<br />
Mumiengräber Howard Carter beim Öffnen des<br />
Grabes des Tut-ench-Amun auch nicht um die<br />
Warnungen und Flüche an der Grabkammer gekümmert.<br />
Was, wenn die Forscher nicht goldene<br />
Schätze sondern strahlender Abfall erwartet hätte?<br />
Das Thema Atomkommunikation ist bisher<br />
wenig diskutiert. Aber wenn wir zukünftige Generationen<br />
absichern wollen, brauchen wir Sprache.<br />
Versuche, mit Bildergeschichten zu warnen,<br />
scheitern. Schon heutige Versuchspersonen kön-<br />
nen nicht unterscheiden, ob sich die abgebildeten<br />
Figuren vor Schmerz winden oder lachen.<br />
Mit welchen Zeichen machen wir uns also<br />
künftig verständlich? Die Wissenschaft dieser<br />
Zeichen nennt man Semiotik. Seit den 80er<br />
Jahren bezeichnet der Begriff „Atomsemiotik“<br />
die öffentlich kaum beachtete Suche nach einer<br />
wirksamen Kennzeichnung unserer strahlenden<br />
Hinterlassenschaft.<br />
Schon damals dachte der amerikanische Semiotikexperte<br />
Thomas A. Sebeok im Auftrag der<br />
amerikanischen Regierung über Warnungen vor<br />
dem Endlager Yucca Mountain in Nevada nach.<br />
Die ersten Ideen trafen schnell an technische<br />
Grenzen: Elektrische Signale oder abstoßen-<br />
I Hübsche gelbe Tonnen: Werden heutige<br />
Signalfarben in 5000 Jahren auch als<br />
Warnung verstanden und ist unsere<br />
Sprache noch lesbar und verständlich?<br />
der Geruch lassen sich nicht über 10.000 Jahre<br />
in Funktion halten, geschweige denn über eine<br />
Million Jahre.<br />
In Deutschland initiierte die Zeitschrift für<br />
Semiotik ähnliche Überlegungen, die der Semiotiker<br />
Roland Posner später in einem Buch zusammenfasste.<br />
Die Ideen der Experten klingen<br />
meist wie Phantasien von Science-Fiction-Autoren,<br />
sind aber alle ernst gemeint. Sie lassen<br />
sich in drei Bereiche einteilen: Ein Teil der Vorschläge<br />
lässt sich unter dem Begriff Ingenieurlösungen<br />
zusammenfassen. Darunter die Idee, einen<br />
künstlichen Himmelskörper zu konstruieren,<br />
der tausende von Jahren Informationen zur Erde<br />
sendet. Die Suche nach besonders langlebigen<br />
Zeichenträgern warf die Frage auf, welche Materialien<br />
eine Million Jahre überdauern und sich<br />
selbst erneuern können, um Korrosion, Verlust<br />
oder Zerstörung auszuschließen.<br />
Das führte schnell zum Leben selber als Vorbild<br />
für Erneuerung. Die biologische Option betrachtete<br />
die Möglichkeiten, Informationen im<br />
Erbgut von Lebewesen zu kodieren oder lebende<br />
Informationsträger zu züchten. Besondere Blumen<br />
könnten in der Nähe der Lagerstätten wachsen,<br />
oder „Atomkatzen“ ihre Fellfarbe bei Gefahr<br />
wechseln. Das könnte lange Zeit funktionieren.<br />
Was aber, wenn die Menschen in hundert Generationen<br />
nicht mehr wissen, welche Bedeutung<br />
die farbigen Schmusetiger haben? Der Sinn solcher<br />
Warneinrichtungen muss deshalb über lange<br />
Zeiträume tradiert werden. Wirklich erfolgreich<br />
hierbei sind nicht sachliche Informationen,<br />
sondern Mythen, Traditionen und Rituale.<br />
Und vermutlich sollten wir mehrere Systeme<br />
gleichzeitig nutzen. Denn unsere Nachkommen<br />
müssen erst einmal verstehen, dass wir nicht<br />
nur attraktive Ornamente und Kultstätten zurückgelassen<br />
haben, sondern Warnungen.<br />
Aber spricht nicht daraus die Vorstellung unbedingter<br />
Machbarkeit? Können wir dieses Problem<br />
womöglich gar nicht alleine lösen? In der<br />
Schweiz entstand so das Hütekonzept: Die Abfälle<br />
seien am Ort ihrer Entstehung oberirdisch verschlossen<br />
den Nachkommen zu übergeben mit<br />
der Bitte, sie in alle Zukunft zu hüten. Das Versorgen<br />
der Abfälle, so die Philosophie, ist dann<br />
ein dauernder Prozess.<br />
Der amerikanische Semiotiker Thomas S. Sebeok<br />
kam zu einem ähnlichen Schluss: Eine Art<br />
unabhängiges Komitee müsse eine Informationskette<br />
in die Zukunft ermöglichen. Das Konzept<br />
seiner „Atompriesterschaft“ wurde allerdings<br />
massiv abgelehnt, vermutlich auch wegen<br />
des Namens. Im Landkreis Lüchow-Dannenberg<br />
hingegen kommt die Idee gut an: Der „Orden der<br />
Atomianer – Priesterschaft des Atommülls“ will<br />
unabhängiger Hüter der radioaktiven Hinterlassenschaft<br />
sein, und das Wissen weiter geben. Ein<br />
Ansatz, der vielleicht dazu führen wird, noch einmal<br />
öffentlich über das Problem der Kennzeichnung<br />
von Atomlagern zu diskutieren. Dabei mag<br />
die Erkenntnis wachsen, dass wir uns weitere<br />
solcher Abfälle nicht mehr leisten können.c<br />
SIGRID FRANK-ESSLINGER<br />
Zum Weiterlesen<br />
R. Schneider: Countdown für die Ewigkeit, Atommüll als<br />
Kommunikationsproblem, Radio-Feature, Deutschlandradio,<br />
2003<br />
A. Jensen: Ewiges Feuer, Spiegel Spezial Nr 7, 1995<br />
R. Posner (Hrsg.): Warnungen an die ferne Zukunft, Atommüll<br />
als Kommunikationsproblem, München 1990<br />
SEITE 12 <strong>NATURFREUNDiN</strong> 4-2006