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Informatische Ideen im Mathematikunterricht - Gesellschaft für ...

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proceedings<br />

Ulrich Kortenkamp; Hans-Georg Weigand; Thomas Weth<br />

(Hrsg.)<br />

<strong>Informatische</strong> <strong>Ideen</strong> <strong>im</strong><br />

<strong>Mathematikunterricht</strong><br />

Bericht über die<br />

23. Arbeitstagung des Arbeitskreises<br />

„<strong>Mathematikunterricht</strong> und Informatik“ in der<br />

<strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> Didaktik der Mathematik e.V.<br />

vom 23. bis 25. September 2005 in Dillingen an der Donau


Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek<br />

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;<br />

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Ulrich Kortenkamp; Hans-Georg Weigand; Thomas Weth (Hrsg.)<br />

<strong>Informatische</strong> <strong>Ideen</strong> <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong>.<br />

Bericht über die 23. Arbeitstagung des Arbeitskreises „<strong>Mathematikunterricht</strong><br />

und Informatik“ in der <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> Didaktik der Mathematik<br />

e.V. vom 23. bis 25. September 2005 in Dillingen an der<br />

Donau<br />

ISBN 978-3-88120-471-2<br />

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere die der Vervielfältigung<br />

und Übertragung auch einzelner Textabschnitte, Bilder oder Zeichnungen<br />

vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf ohne schriftliche Zust<strong>im</strong>mung des<br />

Verlages in irgendeiner Form reproduziert werden (Ausnahmen gem. §§ 53, 54<br />

URG). Das gilt sowohl <strong>für</strong> die Vervielfältigung durch Fotokopie oder irgendein anderes<br />

Verfahren als auch <strong>für</strong> die Übertragung auf Filme, Bänder, Platten, Transparente,<br />

Disketten und andere Medien.<br />

© 2008 by Verlag Franzbecker, Hildeshe<strong>im</strong>, Berlin


Inhaltsverzeichnis<br />

1 Ulrich Kortenkamp, Hans-Georg Weigand, Thomas Weth: Vorwort der Herausgeber 5<br />

1 Leitgedanken zur Tagung „<strong>Informatische</strong> <strong>Ideen</strong> <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong>“ . . . . . . . . . 5<br />

2 Der Tagungsband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5<br />

I Hauptvorträge und Podiumsdiskussion 7<br />

2 Astrid Beckmann, Schwäbisch Gmünd: <strong>Informatische</strong> Aspekte <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong> –<br />

Möglichkeiten und Chancen 9<br />

1 Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9<br />

2 <strong>Informatische</strong> Aspekte <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong> – Möglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . 9<br />

3 <strong>Informatische</strong> Aspekte <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong> – Chancen . . . . . . . . . . . . . . . . . 10<br />

4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14<br />

3 Johannes Magenhe<strong>im</strong>, Paderborn: Systemorientierte Didaktik der Informatik — Sozio-technische<br />

Informatiksysteme als Unterrichtsgegenstand? 17<br />

1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17<br />

2 Fachdidaktik und Fachwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18<br />

3 Sozio-technische Informatiksysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20<br />

4 Informatiksysteme <strong>im</strong> Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26<br />

5 Informatik Lernlabor — ein Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31<br />

6 Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34<br />

4 Torsten Brinda, Erlangen: Wechselwirkungen zwischen mathematischer und informatischer<br />

Bildung 37<br />

1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37<br />

2 Wirkungen der Mathematik auf die informatische Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . 37<br />

3 Informatiksysteme als Lernhilfen <strong>für</strong> die mathematische Bildung . . . . . . . . . . . . . . 39<br />

4 Wirkungen der Informatik auf die mathematische Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . 40<br />

5 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41<br />

5 Peter Bender, Paderborn: Brauchen wir ein Schulfach „Informatik“? — Eine Podiumsdiskussion<br />

43<br />

1 Vorrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43<br />

2 Das Podium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43<br />

3 Die Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44<br />

4 Ein Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46<br />

II Vorträge 47<br />

6 Christine Bescherer, Flensburg: Sicherheit <strong>im</strong> Umgang mit Informationstechnologie – Übertragung<br />

des FITness-Konzepts auf die Mathematiklehrerausbildung 49<br />

1 Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49<br />

2 Das FITness-Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49<br />

3 Die Veranstaltung „Einführung in die Informatik“ <strong>für</strong> alle Lehrämter der Mathematik . . . 51<br />

4 Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53<br />

7 Hans-Jürgen Elschenbroich, Düsseldorf: Back to the roots 55<br />

1 Quadrieren und Radizieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55<br />

2 Heron-Algorithmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55<br />

3 HERONS Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55<br />

4 Wurzelschnecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56<br />

5 Wurzelziehen nach EUKLID . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56<br />

6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57<br />

1


8 Martin Epkenhans, Paderborn: Laufzeitanalysen, Wachstumsfunktionen und asymptotische<br />

Untersuchungen 59<br />

1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59<br />

2 Algorithmen in der Informatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59<br />

3 Anforderungen an den <strong>Mathematikunterricht</strong> aus Sicht der Informatik . . . . . . . . . . . 60<br />

4 Realisierungen <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62<br />

5 Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62<br />

9 Andreas Filler, Heidelberg: Dynamische Aspekte von Parameterdarstellungen: Generieren<br />

von Bewegungsbahnen sowie von Geraden und Kurven als Punktmengen 63<br />

1 Einleitung, Problemlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63<br />

2 Einbeziehung von Grafiksoftware oder CAS <strong>für</strong> die Behandlung von Parameterdarstellungen 64<br />

3 Geraden und Ebenen als Punktmengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64<br />

4 Die Zeit als Parameter — Generieren einfacher Videos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66<br />

5 Parameterdarstellungen von Kreisen und einigen weiteren Kurven . . . . . . . . . . . . . 67<br />

6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70<br />

10 Dörte Haftendorn, Lüneburg: Krypto-logisch 73<br />

1 Mathematische Grundlagen des RSA-Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73<br />

2 Didaktische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73<br />

3 Algorithmische Aspekte <strong>im</strong> Hinblick auf die Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74<br />

4 <strong>Gesellschaft</strong>liche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75<br />

11 Ulrich Kortenkamp, Schwäbisch Gmünd: Strukturieren mit Algorithmen 77<br />

1 Algorithmen in der Schule? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77<br />

2 Rezepte oder Algorithmen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77<br />

3 Zusammenfassung: Funktionen von Algorithmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83<br />

4 Schlussbemerkung: Programmieren und <strong>Mathematikunterricht</strong> . . . . . . . . . . . . . . . 83<br />

12 Anselm Lambert und Pia Selzer, Saarbrücken: Schillernde Diskretisierung – eine Schnittstelle<br />

von Mathematik und Informatik 87<br />

1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87<br />

2 Was bedeutet „Informatik“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87<br />

3 Zentrale, aktuelle und zukuftsweisende <strong>Ideen</strong> der Informatik . . . . . . . . . . . . . . . . 91<br />

4 Exemplarisches Beispiel <strong>für</strong> den Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93<br />

13 Herbert Löthe, Ludwigsburg: Erlebnis Mathematik mit Computer — Realisierung am Beispiel<br />

des Folgenbegriffs 101<br />

1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101<br />

2 Von Inhalten zu Prozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101<br />

3 Die Lernumgebung „Folgen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102<br />

4 Technische Realisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102<br />

14 Georg Hauck, Markus Mann, Weingarten: Gute Seiten, schlechte Seiten — Internetangebote<br />

<strong>für</strong> den <strong>Mathematikunterricht</strong> 109<br />

1 Ausgangslage und Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109<br />

2 Seminarkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110<br />

3 Das Befragungsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111<br />

4 Erste Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113<br />

5 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114<br />

15 Fritz Nestle: Papageiengeplapper versus verstandene Sprachproduktion 117<br />

1 Die Inflation der Lernstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117<br />

2 Lernthemen der Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117<br />

3 Neue Lernstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118<br />

4 Charakterisierung kognitiver Lernthemen und Kriterien der Auswahl . . . . . . . . . . . . 118<br />

5 Lern- bzw. Arbeitsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119<br />

6 Taxonomische Betrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120<br />

2


16 Reinhard Oldenburg, Heidelberg: Vom Nutzen und vom Nachteil der Informatik <strong>für</strong> den <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

123<br />

1 Ausgangspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123<br />

2 Mathematik und Informatik — ein schwieriges Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123<br />

3 Algorithmen sind gut! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124<br />

4 Mathematik als Zuliefer-Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124<br />

5 Prozess-Objekt-Dualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127<br />

6 Methoden-Werkzeugkasten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128<br />

7 Problematische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128<br />

8 Abschlussthesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129<br />

17 Jürgen Roth, Würzburg: Dynamik von DGS — Wozu und wie sollte man sie nutzen? 131<br />

1 Alte Idee der beweglichen Konfigurationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131<br />

2 Funktionen des DGS-Einsatzes (Wozu?) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131<br />

3 Fokussierungshilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132<br />

4 Sinnvoller Einsatz der dynamischen Möglichkeiten von DGS (Wie?) . . . . . . . . . . . . 134<br />

5 D<strong>im</strong>ensionen des Einsatzes von DGS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137<br />

18 Reinhold Thode, Kiel: Lineare Gleichungssysteme <strong>im</strong> Unterricht mit CAS-Rechnern 139<br />

1 Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139<br />

2 Eine Unterrichtseinheit zu linearen Gleichungssystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140<br />

3 Iteratives Lösen von Gleichungssystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146<br />

4 Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150<br />

19 Bert Xylander, Gera: Objektorientierung <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong> 153<br />

1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153<br />

2 <strong>Informatische</strong> Konzepte der Objektorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153<br />

3 Mathematische Interpretationen der objektorientierten Konzeptideen . . . . . . . . . . . . 154<br />

4 Objektorientierung <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155<br />

5 Skizze einer „objektorientierten“ Unterrichtseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158<br />

6 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161<br />

III Arbeitsgruppen 165<br />

20 Andreas Filler, Heidelberg: Arbeitsgruppe: Computergrafik und <strong>Mathematikunterricht</strong> 167<br />

21 Fritz Nestle, Ludwigsburg: Arbeitsgruppe: Konstruktion korrekturgünstiger Aufgaben —<br />

auch mit sofortiger automatischer Auswertung 169<br />

1 Konstruktion korrekturgünstiger Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169<br />

2 Online-Lernkontrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169<br />

22 Dörte Haftendorn, Lüneburg: Arbeitsgruppe: Wieviel Programmieren-Können braucht man<br />

in der Mathematiklehre? 171<br />

1 Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171<br />

3


Raum <strong>für</strong> Notizen<br />

4


• Vorwort der Herausgeber<br />

Ulrich Kortenkamp, Hans-Georg Weigand, Thomas Weth<br />

1 Leitgedanken zur Tagung<br />

„<strong>Informatische</strong> <strong>Ideen</strong> <strong>im</strong><br />

<strong>Mathematikunterricht</strong>“<br />

Seit seiner Gründung führt der Arbeitskreis „<strong>Mathematikunterricht</strong><br />

und Informatik“ das Wort „Informatik“<br />

in seinem Namen. Dies war <strong>im</strong>mer wieder<br />

Anstoß und Verpflichtung, die Entwicklungen<br />

der Informatik und deren Auswirkungen auf den<br />

<strong>Mathematikunterricht</strong> in den Focus der Betrachtungen<br />

zu nehmen.<br />

Einerseits bedeutet dies insbesondere, dass es<br />

die Aufgabe des Arbeitskreises ist, Ziele, Inhalte<br />

und Methoden des <strong>Mathematikunterricht</strong>s bei<br />

Einbeziehung Neuer Technologien kritisch zu hinterfragen<br />

und konstruktive Vorschläge <strong>im</strong> Hinblick<br />

auf mögliche Veränderungen zu unterbreiten.<br />

Immer wieder war die Frage der Beziehung<br />

des <strong>Mathematikunterricht</strong>s zum Fach und zum<br />

Schulfach Informatik Gegenstand reger Diskussionen.<br />

So stand die Herbsttagung des Arbeitskreises<br />

1994 in Wolfenbüttel unter dem Thema<br />

„Fundamentale <strong>Ideen</strong> - Zur Zielorientierung eines<br />

künftigen <strong>Mathematikunterricht</strong>s unter Berücksichtigung<br />

der Informatik“. Dort wurden unter<br />

anderem folgende Themen angesprochen:<br />

• Wo <strong>im</strong> Fächer-Kanon der allgemeinbildenden<br />

Schule soll die Informatik angesiedelt werden?<br />

(Bender)<br />

• Ansatzpunkte zu Änderungen <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

aus Sicht der Informatik (Modrow)<br />

• Mathematik und Informatik - Konkurrenten<br />

oder Partner? (Lehmann)<br />

• Zielsetzungen eines künftigen Mathematik- und<br />

Informatikunterrichts - Überlegungen aus bildungstheoretischer<br />

Sicht (Heymann)<br />

• Programmieren <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong> (Winkelmann)<br />

• Entbehrliche Ziele und Inhalte des heutigen <strong>Mathematikunterricht</strong>s<br />

(Weigand)<br />

• Neue Ziele und Inhalte eines künftigen <strong>Mathematikunterricht</strong>s<br />

(Hischer)<br />

• Fundamentale Konzepte der Informatik be<strong>im</strong><br />

Einsatz mathematischer Software (Köhler)<br />

Im letzten Jahrzehnt hat sich die Informatik<br />

als Wissenschaft – natürlich – weiterentwickelt,<br />

die Institute <strong>für</strong> Informatik wurden ausgebaut, der<br />

gesamte Bereich des Internets kam neu hinzu,<br />

neue Programmierparadigmen entstanden. Während<br />

sich das Schulfach Informatik in der Oberstufe<br />

etabliert hat, gibt es in der Sekundarstufe I<br />

unterschiedliche Entwicklungen: Die „Informationstechnische<br />

Grundbildung“ hat ihren Charakter<br />

als eigenes Fach weitgehend verloren, Informatik<br />

als Pflichtfach in der Sekundarstufe I gibt es in nur<br />

wenigen Bundesländern.<br />

Die Auswirkungen der Informatik zeigen sich<br />

heute unmittelbar in der – fast – jederzeitigen Verfügbarkeit<br />

von Computern, deren – bald – flächendeckender<br />

Anschluss ans Internet und die Mobilität<br />

und Verkleinerung der Geräte. Der Ausbau<br />

der Didaktik der Informatik hat – teilweise – zu<br />

Veränderungen bei Zielen, Inhalten und Methoden<br />

des Informatikunterrichts geführt.<br />

Für die Herbsttagung des Arbeitskreis <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

und Informatik in Dillingen vom<br />

23. bis 25. September 2005 wurden daher die folgenden<br />

Fragen in den Blickpunkt gerückt:<br />

• Was sind die zentralen aktuellen und zukunftsweisenden<br />

informatischen <strong>Ideen</strong> und in welcher<br />

Art und Weise wirken sie auf den <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

ein?<br />

• Welche Möglichkeiten und Chancen bietet ein<br />

verstärktes Einbeziehen dieser (welcher?) <strong>Ideen</strong><br />

<strong>für</strong> den <strong>Mathematikunterricht</strong>?<br />

• Welches sind die Wechselbeziehungen zwischen<br />

Informatik- und <strong>Mathematikunterricht</strong>?<br />

2 Der Tagungsband<br />

Der Tagungsband der Jahrestagung 2005 wurde<br />

das erste Mal mit der Hilfe des Textsatzsystems<br />

LATEX gesetzt, welches in der Mathematik der übliche<br />

Weg zu hochwertigem Textsatz ist, aber in<br />

der Fachdidaktik dennoch selten benutzt wird.<br />

Die Gestaltung wurde dabei nahe an der traditionellen<br />

Gestaltung der AK-Tagungsbände gehalten.<br />

Seine größten Vorteile konnte LATEX bei<br />

der Literaturverwaltung ausspielen; durch das System<br />

BibTEX wurde eine einheitliche Referenzierung<br />

aller zitierter Quellen erreicht.<br />

Die Umwandlung der (meist in Word-Format<br />

vorliegenden) Vorlagen nach LATEX benötigte erheblichen<br />

Aufwand, wodurch der Tagungsband<br />

auch erst lange nach der Tagung erscheinen konnte.<br />

Wir möchten uns hier<strong>für</strong> besonders bei den Autoren<br />

entschuldigen, die schon lange auf das Erscheinen<br />

ihrer Beiträge gewartet haben.<br />

Die Herausgeber hoffen aber, dass sich der erhöhte<br />

Aufwand gelohnt hat. Zudem kann in den<br />

nächsten Jahren auf die nun erstellten stylefiles<br />

und die vorhandene Literaturdatenbank zurückgegriffen<br />

werden; vielleicht werden wir ja auch einige<br />

Beiträge der nächsten Tagungen direkt <strong>im</strong><br />

LATEX-Format erhalten!<br />

Hans-Georg Weigand<br />

Thomas Weth<br />

Ulrich Kortenkamp<br />

Dezember 2007<br />

5


Ulrich Kortenkamp, Hans-Georg Weigand, Thomas Weth<br />

6


Teil I<br />

Hauptvorträge und Podiumsdiskussion<br />

7


• <strong>Informatische</strong> Aspekte <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong> –<br />

Möglichkeiten und Chancen<br />

Astrid Beckmann, Schwäbisch Gmünd<br />

In unserem technologischen Zeitalter gehören informatische Kenntnisse zur Allgemeinbildung. Da<br />

Mathematik die Hintergrundtheorie der Informatik ist und grundlegende Begriffe und Methoden der<br />

Informatik mathematisch sind, ist hier besonders der <strong>Mathematikunterricht</strong> angesprochen. Im Artikel<br />

werden zunächst mögliche Aspekte der Informatik identifiziert. An Hand von fächerübergreifenden<br />

Beispielen wird sodann gezeigt, dass best<strong>im</strong>mte informatische Aspekte einen Beitrag zum<br />

Mathematiklernen liefern können, indem mathematische Methoden und Inhalte durch informatische<br />

Themen motiviert und bedeutungshaltig erfahren werden.<br />

1 Hintergrund<br />

Mit dem Einbeziehen von informatischen Aspekten<br />

in den <strong>Mathematikunterricht</strong> wird eine<br />

Form des fächerübergreifenden Unterrichts zwischen<br />

Mathematik- und Informatikunterricht angesprochen.<br />

Nach dem Beckmann’schen Modell<br />

(Beckmann, 2003b) muss fächerübergreifender/fächerverbindender<br />

Unterricht <strong>im</strong>mer auf das<br />

Ziel einer Bereicherung <strong>für</strong> das Lernen gerichtet<br />

sein. Die Bereicherung ergibt sich daraus, dass jedes<br />

Kooperationsfach seine eigenen Aspekte einbringt,<br />

also auch Aspekte, die z.B. dem <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

fremd sind. Im konkreten Fall stellen<br />

sich damit die Fragen:<br />

• Welche informatischen Aspekte gibt es? (Möglichkeiten)<br />

• Welche informatischen Aspekte interessieren<br />

aus Sicht des <strong>Mathematikunterricht</strong>s? Mit welchem<br />

Gewinn? (Chancen)<br />

2 <strong>Informatische</strong> Aspekte <strong>im</strong><br />

<strong>Mathematikunterricht</strong> –<br />

Möglichkeiten<br />

2.1 Identifizierung informatischer<br />

Aspekte<br />

Eine grobe Einteilung der Informatik führt auf<br />

fünf Aspekte (Beckmann, 2003a):<br />

• Programmieren<br />

• Programmierkonzepte, -sprachen<br />

• Anwendersoftware<br />

• Technik<br />

• Reflexion<br />

Jeder dieser Aspekte enthält viele weitere Einzelaspekte,<br />

die auch <strong>für</strong> sich unterrichtlich interessant<br />

sein können. Darauf wird in 3 eingegangen.<br />

Auf alle Fälle ist Informatik mehr als das Anwenden<br />

von Software. Im Folgenden werden die fünf<br />

Aspekte kurz vorgestellt. Es zeigt sich, dass in vielen<br />

Fällen ein Bezug zum Fach Mathematik bereits<br />

existiert.<br />

Programmieren<br />

Ein wesentlicher Bestandteil der Informatik ist das<br />

Programmieren, das heißt der Entwurf und die<br />

Aufbereitung eines Algorithmus zur Abarbeitung<br />

in einem Rechner. Das Programmieren dient in der<br />

Regel der Lösung einer gestellten Aufgabe. Da es<br />

aus Sicht des Informatikunterrichts nicht das Ziel<br />

sein kann, Programmierspezialisten auszubilden –<br />

Programmieren ist nur ein Unterrichtsthema und<br />

professionelle Software kann ohnehin nicht erreicht<br />

werden –, sollte eher das Kennenlernen von<br />

best<strong>im</strong>mten Denkweisen und Programmierparadigmen<br />

<strong>im</strong> Vordergrund stehen. Dass hier<strong>für</strong> konkrete<br />

Beispiele nötig sind, versteht sich von selbst.<br />

Diese können be<strong>im</strong> Programmieren erfahren werden.<br />

Es fragt sich, ob Programmieren überhaupt<br />

ein interessanter Fremdaspekt <strong>für</strong> den <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

ist. In den 70er/80er Jahren wurde <strong>im</strong><br />

<strong>Mathematikunterricht</strong> bereits programmiert, allerdings<br />

später darauf verzichtet. In Abschnitt 3 werden<br />

Chancen erörtert.<br />

Programmierkonzepte, -sprachen<br />

Im Zusammenhang mit höheren Programmiersprachen<br />

werden vier Konzepte unterschieden:<br />

<strong>im</strong>perativ Modifizierung von Daten auf der<br />

Grundlage des Variablenkonzepts; Eingabewerte<br />

werden in Variablen gespeichert und<br />

durch Anweisungen weiter verarbeitet.<br />

funktional Grundlage ist eine Regel, die angibt,<br />

wie die Eingabe zu kombinieren ist, um eine<br />

Ausgabe zu erzeugen; beruht auf dem Funktionsbegriff<br />

logisch Ziel ist es, eine Anfrage, mit Hilfe von<br />

Fakten und Regeln zu beantworten; wurde<br />

ursprünglich <strong>für</strong> Forschungen der Sprachentwicklung<br />

konzipiert.<br />

Objektorientierung Grundlage ist die Idee,<br />

Kenntnisse über Probleme zu abstrahieren<br />

und in Objekten mit dynamischen und statischen<br />

Eigenschaften, durch Attribute und<br />

Methoden zusammen zu fassen; wurde speziell<br />

<strong>für</strong> die Bewältigung sehr komplexer<br />

Probleme entwickelt. Es fällt auf, dass die<br />

9


Astrid Beckmann, Schwäbisch Gmünd<br />

Konzepte weder der Mathematik noch dem<br />

menschlichen Denken fremd sind. Beispiele:<br />

Der Funktionsbegriff ist mathematisch.<br />

Menschliches Denken ist oft objektorientiert<br />

(vgl. die Untersuchung bei Schwill<br />

1995).<br />

Anwendersoftware<br />

Beispiele <strong>für</strong> Anwendersoftware sind bekanntermaßen<br />

Computer-Algebrasysteme, Dynamische<br />

Geometriesysteme, Raumgeometrieprogramme,<br />

Stochastikprogramme, Tabellenkalkulationsprogramme<br />

usw. usw. Auch wenn Anwendersoftware<br />

von vielen (schulischen) Anwendern oft als der<br />

einzige informatische Aspekt verstanden wird,<br />

stellt sich die Frage, ob es sich bei Anwendersoftware<br />

überhaupt um einen informatischen Aspekt<br />

handelt. Die Zuordnung von Anwendersoftware<br />

zum Informatikunterricht ist durchaus umstritten.<br />

Anwendersoftware wird zum Teil nicht als eigenes<br />

Thema, sondern eher als Anwendung in verschiedenen<br />

Fächern gesehen (vgl. Bartke 2000;<br />

Friedrich 1998 und der aktuelle Verzicht auf das<br />

Fach ITG am Beispiel von Baden-Württemberg).<br />

Zweifelsfrei erfordert das Anwenden auch Themen<br />

aus anderen Fächern. Aus Sicht des <strong>Mathematikunterricht</strong>s<br />

ist dies besonders deutlich. Viele<br />

Anwendersysteme betreffen die Mathematik und<br />

werden auch <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong> genutzt.<br />

Auf die damit zusammen hängenden Chancen<br />

wird in Abschnitt 3 eingegangen.<br />

Technik<br />

In der Informatik geht es um Informationsverarbeitung<br />

und Datenübertragung. Die technische<br />

Realisierung ist der Computer. Dabei werden informatische<br />

Inhalte durch die technische Umsetzung<br />

physikalischer Prinzipien ausgedrückt. Das<br />

Einbeziehen informatischer Inhalte bedeutet damit<br />

hier auch das Einbeziehen physikalischer<br />

Aspekte wie:<br />

Informationsverarbeitung Verarbeiten von Signalen<br />

unter Berücksichtigung vorhandener<br />

Bauelemente wie Diode, Transistor usw.<br />

Datenübertragung Darstellung von Daten durch<br />

Signale, also über physikalische Größen<br />

wie elektrische Spannung oder Lichtstärke<br />

Die angesprochenen physikalischen Anwendungen<br />

betreffen verschiedene Gebiete der Mathematik<br />

(vgl. Beckmann, 2003a). Beachtenswert<br />

ist, dass durch das Einbeziehen informatischer<br />

Aspekte die Boolesche Algebra wieder an Bedeutung<br />

gewinnen könnte.<br />

Reflexion<br />

Ein besonderes Kennzeichen der Informatik bzw.<br />

des Informatikunterrichts ist das reflektierende<br />

10<br />

Vorgehen. Reflexion bezieht sich hier auf zweierlei:<br />

sozialkundliche Reflexion Beurteilung von informatischen<br />

Inhalten in ihrem sozialen<br />

Kontext, zum Beispiel die Frage nach Veränderungen<br />

<strong>im</strong> politischen Leben, <strong>im</strong> Bereich<br />

der Kommunikation, der Arbeitswelt<br />

usw.<br />

mathematische Reflexion betroffen sind grundlegende<br />

Fragen wie die nach Berechenbarkeit<br />

und Entscheidbarkeit sowie die Reflexion<br />

über ein Programm, Terminierung<br />

usw. Aus Sicht des <strong>Mathematikunterricht</strong>s<br />

ist die sozialkundliche Reflexion <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

eher fremd, während die<br />

mathematische Reflexion aus didaktischer<br />

Sicht ständig Bestandteil des Unterrichts<br />

sein sollte. Dass Informatik an Reflektieren<br />

erinnert, kann als Chance <strong>für</strong> den <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

gesehen werden (Hischer &<br />

Weigand, 1998). In Abschnitt 3 wird darauf<br />

eingegangen.<br />

2.2 Identifizierung gemeinsamer<br />

Aspekte von Informatik und<br />

Mathematik<br />

Neben den typisch informatischen Aspekten gibt<br />

es Methoden und Konzepte, die beide Disziplinen<br />

betreffen und damit einen besonderen Ansatz <strong>für</strong><br />

eine Kooperation versprechen. Dies sind (Beckmann,<br />

2003a):<br />

• Modellbildung<br />

• Gemeinsame Methoden: Strukturierung, Algorithmus,<br />

Rekursion und Iteration<br />

• Gemeinsame Inhalte und Begriffe: Berechenbarkeit,<br />

Entscheidbarkeit, Funktion, Variable<br />

• Sprache<br />

In Abschnitt 3 werden einzelne Aspekte an<br />

Hand von Beispielen aufgegriffen und ihre Chancen<br />

diskutiert.<br />

3 <strong>Informatische</strong> Aspekte <strong>im</strong><br />

<strong>Mathematikunterricht</strong> –<br />

Chancen<br />

In diesem Kapitel werden mögliche Chancen an<br />

ausgewählten Beispielen aus dem Vortrag erläutert.<br />

3.1 Chance: Durch den informatischen<br />

Aspekt findet eine intensivere<br />

Auseinandersetzung mit der<br />

Mathematik statt<br />

<strong>Informatische</strong>r Aspekt:<br />

Programmieren, Methode der<br />

Variablenzuweisung<br />

Der Euklidische Algorithmus zur Best<strong>im</strong>mung<br />

des größten gemeinsamen Teilers zweier Zah-


<strong>Informatische</strong> Aspekte <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong> – Möglichkeiten und Chancen<br />

len beruht prinzipiell darauf, dass die ggT-<br />

Best<strong>im</strong>mung auf die ggT-Best<strong>im</strong>mung zweier<br />

kleinerer Zahlen zurückgeführt wird. Dies kann in<br />

einem einfachen interativen Algorithmus realisiert<br />

werden, indem zunächst zwei „Integer-Variablen“<br />

x und y festgelegt werden, die dann nach folgender<br />

Anweisung bearbeitet werden:<br />

If x > y then x := x − y<br />

Besondere Impulse, die sich aus der Informatik<br />

ergeben, sind hier: Das Programmieren erfordert<br />

eine genaue Analyse des Verfahrens. Die Beurteilung<br />

des fertigen Programms muss die Mathematik<br />

einbeziehen. Algorithmus, Iteration, Frage<br />

nach Korrektheit werden direkt thematisiert. Die<br />

Informatik regt zur Reflexion an. Besonders beachtenswert<br />

ist, dass die Informatik hier mit der<br />

Methode der Variablenzuweisung einen speziellen<br />

Beitrag zum inhaltlichen Verstehen des Verfahrens<br />

liefert. Während in der Mathematik der<br />

Euklidische Algorithmus durch einfaches Durchindizieren<br />

(ai = biq + r) schematisch angewandt<br />

werden kann, wird durch die in der Informatik übliche<br />

explizite Zuweisung a ← b und b ← r der<br />

zentrale Gedanke des Verfahrens verdeutlicht.<br />

<strong>Informatische</strong>r Aspekt:<br />

Anwendersoftware<br />

In der mathematikdidaktischen Literatur gibt es<br />

zahlreiche Arbeiten, die die Bedeutung von Anwendersoftware<br />

<strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong> aufzeigen<br />

(vgl. insbesondere die Tagungsbände zum<br />

Arbeitskreis „<strong>Mathematikunterricht</strong> und Informatik“,<br />

auch Literaturverzeichnis in Beckmann<br />

2003a). Danach liegt der Schwerpunkt der mathematischen<br />

Tätigkeit nicht mehr auf dem „nichtkreativen“<br />

Arbeiten, sondern wird durch Aktivitäten<br />

wie Modellieren, Darstellen, Interpretieren<br />

ergänzt und darauf verlagert. Ein besonderer<br />

Wert des Computereinsatzes kann in der Möglichkeit<br />

gesehen werden, Schüler und Schülerinnen<br />

selbstständiges Arbeiten zu ermöglichen und<br />

damit zu einer intensiveren Auseinandersetzung<br />

mit der Mathematik anzuregen. Insbesondere ist<br />

dies <strong>im</strong> Zusammenhang mit Dynamischen Geometriesystemen<br />

und entdeckendem Lernen vielfach<br />

aufgezeigt worden (vgl. z.B. o.a. Tagungsbände).<br />

Hier wird auf eine weitere Zusammenfassung<br />

verzichtet und stattdessen zwei Beispiele<br />

aufgezeigt:<br />

In einem Projekt an der PH Schwäbisch<br />

Gmünd wurde der Einsatz des Computers als<br />

Übungs- und Wiederholungsmedium <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

in 9. Realschulklassen untersucht<br />

Kittel et al. (2005b,a). Die Erprobung erfolgte in<br />

zwei Klassen des Ostalbkreises mit Tablet-PCs<br />

und an Hand verschiedener Aufgaben, die auf unterschiedlichen<br />

Anwendersystemen beruhen. Die<br />

Aufgaben waren so konzipiert, dass eine selbstständige<br />

Erkenntnisgewinnung möglich ist (vgl.<br />

Abb. 2.1: Zusammenhang zwischen Multiplizieren,<br />

Dividieren und Potenzieren mit positivem und<br />

negativen Exponent)<br />

In der Erprobung zeigte sich, dass in einigen<br />

Fällen der PC tatsächlich zum längeren Probieren<br />

an<strong>im</strong>ierte und eine Lehrperson erst spät oder gar<br />

nicht gerufen wurde, auch wenn die Aufgabe nicht<br />

befriedigend gelöst werden konnte. Offensichtlich<br />

verstanden diese Schüler und Schülerinnen<br />

den Computer als ein Medium <strong>für</strong> eigenständige<br />

Arbeit. Der von den Schülern geäußerte Wunsch<br />

nach mehr Hilfemöglichkeit direkt am Computer<br />

unterstreicht dies (Beckmann, Hole, Kittel, Ladel<br />

2006). In einigen der eingesetzten Aufgabendateien<br />

bietet der Computer direkte Hilfe an. Neben der<br />

ständigen Sicht auf die grundlegenden Formeln<br />

<strong>im</strong> oberen Tabellenbereich war insbesondere auch<br />

die Möglichkeit der direkten Hilfeanforderung gegeben.<br />

Die <strong>im</strong> Hilfesystem aufrufbaren Hilfstexte<br />

und Hilfsbeispiele heben schwerpunktmäßig auf<br />

das Verständnis ab. So wird zum Beispiel bei der<br />

Hilfe zu Aufgabe 3−2 = ... nicht sofort gesagt,<br />

dass diese Potenz gleichwertig zum Term 1<br />

32 ist,<br />

sondern wie diese Potenz entstehen kann:<br />

3 hoch −2 ergibt sich aus einem<br />

Bruch mit dem Zähler 3 hoch 2 und<br />

dem Nenner 3 hoch 4. Das Ergebnis<br />

ist dann 3 hoch (2 − 4), also 3 hoch<br />

−2.<br />

Die Chance zu einer intensiveren Auseinandersetzung<br />

mit Mathematik ergibt sich insbesondere<br />

auch <strong>im</strong> Zusammenhang mit modellierenden<br />

Tätigkeiten. Anregende Beispiele zur vertiefenden<br />

Arbeit in der Analytischen Geometrie mit<br />

dem Porgramm Povray zeigt Filler 2001. Die Konstruktion<br />

eines 3D-Objekts erfordert eine intensive<br />

Beschäftigung mit der Lage und Darstellung<br />

von Punkten, Geraden, Ebenen und Kugeln<br />

(Abb. 2.2). Weitere Beispiele zu diesem Themenkomplex<br />

finden sich zum Beispiel auch bei Leuders<br />

Leuders (2004).<br />

3.2 Chance: Durch den informatischen<br />

Aspekt wird Mathematik vielseitiger<br />

erfahren<br />

<strong>Informatische</strong>r Aspekt: Funktionen<br />

Funktionen und Funktionsbegriff betreffen sowohl<br />

die Mathematik, als auch die Informatik.<br />

Das Einbeziehen informatischer Aspekte gestattet<br />

eine vielseitige Behandlung. Die Informatik regt<br />

dazu an, Funktionen und Relationen zu betrachten,<br />

in denen die Argumente nicht <strong>im</strong>mer nur eine<br />

Zahl oder überhaupt eine Zahl sein müssen. Man<br />

denke an die Schaltfunktionen<br />

f Schalt :{0,1} n → {0,1} m<br />

11


Astrid Beckmann, Schwäbisch Gmünd<br />

Abbildung 2.1: Beispiel aus der Datei Potenzieren (Aufgabe Hole, vgl. Beckmann et al. (2006)), Möglichkeit<br />

zum selbstständigen Arbeiten<br />

Abbildung 2.2: Konstruktion eines Schneemanns in „vectory“. Wie lautet die Geradengleichung <strong>für</strong> einen<br />

zusätzlichen Besen?<br />

12


<strong>Informatische</strong> Aspekte <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong> – Möglichkeiten und Chancen<br />

oder an das Problem des Ordnens von Spielkarten,<br />

die durch Farbe und Buchstaben gekennzeichnet<br />

sind.<br />

<strong>Informatische</strong>r Aspekt:<br />

Anwendersoftware<br />

Einige Besonderheiten: Die Anwendersoftware<br />

gestattet das gleichzeitige Erfassen unterschiedlicher<br />

Darstellungsformen. Durch die Dynamisierung<br />

geometrischer Konstruktionen lassen sich<br />

geometrische Zusammenhänge entdecken, Hypothesen<br />

formulieren und an weiteren Beispielen<br />

prüfen. Es ist möglich, viele Beispiele (fast)<br />

gleichzeitig zu erfassen.<br />

Gemeinsamer Aspekt: Variablen<br />

Variablen sind grundlegende Werkzeuge <strong>für</strong> die<br />

Verständigung und <strong>für</strong> Verallgemeinerungen. Empirische<br />

Untersuchungen zeigen, dass Schüler und<br />

Schülerinnen oft nur ein eingeschränktes Verständnis<br />

vom Variablenbegriff haben, dass sie<br />

Schwierigkeiten haben zwischen Variable als Unbekannte<br />

und Variable als allgemeine Zahl zu unterscheiden<br />

(Ursini & Trigueros, 1997; Warren,<br />

1999). Durch den Bezug zur Informatik kann der<br />

Variablenbegriff vielseitiger erfahren werden, indem<br />

zwischen gebundener und freier und zwischen<br />

globaler und lokaler Variable unterschieden<br />

wird (Löthe, 1998).<br />

Abbildung 2.3: Tangente als Grenzwert der Sekante<br />

Gemeinsamer Aspekt: Rekursion und<br />

Iteration<br />

Iteration und Rekursion sind grundlegende Begriffe<br />

der Mathematik. In der Mathematik gibt<br />

es zahlreiche Anwendungen da<strong>für</strong> wie zum Beispiel<br />

Näherungsverfahren <strong>für</strong> Gleichungssysteme,<br />

Intervallschachtelungen und vollständige Induktion.<br />

Iteration und Rekursion sind wichtige Strategien<br />

be<strong>im</strong> Problemlösen. In der Informatik ist es<br />

gängige Praxis, eine Problemlösung iterativ und<br />

rekursiv in einem Programm umzusetzen. Im <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

kann die Behandlung von Iteration<br />

und Rekursion dazu beitragen, <strong>Ideen</strong> zum<br />

Gleichungslösen oder zu Folgen und Reihen zu<br />

entwickeln. Es kann hilfreich sein <strong>für</strong> das Verstehen<br />

mathematischer Begründungsverfahren, zum<br />

Nachweis der Berechenbarkeit, aber auch um entsprechende<br />

Funktionen in Programmen verstehen<br />

zu können. Speziell versprechen Wachstumsprozesse<br />

und Fragen zum Grenzwertbegriff interessante<br />

Ansätze (Abb. 2.3). Ein weites Anwendungsfeld<br />

ergibt sich bei der Konkretisierung iterativer<br />

Vorgänge und ihrer Algorithmisierung in<br />

einem Programm (Abb. 2.4).<br />

<strong>Informatische</strong>r Aspekt: Technik<br />

Technische Anwendungen in der Informatik betreffen<br />

viele Gebiete der Mathematik. Neben der<br />

Booleschen Algebra, die <strong>im</strong> Zusammenhang mit<br />

Kodierung eine Rolle spielt, ergeben sich auch<br />

zahlreiche Anwendungen <strong>für</strong> Termumformungen<br />

und das Lösen von Gleichungssystemen. Die<br />

Übertragungsgeschwindigkeit in einem Lichtwellenleiter<br />

lässt sich durch die Anwendung und Lösung<br />

des Brechungsgesetzes ermitteln (Beckmann<br />

2003b).<br />

3.3 Chance: Der informatische Aspekt<br />

leistet einen Beitrag zur Entwicklung<br />

der Problemlösefähigkeit<br />

<strong>Informatische</strong>r Aspekt:<br />

Anwendersoftware<br />

Beispiele: Dynamische Geometriesysteme können<br />

durch das Erkennen von Invarianzen Beweisteile<br />

initiieren (Beckmann, 2001). Modulares Arbeiten<br />

(Makros) entspricht der allgemeinen Methode<br />

des Problemlösens, Probleme in Teilprobleme<br />

zu zerlegen (Heugl, 1999; Lehmann, 2000;<br />

Schumann, 2001). Best<strong>im</strong>mte Formen strategischen<br />

Arbeitens können angeregt werden, etwa<br />

durch das Nutzen der Formel- und Kopierfunktionen<br />

in Tabellenkalkulationsprogrammen (Beckmann<br />

et al., 2006) usw..<br />

<strong>Informatische</strong>r Aspekt: Programmieren<br />

Das Programmieren enthält typische heuristische<br />

Tätigkeiten und führt auf best<strong>im</strong>mte Strategien<br />

wie Rekursion, Iteration, Modularisierung usw.<br />

(vgl. oben) und die Frage nach einfacheren Algorithmen<br />

oder alternativen Verfahren.<br />

<strong>Informatische</strong>r Aspekt:<br />

Programmierkonzepte<br />

Die Gegenüberstellung unterschiedlicher Programmierkonzepte<br />

und die Prüfung ihrer jeweiligen<br />

Eignung <strong>im</strong> Kontext spricht allgemeine heuristische<br />

Kompetenzen an.<br />

Beispiel: Gegenüberstellung des <strong>im</strong>perativen<br />

Konzepts und der Objektorientierung zur Berechnung<br />

der Zweierpotenz <strong>für</strong> n ∈ {1,2,...,10}. Imperatives<br />

Konzept: Wiederholung der Elementarschritte:<br />

Berechne <strong>für</strong> i = 1 bis i ≤ n mit i := i+1,<br />

p := p · b . . . Objektorientierung: Datenkapselung<br />

folgendermaßen: Objekt: Zweier-Potenz, Attribute:<br />

Basis 2, Exponent n, Potenzwert p, Methoden:<br />

13


Astrid Beckmann, Schwäbisch Gmünd<br />

Abbildung 2.4: „Kunstwerk“ durch Iteration: Entfalte einen langen Papierstreifen in jedem Schritt „rechtwinklig“<br />

(L-Form). Quelle: http://www.schulpraxis.de/chaos.html<br />

Potenz berechnen, p = 2n<br />

3.4 Chancen: Der informatische Aspekt<br />

motiviert eine Beschäftigung mit<br />

(besonderen) mathematischen<br />

Inhalten und führt auch zu<br />

Veränderungen in den Tätigkeiten<br />

und Inhalten des<br />

<strong>Mathematikunterricht</strong>s<br />

Beispiele (vgl. dazu Beckmann 2003a):<br />

• Informatik motiviert die bewusste Thematisierung<br />

der Programmierkonzepte<br />

• Modulares Arbeiten motiviert lokales Ordnen<br />

• Die Boolesche Algebra wird aktuell<br />

• Anwendersoftware verlagert vom rechnerischen<br />

auf den geometrisch-grafischen Gehalt eines<br />

Problems<br />

• Das Exper<strong>im</strong>entieren mit dynamischen Geometriesystemen<br />

führt auf Sätze, die ohne DGS<br />

nicht behandelt worden wären<br />

• Die Nutzung des Internets gestattet neue Aktivitäten<br />

wie Chat über Mathematik, Erstellen von<br />

mathematischen Webseiten, Webquests usw.<br />

• Verstärkt werden Aktivitäten wie Modellieren,<br />

Darstellen, Interpretieren<br />

Viele dieser Aspekte zeigen sich zum Beispiel<br />

in der Umsetzung eines fächerübergreifenden<br />

Lehrgangs zwischen Mathematik- und Informatikunterricht<br />

zum Thema Sprache und Grammatik.<br />

Zentrale Aktivitäten eines solchen Lehrgangs<br />

sind das Reflektieren über natürliche Sprache,<br />

das Modellieren der Sprache als formale<br />

Sprache und einer Grammatik. Zentrale Themen<br />

sind Kodierung, Zahldarstellung und technische<br />

Umsetzung vor dem Hintergrund der Booleschen<br />

Algebra. Aus Platzgründen wird hier auf eine genauere<br />

Darstellung verzichtet und zur gründlicheren<br />

Lektüre auf Beckmann 2005 verwiesen.<br />

14<br />

4 Zusammenfassung<br />

Mathematik ist Grundlage <strong>für</strong> viele informatische<br />

Inhalte. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten,<br />

informatische Aspekte in den <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

einzubeziehen. Dadurch kann mehr Einsicht<br />

in mathematische Inhalte gewonnen werden.<br />

(Vergessene) mathematische Denkweisen werden<br />

angeregt. Wichtige Kompetenzen werden angesprochen<br />

(Modellieren). Es entstehen interessante<br />

Vernetzungen. Die Bedeutung der Mathematik<br />

wird in vielen Zusammenhängen erfahren. Durch<br />

den informatischen Aspekt findet eine intensivere<br />

Auseinandersetzung mit Mathematik statt und<br />

die Mathematik wird vielseitiger erfahren. Der informatische<br />

Aspekt leistet einen Beitrag zur Entwicklung<br />

der Problemlösefähigkeit und motiviert<br />

eine Beschäftigung mit (besonderen) mathematischen<br />

Inhalten.<br />

Literatur<br />

Bartke, P. (2000): Kritische Analyse des Diskussionspapiers<br />

‘Gesamtkonzept der informatischen Bildung’ aus dem GI-<br />

Fachausschuss 7.3 <strong>Informatische</strong> Bildung an Schulen. URL<br />

http://www.inf.fu-berlin.de<br />

Beckmann, Astrid (2001): Probleme be<strong>im</strong> Beweisenlernen —<br />

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Gawlick & Hans-Wolfgang Henn (Hg.): Zeichnung — Figur<br />

— Zugfigur, Hildeshe<strong>im</strong>: Franzbecker, 21–30<br />

Beckmann, Astrid (2003a): Fächerübergreifender Mathematikuntericht,<br />

Teil 4: <strong>Mathematikunterricht</strong> in Kooperation mit<br />

Informatik. Franzbecker<br />

Beckmann, Astrid (2003b): Fächerübergreifender Unterricht<br />

— Konzept und Begründung. Hildeshe<strong>im</strong>: Franzbecker<br />

Beckmann, Astrid (2005): Kommunikation als fächerverbindendes<br />

Thema von Mathematik und Informatik mit Aspekten<br />

aus Deutsch und Physik. In: Engel, Jochen, Rose Vogel & Sylvia<br />

Wessolowski (Hg.): Strukturieren — Modellieren — Kommunizieren,<br />

Hildeshe<strong>im</strong>: Franzbecker, 119–132<br />

Beckmann, Astrid, Volker Hole, Andreas Kittel & Silke Ladel<br />

(2006): Der Computer als Übungs- und Wiederholungsmedium<br />

<strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong> – eine unterrichtliche Erprobung<br />

mit Tablet-PCs. In: Beckmann, Astrid (Hg.): Ausgewählte Unterrichtskonzepte<br />

<strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong> in unterrichtlicher<br />

Erprobung, Franzbecker


<strong>Informatische</strong> Aspekte <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong> – Möglichkeiten und Chancen<br />

Filler, Andreas (2001): Dreididemsionale Computergrafik und<br />

Analytische Geometrie, Vorschläge <strong>für</strong> den <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

in der Sekundarstufe II. mathematica didactica,<br />

2, 21–56, URL http://www.ph-heidelberg.de/wp/<br />

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Heugl, H. (1999): Computeralgebrasysteme — das gelobte<br />

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Hischer, Horst & Hans-Georg Weigand (1998): <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

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Unterrichtsfachs. LOG-IN, 18(2), 10–18<br />

Kittel, Andreas, Astrid Beckmann, Volker Hole & Silke Ladel<br />

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Kittel, Andreas, Astrid Beckmann, Volker Hole & Silke Ladel<br />

(2005b): Der Computer als Übungs- und Wiederholungsmedium<br />

<strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong> – eine unterrichtliche Erprobung<br />

mit Tablet-PCs. In: Vorträge auf der 39. Tagung <strong>für</strong> Didaktik<br />

der Mathematik in Bielefeld, Beiträge zum <strong>Mathematikunterricht</strong>,<br />

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mathematischer Standardthemen. In: Herget, Wilfried,<br />

Hans-Georg Weigand & Thomas Weth (Hg.): Standardthemen<br />

des <strong>Mathematikunterricht</strong>s in moderner Sicht, Franzbecker<br />

Lehmann, Eberhard (2004): Konzeptionelle Überlegungen<br />

zur Einbeziehung informatischer Inhalte und Methoden be<strong>im</strong><br />

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2. Hildeshe<strong>im</strong>: Franzbecker<br />

Leuders, T<strong>im</strong>o (2004): Kreatives geometrisches Konstruieren<br />

mit Ray-Tracing Software. In: Leuders, T<strong>im</strong>o (Hg.): Materialien<br />

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Hildeshe<strong>im</strong>: Franzbecker<br />

Löthe, Herbert (1998): Mathematik mit Informatik. Ein Programm<br />

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Schumann, Heinz (2001): Modulares Arbeiten <strong>im</strong> Geometrieunterricht.<br />

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Schwill, Andreas (1995): Fundamentale <strong>Ideen</strong> in Mathematik<br />

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<strong>Ideen</strong>. Zur Zielorientierung eines künftigen <strong>Mathematikunterricht</strong>s<br />

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Ursini, S. & M. Trigueros (1997): Understanding of different<br />

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understanding. In: Zaslavsky, O. (Hg.): Proceedings of<br />

the 23th conference of the International Group for the Psychology<br />

of Mathematics Education, Band 4, Haifa, 313–320<br />

15


Raum <strong>für</strong> Notizen<br />

16


• Systemorientierte Didaktik der Informatik —<br />

Sozio-technische Informatiksysteme als<br />

Unterrichtsgegenstand?<br />

Johannes Magenhe<strong>im</strong>, Paderborn<br />

Der Beitrag versucht in knapper Form, die Grundzüge einer systemorientierten Didaktik der Informatik<br />

zu beschreiben. Er wird sich zunächst mit dem Einfluss der fachwissenschaftlichen Wurzeln<br />

der Informatik und ihrer theoretischen Konzepte auf die Fachdidaktik beschäftigen. Hierbei kommt<br />

der Produkt-Prozess Relation in der Softwareentwicklung eine wesentliche Bedeutung zu. Sie ermöglicht,<br />

Informatiksysteme als Ergebnis eines sozio-technischen Gestaltungsprozesses zu begreifen,<br />

der zugleich ihre Produktqualität und die damit verbundenen gesellschaftlichen Implikationen<br />

best<strong>im</strong>mt. In dieser Sichtweise bilden sozio-technische Informatiksysteme, die fachwissenschaftlichen<br />

Methoden ihrer Gestaltung und vor allem ihre medialen Qualitäten einen wichtigen Gegenstandsbereich<br />

des Unterrichtsfachs Informatik. Der Artikel befasst sich daher neben einer Klärung<br />

des Begriffs Informatiksystem <strong>im</strong> Weiteren mit Fragen nach dem allgemein bildenden Beitrag eines<br />

dem systemorientierten didaktischen Ansatz verpflichteten Informatikunterrichts. Ferner werden<br />

Fragen der unterrichtspraktischen Umsetzung angesprochen. Es wird gezeigt, dass sich die von der<br />

systemorientierten Didaktik <strong>für</strong> die Informatik begründete Methode der Dekonstruktion in besonderem<br />

Maße mittels interaktiver computerbasierter Medien realisieren lässt Am Beispiel des Informatik<br />

Lernlabors wird dieses unterrichtsmethodische Konzept verdeutlicht.<br />

1 Einleitung<br />

Ob man sich nun an den Klassikern der didaktischen<br />

Analyse (Klafki, 1995) oder an aktuellen<br />

internationalen Curricula zur informatischen Bildung<br />

orientiert, z.B. ACM (ACM, 2003), UNES-<br />

CO (van Weert & Tinsley, 2000), IEEE (IEEE &<br />

ACM, 2004), es sind zumeist die gleichen Bezugsfragen,<br />

die die curriculare Diskussion und damit<br />

auch die Diskussion fachdidaktischer Konzepte<br />

prägen. Hinter didaktischen Kriterien zur Inhaltsauswahl<br />

und zur Zielbest<strong>im</strong>mung, wie Wissenschaftsorientierung<br />

(relevante Gegenstandsbereiche<br />

und Methoden der Fachwissenschaft <strong>im</strong> Sinne<br />

der Wissenschaftspropädeutik), Erfahrungsorientierung<br />

(Gegenstandsbereich ist persönlicher Erfahrung<br />

der Schüler zugänglich), Schülerorientierung<br />

(Altersgemäßheit, Orientierung an Schülerinteressen)<br />

oder Handlungsorientierung (Gegenstände<br />

lassen sich in einem hohem Maße<br />

durch unterrichtliche Eigenaktivität der Schüler<br />

erschließen) (Ministerium <strong>für</strong> Schule und Weiterbildung,<br />

1999; Behörde <strong>für</strong> Bildung und Sport,<br />

2003) stehen Fragen nach dem. . .<br />

Was Welches sind die zentralen Inhalte des Unterrichtsfachs<br />

Informatik?<br />

Warum Nach welchen Kriterien werden die Inhalte<br />

aus der Vielfalt der informatischen<br />

Themen der Fachwissenschaft ausgewählt,<br />

und welche spezifische allgemein bildende<br />

Bedeutung kommt ihnen zu?<br />

Wozu Welches sind die zentralen Bildungsziele<br />

des Unterrichtsfachs Informatik?<br />

Wie Mit welchen spezifischen Unterrichtsmethoden<br />

sollen die Inhalte <strong>im</strong> Informatikunter-<br />

richt vermittelt werden, und in welcher Relation<br />

stehen diese zu den fachwissenschaftlichen<br />

Methoden der Informatik?<br />

Womit Welche spezifischen Medien können <strong>im</strong><br />

Unterrichtsfach eingesetzt werden, und<br />

welche Bedeutung kommt dabei professionellen<br />

Entwicklungswerkzeugen der Informatik<br />

zu?<br />

Für wen Für welche Zielgruppen soll Informatik<br />

bzw. informatische Bildung in welcher<br />

schulischen Organisationsform angeboten<br />

werden?<br />

Der vorliegende Beitrag kann auf diese Fragen<br />

keine umfassenden Antworten liefern. Er untern<strong>im</strong>mt<br />

allerdings den Versuch, die mit den Fragen<br />

aufgeworfenen didaktischen Entscheidungsebenen<br />

aus der Perspektive des Verhältnisses von<br />

Fachdidaktik zur Fachwissenschaft Informatik zu<br />

beleuchten. Dabei sollen aus dem Verständnis<br />

zentraler Anliegen der Fachwissenschaft Informatik<br />

heraus, Schlussfolgerungen <strong>für</strong> Methoden, Bildungsziele<br />

und Inhalte des Unterrichtsfachs Informatik<br />

gezogen werden. Um der Gefahr des Entwurfs<br />

einer ‘Abbilddidaktik’ zu entgehen, müssen<br />

die Spezifika des Unterrichtsfaches Informatik <strong>im</strong><br />

schulischen Fächerkanon vor allem <strong>im</strong> Hinblick<br />

auf ihre allgemein bildenden Funktionen analysiert<br />

und begründet werden. In diesem Zusammenhang<br />

spielen auch die medialen Qualitäten<br />

von Informatiksystemen und die Bedeutung digitaler<br />

Medien in der Informations- und Wissensgesellschaft<br />

eine wichtige Rolle.<br />

So wird gezeigt werden, dass das Unterrichtsfach<br />

Informatik über die inhaltliche und methodische<br />

Beschäftigung mit sozio-technischen In-<br />

17


Johannes Magenhe<strong>im</strong>, Paderborn<br />

formatiksystemen hinaus auch ein fundamentales<br />

Verständnis <strong>für</strong> den kompetenten Umgang und die<br />

bewusste Nutzung computerbasierter Medien fördern<br />

und damit einen allgemein bildenden Beitrag<br />

leisten kann.<br />

Im Unterrichtsfach selbst konfrontiert die zunehmende<br />

Nutzung von computerbasierten Medien<br />

in Lehr- Lernprozessen verschiedenster Fachgebiete<br />

auch die Didaktik der Informatik mit der<br />

Frage, welche Bedeutung den Informations- und<br />

Kommunikationstechniken nicht nur als Unterrichtsgegenstand<br />

sondern auch als Medium in der<br />

informatischen Bildung beigemessen wird. Hier<br />

hat der Einsatz des Computers, z. B. <strong>im</strong> Informatikunterricht<br />

bei der Codierung von Programmen,<br />

<strong>im</strong> Vergleich zu anderen Fächern eine lange<br />

Tradition. Mit den erweiterten medialen Funktionen<br />

des Computers veränderte sich auch die Palette<br />

der Einsatzszenarios von IuK-Techniken in der<br />

informatischen Bildung. Diese <strong>im</strong> Vergleich zum<br />

traditionellen Einsatz von Computern erweitere<br />

mediale Funktion kommt besonders jenen didaktischen<br />

Ansätzen und methodischen Vorgehensweisen<br />

entgegen, die die Visualisierung von Prozessen<br />

und Zusammenhängen <strong>im</strong> Kontext von Informatiksystemen<br />

zu deren Verständnis und ihrer<br />

interaktiven Modellierung <strong>im</strong> Unterricht nutzen<br />

wollen. Die erweiterten medialen Funktionen<br />

des Computers <strong>im</strong> Informatikunterricht ermöglichen<br />

zugleich auch eine größere Bandbreite<br />

methodischer Variationen und eröffnen vielfältige<br />

Sichtweisen auf die Genese und Praxis soziotechnischer<br />

Informatiksysteme. Der hier vorliegende<br />

Beitrag versucht, dieses Postulat zu begründen.<br />

Ausgehend von dem Blickwinkel einer systemorientierten<br />

Didaktik der Informatik auf soziotechnische<br />

Informatiksysteme wird deshalb auch<br />

der Einsatz von computerbasierten Medien <strong>im</strong> Informatikunterricht<br />

beschrieben und die daraus resultierenden<br />

methodischen Implikationen erörtert.<br />

2 Fachdidaktik und<br />

Fachwissenschaft<br />

2.1 Historische Wurzeln des Faches und<br />

fachwissenschaftliches<br />

Selbstverständnis<br />

Ausgangspunkt der Überlegungen ist zunächst<br />

das wissenschaftstheoretische Selbstverständnis<br />

des Faches Informatik und die dadurch begründeten<br />

zentralen Fachinhalte und Methoden.<br />

Hier stößt didaktische Theoriebildung an<br />

eine erste schwer zu überwindende Hürde.<br />

Die relativ junge Fachwissenschaft Informatik<br />

befindet sich hinsichtlich eines geschlossenen<br />

fachwissenschaftlichen Selbstverständnisses und<br />

der Entwicklung einer Theorie der Informatik<br />

noch in einem Anfangsstadium. Informatik<br />

18<br />

wird u. a. als Ingenieur-, Arbeits-, Kognitions-<br />

, (Software)Technik-, Struktur- oder Gestaltungswissenschaft<br />

bzw. als Kultur- und Wissenstechnik<br />

angesehen (vgl. Coy et al., 1992; Schubert<br />

& Schwill, 2004). Eine Vielzahl von unterschiedlichen<br />

Sichtweisen erfordert von didaktischer<br />

Theoriebildung in ihrem Entdeckungs- und<br />

Begründungskontext (vgl. Magenhe<strong>im</strong>, 1992) unter<br />

Beachtung von bildungstheoretischen Konzepten<br />

eine fachwissenschaftliche Fokussierung auf<br />

die <strong>für</strong> den Unterricht wesentlichen und in zeitlicher<br />

Hinsicht stabilen Inhalte und Methoden.<br />

Einen entsprechenden Versuch hat beispielsweise<br />

Schwill (1993) mit seinem Konzept der fundamentalen<br />

<strong>Ideen</strong> unternommen. In seinem Ansatz<br />

findet zunächst jedoch eine weitgehende Eingrenzung<br />

auf die formalen Methoden der Fachwissenschaft<br />

Informatik statt.<br />

Eindeutig sind die mathematischen und ingenieurwissenschaftlichen<br />

Wurzeln des Faches zu<br />

identifizieren, wenngleich sich mit der fachwissenschaftlichen<br />

Etablierung der Disziplin auch eine<br />

eigenständige Schwerpunktsetzung herausbildet.<br />

Die Abb. 3.1 beschreibt eine nicht notwendigerweise<br />

eindeutige Zuordnung von fachwissenschaftlichen<br />

Themenstellungen der Informatik<br />

zu ihren Bezugswissenschaften. Am Beispiel der<br />

Beziehung zur Mathematik wird deutlich, dass<br />

zunächst genuin mathematische Themenbereiche,<br />

wie Algorithmik oder Zahlentheorie aufgrund des<br />

informatischen Bestrebens nach Maschinisierung<br />

von Formalismen in informatiknahe Fragestellungen<br />

verwandelt wurden. Hier<strong>für</strong> steht etwa das<br />

Thema Berechenbarkeit und Komplexität von Algorithmen<br />

mit dem <strong>für</strong> die Informatik zentralen<br />

Konzept der Turing Maschine oder das Thema<br />

Kryptografie. Ähnliches lässt sich auch <strong>für</strong> die<br />

Ingenieurwissenschaften feststellen, wo mit der<br />

Softwaretechnik und ihren Vorgehensmodellen eine<br />

neue informatikspezifische Teildisziplin mit<br />

weiteren Untergliederungen entstanden ist.<br />

Bedingt durch die medialen Qualitäten von Informatiksystemen<br />

sind auch Fragen des Wissenserwerbs<br />

der computergestützten Kommunikation<br />

und Kooperation oder der ‘künstlichen Intelligenz’<br />

in informatischer Perspektive und mit informatischen<br />

Methoden zu behandeln. So werden<br />

Psychologie, Kognitions- und Medienwissenschaften<br />

zu Bezugswissenschaften der Informatik.<br />

Darüber hinaus zeugen die so genannten<br />

‘Bindestrichinformatiken’ wie Medieninformatik,<br />

Rechtsinformatik, Medizininformatik und andere<br />

von den zahlreichen Anwendungs- und Einsatzgebieten<br />

informatischer Methoden.<br />

Es ist Aufgabe der Fachdidaktik zu prüfen,<br />

welche dieser informatischen Inhalte mit unterschiedlichen<br />

historischen Bezugswissenschaften<br />

der Informatik <strong>für</strong> eine unterrichtliche Thema-


Systemorientierte Didaktik der Informatik — Sozio-technische Informatiksysteme als<br />

Unterrichtsgegenstand?<br />

(A) Mathematik & Theoretische<br />

Informatik<br />

• Formale Logik<br />

• Algorithmen<br />

• Formale Beschreibungen<br />

u. Kalküle<br />

• Numerik<br />

• Zahlentheorie<br />

• Sprache, Grammatik,<br />

Automat<br />

• Berechenbarkeit;<br />

Komplexität<br />

• Turing Maschine<br />

• . . .<br />

(B) Ingenieurwissenschaften<br />

• formale Typografie<br />

• Maschinisierung von<br />

Kalkülen<br />

• techn. Semiotik<br />

• Protokoll<br />

• Embedded Systems<br />

• Mechatronik<br />

• Hardware,<br />

Rechnerarchitektur<br />

• Vernetzung<br />

• Verteilte Systeme<br />

• . . .<br />

(C) Softwaretechnik (D) Kognition und digitale<br />

Medien<br />

• Vorgehensmodelle • Daten<br />

• Projektmanagement • Information<br />

• Modellierungstechniken • Wissen<br />

• Entwurf / Design<br />

• Kommunikation<br />

• HCI / GUI<br />

• Lernen, Arbeiten<br />

• graf. Beschreibungsmittel • Kooperation<br />

• Re-engineering<br />

• Organisation<br />

• Systemgestaltung<br />

• Medien<br />

• Programmiersprache, • Lernplattformen<br />

Compiler<br />

• Wissensmanagement<br />

• . . .<br />

• . . .<br />

Abbildung 3.1: Gegenstandsbereiche informatischer Bildung in Orientierung an der Genese der Fachwissenschaft<br />

und an den <strong>für</strong> die Systemgestaltung relevanten Teilgebieten<br />

tisierung infrage kommen. Um diese Frage zu<br />

beantworten, sollen einerseits einige der zentralen<br />

wissenschaftstheoretischen Konzepte der Informatik<br />

noch etwas genauer umrissen und andererseits<br />

die Frage nach dem allgemein bildenden<br />

Gehalt derartiger Themen erörtert werden. Insbesondere<br />

ist die Frage zu klären, ob die technischen<br />

Bezüge der Informatik dem allgemein bildende<br />

Auftrag schulischer Fächer an einer allgemein bildenden<br />

Schule widersprechen oder ob <strong>im</strong> Gegenteil<br />

das Fach neue Chancen und Perspektiven <strong>für</strong><br />

die Allgemeinbildung an diesen Schulen eröffnet.<br />

2.2 Wissenschaftstheoretische<br />

Konzepte der Informatik<br />

Gehen wir zunächst von dem Postulat aus, dass es<br />

eine wichtige Aufgaben der Informatik ist, Methoden<br />

und fachwissenschaftliche Konzepte bereitzustellen,<br />

um Informatiksysteme zu entwickeln<br />

und zu <strong>im</strong>plementieren. Es lassen sich dann in<br />

der Tradition der jeweiligen Bezugswissenschaften<br />

der Informatik wissenschaftstheoretische Konzepte<br />

ausmachen, die <strong>für</strong> das Verständnis der<br />

Fachwissenschaft Informatik und die informatische<br />

Methodik der Systemgestaltung von zentraler<br />

Bedeutung sind. Hier ist sicher nicht der Raum<br />

um einen kompletten Überblick zu geben oder die<br />

einzelnen Konzepte umfassend dazustellen. Dennoch<br />

sollen einige genannt werden, um zu verdeutlichen,<br />

wo sich aus wissenschaftspropädeutischer<br />

Sicht fachdidaktische Anknüpfungspunkte<br />

<strong>für</strong> eine Auswahl von Lehrinhalten ergeben.<br />

Die Entwicklung von Informatiksystemen<br />

setzt <strong>im</strong> Rahmen der Modellierung das formale<br />

Beschreiben von Datenstrukturen und Algorithmen<br />

voraus. Diese Formalisierung ist gleichzeitig<br />

gekoppelt mit einem Prozess der Abstraktion und<br />

Reduktion durch De-kontextualisierung. Die <strong>Ideen</strong><br />

der Entwickler und Kunden, ausgetauscht <strong>im</strong><br />

Medium von natürlicher Sprache auf der Basis interpretierbarer<br />

Information und vor dem Hintergrund<br />

eines subjektiven Erfahrungskontexts und<br />

subjektgebundenen Wissens, werden durch diesen<br />

Prozess auf formale Daten und deren formalisierbare<br />

Zusammenhänge abgebildet. Sie werden<br />

damit ihrer kontextbezogenen Semantik beraubt,<br />

sind aber nach syntaktisch eindeutigen Regeln<br />

durch Maschinen verarbeitbar. Wissen wird<br />

über den kooperativen Informationsaustausch <strong>im</strong><br />

Softwareentwicklungsprozess in eine Datenstruktur<br />

mit zugehörigen Daten transformiert, mittels<br />

formaler Beschreibungen (Algorithmen) manipulierbar.<br />

Krämer (1988) hat das Resultat dieses Prozesses<br />

<strong>im</strong> Konzept der formalen Typografien treffend<br />

zusammengefasst und beschrieben. Formale<br />

Typografien sind frei von Sinnhaftigkeit, können<br />

nach eindeutigen formalen Regeln manipuliert<br />

werden und basieren auf einem eindeutig zu<br />

identifizierenden Zeichensystem.<br />

Dieser Aspekt, die Fähigkeit von Computern,<br />

Zeichensysteme zu manipulieren, hat ihnen den<br />

Ruf als universelle symbolverarbeitende Maschine,<br />

und der Informatik die Charakterisierung als<br />

technische Semiotik eingetragen. Text erhält damit<br />

auch einen Doppelcharakter. Einerseits Medium<br />

zur menschlichen Kommunikation und andererseits<br />

Medium zur Steuerung von Maschinen. Im<br />

einen Fall mit kontextgebundener Semantik, <strong>im</strong><br />

anderen Fall sinnfrei und lediglich syntaktischen<br />

Regeln gehorchend.<br />

Diese fundamentalen Zusammenhänge der<br />

Maschinisierung von Wissen finden ihre logische<br />

Ergänzung in der Äquivalenz zwischen Klassen<br />

von Automaten und Klassen spracherzeugender<br />

Grammatiken (Chomsky, 1957). Mit dem Konzept<br />

der Turingmaschine hat die theoretische Informatik<br />

ein adäquates Beschreibungsmittel zur<br />

Durchführbarkeit dieser syntaktischen Regeln folgenden<br />

formalen Operationen gefunden.<br />

19


Johannes Magenhe<strong>im</strong>, Paderborn<br />

Abbildung 3.2: D<strong>im</strong>ensionen von Informatiksystemen<br />

nach Wegner (1997)<br />

Wegner (1997) zeigte jedoch, dass diese formalisierbare<br />

D<strong>im</strong>ension von Informatiksystemen<br />

nicht ausreicht, um derartige Systeme in ihrer ganzen<br />

Komplexität zu erfassen. In seiner nicht unumstrittenen<br />

Abhandlung zum ‘Verhältnis von Algorithmik<br />

und Interaktion’ wies er zurecht darauf<br />

hin, dass traditionelle Algorithmen zwar einen<br />

sehr wichtigen, aber eben nur einen Teil möglicher<br />

Aktivitäten eines Informatiksystems abdecken.<br />

Wichtige Komponenten heutiger Informatiksysteme<br />

bilden die Benutzungsoberflächen<br />

(GUI: Graphical User Interface), die die Interaktionen<br />

zwischen dem formal-technischen Teil des<br />

Systems und den Nutzern (HCI: Human Computer<br />

Interaction) ermöglichen. Die Vielfalt an<br />

möglichen Nutzereingaben und deren Einfluss auf<br />

die inneren Systemzustände sind mit deterministischen<br />

Regeln kaum umfassend zu beschreiben.<br />

Ähnliches gilt <strong>für</strong> parallele Prozesse und verteilte<br />

Systeme, wo etwa bei Routing-Problemen oder<br />

der Auslastung von Prozessor-Knoten be<strong>im</strong> Grid<br />

Computing nichtdeterministische, von sich stets<br />

verändernden äußeren Rahmenbedingungen abhängende<br />

externe Einflüsse die inneren Systemzustände<br />

verändern.<br />

Ein weiteres zentrales, die Hardware von Informatiksystemen<br />

betreffendes Konzept der Informatik<br />

ist die von Neumann Architektur von Prozessoren,<br />

die basierend auf der dynamischen Speicherung<br />

der Programmablaufsteuerung einen entscheidenden<br />

Wendepunkt in dem historisch lang<br />

andauernden Bemühen darstellte, formale Kalküle<br />

durch mechanische Konstruktionen ausführen zu<br />

lassen (z.B. Napier Stäbe, Schickards Rechenmaschine<br />

u. Ä.).<br />

Für informatische Lernprozesse ist es daher<br />

wichtig, diese typischen Eigenschaften von Informatiksystemen<br />

auch zu thematisieren und Informatikunterricht<br />

nicht nur auf die Codierung<br />

sequentieller, zumeist aus der Mathematik bekannter<br />

Algorithmen in einer Programmiersprache<br />

zu reduzieren. Insofern sollten softwareergonomische<br />

Fragestellungen und die Gestaltung von<br />

20<br />

Benutzungsoberflächen ebenso zu Gegenstandsbereichen<br />

des Informatikunterrichts gehören, wie<br />

die ereignisorientierte Programmierung oder vernetzte<br />

Systeme. Auch mechatronische Fragestellungen,<br />

die den Zusammenhang von Hard- und<br />

Software, Aktoren und Sensoren, wie bei eingebetteten<br />

Systemen verdeutlichen, sollten nicht<br />

ausgeklammert sondern anhand einfacher Beispiele<br />

verdeutlicht werden.<br />

3 Sozio-technische<br />

Informatiksysteme<br />

3.1 Erscheinungsformen von<br />

Informatiksystemen und<br />

Informatikunterricht<br />

Die systemorientierte Didaktik postuliert, dass es<br />

eine der zentralen Aufgaben der Fachwissenschaft<br />

Informatik sei, Informatiksysteme (IS) mit fachspezifischen<br />

Methoden zu gestalten. Im Sinne des<br />

didaktischen Prinzips der Wissenschaftsorientierung<br />

fällt dann dem Unterrichtsfach Informatik<br />

die Aufgabe zu, Informatiksysteme unter Produkt-<br />

Prozess Aspekten als zentralen Gegenstandsbereich<br />

informatischer Bildung zu betrachten. So<br />

können einerseits formale, strukturierende Methoden<br />

z. B. zum Zwecke der Abstraktion und Modellierung<br />

Inhalte des Informatikunterrichts sein.<br />

Andererseits beinhaltet die <strong>für</strong> die Systemgestaltung<br />

wesentliche Modellierung neben technisch<br />

funktionalen auch kommunikative Prozesse und<br />

interpersonale Handlungsabläufe (vgl. z.B. Floyd<br />

et al., 1992). Somit können, die mit einem Informatiksystem<br />

modellierten und bei dessen Einsatz<br />

vollzogenen Prozessveränderungen auf technischfunktionaler,<br />

kommunikativer und interpersonaler<br />

Handlungsebene in didaktischen Betrachtungen<br />

nicht ausgeklammert bleiben. Probleme und<br />

Methoden der Schnittstellengestaltung, der Softwareergonomie,<br />

der Kommunikation in vernetzten<br />

Systemen und der Veränderung von sozialen<br />

Handlungssystemen etc. sollten deshalb ebenfalls<br />

Unterrichtsgegenstände sein.<br />

Ein erstes Konzept zu einem systemorientierten<br />

Ansatz zur Didaktik der Informatik findet<br />

sich in einer Diplomarbeit von Foegen (1996),<br />

der Systeme als fundamentale Idee der Informatik<br />

beschreibt und auf die bedeutende Rolle von<br />

Akteuren (Auftraggeber, Entwickler, Nutzer) bei<br />

der Modellierung von Informatiksystemen verweist.<br />

In späteren Publikationen (z. B. Magenhe<strong>im</strong>,<br />

2001a,b) wurde der Ansatz unter Rekurs auf<br />

techniksoziologische Diskussionen begründet und<br />

unterrichtsmethodisch mit dem Konzept der Dekonstruktion<br />

verbunden.<br />

Ausgangspunkt <strong>für</strong> die unterrichtliche Auseinandersetzung<br />

können konkrete <strong>im</strong> Erfahrungsfeld<br />

der Schülerinnen und Schüler angesiedelte Informatiksysteme<br />

sein. Sie können unterschiedlichen


Systemorientierte Didaktik der Informatik — Sozio-technische Informatiksysteme als<br />

Unterrichtsgegenstand?<br />

gesellschaftlichen Anwendungsfeldern der Informationstechnik<br />

entstammen und von unterschiedlicher<br />

Komplexität sein. Als Erscheinungsformen<br />

derartiger Informatiksysteme <strong>im</strong> Erfahrungsumfeld<br />

der Schüler/innen sind z.B.<br />

• elektronische Geräte (Handys, MP3-Player,<br />

Spielkonsolen, . . . )<br />

• Verkehrsmittel (PKW, Verkehrsleitsysteme, . . . )<br />

• PCs mit Software (Lernsoftware, Lernplattform,<br />

Spielesoftware, . . . )<br />

• Automaten (Bankautomaten, Getränkeautomaten,<br />

Fahrkartenautomaten, . . . )<br />

• Informationssysteme (webbasierter Veranstaltungskalender,<br />

Fahrplanauskunft, Wettervorhersage,<br />

. . . )<br />

• Handels- und Tauschsysteme (Musiktauschbörsen,<br />

Homebanking, Internetauktionen, Partnersuche,<br />

. . . )<br />

• Kommunikationsmedien (Chat, Podcast, Wikis,<br />

Blog, . . . )<br />

zu nennen. In einer Vielzahl weiterer gesellschaftlicher<br />

Anwendungsfelder der Basistechnologie<br />

Mikroelektronik lassen sich Informatiksysteme<br />

identifizieren, die dem Kriterium der Schülerorientierung<br />

genügen.<br />

Unter einem Informatiksystem wird wegen<br />

der sozialen Implikationen des Softwareentwicklungsprozesses<br />

und der oben beschriebenen Sozialität<br />

der Produkteigenschaften von Software<br />

<strong>im</strong>mer ein sozio-technisches Informatiksystem<br />

verstanden. Als sozio-technisches Informatiksystem<br />

(IS) wird dabei die Einheit von Software,<br />

Hardware und assoziiertem sozialen Handlungssystem<br />

von Personen angesehen, die mit dem<br />

technischen Teil des Systems und miteinander interagieren.<br />

Zur Software zählt hierbei insbesondere<br />

auch die grafische Benutzungsoberfläche (GUI<br />

— Graphical User Interface) während der Hardware<br />

auch elektronische und mechanische Bauteile<br />

zur Steuerung peripherer technischer Prozesse<br />

(Embedded Systems) und zur Kommunikation<br />

mit anderen Informatiksystemen (Vernetzung) zugeordnet<br />

werden können. Es ist zu beachten, dass<br />

eine eindeutige Abgrenzung der Komponenten eines<br />

IS nicht <strong>im</strong>mer möglich ist, da z. B. Teile einer<br />

Software in einem Produkt auch in Form von<br />

Hardware realisiert werden könnten. Der technische<br />

Teil des Systems ist unauflöslich mit dem sozialen<br />

Handlungssystem verbunden. Die Software<br />

eines IS repräsentiert fundamentale <strong>Ideen</strong> und<br />

fachwissenschaftliche Methoden der Informatik,<br />

wie etwa Algorithmen, Kontroll- und Datenstrukturen,<br />

Entwurfsmuster, Automaten, Sprachkonzepte<br />

etc. Ferner beinhaltet die Software modellierte<br />

Abbildungen von Arbeitsabläufen, die den<br />

sozialen Kontext des Einsatzumfeldes des IS mit<br />

den dort angelegten Handlungsrollen von Perso-<br />

nen widerspiegeln und beeinflussen. Mittlerweile<br />

wird in zahlreichen Grundsatzpapieren, Lehrplänen<br />

und didaktischen Konzeptionen der Begriff<br />

‘Informatiksystem’ verwendet, um Gegenstandsbereiche,<br />

Zielsetzungen und auch die Methodik<br />

des Informatikunterrichts herzuleiten und<br />

zu begründen, z. B. Arbeitskreis 7.3.1 der G.I. e.V.<br />

(1993); Baumann (1996). Oft sind jedoch der wissenschaftstheoretische<br />

Hintergrund und die Einbindung<br />

des sozialen Handlungssystems in den<br />

technischen Part des Informatiksystems unklar.<br />

3.2 Theoretische Bezüge<br />

Auch <strong>im</strong> Rahmen dieses Beitrags ist eine umfassende<br />

Auseinandersetzung mit den techniksoziologischen<br />

und wissenschaftstheoretischen Hintergründen<br />

des Begriffs ‘sozio-technisches Informatiksystem’<br />

nur sehr begrenzt möglich. Der Begriff<br />

<strong>im</strong>pliziert die Existenz eines technischen und eines<br />

sozialen Subsystems, wobei der technische<br />

Part des Systems unauflösbar mit dem von interagierenden<br />

Personen gebildeten Handlungssubsystem<br />

verbunden ist. Die wissenschaftstheoretischen<br />

Wurzeln des Begriffs liegen nicht nur in der<br />

Informatik sondern auch in der Techniksoziologie.<br />

Die systemorientierte Technikwissenschaft<br />

hat ihre Ursprünge in der allgemeinen Systemtheorie<br />

von von Bertalanffy (1949) und in<br />

der Kybernetik von Wiener (Wiener, 1965). Beeinflusst<br />

wurde sie auch von Diskussionen um<br />

die Systemtheorie von Luhmann (1984). Syrbe<br />

(1995) hat in Anlehnung an Ropohl (z. B.<br />

Ropohl, 1999a) versucht, den Begriff des soziotechnischen<br />

Informatiksystems <strong>für</strong> die informatische<br />

Diskussion nutzbar zu machen. Er bezieht<br />

sich auf Ropohls Konzept eines abstrakten Handlungssystems.<br />

Ropohl unterscheidet vier Systemmodelle<br />

(vgl. z.B. Syrbe, 1995, S. 224):<br />

1. abstrakte Handlungssysteme (Instanz, die<br />

Handlungen vollzieht)<br />

2. menschliche Handlungssysteme (kooperierende<br />

Personen und Personengruppen, Organisationsmodelle)<br />

3. Sachsysteme/technische Systeme (künstlich<br />

hergestellte, planmäßig nutzbare, gegenständliche<br />

Gebilde)<br />

4. sozio-technische Systeme (soziale und personale<br />

Funktionsträger sind mit Sachsystemen<br />

aggregiert)<br />

In die letzte Gruppe fallen auch die soziotechnischen<br />

Informatiksysteme, die es daher auch<br />

hinsichtlich ihrer sozialen D<strong>im</strong>ensionen zu analysieren<br />

gilt (Ropohl, 1999b, S. 1):<br />

„The concept of the socio-technical<br />

system was established to stress the<br />

reciprocal interrelationship between<br />

21


Johannes Magenhe<strong>im</strong>, Paderborn<br />

humans and machines and to foster<br />

the program of shaping both the<br />

technical and the social conditions of<br />

work, in such a way that efficiency<br />

and humanity would not contradict<br />

each other any longer.“<br />

Hesse (1994) verwiesen von Seiten der Informatik<br />

bei ihrer Begriffsbest<strong>im</strong>mung von Softwaretechnik<br />

ebenfalls auf den Systembegriff. In<br />

einem sozio-technischen Informatiksystem kann<br />

zwischen der technischen Repräsentationsebene<br />

(Maschinen) der Kommunikationsebene (Gruppe<br />

von Menschen) und der Wissensebene (subjektive<br />

Sicht des Einzelnen) unterschieden werden.<br />

Auf der technischen Ebene werden Daten in<br />

Form von Signalen und Symbolen ausgetauscht<br />

und verarbeitet. Auf der Kommunikationsebene<br />

dient die Sprache zum Austausch von Nachrichten.<br />

Auf der Wissensebene ist schließlich die Information<br />

angesiedelt, die des Interpretationskontextes<br />

<strong>für</strong> die Nachrichten bedarf. Daten bedürfen<br />

der Codierung in einer Sprache bevor sie als<br />

Nachricht und durch individuelle Interpretation zu<br />

subjektivem Wissen verarbeitet werden können.<br />

Dieses systemische Konzept stellt einen Zusammenhang<br />

zwischen Wissen, Information und Daten<br />

her und begründet mit in diesem Zusammenhang<br />

einen subjektivistisch geprägten Wissensbegriff.<br />

Subjektive Wissensbestände und normative<br />

Positionen können die Bewertung und Entwicklung<br />

sozio-technischer Systeme maßgeblich beeinflussen,<br />

vor allem dann, wenn sie als wesentliche<br />

Bestandteile öffentlicher Meinung in einer<br />

<strong>Gesellschaft</strong> zum Maßstab praktischen Handelns<br />

werden (Tondl, 1999, S. 12):<br />

“The process of integrating knowledge,<br />

value-related, and other global,<br />

intellectual, or spiritual factors, and<br />

some religious ideas, should not be<br />

ignored when explaining the genesis<br />

and key motives and factors of technologically<br />

relevant initiatives, technological<br />

changes, and major innovations.”<br />

Subjektives Wissen und subjektive problembezogene<br />

Einstellungen (z.B. der Entwickler,<br />

Auftraggeber und Anwender) sind es auch, die<br />

Gestaltungsentscheidungen und die Nutzung von<br />

Informatiksystemen best<strong>im</strong>men. Nygaard (1986)<br />

hat in seinem Perspektivenkonzept zur Softwareentwicklung<br />

betont, dass es sehr unterschiedliche<br />

und dennoch schlüssige Sichtweisen auf<br />

ein Informatiksystem geben kann, die die Bewertung<br />

von sozio-technischen Informatiksystemen<br />

best<strong>im</strong>men können. Die Berücksichtigung einer<br />

derartigen mehrperspektivigen Sicht auf Informatiksysteme<br />

sollte auch <strong>für</strong> informatische Bildungs-<br />

22<br />

prozesse gelten, zumal sie auch unter lerntheoretischer<br />

Perspektive gefordert wird (s. u.).<br />

Auch neuere Ansätze zur Techniksoziologie,<br />

wie etwa Krohn (Krohn, 1992) in seiner ‘Sozialtheorie<br />

der Technik’ betonen die Bedeutung des<br />

sozialen Kontextes eines technischen Systems und<br />

die Notwendigkeit seiner Analyse als Voraussetzung<br />

<strong>für</strong> ein umfassendes Systemverständnis bei<br />

der Modellierung. Engbring (Engbring, 2003) hat<br />

in Anknüpfung an Keil-Slawik (2001) und Krohn<br />

(Krohn, 1992) den Begriff der Kontextuellen Informatik<br />

beschrieben. Bei diesem Ansatz werden<br />

vor allem die medialen Funktionen von Informatiksystemen<br />

und deren Bedeutung <strong>für</strong> menschliches<br />

Lernen und Arbeiten sowie die Notwendigkeit<br />

partizipativer Softwareentwicklung unter<br />

Beteiligung von Nutzern, Entwicklern und Auftraggebern<br />

herausgearbeitet. Technikgenese wird<br />

in einem technologischen Dreieck beschrieben,<br />

mit den zu den Produkten komplementären Prozessen.<br />

Technische Artefakte werden <strong>im</strong> Kontext<br />

von Soziofakten gestaltet und regulieren diese<br />

gleichzeitig. Andererseits vollzieht sich die<br />

Entwicklung technischer Artefakte auf der Basis<br />

von Wissen (Kognifakte), das wiederum umgekehrt<br />

durch die Existenz der technischen Artefakte<br />

erweitert werden kann. Schließlich ist auch<br />

eine Wechselwirkung zwischen den Soziofakten<br />

und den Kognifakten zu verzeichnen, wobei Erfahrungen<br />

und Wissen über den Technikgebrauch<br />

zu rechtlichen Regulierungen führen können bzw.<br />

Kenntnisse über die soziale Praxis von soziotechnischen<br />

Systemen zu deren Weiterentwicklung<br />

führen kann (vgl. Engbring, 2003). Diese<br />

Wechselwirkung basierend auf der Produkt-<br />

Prozess-Komplementarität sozio-technischer Systeme<br />

sollte in ihrer Gesamtheit Gegenstand informatischer<br />

Bildungsprozesse sein, ohne dass ein<br />

Aspekt vollkommen ausgeklammert bleibt.<br />

3.3 Systementwicklung und<br />

Informatikunterricht<br />

Aus dieser systemorientierten Perspektive bedeutet<br />

die Gestaltung eines soziotechnischen Informatiksystems<br />

nicht nur, einen Teil sozialer Realität<br />

zu modellieren, sondern entsprechende Beschreibungen<br />

auf der Basis einer Modellierungssprache<br />

in maschinenlesbaren Code umzusetzen<br />

und das System dann in Praxis zu <strong>im</strong>plementieren<br />

und zu evaluieren. Weiterhin sollte Softwareentwicklung<br />

und ihre Produkte, die Informatiksysteme,<br />

als wichtige Inhaltsbereiche informatischer<br />

Bildung nicht nur rein technisch betrachtet, sondern<br />

auch als sozio-technische Beziehungsgefüge<br />

angesehen werden. <strong>Informatische</strong>m Modellieren<br />

kommt deshalb nicht nur die Aufgabe zu, Szenarios<br />

der realen Welt zu beschreiben und ihr Verhalten<br />

vorherzusagen, sondern verlangt vielmehr<br />

von den Entwicklern die Fähigkeit künftige sozio-


Systemorientierte Didaktik der Informatik — Sozio-technische Informatiksysteme als<br />

Unterrichtsgegenstand?<br />

Abbildung 3.3: Technikgenese nach Krohn (1992) und Engbring (2003)<br />

technische Systeme, die entsprechend der Modellierung<br />

<strong>im</strong>plementiert werden sollen, in ihrem<br />

Verhalten zu antizipieren und diese Überlegungen<br />

in den Gestaltungsprozess mit einzubeziehen. Das<br />

theoretische Konzept der sozio-technischen Informatiksysteme<br />

unterstützt diese Auffassung von<br />

Softwareentwicklung und begründet <strong>für</strong> die informatische<br />

Bildung damit die Forderung nach der<br />

unterrichtlichen Auseinandersetzung sowohl mit<br />

den technischen als auch mit den sozialen und<br />

ethischen Aspekten derartiger Systeme.<br />

In der weiteren Konsequenz dieser Sichtweise<br />

ergibt sich die Notwendigkeit sozio-technische Informatiksysteme<br />

nicht nur als vorgegebenes Produkt<br />

in einem Anwendungskontext, sondern auch<br />

als Ergebnis des Softwareentwicklungsprozesses<br />

zu begreifen. <strong>Informatische</strong> Bildung sollte vermitteln,<br />

dass Software kein statisches Produkt ist,<br />

sondern soziale Interaktionen aus seinem Einsatzumfeld,<br />

seinem sozialen Kontext, repräsentiert<br />

und materialisiert. Die Produkt-Prozess-Relation<br />

oder Produkt-Prozess-Komplementarität der Softwareentwicklung<br />

ist ein fundamentales Konzept<br />

der Informatik, dessen genauere Betrachtung auch<br />

Rückschlüsse <strong>für</strong> die didaktische Analyse von Inhaltsbereichen<br />

des Informatikunterrichts liefern<br />

kann.<br />

Prozesse und Kontext<br />

Werfen wir zunächst einen Blick auf die Prozessaspekte<br />

von sozio-technischen Informatiksystemen<br />

und deren Bedeutung <strong>für</strong> die Auswahl von Unterrichtsinhalten:<br />

• Zu einem fundamentalen Verständnis von Informatiksystemen<br />

und ihren sozialen Folge-<br />

wirkungen in unterschiedlichsten gesellschaftlichen<br />

Einsatzbereichen gehört die an elementaren<br />

Beispielen konkretisierte Einsicht, dass<br />

Software sowohl technische als auch soziale<br />

und interaktive Aspekte ihres Einsatzumfeldes<br />

beinhaltet. Lernenden sollte vermittelt werden,<br />

dass die Gestaltung der Benutzungsoberfläche<br />

ein wesentliches Element zur Strukturierung der<br />

Mensch-Computer Interaktion darstellt und damit<br />

auch Arbeits- und Lernprozesse <strong>im</strong> Einsatzumfeld<br />

der Software beeinflusst werden können.<br />

Ferner sollte Modellierung auch als Prozess<br />

der Antizipation künftiger Einsatzszenarios<br />

des Informatiksystems erfahrbar gemacht werden.<br />

• Das ‘Produkt Software’ und das assoziierte<br />

sozio-technische Informatiksystem kann ebenfalls<br />

als Resultat eines Kommunikations- und<br />

Verhandlungsprozesses zwischen Entwicklern,<br />

Auftraggebern und Nutzern angesehen werden.<br />

Im Rahmen dieses Kommunikationsprozesses,<br />

der von unterschiedlichen Interessen geprägt<br />

sein kann, entstehen Dokumente, wie Zielvereinbarungen,<br />

Zeitplanungen, Aufwandseinschätzungen<br />

etc. Diese Dokumente können —<br />

<strong>im</strong> Original, oder als didaktische Materialien —<br />

Grundlage <strong>für</strong> einen handlungsorientierten Informatikunterricht<br />

sein, der sich z.B. darum bemüht,<br />

mit Hilfe von Rollenspielen Systemgestaltungsprozesse<br />

und mögliche Interessenskonflikte<br />

zwischen Gruppen von Beteiligten sichtbar<br />

zu machen.<br />

• Softwareentwicklung kann nicht nur von evtl.<br />

konfligierenden Interessensgruppen beeinflusst<br />

sein. Auch Restriktionen, die sich durch<br />

23


Johannes Magenhe<strong>im</strong>, Paderborn<br />

Zeitvorgaben, begrenzte materielle Ressourcen<br />

(Finanzrahmen, vorhandene Entwicklungstools<br />

und Technik) sowie durch die Notwendigkeit<br />

äußern, bereits bestehende Systeme in die Neuentwicklung<br />

zu integrieren, prägen oft die Praxis<br />

von Softwareprojekten. Diese Zweck-Mittel-<br />

Relation sollte auch in Problemlösephasen des<br />

Informatikunterrichts z. B. in Form von vorgegebenen<br />

Randbedingungen einfließen. Problemlösen<br />

<strong>im</strong> Informatikunterricht wird neben<br />

formal analytischen methodischen Arbeitsweisen<br />

von daher auch <strong>im</strong>mer normative und reflexive<br />

Anteile <strong>im</strong> Hinblick auf die Zweck-Mittel-<br />

Relation beinhalten.<br />

• Es ist zu berücksichtigen, dass Modellierungsund<br />

Konstruktionsphasen sowohl <strong>im</strong> fachwissenschaftlichen<br />

als auch <strong>im</strong> unterrichtlichen<br />

Kontext einem Prozess von Abstraktion, Formalisierung<br />

und Reduktion durch Entkontextualisierung<br />

unterworfen sind (siehe Abschnitt<br />

2.2). Dieser Prozess der Maschinisierung, der zu<br />

einem auf Maschinen ausführbaren Programm<br />

führt, sollte <strong>im</strong> Unterricht in seinen Phasen bewusst<br />

herausgearbeitet werden. Hierzu gehört<br />

auch die Klärung des Verhältnisses von Syntax<br />

und Semantik und des Unterschiedes zwischen<br />

menschlicher Kommunikation und Informationsverarbeitung<br />

sowie maschineller Datenverarbeitung.<br />

• Vor allem kommerzielle Software ist kein statisches<br />

Produkt, sondern unterliegt <strong>im</strong> Rahmen<br />

des Software-Lebenszyklus einem Prozess von<br />

Weiterentwicklung und Qualitätsverbesserung.<br />

Somit wird deutlich, dass es zumindest theoretisch<br />

kein finales Produkt gibt und zur Softwareentwicklung<br />

nicht nur Phasen der Konstruktion<br />

sondern auch Phasen des Praxiseinsatzes,<br />

der Evaluation und der Qualitätssicherung<br />

gibt. Hier sind unterrichtsmethodische Konzepte<br />

notwendig, um den Lebenszyklus-Prozess<br />

von Software sowohl von der Entwickler- als<br />

auch von der Verbraucherseite her zu beleuchten.<br />

• Auch die fachlichen Konzepte, Methoden und<br />

Werkzeuge zur Systemgestaltung unterliegen<br />

einem Wandlungsprozess, der zumindest teilweise<br />

<strong>im</strong> Informatikunterricht nachvollzogen<br />

werden sollte. Es wäre daher wünschenswert,<br />

einige ausgewählte der unterschiedlichen<br />

Modellierungs- und Programmparadigmen<br />

(<strong>im</strong>perativ, prädikativ, objektorientiert, funktional..)<br />

und die zugehörigen Entwicklungstools<br />

zumindest exemplarisch <strong>im</strong> Informatikunterricht<br />

zu behandeln.<br />

• Im Zusammenhang mit der Implementierung<br />

von Software spielt die Weiterbildung der Nutzer<br />

und ggf. deren Einbindung in den Entwicklungsprozess<br />

eine wichtige Rolle, die über<br />

24<br />

die Akzeptanz und Funktionsfähigkeit eines Informatiksystems<br />

entscheidet. Auch der Zusammenhang<br />

von Organisationsentwicklung, Technikintegration<br />

und Lernanforderungen an die<br />

Nutzer sollte gerade <strong>im</strong> Hinblick auf die Förderung<br />

der Berufsfähigkeit der Jugendlichen an<br />

geeigneten Beispielen <strong>im</strong> Unterricht exemplarisch<br />

veranschaulicht werden.<br />

• Schließlich sollte ein Blick auf die dynamische<br />

Seite eines Informatiksystems gerichtet<br />

und laufende Prozesse betrachtet werden. Hierzu<br />

können Muster der Mensch-Maschine Interaktion,<br />

die durch das System <strong>im</strong>pliziert werden,<br />

aber auch technische Kommunikationsprotokolle<br />

oder das Zusammenspiel verschiedener Komponenten<br />

eines verteilten Systems.<br />

Produkt und Kontext<br />

Die Eigenschaften, d.h. die technischen und sozialen<br />

Funktionen eines Informatiksystems sind eng<br />

mit dem Entwicklungsprozess verbunden.<br />

• Software als Teil eines Informatiksystems begründet<br />

nicht nur technische Artefakte sondern<br />

repräsentiert auch gegenstandsbezogenes<br />

Wissen. Dieses Wissen enthält neben Fakten<br />

und Verfahren oftmals auch technische Regeln,<br />

wie Handhabungshinweise sowie teilweise <strong>im</strong>plizit<br />

ethische Normen und rechtliche Regularien<br />

(z.B. Jugendschutzbest<strong>im</strong>mungen, Richtlinien<br />

zur Maskengestaltung, Datenschutzbest<strong>im</strong>mungen).<br />

Langfristig kann der technologische<br />

Wandel auch zu veränderten Repräsentationsformen<br />

von Wissen <strong>im</strong> Softwaresystem sowie<br />

<strong>im</strong> sozialen Kontext des Informatiksystems<br />

bis hin zu einem generellen Wandel <strong>im</strong> gesellschaftlichen<br />

System führen (Datenschutzgesetzgebung,<br />

Urheberrecht, Politische Akzeptanz<br />

von Inhalten <strong>im</strong> Internet, Kommunikationsmedien,.<br />

. . ). An dieser Stelle wird ein enger Zusammenhang<br />

zwischen technologischer und gesellschaftlicher<br />

Entwicklung deutlich, der prinzipiell<br />

gestaltbar ist und daher auch zum Themenspektrum<br />

des Informatikunterrichts gehören<br />

sollte (vgl. Engbring, 2003; Lessig, 1999).<br />

• Neben Hardware und anderen pr<strong>im</strong>är<br />

physikalisch-technischen Komponenten wie<br />

Sensoren und Aktoren besteht der technische<br />

Part eines sozio-technischen Informatiksystems<br />

aus Software mit den oben beschriebenen kontextbezogenen<br />

Prozesseigenschaften. Zur Softwareentwicklung<br />

und zum Re-engineering des<br />

Systems sind informatische Kenntnisse und methodisches<br />

Wissen verschiedenster Bereiche erforderlich,<br />

wie etwa Modellierungsnotationen,<br />

Algorithmik, Compiler, Sprachkonzepte, Entwurfsmuster,<br />

Vorgehensmodelle, Softwareergonomie,<br />

fundamentale informatische <strong>Ideen</strong> etc.<br />

Mit diesem Gegenstandsbereich wird der ei-


Systemorientierte Didaktik der Informatik — Sozio-technische Informatiksysteme als<br />

Unterrichtsgegenstand?<br />

gentliche Kern des fachwissenschaftlichen informatischen<br />

Wissens auf deklarativer und prozeduraler<br />

Ebene berührt. Für die Schulinformatik<br />

sind hier relevante Inhaltsbereiche zu identifizieren,<br />

die allerdings anhand didaktischer Filter<br />

in Orientierung an allgemein didaktischen<br />

Kriterien und an Prinzipien der Allgemeinbildung<br />

auszuwählen sind.<br />

• Eine weitere wichtige Produkteigenschaft von<br />

Informatiksystemen sind ihre potenziellen medialen<br />

Funktionen. Sie können als einfache<br />

oder komplexe Mediensysteme zur Unterstützung<br />

grundlegender menschlicher Aktivitäten<br />

wie lernen, arbeiten, gestalten, kommunizieren,<br />

partizipieren oder entspannen und konsumieren<br />

verwendet werden. In dieser Funktion<br />

wird nicht nur erneut der enge Zusammenhang<br />

von technischen und sozialen Aspekten eines<br />

Informatiksystems deutlich. Auch die Bedeutung<br />

dieser Systemfähigkeiten <strong>für</strong> Lern- und<br />

Bildungsprozesse ist hier offensichtlich. Ein<br />

grundlegendes Verständnis der Funktionsweise<br />

computerbasierter digitaler Medien ermöglicht<br />

den adäquaten Systemgebrauch und verleiht den<br />

Nutzern die Fähigkeit, künftige Anwendungsszenarien<br />

<strong>im</strong> beruflichen, privaten und öffentlichen<br />

Bereich fundiert zu beurteilen. Dieses Verständnis<br />

eröffnet die Möglichkeit zu weiterführendem<br />

Wissenserwerb und ermöglicht es, neue<br />

Anforderungen erfolgreich bewältigen zu können.<br />

Der Informatikunterricht kann einen Beitrag<br />

zu diesem erforderlich fundamentalen Verständnis<br />

digitaler Medien leisten, in dem er die<br />

ihnen zu Grunde liegenden informatischen Konzepte<br />

der Produkt-Prozessrelation vermittelt.<br />

3.4 Informatiksysteme als digitale<br />

Medien<br />

Ein grundlegendes Verständnis digitaler Medien<br />

und ihrer kompetenten Nutzung in verschiedenen<br />

Anwendungsszenarien hat <strong>für</strong> Schülerinnen<br />

und Schüler eine enorme Bedeutung zur Bewältigung<br />

von aktuellen und künftigen Alltagssituationen.<br />

Folgt man diesem Postulat, so kann hieraus<br />

auch ein wichtiger Beitrag des Informatikunterrichts<br />

<strong>für</strong> die Allgemeinbildung abgeleitet werden,<br />

indem er als Lernort <strong>für</strong> die Förderung eines<br />

solchen Verständnisses identifiziert wird. Bevor<br />

der Zusammenhang zur Allgemeinbildung <strong>im</strong> folgenden<br />

Kapitel eingehender erörtert wird, soll an<br />

dieser Stelle des Beitrags zunächst auf die mediale<br />

Qualität von Informatiksystemen in verschiedenen<br />

Einsatzbereichen eingegangen und so Kriterien<br />

<strong>für</strong> die schulische Aufarbeitung dieses Gegenstandsbereichs<br />

bereitgestellt werden.<br />

Bereits der Medientheoretiker McLuhan<br />

(1994) postulierte, dass Technisierung nicht nur<br />

als Substitution eines Handlungszusammenhangs<br />

durch Instrumentalisierung zu verstehen sei, son-<br />

dern dass Technisierung sowohl instrumentelle als<br />

auch mediale D<strong>im</strong>ensionen beinhalte.<br />

Hinsichtlich der medialen Qualitäten von Informatiksystemen<br />

kann in Anlehnung an Keil-<br />

Slawiks Definition von pr<strong>im</strong>ären, sekundären und<br />

tertiären Medienfunktionen (Keil-Slawik, 2002)<br />

zwischen Cognitive Tools, Lernsoftware und adaptiven<br />

Systemen unterschieden werden. Computerbasierte<br />

‘Cognitive Tools’ ermöglichen die interaktive<br />

Gestaltung von Medienobjekten. Sie unterstützen<br />

das Suchen, Sortieren, Rekombinieren,<br />

Strukturieren, Visualisieren, Speichern oder Verteilen<br />

von Daten und fördern auf diese Weise mittels<br />

geeigneter Repräsentationen und Anordnungen<br />

der formalen Daten den Wissenserwerb. Be<strong>im</strong><br />

Wissenserwerb müssen die Nutzer den Prozess<br />

der De-kontextualisierung der formalen Daten so<br />

weit als möglich invertieren, indem sie die Daten<br />

in einem Prozess von Interpretation und ggf. Kommunikation<br />

mit kontextbezogener Semantik anreichern.<br />

„Lernsoftware“ <strong>im</strong>plizit demgegenüber eine in<br />

ihr vergegenständlichte Abfolge von Interaktionen<br />

und Rückmeldungen mit den Nutzern, die unter<br />

didaktischen und lerntheoretischen Erwägungen<br />

<strong>im</strong>plementiert wurde. Damit werden Formen der<br />

Mediennutzung <strong>im</strong> Medium selbst abgebildet.<br />

Adaptive Softwaresysteme sollten darüber<br />

hinaus in der Lage sein, Lerner- und Nutzungsverhalten<br />

anhand der stattfindenden Interaktionen<br />

zu analysieren und <strong>im</strong> Hinblick auf Lerneffizienz<br />

<strong>für</strong> die Nutzer zu modellieren.<br />

Diese medialen D<strong>im</strong>ensionen von Informatiksystemen<br />

treten nicht nur <strong>im</strong> Zusammenhang mit<br />

computerbasierten Lernumgebungen in Erscheinung,<br />

sondern kommen auch bei anderen basalen,<br />

menschlichen Tätigkeiten zum Tragen. Man<br />

kann sie in computerbasierten Anwendungsszenarien<br />

des Lernens, Arbeitens, Gestaltens, Kommunizierens,<br />

Konsumierens, Entspannens und Partizipierens<br />

identifizieren.<br />

Während einfache Formen von Cognitive<br />

Tools zunächst auf der Manipulation von Zeichen<br />

und von Objekten des Informatiksystems beruhen,<br />

können komplexere Systeme eine Kombination<br />

dieser elementaren Funktionen enthalten und<br />

in Bezug auf ihren Nutzungskontext spezifisch geprägt<br />

sein. Sie können dabei verschiedene Aspekte<br />

unterschiedlicher basaler menschlicher Tätigkeiten<br />

umfassen.<br />

Ein Informatiksystem in Form einer netzgestützten<br />

Lernumgebung beinhaltet beispielsweise<br />

Software, die Groupware- und Lernplattformfunktionen<br />

bereitstellt. Sie kann als wichtiges<br />

Element eines kooperativen schulischen Lern-<br />

Designs angesehen werden. Sie sorgt neben Userund<br />

Content-Management-Funktionen vor allem<br />

<strong>für</strong> die computergestützte Kommunikation zwi-<br />

25


Johannes Magenhe<strong>im</strong>, Paderborn<br />

schen den Lernenden in dem vernetzten System.<br />

Bei den dabei auftretenden Interaktionstypen<br />

kann in Abhängigkeit vom Grad der softwaretechnischen<br />

Unterstützung <strong>für</strong> kollaborative<br />

Lernprozesse zwischen Lernszenarien mit kommunikationsfähigem<br />

Computerarbeitsplatz <strong>im</strong> lokalen<br />

Netz, Arbeitsplatz <strong>im</strong> Netz mit Groupwarefunktionalität<br />

und Arbeitsplatz <strong>im</strong> Netz mit Workflowmanagement<br />

unterschieden werden (Schulmeister,<br />

2003).<br />

In einem anderen Beispiel, das den Einsatz<br />

von Cognitive Tools in der Sphäre des Arbeitens<br />

repräsentiert, kann in einem Unternehmen das<br />

Workflowmanagement in der Verwaltung, die Prozesssteuerung<br />

und die Fertigungsplanung medial<br />

durch entsprechende Visualisierungen unterstützt<br />

und mit CAD/CAM-Systemen der Fertigungsprozess<br />

direkt gestaltet werden.<br />

Neue Formen technikgestützter Kommunikation<br />

und Kooperation, wie Weblogs, Wikis, Podcasts,<br />

‘Social Software’ etc. repräsentieren <strong>im</strong> Bereich<br />

von Kommunikation, Entspannung und Arbeit<br />

ebenfalls sozio-technische Informatiksysteme<br />

mit spezifischer medialer Qualität.<br />

In dieser Art können <strong>für</strong> viele Anwendungsbereiche<br />

komplexere mediale Qualitäten von Informatiksystemen<br />

beschrieben werden, wobei die<br />

Sphären des Lernens und Arbeitens <strong>im</strong> Sinne<br />

des oben beschriebenen technologischen Dreiecks<br />

eng miteinander verwoben sind.<br />

Dabei beinhalten die sozio-technischen Informatiksysteme<br />

neben formal-informatischen, technische,<br />

mediale und kontextuelle Aspekte. Die<br />

medialen Funktionen dienen als Mittler bei den<br />

Interaktionen zwischen den Nutzern und dem<br />

technischen Sub-System.<br />

4 Informatiksysteme <strong>im</strong><br />

Unterricht<br />

4.1 Informatikunterricht und<br />

Allgemeinbildung<br />

Nachdem die Bedeutung sozio-technischer Informatiksysteme<br />

<strong>für</strong> die Informatik und informatische<br />

Bildungsprozesse in den bisherigen Abschnitten<br />

erläutert wurde, stellt sich die Frage, ob<br />

sie auch unter allgemein bildender Perspektive,<br />

vor allem wegen ihres nicht unerheblichen Technikanteils,<br />

Unterrichtsgegenstand an allgemeinbildenden<br />

Schulen sein können. Gerade in der relativ<br />

jungen Disziplin ‘Didaktik der Informatik’<br />

kommt bei der Auswahl von relevanten Fachinhalten<br />

und Vermittlungsmethoden <strong>für</strong> den Informatikunterricht<br />

an allgemein bildenden Schulen<br />

der Frage nach dem Beitrag des Faches zur Allgemeinbildung<br />

und seiner spezifischen Leistung<br />

<strong>im</strong> Vergleich zu anderen etablierten Fächern eine<br />

besondere Bedeutung zu. Es soll an dieser<br />

Stelle keine Rezeption der Allgemeinbildungsdis-<br />

26<br />

kussion, etwa des informatikkritischen Ansatzes<br />

von Bussmann & Heymann (1987) und der Replik<br />

seitens der Informatikdidaktik z. B. von Witten<br />

(2003) erfolgen (vgl. auch Wedekind et al.,<br />

1998; Hartmann & Nievergelt, 2002). Auch ein<br />

Rekurs auf internationale Curricula soll nicht vorgenommen<br />

und die dort postulierten allgemeinbildenden<br />

‘kulturtechnischen’ Funktionen informatischer<br />

Bildung sollen hier nicht diskutiert werden<br />

(vgl. z.B. Task Force of the Pre-College Committee<br />

of the Education Board of the ACM, 1997;<br />

NRC, 1999; ACM, 2003). Vielmehr soll an das<br />

bildungstheoretische Konzept von Klafki (1995)<br />

angeknüpft werden, dass mit dem Konzept der<br />

epochaltypischen Schlüsselprobleme nicht auf ein<br />

ahistorisches Wertesystem Bezug n<strong>im</strong>mt, sondern<br />

die Bewertung der Relevanz von Bildungsthemen<br />

als normativen Vorgang und Resultat einer historisch<br />

geprägten <strong>Gesellschaft</strong>sanalyse ansieht. Allgemeinbildung<br />

kann demzufolge in der Tradition<br />

bildungstheoretischer Didaktik in dreierlei Hinsicht<br />

charakterisiert werden (Klafki, 1996): als<br />

• allgemein, <strong>im</strong> Sinne einer Bildung <strong>für</strong> alle Mitglieder<br />

einer <strong>Gesellschaft</strong>;<br />

• allgemein, in dem alle Grundd<strong>im</strong>ensionen<br />

menschlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten<br />

durch Lernprozesse angesprochen werden;<br />

• allgemein schließlich <strong>im</strong> Sinne der erkenntnismäßigen<br />

Erschließung epochaltypischer Schlüsselprobleme<br />

einer <strong>Gesellschaft</strong>, wie etwa das<br />

der Entwicklung und des Einsatzes von IuK-<br />

Technologien mit ihren sozialen Folgewirkungen.<br />

Als inhaltliche und methodische Konsequenzen<br />

<strong>für</strong> Lernprozesse, die sich an diesem Konzept<br />

von Allgemeinbildung orientieren, werden gefordert:<br />

• Unterrichtliche Problemstellungen <strong>im</strong> Kontext<br />

ihrer Genese aufzuzeigen.<br />

• Lernen stets als ganzheitlichen Prozess zu verstehen,<br />

der <strong>im</strong> weitesten Sinne kognitive, fachmethodische<br />

aber auch normativ-bewertende<br />

und sozial-kommunikative Aspekte mit einbezieht.<br />

• In diesen Lernprozessen Kritik- und Argumentationsfähigkeit<br />

sowie Emphatie zu fördern.<br />

• Bei Schülerinnen und Schülern die Fähigkeit<br />

zum vernetzten Denken zu fördern.<br />

Ausgehend von den oben keineswegs vollständig<br />

beschriebenen Gegenstandsbereichen informatischer<br />

Bildung, die sich in historischer Perspektive<br />

verschiedenen Bezugswissenschaften der<br />

Informatik zuordnen lassen (vgl. Abb. 3.1) und<br />

die sich auch in der komplementären Produkt-<br />

Prozess-Relation von Informatiksystemen widerspiegeln,<br />

können allgemein bildende Funktionen<br />

des Informatikunterrichts beschrieben werden. Es


Systemorientierte Didaktik der Informatik — Sozio-technische Informatiksysteme als<br />

Unterrichtsgegenstand?<br />

Abbildung 3.4: Komponenten und Sichten auf sozio-technische Informatiksysteme<br />

ist jeweils zu hinterfragen, ob die betreffenden informatischen<br />

Gegenstandsbereiche, den drei genannten<br />

Kriterien genügen. In einem weiteren<br />

Sinne könnten die unterrichtliche Auseinandersetzung<br />

mit diesen Gegenstandsbereichen auch<br />

als Beitrag des Informatikunterrichts zur Vermittlung<br />

von allgemeinen Bildungsstandards verstanden<br />

werden. Standards werden hierbei als Kompetenzen<br />

und Qualifikationsziele <strong>für</strong> Schülerinnen<br />

und Schüler angesehen, die man mittels Verknüpfung<br />

von Inhalten (zentrale Wissensbereiche) und<br />

Fähigkeiten (zentrale Kompetenzbereiche) charakterisieren<br />

kann (vgl. z. b. Terhart, 2000; Klieme<br />

et al., 2003) Die nachfolgend benannten Kompetenzen,<br />

zu deren Erwerb auch der Informatikunterricht<br />

einen allgemein bildenden Beitrag zu leisten<br />

vermag, können zwar schwerpunktmäßig best<strong>im</strong>mten<br />

informatischen Inhaltsbereichen zugeordnet<br />

werden (s. o.). Da diese Zuordnung aber<br />

nicht disjunkt und eindeutig ist und der Kompetenzerwerb<br />

in verschiedenen Inhaltsbereichen<br />

stattfinden kann, soll hier lediglich deren keinesfalls<br />

vollständige Aufzählung erfolgen:<br />

• Fähigkeit zu vernetztem problemlösendem Denken.<br />

• Fähigkeit zum Anwenden von formalisierenden<br />

Methoden zur Strukturierung von Problemen<br />

und zur Modellbildung.<br />

• Kenntnis der Prinzipien und Unterschiede<br />

zwischen maschineller Datenverarbeitung und<br />

menschlicher Informationsverarbeitung.<br />

• Einsicht in Methoden, Beherrschbarkeit und<br />

Grenzen der Automatisierung geistiger Prozesse.<br />

• Kenntnis von Kriterien und Verfahren zur sozialverträglichen<br />

Technikgestaltung.<br />

• Fähigkeit, Technikentwicklung als interessensgeleiteten<br />

Gestaltungsprozess zu begreifen und<br />

daraus die Fähigkeit zur reflektierten Partizipation<br />

an Gestaltungs- und Nutzungsprozessen<br />

von Informatiksystemen zu entwickeln.<br />

• Kenntnis über die Funktion technischer Artefakte<br />

als externes Gedächtnis und Medium.<br />

• Fähigkeit zur Nutzung von IuK-Systemen zur<br />

Arbeits- und Lernorganisation, zur Kommunikation<br />

und zum Wissensmanagement.<br />

• Kenntnis der gesellschaftlichen Bedeutung und<br />

Wirkung von computerbasierten Medien.<br />

• Fähigkeit zu einem kritischen Umgang mit und<br />

eigener Anwendung von digitalen Medien.<br />

Diese Anforderungen lassen sich kaum <strong>im</strong><br />

Rahmen einer fächerintegrierten Medienbildung<br />

oder einer informationstechnischen Grundbildung<br />

realisieren. Sie bedürfen eines fundierten Informatikunterrichts,<br />

der sich mit verschiedenen Sichtweisen<br />

auf sozio-technische Informatiksysteme<br />

auseinandersetzt und gesellschaftliche Auswirkungen<br />

sowie sozialverträgliche Techniknutzung<br />

und —gestaltung stets als Teil des Modellierungsund<br />

Designprozesses begreift. <strong>Gesellschaft</strong>liche<br />

Auswirkungen von Informatiksystemen werden<br />

in einem derart gestalteten Informatikunterricht<br />

nicht als Exkurs am Ende einer vorwiegend technischen<br />

Problemen verhafteten Unterrichtseinheit<br />

angehängt, sondern werden <strong>im</strong> Unterricht als integraler<br />

Bestandteil des softwaretechnischen Designprozesses<br />

thematisiert.<br />

27


Johannes Magenhe<strong>im</strong>, Paderborn<br />

So hängt die Entscheidung, ob beispielsweise<br />

bei einem kleinen vernetzten Warenwirtschaftssystem<br />

<strong>für</strong> einen Schulkiosk, die Kassenarbeitsplätze<br />

mit Leistungskontrollfunktionen der Mitarbeiter<br />

ausgestattet werden, von einer entsprechenden<br />

Designentscheidung bei der Anforderungsanalyse,<br />

aber auch von den Sichtweisen der bei der Systementwicklung<br />

Beteiligten ab (Nutzer, Auftraggeber).<br />

Im Unterricht sollten Entwurfsentscheidungen<br />

<strong>für</strong> ein Informatiksystem vor dem Hintergrund<br />

der Kriterien zur Allgemeinbildung daher<br />

sowohl <strong>im</strong> Hinblick auf ihre formalen Eigenschaften<br />

(Laufzeit, Effizienz, Korrektheit, Wartbarkeit..)<br />

aber auch <strong>im</strong> Hinblick auf die sozialen<br />

Folgewirkungen diskutiert werden.<br />

Informatik steht somit <strong>im</strong> Kanon der Fächer<br />

an allgemeinbildenden Schulen <strong>für</strong> die kritische<br />

Auseinandersetzung mit der Nutzung und Gestaltung<br />

informationstechnischer Systeme und digitaler<br />

Medien. Es kann mit der Förderung dieser<br />

Fähigkeiten bei Schülerinnen und Schülern einen<br />

einzigartigen Beitrag <strong>für</strong> deren individuelle Zukunftsbewältigung<br />

in einer durch digitale Medien<br />

und Informations- und Kommunikationstechniken<br />

geprägten Welt leisten.<br />

4.2 Inhaltsauswahl mittels thematischer<br />

Filter<br />

Die bisherigen Ausführungen legen nahe, Inhalte<br />

des Informatikunterrichts zu orientieren an<br />

• den Lernvoraussetzungen der Lernenden.<br />

• dem Beitrag der informatischen Inhalte zur Allgemeinbildung.<br />

• den spezifischen Eigenschaften soziotechnischer<br />

Informatiksysteme.<br />

Dem letztgenannten Punkt soll in diesem Kapitel<br />

unter didaktischen Gesichtspunkten noch einmal<br />

größere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Dabei<br />

soll zwischen der Situierung des sozialen Kontexts<br />

von Informatiksystemen nach Anwendungsbereichen<br />

und den oben geschilderten Sichten auf<br />

ein Informatiksystem unterschieden werden.<br />

Wenn wir der Bedeutung des sozialen Kontextes<br />

von Informatiksystemen auch <strong>im</strong> Unterricht<br />

gerecht werden wollen, muss ihm dort entsprechend<br />

Raum gegeben werden. Informatiksysteme<br />

sollten unterrichtlich daher in einem konkreten<br />

Anwendungszusammenhang thematisiert werden,<br />

wobei <strong>im</strong> Laufe eines Curriculums der Vielfalt der<br />

gesellschaftlichen Anwendungsfelder von Informatiksystemen<br />

Rechnung getragen werden sollte.<br />

Dies würde auch unter lerntheoretischen Gesichtspunkten<br />

einer Situierung und inhaltlichen Ankerung<br />

von Lerninhalten entgegenkommen (vgl. Abschnitt<br />

4.3). Das Situieren von Unterrichtsinhalten<br />

kann nach grundlegenden menschlichen Aktivitäten<br />

wie lernen, arbeiten, gestalten, kommunizieren,<br />

partizipieren oder entspannen und kon-<br />

28<br />

sumieren erfolgen, die zugleich auch als zentrale<br />

Anwendungsbereiche von Informatiksystemen<br />

angesehen werden können. Anwendungsbereiche<br />

von Informatiksystemen bilden dabei einen spezifischen<br />

sozialen Kontext unterschiedlicher Komplexität,<br />

in Abhängigkeit von der Komplexität der<br />

technischen Systemkomponenten und der mit ihr<br />

verbundenen sozialen Interaktionen.<br />

Im Folgenden sollen einige Gegenstandsbereiche<br />

exemplarisch in Orientierung an den Anwendungsfeldern<br />

der Informatiksysteme kurz benannt<br />

werden (vgl. Magenhe<strong>im</strong> & Schulte, 2006):<br />

Lernen Cognitive Tools, Lernsoftware, computergestützte<br />

Lernumgebungen, E-learning,<br />

computergestütztes kooperatives Lernen,<br />

Mobiles Lernen, E-Learning, . . .<br />

Arbeiten Geschäftsprozessmanagement, Prozesssteuerung,<br />

Eingebettete Systeme, Automaten,<br />

computergestütztes kooperatives<br />

Arbeiten, . . .<br />

Gestalten Autorenwerkzeuge, CASE-Tools,<br />

CAD-CAM Systeme, Virtuelle Realität, . . .<br />

Kommunizieren Internetdienste, Publikationswerkzeuge<br />

(z. B. Blogs and Wikis),<br />

Content- Management-Systeme, grafische<br />

Benutzungsoberflächen, . . .<br />

Partizipieren Internet, E-Government, E-voting,<br />

Bürgernetze, Kommunale Portale, . . .<br />

Entspannen Medienkonvergenz; Digitalisierung,<br />

Digital TV, Netzbasierte Spiele,<br />

Edutainment . . .<br />

Konsumieren E-commerce, Internetauktionen,<br />

webbasierte Tauschbörsen, RFID, . . .<br />

In diesen Anwendungsfeldern sollten in Orientierung<br />

an den Sichten auf Informatiksysteme<br />

(Medien, Kontext, Formalismen, Technik) informatische<br />

Konzepte identifiziert und lerngruppenbezogen<br />

vermittelt werden. Hierbei können so genannte<br />

didaktische Linsen als thematische Filter<br />

dienen, die einen integrativen Zugang zu Informatiksystemen<br />

eröffnen, indem sie jeweils die Beziehung<br />

zwischen den vier Sichtweisen fokussiert<br />

auf einen Themenschwerpunkt herstellen. Als derartige<br />

didaktische Linsen könnten auch in Anlehnung<br />

an internationale Diskussionen (van Weert &<br />

Tinsley, 2000; ACM & IEEE, 2001; ACM, 2003;<br />

Denning, 2004) dienen (vgl. Magenhe<strong>im</strong> & Schulte,<br />

2006):<br />

Automation beschreibt, wie Informatiksysteme<br />

menschliche Tätigkeiten incl. geistiger Leistungen<br />

mittels geeigneter informatischer<br />

Konzepte übernehmen. Dies kann sich auch<br />

auf die technische Ebene der Hardware incl.<br />

der eingebetteten Systeme erstrecken.<br />

Interaktion beschreibt, hauptsächlich mediale<br />

Funktionen von Informatiksystemen und


Systemorientierte Didaktik der Informatik — Sozio-technische Informatiksysteme als<br />

Unterrichtsgegenstand?<br />

deren Einfluss auf die Interaktion mit dem<br />

System bzw. der Menschen untereinander.<br />

Informationsverarbeitung Interaktion benötigt<br />

äquivalente Prozesse innerhalb des technischen<br />

Systemparts auf der Ebene der Formalismen.<br />

Hier geht es z.B. um Algorithmen,<br />

Informationsbeschaffung, Datenstrukturen<br />

und Modellbeschreibungen etc.<br />

Netzwerke Technische (Topologien, Client/Server-<br />

Architektur, Protokolle) und soziale Perspektiven<br />

der Vernetzung (soziale Gemeinschaften,<br />

Kooperation, Kommunikation),<br />

Normen, Regeln und Gesetze In Anlehnung an<br />

das technologische Dreieck bestehende Zusammenhänge<br />

von Informatiksystemen und<br />

durch sie erzeugte Verhaltensnormen (z. B.<br />

Netiquette), Regeln (z.B. Bedienungsanleitungen)<br />

und Gesetze (z. B. Datenschutz).<br />

Soziale und ethische Aspekte Weiter gefasste<br />

Linse, die sich mit gesellschaftlichen Auswirkungen<br />

von Informatiksystemen z.B. <strong>im</strong><br />

Sinne von Digitaler Ungleichheit, Globalisierung,<br />

Rationalisierung, Ethik etc. beschäftigt.<br />

Ist ein Unterrichtsthema aus einem der Anwendungsfelder<br />

ausgewählt und <strong>für</strong> die Schüler<br />

entsprechend ihren Erfahrungen situiert worden,<br />

können die vier Sichten auf ein Informatiksystem<br />

und die didaktischen Linsen als thematische Filter<br />

dienen, um das Thema unterrichtlich weiter zu<br />

konkretisieren. Der Unterrichtsgegenstand ist mittels<br />

dieser Filter auf mögliche integrative Zugänge<br />

zu informatischen Konzepten sozio-technischer<br />

Informatiksysteme zu beleuchten. Hierbei ist es<br />

durchaus sinnvoll, mehrere Filter <strong>für</strong> einen multiperspektivischen<br />

Zugang einzusetzen. Im Sinne<br />

eines Spiralcurriculums sollten jeweils unterschiedliche<br />

Sichten, Filter und Anwendungsbereiche<br />

gewählt werden, um den Schülerinnen und<br />

Schülern den Aufbau einer kohärenten persönlichen<br />

Wissensstruktur über Informatiksysteme zu<br />

ermöglichen.<br />

4.3 Methoden der Vermittlung<br />

Wie schon oben erwähnt, findet die geforderte<br />

Situierung von Lerninhalten be<strong>im</strong> Erkunden<br />

von Informatiksystemen ihre Entsprechung in verschiedenen<br />

konstruktivistisch orientierten Theorien<br />

des Lernens. So betont beispielsweise die<br />

Cognition and Technology Group at Vanderbilt<br />

(1994), dass Lernszenarien problembasiert und in<br />

authentischen Situationen ‘geankert’ sowie verschiedene<br />

Lösungsmöglichkeiten beinhalten sollten.<br />

Offene Lernumgebungen sollten exploratives<br />

und kooperatives Lernen ermöglichen. Ähnliche<br />

Forderungen werden von Jonassen (1999)<br />

<strong>für</strong> das Lerndesign von explorativen, konstruktivistischen<br />

Lernumgebungen erhoben. Vygots-<br />

kys sozio-kulturelle Theorie betont die Bedeutung<br />

sozialer Interaktion und des kooperativen Austausches<br />

be<strong>im</strong> Wissenserwerb (Vygotsky, 1978).<br />

Hung (2002) beschreiben den Aufbau von ‘Lerngemeinschaften’,<br />

die ihre Lernprozesse weitgehend<br />

selbstständig organisieren. Auf die sich verändernde<br />

Lehrerrolle in derartigen Lernszenarien<br />

verweisen Collins et al. (1999). Nach ihrem Phasenkonzept<br />

des ‘Cognitive Apprenticeship Model’<br />

steht der wachsenden Eigenverantwortlichkeit<br />

der Lernenden <strong>im</strong> Verlauf eines andauernden<br />

Lernprozesses ein Rückzug des Lehrers hin<br />

zum Coach und Lernprozessberater gegenüber.<br />

Schließlich betont die Cognitive Flexibility Theory<br />

von Spiro (1992), dass den Lernenden unterschiedliche<br />

Sichten auf den gleichen Lerngegenstand<br />

ermöglicht werden sollte, um bei ihnen assoziatives<br />

Denken zu fördern und durch die subjektive<br />

Konstruktion themenbezogener Wissenszusammenhänge<br />

eine höhere Qualität von Wissen<br />

zu erreichen. Die Umsetzung dieser Anforderungen<br />

an Lernprozesse in der Praxis des Informatikunterrichts<br />

bedeutet hinsichtlich des methodischen<br />

Vorgehens und der medialen Repräsentation<br />

von Informatiksystemen einen Wandel in der<br />

tradierten Unterrichtsmethodik.<br />

Methodik des Informatikunterrichts orientiert<br />

sich in Lerneinheiten, die die Erstellung von Teilen<br />

eines Computerprogramms oder eines kompletten<br />

Softwareprodukts zum Ziel haben, oft an<br />

grundlegenden Vorgehensmodellen der Softwareentwicklung.<br />

Einer Phase der Problemanalyse<br />

und der Problemeingrenzung folgen Anforderungsdefinition,<br />

Designentwurf, Codierung, Implementation<br />

und Praxistest des Produkts. Diese<br />

von einigen didaktischen Ansätzen favorisierte<br />

unterrichtsmethodische Vorgehensweise der Konstruktion<br />

von Software kann <strong>für</strong> den Informatikunterricht<br />

als grundsätzlich geeignet angesehen<br />

werden, da sie eine Reihe von lerntheoretischen<br />

und lernpsychologischen Aspekten berücksichtigt.<br />

Dazu gehören Konzepte, wie das der Handlungsorientierung<br />

<strong>im</strong> Unterricht oder die Förderung<br />

der Motivation der Schülerinnen und Schüler,<br />

die durch das Erlebnis der Materialisierung einer<br />

Idee — von dem theoretischen Entwurf hin<br />

zum fertigen Softwareprodukt — exemplarisch<br />

Kenntnisse über den Prozess der Gestaltung von<br />

Informatiksystemen erlangen können. Allerdings<br />

beinhaltet dieses unterrichtsmethodische Vorgehensmodell<br />

auch eine Reihe von Mängeln:<br />

• die Komplexität der in einer konstruktiven Phase<br />

von den Schülern zu erstellenden Software<br />

ist oft nicht hinreichend, um informatische Konzepte,<br />

wie etwa das der Objektorientierung, hinreichend<br />

verdeutlichen zu können.<br />

• der Phase der Modellierung, deren Wichtigkeit<br />

<strong>im</strong>mer wieder betont wird (Hubwieser, 2000),<br />

29


Johannes Magenhe<strong>im</strong>, Paderborn<br />

wird nicht zuletzt mangels geeigneter medialer<br />

Unterstützung und methodischer Konzepte zu<br />

wenig Aufmerksamkeit gewidmet.<br />

• Konstruktion von Software <strong>im</strong> Unterricht erlaubt<br />

nur einen eingeschränkten Blick auf die<br />

verschiedenen Phasen des ‘Software Life Cycle’.<br />

Insbesondere die Revision von Entwurf<br />

und Design nach Phasen der Rückkopplung mit<br />

Anwendern und Auftraggebern, wie sie bei iterativen<br />

partizipativen Vorgehensmodellen üblich<br />

sind, können bei einer am Wasserfallmodell<br />

orientierten unterrichtlichen Vorgehensweise<br />

nur eingeschränkt oder gar nicht berücksichtigt<br />

werden.<br />

• Phasen der praxisbezogenen Anforderungsdefinition<br />

mit Kopplung an die Anforderungsszenarios<br />

von realen Informatiksystemen mit analoger<br />

Funktionalität sind nur schwer in das<br />

rein konstruktive unterrichtliche Vorgehensmodell<br />

integrierbar.<br />

• Phasen der Evaluation der Software in der Praxis<br />

und damit die Rückkopplung von Softwareentwicklung<br />

mit Situationen des realen Lebens<br />

sind in dieses Unterrichtskonzept nur schwer<br />

einzubinden.<br />

Um den geschilderten Mängeln eines rein konstruktiv<br />

ausgerichteten unterrichtsmethodischen<br />

Vorgehens entgegenzuwirken und <strong>im</strong> Informatikunterricht<br />

verschiedene Stadien des Softwareentwicklungsprozesses<br />

erfahrbar zu machen, incl. eines<br />

zumindest medialen Bezuges zu realen Informatiksystemen,<br />

bedarf es medialer und unterrichtsmethodischer<br />

Ergänzungen der Konstruktion.<br />

Phasen eines durch mult<strong>im</strong>ediale Elemente angereicherten,<br />

erkundenden und entdeckenden Lernens<br />

eines bereits bestehenden und ausführlich<br />

dokumentierten Systems, können sich mit Phasen<br />

der Konstruktion eines eigenen Softwareprodukts<br />

abwechseln. Dabei muss keineswegs die vorliegende<br />

‘fertige’ Software komplett analysiert und<br />

erkundet werden. Es genügt ggf. auch, geeignete<br />

informatische Konzepte, wie Algorithmen, Designmodelle<br />

oder Codekonstrukte, zu analysieren,<br />

um sie dann auf Anwendungssituationen bei<br />

der Konstruktion des eigenen Softwareprodukts<br />

zu übertragen. Bereits Lehmann (1995) versuchte<br />

mit seinem Konzept der Wartung von Informatiksystemen,<br />

komplexere Informatiksysteme <strong>im</strong> Unterricht<br />

zu behandeln, ohne jedoch die multiperspektivische<br />

Sichtweise einzufordern.<br />

Eine geeignete Alternative zum konstruktiven<br />

unterrichtsmethodischen Vorgehen, die diesen<br />

Anforderungen genügt, ist das Konzept der Dekonstruktion.<br />

Dekonstruktion ist als wissenschaftliche<br />

Methode ursprünglich in der Philosophie,<br />

der Literaturwissenschaft, später auch in Architektur<br />

und Kunst anzutreffen. Die Methode operiert<br />

mit spezifischen Formen der Textanalyse und<br />

30<br />

hat die Offenlegung von Form, Inhalt und Hintergründen<br />

eines literarischen Werkes und der Intentionen<br />

seiner Autoren zum Ziel. Wenn man Software<br />

zunächst als Text (Quellcode) betrachtet, mit<br />

dessen Hilfe man Maschinen steuern und auf diese<br />

Weise <strong>im</strong>plizit auch soziale Wirklichkeit gestalten<br />

kann, dann wird klar, dass Dekonstruktion (Z<strong>im</strong>a,<br />

1994) zunächst als Instrument der Quellcodeanalyse<br />

auch hier eingesetzt werden kann. Dekonstruktion<br />

ist als Methode der informatischen Bildung<br />

in der Lage, vielschichtige Sichten auf Software<br />

zu eröffnen und so den Lernenden auf der<br />

Basis erster Vorkenntnisse, die sie in traditionellen<br />

Vermittlungsprozessen erworben haben, einen<br />

differenzierten Einblick in fachwissenschaftliche<br />

Konzepte und Methoden zu vermitteln.<br />

Bei der Sicht auf Formalismen z. B. bei der<br />

Quellcodeanalyse, können nicht nur Klassen, Objekte,<br />

Algorithmen oder Sprachkonstrukte einer<br />

Programmiersprache erkundet werden, sondern es<br />

ergeben sich auch Einblicke in fundamentale informatische<br />

<strong>Ideen</strong>, wie z. B. das Konzept ‘Teile<br />

und Herrsche’. Über visualisierte Formen der<br />

Softwaredarstellung, wie etwa UML-Diagramme,<br />

eröffnen sich Einsichten in komplexe Zusammenhänge<br />

und erschließen sich möglicherweise verwendete<br />

Standard-Entwurfsmuster, sowie Designund<br />

Entwurfsentscheidungen. Eine mediale Sicht<br />

wird durch die Analyse der GUI ermöglicht. Sie<br />

eröffnet Zugänge zu Problemen der Softwareergonomie,<br />

aber auch zu formalen Konzepten wie IOund<br />

Exception-Handling. Die Funktionalität der<br />

Software kann insgesamt getestet und bewertet<br />

werden. Möglicherweise sind verschiedene Systementwürfe<br />

verfügbar, die miteinander verglichen<br />

und hinsichtlich ihrer informatischen Konzepte<br />

und Folgewirkungen <strong>im</strong> sozialen Einsatzkontext<br />

bewertet werden können. Letzteres setzt aber eine<br />

solide informatische Wissensbasis hinsichtlich Inhalten<br />

und fachwissenschaftlichen Methoden sowie<br />

das Erarbeiten von adäquaten Bewertungskriterien<br />

voraus und ist somit als optionales fortgeschrittenes<br />

Lernziel anzusehen. Damit können<br />

sich über Dekonstruktion nicht nur Einblicke in<br />

das vorliegende Softwareprodukt, sondern auch in<br />

den Prozess seiner Genese eröffnen. Die Methode<br />

der Dekonstruktion ermöglicht sozusagen eine<br />

medial gestützte Zeitreise in die verschiedenen<br />

Entstehungsphasen des Informatiksystems bis<br />

hin zu seinem Einsatz und erschließt Zusammenhänge,<br />

die bei einem rein konstruktiven Vorgehen<br />

nicht möglich gewesen wären. ‘Protokolle’<br />

über Designentscheidungen, die sich auf die Bewertung<br />

alternativer Entwürfe beziehen, verdeutlichen,<br />

wie Nutzungsszenarien und Handlungsabläufe<br />

<strong>im</strong> sozio-technischen Informatiksystem festgelegt<br />

werden. Die Diskussion von Fragen der<br />

kontextuellen Informatik (Kontextuelle Informa-


Systemorientierte Didaktik der Informatik — Sozio-technische Informatiksysteme als<br />

Unterrichtsgegenstand?<br />

Abbildung 3.5: Sichten auf Entwicklungsphasen von Informatiksystemen durch Dekonstruktion<br />

tik, 2002) ist somit kein Additum, das gegebenenfalls<br />

als Exkurs an eine Lerneinheit angefügt<br />

wird, sondern ist <strong>im</strong> informatischen Kernbereich<br />

der Anforderungsanalyse, des Systemsentwurfs<br />

und des Softwaredesigns angesiedelt. Ob ein Informatiksystem<br />

die Erhebung von Leistungsdaten<br />

an Arbeitsplätzen ermöglicht ist einerseits eine<br />

Entwurfs- bzw. <strong>im</strong> Detail eine Designentscheidung<br />

und hat andererseits erhebliche Bedeutung<br />

<strong>für</strong> den betrieblichen Controllingprozess und den<br />

Datenschutz. Das Verhältnis von Produkt und Prozess<br />

bei der Softwareentwicklung wird damit zum<br />

relevanten Gegenstand <strong>im</strong> Informatikunterricht,<br />

anhand dessen sich elementare Konzepte der Informatik<br />

erarbeiten lassen (Magenhe<strong>im</strong>, 2003).<br />

5 Informatik Lernlabor — ein<br />

Beispiel<br />

5.1 Mediale Bausteine des ILL<br />

Im Informatik Lernlabor an der Universität Paderborn<br />

wird seit einiger Zeit der Versuch unternommen,<br />

dieses unterrichtsmethodische Konzept<br />

unter wissenschaftlicher Begleitung in die<br />

Praxis umzusetzen. Dazu bedurfte es einer Reihe<br />

von medialen Voraussetzungen. Neben den in<br />

der informatischen Bildung schon seit jeher verwendeten<br />

Tools zur Softwareentwicklung wie z.B.<br />

Editoren, (grafische) Debugger oder komplexere<br />

Entwicklungsumgebungen mit integrierten ‘GUI-<br />

Buildern’ sollen in dekonstruktiven Unterrichtsphasen<br />

eine Reihe weiterer interaktiver computerbasierter<br />

Medien eingesetzt werden.<br />

Diese Medien sind nach Inhaltsmodulen gegliedert<br />

und repräsentieren jeweils als Paket ein<br />

<strong>für</strong> didaktische Zwecke aufbereitetes Informatiksystem.<br />

Das Informatik Lernlabor verfügt gegenwärtig<br />

über vier Inhaltsmodule mit unterschiedli-<br />

chem Ausbaugrad:<br />

Modul Hochregallager Es hat die Steuerung von<br />

Transport- und Lagerungsprozessen in einem<br />

Hochregallager zum Gegenstand. Neben<br />

den üblichen computerbasierten Medien<br />

wird in diesem Modul zusätzlich ein Lego<br />

Mindstorms Modell eines Hochregallagers<br />

<strong>für</strong> Zwecke der Dekonstruktion bereitgestellt.<br />

Außerdem gibt es eine verteilte,<br />

webbasierte S<strong>im</strong>ulationsumgebung, in der<br />

die Lernenden ihre Programmierung <strong>für</strong> die<br />

realen Mindstorms Systeme an einem virtuellen<br />

Modell testen können.<br />

Modul Schulkiosk In diesem Inhaltsmodul werden<br />

elementarste Konzepte eines Warenwirtschaftssystems<br />

thematisiert. Die zu dekonstruierende<br />

Software unterstützt die<br />

Ein- und Verkaufsvorgänge eines Schulkiosks.<br />

Verkaufshandlungen werden als Use<br />

Cases analysiert, um geeignete Klassenstrukturen<br />

<strong>für</strong> die Modellierung zu gewinnen.<br />

Die Software liegt in verschiedenen<br />

Ausbaustufen vor.<br />

Modul ‘Computerspiel’ Das Computerspiel<br />

‘Ursuppe’ bildet den Ausgangspunkt dieses<br />

Inhaltsmoduls. Die zugehörige Software<br />

ist in der Lage, nach entsprechenden<br />

Benutzereingaben die Spielverwaltung zu<br />

übernehmen und Spielstände grafisch anzuzeigen.<br />

Anhand des Spiels kann u. a. thematisiert<br />

werden, wie bei Entwurfs- und<br />

Designentscheidungen zwischenmenschliche<br />

Interaktionen und Handlungen graduell<br />

auf das System übertragen werden können.<br />

Modul ‘Redaktionssystem’ Mit diesem Modul<br />

werden vor allem webbasierte Transaktionen<br />

bei der Gestaltung von Text- und ande-<br />

31


Johannes Magenhe<strong>im</strong>, Paderborn<br />

ren Dokumenten über eine Webschnittstelle<br />

vorgestellt. Es sollen webseitige Zugriffe<br />

auf eine Datenbank, die dynamische Erzeugung<br />

von Webseiten aus Datenbankinhalten<br />

und das Workflowmanagement thematisiert<br />

werden. Die Software wird demnächst in<br />

verschiedenen Ausbaustufen vorliegen.<br />

Als besondere Form der ‘Lernsoftware’ werden<br />

<strong>im</strong> ILL (Informatik Lernlabor) Lernobjekte<br />

(‘Learning Objects’) genutzt [IEEE 2002]. Darunter<br />

sind abgeschlossene kleinere mult<strong>im</strong>ediale<br />

Lerneinheiten zu verstehen, die den Nutzern Inhalte<br />

mit interaktiven, mult<strong>im</strong>edialen Medien präsentieren<br />

und die sich auf eine begrenzte Anzahl<br />

von zu realisierenden Lernzielen beziehen.<br />

Lernobjekte dienen den Nutzern vorwiegend zum<br />

selbstgesteuerten, erkundenden Lernen eines Gegenstandsbereichs.<br />

Ihre Integration in das Informatik<br />

Lernlabor ermöglicht ein Konzept von<br />

‘Blended Learning’, bei dem sich Formen des Präsenzlernens<br />

mit Phasen des E-learning mit computerbasierten<br />

Medien abwechseln (Magenhe<strong>im</strong>,<br />

2003; Sauter & Sauter, 2003). Lernobjekte sollten<br />

den Lernenden in einer interaktiven, <strong>für</strong> kollaborative<br />

Arbeitsweisen offenen und möglichst webbasierten<br />

Erkundungsumgebung angeboten werden.<br />

Diese Aufgabe kann z.B. von einer Lernplattform<br />

oder Groupware mit spezifischen, das<br />

E-learning unterstützenden Funktionen übernommen<br />

werden.<br />

Eine solche Lernumgebung, die exploratives<br />

Lernen unterstützt, wird neben den Lernobjekten<br />

weitere mult<strong>im</strong>ediale Dokumente und ein zu<br />

dekonstruierendes Softwareprodukt enthalten. Zu<br />

den ergänzenden Medienobjekten zählen etwa Videosequenzen<br />

von Arbeitsabläufen in realen Informatiksystemen,<br />

Interviews mit Auftraggebern<br />

und Nutzern, Gespräche zwischen Entwicklern<br />

über Entwurfsentscheidungen sowie An<strong>im</strong>ationen<br />

zu Informationsflüssen und Arbeitsabläufen<br />

(Use Cases). Damit werden Vermittlungskonzepte,<br />

wie die videogestützte Anforderungsdefinition<br />

umsetzbar. Die zu dekonstruierende Software<br />

ist ein in seiner Komplexität reduziertes Produkt,<br />

das aber wesentliche Features eines realen<br />

Informatiksystems beinhaltet und die Exploration<br />

von fundamentalen informatischen Konzepten erlaubt.<br />

Tools und Lernsoftware in Form von Learning<br />

Objects ermöglichen vielfältige Sichten auf<br />

das Produkt Software und seinen Entstehungsprozess.<br />

Durch diese Form der medialen Repräsentation<br />

können Anwendungsorientierung und Realitätsbezug<br />

der informatischen Bildung gesichert<br />

und bei den Studierenden der Erwerb von vernetztem<br />

Wissen, wie oben gefordert, realisiert werden.<br />

Grundsätzlich kann man zwischen den <strong>im</strong> Folgenden<br />

dargestellten unterschiedlichen Elementen<br />

der mult<strong>im</strong>edialen Erkundungsumgebung unter-<br />

32<br />

scheiden.<br />

Allgemeine und themenbezogene<br />

Dokumente und Lernobjekte<br />

(Inhaltsmodule)<br />

Zu den allgemeinen Lernobjekten und Dokumenten<br />

gehören Information über Protokolle und<br />

technische Kommunikation, Algorithmen, Objektorientierte<br />

Modellierung, Modellierungssprachen,<br />

Entwurfsmuster und Sprachkonstrukte. Die<br />

spezifischen Lernobjekte und Dokumente beziehen<br />

sich auf das der Lerneinheit jeweils zugrunde<br />

liegende Inhaltsmodul. Im Fall des Moduls ‘Hochregallager’<br />

gehören z. B. Informationen über eingebettete<br />

Systeme, die Firmware des Mindstorms<br />

RCX, die zugehörige Javaschnittstelle, Prinzipien<br />

der Steuerung und Regelung, die Mechanik der<br />

Lego Bauteile, von den Mindstorms Bricks verwendete<br />

Kommunikationsprotokolle sowie Informationen<br />

über Elemente eines realen Hochregallagers<br />

dazu. Die Dokumente werden z. T. in Form<br />

von interaktiven An<strong>im</strong>ationen und Videosequenzen<br />

zum realen und virtuellen System angeboten.<br />

Softwaretools und spezifische Tools<br />

Zu den allgemein genutzten Tools zählen Modellierungswerkzeuge<br />

wie UML-Editoren, auf CRC<br />

Karten (s. u.) bezogene Mindmapping Tools, grafische<br />

Debugger und integrierte Entwicklungsumgebungen.<br />

Spezifische Tools sind <strong>im</strong> Falle des<br />

Hochregallagers virtuelle S<strong>im</strong>ulationsumgebungen<br />

<strong>für</strong> die Mindstorms Bricks, sowie Mindstorms<br />

bezogene Entwicklungstools.<br />

Guided tours<br />

Guided tours dienen der Erkundung der mult<strong>im</strong>edialen<br />

computerbasierten Lernmaterialien. Sie<br />

können von den Lernenden in Phasen des selbstgesteuerten<br />

Lernens z.B. anhand von angebotenen<br />

Naviagationshilfen genutzt werden, um sich<br />

Lerninhalte eigenständig zu erschließen, die sie<br />

<strong>für</strong> die Bewältigung der Konstruktionsaufgabe benötigen.<br />

LMS und CMS<br />

Die mult<strong>im</strong>edialen Materialien und Dokumente,<br />

die computerbasierten An<strong>im</strong>ationen und digitalen<br />

Videosequenzen müssen den Lernenden<br />

in geeigneter Form zur Verfügung gestellt werden.<br />

Gleiches gilt <strong>für</strong> die benötigten Cognitive<br />

Tools. Dazu wird zumindest eine Groupware<br />

mit elementaren Funktionen einer Lernplattform<br />

benötigt. Sie sollte über ein User- und Accessmangement<br />

verfügen und elementare webbasierte<br />

Kommunikationsdienste anbieten (Mail,<br />

Chat). Auf diese Weise können <strong>für</strong> das Konzept<br />

des Blended Learning grundlegende Funktionen<br />

eines Lernmanagement- (LMS) und Content-<br />

Management-Systems (CMS) erfüllt werden. In


Systemorientierte Didaktik der Informatik — Sozio-technische Informatiksysteme als<br />

Unterrichtsgegenstand?<br />

der gegenwärtigen Erprobungsphase des Lernlabors<br />

verwendet die Arbeitsgruppe das System<br />

STeam (STeam, 2003).<br />

Didaktische Software<br />

Die didaktische Software dient der oben bereits<br />

ausführlicher beschriebenen Methode der Dekonstruktion.<br />

Im Fall des Hochregallagers wird<br />

beispielsweise eine Steuerungssoftware <strong>für</strong> die<br />

Ein- und Auslagerung von Paletten mit der dazu<br />

notwendigen Auftragsverwaltung, den Transporten<br />

zwischen verschiedenen Bereichen des Lagers<br />

und der Kommunikationskontrolle zwischen<br />

den autonomen Systemen bereitgestellt. Außerdem<br />

gehören ein mit Legobausteinen konstruiertes<br />

Modell eines Hochregallagers, das von der<br />

Software gesteuert wird, sowie eine S<strong>im</strong>ulationssoftware<br />

zu dem zu erkundenden, didaktisch aufbereiteten<br />

Informatiksystem.<br />

Aufgabensammlung und<br />

Erkundungsaufträge<br />

Die Erkundung des Hochregallagers wird jeweils<br />

durch spezifische Erkundungsaufträge initiiert,<br />

die sich auf wesentliche informatische Prinzipien<br />

des Systems beziehen und <strong>für</strong> die später zu lösende<br />

komplexere Konstruktionsaufgabe von zentraler<br />

Bedeutung sind. Hierzu zählt beispielsweise<br />

die Analyse und Bewertung des von den autonomen<br />

Systemen verwendeten Kommunikationsprotokolls,<br />

das mit gängigen Konzepten wie Token<br />

Ring und CSMA/CD <strong>im</strong> Hinblick auf seine Effizienz<br />

verglichen werden kann. Kleinere themenbezogene<br />

Übungsaufgaben in der Erkundungsumgebung<br />

sind darüber hinaus geeignet, während der<br />

Dekonstruktion gewonnene Einsichten und Fertigkeiten<br />

zu vertiefen.<br />

5.2 Arbeitsformen <strong>im</strong> Informatik<br />

Lernlabor<br />

Mit Hilfe der vielfältigen medialen Repräsentationen<br />

von Informatiksystemen <strong>im</strong> Informatik<br />

Lernlabor können dort lernerzentrierte, explorative<br />

Lernprozesse umgesetzt werden, wie sie oben<br />

eingefordert wurden. Hierbei findet in der Regel<br />

ein Wechsel zwischen entdeckendem, selbstgesteuertem<br />

Lernen mit Materialien der Lernplattform<br />

und Phasen des Präsenzlernens mit Moderation<br />

durch einen Tutor statt. Auch hierbei spielen<br />

die in der Plattform bereitgestellten medialen Repräsentationen<br />

des Informatiksystems eine bedeutende<br />

Rolle. Insgesamt kann man bei der Methodik<br />

des Informatik Lernlabors deshalb zu Recht<br />

von einem Konzept des ‘Blended Learning’ sprechen.<br />

Lernprozesse <strong>im</strong> Informatik Lernlabor können<br />

nach diesem unterrichtsmethodischen Vorgehensmodell<br />

in unterschiedliche Phasen eingeteilt werden,<br />

die in Abhängigkeit von den jeweiligen In-<br />

haltsmodulen teilweise variieren. Es gibt zunächst<br />

zwei methodische Hauptphasen, die Phase der Dekonstruktion<br />

und die Phase der Konstruktion. Sie<br />

lassen sich wiederum weiter unterteilen. Prototypisch<br />

sieht das unterrichtliche Methodenmodell<br />

<strong>im</strong> Informatik Lernlabor dann wie folgt aus:<br />

Dekonstruktionsphase<br />

Exploration<br />

• Die Lernenden erhalten Erkundungsaufträge, zu<br />

deren Erledigung sie die medialen Repräsentationen<br />

des Informatiksystems <strong>im</strong> Lernlabor nutzen.<br />

• Die Aufträge werden sowohl individuell als<br />

auch in Gruppen erledigt und dienen der Verbreiterung<br />

der Wissensbasis der Lernenden zum<br />

Gegenstandsbereich.<br />

Re-engineering<br />

• Die Lernenden erhalten Aufträge, das bestehende<br />

Informatiksystem zu verändern, indem<br />

beispielsweise erweiterte Funktionen eingeführt<br />

werden.<br />

• Dies kann arbeitsteilig aber auch in nur einer<br />

Gruppe geschehen. Desingentwürfe werden<br />

verglichen und <strong>im</strong> Hinblick auf ihre technische<br />

Funktionalität und mögliche soziale Folgewirkungen<br />

bewertet. Diese Phase soll zu einem vertieften<br />

Verständnis des Informatiksystems führen.<br />

Konstruktionsphase<br />

Transfer<br />

• Die Lernenden erhalten einen komplexeren<br />

Auftrag zur Entwicklung eines Informatiksystems,<br />

der in der Regel arbeitsteilig erledigt<br />

werden muss.<br />

• Die bei der Dekonstruktion des vorhandenen,<br />

medial repräsentierten Informatiksystems erworbenen<br />

Kenntnisse müssen auf die neue Anforderungssituation<br />

transferiert werden. Eine<br />

einfache direkte Übertragung von Quellcode ist<br />

in der Regel nicht möglich, sondern es müssen<br />

Modifikationen vorgenommen werden.<br />

Softwareentwicklung<br />

• Diese länger andauernde Phase beinhaltet die<br />

<strong>für</strong> die Konstruktion von Software üblichen<br />

Teilphasen, wie etwa Anforderungsdefinition,<br />

Spezifikation, Entwurf, Implementierung.<br />

• In diese Phase können handlungsorientierte Modellierungskonzepte,<br />

wie etwa das Modellieren<br />

mit CRC-Karten (Beck & Cunningham, 1989;<br />

Ambler, 1998) oder das Object-Game (Bergin,<br />

2000) eingebunden werden, um einen ersten<br />

Überblick über die Struktur eines Entwurfs zu<br />

erhalten.<br />

• Diese Phase wird in der Regel arbeitsteilig erledigt.<br />

33


Johannes Magenhe<strong>im</strong>, Paderborn<br />

Abbildung 3.6: Mediale Repräsentationen eines Informatiksystems. Die Abbildungen zeigen mediale Repräsentationen<br />

des Inhaltsmoduls ‘Hochregallager’ auf verschiedenen Abstraktionsebenen (reales System,<br />

Mindstorms, Modell, virtuelle S<strong>im</strong>ulation des Mindstorms Modell, Dokumente auf grafischer und Quellcodeebene<br />

zur Mindstorms Steuerung) und mit unterschiedlichen Betätigungsmöglichkeiten <strong>für</strong> die Lernenden.<br />

Evaluation<br />

• Wie in jeder projektartig organisierten Lehrveranstaltung<br />

findet gegen Ende des Vorhabens eine<br />

Evaluation statt. Sie bezieht sich auf die erzielten<br />

Ergebnisse des Lernprozesses.<br />

• Hinsichtlich der Qualität der Lernprozesse<br />

kommt der Eigenbewertung der Lernenden eine<br />

hohe Bedeutung zu.<br />

• Ferner besteht die Möglichkeit, die Qualität<br />

des erstellten Produkts, gemessen an den zuvor<br />

gesteckten Anforderungsdefinitionen sowie den<br />

Verlauf des Lernprozesses ggf. durch computerbasierte<br />

Beobachtungsmethoden zu bewerten.<br />

In der gegenwärtig vorliegenden Konzeption<br />

sind die Materialien des Informatik Lernlabors<br />

eher <strong>für</strong> leistungsstarke Lerngruppen in der gymnasialen<br />

Oberstufe bzw. <strong>für</strong> den Einsatz in der<br />

Hochschulausbildung geeignet. Es ist aber gut<br />

vorstellbar, weniger komplexe bis einfachste Informatiksysteme<br />

<strong>für</strong> den schulischen Gebrauch in<br />

ähnlicher Form zu entwickeln.<br />

6 Schlussfolgerungen<br />

Die bisherigen Erprobungen, vor allem <strong>im</strong> Hochschulbereich,<br />

haben zu positiven Rückmeldungen<br />

der Studierenden und zu erfreulichen Ergebnissen<br />

in der Produktqualität am Ende der Kurse geführt.<br />

Diese Befunde konnten auch <strong>im</strong> Rahmen<br />

einer qualitativen Studie belegt werden (Magenhe<strong>im</strong><br />

& Scheel, 2004). Es müssen nun genauere<br />

empirische Analysen durchgeführt und das Konzept<br />

auf weniger komplexe Systeme übertragen<br />

werden. Außerdem sollte unabhängig vom methodischen<br />

Gesamtkonzept des Informatik Lernlabors<br />

der Ansatz der systemorientierten Didaktik<br />

mit ihren medialen und methodischen Implikationen<br />

in der alltäglichen Praxis des Informatikunterrichts<br />

stärker verankert werden. Hierbei können<br />

Exkursionen zur Erkundung realer Informatiksy-<br />

34<br />

steme durchaus deren mediale Repräsentation ersetzen.<br />

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• Wechselwirkungen zwischen mathematischer und<br />

informatischer Bildung<br />

Torsten Brinda, Erlangen<br />

Mathematik und Informatik stehen in enger Wechselbeziehung zueinander. Die Mathematik ist <strong>für</strong><br />

viele Teilgebiete der theoretischen, der praktischen, der technischen und der angewandten Informatik<br />

grundlegend und stellt <strong>für</strong> diese begriffliche und methodische Hilfsmittel bereit (z. B. vollständige<br />

Induktion, Mengen- und Graphentheorie). Die Informatik ihrerseits stellt Methoden zur Gestaltung<br />

von softwarebasierten Werkzeugen und Lernhilfen zur Verfügung, die dann z. B. in der Mathematikausbildung<br />

zum Einsatz gelangen können. Durch die starke Sichtbarkeit der gesellschaftlichen<br />

Auswirkungen eignen sich informatische Themenfelder als motivierende Anwendungskontexte <strong>für</strong><br />

mathematische Themen. <strong>Informatische</strong> Strukturierungs- und Problemlösetechniken können als Lernhilfen<br />

dienen und die Mathematikausbildung unterrichtsmethodisch bereichern. Möglichkeiten und<br />

Grenzen dieser Vernetzung werden herausgestellt.<br />

1 Einleitung<br />

Die informatische Bildung an allgemein bildenden<br />

Schulen leistet einen wesentlichen Beitrag zur<br />

Allgemeinbildung in einer von Informations- und<br />

Kommunikationssystemen beeinflussten Wissensgesellschaft,<br />

indem sie Lernende dazu befähigt,<br />

diese Technologien zu verstehen, zu bewerten und<br />

bei der Lösung von Aufgaben und Problemen <strong>im</strong><br />

privaten sowie <strong>im</strong> beruflichen Bereich zielgerichtet<br />

anwenden zu können. Die Anwendung erfordert<br />

notwendig elementare Bedienerfertigkeiten.<br />

Um ein grundlegendes Verständnis der Technologien<br />

in einer durch technischen Wandel und kontinuierliche<br />

Weiterentwicklungen geprägten Welt<br />

zu erlangen, ist die Aneignung langlebiger Informatikkonzepte<br />

erforderlich, welche in Verknüpfung<br />

mit der Entwicklung und Ausprägung von<br />

Lernstrategien, auch unter Verwendung von Informatiksystemen<br />

in Form von computerbasierten<br />

Medien und Lernhilfen, zur Vorbereitung auf lebensbegleitendes<br />

Lernen beiträgt.<br />

Alle drei genannten Zielbereiche, die Beherrschung<br />

grundlegender Informatikkonzepte, die<br />

Schulung von Bedienerfertigkeiten sowie der Einsatz<br />

von Informatiksystemen als Medien oder<br />

Lernhilfen sind wechselseitig miteinander verbunden<br />

Hubwieser (2003). Bedienfertigkeiten stellen<br />

eine Voraussetzung <strong>für</strong> den Einsatz von Informatiksystemen<br />

als Medien bzw. als Lernhilfen dar.<br />

Eine fundierte Bewertung deren Einsatzmöglichkeiten<br />

erfordert die Kenntnis best<strong>im</strong>mter Fachkonzepte.<br />

Im Lehr-Lern-Prozess ist die Vermittlung<br />

von Bedienerfertigkeiten mit der Vermittlung<br />

von Fachkonzepten verknüpft, um diese nicht auf<br />

das Erlernen von Rezepten zu reduzieren. Umgekehrt<br />

wäre die Vermittlung von Konzepten ohne<br />

praktische Arbeit an Informatiksystemen wenig<br />

motivierend, vergleichbar mit Schw<strong>im</strong>munterricht<br />

ohne Becken.<br />

Wie ordnen sich in diese innerinformatischen<br />

Betrachtungen nun Wechselwirkungen mit der<br />

mathematischen Bildung ein? Die Beherrschung<br />

grundlegender Informatikkonzepte ist in Teilbereichen<br />

abhängig von der Beherrschung grundlegender<br />

Mathematikkonzepte, da diese deren Fundament<br />

darstellen. Umgekehrt fördern spezifische<br />

Informatikinhalte und -methoden das Verständnis<br />

von mathematischen Inhalten und können aufgrund<br />

ihrer stärkeren gesellschaftlichen Sichtbarkeit<br />

auch als motivierende Anwendungskontexte<br />

dienen. Der Einsatz von Informatiksystemen<br />

als Medien bzw. als Lernhilfen ist nicht an das<br />

Fach Informatik gebunden, sondern wird in vielen<br />

Richtlinien und Lehrplänen explizit als fächerübergreifende<br />

Aufgabe angelegt. Die Informatik<br />

wirkt in diesen Bereich hinein, indem sie Methoden<br />

und Werkzeuge zur technischen Gestaltung<br />

computerbasierter Lernhilfen und Medien bereitstellt.<br />

2 Wirkungen der Mathematik auf<br />

die informatische Bildung<br />

Von der Mathematik gehen vielfältige Wirkungen<br />

auf die informatische Bildung aus, von denen hier<br />

einige <strong>im</strong> Folgenden genauer dargestellt werden<br />

sollen.<br />

Betrachtet man zunächst den schulischen Bereich,<br />

so ist die historische, nationale Entwicklung<br />

des Schulfaches und der Informatiklehrerbildung<br />

Ursache <strong>für</strong> die anfänglich besonders häufige<br />

Wahl der Mathematik als Problemdomäne. Die<br />

ersten aktiven Informatiklehrkräfte in den Anfängen<br />

des Faches kamen aus anderen Fächern (insbesondere<br />

aus der Mathematik und der Physik)<br />

und waren zuvor <strong>im</strong> Bereich der Informatik fortbzw.<br />

weitergebildet worden. Die ersten Empfehlungen<br />

der <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> Informatik zu Zielsetzungen<br />

und Inhalten des Informatikunterrichts an<br />

Schulen Brauer et al. (1976) betonten Algorithmen<br />

und Datenstrukturen. Die Lehrkräfte wählten<br />

oft ihre anderen Fächer (Mathematik, Physik) als<br />

Problemdomänen, so dass z. B. Algorithmen zur<br />

37


Torsten Brinda, Erlangen<br />

Berechnung der Fakultät und des größten gemeinsamen<br />

Teilers oder zur Pr<strong>im</strong>zahlerzeugung häufig<br />

anzutreffen waren. Obgleich fächerübergreifende<br />

und -verbindende Ansätze als erstrebenswert galten<br />

und gelten, gab es Kritik, da schwierige Informatikinhalte<br />

mit schwierigen Inhalten aus der Mathematik<br />

und der Physik kombiniert wurden, was<br />

<strong>für</strong> viele Lernende eine zu große Hürde darstellte.<br />

Be<strong>im</strong> Übergang in das Berufleben zeigt sich,<br />

dass <strong>für</strong> eine Teilpopulation der <strong>im</strong> Informatikbereich<br />

beruflich Aktiven der Bezug zur Mathematik<br />

und die Verknüpfung mit logisch konstruierten<br />

und exakten Strukturen ein wesentlicher Motivator<br />

<strong>für</strong> ihre Berufswahl zu sein scheint Alstrum<br />

(2003). Alstrum befragte hierzu 500 Personen<br />

aus dem Informatikumfeld (verschiedene Nationen<br />

mit US-Schwerpunkt, 78% Frauen, Alter von<br />

25 bis 60 Jahren; 90% wenigstens mit Bachelor-,<br />

mehr als 50% mit Masterabschluss, 37% mit Doktortitel;<br />

17% Studierende, 36% Lehrende, 33%<br />

aus der Industrie; mehr als 50% mit eigenen Lehrerfahrungen<br />

zumindest auf College-Ebene). Sie<br />

kam zu dem Ergebnis, dass der individuelle Nutzen<br />

des Fachgebietes der stärkste Motivator <strong>für</strong> eine<br />

Tätigkeit sei, gefolgt vom Wissenschafts- und<br />

Theorieinteresse, den Exper<strong>im</strong>entiermöglichkeiten<br />

und dem Wunsch, technischen Fortschritt zu<br />

gestalten. Zum Wissenschafts- und Theorieinteresse<br />

gaben 69% der Befragten an, dass die Möglichkeit<br />

exakte Lösungen zu erstellen, ein mehr<br />

oder weniger starker Einflussfaktor <strong>für</strong> ihre Berufswahl<br />

gewesen sei. 90% gaben dies <strong>für</strong> die mit<br />

der Berufswahl verbundenen logischen Strukturen<br />

an. Für 60% waren die mathematischen Grundlagen<br />

besonders ausschlaggebend. 76% fühlten sich<br />

von der erreichbaren Schönheit und Eleganz technischer<br />

Lösungen besonders motiviert. Während<br />

Befragte mit hohen Skalenwerten be<strong>im</strong> Nutzen<br />

auch hohe Skalenwerte bei den Exper<strong>im</strong>entiermöglichkeiten<br />

und der Fortschrittsgestaltung hatten,<br />

bildeten Befragte mit hohem Wissenschaftsinteresse<br />

eine eigene Gruppe <strong>für</strong> sich mit niedrigen<br />

Skalenwerten bezüglich der übrigen D<strong>im</strong>ensionen.<br />

Die Existenz einer solchen Teilgruppe,<br />

die durch weitere Studien validiert werden müsste,<br />

legt eine stärkere Verknüpfung von Theorie<br />

und Praxis nahe. Im Bundesland Bayern spielen<br />

Aspekte der Theoretischen Informatik in der<br />

Informatiklehrerausbildung und <strong>im</strong> ersten Staatsexamen<br />

eine zentrale Rolle, um diese Theorie-<br />

Praxis-Verzahnung <strong>im</strong> Informatikunterricht bestmöglich<br />

zu verankern.<br />

In unterschiedlichen Generationen von Studierenden<br />

und in unterschiedlichen Bildungssystemen<br />

gibt es darüber hinaus deutliche Belege <strong>für</strong><br />

eine starke Korrelation zwischen der mathematischen<br />

Vorbildung aus der Schule und den Programmierfähigkeiten<br />

in Informatikanfangskursen<br />

38<br />

an Hochschulen (Baldwin & Henderson, 2002). In<br />

einer Studie von Konvalina et al. (1983, amerikanischer<br />

Raum) zu Lernerfolgsfaktoren in der Informatik<br />

wurde festgestellt, dass die Anzahl der in<br />

der High School und am College belegten Mathematikkurse<br />

der statistisch signifikanteste Unterschied<br />

zwischen erfolgreichen und nicht erfolgreichen<br />

Studierenden war. Wilson & Shrock (2001,<br />

amerikanischer Raum) identifizierten bei der Korrelationsanalyse<br />

von zwölf möglichen Prädiktoren<br />

zu Midtermklausurergebnissen in einem Informatikanfangskurs<br />

die mathematische Vorbildung aus<br />

der High School als zweitwichtigsten Prädiktor.<br />

Byrne & Lyons (2001) untersuchten Einflussfaktoren<br />

auf Abschlussprüfungsnoten in einem einführenden<br />

Programmierkurs <strong>für</strong> Studierende eines<br />

Informatiknebenfachs in Irland und stellten auch<br />

hier eine signifikant positive Korrelation zwischen<br />

der Prüfungsnote und der schulischen Mathematikabschlussnote<br />

fest.<br />

Im Hinblick auf Beratungsszenarios bei der<br />

Studienwahl bedeutet dies, dass der Umfang<br />

und der individuelle Erfolg der mathematischen<br />

Schulausbildung den Lernerfolg in daran anschließenden<br />

Ausbildungsphasen der Informatik<br />

mit beeinflussen. In Studienberatungen zur Informatik<br />

wird daher explizit darauf hingewiesen,<br />

dass die von der Mathematik geförderten Fähigkeiten<br />

zur Abstraktion und zu logischem Denken<br />

in der Informatik benötigt werden. Die Mathematik<br />

stellt <strong>für</strong> viele Teilbereiche der Informatik<br />

formale, begriffliche und methodische Hilfsmittel<br />

bereit. Be<strong>im</strong> Problemlösen in der Informatik<br />

erfolgt der wichtige Teilschritt der Problemrepräsentation<br />

z. B. formal mathematisch, grafisch<br />

oder numerisch. Informatiklernende müssen diese<br />

Fähigkeiten entwickeln, um erfolgreich Systeme<br />

analysieren, entwerfen, <strong>im</strong>plementieren und<br />

testen zu können. Bei der Programmierung konstruieren<br />

Lernende Operationen und Datentypen.<br />

Das setzt fundierte Kenntnisse zur Auswertung<br />

von Ausdrücken und zur Rangfolge von Operatoren<br />

voraus, um be<strong>im</strong> Testen und bei der Fehlersuche<br />

in berechnungsorientierten Programmen nicht<br />

die Orientierung zu verlieren. Die Generierung<br />

von Testfällen be<strong>im</strong> Überdeckungstesten erfordert<br />

notwendig Kenntnisse über mögliche Belegungen<br />

und Auswertungen boolescher Ausdrücke. In relationalen<br />

Datenbanken werden Tabellen durch Relationen<br />

modelliert, die jeweils aus einer Menge<br />

von Tupeln gebildet werden. Für das Verständnis<br />

fortgeschrittener Datenbankoperationen sind<br />

demnach der Mengenbegriff und Mengenoperationen,<br />

wie z. B. Vereinigung, Schnitt und Kreuzprodukt<br />

erforderlich. Im Bereich der Rechnerarchitektur<br />

spielen verschiedene Zahlensysteme,<br />

wie z. B. das Binär-, das Dez<strong>im</strong>al- und das Hexadez<strong>im</strong>alsystem,<br />

sowie die boolesche Algebra eine


zentrale Rolle. Für die Analyse von Routingprozessen<br />

in Computernetzwerken sind Erkenntnisse<br />

aus der Graphentheorie hilfreich. Die Gestaltung<br />

zuverlässiger und abhörsicherer Kommunikation<br />

in Computernetzwerken bedingt mathematische<br />

Grundlagen aus den Bereichen der Datenverschlüsselung<br />

und -kompression. Die theoretische<br />

Informatik hat einen besonders großen Bezug<br />

zur Mathematik. Sie verwendet in großem Umfang<br />

Konzepte der diskreten Mathematik, Operationen,<br />

Unendlichkeit, Beweise, Reduktionen,<br />

rekursive Definitionen, Graphen, Bäume, Mengen,<br />

Relationen, Zeichenketten, abstrakte Sprachen<br />

und die mathematische Induktion. Be<strong>im</strong><br />

Software-Engineering und bei der Systemanalyse<br />

werden Software-Metriken konstruiert und verwendet<br />

und die Komplexität und die Korrektheit<br />

von Algorithmen analysiert. Hier<strong>für</strong> sind z. B.<br />

Kenntnisse über das Wachstum von Funktionen<br />

und über Korrektheitsbeweise erforderlich.<br />

Die Verwendung formaler Spezifikationsmethoden<br />

trägt zu einer Verbesserung der Softwarequalität<br />

bei und erhöht damit den Programmiererfolg.<br />

In verschiedenen Studien wurden Systeme<br />

mit und ohne Verwendung formaler Methoden<br />

gestaltet, z. B. ein Gateway-System (Larson<br />

et al., 1996) und ein Flugkontrollsystem (Pfleeger<br />

& Hatton, 1997). Im Ergebnis wurde jeweils<br />

festgestellt, das die Verwendung formaler Methoden<br />

zu einer geringeren Zahl von Programmdefekten,<br />

besseren Laufzeiteigenschaften, besserer<br />

Code-Struktur, leichterer Fehleridentifizierbarkeit<br />

und geringerem Behebungsaufwand führte. Formale<br />

Methoden gewinnen deshalb in der Softwaretechnik<br />

zunehmend an Bedeutung. Es zeigt sich<br />

ein deutlich erkennbarer Bezug vieler Teilgebiete<br />

der Informatik zur Mathematik. Da die Informatikausbildung<br />

an Schulen erst beginnt, als Pflichtfach<br />

in die Sekundarstufe I vorzustoßen, können<br />

solche Bezüge bei der Lehrplangestaltung explizit<br />

berücksichtigt werden. Im Bundesland Bayern<br />

wurde eine Unterrichtsreihe zum funktionalen<br />

Modellieren (zunächst in der Jahrgangsstufe 8<br />

und jetzt) in der Jahrgangsstufe 9 verankert, um<br />

auf den Funktionsbegriff der Mathematik zurückgreifen<br />

zu können (Hubwieser, 2005). Auf Hochschulebene<br />

führen die Bezüge zur Mathematik<br />

<strong>im</strong>mer wieder zu Diskussionen darüber, wie viel<br />

und welche Mathematik sich Informatikstudierende<br />

<strong>im</strong> Rahmen ihrer Studien aneignen müssen. Eine<br />

weiterführende Zusammenstellung mathematischer<br />

Grundlagen der Informatik findet sich in Beaubouef<br />

(2002). Die Kehrseite eines soliden mathematischen<br />

Fundaments kann in folgenden, zumeist<br />

unbegründeten, Eindrücken bestehen (Bruce<br />

et al., 2003):<br />

„[. . . ] mathematics is s<strong>im</strong>ply used as<br />

a filter — weeding out students too<br />

Wechselwirkungen zwischen mathematischer und informatischer Bildung<br />

weak or unprepared to survive — or<br />

just to pare down the hordes of potential<br />

computer science majors to a<br />

more manageable size [. . . ] it is just<br />

another sign that faculty in their ivory<br />

towers have no clue what practioners<br />

really do or need“<br />

3 Informatiksysteme als<br />

Lernhilfen <strong>für</strong> die<br />

mathematische Bildung<br />

Informatiksysteme können auf vielfältige Weisen<br />

als Lernhilfen in der mathematischen Bildung eingesetzt<br />

werden und diese vermittlungsmethodisch<br />

durch neue Interaktionsmöglichkeiten bereichern.<br />

Schubert & Schwill (2004) unterscheiden be<strong>im</strong><br />

Lernen mit Informatiksystemen fünf sehr unterschiedliche<br />

Niveaustufungen der Interaktion:<br />

1. Navigation <strong>im</strong> Lernmaterial,<br />

2. Eingabe von digitalen Notizen der Schüler zum<br />

Lernmaterial,<br />

3. Eingabe von Aufgabenlösungen: auswählen<br />

von Werten aus einer festen Menge oder Interpreter<br />

<strong>für</strong> freie Eingaben erforderlich,<br />

4. Planen und Umsetzen von Explorationsstrategien,<br />

5. Planen und Durchführen von Software-<br />

Exper<strong>im</strong>enten.<br />

Betrachtet man diese Niveaustufungen genauer<br />

hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit auf die Mathematik,<br />

so ist be<strong>im</strong> ersten Punkt an mult<strong>im</strong>ediale<br />

Lernmaterialien zu denken, die den Mehrwert<br />

gegenüber einem Druckmaterial sofort ersichtlich<br />

werden lassen. Die Stärke liegt in der Verknüpfung<br />

textueller Darstellungen mit Videosequenzen<br />

oder An<strong>im</strong>ationen mathematischer Prozesse,<br />

wie z. B. Umstellungen von Gleichungen<br />

oder Konstruktionen geometrischer Figuren, die<br />

Lernende in unterschiedlichen Detaillierungsgraden<br />

wiederholt betrachten und analysieren können.<br />

Durch die Verknüpfung solcher E-Learning-<br />

Materialien mit E-Learning-Plattformen, Systemen<br />

zur Verwaltung und Organisation webbasierter<br />

Lehr-Lern-Materialien und -Prozesse, mit rollenbasierter<br />

Benutzerverwaltung wird es möglich,<br />

individuelle Lernpfade und digitale Notizen zum<br />

Material personenbezogen zu verwalten und auf<br />

Wunsch auch zu exportieren.<br />

Die <strong>für</strong> Lehr-Lern-Prozesse <strong>im</strong> Zusammenhang<br />

mit Informatiksystemen so wichtige Interaktivität<br />

kann bei der Gestaltung webbasierter Aufgaben<br />

sehr unterschiedliche Formen annehmen.<br />

Leicht zu programmierende Multiple-Choice oder<br />

Lückentext-Aufgaben sind in vielen Themenbereichen<br />

weit verbreitet, eignen sich aber vorwiegend<br />

<strong>für</strong> das kurzfristige Einüben von Faktenwissen.<br />

Interpreter <strong>für</strong> freie Texteingaben oder<br />

39


Torsten Brinda, Erlangen<br />

zur Bewertung von selbst erstellten mathematischen<br />

Aufgabenlösungen, sind bedeutend schwieriger<br />

zu realisieren. Der Übergang zur Exploration<br />

und zum Exper<strong>im</strong>ent ist hierbei fließend. Während<br />

explorationsfreundliche Lernumgebungen zu themenbezogenen<br />

Entdeckungen st<strong>im</strong>ulieren, werden<br />

be<strong>im</strong> Exper<strong>im</strong>entieren zuvor gebildete Hypothesen<br />

systematisch überprüft.<br />

Für kleinere interaktive Lerneinheiten kommen<br />

häufig Java-Applets zum Einsatz. Für ausgewählte<br />

Themenbereiche werden unter Verwendung<br />

von Informatikmethoden fachspezifische<br />

Programmpakete gestaltet (z. B. Computer-<br />

Algebrasysteme). Diese fungieren nicht nur als<br />

Lernhilfen, sondern ermöglichen auch das Lösen<br />

von Aufgaben, die von Hand nicht zu bearbeiten<br />

wären. Das Verständnis der zugrunde liegenden<br />

Lösungsstrategien wird dadurch jedoch keineswegs<br />

überflüssig, da die einzelnen Schritte sonst<br />

nicht nachvollzogen werden können.<br />

Der Einsatz mult<strong>im</strong>edialer Lehr-Lern-<br />

Systeme kann den Unterricht somit methodisch<br />

bereichern. Zahlreiche Themenbereiche lassen<br />

sich identifizieren, die Potenzial <strong>für</strong> eine fächerübergreifende<br />

oder -verbindende Herangehensweise<br />

bieten, z. B. Fehler erkennende und<br />

-korrigierende Codes, Codierungstechniken (vgl.<br />

Abb. 1), Chiffriermethoden, etc.<br />

Abbildung 4.1: Applet zum Huffman-Code (Bewer,<br />

2005)<br />

Die Informatik entwickelt und erprobt Methoden<br />

und Werkzeuge zur Gestaltung solcher Systeme<br />

und schafft <strong>im</strong>mer neue, lernförderliche Interaktionsmöglichkeiten.<br />

Im Bereich der Physik und<br />

Chemie konnten beispielsweise schon vollständige<br />

virtuelle Labore (in 3D) mit den damit verbundenen<br />

Exper<strong>im</strong>entiermöglichkeiten gestaltet werden.<br />

Es werden einheitliche Beschreibungstechniken<br />

<strong>für</strong> Lehr-Lern-Materialien entwickelt (z. B.<br />

Learning Object Metadata) mit dem Ziel, diese<br />

weltweit zielgerichtet recherchieren zu können.<br />

Damit wirkt die Informatik wesentlich in andere<br />

Bildungsbereiche hinein.<br />

40<br />

4 Wirkungen der Informatik auf<br />

die mathematische Bildung<br />

Kehrt man die <strong>im</strong> Abschnitt 2 geführte Voraussetzungsanalyse<br />

um, so zeigt sich, dass Informatikinhalte<br />

und -methoden auch als Anwendungsszenarien<br />

oder Lernhilfen <strong>für</strong> Inhalte der Mathematik<br />

eingesetzt werden und dortige Lehr-Lern-<br />

Prozesse methodisch bereichern können.<br />

Der Funktionsbegriff der Mathematik wird besonders<br />

deutlich sichtbar be<strong>im</strong> funktionalen Modellieren<br />

und dem Arbeiten mit funktionalen Programmiersprachen,<br />

wie z. B. ML oder Haskell.<br />

Lernende können damit sehr leicht Funktionen definieren<br />

und diese bezüglich best<strong>im</strong>mter Eingaben<br />

auswerten. Da die Syntax sehr stark an der<br />

Mathematik orientiert ist, ist spezielles Programmierungsvorwissen<br />

hierbei entbehrlich. Lernende<br />

können die Wirkungen von Funktionskonkatenationen<br />

überprüfen, den aus dem <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

bekannten Funktionsbegriff auf nichtnumerische<br />

Datentypen erweitern und auch so komplizierte<br />

Konzepte, wie Funktionen höherer Ordnung<br />

handlungsorientiert erkunden und durchdringen.<br />

Der Mengenbegriff und typische Mengenoperationen<br />

finden eine praktische und in vielen Lebenssituationen<br />

erkennbare Anwendung <strong>im</strong> Bereich<br />

der Datenmodellierung und der Datenbanksysteme.<br />

Abfragen mit Datenbanksprachen, wie z.<br />

B. SQL, machen die Wirkungen von Mengenoperationen<br />

direkt sichtbar. Für einen handlungsorientierten<br />

Zugang sind nur wenige Syntaxelemente<br />

erforderlich. Inhalte aus dem Bereich der linearen<br />

Algebra, wie z. B. die Repräsentation und die Berechnung<br />

von Geraden, Ebenen, Kugeln und von<br />

Schnittpunken, -geraden oder -kreisen sowie das<br />

Rechnen mit Matrizen spielen eine große Rolle<br />

<strong>im</strong> Bereich der Computergrafik. Hier lassen sich<br />

entweder vorbereitete mathematische Bibliotheken<br />

von Programmiersprachen bei der Modellierung<br />

und Berechnung dreid<strong>im</strong>ensionaler Situationen<br />

anwenden oder in kleinem Umfang selber gestalten.<br />

Weitere Beispiele <strong>für</strong> denkbare Anwendungskontexte<br />

bilden:<br />

• Wachstum von Funktionen — Algorithmenanalyse<br />

• Logik — Rechnerarchitektur<br />

• Graphen — Netzwerke<br />

• Zahlentheorie — Kryptologie<br />

Die Verknüpfung mathematischer und informatischer<br />

Inhalte lässt sich unterrichtsmethodisch<br />

unter Verwendung der informatikunterrichtspezifischen<br />

Projektmethode realisieren, die Elemente<br />

des pädagogischen und des informatischen<br />

Projektbegriffs kombiniert (Schubert / Schwill<br />

2004, 293ff). Dabei werden das systematischzielgerichtete<br />

und arbeitsteilige Vorgehen der In-


formatik und pädagogische Aspekte der selbstbest<strong>im</strong>mten,<br />

organisierten und -verantworteten<br />

Gruppenarbeit verknüpft. Damit werden die planerischen<br />

und organisatorischen Fähigkeiten von<br />

Lernenden gefördert und gefordert und neue Möglichkeiten<br />

der Kommunikation und Kooperation<br />

<strong>im</strong> Unterricht eröffnet.<br />

5 Zusammenfassung und<br />

Schlussfolgerungen<br />

Für die informatische Bildung in Schulen können<br />

Bezüge zu mathematischem Vorwissen das Verständnis<br />

schwieriger Informatikinhalte erleichtern,<br />

indem bspw. der Funktionsbegriff der Informatik<br />

über den Funktionsbegriff der Mathematik<br />

entwickelt wird und bei der Ausgestaltung von<br />

Funktionen zunächst aus der Mathematik bekannte<br />

Operatoren verwendet werden. Diese Vernetzung<br />

hat aber natürliche Grenzen, wenn einerseits<br />

schwierige (und möglicherweise wenig beliebte)<br />

Inhalte der Mathematik, wie z. B. das Beweisverfahren<br />

der vollständigen Induktion zum Nachweis<br />

der Korrektheit von Algorithmen in die Informatik<br />

übertragen wird oder andererseits motivierende<br />

Inhalte der Informatik (z. B. aus dem Bereich der<br />

Computergrafik) zum theoretischen Verständnis<br />

mathematische Grundlagen (z. B. Matrizenrechnung)<br />

erfordern, die <strong>im</strong> Schulunterricht in der Regel<br />

nicht erreicht werden. Die Fortführung dieser<br />

Vernetzung auf der Hochschulebene erfolgt zumeist<br />

nicht systematisch. Mathematische Grundlagen<br />

werden oftmals ohne näheren Bezug zur Informatik<br />

in eigenen Lehrveranstaltungen vermittelt.<br />

Deren Aufgreifen und Verknüpfen mit Gegenständen<br />

der Informatik liegt in der Verantwortung<br />

der jeweiligen Dozenten und orientiert<br />

sich damit zumeist an deren individuellen Vorlieben.<br />

Ausgewählte Informatikinhalte sind umgekehrt<br />

aufgrund ihres Theoriebezugs auch zur<br />

Motivation von und als Lernhilfen <strong>für</strong> Inhalte der<br />

Mathematik geeignet, wie auch weitere Beiträge<br />

in diesem Band belegen. Diesen exemplarischen<br />

Untersuchungen müssen systematische Evaluationen<br />

folgen. Trotz aller möglichen Bezüge und den<br />

zuvor dargelegten Wechselwirkungen dominieren<br />

die Unterschiede die Gemeinsamkeiten und Anknüpfungspunkte.<br />

Obwohl beide Wissenschaften<br />

Modellbegriffe verwenden und diesen in der Ausbildung<br />

großen Stellenwert einräumen, offenbarte<br />

eine eingehende Analyse zur informatischen Modellierung<br />

(Thomas, 2002) das unterschiedliche<br />

Modellierungsverständnis. Ebenso gibt es große<br />

Unterschiede bezüglich der fundamentalen <strong>Ideen</strong><br />

(Schubert & Schwill, 2004, 71ff).<br />

Wollte man gegenwärtige Inhalte des Informatikunterrichts<br />

ersatzweise in den <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

integrieren und damit Teile der informatischen<br />

Bildung abdecken, so müsste da<strong>für</strong> <strong>im</strong><br />

Wechselwirkungen zwischen mathematischer und informatischer Bildung<br />

<strong>Mathematikunterricht</strong> sehr viel Raum geschaffen<br />

werden, dem aber andere wertvolle mathematische<br />

Inhalte zum Opfer fallen müssten, denn den<br />

<strong>Ideen</strong> der Informatik lassen sich die <strong>Ideen</strong> der<br />

Mathematik nicht so zuordnen, dass eine Mitbehandlung<br />

informatischer Inhalte <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

den Schülern ein angemessenes Bild der<br />

Informatik vermitteln könnte. Konzepte, die eine<br />

Integration informatischer Inhalte in andere Fächer<br />

auf der Ebene der informationstechnischen<br />

Grundbildung vorsahen, gelten außerdem heute<br />

als gescheitert.<br />

Eine starke Vernetzung auf der Ebene fächerübergreifender<br />

und -verbindender Projekte gilt als<br />

erstrebenswert und wird praktiziert. Die starke<br />

Vernetzung der Informatik mit anderen Wissenschaften<br />

führte dazu, dass heute Probleme lösbar<br />

sind, die ohne diese Vernetzung nicht handhabbar<br />

gewesen wären. So sind <strong>im</strong> Gebiet der Bioinformatik<br />

Methoden der Natur nachgebildet und<br />

am Beispiel der neuronalen Netze und der evolutionären<br />

Opt<strong>im</strong>ierungsalgorithmen Verfahren geschaffen<br />

worden, mit den sich heute Probleme<br />

nicht nur der Biologie und der Informatik lösen<br />

lassen, die vorher nicht zugänglich waren.<br />

Im Bildungsbereich hat die Informatik die technischen<br />

Grundlagen <strong>für</strong> verschiedenste, computerunterstützte,<br />

webbasierte Lehr-Lern-Formen entwickelt,<br />

die auf Systemen basieren, die ihre Zuverlässigkeit<br />

oftmals formalen Methoden verdanken.<br />

Literatur<br />

Alstrum, Vicky L. (2003): What is the attraction to computing?<br />

Communications of the ACM, 46(9), 51–55<br />

Baldwin, Doug & Peter B. Henderson (2002): The <strong>im</strong>portance<br />

of mathematics to the software practitioner. IEEE Software,<br />

19(2), 110–112<br />

Beaubouef, Theresa (2002): Why computer science students<br />

need maths. SIGCSE Bulletin, 34(4), 57–59<br />

Bewer, Stefan (2005): E-Learning-Material zum Huffman-<br />

Code. URL http://www.die.informatik.<br />

uni-siegen.de<br />

Brauer, W., Volker Claus, R. Deussen, J. Eickel, W. Haacke,<br />

W. Hosseus, C.H.A. Koster, D. Ollesky & K. Weinhart (1976):<br />

Zielsetzungen und Inhalte des Informatikunterrichts. Zentralblatt<br />

<strong>für</strong> Didaktik der Mathematik, 8(1), 35–43<br />

Bruce, K<strong>im</strong> B., Robert L. Scot Drysdale, Charles Kelemen<br />

& Allen Tucker (2003): Why math? Communications of the<br />

ACM, 46(9), 41–44<br />

Byrne, Pat & Gerry Lyons (2001): The effect of student attributes<br />

on success in programming. In: Proceedings of the 6th<br />

Annual Conference on Innovation and Technology in Computer<br />

Science Education, New York: ACM Press, 49–52<br />

Hubwieser, Peter (2003): Didaktik der Informatik — Grundlagen,<br />

Konzepte, Beispiele. 2. Auflage, Berlin<br />

Hubwieser, Peter (2005): Von der Funktion zum Objekt — Informatik<br />

<strong>für</strong> die Sekundarstufe 1. In: Friedrich, Steffen (Hg.):<br />

Unterrichtskonzepte <strong>für</strong> die informatische Bildung, Bonn: Köllen,<br />

27–41<br />

Konvalina, John, Stanley A. Wilemann & Larry J. Stephens<br />

(1983): Math proficiency: a key to success for computer<br />

41


Torsten Brinda, Erlangen<br />

science students. Communications of the ACM, 26(5), 377–<br />

382<br />

Larson, Peter Gorm, John Fitzgerald & Tom Brooks (1996):<br />

Applying formal specification in industry. IEEE Software,<br />

13(3), 48–56<br />

Pfleeger, Shari Lawrence & Les Hatton (1997): Investigating<br />

the influence of formal methods. IEEE Computer, 30(2), 33–<br />

43<br />

Schubert, Sigrid & Andreas Schwill (2004): Didaktik der Informatik.<br />

Heidelberg, Berlin: Spektrum Akademischer Verlag<br />

42<br />

Thomas, Marco (2002): <strong>Informatische</strong> Modellbildung. Dissertation,<br />

Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät, Universität<br />

Potsdam<br />

Wilson, Brenda Cantwell & Sharon Shrock (2001): Contributing<br />

to success in an introductory computer science course: a<br />

study of twelve factors. In: Proceedings of the 32nd SIGCSE<br />

Technical Symposium on Computer Science Education, New<br />

York: ACM Press, 184–188


• Brauchen wir ein Schulfach „Informatik“? — Eine<br />

Podiumsdiskussion<br />

Peter Bender, Paderborn<br />

1 Vorrede<br />

Unser Arbeitskreis „<strong>Mathematikunterricht</strong> & Informatik“<br />

(AK MU&I) wurde <strong>im</strong> Frühjahr 1978<br />

auf der Jahrestagung der <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> Didaktik<br />

der Mathematik (GDM) in Münster aus der<br />

Taufe gehoben. Zunächst wurde er AK „Informatik“<br />

genannt; — ein Name, der in der damaligen<br />

Situation nahe lag und den man, wenn man einmal<br />

die Themen, besonders seit Mitte der 1980er<br />

Jahre, Revue passieren lässt, heute vielleicht nicht<br />

mehr verwenden würde. Dies gilt auch <strong>für</strong> den Namen,<br />

den der AK heute offiziell trägt: Nachdem ab<br />

1978 mehrere Jahre lang das Programm durchgängig<br />

„<strong>Mathematikunterricht</strong> & Informatik“ lautete,<br />

wurde, nach Durchprobieren der einen oder anderen<br />

Variante, nämlich genau dieses Programm<br />

zum Namen des AK erhoben.<br />

Im Laufe der Jahre kam <strong>im</strong>mer einmal wieder<br />

die Diskussion auf, ob der AK sich nicht umbenennen<br />

sollte, weil man zunehmend ein weites<br />

Verständnis von Informatik brauchte, wenn man<br />

sie in den generellen Tagungsthemen oder in den<br />

einzelnen Vorträgen wiederfinden wollte. So standen<br />

in den 1990er Jahren direkte didaktische Fragen<br />

zum <strong>Mathematikunterricht</strong> <strong>im</strong> Vordergrund,<br />

natürlich <strong>im</strong>mer auf der Folie der Neuen Medien:<br />

stoffdidaktische Analysen zu Gebieten wie<br />

Geometrie, Arithmetik, Algebra, Funktionenlehre<br />

in Verbindung mit Grundfragen wie Begriffsbildung,<br />

Modellbildung, Orientierung an fundamentalen<br />

<strong>Ideen</strong>, Ausprägung einer modernen mathematischen<br />

Unterrichtskultur usw. Seit etwa 2000<br />

haben wir, zumindest bei der Setzung der Generalthemen,<br />

den medialen Aspekt stärker in den<br />

Vordergrund gerückt; allerdings — und genau so<br />

war es gedacht — wurde in den Tagungsbeiträgen<br />

die Beziehung zum mathematischen Stoff keineswegs<br />

vernachlässigt. Besonders in jüngster Zeit<br />

haben wir dabei auch an ganz aktuelle, unser Fach<br />

durchaus überschreitende Problemstellungen angeknüpft<br />

wie 2002 „Lehr- und Lernprogramme“,<br />

2003 „Internet“ und 2004 „Bildungsstandards“.<br />

Die Umbenennungsdiskussionen verstummten<br />

aber <strong>im</strong>mer ebenso schnell wieder, und zwar<br />

nicht nur, weil man einfach den traditionsreichen<br />

Namen beibehalten wollte, sondern: Der Name ist<br />

auch Programm. Selbst wenn dieses, <strong>im</strong> Nachvollzug<br />

der rasanten Entwicklung der IT-Landschaft,<br />

inzwischen erheblich erweitert wurde, wie gerade<br />

angedeutet, so sind die Bezüge zur Wissenschaft<br />

„Informatik“ nach wie vor einer der Kerne dieses<br />

Programms.<br />

Für diese Tagung haben wir uns vorgenom-<br />

men, uns dem informatischen Kern des <strong>Mathematikunterricht</strong>s<br />

etwas intensiver zu widmen, nachdem<br />

wir diesen zum letzten Mal 1994 in Wolfenbüttel<br />

zum Leitthema erkoren und intensiv diskutiert<br />

hatten. Für diese Schwerpunktsetzung war es<br />

sowieso wieder einmal an der Zeit. Aber außerdem<br />

hat sich ja inzwischen eine eigenständige Didaktik<br />

der Informatik mit einigen Professuren in<br />

Deutschland etabliert und gut entwickelt, so dass<br />

jetzt der Kreis der Diskutantinnen & Diskutanten<br />

(D&D) deutlich weiter als 1994 gezogen werden<br />

konnte. So haben wir s<strong>im</strong>ultan <strong>für</strong> die Besetzung<br />

des Podiums und <strong>für</strong> die Auswahl der Hauptvortragenden<br />

der Tagung dezidiert die Informatik-<br />

Didaktik einbezogen.<br />

2 Das Podium<br />

Auf dem Podium saßen zwei genuine Informatik-<br />

Didaktiker, Ulrich Hoppe aus Duisburg-Essen und<br />

Johannes Magenhe<strong>im</strong> aus Paderborn, sowie drei<br />

Kolleginnen & Kollegen mit eher mathematikdidaktischer<br />

Provenienz, Herbert Löthe aus Ludwigsburg<br />

und Eberhard Lehmann aus Berlin, die<br />

beide in ihrem ganzen Werk eine dezidierte Berücksichtigung<br />

informatischer <strong>Ideen</strong> und Inhalte<br />

in einem Unterricht, den man dann vielleicht gar<br />

nicht mehr Mathematik-Unterricht nennen würde,<br />

gefordert und „gelebt“ haben, und schließlich<br />

Astrid Beckmann aus Schwäbisch Gmünd,<br />

die zwar ebenfalls starke Bezüge zur Informatik<br />

sieht, aber dennoch der Mathematik den Pr<strong>im</strong>at<br />

zuspricht. Insgesamt kann man das Podium durchaus<br />

als „informatik-freundlich“ charakterisieren.<br />

Die Auswahl war, wie gesagt, von der Auswahl<br />

der Hauptvortragenden best<strong>im</strong>mt, und diese wiederum<br />

war in ihrer Tendenz Ausfluss des Tagungsthemas.<br />

Es mag als Mangel empfunden werden, dass<br />

niemand dabei war (auch der Diskussionsleiter<br />

nicht), die oder der von informatischen Inhalten<br />

<strong>im</strong> Unterricht der allgemeinbildenden Schule gar<br />

nichts hält. Ob es in unserem AK überhaupt so jemanden<br />

gibt, sei dahin gestellt. Jedenfalls ist <strong>für</strong><br />

eine solche Diskussion ein gewisser Grundkonsens<br />

erforderlich; und dieser war gegeben. Allerdings<br />

fehlte ihr dann auch ein wenig die Würze einer<br />

tiefer gehenden Auseinandersetzung. Im Folgenden<br />

werde ich die einzelnen Äußerungen nicht<br />

den Personen zuordnen, von denen sie stammen,<br />

da zahlreiche Beiträge (oft in unterschiedlichen<br />

Nuancierungen) von mehreren Seiten kamen und<br />

wir ja keine interpretativen Interaktionsanalysen<br />

betreiben, wo es sehr wohl darauf ankäme, wer<br />

was gesagt hat.<br />

43


Peter Bender, Paderborn<br />

Der äußere Verlauf der Diskussion fand in der<br />

(aus meiner Sicht) bewährten Manier statt, dass<br />

zunächst die Podiums-Teilnehmerinnen & Teilnehmer<br />

je ein fünfminütiges vorbereitetes Statement<br />

abgaben und in einer zweiten Runde nochmals<br />

je fünf Minuten Zeit zum Reagieren hatten<br />

und sodann das Plenum einbezogen wurde, — bei<br />

einer Gesamtdauer von knapp zwei Stunden.<br />

3 Die Diskussion 1<br />

3.1 Die Eröffnungsstatements<br />

Fraglos haben Mathematik und Informatik einen<br />

weiten gemeinsamen Bereich an <strong>Ideen</strong>, Inhalten,<br />

Methoden, Anwendungen usw. 2 Allerdings ist die<br />

Mathematik sowohl phylo-, als auch ontogenetisch<br />

ohne jeden Zweifel klar vorgängig, und es<br />

fragt sich, was die Informatik darüber hinaus zu<br />

bieten hat, so dass sie<br />

• in den Mathematik-Unterricht einbezogen werden,<br />

• sich als eigenes Fach neben der Mathematik gerieren<br />

oder sogar<br />

• die Mathematik als Schulfach ersetzen soll (auf<br />

welcher Stufe?).<br />

Alle drei Alternativen schwangen in der Diskussion<br />

mit, die dritte allerdings eher in einem<br />

Nebensatz als bewusst einseitig entwickelte Vision<br />

unter ganz best<strong>im</strong>mten Bedingungen.<br />

Argumente <strong>für</strong> die Informatik wurden zunächst<br />

einmal aus der so gesehenen Mangelhaftigkeit<br />

des aktuellen Mathematik-Unterrichts generiert:<br />

Das veraltete Prinzip der dominierenden Arbeit<br />

mit Schulbüchern mit ihren traditionellen Arbeitsweisen<br />

und ihrer Orientierung am Stoff, von<br />

dem außerdem ein Teil überflüssig ist („Gerümpel“,<br />

„Plunder“ ), ruft nach einer „Entschlackung“<br />

des mathematischen Stoffs, Hereinnahme von Informatik<br />

und nicht zuletzt Übergang zu projektartigem<br />

Arbeiten. Hier wird die Informatik zunächst<br />

als Katalysator zur überfälligen grundlegenden<br />

Veränderung des Mathematik-Unterrichts<br />

gesehen, darüber hinaus aber auch als substanzielle<br />

Bereicherung.<br />

Sie soll Basis-Wissen und Können <strong>für</strong> den<br />

Einsatz von Informationstechnik in vielen Bereichen<br />

liefern, aber ihr Wesen als Schul-Disziplin<br />

soll nicht aus diesem Einsatz bestehen. In der Informationstechnik<br />

verändert sich nämlich <strong>im</strong>mer<br />

wieder allzu schnell allzu Vieles, so dass <strong>für</strong> ein<br />

Heranreifen von fundamentalen <strong>Ideen</strong> nicht genügend<br />

Zeit vorhanden ist.<br />

Die genuinen Informatik-Didaktiker können<br />

sich ein Aufgehen der Informatik <strong>im</strong> Mathematik-<br />

Unterricht allerdings so wenig vorstellen wie das<br />

Umgekehrte. Dass die Informatik trotz langjähriger<br />

Bemühungen bis heute in der Schule kaum<br />

Fuß gefasst hat, liegt nicht zuletzt an der weitgehend<br />

fehlenden Qualifikation bei den Lehrerinnen<br />

& Lehrern (L&L), aber eben auch an der Verwässerung<br />

zu Informationstechnik (ITG!) bzw. zu<br />

Medienbildung, wie sie in zahlreichen Ansätzen<br />

stattgefunden hat, in denen viele informatische Inhalte<br />

nicht bzw. unfundiert behandelt werden.<br />

Es ist sogar festzustellen, dass genuin mathematische<br />

Inhalte in der Informatik behandelt werden<br />

(müssen), weil sie dort gebraucht werden,<br />

aber in der Mathematik selbst nicht (mehr) vorkommen.<br />

Zu denken ist hier an Teile der (Linearen)<br />

Algebra und vor allem an die Logik, z.B. die<br />

Vollständige Induktion. — Allerdings bewegt man<br />

sich mit diesem Argument <strong>im</strong> Bereich der Sekundarstufe<br />

II, und es bedeutet wohl mehr einen Appell<br />

an den Mathematik-Unterricht als eine Legit<strong>im</strong>ation<br />

des Informatik-Unterrichts.<br />

Die Verbindung zur Mathematik ist unübersehbar,<br />

und so liegt die spezifische Stärke der Informatik<br />

eher in ihren Bezügen zu den Ingenieur ,<br />

zu den Kognitions- und zu den Sozialwissenschaften,<br />

bzw. sie ist konstituierender Teil einer Integration<br />

dieser drei. Da geht es um eine Entmystifizierung<br />

von Technik, um das Verstehen von einschlägigen<br />

Konzepten und um eine kritische Bewertung.<br />

— Genau das ist die Frage, ob man in der<br />

allgemeinbildenden Schule ein solches Fach etablieren<br />

möchte. Es würde sein Potenzial zwar vornehmlich<br />

in der Sekundarstufe II entfalten, müsste<br />

aber schon früher angelegt werden. Eine etwas<br />

konkretere Liste von Benefizien eines Informatik-<br />

Unterrichts könnte so aussehen:<br />

• Verstehen von (ja allgegenwärtigen) Informatik-<br />

Systemen,<br />

• Modellbildung (intensiver als in Mathematik),<br />

• Denken in Systemen (u.a. Modularisierung),<br />

• Arbeiten in Projekten (mit starken Bezügen zur<br />

„Realität“ ), womit man stets der aktuellen Entwicklung<br />

in Technik, Wissenschaft und <strong>Gesellschaft</strong><br />

usw. auf der Spur wäre (was sich allerdings,<br />

aus Sicht der Lehrperson, auch als Nachteil<br />

erweisen kann),<br />

• Befreiung von curricularen Zwängen (wenigstens<br />

derzeit noch),<br />

• Gelegenheit zu fächerübergreifendem Unterricht.<br />

1 Aus Umfangsgründen kann ich so manchen der geäußerten Gedanken nicht aufnehmen, insbesondere wenn er (zu) speziell war<br />

oder nicht hinreichend gut in die große Linie der Diskussion gepasst hat, und muss so manchen aufgenommenen Gedanken erheblich<br />

kürzer darstellen, als er geäußert wurde.<br />

2 Wenn <strong>im</strong> Folgenden von „Mathematik“ oder „Informatik“ die Rede ist, so ist <strong>im</strong>mer „mit ihren <strong>Ideen</strong>, Inhalten, Methoden,<br />

Denkweisen, Anwendungen usw.“ mitzudenken. Darüber hinaus ist klar, dass diese Kategorien eigentlich einer näheren Best<strong>im</strong>mung<br />

bedürften.<br />

44


Von einem eigenständigen Informatik-<br />

Unterricht könnten viele Fächer profitieren, nicht<br />

zuletzt die Mathematik, indem sie durch solche<br />

Schülerinnen & Schüler (S&S) exogen bereichert<br />

wird, die außerdem Informatik als Fach haben. Eine<br />

Charakterisierung der Informatik, die zugleich<br />

die Leitziele <strong>für</strong> ein Schulfach liefert, könnte folgendermaßen<br />

aufgebaut sein: Informatik als<br />

• (allgemeine) Wissenschaft von der Informationsverarbeitung<br />

in Technik und Natur,<br />

• Anwendungswissenschaft per se,<br />

• Kulturtechnik des algorithmischen Denkens.<br />

Aber selbst diese Charakterisierung greift<br />

noch zu kurz. Unverzichtbar ist vielmehr ihr Wesen<br />

als geeignete Trägerin des Gedankens von der<br />

Automatisierung geistiger Tätigkeiten, also der<br />

Übergang von der Semantik zur Datenverarbeitung.<br />

Zwar ist die Informatik auch insofern ein<br />

Abkömmling der Mathematik; aber diese n<strong>im</strong>mt<br />

diesen Gedanken heutzutage nicht mehr in geeigneter<br />

Weise auf, was ja u.a. dazu geführt hat, dass<br />

inzwischen z.B. die Logik in der Wissenschaft<br />

praktisch sogar besser in der Informatik aufgehoben<br />

ist.<br />

Diese Abstammungseigenschaft wurde aber<br />

auch wieder <strong>für</strong> ein Plädoyer <strong>für</strong> einen Einbezug<br />

informatischer Inhalte (= Integration der Informatik)<br />

in den Mathematik-Unterricht (mit dann erhöhter<br />

Stundenzahl), also gegen ein eigenständiges<br />

Schulfach Informatik, ins Feld geführt. Viele<br />

Begriffe, Methoden und Denkweisen der Informatik<br />

wurzeln in der Mathematik, haben ihre Entsprechung<br />

in mathematischen Begriffen usw. und<br />

sind mit diesen eng verwandt. Der Mathematik-<br />

Unterricht hat daher eine besondere Verantwortung<br />

gegenüber der Informatik. Allerdings ist dies<br />

nicht nur eine Verpflichtung, sondern auch eine<br />

Chance vor dem Hintergrund des pädagogischen<br />

Prinzips des fächerverbindenden Unterrichts,<br />

die zu einer wesentlichen Erweiterung des<br />

Fachs „Mathematik“ führen könnte. Gerade in der<br />

aktuellen Umbruchssituation könnte eine solche<br />

Verbindung auf den Weg gebracht werden, und<br />

zwar in ihrer engsten Form, nämlich der (zeitweisen)<br />

Verschmelzung.<br />

Von sämtlichen D&D wurde die Problematik<br />

angesprochen, die sich bei allen Varianten stellt,<br />

nämlich wie die potenziellen L&L in Aus- und<br />

Weiterbildung dazu befähigt werden können, informatische<br />

Inhalte kompetent zu vermitteln.<br />

3.2 Die Statements der zweiten Runde<br />

(Reaktionen)<br />

Die D&D griffen durchaus die Argumente ihrer<br />

Mit-D&D auf. Indem sie sie an ihre je eigene<br />

Sichtweise adaptierten, gelang ihnen aber durchweg,<br />

sie ihrem je eigenen Plädoyer einzuverleiben.<br />

Brauchen wir ein Schulfach „Informatik“? — Eine Podiumsdiskussion<br />

Von der einen Seite wurden die Besonderheiten<br />

der Informatik, die in der ersten Runde von<br />

einigen D&D zur Begründung eines eigenständigen<br />

Fachs „Informatik“ verwendet worden waren,<br />

nun als Chance zur Verbesserung des Mathematik-<br />

Unterrichts herangezogen. Dabei sollen die integrierten<br />

Inhalte durchaus ihre informatische Eigenart<br />

beibehalten, und das Fach „Informatik“<br />

soll sogar eine gewisse Aufwertung erfahren, indem<br />

die Mathematik stärker auf es ausgerichtet<br />

wird, z.B. auch durch eine Renaissance der Logik.<br />

Diese Ausrichtung ist aber nicht nur als Anpassung<br />

an die Informatik zu verstehen. Vielmehr<br />

sind ja viele Wesenszüge der Informatik auch solche<br />

der Mathematik, denen man sich jetzt wieder<br />

stärker zuwenden würde. Man erachtet zwar<br />

eine Vergrößerung der Stundenzahl <strong>für</strong> notwendig;<br />

diese würde aber gewiss nicht <strong>im</strong> erforderlichen<br />

Umfang erfolgen, so dass von einer solchen<br />

Integration auch ein heilsamer Zwang zur „Entrümpelung“<br />

des Mathematik-Curriculums ausgehen<br />

würde, verbunden eben mit einer Stärkung<br />

informatik-affiner Inhalte und Arbeitsweisen.<br />

Wenn <strong>im</strong> Informatik-Unterricht, wie er aktuell<br />

vor allem in der Sekundarstufe II stattfindet,<br />

die o.g. Benefizien ein pädagogisch ansprechenderes<br />

Umfeld generieren, als man es i.a.<br />

<strong>im</strong> Mathematik-Unterricht erlebt, so gibt es da<strong>für</strong><br />

Gründe, die bei einer Erhebung der Informatik<br />

zum Pflichtfach sicherlich entfallen würden:<br />

kleine Kurse, interessierte S&S, engagierte L&L,<br />

weitgehende curriculare Freiheiten (die man sich<br />

allerdings nehmen muss), Image des Besonderen.<br />

Das Umfeld würde sich dem Alltag der anderen<br />

Fächer angleichen; — vielleicht nicht vollständig,<br />

indem die Informatik sich die etwas freundlicheren<br />

Gegenstände und Arbeitsweisen reservieren<br />

würde, die allerdings die Mathematik eigentlich<br />

genauso (oder in analoger Weise) <strong>für</strong> sich reklamiert:<br />

um das zu sehen, braucht man nur die o.a.<br />

Liste der Benefizien durchzumustern. Damit nicht<br />

das eine Fach (enger gesehen: die eine Spielart eines<br />

Denkprinzips) sich die Rosinen herauspickt,<br />

sollten die beiden Spielarten (Fächer) zusammen<br />

unterrichtet werden.<br />

Bei getrennter Organisation hingegen könnten<br />

erhebliche Synergie-Effekte nicht realisiert werden.<br />

Es wäre ein größerer Zeitumfang erforderlich.<br />

Dieser Bedarf könnte angesichts der übervollen<br />

Stundentafeln (in mehreren Bundesländern<br />

Kürzung des Gymnasiums um ein Jahr!) nur auf<br />

Kosten der Mathematik gehen, da ja deren Affinität<br />

zur Informatik auf der Hand liegt. Eine solche<br />

Kürzung dürfte noch nicht einmal <strong>im</strong> Sinne<br />

„der“ Informatik sein und wäre derzeit <strong>im</strong> Zuge<br />

der PISA-bedingten Popularität „der“ Mathematik<br />

auch nicht durchsetzbar, ginge also doch eher<br />

auf Kosten „der“ Informatik.<br />

45


Peter Bender, Paderborn<br />

Die Be<strong>für</strong>worter eines eigenständigen Schulfachs<br />

„Informatik“ in der allgemeinbildenden<br />

Schule legten Argumente nach: Modellbildung in<br />

der Informatik hat doch einen wesentlich anderen<br />

Charakter als in den Naturwissenschaften oder in<br />

der Mathematik, indem nämlich die Modelle der<br />

Informatik darauf angelegt sind, später als Technik<br />

<strong>im</strong>plementiert zu werden, weswegen Einiges<br />

mit bedacht werden muss, z.B. etwaige Änderungen<br />

<strong>im</strong> vorhinein. Teil dieses Modellbildungs-<br />

Paradigmas ist das Programmieren. Dieses ist natürlich<br />

mehr als Kodieren (was heute automatisiert<br />

möglich ist); aber sogar in einem engen Verständnis<br />

hat es seinen Wert als Disziplinierung der Kognition<br />

<strong>im</strong> Zuge der mit ihm verbundenen Externalisierung<br />

des Denkens und Operationalisierung<br />

abstrakter Begriffe.<br />

Allerdings werden trotz dieser guten Argumente<br />

die Chancen <strong>für</strong> ein eigenständiges Schulfach<br />

„Informatik“ eher gering eingeschätzt, und<br />

zwar weniger aus inhaltlichen, sondern mehr aus<br />

organisatorischen Gründen, mit denen es schon in<br />

der L&L-Ausbildung anfängt.<br />

3.3 Einbezug des Plenums<br />

Da, jedenfalls in Berlin, die Zahl der Oberstufen-<br />

S&S, die sich <strong>für</strong> Informatik anmelden, stetig abn<strong>im</strong>mt,<br />

könnte sich das Problem eines eigenständigen<br />

Informatik-Unterrichts in der Sekundarstufe<br />

II bald von selbst erledigen, und deswegen sollte<br />

Informatik in den Mathematik-Unterricht einbezogen<br />

werden. — Dem wurde (durchaus realistisch)<br />

entgegengehalten, dass diese Informatik-<br />

Abstinenz vielleicht weniger Ausfluss von Desinteresse<br />

als von der Organisation der Oberstufe<br />

(nicht nur) in Berlin sei. Wenn die Informatik<br />

<strong>im</strong> Abitur ein höheres Gewicht erhielte und dann<br />

auch von Fach-L&L unterrichtet würde, würde sie<br />

häufiger gewählt. — Mit dem Einwand, dass ja<br />

jedes Fach eine solche Gewichtung beanspruchen<br />

könne, wurde die St<strong>im</strong>mung <strong>im</strong> Plenum zum Ausdruck<br />

gebracht, nach der der Informatik als Schulfach<br />

eine geringere allgemeinbildende Bedeutung<br />

zukomme, als das vorher in den Statements auf<br />

dem Podium angeklungen war. Z.T. sprach man<br />

sich hier eher <strong>für</strong> Informationstechnik-Unterricht<br />

oder Medienerziehung o.ä. als <strong>für</strong> Informatik-<br />

Unterricht aus.<br />

Einig war man sich, dass jedwede Reform,<br />

die informatische Inhalte verstärkt in die Schule<br />

bringen soll, mit der Kompetenz der Lehrkräfte<br />

steht und fällt, die diese zu unterrichten haben,<br />

und dass es derzeit damit deutschlandweit nicht<br />

gut aussieht. Sogar L&L, die sich eigentlich dezidiert<br />

„der“ Informatik (i.w.S.) zugewandt hatten,<br />

sind gerade dabei, sich wieder zurückzuziehen,<br />

weil ihnen das permanent erforderliche Um- und<br />

Neu-Lernen zu aufwändig ist. — Natürlich muss<br />

man hierbei, wie überhaupt bei allen Aussagen<br />

46<br />

zum realen Unterricht über informatische Inhalte,<br />

von Bundesland zu Bundesland, ja, von Schule zu<br />

Schule, differenzieren. Dennoch kam man überein,<br />

dass die Lage insgesamt als eher mangelhaft<br />

einzuschätzen ist.<br />

Nach diesem Ausflug zu mehr praktischen<br />

Fragen kehrte die Diskussion noch einmal zum<br />

Grundsätzlichen zurück. Die folgenden Aussagen<br />

stammen von einzelnen D&D und wurden, jedenfalls<br />

vom atmosphärischen Eindruck her, von anderen,<br />

oft von vielen, unterstützt. Wie groß der<br />

Anteil der Zust<strong>im</strong>mung jeweils wirklich war, ist<br />

mir natürlich nicht bekannt.<br />

Dank der Arbeit der Informatik-Didaktik dürfte<br />

heute bei der Informatik ein höherer Grad an<br />

allgemeinbildendem Charakter sichtbar sein als<br />

bei unserer letzten Diskussion 1994. Es ist allerdings<br />

nicht gelungen (vielleicht ist es auch gar<br />

nicht möglich), nennenswerte informatische Inhalte<br />

in die Mathematik-L&L-Bildung zu integrieren,<br />

womit bei jeder Variante, nach der diese<br />

Inhalte in der Schule verankert werden, die<br />

L&L-Bildung ein Problem darstellt. Im Korpus<br />

einer potenziellen Schul-Informatik sind wesentliche<br />

Teile enthalten, die auch der Mathematik-<br />

Unterricht leistet bzw. leisten könnte, wenn man<br />

nicht in Mathematik nur den oft „schlechten“ realen<br />

Unterricht gegenüber einem „guten“ virtuellen<br />

Informatik-Unterricht sieht. Andererseits haben<br />

sich die beiden Fächer mit ihren schul-relevanten<br />

Bildungs-Gehalten seit 1994 noch weiter auseinander<br />

entwickelt. Der Mathematik-Unterricht<br />

müssen dazu kommen, die mathematik-affinen<br />

Teile der Informatik zu ass<strong>im</strong>ilieren, und sich<br />

dann aber auch partiell stärker an dieser ausrichten.<br />

Die (Schul-)Informatik enthält allerdings<br />

nicht nur mathematik-affine Teile (genannt wurden<br />

ihr ingenieurwissenschaftlicher Wesenszug<br />

und konkreter die Gestaltung von Oberflächen<br />

oder Programmier-Kenntnisse am Ende der Sekundarstufe<br />

I u.a.). Fraglich ist, ob diese genug<br />

Substanz <strong>für</strong> ein eigenständiges Pflichtfach in der<br />

Sekundarstufe I (d.h. <strong>für</strong> Alle) bilden.<br />

4 Ein Resümee<br />

Die Situation ist ähnlich wie die <strong>im</strong> Jahr 1994<br />

mit den beiden vernünftigen Alternativen eines eigenständigen<br />

Informatik-Unterrichts in der allgemeinbildenden<br />

Sekundarstufe I und einer Integration<br />

der Informatik in den Mathematik-Unterricht<br />

mit mehr oder weniger Gewicht. Seitdem haben<br />

sich <strong>Gesellschaft</strong>, Schule, S&S, die Wissenschaft<br />

„Informatik“, aber auch die Wissenschaft „Mathematik“<br />

!, die Didaktiken beider Fächer, die L&L-<br />

Ausbildung weiter entwickelt, und wir können<br />

beide Alternativen noch besser begründen als damals.


Teil II<br />

Vorträge<br />

47


• Sicherheit <strong>im</strong> Umgang mit Informationstechnologie –<br />

Übertragung des FITness-Konzepts auf die<br />

Mathematiklehrerausbildung<br />

Christine Bescherer, Flensburg<br />

Das „FITness-Konzept“ ist ein 1999 mit großem Aufwand vom National Research Council, USA,<br />

entwickeltes Konzept „Being Fluent with Information Technology“, in dem beschrieben wird, über<br />

welche Kenntnisse informatischer Grundkonzepte, informationstechnischen Fertigkeiten und informatischen<br />

Denkweisen Schülerinnen und Schüler verfügen sollten. Diese drei Bereiche werden in<br />

jeweils 10 Unterpunkten beschrieben. Einige davon sind:<br />

<strong>Informatische</strong> Denkweisen Mit Komplexität umgehen, Testen von Lösungen, Kommunizieren mit<br />

verschiedenen Zielgruppen, . . .<br />

<strong>Informatische</strong> Grundkonzepte Computer (Hardware, Software), Informationssysteme (wirtschaftsinformatische<br />

Sichtweise), Modellierung und Abstraktion, . . .<br />

Informationstechnische Fertigkeiten Aufbauen und Verbinden von Computern, Informationen <strong>im</strong><br />

Internet finden, Datenbanken nutzen und pflegen, . . .<br />

Es wird – neben dem Konzept an sich – eine Umsetzung dieses Konzepts in Form der Vorlesung<br />

„Einführung in die Informatik“ <strong>für</strong> Studierende des Mathematiklehramts an der Universität Flensburg<br />

vorgestellt.<br />

1 Motivation<br />

Wie kann eine Einführung in die Informatik<br />

<strong>für</strong> Studierende des Mathematiklehramts aussehen?<br />

Welches „informatische“ Wissen und welche<br />

Kompetenzen <strong>im</strong> Umgang mit Informationstechnologie<br />

(IT) brauchen zukünftige Mathematiklehrerinnen<br />

und -lehrer? Auf einer allgemeinen Ebene<br />

lässt sich dies einfach beantworten: Alles das,<br />

was ihnen später hilft einen guten <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

zu gestalten. Schon in dieser Allgemeinheit<br />

wird klar, dass es sich dabei um weit mehr<br />

Wissen und Kompetenzen handelt, als z.B. in einem<br />

Programmierkurs oder einer Anwendungsschulung<br />

abgedeckt werden kann.<br />

Für zukünftige Mathematiklehrende spielen<br />

jedoch neben der <strong>für</strong> alle Lehrenden notwendigen<br />

Kompetenzen <strong>im</strong> Umgang mit Computern<br />

noch wesentlich mehr Aspekte der Informatik<br />

eine Rolle. Dies sind zum einen vertiefte<br />

Kenntnisse über die technischen Hintergründe<br />

von Informatik-nahen Werkzeugen wie Computeralgebrasystemen<br />

oder Dynamischen Geometriesystemen.<br />

Zum anderen ist dies ein Wissen zu<br />

den Überschneidungsfeldern von Informatik und<br />

Mathematik wie Algorithmen, Programmierstrukturen<br />

oder etwa Modellieren bzw. Logik.<br />

Hinzu kommen noch zwei weitere – <strong>im</strong> Bereich<br />

Informationstechnologie besonders ausgeprägte<br />

– Probleme: Die extreme Heterogenität der<br />

Vorkenntnisse und die Uneinigkeit in der (deutschen)<br />

Fachdidaktik, welche Inhalte denn überhaupt<br />

zu einem Grundwissen in Informatik bzw.<br />

Informationstechnologie zu zählen sind.<br />

Im Sommersemester 2005 war ich zuständig<br />

<strong>für</strong> die Vorlesung mit Übung „Einführung in die<br />

Informatik“ an der Universität Flensburg <strong>für</strong> Studierende<br />

<strong>im</strong> zweiten Semester aller Lehramtsstudiengänge<br />

mit dem Fach Mathematik. Dabei basierte<br />

ich das Konzept der Veranstaltung auf dem<br />

theoretischen Rahmenwerk „Being Fluent with<br />

Information Technology“ (FITness) und führte eine<br />

erste Evaluation mit Hilfe eines Fragenbogens<br />

zur „Computernutzer-Selbstwirksamkeit“ durch.<br />

2 Das FITness-Konzept<br />

Im Jahr 1999 veröffentlichte der National Research<br />

Council, USA – nach einem aufwändigen<br />

Entwicklungsverfahren – das Konzept „Being<br />

Fluent with Information Technology“ (kurz „FITness“,<br />

NRC (1999)), das ein intellektuelles Rahmenwerk<br />

zur Entwicklung von Curricula und<br />

Lehrgängen sowie Lehrbüchern darstellt.<br />

Der Begriff „Fluency“ ist kaum ins Deutsche<br />

zu übertragen, da er das Substantiv zu „flüssig“<br />

<strong>im</strong> Sinne von „Er kann flüssig lesen.“ „Sie spricht<br />

flüssig Spanisch.“ darstellt. Unter „Fluency“ wird<br />

von den Autoren die Fähigkeit verstanden, „Wissen<br />

umzuformulieren, sich selbst kreativ und angemessen<br />

auszudrücken und Information zu produzieren<br />

und zu generieren (anstatt sie nur zu verstehen)“<br />

(NRC, 1999, S. VIII). Ganz bewusst ist<br />

das Ziel eine Sicherheit <strong>im</strong> Umgang mit Informationstechnologie<br />

und nicht Informatik <strong>im</strong> Sinne<br />

von Computer Science. Dies bedeutet, dass informatische<br />

Inhalte nicht als Selbstzweck aufgenommen<br />

werden, sondern „nur“ in dem Umfang wie<br />

es <strong>für</strong> eine langfristige Nutzung von IT notwendig<br />

ist. Wie später zu sehen ist, ist dies jedoch weit<br />

mehr als üblicherweise <strong>im</strong> Informatikunterricht in<br />

49


Christine Bescherer, Flensburg<br />

Schulen unterrichtet wird.<br />

Die Verfasser gehen von folgenden Grundsätzen<br />

aus (S. 1 NRC, 1999, vgl.):<br />

• Die Informationstechnologie ist eine neue Entwicklung,<br />

die <strong>im</strong>mer noch zu weiten Teilen von<br />

Menschen ohne eine formale (Aus-)Bildung in<br />

diesem Bereich genutzt wird.<br />

• Viele derjenigen, die heutzutage IT nutzen, besitzen<br />

häufig nur ein beschränktes Verständnis<br />

der verwendeten Werkzeuge und haben dabei<br />

das Gefühl, „nicht alle Möglichkeiten auszunutzen“.<br />

• Viele Menschen fühlen sich unsicher bei der IT-<br />

Nutzung und wären gerne sicherer <strong>im</strong> Umgang<br />

damit.<br />

• Dagegen bestehen oft sehr hohe Erwartungen zu<br />

den Vorteilen der IT Nutzung und viele Menschen<br />

würden diese Vorteile gerne realisieren.<br />

• Es bestehen bei vielen Menschen Bedenken,<br />

dass die gesellschaftlichen Auswirkungen durch<br />

IT ein potentielles Risiko <strong>für</strong> soziale Werte,<br />

Freiheit oder wirtschaftliche Interessen usw.<br />

darstellen und sie deshalb gezwungen sind an<br />

der Informationsgesellschaft teilzuhaben.<br />

Dieser Fokus auf eine Allgemeinheit der Bevölkerung<br />

und nicht auf Informatikerinnen und Informatiker<br />

zieht sich durch das gesamte Konzept.<br />

Ausgehend von einem derzeitigen Stand an „FITness“<br />

z.B. unter deutschen Studierenden erscheinen<br />

die geforderten Fertigkeiten und Kompetenzen<br />

sehr hoch gegriffen, <strong>für</strong> einen langfristigen,<br />

sinnvollen und nutzbringenden Umgang mit Informationstechnologie<br />

sind sie aber unbedingt notwendig.<br />

Das FITness-Konzept besteht aus den drei<br />

Teilen „Geistige Fähigkeiten und Denkweisen“,<br />

„Informationstechnologische bzw. <strong>Informatische</strong><br />

Grundkonzepte“ und „Informationstechnische<br />

Fertigkeiten“. Diese werden in jeweils zehn<br />

Unterpunkten genauer, aber nicht sehr detailliert<br />

beschrieben. Daneben wird in mehreren Exkursen<br />

z.B. zum Unterschied zwischen „Information Literacy“,<br />

wie sie z.B. von Bibliothekswissenschaften<br />

(vgl. AASL (1998) gefordert werden und dem<br />

FITness-Konzept oder der „Rolle des Programmierens“<br />

und Anhängen zusätzliches Material geboten.<br />

Im Folgenden werden die drei Bereiche aus<br />

Platzgründen nur kurz vorgestellt, Genaueres findet<br />

sich in Bescherer (2005b) oder <strong>im</strong> Original<br />

(NRC, 1999).<br />

2.1 Intellektuelle Fähigkeiten und<br />

Denkweisen<br />

In diesem Teil werden diejenigen intellektuellen<br />

Fähigkeiten und Denkweisen beschrieben, die dazu<br />

betragen können, IT in komplexen Situationen<br />

und auch in Zukunft einzusetzen. Dabei sollen<br />

50<br />

auch die Vorteile des Mediums Computer verstanden<br />

und genutzt werden, sowie mit unvorhergesehenen<br />

Problemen umgegangen werden können.<br />

Insgesamt wird das abstrakte Denken über Information<br />

dadurch gefördert.<br />

1. Sich auf ausführliche Begründungen einlassen<br />

2. Mit Komplexität umgehen<br />

3. Lösungen testen<br />

4. Mit Problemen bei falschen Lösungen umgehen<br />

5. Informationsstrukturen organisieren und sich<br />

in ihnen bewegen und Informationen evaluieren.<br />

6. Zusammenarbeiten unter Nutzung von IT<br />

7. Kommunizieren unter Nutzung von IT und<br />

über IT<br />

8. Das Unerwartete erwarten<br />

9. Sich ändernde Technologien vorausahnen<br />

10. Auf einer abstrakten Ebene über IT nachdenken<br />

2.2 Informationstechnologische /<br />

<strong>Informatische</strong> Grundkonzepte<br />

Unter dieser Überschrift werden Prinzipien und<br />

<strong>Ideen</strong> zu Computern, Netzwerken und Information,<br />

also das „Wie und Warum der IT“ zusammengefasst.<br />

Wissen um diese Grundkonzepte ermöglicht<br />

Einblicke in die Möglichkeiten und Grenzen<br />

der IT und dient als „Rohmaterial“ zum Verstehen<br />

neuer IT-Entwicklungen.<br />

1. Grundlagen von Computern<br />

2. Organisation von Informationssystemen<br />

3. Grundlagen von Netzwerken<br />

4. Digitale Darstellung von Information<br />

5. Information organisieren und strukturieren<br />

6. Modellieren und Abstrahieren<br />

7. Algorithmisches Denken und Programmieren<br />

8. Universalität<br />

9. Grenzen und Gefahren der IT<br />

10. Einfluss von Information und IT auf die <strong>Gesellschaft</strong><br />

2.3 Informationstechnische Fertigkeiten<br />

Diese beschreiben die zeitabhängigen Fertigkeiten<br />

bzw. die Fähigkeit aktuelle Computer zu nutzen.<br />

Sie sind wichtig <strong>für</strong> den Arbeitsmarkt und dienen<br />

in erster Linie zur Sammlung praktischer Erfahrungen<br />

aus denen dann wiederum neue Kompetenzen<br />

entwickelt werden können. Inhaltlich entspricht<br />

dieser Bereich in etwa dem ECDL (European<br />

Computer Driving Licence, www.ecdl.com).<br />

1. Einen PC in Betrieb nehmen<br />

2. Grundlegende Funktionen eines Betriebssystem<br />

nutzen<br />

3. Ein Textverarbeitungssystem nutzen, um ein<br />

Textdokument zu erstellen


Sicherheit <strong>im</strong> Umgang mit Informationstechnologie – Übertragung des FITness-Konzepts auf die<br />

Mathematiklehrerausbildung<br />

4. Ein Grafik- bzw. Bildbearbeitungspaket benutzen,<br />

um Illustrationen, Präsentationsfolien<br />

oder andere bildhafte Darstellungen von <strong>Ideen</strong><br />

zu erzeugen<br />

5. Einen Computer mit einem Netzwerk verbinden<br />

6. Das Internet nutzen, um Informationen und<br />

Quellen zu finden<br />

7. Einen Computer zur Kommunikation mit anderen<br />

Personen nutzen<br />

8. Ein Tabellenkalkulationssystem nutzen, um<br />

einfach Abläufe und Finanztabellen zu modellieren<br />

9. Ein Datenbanksystem nutzen, um sinnvolle Informationen<br />

zu sammeln und darauf zuzugreifen<br />

10. Lehrmaterialien zum Erlernen neuer Anwendungen<br />

oder Funktionen nutzen<br />

Diese drei Bereiche sind sehr eng miteinander<br />

verknüpft und nur in der Gesamtheit aller aufgeführten<br />

Fähigkeiten, Fertigkeiten und dem Wissen<br />

zeigt sich die FITness, also die Sicherheit <strong>im</strong> Umgang<br />

mit Informationstechnologie.<br />

3 Die Veranstaltung „Einführung<br />

in die Informatik“ <strong>für</strong> alle<br />

Lehrämter der Mathematik<br />

3.1 Rahmenbedingungen<br />

An der Universität Flensburg wurden <strong>im</strong> Sommersemester<br />

2005 die Studiengänge <strong>für</strong> das Lehramt<br />

an Grund- und Hauptschulen, Realschulen, Sonderschulen<br />

und Berufsschulen angeboten. 1 Die<br />

(alte) Prüfungsordnung schrieb dabei einen benoteten<br />

Schein in „Einführung in die Informatik“<br />

vor. Die Veranstaltung (2 Semesterwochenstunden<br />

Vorlesung und zwei Stunden Übung) sollte<br />

üblicherweise <strong>im</strong> 2. Semester besucht werden.<br />

Aufgrund organisatorischer Probleme fanden<br />

sowohl die Vorlesung wie auch die Übung (<strong>für</strong> alle<br />

ca. 80 Studierenden) <strong>im</strong> Hörsaal ohne Computerzugang<br />

<strong>für</strong> die Studierenden statt.<br />

Der Leistungsnachweis erfolgte in einer 90minütigen<br />

Klausur in der ersten Woche nach Vorlesungsende.<br />

Die Entwicklung informationstechnischer<br />

Fertigkeiten (ebenso wie die Entwicklung der<br />

entsprechenden intellektuellen Fähigkeiten) als<br />

Teil des FITness-Konzepts gelingt jedoch nur,<br />

wenn die Lernenden selbst an den Anwendungsprogrammen<br />

arbeiten. Um diese Selbstarbeit anzuregen,<br />

mussten die Studierenden jede Woche<br />

Aufgaben bearbeiten, die einerseits inhaltlich mit<br />

dem in der Vorlesung behandelten informatischen<br />

Grundkonzepten zusammenhingen, andererseits<br />

aber eine oder mehrere der formationstechnischen<br />

Fertigkeiten fördern sollten. Die bearbeiteten Auf-<br />

gaben stellten die Studierenden allen Veranstaltungsteilnehmern<br />

über die internetbasierte Groupware<br />

BSCW (BSCW, 2005) zur Verfügung. Die<br />

Bearbeitung war freiwillig und viele Studierende<br />

konnten mit dieser Freiwilligkeit schlecht umgehen.<br />

(Sie verschoben die Bearbeitung der Aufgaben<br />

auf kurz vor der Klausur.)<br />

In der Übungszeit wurden dann einzelne Lösungen<br />

– mehr oder weniger anonym – besprochen.<br />

Ergänzt wurden diese Besprechungen noch<br />

durch sehr kurze (ca. 20 Minuten) Vorträge zu<br />

eng mit den Übungsaufgaben verbundene Themen.<br />

Zum Beispiel wurde <strong>im</strong> Zusammenhang mit<br />

der Aufgabe sich in der Online-Lernumgebung<br />

„Mathe-Prisma“ (mat, 2005)), die viele Java-<br />

Applets enthält, den RSA-Algorithmus zur Verschlüsselung<br />

zu erarbeiten, wurde Grundsätzliches<br />

zu Java-Applets besprochen. Die Themen<br />

der Vorlesungen lehnten sich eng an die Liste der<br />

informationstechnologischen bzw. informatischen<br />

Grundkonzepte des FITness-Konzepts an.<br />

3.2 Themen der Vorlesungen<br />

• Warum Informatik <strong>für</strong> Lehramt? FITness-<br />

Überblick<br />

• Computer - Komponenten, Hardware, Software<br />

• Netze / Internet<br />

• Digitale Repräsentation von Daten I / II<br />

• Informationssysteme<br />

• Informationsorganisation<br />

• Modellieren und Abstrahieren in der Informatik<br />

• Algorithmisches Denken<br />

• Programmieren<br />

• Universalität<br />

• Grenzen der Informationstechnologie<br />

• Einfluss der IT auf die <strong>Gesellschaft</strong> und den <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

Die Übungen beschäftigen sich mit so<br />

verschiedenen Dingen wie Vor- und Nachteile<br />

unterschiedlicher Graphikformate, RSA-<br />

Verschlüsselung, computergenerierten Gemälden<br />

(LOGO-Igelgraphik) oder dem „Game of Life“.<br />

Eine Übungsaufgabe bestand z.B. in der Beschriftung<br />

der Anschlüsse auf dem Bild eines<br />

Barebones-Rechners (mit einer ungewöhnlichen<br />

Anordnung auf der Rückseite). Dazu mussten die<br />

Anschlüsse identifiziert werden, aber auch die Beschriftung<br />

eines <strong>im</strong> jpg-Format vorliegenden Bildes<br />

bedarf gewisser Fertigkeiten. Manche Studierende<br />

behalfen sich mit dem Einfügen des Bildes<br />

in ein Word-Dokument und anschließender<br />

Beschriftung, andere verwendeten das vorgeschlagene<br />

freie Bildbearbeitungsprogramm IrfanView<br />

(2005). Die in den Übungen verwendete Programmiersprache<br />

war LOGO, da so der Bezug zur<br />

Grundschule unmittelbar einsichtig war und die<br />

1 Im Winterssemester 2005/06 wurde der Lehramtsstudiengang auf den Bachelor of Arts in Vermittlungswissenschaften umgestellt.<br />

51


Christine Bescherer, Flensburg<br />

ungewohnte Denkweise „Rekursion“ sehr direkt<br />

umgesetzt werden konnte.<br />

3.3 Erfahrungen und Ergebnisse<br />

Grundsätzlich ist das FITness-Konzept <strong>für</strong> eine<br />

solche Veranstaltung äußerst tragfähig. Die zeitliche<br />

Begrenzung auf ein Semester bedingt jedoch,<br />

dass die oben angesprochenen Mathematikspezifischen<br />

Aspekte wie Computeralgebrasysteme<br />

oder z.B. eine etwas ausführlichere Beschäftigung<br />

mit Modellieren nicht möglich sind. Ein<br />

großer Teil der Studierenden verfügt bei weitem<br />

nicht über die grundlegenden Kompetenzen <strong>für</strong><br />

einen sinnvollen Umgang mit Computern <strong>im</strong> Unterricht.<br />

Es macht allerdings auch weinig Sinn diese<br />

Grundlagen zu überspringen.<br />

Die Klausur wurde von 64 Studierenden<br />

mitgeschrieben, die Durchfallsquote betrug 36%<br />

(Nachklausur 20 Studierende und eine Durchfallsquote<br />

von 25%).<br />

3.4 Fragebogen zur<br />

Computernutzer-Selbstwirksamkeit<br />

(CUSE)<br />

Da Testergebnisse, insbesondere diejenigen, die<br />

<strong>im</strong> Rahmen einer „Papier“ -Klausur erhoben werden,<br />

sehr wenig oder nichts über FITness, also<br />

Sicherheit <strong>im</strong> Umgang mit Computern, aussagen<br />

können, suchte ich nach einem anderen Instrument<br />

zur Messung von Änderungen der FITness.<br />

FITness besteht sicherlich nicht nur aus einer<br />

Sammlung von Wissen und Fertigkeiten,<br />

sondern stellt eher eine auf Wissen, Fertigkeiten,<br />

Erfahrungen usw. basierende Haltung dar.<br />

Eine Beschreibungsmöglichkeit <strong>für</strong> die (Selbst-<br />

)Einschätzung von zukünftigen Verhalten bei konkreten<br />

Aufgaben ist das von Bandura (1979) entwickelte<br />

Konzept der Self-Efficacy oder Selbstwirksamkeit.<br />

Ein sehr gutes Messinstrument <strong>für</strong><br />

die Computernutzer-Selbstwirksamkeit <strong>im</strong> Kontext<br />

von Lehren und Lernen ist der 30-Item-<br />

Fragebogen zur „Computer User Self-Efficacy“<br />

von S<strong>im</strong>on Cassidy u. Peter Eachus (Cassidy &<br />

Eachus, 2002). Übersetzt wurde er von Christian<br />

Spannagel, Ludwigsburg. Er besteht aus 30 Items<br />

mit 6-teiliger Likert-Skala wie z.B. „Ich finde,<br />

dass Computer be<strong>im</strong> Lernen behindern.“ (Zust<strong>im</strong>mung<br />

möglich zwischen „trifft überhaupt nicht<br />

zu“ (1) und „trifft völlig zu“ (6)).<br />

Die Computernutzer-Selbstwirksamkeit wird<br />

durch Addition aller angekreuzten Punkte – bei<br />

Umkodierung der „umgekehrt“ formulierten Fragen<br />

– ermittelt und liegt folglich zwischen 30<br />

(sehr niedrige Selbstwirksamkeit) und 180 (sehr<br />

hohe Selbstwirksamkeit).<br />

Ein solcher Fragebogen (zusammen mit weiteren<br />

Fragebereichen, die hier aber nicht weiter<br />

erörtert werden) wurde in der ersten Vorlesung<br />

und in der letzten Übungsstunde des Sommerse-<br />

52<br />

mesters ausgeteilt. Zu Beginn füllten 70 Studierende<br />

(24 männl. / 45 weibl.) und am Ende 57 Studierende<br />

den Fragebogen aus. Durch einen anonymen<br />

Code konnten 41 „Paare“ (vorher/nachher)<br />

identifiziert werden.<br />

Im Weiteren werden nur die Ergebnisse der 41<br />

Paare betrachtet. Ein Vergleich der Mittelwerte ergibt<br />

keinen signifikanten Zuwachs an Selbstwirksamkeit.<br />

Die Mittelwerte zu Beginn des Semesters<br />

(113,41) unterscheiden sich kaum von denen am<br />

Ende (114,17). Betrachtet man die Mediane so<br />

lässt sich sogar eine Abnahme der Selbstwirksamkeit<br />

annehmen (Beginn: 116 / Ende: 115).<br />

Abbildung 6.1: Computernutzer-Selbstwirksamkeit<br />

Boxplots der Computernutzer-Selbstwirksamkeit<br />

zu Beginn (cuse) und zum Ende (cuse2) der<br />

Veranstaltungen sind in Abb. 6.1 zu sehen. Hier ist<br />

auch deutlich zu erkennen, dass sowohl das Min<strong>im</strong>um<br />

abgenommen (von 63 auf 55) wie auch das<br />

Max<strong>im</strong>um zugenommen (von 162 auf 168) hat.<br />

Um mögliche Ursachen erkennen zu können,<br />

wurden Tests (General Linear Model) auf Unterschiede<br />

zwischen den verschiedenen Gruppen mit<br />

SPSS durchgeführt. Dabei ergaben sich Hinweise,<br />

dass sich die Gruppe der Studentinnen des<br />

Lehramtsstudiengangs Grund- und Hauptschule<br />

(GHS-Frauen) statistisch signifikant von den restlichen<br />

Studierenden unterscheiden. Die Abb. 6.2<br />

zeigt den Vergleich der Boxplots.


Sicherheit <strong>im</strong> Umgang mit Informationstechnologie – Übertragung des FITness-Konzepts auf die<br />

Mathematiklehrerausbildung<br />

Abbildung 6.2: Vergleich GHS/Rest<br />

Da die GHS-Frauen mit 22 Personen etwas<br />

mehr als die Hälfte der 41 „Paare“ ausmachen,<br />

ist eine getrennte Untersuchung dieser beiden<br />

Gruppen angebracht. Erste Vermutungen legen<br />

nahe, dass diese Unterschiede sowohl mit<br />

den geringeren Vorerfahrungen in der Computernutzung<br />

sowie auch der erwarteten Notwendigkeit/Nützlichkeit<br />

<strong>im</strong> späteren Lehrerdasein zusammenhängen.<br />

Dazu ist aber eine Auswertung<br />

der weiteren (offenen) Fragebereiche der Fragenbögen<br />

notwendig.<br />

4 Fazit und Ausblick<br />

Grundsätzlich ist das theoretische Rahmenwerk<br />

des FITness-Konzepts sehr gut geeignet, um darauf<br />

eine Veranstaltung zur „Einführung in die Informatik“<br />

<strong>für</strong> Studierende verschiedener – wenig<br />

Informatik-naher – Studiengänge aufzubauen.<br />

Was bisher fehlt, ist ein entsprechendes Lehrbuch.<br />

Es gibt zwar ein englischsprachiges Lehrwerk<br />

vom Vorsitzenden der FITness-Kommission Lawrence<br />

Snyder „Fluency with Information Technology<br />

Skills, Concepts and Capabilities“ (Snyder,<br />

2005). Es ist jedoch – typisch amerikanisch<br />

– äußerst umfangreich und <strong>für</strong> Studierende in<br />

Grundstudium eher nicht zumutbar.<br />

Selbstverständlich sind weitere Untersuchungen<br />

zu Einflussfaktoren auf die Computer-Nutzer-<br />

Selbstwirksamkeit notwendig. Einerseits spielen<br />

hier sicherlich personen-spezifische Faktoren wie<br />

Vorerfahrungen und Ähnliches eine große Rolle.<br />

Andererseits haben vermutlich die Art und Methode<br />

der Vermittlung informationstechnologischer<br />

bzw. informatischer Denkweisen und Grundkonzepte<br />

eine großen Einfluss. Hierzu werden derzeit<br />

noch verschiedene Lehr-/Lernszenarien wie Vorlesungen<br />

mit integrierten Computerübungen oder<br />

ein sinnvoller Einsatz von LoDiCs (LoDiCs sind<br />

methodische Strukturen zur Vermittlung informationstechnologischer<br />

Fertigkeiten und Grundkonzept<br />

be<strong>im</strong> Bearbeiten fachspezifischer Inhalte -<br />

vgl. Bescherer (2005a)) entwickelt, erprobt und<br />

evaluiert.<br />

Literatur<br />

(2005): MathePrisma - eine wachsende Modulsammlung<br />

zur Mathematik. URL http://www.matheprisma.<br />

uni-wuppertal.de<br />

AASL (1998): Information Literacy Standards for Student<br />

Learning. URL http://www.ala.org/ala/<br />

aasl/aaslproftools/informationpower/<br />

InformationLiteracyStandards_final.pdf<br />

Bandura, Albert (1979): Self-efficacy: Toward a unifying theory<br />

of behavioral change. Psychological Review, 84, 191–215<br />

Bescherer, Christine (2005a): LoDiC — Learning on Demand<br />

in Computing. In: Proceedings of 8th IFIP World Conference<br />

on Computers in Education 2005, Capetown<br />

Bescherer, Christine (2005b): Sicherheit <strong>im</strong> Umgang mit Informationstechnologie<br />

— Ein Konzept zur „FITness“ <strong>im</strong> Computerbereich.<br />

LOG-IN, 135, 42–45<br />

BSCW (2005): Basic Support for Cooperative Work. URL<br />

http://www.bscw.de<br />

Cassidy, S<strong>im</strong>on & Peter Eachus (2002): Developing the computer<br />

user self-efficacy (CUSE) scale: Investigating the relationship<br />

between computer self-efficacy, gender and experience<br />

with computers. Journal of Educational Computing Research,<br />

26(2), 169–189<br />

IrfanView (2005): URL http://www.irfanview.com<br />

NRC (1999): Being Fluent with Information Technology. Washington,<br />

DC: National Academy Press, URL http://www.<br />

nap.edu/catalog/6482.html<br />

Snyder, Lawrence (2005): Fluency with Information Technology<br />

Skills, Concepts and Capabilities. München: Addison Wesley<br />

53


Raum <strong>für</strong> Notizen<br />

54


• Back to the roots<br />

Hans-Jürgen Elschenbroich, Düsseldorf<br />

Vom Heron-Algorithmus zum geometrischem Wurzelziehen mit dem Höhensatz. Antike Ansätze<br />

zum Wurzelziehen werden mit modernen Werkzeugen visualisiert und dynamisiert. Dadurch werden<br />

auch funktionale Aspekte verdeutlicht.<br />

„Das Wurzelziehen und ebenso das Quadrieren<br />

wird heutzutage als rein algebraische Aufgabe<br />

angesehen. In heutiger Sicht heißt es „Wird eine<br />

Zahl mit sich selbst multipliziert, so nennt man<br />

das Quadrieren.“ und „Be<strong>im</strong> Wurzelziehen (oder<br />

Radizieren) ist eine nicht-negative Zahl gesucht,<br />

die be<strong>im</strong> Quadrieren die Ausgangszahl ergibt.“<br />

(Lambacher-Schweizer, 2002)<br />

1 Quadrieren und Radizieren<br />

Eine geometrische Grundvorstellung ist da nicht<br />

mehr erkennbar. Dabei liegt sie auf der Hand:<br />

Abbildung 7.1: Quadrieren<br />

Abbildung 7.2: Radizieren<br />

Benutzt man handelsübliche Taschenrechner,<br />

so reduziert sich das Quadrieren oder Radizieren<br />

auf einen schlichten Tastendruck:<br />

Abbildung 7.3: Quadrieren, Radizieren mit dem<br />

Taschenrechner<br />

In dieser Tasten-Black-Box geht selbst das<br />

in der algebraischen Definition erwähnte Suchen<br />

nach der passenden Zahl unter, geschweige denn<br />

dass irgendwie durchsichtig wird, wie denn diese<br />

Zahl gesucht wird. Die Schüler haben üblicherwiese<br />

ein rein algebraisches Verständnis von Wurzeln<br />

und meist gar keins davon, wie diese Wurzeln<br />

denn <strong>im</strong> Taschenrechner ermittelt werden. Dies<br />

war nicht <strong>im</strong>mer so, die antiken Ursprünge sind<br />

eindeutig geometrischer Art.<br />

2 Heron-Algorithmus<br />

Diese Berechnung von √ A wird durch die Formel<br />

von HERON gesteuert:<br />

xn+1 = xn + A xn<br />

2<br />

Mathematisch gesehen wird dadurch eine konvergente<br />

Folge von Zahlen (xn) produziert. In moderner<br />

informatischer Sicht liegt ein Algorithmus<br />

vor, der durch eine WHILE-Schleife oder durch<br />

eine Rekursion realisiert wird. Aber warum liefert<br />

diese Vorschrift (näherungsweise) die gesuchte<br />

Wurzel? Und wie kam vor zweitausend Jahren<br />

HERON VON ALEXANDRIA auf die Formel? Was<br />

kann uns sein Ansatz heute noch geben?<br />

3 HERONS Ansatz<br />

Die in der Antike übliche Deutung eines Produkts<br />

a · b war geometrischer Art, als Flächeninhalt eines<br />

Rechtecks mit den Seitenlängen a und b. Daraus<br />

resultierte auch eine geometrische Deutung<br />

der Wurzel einer Zahl, nämlich als Seitenlänge<br />

eines Quadrates mit dem betreffenden Flächeninhalt.<br />

HERONS Idee bestand dann darin, ein Rechteck<br />

unter Beibehaltung seines Flächeninhalts A<br />

<strong>im</strong>mer „quadratischer“ machen. Er produzierte<br />

eine Folge von flächengleichen Rechtecken, die<br />

gegen ein Quadrat konvergierten. Die Seitenlänge<br />

des intuitiv als existent erkannten „Grenzquadrats“<br />

ist dann die Wurzel aus dem Flächeninhalt.<br />

Bleibt noch die Frage zu klären: Wie sieht ein<br />

kanonisches √ Startrechteck <strong>für</strong> die Berechnung von<br />

A aus? HERON suchte wohl <strong>für</strong> den Startwert<br />

(<strong>für</strong> eine Seitenlänge) die zu A nächst gelegene<br />

Quadratzahl. Für die Berechnung von als Beispiel<br />

wäre dies 9 = 32 , der Startwert <strong>für</strong> x wäre also 3<br />

(und <strong>für</strong> y zwangsläufig 10<br />

3 ). So gehen auch die<br />

Schulbücher heute noch vor, weil dadurch Iterationsschritte<br />

zu sparen sind.<br />

Wenn man aber <strong>im</strong> Zeitalter moderner Werkzeuge<br />

eine Ersparnis von zwei Iterationsschritten<br />

vernachlässigt und stattdessen mehr Wert auf ein<br />

kanonisches Startrechteck legt, kommt man zu einem<br />

Rechteck mit den Seitenlängen 1 und A, das<br />

<strong>im</strong>mer den gewünschten Flächeninhalt A hat.<br />

55


Hans-Jürgen Elschenbroich, Düsseldorf<br />

Abbildung 7.4: Kanonisches Startrechteck<br />

Nach einigen Iterationsschritten — die man<br />

am besten mit einem Makro erledigt — erhält man<br />

dann folgendes Bild, das auch die Konvergenz visualisiert:<br />

Abbildung 7.5: Heron-Algorithmus geometrisch<br />

Durch diese dynamische, geometrische Visualisierung<br />

kommt automatisch eine funktionale<br />

Fragestellung ins Blickfeld: Auf welcher Linie<br />

liegen denn die markierten Eckpunkte der flächengleichen<br />

Rechtecke?<br />

4 Wurzelschnecke<br />

HERON war ein antiker Ingenieur und angewandter<br />

Mathematiker. Mit seinem Ansatz ist eine einfache<br />

und heute noch genutzte Berechnung einer<br />

Quadratwurzel möglich geworden. Eine zeichnerische<br />

Konstruktion von <strong>für</strong> war schon lange vor<br />

ihm bekannt. Für natürliche Zahlen erfolgte sie<br />

mit der bekannten „Wurzelschnecke“ nach PY-<br />

THAGORAS.<br />

Abbildung 7.6: Wurzelschnecke <strong>für</strong> √ 9<br />

Diese geniale Konstruktion versagt allerdings<br />

<strong>für</strong> nicht-natürliche Zahlen. Ein allgemeinerer<br />

geometrischer Ansatz <strong>für</strong> diese Aufgabe ist aber<br />

auch schon seit EUKLID bekannt.<br />

56<br />

5 Wurzelziehen nach EUKLID<br />

Genaugenommen sind es sogar zwei Ansätze. Ein<br />

Ansatz basiert auf dem Denken in Proportionen<br />

(was schon lange kaum noch gepflegt wird): „Zu<br />

zwei gegebenen Strecken die Mittlere Proportionale<br />

zu finden.“ (Euklid, 2003, Sechstes Buch,<br />

§ 13) Ein anderer Ansatz beruht auf dem Höhensatz:<br />

„Ein einer gegebenen geradlinigen Figur<br />

gleiches Quadrat zu errichten.“ (Euklid, 2003,<br />

Zweites Buch, § 14)<br />

Abbildung 7.7: Figur aus Euklid (2003, Zweites<br />

Buch, § 14)<br />

Dies ist nicht nur uns eingängiger, sondern<br />

bietet vor allem Möglichkeiten zur Dynamisierung<br />

mit geeigneter Software (Elschenbroich,<br />

2002; Elschenbroich & Seebach, 2003).<br />

Abbildung 7.8: Geometrisches Wurzelziehen<br />

Auch hier kommt wieder das oben schon erwähnte<br />

kanonische Startrechteck zum Einsatz und<br />

erhält als Überbau die Höhensatz-Figur. Mit moderner<br />

Geometrie-Software lässt sich nun diese<br />

Figur dynamisieren und es ergeben sich wieder<br />

funktionale Fragestellungen: Welche Ortslinie<br />

durchläuft H, wenn A variiert wird?


Abbildung 7.9: Wurzelfunktion geometrisch<br />

Man erhält so einen rein geometrischen Weg<br />

zur Wurzelfunktion!<br />

6 Fazit<br />

Back to the roots<br />

Die Rückbesinnung auf klassische geometrische<br />

Ansätze gibt uns Visualisierung, tieferes Verständnis<br />

und Einsicht in die Zusammenhänge. Durch<br />

die Dynamik geeigneter Dynamischer Geometrie-<br />

Software wie Euklid-DynaGeo oder Cabri II kommen<br />

heutzutage automatisch moderne funktionale<br />

Fragestellungen mit ins Spiel. Wir erhalten eine<br />

fruchtbare Verbindung von Funktionen & Algebra<br />

mit Geometrie, deren Vernetzung ein tieferes Verständnis<br />

von Wurzel und zugehörigen Algorithmen<br />

ermöglicht.<br />

Literatur<br />

Elschenbroich, Hans-Jürgen (2002): Geometrisches Wurzelziehen<br />

mit dem Heron-Verfahren. MNU, 55(5)<br />

Elschenbroich, Hans-Jürgen & Günter Seebach (2003): Dynamisch<br />

Geometrie entdecken. Elektronische Arbeitsblätter mit<br />

Euklid-DynaGeo, Klasse 9. CoTec<br />

Euklid (2003): Die Elemente. 4. Auflage, Nummer 235 in<br />

Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften, Verlag Harri<br />

Deutsch<br />

Lambacher-Schweizer (Hg.) (2002): Lambacher-Schweizer 9.<br />

Ernst Klett Schulbuchverlag<br />

57


Raum <strong>für</strong> Notizen<br />

58


• Laufzeitanalysen, Wachstumsfunktionen und<br />

asymptotische Untersuchungen<br />

Martin Epkenhans, Paderborn<br />

Die <strong>im</strong> Informatikunterricht behandelten Sortieralgorithmen, Algorithmen auf Datenstrukturen und<br />

mathematischen Algorithmen sind problemlos auch außerhalb der Informatik verständlich. Zur Bewertung<br />

von Algorithmen sind asymptotische Laufzeituntersuchungen unentbehrlich. Dabei ist es<br />

wichtig, einerseits einen qualitativen Unterschied zwischen etwa logarithmischem, linearem, quadratischem<br />

und exponentiellen Wachstum zu erkennen, aber auch andererseits zu begreifen, dass es<br />

auf die genaue Laufzeit nicht ankommt. Leicht verständliche Fragestellungen der Informatik motivieren<br />

so interessante Untersuchungen in der Analysis.<br />

1 Einleitung<br />

In den letzten Jahren hat sich der <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

scheinbar durch den Einfluss der Informatik<br />

geändert. Viele Lehrpläne betonen den Anwendungsbezug<br />

der Mathematik. Die Informatik hat<br />

sich verstärkt zu einer Wissenschaft entwickelt,<br />

die längerfristig gültige und tragfähige Grundlagenkonzepte<br />

entwickelt. Leider wird <strong>im</strong>mer noch<br />

der Einsatz von Informatikwerkzeugen wie dem<br />

Computer mit einer Einbeziehung der Informatik<br />

und einer Kooperation mit dem Fach Informatik<br />

gleichgesetzt. So findet man unter dem Stichwort<br />

Informatik in den Richtlinien Mathematik NRW<br />

(1999) Unterrichtbeispiele, die mit dem Hinweis<br />

„Computereinsatz sinnvoll“ versehen sind. Der<br />

Einsatz graphikfähiger Taschenrechner, von Tabellenkalkulationsprogrammen<br />

und Computeralgebrasystemen<br />

vermittelt hingegen keinen Einblick<br />

in das Fach Informatik.<br />

Im Folgenden sollen andere Impulse aus dem<br />

Informatikunterricht <strong>für</strong> den <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

geschildert werden, die sich durch das Unterrichten<br />

von Leistungskursen in beiden Fächern<br />

an einem Berufskolleg entwickelt haben. Dabei<br />

wird die Max<strong>im</strong>e verfolgt, dass die Mathematik<br />

ein eigenständiges Fach mit einer langen Tradition<br />

ist, die einen kulturellen Wert an sich hat und<br />

nicht der Rechtfertigung durch ihre Anwendung<br />

in der scheinbar realen Welt braucht. Die aktuellen<br />

Veränderungen der Anforderungen an den <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

durch Einbeziehung neuer Medien,<br />

Techniken und Anwendungen werden <strong>im</strong>mer<br />

von der Frage, welche Inhalte nun dem Zeitgeist<br />

zu opfern sind, begleitet. Dabei werden häufig<br />

mathematische Denkweisen wie etwa die vollständige<br />

Induktion oder die korrekte Fassung des<br />

Grenzwertbegriffs gewählt. Aus Sicht der Informatik<br />

sollten diese urmathematischen Themen,<br />

die früher auch ohne den Blick auf die Informatik<br />

von Bedeutung waren, weiter gelehrt werden. Die<br />

ausschnittweise Beleuchtung des Informatikunterrichts<br />

in diesem Beitrag soll aufzeigen, das klassische<br />

Themen des <strong>Mathematikunterricht</strong>s mit einer<br />

anderen Akzentuierung auch von außen betrachtet<br />

weiterhin ihren Wert <strong>für</strong> den Unterricht haben.<br />

Viele Lehrpläne und didaktischen Rechtfertigungen<br />

mathematischer Lehrinhalte basieren auf<br />

dem Begriff der zentralen Idee bzw. dem Konzept<br />

der fundamentalen Idee. Hieran orientiert sich inzwischen<br />

auch die Didaktik der Informatik, die in<br />

einer zaghaften Entwicklung begriffen ist (Schubert<br />

& Schwill, 2004). Betrachtet man diese Konzepte<br />

beider Fächer, so findet man eine gemeinsame<br />

Idee, die Idee des Algorithmus. Diese Idee<br />

steht nun <strong>im</strong> Zentrum der Betrachtung.<br />

2 Algorithmen in der Informatik<br />

Neben Sortieralgorithmen werden <strong>im</strong> Informatikunterricht<br />

häufig Zugriffsalgorithmen auf Datenstrukturen<br />

wie etwa Liste, Stapel, Schlange und<br />

Baum thematisiert. Teilweise werden Faktorisierungsverfahren<br />

und Pr<strong>im</strong>zahltests <strong>im</strong> Zusammenhang<br />

mit der Kryptologie betrachtet.<br />

2.1 Sortieralgorithmen<br />

Zunächst soll eine ungeordnete, nach einem Kriterium<br />

sortierbare Menge von Objekten in eine Reihenfolge<br />

gebracht werden. So sollen etwa Wörter<br />

alphabetisch sortiert werden, Schüler der Körpergröße<br />

nach aufgestellt werden oder größere<br />

Mengen von Datensätzen wie z.B. Schülerstammblätter<br />

nach einem Schlüssel sortiert werden (erst<br />

nach Klassen, dann nach Nachnamen und Vornamen).<br />

2.2 Algorithmen und Datenstrukturen<br />

Algorithmisch interessant sind insbesondere Zugriffsmethoden<br />

auf Listen und binäre Suchbäume.<br />

Beide Strukturen beinhalten eine Menge von<br />

Objekten. Einfügen, Entfernen und Ändern von<br />

Objekten, das Suchen von Einträgen nach einem<br />

vorgegebenen Schlüssel ebenso wie die Ausgabe<br />

sämtlicher Objekte nach einem vorgegebenen Kriterium<br />

gehören zu den Standardzugriffsmethoden<br />

auf diese Datenstrukturen.<br />

2.3 <strong>Informatische</strong> Betrachtung von<br />

Algorithmen<br />

Neben dem Implementieren behandelt die Informatik<br />

weitere Aspekte von Algorithmen, die eine<br />

59


Martin Epkenhans, Paderborn<br />

Nähe zur Mathematik darstellen, da sie Mathematik<br />

benutzten.<br />

Algorithmen müssen korrekt sein, d.h. terminieren<br />

und das gestellte Problem tatsächlich<br />

lösen. Sie sollen eine möglichst große Klasse<br />

gleichartiger Probleme lösen, berechenbar, effizient<br />

und schnell sein. Nebenbei soll der benötigte<br />

Speicherbedarf nicht zu sehr mit der Größe des<br />

Problems wachsen.<br />

Die Richtlinien des Informatikunterrichts sehen<br />

eine Bewertung von Algorithmen vor. Hierzu<br />

bedarf es der Mathematik.<br />

Im <strong>Mathematikunterricht</strong> ist man häufig damit<br />

zufrieden, wenn ein gestelltes Problem konstruktiv<br />

gelöst werden kann. Insbesondere komfortable<br />

Taschenrechner haben etwa Verfahren wie<br />

das Hornerschema aus dem Unterricht verbannt.<br />

GgT und kgV werden weiterhin mit Hilfe einer<br />

Pr<strong>im</strong>faktorzerlegung best<strong>im</strong>mt, obwohl gerade die<br />

Kryptologie die Grenzen dieser Verfahren aufzeigt<br />

und benutzt.<br />

3 Anforderungen an den<br />

<strong>Mathematikunterricht</strong> aus Sicht<br />

der Informatik<br />

3.1 Korrektheitsbeweise<br />

Das Sortierverfahren BubbleSort zum Sortieren<br />

einer endlichen Folge a1,...,an besteht aus zwei<br />

Schritten. Zunächst wird durch Vergleichen und<br />

etwaiges Vertauschen das größte Element an die<br />

ganz rechte Position gebracht. Dazu werden der<br />

Reihe nach benachbarte Elemente ai und ai+1 verglichen.<br />

Ist das linke Element kleiner als das rechte,<br />

so tauschen beide Elemente ihre Positionen.<br />

Danach werden die Elemente an den ersten n − 1<br />

Stellen auf die gleiche Art sortiert.<br />

Warum erhält man nun eine der Größe nach<br />

sortierte Liste der Elemente?<br />

Im Unterricht empfiehlt sich an dieser Stelle<br />

ein exemplarisches Arbeiten mit natürlichen Zahlen,<br />

da der Begriff der sortierten Folge vorerst<br />

nicht thematisiert und die Eigenschaften linear geordneter<br />

Mengen nicht herausgearbeitet werden<br />

müssen. Die Schüler können dann intuitiv argumentieren:<br />

„Es gibt ein größtes Element. Falls dieses<br />

nicht schon ganz rechts steht, wird es bei irgendeinem<br />

Vergleich zu einem Vertauschen benachbarter<br />

Elemente zwingen. Bei den nun folgenden<br />

Vergleichen gewinnt dieses Element <strong>im</strong>mer<br />

und rutscht so nach ganz rechts. Danach wird<br />

das größte Element der verbleibenden n − 1 Elemente<br />

auf die zweit rechte Position gebracht. Dieses<br />

ist aber das zweitgrösste Element. So geht es<br />

dann weiter, bis alle Elemente an der richtigen<br />

Stelle stehen.“<br />

Formal korrekt ist an dieser Stelle ein Beweis<br />

mit Hilfe der vollständigen Induktion.<br />

60<br />

Gewöhnlich zweifeln Schüler nicht an der<br />

Eindeutigkeit der Lösung. Ebenso wenig bezweifeln<br />

sie, dass das Ergebnis von der Startreihenfolge<br />

oder vom gewählten Sortierverfahren abhängt.<br />

Um nun Schüler <strong>für</strong> diese Problematik zu sensibilisieren,<br />

wählt man andere Beispiele. So stehen<br />

<strong>im</strong> Telefonbuch verschiedene Teilnehmer mit gleichen<br />

Namen. Da die Körpergröße in cm angegeben<br />

wird, können Schüler gleich groß sein. Eine<br />

eindeutige Reihenfolge existiert in diesen Fällen<br />

vorerst nicht. Auf diesem Wege kann man die Anforderungen<br />

herausarbeiten, die man an eine Lösung<br />

des Sortierproblems stellt. Schrittweise nähert<br />

man sich der Definition einer linearen Ordnung.<br />

Zum Beweis der Korrektheit von Bubblesort<br />

<strong>für</strong> linear geordnete Mengen sind somit die<br />

vollständige Induktion wie auch axiomatisches<br />

Denken aus der Mathematik erforderlich.<br />

3.2 Laufzeituntersuchungen<br />

Gewöhnlich werden <strong>im</strong> Unterricht unterschiedliche<br />

Sortierverfahren behandelt. Durch eine offene<br />

Aufgabenstellung wird selten nur ein Sortierverfahren<br />

von den Schülern entwickelt. Weiter<br />

kann durch gezielte Aufgabenstellungen das<br />

Entwickeln unterschiedlicher Verfahren gefördert<br />

werden.<br />

So produziert das Einsortieren von Karteikarten<br />

in einen Karteikasten schnell das Verfahren<br />

Sortieren durch Einfügen. Be<strong>im</strong> Sortieren eines<br />

großen Stapels von Büchern neigt man eher dazu,<br />

die Bücher zunächst in zwei Stapel zu teilen.<br />

Sollen 10 <strong>im</strong> Raum stehende Schüler der Körpergröße<br />

nach aufgestellt werden, so sucht man sich<br />

erstmal den größten, dann den zweitgrössten etc.<br />

und erzeugt so eine Reihenfolge. Damit stellt sich<br />

irgendwann die Frage nach dem besten Verfahren.<br />

Das gewöhnlich erstgenannte Kriterium ist hier<br />

die Schnelligkeit. Dazu kann man anfangs exper<strong>im</strong>entell<br />

vorgehen. Mittels eines Zufallsgenerators<br />

werden unterschiedliche große Zahlenfolgen erzeugt.<br />

Die CPU-Zeit zum Sortieren wird gestoppt<br />

und die Werte werden in eine Grafik eingetragen.<br />

Um einen funktionalen Zusammenhang herzustellen,<br />

bedarf es stochastischer Methoden.<br />

Bubblesort benötigt zum Sortieren von n Elementen<br />

n(n−1)<br />

2 Schlüsselvergleiche. Bei der Behandlung<br />

konkreter Beispiele <strong>im</strong> Unterricht werden<br />

die letzten Durchläufe von den Schülern häufig<br />

nicht mehr durchgeführt, da man sieht, dass<br />

die Folge bereits sortiert ist. So stellt man bei einer<br />

aufsteigende sortierten Folge in einem Durchlauf<br />

mit n − 1 Vergleichen fest, dass weitere Vergleiche<br />

unnötig sind. Diese Beobachtung führt zur<br />

ersten Verbesserung des Verfahrens Bubblesort.<br />

Bei diesem verbesserten Bubblesort besteht kein<br />

funktionaler Zusammenhang zwischen der Eingabegröße<br />

und der Laufzeit. Somit sind theoreti-


Laufzeitanalysen, Wachstumsfunktionen und asymptotische Untersuchungen<br />

sche Untersuchungen erforderlich. Man führt die<br />

Begriffe worst-case, best-case undaverage-case-<br />

Analyse ein. Da Algorithmen unabhängig von der<br />

gewählten Maschine bewertet werden sollen, benötigt<br />

man ein Maß <strong>für</strong> die Laufzeit. Hier bietet<br />

sich die Anzahl der durchgeführten Schlüsselvergleiche<br />

an. Im schlechtesten Fall sind es bei Bubblesort<br />

(n − 1)+(n − 2)+···+ 2+1 Vergleiche,<br />

<strong>im</strong> besten Fall n−1 Eine stochastische Analyse ist<br />

gewöhnlich <strong>für</strong> den Unterricht zu anspruchsvoll.<br />

Nun sind wir in der Theorie der Folgen und<br />

Reihen und be<strong>im</strong> Beweis von Gauß’ Formel<br />

n<br />

∑ =<br />

i=1<br />

n(n − 1)<br />

2<br />

angelangt. Damit erneut bei der vollständigen Induktion.<br />

Die Laufzeit von Bubblesort ist also bestenfalls<br />

linear, schlechtestens quadratisch in der<br />

Anzahl der Eingabedaten.<br />

Das Sortierverfahren Mergesort ist ein Divideand<br />

Conquer Verfahren. Eine Folge a1,...,an<br />

wird in zwei nahezu gleich große Teile geteilt, die<br />

wieder nach dem gleichen Verfahren zu zwei Folgen<br />

a1,...ak und b1,...bl mit k+l = n, |k−l| ≤ 1<br />

sortiert werden. Abschliessend mischt man beide<br />

Folgen zur Ergebnisfolge zusammen indem man<br />

jeweils das kleinere der beiden am Anfang der<br />

zwei Folgen stehende Element an die Ergebnisfolge<br />

anhängt.<br />

Bei der Laufzeitanalyse betrachtet man die<br />

Fälle 1,2,4,8,...,2 l ,..., da so eine Einteilung in<br />

gleich große Teile in jedem Teilungsschritt möglich<br />

ist. Die Anzahl der Schlüsselvergleiche entn<strong>im</strong>mt<br />

man folgender Tabelle<br />

l n best case worst case<br />

1 2 1 1<br />

2 4 4 5<br />

3 8 12 17<br />

4 16 32 49<br />

Man erhält zunächst die folgenden Rekursionsformeln:<br />

und<br />

T best(2 l+1 ) = 2 · T best(2 l )+2 l<br />

Tworst(2 l+1 ) = 2 · Tworst(2 l )+2 l+1 − 1.<br />

Die Suche nach expliziten Formeln gestaltet<br />

sich etwas schwieriger. Wir erhalten<br />

und<br />

T best(2 l ) = l · 2 l−1<br />

Tworst(2 l ) = (l − 1) · 2 l + 1<br />

Offensichtlich ist die worst-case Laufzeit <strong>für</strong><br />

l > 1 auch zahlenmäßig schlechter als die Laufzeit<br />

<strong>im</strong> besten Fall, so wie wir es bereits bei Bubblesort<br />

gesehen haben. Ein asymptotischer Laufzeitvergleich<br />

liefert hier jedoch in beiden Fällen eine<br />

Laufzeit der Größenordnung nlog(n). An dieser<br />

Stelle kann man noch einmal thematisieren,<br />

dass die exakte Laufzeit <strong>im</strong> besten Fall wie <strong>im</strong><br />

schlechtesten Fall noch von weiteren Faktoren abhängt.<br />

Eine Bewertung des Algorithmus kann daher<br />

nur eine asymtotische Untersuchung sein. Nun<br />

kann man auch problemlos Mergesort, Bubblesort<br />

und eventuell andere Sortierverfahren miteinander<br />

vergleichen.<br />

Das Sortieren durch Einfügen bietet sich insbesondere<br />

bei sich dynamisch verändernden Mengen<br />

wie etwa Adressenlisten an. Bei großen Mengen<br />

von Karteikarten legt man sich Register an.<br />

Diese Beobachtung kann man <strong>im</strong> Unterricht bis<br />

zur Entwicklung binärer Suchbäume weiterentwickeln.<br />

Einfügen, Suchen und Löschen ist in<br />

einem balancierten Suchbaum in logarithmischer<br />

Zeit möglich. Die Anzahl der Blätter eines vollständigen<br />

Baumes wächst exponentiell in Abhängigkeit<br />

der Höhe.<br />

Listen wir nun kurz die mathematischen Methoden<br />

und Themen auf, die wir in der exemplarischen<br />

Beleuchtung des Informatikunterrichts benötigt<br />

haben.<br />

• vollständige Induktion<br />

• axiomatisches Denken<br />

• asymptotische Untersuchungen<br />

• Funktionen:<br />

lineare Funktionen, quadratische Funktionen,<br />

Polynome, Logarithmen,<br />

Exponentialfunktionen, Folgen<br />

Stellt der <strong>Mathematikunterricht</strong> diese Inhalte<br />

in der gewünschten Form bereit? Auf den ersten<br />

Blick mag man diese Frage bejahen, eine genauere<br />

Analyse zeichnet jedoch ein anderes Bild. Die<br />

vollständige Induktion ist weit gehend aus den<br />

Lehrplänen und Büchern verschwunden. Axiomatisches<br />

Denken ist nur <strong>im</strong>plizit vorhanden, wird<br />

aber nicht gesondert betrachtet. In der Schule werden<br />

vielfach konkrete Objekte betrachtet. In Modellen<br />

einer Theorie wie etwa der Gruppentheorie<br />

arbeitet man kaum bis gar nicht. Da eine axiomatische<br />

Beschreibung der reellen Zahlen fehlt, ist<br />

meist auch der Körperbegriff nicht mehr Unterrichtsgegenstand.<br />

Asymptotische Untersuchungen finden bei gebrochen<br />

rationalen Funktionen statt, asymptotische<br />

Vergleiche von Funktionen sind manchmal<br />

<strong>im</strong>plizit bei Grenzwertbetrachtungen zu finden.<br />

Die zitierten Funktionsklassen werden <strong>im</strong> Unterricht<br />

behandelt und sind entsprechend obiger<br />

Einteilung auf Jahrgangsstufen verteilt. Bei linearen<br />

Funktionen werden Steigungen diskutiert,<br />

61


Martin Epkenhans, Paderborn<br />

bei quadratischen Funktionen die Nullstellen und<br />

die Auswirkung der Parameter auf den Graphen<br />

der Funktion. Polynome werden als ganz rationale<br />

Funktionen in der Differentialrechnung diskutiert.<br />

Logarithmen werden <strong>im</strong> Kontext der Potenzbildung<br />

als eine Umkehrung neben dem Wurzelziehen<br />

und später <strong>im</strong> Kontext von Wachstumsuntersuchungen<br />

betrachtet. Bei Untersuchung von<br />

Wachstumsprozessen, die unseren informatischen<br />

Untersuchungen nahe kommen, wird gewöhnlich<br />

nur lineares und exponentielles, manchmal auch<br />

logistisches Wachstum betrachtet. Die Klassenbildung<br />

der Funktionen <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong> ist<br />

an der jeweiligen Fragestellung orientiert. Die Informatik<br />

hingegen teilt die Funktionen entsprechend<br />

ihres asymptotischen Verhaltens ein.<br />

4 Realisierungen <strong>im</strong><br />

<strong>Mathematikunterricht</strong><br />

Der <strong>Mathematikunterricht</strong> sollte die vollständige<br />

Induktion erneut <strong>im</strong> Kontext des Folgenbegriffs<br />

lehren. Ein Wechsel zwischen rekursiven Definition<br />

und expliziten Formeln <strong>für</strong> Folgen ist wünschenswert.<br />

Die Einführung der O-Notation, die<br />

auch <strong>im</strong> Informatikunterricht stattfinden könnte,<br />

böte <strong>für</strong> die Mathematik den Vorteil, das gewisse<br />

formale Konzepte des Grenzwertbegriffs von<br />

Folgen vorbereitet oder wiederholt werden könnten.<br />

Die zur Laufzeituntersuchungen notwendigen<br />

asymptotischen Untersuchungen können als<br />

eigenständiger Komplex nach den Untersuchungen<br />

von Wachstumsprozessen durchgeführt werden.<br />

Alternativ kann auch die Wachstumstheorie<br />

anders aufgezogen werden. Die Beispiele, die<br />

in Schulbüchern zu finden sind, kommen gewöhnlich<br />

aus der Finanzmathematik, der Biologie<br />

(Bevölkerungswachstum, Bakterienwachstum<br />

etc.) oder der Atomphysik. Die Betrachtung bi-<br />

62<br />

närer Suchbäume an dieser Stelle hat den großen<br />

Vorteil, dass fast ohne Vorkenntnisse aus einem<br />

anderen Fach gearbeitet werden kann. Am vollständigen<br />

Binärbaum kann man sehr schön exponentielles<br />

und logarithmisches Wachstum und die<br />

Korrespondenz von Funktion und Umkehrfunktion<br />

erfahren. Gleichzeitig erfahren die Schüler,<br />

dass das Modell eines Baumes, welches aus der<br />

Stochastik bekannt ist, auch in anderen Zusammenhängen<br />

nützlich ist.<br />

Der asymptotische Vergleich von polynomiellen<br />

Laufzeiten kann <strong>im</strong> Kontext der gebrochen<br />

rationalen Funktionen erfolgen. Man lernt, dass<br />

ein nicht sichtbarer Unterschied der Graphen von<br />

fn(x) = x n , n ∈ N <strong>für</strong> große x doch einen qualitativen<br />

Unterschied der Funktionen beinhaltet, hingegen<br />

niedrige Terme keine Auswirkung haben.<br />

Letztere Eigenschaft kennt man von gebrochen rationalen<br />

Funktionen, bei denen das Verhalten mit x<br />

nur von den Exponenten der Zähler- und Nennerpolynome<br />

und evtl. den Leitkoeffizienten abhängt.<br />

5 Schlussbemerkung<br />

Eine andere Akzentuierung mathematischer Inhalte<br />

verbunden mit einer Wiederbelebung verstoßener<br />

Inhalte des <strong>Mathematikunterricht</strong>s leistet<br />

somit eine wertvolle Hilfe <strong>für</strong> die Analyse und<br />

Bewertung von Algorithmen <strong>im</strong> Informatikunterricht.<br />

Literatur<br />

Epkenhans, Martin (2005): Alte mathematische Themen aus<br />

Sicht der Informatik. MNU, 58(3), 155–158<br />

Schubert, Sigrid & Andreas Schwill (2004): Didaktik der Informatik.<br />

Heidelberg, Berlin: Spektrum Akademischer Verlag<br />

Ministerium <strong>für</strong> Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und<br />

Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.) (1999):<br />

Richtlinien und Lehrpläne <strong>für</strong> die Sekundarstufe II – Gymnasium<br />

und Gesamtschule, Mathematik. Nummer 4720 in Schriftenreihe<br />

Schule in NRW, Ritterbach Verlag


• Dynamische Aspekte von Parameterdarstellungen:<br />

Generieren von Bewegungsbahnen sowie von Geraden<br />

und Kurven als Punktmengen<br />

Andreas Filler, Heidelberg<br />

Die Einbeziehung von Computervisualisierungen und die Erstellung einfacher An<strong>im</strong>ationen durch<br />

die Schüler können dazu beitragen, bei der Behandlung von Parameterdarstellungen von Geraden<br />

und anderen geometrischen Objekten oft vernachlässigte Gesichtspunkte — insbesondere den Punktmengengedanken,<br />

funktionale Zusammenhänge sowie dynamische Aspekte — einzubeziehen und<br />

„mit Leben zu erfüllen“. In diesem Beitrag werden hier<strong>für</strong> anhand von Geraden und Ebenen sowie<br />

als Bahnkurven aufgefassten Kreisen, Spiralen, Schraubenlinien und Wurfparabeln Vorschläge<br />

unterbreitet und Vorgehensweisen unter Verwendung der 3D-Grafiksoftware POV-Ray sowie (alternativ<br />

dazu) des CAS MuPAD skizziert. Die Einbeziehung elementarer Arbeitsweisen der Informatik<br />

(Nutzung von Schleifen und Prozeduren) kann u. a. dazu dienen, mithilfe einfacher Verfahren, die<br />

sehr oft ausgeführt werden, komplexe Objekte zu erzeugen — dies wird anhand von Darstellungen<br />

geometrischer Objekte als Punktmengen verdeutlicht.<br />

Für alle in diesem Beitrag beschriebenen Inhalte stehen Beispieldateien, Videos und ergänzende Materialien<br />

auf der Internetseite http://www.afiller.de/3dcg (unter der Rubrik Downloads<br />

& Links) zur Verfügung.<br />

1 Einleitung, Problemlage<br />

Parameterdarstellungen von Geraden und Ebenen<br />

gehören zu den Standardinhalten des Unterrichts<br />

in analytischer Geometrie. Meist folgen dabei<br />

nach einer Einführung der Parameterdarstellungen<br />

sehr schnell Aufgaben zur Umformung<br />

von Parameter- in Koordinatenform und umgekehrt<br />

sowie zur Untersuchung von Lagebeziehungen,<br />

der Best<strong>im</strong>mung von Schnittpunkten sowie<br />

(meist etwas später) zu Abstands- und Winkelberechnungen.<br />

Zwei wichtige, miteinander verbundene,<br />

Aspekte der analytischen Geometrie, die anhand<br />

der Parameterdarstellungen gut verfolgt werden<br />

könnten, kommen dabei nicht in ausreichendem<br />

Maße zur Geltung: 1<br />

• Die Schüler gelangen höchstens in Ansätzen<br />

zu einer Auffassung geometrischer Objekte als<br />

Punktmengen. 2<br />

• Der funktionale Zusammenhang zwischen dem<br />

Parameter (bzw. den Parametern) und den zugehörigen<br />

Punkten wird von den Schülern meist<br />

nicht erkannt. Das Erkennen dieses Zusammenhangs<br />

setzt eine Sicht auf geometrische Objekte<br />

als Punktmengen natürlich voraus, geht aber<br />

darüber noch insofern hinaus, als die Abhängigkeit<br />

der Lage von Punkten <strong>im</strong> Raum von dem<br />

Parameter bzw. den Parametern zu erfassen ist. 3<br />

Als didaktische Ansätze, die Herausbildung<br />

auf den konkret-gegenständlichen Aspekt eingeengter<br />

Konzepte von Parameterdarstellungen bei<br />

Schülern zu vermeiden sowie den Punktmengengedanken<br />

und den Schwerpunkt des funktionalen<br />

Zusammenhangs stärker einzubeziehen, bieten<br />

sich vor allem zwei Herangehensweisen an (vgl.<br />

auch MaDiN, 2004):<br />

• Die Schüler konstruieren die zu einigen Parameterwerten<br />

gehörenden Punkte bei einer Parameterdarstellung<br />

der Form P = P0 + t�a und erkennen<br />

dabei, dass diese Punkte auf einer Geraden<br />

liegen. Davon ausgehend können Parametergleichungen<br />

von Geraden eingeführt werden;<br />

auch die parameterabhängige Beschreibung verschiedener<br />

Kurven ist so möglich. Des Weiteren<br />

bieten sich Umkehrüberlegungen an, bei denen<br />

zu einzelnen Punkten von Geraden bzw. Kurven<br />

ermittelt wird, welchem Wert des Parameters sie<br />

zugeordnet sind. Vergleiche verschiedener Parametrisierungen<br />

derselben Objekte erscheinen in<br />

diesem Zusammenhang ebenfalls sinnvoll.<br />

• Es lässt sich die dynamische Sicht auf Geraden<br />

und andere Kurven als Bahnkurven hervorheben,<br />

wodurch die Schüler mit dem Parameter<br />

eine konkrete Bedeutung verbinden. Die Interpretation<br />

des Parameters als Zeit stellt Bezüge<br />

zur Beschreibung von Bewegungen in der Phy-<br />

1Als weiteres Defizit ist die vielfach beklagte Einengung auf die Betrachtung von linearen Objekten (Geraden und Ebenen) zu<br />

nennen.<br />

2Wittmann (2003, 377ff) untersuchte auf Parametergleichungen von Geraden bezogene Schülerkonzepte und stellte fest, dass Schüler<br />

diese oft nicht als Gleichungen ansahen, die Mengen von Punkten in Abhängigkeit von Parametern beschreiben, sondern lediglich<br />

den Aufpunkt und den Richtungsvektor als „kennzeichnend“ <strong>für</strong> die beschriebene Gerade betrachteten (vgl. auch Tietze, 2000, S.<br />

140ff).<br />

3Dies ist <strong>für</strong> zweiparametrige Objekte (Ebenen und Flächen) deutlich komplizierter als <strong>für</strong> einparametrige Gebilde, weshalb Überlegungen,<br />

wie Schüler funktionale Zusammenhänge zwischen Parametern und dadurch beschriebenen Punkten erfassen und verinnerlichen<br />

können, vor allem bei Parameterdarstellungen von Geraden bzw. Kurven ansetzen sollten.<br />

63


Andreas Filler, Heidelberg<br />

sik her.<br />

2 Einbeziehung von<br />

Grafiksoftware oder CAS <strong>für</strong><br />

die Behandlung von<br />

Parameterdarstellungen<br />

Die Einbeziehung von Elementen der Computergrafik<br />

in den Unterricht schafft Möglichkeiten,<br />

die beiden o. g. Herangehensweisen zur Herausarbeitung<br />

des Punktmengengedankens und dynamischer<br />

Aspekte umzusetzen. Die „Konstruktion“<br />

von Geraden und Kurven, aber auch von Ebenen,<br />

aus Punkten erfordert dabei lediglich eine Software,<br />

mithilfe derer die Schüler entsprechende grafische<br />

Darstellungen anfertigen können.<br />

Für die Herausbildung einer dynamischen<br />

Sicht auf Parameterdarstellungen eignet sich besonders<br />

die Erstellung von An<strong>im</strong>ationen (Videos).<br />

Hierzu werden Positionen von Objekten oder auch<br />

die Position des Beobachters in Abhängigkeit<br />

von einem Zeitparameter beschrieben. Ein Argument<br />

<strong>für</strong> die Anfertigung von An<strong>im</strong>ationen zur<br />

Erlangung einer dynamischen Sicht auf Parameterdarstellungen<br />

besteht darin, dass sich Schüler<br />

erfahrungsgemäß <strong>für</strong> die Generierung von Videos<br />

in überdurchschnittlichem Maße interessieren.<br />

Bei der Verwendung geeigneter Software sind<br />

dazu parameterabhängige Beschreibungen zwingend<br />

erforderlich. Um durch Parameterdarstellungen<br />

gegebene Geraden und Kurven als Punktmengen<br />

?aufzubauen? sowie parameterabhängige<br />

An<strong>im</strong>ationen zu erstellen, können u. a. die<br />

3D-Grafiksoftware POV-Ray sowie Computeralgebrasysteme<br />

(CAS) wie Maple, Mathematica<br />

und MuPAD genutzt werden. Diese Softwarepakete<br />

lassen sich <strong>für</strong> Visualisierungen und Berechnungen<br />

auch an anderen Stellen des Stoffgebietes<br />

Analytische Geometrie einsetzen. 4 Im Folgenden<br />

werden Beispiele unter Verwendung von POV-<br />

Ray sowie MuPAD dargestellt.<br />

3 Geraden und Ebenen als<br />

Punktmengen<br />

3.1 Einführung von<br />

Parametergleichungen durch die<br />

Betrachtung einzelner Punkte<br />

Zur Einführung der Parameterdarstellung von Geraden<br />

kann den Schülern eine Aufgabe folgender<br />

Art gestellt werden:<br />

Gegeben⎛ sind der Punkt ⎞ P(0,5;1;1,5) und der<br />

−2,5<br />

⎜<br />

Vektor�a = ⎝ 1<br />

−1,5<br />

⎟<br />

⎠.<br />

1. Stellen Sie den Punkt P sowie den Vektor�a (als<br />

Pfeil, beginnend an P) dar.<br />

2. Stellen Sie die Punkte P + 0,5 ·�a, P +�a, P +<br />

1,5 ·�a, P + 2 ·�a sowie P − 0,5 ·�a, P −�a, P −<br />

1,5 ·�a und P − 2 ·�a dar.<br />

3. Betrachten Sie die Darstellung aus verschiedenen<br />

Richtungen.<br />

Eine mögliche Lösung dieser Aufgabe unter<br />

Verwendung von POV-Ray mit „anageo“ -<br />

Vorlagen <strong>für</strong> die einfache Darstellung von Objekten<br />

der analytischen Geometrie von Filler (2005)<br />

zeigt Abb. 9.1.<br />

Abbildung 9.1: Punkte einer Geraden<br />

Um Abb. 9.1 zu generieren, sind folgende Befehle<br />

einzugeben:<br />

#declare a = ;<br />

#declare P = ;<br />

pluspunkt(P, schwarz)<br />

vektoranpunkt(P, a, silbergrau)<br />

punkt(P?2*a, blau_matt)<br />

punkt(P?1,5*a, blau_matt)<br />

...weitere 6 Punkte<br />

Bei Verwendung von MuPAD entsteht durch<br />

die folgenden Eingaben eine (interaktiv drehbare)<br />

Grafik, wie in Abb. 9.2 dargestellt.<br />

a:=matrix([-2.5,1,-1.5])<br />

P:=matrix([0.5,1,1.5])<br />

Pfeila:=plot::Arrow3d(P,P+a)<br />

PunktP:=plot::Point3d(P)<br />

PunktMinus20:=plot::Point3d(P-2*a)<br />

...weitere 6 Punkte<br />

PunktPlus20:=plot::Point3d(P+2*a)<br />

plot(Pfeila, PunktP, PunktMinus20,<br />

PunktMinus15, PunktMinus10,<br />

PunktMinus05, Punkt05, Punkt10,<br />

Punkt15, Punkt20)<br />

4 Einen Überblick ?über die Einbeziehung von Elementen der 3D-Computergrafik (unter Nutzung von POV-Ray) gibt Filler (2001).<br />

POV-Ray ist unter http://www.povray.org frei verfügbar. Kurze Anleitungen zur Verwendung dieser Software speziell <strong>für</strong> den<br />

Unterricht <strong>im</strong> Stoffgebiet Analytische Geometrie sowie zugehörige Vorlagen und Ergänzungen stehen <strong>im</strong> Internet (Filler, 2005) zur<br />

Verfügung.<br />

64


Dynamische Aspekte von Parameterdarstellungen: Generieren von Bewegungsbahnen sowie<br />

von Geraden und Kurven als Punktmengen<br />

Abbildung 9.2: Punkte einer Geraden (MuPAD)<br />

Anhand einer der beiden Abbildungen wird<br />

spätestens nach Betrachtung aus verschiedenen<br />

Richtungen deutlich, dass alle dargestellten Punkte<br />

auf einer Geraden liegen. Nach der Darstellung<br />

einer größeren Zahl von Punkten durch die Verkleinerung<br />

der Parameterabstände zeigt sich, dass<br />

alle Punkte der durch P verlaufenden Geraden, deren<br />

Richtung durch �a gegeben ist, in der Form<br />

P+t ·�a mit t ∈ R dargestellt werden können.<br />

3.2 Nutzung von Schleifen oder<br />

Prozeduren <strong>für</strong> die Darstellung<br />

großer Zahlen von Punkten<br />

Um größere Zahlen von Punkten zu generieren<br />

und somit tatsächlich sichtbar werden zu lassen,<br />

dass durch das Einsetzen beliebiger Parameter<br />

(bzw. Parameterpaare) in die Parametergleichungen<br />

von Geraden, Kurven und Ebenen<br />

die Objekte „vollständig aufgebaut“ werden können,<br />

wäre es sehr mühsam, <strong>für</strong> jeden darzustellenden<br />

Punkt eine Zeile in das Programm einzugeben<br />

(wie oben beschrieben). Durch die Nutzung<br />

elementarer Programmierkonstrukte ist es hingegen<br />

leicht möglich, so große Anzahlen von Punkten<br />

zu generieren, dass sich das Ergebnis nicht<br />

mehr sichtbar von Geraden bzw. Strecken 5 , Kurvenstücken<br />

oder Teilen von Ebenen unterscheidet.<br />

Durch die schrittweise Erhöhung der Zahl dargestellter<br />

Punkte können sich die Schüler einen<br />

„plastischen Eindruck“ vom Punktmengencharakter<br />

geometrischer Objekte verschaffen.<br />

Abbildung 9.3: 60 Punkte einer Geraden<br />

Abbildung 9.4: 400 Punkte einer Geraden<br />

Um die in den Abb. 9.3 und 9.4 dargestellten<br />

Grafiken zu erzeugen, kann in POV-Ray eine<br />

Schleife genutzt werden:<br />

#declare i=-200;<br />

#while (i


Andreas Filler, Heidelberg<br />

dem <strong>für</strong> Geraden beschriebenen Vorgehen Ebenen<br />

„punktweise aufbauen“ ; die folgenden Anweisungen<br />

und die zugehörige Abb. 9.5 verdeutlichen<br />

das Vorgehen unter Verwendung von POV-<br />

Ray, auch hierbei lässt sich natürlich die Zahl der<br />

dargestellten Punkte erhöhen.<br />

#declare P = ;<br />

#declare a = ;<br />

#declare b = ;<br />

#declare j=-4;<br />

#while (j


Dynamische Aspekte von Parameterdarstellungen: Generieren von Bewegungsbahnen sowie<br />

von Geraden und Kurven als Punktmengen<br />

(jeweils mit t ∈ R) dieselbe Halbgerade. Werden<br />

diese Parametergleichungen verwendet, um An<strong>im</strong>ationen<br />

zu generieren, so ergibt (1) eine gleichförmige<br />

und (2) eine gleichmäßig beschleunigte<br />

Bewegung auf dieser Halbgeraden. In Abb. 9.7<br />

ist dies durch die Abstände der Punkte erkennbar;<br />

zwischen zwei benachbarten Punkten verstreicht<br />

jeweils gleich viel Zeit.<br />

Abbildung 9.7: Erzeugung einer Halbgerade mit<br />

verschiedenen Parameterisierungen<br />

Bei etwas komplexeren An<strong>im</strong>ationen ist es<br />

oft erforderlich, in verschiedenen Zeitintervallen<br />

unterschiedliche Funktionsterme <strong>für</strong> Positionen<br />

in Abhängigkeit vom Zeitparameter zu verwenden<br />

oder auch andere Größen zu an<strong>im</strong>ieren.<br />

Dazu lassen sich Verzweigungen (if-else-<br />

Anweisungen) einsetzen. Dies sei anhand des<br />

schrittweisen „Aufbaus“ einer Ebene illustriert.<br />

Zunächst (<strong>für</strong> Parameterwerte clock < 1) erfolgt<br />

der Aufbau einer Geraden entlang eines<br />

Richtungsvektors der gegebenen Ebene, danach<br />

(clock = 1..2) wird die Ebene aus dazu parallelen,<br />

entlang des anderen Richtungsvektors<br />

der Ebene verschobenen, Geraden konstruiert. In<br />

POV-Ray lässt sich dieses Vorgehen z. B. folgendermaßen<br />

realisieren:<br />

#declare a=;<br />

#declare b=;<br />

#declare P=;<br />

#if (clock


Andreas Filler, Heidelberg<br />

Abbildung 9.9: Sinus und Kosinus am Einheitskreis<br />

Eine Verallgemeinerung auf Kreise in Mittelpunktslage<br />

mit beliebigem Radius r ist leicht möglich,<br />

woraus die Parameterdarstellung<br />

x(a) = r · cosα<br />

y(a) = r · sinα<br />

mit α ∈ [0;2π) eines Kreises der Ebene, dessen<br />

Mittelpunkt <strong>im</strong> Koordinatenursprung liegt, hergeleitet<br />

werden kann. 8 Sollen verschiedene Größen<br />

an<strong>im</strong>iert werden, so ist es <strong>im</strong> Sinne der Übersichtlichkeit<br />

sinnvoll, das Intervall des An<strong>im</strong>ationsparameters<br />

(der Zeit) zu normieren und die obige Parameterdarstellung<br />

in der Form<br />

x(a) = r · cos(2π ∗ t)<br />

y(a) = r · sin(2π ∗ t)<br />

mit t ∈ [0;1) zu schreiben. Parameterdarstellungen<br />

von Kreisen, die <strong>im</strong> Raum auf Koordinatenebenen<br />

oder dazu parallelen Ebenen liegen, ergeben<br />

sich daraus, indem eine der drei Koordinaten<br />

als Konstante dargestellt wird, z. B. z(t) = h.<br />

Ausgehend von diesen Überlegungen können die<br />

Schüler eine An<strong>im</strong>ation einer kreisförmigen Bewegung<br />

generieren. In POV-Ray lässt sich z. B.<br />

durch die Anweisungen<br />

#declare r = 10<br />

sphere { < r*cos(2*pi*clock), 0,<br />

r*sin(2*pi*clock) > 1 }<br />

die An<strong>im</strong>ation einer Kugel auf einer Kreisbahn<br />

erzeugen. 9 Da <strong>für</strong> die Erlangung eines Überblicks<br />

über den Ablauf von An<strong>im</strong>ationen oft die<br />

Darstellung der verwendeten Bewegungsbahnen<br />

sinnvoll ist, kann zusätzlich die „Spur“ der Kugel<br />

dargestellt werden, so dass bei Betrachtung der<br />

An<strong>im</strong>ation sichtbar wird, welche Bahn das Objekt<br />

zurückgelegt hat. Die Vorgehensweise dazu<br />

entspricht der bereits <strong>für</strong> Geraden beschriebenen<br />

Erzeugung einer Vielzahl kleiner Kugeln (siehe<br />

Abb. 9.10); <strong>im</strong> Falle einer kreisförmigen Bahn z.<br />

B. mithilfe folgender Schleife:<br />

#declare i=0;<br />

#while (i 0.1 }<br />

#declare i=i+1;<br />

#end<br />

Abbildung 9.10: Darstellung der Spur einer Kugel<br />

5.2 Kameraan<strong>im</strong>ationen<br />

Wird anstelle eines geometrischen Objektes die<br />

Position der „Kamera“, von welcher aus die Szene<br />

betrachtet wird, zeitabhängig beschrieben, so entsteht<br />

eine An<strong>im</strong>ation, bei der sich der Blick auf<br />

alle Objekte einer Szene verändert. So kann z. B.<br />

mittels<br />

camera { location<br />

< r*cos(2*pi*clock), 4,<br />

r*sin(2*pi*clock) ><br />

angle 12 look_at }<br />

in POV-Ray ein Kameraflug auf einer kreisförmigen<br />

Bahn s<strong>im</strong>uliert werden, wobei die Kamera<br />

stets auf den Koordinatenursprung gerichtet<br />

bleibt. Einige Beispiele zu Kameraan<strong>im</strong>ationen<br />

befinden sich auf Filler (2005).<br />

Hinsichtlich der notwendigen mathematischen<br />

Überlegungen ist es unbedeutend, ob die Schüler<br />

die An<strong>im</strong>ation eines sich auf einer Kreisbahn bewegenden<br />

Objektes (z. B. einer Kugel) oder eine<br />

Kameraan<strong>im</strong>ation erstellen, bei der sich die Sicht<br />

auf eine gesamte Szene verändert; erfahrungsgemäß<br />

ist Letzteres <strong>für</strong> die Mehrzahl der Schüler<br />

interessanter. Um jedoch Bewegungskurven sichtbar<br />

werden zu lassen, empfiehlt es sich, nicht nur<br />

Kameraan<strong>im</strong>ationen zu erstellen, sondern in Ergänzung<br />

dazu auch sichtbare Objekte zu an<strong>im</strong>ieren.<br />

8 Durch die Addition von Mittelpunktskoordinaten lässt sich diese Parameterdarstellung auf beliebige Kreise in der Ebene verall-<br />

gemeinern: x(a) = r cosα + xM, y(a) = r sinα + yM<br />

9 Auch mithilfe der CAS Maple, Mathematica und MuPAD können An<strong>im</strong>ationen erstellt werden, eine sich auf einer Kreisbahn in<br />

einer zur xy-Ebene parallelen Ebene mit konstanter Winkelgeschwindigkeit bewegende Kugel mit dem Radius rk lässt sich in MuPAD<br />

z. B. durch plot::Sphere(rk, [r*cos(t),r*sin(t),h], t = 0..2*PI) an<strong>im</strong>ieren.<br />

68


Dynamische Aspekte von Parameterdarstellungen: Generieren von Bewegungsbahnen sowie<br />

von Geraden und Kurven als Punktmengen<br />

5.3 Variationen von Kreisen: Spiralen<br />

und Schraubenlinien<br />

Nach der Behandlung der Parametergleichungen<br />

von Kreisen liegt es nahe, durch geeignete Veränderungen<br />

daran „verwandte“ Kurven parametrisch<br />

zu beschreiben. Dazu lassen sich folgende Fragen,<br />

die von den Schülern zu erwarten sind, aufgreifen:<br />

• Wie kann die Kamera um ein Objekt kreisen<br />

und sich diesem gleichzeitig annähern?<br />

• Wie lässt sich bei einer kreisförmigen Bewegung<br />

der Kamera gleichzeitig deren Höhe ändern,<br />

so dass Objekte aus unterschiedlichen Höhen<br />

betrachtet werden.<br />

Natürlich lassen sich beide Fragen auch so stellen,<br />

dass sie den Verlauf von Kurven betreffen.<br />

Für die Realisierung der zuerst genannten Eigenschaft<br />

kann (zumindest mit Hilfen) von den Schülern<br />

herausgearbeitet werden, dass dazu die Konstante<br />

r, die <strong>für</strong> den Radius des zuvor betrachteten<br />

Kreises eingesetzt wurde, durch eine Funktion<br />

r(t) des sich zeitlich verändernden Parameters<br />

t ersetzt werden muss, z. B. durch r · (1 − t)<br />

, falls sich der Abstand zum Mittelpunkt <strong>im</strong> Verlauf<br />

der An<strong>im</strong>ation von r auf 0 verringern soll (<strong>für</strong><br />

t ∈ [0;1]). Durch diese Überlegung ergibt sich unmittelbar<br />

die Parameterdarstellung einer arch<strong>im</strong>edischen<br />

Spirale:<br />

x(t) = r(1 − t)cos(2πt)<br />

y(t) = r(1 − t)sin(2πt)<br />

z(t) = h .<br />

Auf dieser Grundlage können geometrische<br />

Objekte oder die Kamera entlang einer arch<strong>im</strong>edischen<br />

Spirale bewegt werden, wobei die oben <strong>für</strong><br />

kugelförmige Bahnkurven beschriebenen Befehle<br />

entsprechend zu variieren sind. Allerdings wird<br />

die Form der Spirale besser sichtbar, wenn zwei<br />

Umdrehungen durchlaufen werden, was durch Ersetzen<br />

von (2πt) durch (4πt) in den trigonometrischen<br />

Termen der Parameterdarstellung erreicht<br />

wird (siehe Abb. 9.11).<br />

Abbildung 9.11: Arch<strong>im</strong>edische Spirale<br />

Bei der Diskussion der o. g. zweiten Frage<br />

dürfte es den Schülern leicht fallen, zu erkennen,<br />

dass zur zeitabhängigen Veränderung der „Höhe“<br />

die vorher konstant gehaltene dritte Koordinate<br />

durch eine Funktion des Parameters zu ersetzen<br />

ist. Wird da<strong>für</strong> eine lineare Funktion gewählt (<strong>im</strong><br />

einfachsten Falle y = t bzw. z = t — je nachdem,<br />

welche Koordinate bei der Beschreibung von<br />

Kreisen konstant gehalten wurde), so entsteht aus<br />

der Kreisgleichung die Gleichung einer Schraubenlinie,<br />

z. B. <strong>für</strong> t ∈ [0,1]:<br />

x(t) = r cos(4πt)<br />

y(t) = t<br />

z(t) = r sin(4πt) .<br />

Abbildung 9.12: Schraubenlinie<br />

Durch die Kombination beider Überlegungen,<br />

die vom Kreis zur Spirale bzw. zur Schraubenlinie<br />

führten (parameterabhängige Beschreibungen des<br />

Radius und der „Höhe“ in der ursprünglichen Parameterdarstellung<br />

eines Kreises) entsteht bei Verwendung<br />

linearer Funktionen in t eine konische<br />

Spirale mit einer Parameterdarstellung der Form<br />

x(t) = r(1 − t)cos(4πt)<br />

y(t) = t<br />

z(t) = r(1 − t)sin(4πt) .<br />

69


Andreas Filler, Heidelberg<br />

Abbildung 9.13: Konische Spirale<br />

Weitere Variationen der bisher betrachteten<br />

Kurven ergeben sich aus der Verwendung nichtlinearer<br />

Funktionsterme in t <strong>für</strong> die Höhe bzw.<br />

den Radius. So kann die Aufgabe gestellt werden,<br />

die Parameterdarstellung der Schraubenlinie<br />

so zu verändern, dass sich deren Punkte zunächst<br />

sehr langsam und später schneller von denen<br />

des ursprünglichen betrachteten Kreises entfernen.<br />

Ebenso sind Variationen der arch<strong>im</strong>edischen<br />

Spirale möglich.<br />

Durch Multiplikation der trigonometrischen<br />

Terme in den Parameterdarstellungen mit unterschiedlichen<br />

Faktoren (anstelle eines einheitlichen<br />

Radius) ist auch die Erzeugung von Ellipsenbahnen<br />

sowie Bahnen auf „elliptischen Spiralen“ und<br />

„elliptischen Schraubenlinien“ möglich. 10<br />

Durch Variationen an Parameterdarstellungen<br />

von Kurven und die dadurch erfolgende Beschreibung<br />

„neuer“ Kurven ergeben sich reichhaltige<br />

Möglichkeiten <strong>für</strong> funktionale Überlegungen, bei<br />

denen die Schüler ausgehend von qualitativen Beschreibungen<br />

gewünschter Kurvenverläufe überlegen,<br />

durch welche Funktionsterme diese entstehen<br />

können und ihre Überlegungen mithilfe der<br />

Software überprüfen.<br />

5.4 Vektorielle Parameterdarstellungen<br />

— der schräge Wurf<br />

Sollen <strong>im</strong> Unterricht vektorielle Beschreibungen<br />

und Vorgehensweisen <strong>im</strong> Vordergrund stehen, so<br />

bietet es sich an, von Parameterdarstellungen von<br />

Geraden auszugehen. Wie bereits ausgeführt wurde,<br />

erhält der Parameter, wenn er als Zeit interpretiert<br />

wird, einen neuen Aspekt, der die geometrische<br />

Gestalt der beschriebenen Objekte nicht beeinflusst,<br />

aber Auswirkungen auf die Geschwindigkeit<br />

von Bewegungen hat. Bei der Arbeit mit<br />

An<strong>im</strong>ationen lassen sich somit Verbindungen zum<br />

Physikunterricht herstellen, funktionale Aspekte<br />

durch die Betrachtung unterschiedlicher Funktionen<br />

f(t), die den Zeitparameter ersetzen, vertiefen<br />

sowie einfache S<strong>im</strong>ulationen erstellen.<br />

Nach den gängigen Rahmenplänen werden<br />

<strong>im</strong> Physikunterricht der Sekundarstufe II Bewegungen<br />

vektoriell beschrieben, wobei der schräge<br />

Wurf Unterrichtsgegenstand ist. Dieser kann als<br />

eine aus einer gleichförmigen und einer gleichmäßig<br />

beschleunigten Bewegung zusammengesetzte<br />

Bewegung aufgefasst werden. Durch die Addition<br />

einer in t linearen Komponente und des mit<br />

t 2 multiplizierten Beschleunigungsvektors in der<br />

Gleichung<br />

�x =�x0 +�v ·t + 1<br />

�g ·t2<br />

2<br />

des schrägen Wurfes ergibt sich die Wurfparabel.<br />

Eine entsprechende An<strong>im</strong>ation lässt sich in POV-<br />

Ray durch die folgenden Anweisungen generieren.<br />

#declare x0 = ;<br />

#declare v0 = ;<br />

#declare g = ;<br />

sphere { x0 + v0*clock<br />

+ g/2*clock*clock 0.25}<br />

6 Fazit<br />

Abbildung 9.14: Wurfparabel<br />

Die vorgestellten Beispiele zeigen, dass es mit<br />

recht elementaren mathematischen Mitteln, die an<br />

den Unterricht der Sekundarstufe I anknüpfen,<br />

möglich ist, interessante Kurven zu modellieren<br />

und auf dieser Grundlage An<strong>im</strong>ationen zu erstellen.<br />

Allerdings darf die dazu erforderliche Zeit<br />

nicht unterschätzt werden. Selbst <strong>für</strong> relativ elementar<br />

erscheinende funktionale Überlegungen,<br />

die z. B. von Kreisen zu Spiralen oder Schraubenlinien<br />

führen, brauchten in von mir durchgeführten<br />

Seminaren auch Studierende recht lange —<br />

da sie diese Überlegungen als interessant empfanden<br />

und in Exper<strong>im</strong>entierfreude verfielen, waren<br />

sie jedoch bereit, relativ viel Freizeit da<strong>für</strong> aufzuwenden.<br />

Dies dürfte auch bei vielen Schülern<br />

der Fall sein, da die Erstellung interessanter Videos,<br />

wie mehrfach erwähnt, überaus motivierend<br />

<strong>für</strong> Jugendliche ist.<br />

10 Mit POV-Ray und MuPAD erstellte Beispiele mit An<strong>im</strong>ationen auf Ellipsenbahnen stehen (einschließlich der zugehörigen Beschreibungen,<br />

die sich natürlich vielfältig variieren lassen) <strong>im</strong> Internet (Filler, 2005) zur Verfügung.<br />

70


Dynamische Aspekte von Parameterdarstellungen: Generieren von Bewegungsbahnen sowie<br />

von Geraden und Kurven als Punktmengen<br />

Für die Beschreibung der geometrisch und<br />

auch hinsichtlich der Erstellung von Kameraan<strong>im</strong>ationen<br />

besonders interessanten Spiralen ist die<br />

Vektorrechnung nicht erforderlich; hier<strong>für</strong> ist es<br />

sinnvoller, mit Koordinatenbeschreibungen zu arbeiten.<br />

Allerdings sind auch ausgehend von vektoriellen<br />

Geradengleichungen interessante Überlegungen<br />

zu Bewegungsbahnen möglich. Aus mathematikdidaktischer<br />

Sicht halte ich den beschriebenen<br />

Gegenstandsbereich vor allem deshalb <strong>für</strong><br />

lohnenswert, weil die Beschäftigung damit anspruchsvolle<br />

Überlegungen zu funktionalen Zusammenhängen<br />

„anstößt“, die bei der gegenwärtig<br />

dominierenden Behandlung von Parameterdarstellungen<br />

<strong>im</strong> Unterricht oftmals nicht hinreichend<br />

auftreten.<br />

Die Veranschaulichung von Geraden, Ebenen<br />

und Kurven durch eine große Zahl von Punkten<br />

erfordert die Einbeziehung einiger typischer Inhalte<br />

der Informatik in den <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

(Schleifen bzw. Prozeduren und <strong>für</strong> komplexere<br />

An<strong>im</strong>ationen auch Verzweigungen). Diese können<br />

anhand der behandelten Inhalte plausibel gemacht<br />

und genutzt werden, ohne dass da<strong>für</strong> ein zu großer<br />

Zeitaufwand betrieben werden müsste. Natürlich<br />

wäre es hierbei auch sinnvoll, mit dem Fach Informatik<br />

zu kooperieren, falls Schüler der unterrichteten<br />

Kurse den Informatikunterricht besuchen.<br />

Literatur<br />

Filler, Andreas (2001): Dreididemsionale Computergrafik und<br />

Analytische Geometrie, Vorschläge <strong>für</strong> den <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

in der Sekundarstufe II. mathematica didactica,<br />

2, 21–56, URL http://www.ph-heidelberg.de/wp/<br />

filler/3D/frameie4.html<br />

Filler, Andreas (2005): 3D-Computergrafik und die Mathematik<br />

dahinter. URL http://www.afiller.de/3dcg<br />

MaDiN (2004): Didaktik der Oberstufengeometrie und Linearen<br />

Algebra. URL http://www.madin.net<br />

Tietze, U.-P. (2000): Didaktik der Analytischen Geometrie und<br />

Linearen Algebra (unter Mitarbeit von P. Schroth und Gerald<br />

Wittmann). In: Tietze, U.-P., M. Klika & H. Wolpers (Hg.):<br />

<strong>Mathematikunterricht</strong> in der Sekundarstufe II, Band 2, Vieweg<br />

Wittmann, Gerald (2003): Schülerkonzepte zur Analytischen<br />

Geometrie. Hildeshe<strong>im</strong>: Franzbecker<br />

71


Raum <strong>für</strong> Notizen<br />

72


• Krypto-logisch<br />

Dörte Haftendorn, Lüneburg<br />

Ohne PIN-Nummern, sicheren Datentransfer, digitale Signatur u.a. ist unsere Welt nicht mehr denkbar.<br />

Die moderne Kryptografie beruht auf Berechnungen modulo großer Pr<strong>im</strong>zahlen oder Pr<strong>im</strong>zahlprodukten.<br />

Sie hat ihre Wurzeln damit in Algebra und Zahlentheorie, ist aber schon mit überschaubaren<br />

Pr<strong>im</strong>zahlen ohne Computer nicht zu bewältigen. Zentrale algorithmische Anforderungen liegen<br />

be<strong>im</strong> erweiterten Euklidischen Algorithmus und be<strong>im</strong> Potenzieren <strong>im</strong> Modul. <strong>Informatische</strong> Aspekte<br />

sind also die Entwicklung von entsprechenden Funktionen. Die großen CAS können das, <strong>für</strong> den<br />

TI voyage werden Lösungen vorgestellt. Auch die Abarbeitung eines kryptografischen Protokolls ist<br />

ein Algorithmus <strong>im</strong> klassischen Sinn.<br />

Der Vortrag beruht auf Erfahrungen <strong>im</strong> Informatikunterricht des Gymnasiums und in Vorlesungen<br />

<strong>für</strong> Lehramtsstudierende. Für letztere dient die Kryptografie als Ziel und Sinngebung <strong>für</strong> die Themen<br />

„Algebra und Zahlentheorie“. Es ist faszinierend wie hier ein gesellschaftlich außerordentlich<br />

wichtiges Thema in schulisch überschaubarem mathematischen Handeln transparent wird.<br />

1 Mathematische Grundlagen<br />

des RSA-Verfahrens<br />

In der Kryptografie werden Pr<strong>im</strong>zahlen in der<br />

Größenordnung von 150 dez<strong>im</strong>alen Stellen verwendet.<br />

Die Sicherheit der Verfahren beruht darauf,<br />

dass das Produkt aus zwei solchen Pr<strong>im</strong>zahlen<br />

nicht effektiv wieder zerlegt werden kann.<br />

Im Folgenden wird das Vorgehen mit kleinen<br />

Pr<strong>im</strong>zahlen verdeutlicht. Sei da<strong>für</strong>p = 11,q =<br />

13,n = pq = 143. Aus den Restklassen modulo n<br />

werden die zu n teilerfremden zu der Menge Z∗ n<br />

zusammengefasst, mit der Multiplikation modulo<br />

n bilden diese die „pr<strong>im</strong>e Restklassengruppe“.<br />

Sie enthält ord(Z∗ n ) = ϕ(n) = (p − 1)(q − 1) Elemente.<br />

Hier fallen aus den Zahlen bis 143 die 11-<br />

Vielfachen und die 13-Vielfachen weg, es bleiben<br />

ϕ(143)= 10·12= 120 Teilerfremde. In allen endlichen<br />

Gruppen G gilt a ∈ G ⇒ aord(G) = 1, also<br />

hier a ∈ Z∗ n ⇒ aϕ(n) = 1 (Eulerscher Satz, Begr.<br />

s.u.).<br />

Daher kann man in den Exponenten modulo<br />

ϕ := ϕ(n) rechnen. Das reduziert die Exponenten<br />

in der Größe, denn<br />

a 247 ≡a 7<br />

(mod 143).<br />

Viel wichtiger <strong>für</strong> die Kryptografie ist aber, dass<br />

die Exponenten, die teilerfremd zu ϕ sind, Inverse<br />

modulo ϕ haben. In diesem Beispiel gilt <strong>für</strong> alle<br />

a ∈ Z ∗ n nämlich<br />

a 7·103 ≡ a 721 ≡ � a 120�6 a 1 = 1 6 · a = a .<br />

Nun wählt man also be<strong>im</strong> RSA-Verfahren<br />

einen „öffentlichen Schlüssel“ e ∈ Z∗ ϕ. Weil<br />

�<br />

Z∗ ϕ,· � eine Gruppe ist, gibt es das Inverse d ∈ Z∗ ϕ<br />

mit ed = 1 in Z∗ ϕ . Also gilt <strong>für</strong> eine Nachricht<br />

m ∈ Z∗ n <strong>im</strong>mer med = m in Z∗ n.<br />

Man beschafft d aus e und ϕ mit dem erweiterten<br />

euklidischen Algorithmus, der die „Vielfachsummendarstellung“<br />

1 = de+ tϕ ≡ de (mod ϕ)<br />

erzeugt. Man veröffentlicht e und n und hält d gehe<strong>im</strong>.<br />

Im RSA-Protokoll ist c = m e ,m ∈ Z ∗ n die verschlüsselte<br />

Nachricht (message), die der Empfänger<br />

durch Potenzierung mit dem gehe<strong>im</strong>en d entschlüsseln<br />

kann:<br />

c d = (m e ) d = m ed = m 1 = m<br />

Bei der digitalen Signatur wird von dem Signierenden<br />

mit d potenziert, von dem Verifizienden<br />

mit dem öffenlichen Schlüssel e. Alle Rechungen<br />

finden modulo n statt.<br />

2 Didaktische Aspekte<br />

Je nachdem, in welchen Zusammenhang man eine<br />

Lehreinheit zur Kryptografie stellen möchte, ergeben<br />

sich natürlich jeweils andere Schwerpunkte.<br />

Ganz sicher aber müssen Pr<strong>im</strong>zahlen, Teilbarkeit<br />

und ggT thematisiert werden. Bei letzteren ist die<br />

Beschaffung aus dem Euklidischen Algorithmus<br />

unerlässlich, da man mit ihm durch Rückwärtsarbeiten<br />

an die Vielfachsummendarstellung herankommt.<br />

Diesen Algorithmus sollen die Lernenden<br />

„von Hand“ können, aber <strong>für</strong> eine sinnvollen Arbeit<br />

mit kryptografischen Protokollen muss unbedingt<br />

ein CAS eingesetzt werden (s.u.). Als zweites<br />

Standbein der Kryptografie ist das Rechnen<br />

in Restklassenringen zu erarbeiten. Erfahrungsgemäß<br />

wird das schnell verstanden. Allgemeinere<br />

Stukturüberlegungen sind nicht unbedingt nötig,<br />

gehören aber in der Lehrerausbildung sicher dazu.<br />

Der Begriff „Ordnung eines Gruppenelementes<br />

a“ als kleinste Zahl k mit a k = 1 kann ebenso<br />

wie die Tatsache, dass die Elementordnung<br />

die Gruppenordnung teilt, aus der Betrachtung<br />

von Potenzen-Tafeln der Pr<strong>im</strong>en Restklassengruppe<br />

Z ∗ n gewonnen werden. Bildet man die Nebenklassen<br />

g · 〈a〉 der von einem Element a erzeugten<br />

Untergruppen und überlegt, dass sie alle gleiche<br />

Elementzahl haben, dann ist der Eulersche<br />

73


Dörte Haftendorn, Lüneburg<br />

Abbildung 10.1: Potenztafel der pr<strong>im</strong>en Restklassengruppe und Berechnungen in dieser<br />

Satz (s.o.) bewiesen. Rückgriffe auf gruppentheoretische<br />

Ergebnisse, die den Lernenden nicht einleuchten,<br />

sind — entgegen häufiger Formulierung<br />

in Büchern — nicht nötig. Mit diesem „Rüstzeug“<br />

können mindestens fünf wichtige kryptografische<br />

Verfahren verstanden werden, ebenso auch digitale<br />

Signatur, Zertifizierungen und elektronisches<br />

Geld. Dies ist eine hinreichend breite Palette, die<br />

auch Klausuren u.ä. erlaubt.<br />

3 Algorithmische Aspekte <strong>im</strong><br />

Hinblick auf die Lehre<br />

Der erweiterte Euklidische Algorithmus ist sowieso<br />

lehrreich, muss aber hier als CAS-Befehl vorliegen.<br />

Für den TI voyage hat die Autorin ein<br />

Progamm entwickelt (Haftendorn, 2005), ein Informatikkurs<br />

könnte dies als eine Aufgabe bekommen.<br />

Durchaus algorithmisch interessant sind<br />

ja auch schon die Erzeugung passender Mengen,<br />

Folgen und Tafeln wie oben bei der Potenzentafel<br />

gezeigt. Auch zu Pr<strong>im</strong>zahltest sollten zumindest<br />

Überlegungen angestellt werden.<br />

Die Sicherheit der modernen Kryptografie beruht<br />

ja auf der Unmöglichkeit, Zahlen von weit<br />

über 200 Stellen effektiv in ihre Faktoren zu zerlegen.<br />

Da muss man auch anders als man es bei<br />

kleinen Zahlen macht entscheiden können, ob eine<br />

150 Stellen lange Zahl Pr<strong>im</strong>zahl ist oder nicht.<br />

Schulisch leicht erreichbar ist der „Kleine Fermatsche<br />

Satz“ als Spezialfall des Eulerschen Satzes<br />

(s.o.): Für p pr<strong>im</strong> gilt<br />

a < p ⇒ ϕ(p) = (p − 1) ⇒ a p−1 ≡ 1 (mod p)<br />

Diese letzte (notwendige aber nicht hinreichende)<br />

Bedingung ist algorithmisch und auch von den<br />

Lernenden leicht zu prüfen. Ist sie verletzt, kann p<br />

keine Pr<strong>im</strong>zahl sein.<br />

Als ganz wichtig erweist sich ein geschickter<br />

Umgang mit der Potenzierung <strong>im</strong> Modul,<br />

denn auch bei recht kleinen Zahlen sprengen<br />

die Potenzen schnell den Bereich <strong>für</strong> eine exakte<br />

Zahldarstellung. In obigem Beispiel könnte<br />

127 103 mod 143 vorkommen und es ist klar, dass<br />

man nicht erst die 216 dez<strong>im</strong>alen Stellen der Potenz<br />

berechnen sollte, bevor man den Rest modulo<br />

74<br />

143 best<strong>im</strong>mt. Die CAS halten den Befehl „Powermod“<br />

bereit, <strong>für</strong> den TI voyage muss er programmiert<br />

werden. Die Idee ist, iterativ zu quadrieren,<br />

stets sofort modular herunterzubrechen<br />

und nur gewisse Zwischenergebnisse als Faktoren<br />

in die sich so bildende Potenz aufzunehmen. Und<br />

zwar denkt man sich den Exponenten als Dualzahl<br />

geschrieben, die man rechts beginnend durchgeht,<br />

und man fügt genau dann ein, wenn man eine 1<br />

liest.<br />

Des Weiteren muss die Überführung einer<br />

Wortnachricht in eine Zahl (und zurück) thematisiert<br />

werden. Es eignet sich eine geschickte Ausnutzung<br />

des ASCII-Codes.<br />

Die kryptografischen Verfahren selbst sind Algorithmen<br />

<strong>im</strong> klassischen Sinn. Sie haben meist<br />

eine Schlüsselerzeugungsphase und eine Anwendungsphase.<br />

Manchmal, wie zum Beispiel be<strong>im</strong><br />

Diffie-Hellmann-Verfahren, wird ein Schlüssel erzeugt,<br />

der dann <strong>für</strong> ein ganz anderes Verfahren<br />

verwendet wird. Jedenfalls ist die schrittweise<br />

Duchführung „von Hand“ unterrichtlich unentbehrlich.<br />

„Von Hand“ heißt hier mit einem Werkzeug,<br />

das „ggt-erweitert“ und „powermod“ ausführen<br />

kann.<br />

Als nächste Stufe sind kommentierte CAS-<br />

Dateien oder Tutorskripten be<strong>im</strong> TI voyage hilfreich<br />

(Haftendorn, 2005). Ihre Erstellung ist auch<br />

als Aufgabe höchst sinnvoll.<br />

Zu den klausurfähigen Kompetenzen sollte die<br />

Interpretation und die Erstellung solcher Texte gehören.<br />

Auch eine graphische Verdeutlichung, wer<br />

was rechnet, was wem bekannt ist, wer was wem<br />

schickt u.s.w. ist alles andere als trivial. Ein Informatikkurs<br />

könnte auch ein Programm erstellen,<br />

das das Verfahren vollständig „durchzieht“. Für<br />

alle anderen Lernenden halte ich das Arbeiten mit<br />

fertigen „Tools“ zumindest <strong>für</strong> den Anfang nicht<br />

<strong>für</strong> so sinnvoll, da dabei das Vorgehen zu stark<br />

verborgen wird (z.B. Uni Siegen & Uni Darmstadt,<br />

2005). Hat man aber <strong>für</strong> das oben Dargestellte<br />

zeitlich oder curricular gar keinen Platz, so<br />

ist die erläuterte Anwendung so eines Tools noch<br />

um ein Vielfaches besser als die Vermeidung dieses<br />

Themas.<br />

Die klassische Kryptografie (Alphabet-


Verschiebungen u.ä.) ist allenfalls <strong>für</strong> sehr junge<br />

Lernende oder als Einstieg sinnvoll. Es handelt<br />

sich ausschließlich um Historie. Man mache<br />

sich klar, dass die mit moderner Kryptografie verschlüsselten<br />

Texte keinerlei „Muster“ aufweisen,<br />

die man irgendwie doch herauskriegen könnte.<br />

Angreifen kann man ausschließlich mit mathematischen<br />

Vorgehensweisen in Modulringen.<br />

4 <strong>Gesellschaft</strong>liche Aspekte<br />

„Kryptografie umgibt uns“ könnte man pointiert<br />

sagen. Jedenfalls ist kein anderes mathematisches<br />

Teilgebiet in unser Welt so allgegenwärtig. Die<br />

gute alte Geldbörse mutiert schon zur einer Kartenbibliothek,<br />

jede solche Karte kommuniziert in<br />

der Sprache der Kryptografie mit dem Automaten,<br />

in den sie gesteckt wird, dieser sendet und empfängt<br />

verschlüsselte Daten von seinem Auftraggeber.<br />

Be<strong>im</strong> Handy-Telefonieren, be<strong>im</strong> Internetein-<br />

Krypto-logisch<br />

kauf, be<strong>im</strong> Online-Banking, bei der Software —<br />

überall geht es um Autentifizierung, sicheren Datentransport,<br />

Zertifizierung — um kryptografische<br />

Anwendungen.<br />

Es wird Zeit, dass sich jede mathematische<br />

Ausbildung diesen Fragen stellt, insbesondere<br />

dürfte es heute keine Mathematiklehrerausbildung<br />

mehr ohne Kryptografie geben. Mindestens die<br />

Mathematik-Lehrenden müssen die Kompetenz<br />

erwerben, das Thema altersgemäß und verständlich<br />

zu unterrichten, die Lernenden handelnd einzubeziehen<br />

und ihnen das Gefühl zu vermitteln,<br />

<strong>für</strong>?s Leben etwas gelernt zu haben.<br />

Literatur<br />

Haftendorn, Dörte (2005): Kryptografie. URL http://<br />

www.mathematik-verstehen.de<br />

Uni Siegen & Uni Darmstadt (2005): URL http://www.<br />

cryptool.de<br />

75


Raum <strong>für</strong> Notizen<br />

76


• Strukturieren mit Algorithmen<br />

Ulrich Kortenkamp, Schwäbisch Gmünd<br />

„Algorithmen“ <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong> werden zurecht kritisch gesehen; Mathematik treiben lässt<br />

sich nicht darauf reduzieren, den richtigen Algorithmus zu identifizieren und dann „ablaufen“ zu<br />

lassen. Es ist nicht einzusehen warum Verfahren, die eine Maschine problemlos durchführen kann,<br />

überhaupt in Mathematik gelehrt werden sollen – oder doch?<br />

Dieser Artikel soll das (Auswendig-)Lernen und Ausführen von Algorithmen einem sinnvollen Einsatz<br />

von Algorithmen gegenüber stellen. Dazu gehört, dass Strukturen sichtbar gemacht werden, die<br />

ohne Algorithmus verborgen blieben, Modelle erschlossen werden, deren Eigenschaften ohne Algorithmus<br />

unklar blieben, und Grundbegriffe isoliert werden, da sie als Basis-Bausteine <strong>für</strong> Algorithmen<br />

dienen. Es wird ebenso diskutiert, welche Rolle das Programmieren <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

dabei spielen kann.<br />

1 Algorithmen in der Schule?<br />

Dieser Artikel soll unterstreichen, dass „algorithmisches<br />

Denken“ <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong> dabei<br />

helfen kann Mathematik in vielfältiger Weise<br />

zu strukturieren. Schülerinnen und Schüler, aber<br />

auch Lehrerinnen und Lehrer können über Algorithmen<br />

mathematische Probleme und ihre Lösungen<br />

wirklich durchdringen. Man mag meinen,<br />

dass Algorithmen — als maschinennahe Beschreibung<br />

von Lösungswegen —, Schülerinnen und<br />

Schüler eher zur maschinenartigen, unkreativen,<br />

ja unmenschlichen Abarbeitung von mathematischen<br />

Problemen erziehen, doch mit Bedacht und<br />

Verstand eingesetzt ist, nach Auffassung des Autors,<br />

das Gegenteil möglich.<br />

Algorithmen liefern damit einen großen Beitrag<br />

zur standardmäßig geforderten Problemlösekompetenz<br />

und zum mathematischen Modellieren<br />

(KMK, 2003). Zugleich binden Sie die Schulmathematik<br />

wieder an die „echte“ und angewandte<br />

Mathematik an. Das Kopfrechnen hat seinen Platz<br />

zu recht gegenüber dem Taschenrechner verteidigen<br />

können, doch wenn wir die Möglichkeit haben,<br />

die Mathematik so <strong>im</strong> Unterricht zu unterrichten,<br />

wie sie in der „realen Welt“ gebraucht<br />

wird, und dabei gleichzeitig noch wunderbare,<br />

interessante, anregende Anknüpfungspunkte <strong>für</strong><br />

geistige Herausforderungen geboten bekommen,<br />

dann müssen wir zugreifen!<br />

2 Rezepte oder Algorithmen?<br />

Freudenthal (1972, S. 25) schreibt, nach einer<br />

Analyse der Schlampigkeiten in der mathematischen<br />

Sprache, und der Vermutung, dass bessere<br />

sprachliche Mittel zu einer besseren Vermittlung<br />

von Mathematik führen:<br />

Ich sagte schon, daß die Vervollkommnung<br />

der mathematischen<br />

Sprache ungehemmt weitergeht. Der<br />

Endzustand wäre eine Sprache, die<br />

so exakt ist, daß eine Rechenmaschine<br />

sie hantieren kann. [. . . ] Wollen<br />

und weiter<br />

wir jemandem etwas mitteilen, so erspart<br />

es uns viel Mühe, wenn wir mit<br />

seinem wohlwollenden Verständnis<br />

rechnen können. [. . . ]<br />

Inzwischen möchte ich aber schon<br />

sagen, daß das Formalisieren, wenn<br />

auch bis jetzt meist innerhalb der Mathematik<br />

geübt, sich in der Zukunft<br />

als die am wirksamsten transferable<br />

Tätigkeit des Mathematikers erweisen<br />

wird.<br />

Tatsächlich ist die Beherrschung von formalen<br />

Sprachen und die Formalisierung auch nichtmathematischer<br />

Situationen seit vielen Jahren das<br />

Hauptargument <strong>für</strong> die Einstellung von Mathematikern.<br />

Selbst eine gewisse Weltfremdheit wird<br />

gern verziehen. Dennoch, wir unterrichten nicht<br />

Mathematik, um aus Menschen Mathematiker zu<br />

machen (selbst wenn diese bessere Einstellungschancen<br />

haben)!<br />

Zu der damaligen Zeit war die ubiquitäre Verbreitung<br />

des Computers noch fern der Realität, 30<br />

Jahre später hingegen sind die Computer allgegenwärtig.<br />

Computer beherrschen inzwischen nicht<br />

mehr nur die Berufswelt, sondern auch große Teile<br />

des Privatlebens. Moderne Telefone sind weitaus<br />

leistungsfähiger als die „Rechenmaschinen“ der<br />

1970er Jahre. Insofern ist die Beherrschung dieser<br />

Maschinen <strong>für</strong> die Entwicklung mündiger Menschen<br />

unerlässlich.<br />

Algorithmen werden oft auch als Rezepte bezeichnet,<br />

und gerade das rezepthaftige an Algorithmen<br />

gibt <strong>im</strong> Kontext des <strong>Mathematikunterricht</strong>s<br />

Anlass zu Kritik. Anstatt ein Problem zu<br />

verstehen, eine Lösung zu beherrschen, arbeiten<br />

die (schwächeren) Schülerinnen und Schüler<br />

ein Rezept ab, welches meist zur korrekten Lösung<br />

führt. Mathematik beherrscht man also dann,<br />

wenn man zu einer Aufgabe meistens das richtige<br />

Rezept auswählt, und dann sorgfältig abarbeitet?!?<br />

— gewiss nicht!<br />

77


Ulrich Kortenkamp, Schwäbisch Gmünd<br />

In diesem Artikel soll zwischen Algorithmen<br />

und Rezepten unterschieden werden. Zu den Rezepten<br />

zählen alle Lösungsstrategien, die ohne<br />

weiteres Nachdenken oder tieferes Durchdringen<br />

benutzt werden können, um eine – nicht unbedingt<br />

korrekte – Antwort auf eine Frage zu erhalten. Algorithmen<br />

sind hinreichend formale Vorschriften<br />

zur Lösung von klar definierten Problemen, mit<br />

Anforderungen an die zur Anwendung (Verarbeitung)<br />

notwendigen Informationen (Eingabe) und<br />

erwünschte Ergebnisse (Ausgabe). An drei Beispielen<br />

möchte ich ausführen, in welchen Situationen<br />

solche Algorithmen auftauchen und wie sie<br />

<strong>im</strong> Unterricht verwendet werden können.<br />

2.1 Strukturieren mit Algorithmen<br />

N<strong>im</strong>mt man ein Standardwerk <strong>für</strong> den <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

in der fünften Klasse zur Hand, so<br />

kann man dort die offizielle 1 Einführung der Rechenregeln<br />

<strong>für</strong> Terme finden. Ein Beispiel findet<br />

sich in Abb. 11.1.<br />

Diese Regeln decken sich mit dem, was bei<br />

den meisten Erwachsenen noch aus der Schulzeit<br />

in Erinnerung bleibt — „Klammern zuerst“,<br />

„Punkt vor Strich“ —, die Regel „von links nach<br />

rechts“ bleibt allerdings schon oft auf der Strecke,<br />

es ist ja auch zu offensichtlich, und wenn nicht,<br />

dann ist es auch meist nicht schl<strong>im</strong>m, die Regel zu<br />

ignorieren. Die Beispiele in Abb. 11.1 zeigen das<br />

sehr schön; nur bei Beispiel (d) muss man wirklich<br />

aufpassen, und weil man das gern vergisst, wird<br />

man dort auch noch einmal erinnert.<br />

Abbildung 11.1: Rechenregeln in Welt der Zahl,<br />

5. Klasse<br />

Auffällig ist, dass diese Regeln nur dann funktionieren<br />

können, wenn max<strong>im</strong>al ein Klammerpaar<br />

in einer Aufgabe vorkommt — die bessere<br />

Formulierung „Klammern von innen nach außen<br />

auflösen“ könnte hier helfen. Das muss sie aber<br />

gar nicht, denn keine Übungsaufgabe in diesem<br />

Buch stellt die Lernenden vor diese Schwierigkeit,<br />

so dass hier glücklicherweise (?) keine Probleme<br />

zu erwarten sind.<br />

Ob die Regeln wirklich verstanden worden<br />

sind, lässt sich am besten durch Umkehraufgaben<br />

wie folgt überprüfen:<br />

Setze Klammern, so dass die Gleichung st<strong>im</strong>mt:<br />

10+2+7·10+50 · 4= 600<br />

Nahezu allen Schülerinnen und Schülern ist<br />

klar, welche Rechenreihenfolge richtig wäre, aber<br />

nur wenige können die Klammern richtig setzen! 2<br />

Die interessanteste Lösung ist sicher diese:<br />

(10+(2+7) · 10)(+)50 · 4= 600<br />

— die Klammern um das Plus-Zeichen sollen da<strong>für</strong><br />

sorgen, „dass das zuerst gerechnet wird“, also<br />

vor der Multiplikation mit 4.<br />

Die Regeln des Schulbuches sind tatsächlich<br />

nicht nur unsauber formuliert, sondern ganz und<br />

gar unbrauchbar, insbesondere sobald es um Aufgaben<br />

mit mehreren Klammern geht. Die durch<br />

die Nummerierung suggerierte Reihenfolge ist<br />

hinfällig, je nach Term muss zuerst Regel 2 oder<br />

Regel 1 oder Regel 3 beachtet werden — eine Katastrophe,<br />

denn die Regeln sollten doch auf eine<br />

nachvollziehbare Art und Weise die Konstruktion<br />

der Rechenreihenfolge beschreiben!<br />

Wie sähen denn richtige Regeln aus? Hier sei<br />

wieder Freudenthal (1972, S. 270) zitiert, der unter<br />

der Überschrift „Die Sprache der algebraischen<br />

Formeln“ folgendes Regelwerk angibt, welches<br />

nicht aus sukzessiv auszuführenden Anweisungen<br />

besteht, sondern aus gleichzeitig zu beachtenden<br />

Prinzipien:<br />

Prinzip A „Man führe alles hintereinander aus,<br />

wie es geschrieben steht, von links nach<br />

rechts.<br />

Prinzip B Man schreibe, was abweichend von<br />

der linearen Ordnung zusammengehören<br />

soll, untereinander.<br />

Prinzip C Überstrichenes gehört zusammen<br />

Prinzip D Klammerpaare umschließen Zusammengehöriges<br />

Prinzip E Gewisse algebraische Operationen bewirken<br />

Zusammengehörigkeit<br />

Prinzip F Gewisse Interpunktionen bewirken<br />

Trennung<br />

Die Aufzählung sollte klarmachen, daß die Formelsprache<br />

durchaus nicht so einfach ist, wie man<br />

gerne glaubt.“<br />

Zur Erläuterung: Prinzip B bezieht sich zum<br />

Beispiel auf Brüche, die die neue Reihenfolge<br />

auch grafisch „bündeln“ ; Prinzip C bezieht sich<br />

auf Wurzeln oder die (in der Schule selten anzutreffende)<br />

Konjugation.<br />

Prinzip E spiegelt die „Punkt vor Strich“ -<br />

Regel wieder. Hier findet sich auch die Erklärung,<br />

1 Viele Schülerinnen und Schüler haben diese Regeln bisher intuitiv angewendet oder in früheren Klassen bereits kennen gelernt<br />

2 Vielen Dank an Angelika Marschall und die Klasse 5a der Rückert-Schule in Berlin-Schöneberg, wo ich diese Aufgabe beobach-<br />

ten durfte.<br />

78


warum diese Regel wirklich sinnvoll ist: Spricht<br />

man von drei Kühen, so multipliziert man eine<br />

Kuh mit 3 — und das sollte besser nicht getrennt<br />

werden. Denn drei Kühe und vier Schafe sind best<strong>im</strong>mt<br />

nicht vier Schafe, zu denen sich drei Kuh-<br />

Schafe 3 gesellen, oder in Zeichen:<br />

3 · K + 4 · S �= ((3 · K)+4) · S)= (3KS)+(4S)!<br />

Algorithmisches Auswerten von Termen<br />

Man kann also zust<strong>im</strong>men: „Das System ist viel<br />

komplizierter.“ (Freudenthal, 1972, S. 270)<br />

Dies sollte uns aber nicht verleiten, dieses System<br />

zu unterrichten; der Erfolg eines solchen Ansinnens<br />

ist vorhersagbar gering, und ob <strong>für</strong> ein<br />

späteres erfolgreiches Mathematik-Leben dieses<br />

Regelwerk notwendig ist, mag bezweifelt werden.<br />

Was wir aber aus diesen Prinzipien lernen können,<br />

ist, dass ein einfaches System von hintereinander<br />

anzuwendenden Regeln nicht funktioniert<br />

und <strong>für</strong> schwächere Schülerinnen und Schüler —<br />

nur um die geht es — keine Hilfe und Orientierung<br />

bietet, sondern nur ein Überlebensrezept <strong>für</strong><br />

den Unterricht, mit dem einfache Aufgaben meist<br />

gelöst werden können, schwierige manchmal, und<br />

das mathematische Verständnis umgangen wird.<br />

Daher werden diese Kinder spätestens dann, wenn<br />

sie Anwendungsaufgaben mit selbst aufgestellten<br />

Formeln bearbeiten sollen, und die Formeln nicht<br />

Regel-kompatibel sind, scheitern; dies kann man<br />

<strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong> der höheren Klassen regelmäßig<br />

beobachten.<br />

Wie kann hier der Computer helfen? Immerhin:<br />

die Auswertung von Funktionstermen scheinen<br />

Computer zu beherrschen, auch in der richtigen<br />

Reihenfolge. Und dies geht nicht über die Formulierung<br />

von allgemeinen Prinzipien, sondern<br />

über festgelegte, sequentielle Algorithmen!<br />

Hier haben wir den klaren Bezug zur Informatik:<br />

korrekte Klammerungen sind ein Standardbeispiel<br />

<strong>für</strong> Gebilde, die sich nicht mehr durch sog.<br />

reguläre Ausdrücke beschreiben lassen, sondern<br />

nur durch das höhere Konstrukt der kontextfreien<br />

Grammatiken (Hopcroft et al., 2002).<br />

Genau diese kontextfreien Grammatiken können<br />

auch als Grundlage <strong>für</strong> Parser benutzt werden,<br />

also <strong>für</strong> Programme, die die Syntax von<br />

(Computer-)Sprachen überprüfen und die vorgegebenen<br />

Texte zur Weiterverarbeitung strukturieren<br />

können.<br />

Wir können nun die Arbeitsweise dieser Parser<br />

zu Rate ziehen, ohne dass wir genau auf die<br />

Programmierung eingehen müssen. Die Beschreibung<br />

einer kontextfreien Grammatik basiert auf<br />

Ersetzungsregeln, die verwendet werden dürfen,<br />

Strukturieren mit Algorithmen<br />

um Schritt <strong>für</strong> Schritt aus einem Startsymbol einen<br />

komplexeren Ausdruck abzuleiten. Für Terme ist<br />

die entscheidende Regel von der Form:<br />

T −→ ’(’ T ’)’<br />

— umgangssprachlich formuliert: „Ein Term darf<br />

durch den selben Term in Klammern ersetzt werden.“<br />

Die Auswertung eines Terms an sich besteht<br />

aus einem Funktionsaufruf, der die vielen verschiedenen<br />

Möglichkeiten der Zusammensetzung<br />

eines Termes prüft, und dann entscheidet, welche<br />

Ersetzungsregel vermutlich angewandt wurde. Im<br />

Fall eines geklammerten Termes wird also in dieser<br />

Funktion zur Auswertung des Termes selbst<br />

wieder die Funktion zur Auswertung des Termes<br />

aufgerufen, da das T auch auf der rechten Seite<br />

der Ersetzungsregel auftaucht. Es handelt sich also<br />

um einen rekursiven Aufruf!<br />

Klammergebirge<br />

Ruft eine Funktion sich selbst wieder auf, so muss<br />

da<strong>für</strong> gesorgt werden, dass der erneute Durchlauf<br />

durch diese Funktion in „frischem Speicher“<br />

durchgeführt wird, ein neuer Speicherbereich<br />

muss reserviert werden. 4 Die Anzahl der ineinander<br />

verschachtelten Aufrufe nennt man die<br />

Rekursionstiefe: Diese wird um eins erhöht, wenn<br />

man die Funktion rekursiv aufruft, und um eins<br />

erniedrigt, wenn man aus einem Funktionsaufruf<br />

wieder zurückkehrt. In dem Beispiel von oben:<br />

T −→ ’(’ T ’)’<br />

wird unmittelbar nach einer öffnenden Klammer<br />

die Funktion <strong>für</strong> T aufgerufen, und direkt nach der<br />

Rückkehr wird die schließende Klammer erwartet.<br />

Wir dürfen also auch die Klammern als Markierung<br />

<strong>für</strong> die Erhöhung bzw. Erniedrigung der<br />

Rekursionstiefe heranziehen!<br />

Dies kann man ganz einfach graphisch darstellen.<br />

Haben wir einen Term, zum Beispiel (98 −<br />

(20 − 4 · 3 − 2)) · 3, so wechseln wir bei jeder<br />

Klammer entweder in eine höhere oder niedrigere<br />

Zeile: 5<br />

20-4·3-2<br />

98-( )<br />

( )·3<br />

Damit haben wir in der ersten Zeile eine einfache<br />

Rechnung, die nur mit den bereits bekannten<br />

Regeln „von links nach rechts“ und „Punkt vor<br />

Strich“ bewältigt werden kann. Schreibt man nun<br />

das Ergebnis in die freie Stelle der nächsten Zeile<br />

—<br />

3 oder wie auch <strong>im</strong>mer man das Produkt aus einer Kuh und einem Schaf nennen mag<br />

4 Daher muss eine Funktion auch irgendwann die Rekursion beenden, sonst ist der Computerspeicher bald voll!<br />

5 Es ist egal, ob die Klammer bereits mit die Zeile wechselt oder noch nicht, man sollte es nur einheitlich handhaben. Arbeitet man<br />

auf Papier kann man die Klammer auch über zwei Zeilen verteilen.<br />

79


Ulrich Kortenkamp, Schwäbisch Gmünd<br />

20-4·3-2<br />

98-( 6 )<br />

( )·3<br />

— so erhält man eine einfache Aufgabe in der<br />

zweiten Zeile, und, nachdem kann das Ergebnis<br />

dieser Aufgabe dann in die dritte Zeile übernehmen,<br />

so dass das Endergebnis 92 · 3 = 288 schnell<br />

gefunden ist.<br />

Abbildung 11.2: Ein geschriebenes Klammergebirge<br />

Der Algorithmus kann auf Papier (Abb. 11.2)<br />

durchgeführt werden, aber auch ganz genauso<br />

händisch, zum Beispiel mit Duplo-Steinen<br />

(Abb. 11.3).<br />

Abbildung 11.3: Ein gebautes Klammergebirge<br />

Didaktische Überlegungen<br />

Wir benutzen also hier die Kernidee eines Algorithmus,<br />

ohne ihn weiter ausführen zu müssen,<br />

um eine Hilfestellung zu Berechnung von<br />

Klammerausdrücken zu geben. Diese Hilfestellung<br />

ist aus verschiedenen Gründen methodisch/didaktisch<br />

wertvoll:<br />

• Der Algorithmus kann von Schülerinnen und<br />

Schülern auf jedem Wissensstand angewandt<br />

werden; die einfachen Vorschriften stellen keine<br />

neue Hürde dar.<br />

• Die Anwendung des Algorithmus ist ein handelnde<br />

Tätigkeit. Die mechanische Durchführung<br />

bewirkt, dass die Schülerinnen und Schüler<br />

die Klammerauflösung nicht nur denkend, sondern<br />

auch enaktiv erleben.<br />

• Zusätzlich zur symbolischen Repräsentation des<br />

Klammerausdruck in einer Zeile erzeugt der Algorithmus<br />

eine Visualisierung. Diese unterstützt<br />

80<br />

die Bildung eines korrespondierenden mentalen<br />

Modells <strong>für</strong> Terme (supplantation, siehe auch<br />

Vogel, 2006).<br />

• Die verwendeten Symbole sind die gleichen<br />

Symbole, die auch in der Standardnotation verwendet<br />

werden. Es gibt daher keinen zusätzlichen<br />

Lernaufwand <strong>für</strong> eine neue oder andere<br />

symbolische Beschreibung!<br />

• Es sind keine zusätzlichen Werkzeuge notwendig,<br />

auch kein Computer, sondern nur Rechenpapier<br />

(Brock & Price, 1980).<br />

• Das Verfahren kann auch umgekehrt werden:<br />

Als Umkehraufgabe wird gefordert, dass zu einem<br />

vorgegeben Klammergebirge (ohne Symbole,<br />

nur die Form) ein passender Term aufgestellt<br />

wird.<br />

2.2 Anwendungsbezüge durch<br />

Algorithmen<br />

Computer erledigen heute einen Großteil der wiederkehrenden<br />

Berechnungen, das Rechnen an sich<br />

hat als Schlüsselqualifikation ausgedient. Dennoch<br />

kann man dies gar nicht auf die Mathematik<br />

ausdehnen: Mathematik ist eine Grundlage der<br />

modernen Wirtschaft und Industrie, Planung und<br />

Produktion sind ohne sie nicht zu bewerkstelligen.<br />

Offenbar gibt es hier eine große Diskrepanz<br />

zwischen der in der Schule erlebten Mathematik<br />

und der tatsächlichen, „echten“ Mathematik, so<br />

wie sie nachher gebraucht wird. Dies ist ein weiterer<br />

Faktor <strong>für</strong> die Schwierigkeiten, die in Schulen<br />

auftreten: „Das braucht doch eh keiner“ ist ein<br />

Vorwurf, der kaum zu entkräften ist! Glücklicherweise<br />

gibt es diverse Bestrebungen, diese Lücke<br />

wieder zu schließen, und authentisches mathematisches<br />

Arbeiten (vgl. u. a. Lutz-Westphal, 2006)<br />

in der Schule zu praktizieren.<br />

Hier sei noch einmal kurz betont, dass es nicht<br />

nur um anwendbare oder relevante Mathematik<br />

geht, sondern auch darum, das Lernen vom Mathematik<br />

dem Treiben von Mathematik <strong>im</strong> echten<br />

Leben nachzuempfinden. Die Beschäftigung mit<br />

mathematischen Inhalten in der Schule orientiert<br />

sich dabei an der Arbeitsweise von Mathematikern.<br />

Die Diskrete Mathematik stellt hierbei geeignete<br />

Inhalte zur Verfügung. Es sei auch auf den<br />

in diesem Band erschienen Artikel von Lambert<br />

& Selzer (2008) verwiesen, und dort insbesondere<br />

auf den Standpunkt <strong>für</strong> die Schule, auf der Basis<br />

von Bruder & Weigand (2005, S. 4).<br />

Diskrete Mathematik wird tatsächlich schon in<br />

der Schule betrieben – vor allem in der Grundschule.<br />

Propädeutisch werden bereits <strong>im</strong> mathematischen<br />

Anfangsunterricht Konzepte wie Graphen<br />

behandelt; das Haus vom Nikolaus taucht<br />

in Schulbüchern der 2. Klasse durchaus auf<br />

(Abb. 11.4). Später, in der 3./4. Klasse, werden


Strukturieren mit Algorithmen<br />

Abbildung 11.4: Propädeutische Einführung von Graphen in der 2. Klasse (Welt der Zahl)<br />

dann Autobahnkarten dazu verwendet, Rechenaufgaben<br />

zu stellen. Doch hier werden bereits<br />

die eigentlich interessanten mathematischen Fragestellungen<br />

ignoriert. Anstelle einer systematischen<br />

Behandlung des Problems tritt die ad-hoc<br />

Lösung von einzelnen ausgewählten Fragen – wie<br />

weit ist es von Berlin nach Hamburg, welche Stadt<br />

ist 229 Kilometer von München entfernt, etc. Die<br />

diskrete Mathematik dient hier als Vehikel <strong>für</strong> die<br />

Formulierung von Rechenaufgaben.<br />

Zwar ist gegen die Formulierung von Aufgaben<br />

in dieser Weise zunächst nichts einzuwenden,<br />

es wird aber die Chance vertan, die strukturelle<br />

Einsicht in solche Probleme zu unterrichten.<br />

Schülerinnen und Schüler müssen keine Strategie<br />

entwickeln, sie müssen keinen Modellbildungsprozess<br />

durchlaufen, sie erleben nicht den Sinn<br />

des Verständnisses, welches sie entwickeln könnten.<br />

Stattdessen trainieren sie Fähigkeiten, die <strong>im</strong><br />

echten Leben bei der Lösung der gleichen Probleme<br />

durch den Computer übernommen werden.<br />

Mathematik ist überall – sie steckt beispielsweise<br />

auch in Routenplanern, denen sich <strong>im</strong>mer<br />

mehr Menschen unterwerfen. Ist es nicht die<br />

Pflicht der Schule, hier die grundlegenden algorithmischen<br />

Prinzipien zu vermitteln, auf denen<br />

die Empfehlungen der Maschinen basieren? Diese<br />

sind nicht zu kompliziert <strong>für</strong> den Unterricht (wieder<br />

sei hier auf Lutz-Westphal (2006) hingewiesen),<br />

können ihn aber nachhaltig bereichern.<br />

Das DFG-Forschungszentrum MATHEON fördert<br />

in diesem Zusammenhang das Projekt Visage,<br />

welches geeignete Software <strong>für</strong> den Schuleinsatz<br />

<strong>im</strong> Bereich Graphenalgorithmen zur Verfügung<br />

stellen soll. Schülerinnen und Schüler können<br />

an selbst erstellten Beispielen Algorithmen<br />

ausprobieren, nachvollziehen und <strong>im</strong> Detail verstehen.<br />

Die Visualisierung der Algorithmen kann<br />

Schritt <strong>für</strong> Schritt <strong>für</strong> ein Beispiel erfolgen, oder<br />

es kann auch das Endergebnis des Algorithmus <strong>für</strong><br />

verschiedene dynamisch veränderte Beispiele verfolgt<br />

werden (Kortenkamp, 2005a; Geschke et al.,<br />

2005).<br />

Hier sollen die Grundzüge einer mit Visage<br />

gestalteten Lerneinheit grob geschildert werden,<br />

da an ihr die mathematikdidaktischen Möglichkeiten<br />

des Computereinsatzes deutlich werden. Die<br />

Lerneinheit „Wie fährt die Müllabfuhr“ Kortenkamp<br />

(2005b) führt aus einem klaren Umweltbezug<br />

– wie muss die Müllabfuhr fahren, damit sie<br />

möglichst geschickt alle Mülltonnen in einer Stadt<br />

einsammeln kann – auf ein verwandtes Problem:<br />

Wie muss eine Stadt aussehen, in der die Müllabfuhr<br />

ohne unnötige Wege alle Mülltonnen einsammeln<br />

kann?<br />

Dabei durchlaufen die Schülerinnen und<br />

Schüler verschiedene Abstraktionsstufen: Der<br />

Stadtplan, der an sich schon eine Abstraktion<br />

des Luftbildes (welches wiederum ein Abbild der<br />

Realität ist) darstellt, eignet sich nämlich nicht <strong>für</strong><br />

die algorithmische Behandlung der Fragestellung.<br />

Er enthält zu viel Information: Die Länge der Straßen<br />

ist <strong>für</strong> das Müllauto nicht von Interesse, da jede<br />

Straße genau einmal durchfahren werden soll.<br />

Es interessiert nur die Topologie 6 der Straßen, ihre<br />

Kombinatorik, also nur die Information, welche<br />

Straßen an welchen Kreuzungen zusammentreffen.<br />

Das geeignete mathematische Modell sind<br />

Graphen, bestehend aus Ecken und Kanten. Sie<br />

sind den Kindern normalerweise auch schon aus<br />

Netzplänen <strong>für</strong> öffentliche Nahverkehrsmittel bekannt.<br />

Diese können auf einem Stadtplan eingezeichnet<br />

werden – wenn man dazu aber Stift und<br />

Papier einsetzt, so können auch andere Gebilde<br />

gezeichnet werden. In der computerbasierten Version<br />

zeichnen die Schülerinnen und Schüler mit<br />

dem Computer auf einem eingescannten Bild des<br />

6 Ich möchte aber davor warnen, die Diskrete Mathematik als Werkzeug der Topologie in der Schule einzuführen! Dies ist <strong>für</strong><br />

Mathematiker gewiss eine richtige und elegante Einordnung, <strong>für</strong> Lehrerinnen und Lehrer aber eher abschreckend. Die Versuche in<br />

den 70er Jahren haben gezeigt, dass allein der Begriff „Topologie“ genügend unklar ist, um die Beschäftigung mit dem Thema zu<br />

verhindern. Stattdessen empfehle ich – das ist das Anliegen dieses Artikels – die Heranführung über algorithmisches Denken.<br />

81


Ulrich Kortenkamp, Schwäbisch Gmünd<br />

Stadtplans, und die Visage-Software zwingt dazu,<br />

den Abstraktionsschritt zu vollziehen: Es können<br />

nur Graphen gezeichnet werden (siehe Abb. 11.5).<br />

Abbildung 11.5: Graphen-Modell auf Stadtplan.<br />

Kartenmaterial mit freundlicher Genehmigung<br />

der BVG verwendet.<br />

Wenn die Graphen dann in dieser Form vorliegen,<br />

dann kann damit auch direkt weitergearbeitet<br />

werden: Visage kann Standard-Algorithmen wie<br />

Breitensuche, Tiefensuche, kürzeste Wege oder<br />

auch Euler-Touren (<strong>im</strong> obigen Beispiel) auf den<br />

Graphen ablaufen lassen, und so können die Schülerinnen<br />

und Schüler mit ihren eigenen Werken<br />

exper<strong>im</strong>entieren.<br />

2.3 Begriffsbildung durch Algorithmen<br />

Das dritte und letzte Beispiel in diesem Artikel ist<br />

geometrischer Natur – algorithmische Geometrie<br />

ohne Rechnen.<br />

Abbildung 11.6: Eine Punktmenge und ihre konvexe<br />

Hülle. Die Punkte sind weiß dargestellt, die<br />

konvexe Hülle ist die eingefärbte Fläche samt<br />

schwarzem Rand.<br />

Zur Erinnerung: Eine konvexe Menge C ist eine<br />

Menge mit der Eigenschaft, dass zu je zwei<br />

Punkten P,Q ∈ C auch die Strecke PQ vollständig<br />

in C enthalten ist. Die konvexe Hülle einer Menge<br />

M ist die kleinste konvexe Menge CH(M), die<br />

M enthält. Da die Schnittmenge zweier konvexer<br />

Mengen ebenfalls konvex ist, erhält man die konvexe<br />

Hülle auch als<br />

CH(M) =<br />

�<br />

C⊃M,C konvex<br />

C .<br />

Damit ist mathematisch alles gesagt. Algorithmisch<br />

hilft uns dies aber gar nicht: Gegeben eine<br />

Menge von Punkten in der Ebene – was ist dann<br />

ihre konvexe Hülle (Abb. 11.6)? Und wie können<br />

wir diese berechnen (oder auch nur darstellen)?<br />

Diese Fragestellungen werden in der Computational<br />

Geometry oder Algorithmischen Geometrie<br />

(siehe z.B. de Berg et al., 2000; Klein, 1997) betrachtet<br />

und gelöst.<br />

Bevor wir die algorithmische Lösung betrachten<br />

sei noch angemerkt, dass die Berechnung von<br />

konvexen Hüllen durchaus anwendungsbezogen<br />

ist. In der Computergraphik ist die konvexe Hülle<br />

ein grundlegendes Konzept, welches unter anderem<br />

<strong>für</strong> die Beschreibung von Polyedern benötigt<br />

wird Ziegler (1995). In der Opt<strong>im</strong>ierung werden<br />

sie unter anderem in der polyhedral opt<strong>im</strong>ization<br />

verwendet, bei der durch den Übergang zur konvexen<br />

Hülle oft Geschwindigkeitssteigerung in mehreren<br />

Größenordnungen möglich sind. In der Robotik<br />

benötigt man sie zum Beispiel bei der Vermeidung<br />

von Kollisionen.<br />

Ein schulisch weit relevanteres Beispiel ist das<br />

folgende: Im Themenkreis „Daten“ werden die<br />

Größen und Gewichte aller Mitschülerinnen und<br />

-schüler in ein Koordinatensystem eingetragen.<br />

Die größten, kleinsten, schwersten und leichtesten<br />

Schülerinnen und Schüler können so leicht identifiziert<br />

werden. Was ist aber, wenn man beide D<strong>im</strong>ensionen<br />

zugleich betrachten möchte? Was sind<br />

die „leichtesten größten“ oder „schwersten größten“<br />

Kinder? Nur selten werden diese eindeutig<br />

festzustellen sein. Berechnet man aber die konvexe<br />

Hülle der Datenpunkte, so findet man die interessanten<br />

Datensätze als Ecken der konvexen Hülle!<br />

7<br />

Wie findet man nun die Punkte, die den Rand<br />

der konvexen Hülle best<strong>im</strong>men? Dazu muss zunächst<br />

geklärt werden, wann ein Punktepaar eine<br />

Seite der konvexen Hülle best<strong>im</strong>mt. Mit ein wenig<br />

Überlegung oder mit der Unterstützung durch ein<br />

DGS findet man heraus, dass A und B genau dann<br />

benachbarte Ecken der konvexen Hülle sind, wenn<br />

alle anderen Punkte auf derselben Seite der Geraden<br />

AB liegen. Wir können also sofort einen einfachen<br />

Algorithmus angeben, der <strong>für</strong> eine Menge<br />

von Punkten S = {P1,P2,...,Pn} die Ecken der<br />

konvexen Hülle identifiziert – <strong>für</strong> jede Gerade PiPj<br />

7 Mir wurde inzwischen berichtet, dass solche Erhebungen in manchen Bundesländern nicht mehr zulässig sind, da sie die Persönlichkeitsrechte<br />

der Schülerinnen und Schüler verletzen. Schade!<br />

82


überprüfen wir die Lage aller restlichen Punkte.<br />

Sind diese alle auf einer Seite der Geraden, so liegen<br />

sie beide auf dem Rand der konvexen Hülle.<br />

Falls nicht, so können wir nichts über sie aussagen,<br />

doch wenn wir sämtliche n(n+1)<br />

2 Paare untersucht<br />

haben, so haben wir auf jeden Fall jedes Paar<br />

gefunden.<br />

Freundlicherweise müssen wir <strong>für</strong> den gerade<br />

beschriebenen Test nicht rechnen! Es genügt, <strong>für</strong><br />

ein (nicht kollineares) Punktetripel A,B,C die Orientierung<br />

feststellen zu können – sind die Punkte<br />

<strong>im</strong> Uhrzeigersinn angeordnet, dann liegt C rechts<br />

der orientierten Geraden −→ AB, sonst links.<br />

Der Algorithmus ist einfach, aber mit einer<br />

Laufzeit von Θ(n3 ) auch nicht besonders effizient.<br />

Es gibt viele verschiedene bessere und dennoch<br />

einfache Algorithmen, die wesentlich schneller<br />

sind. Eine Möglichkeit ist der Graham Scan: Ausgehend<br />

von einem garantiert auf dem Rand der<br />

konvexen Hülle liegenden Punkt P (zum Beispiel<br />

der Punkt mit der kleinsten x-Koordinate) sortiert<br />

man alle anderen Punkte entsprechend ihrem Winkel<br />

zu P (auf die x-Achse bezogen). Danach kann<br />

man die Punkte der Reihe nach „ablaufen“. Trifft<br />

man nun auf drei Punkte Pi,Pi+1,Pi+2, die eine<br />

konkave Ecke bilden (also <strong>im</strong> Uhrzeigersinn orientiert<br />

sind!), dann weiß man, dass Pi+1 sicher<br />

nicht auf dem Rand der konvexen Hülle liegt.<br />

So entfernt man nach und nach „falsche“ Punkte.<br />

Schließlich bleiben nur noch die gesuchten Ecken<br />

der konvexen Hülle übrig.<br />

Der notwendige Sortiervorgang könnte über<br />

die (berechneten) Winkel der Punkte durchgeführt<br />

werden. Die üblichen Sortierverfahren (siehe<br />

auch den Artikel von Epkenhans (2008) in diesem<br />

Band, S. 59) basieren allerdings auf paarweisen<br />

Vergleichen – wir müssen also <strong>für</strong> zwei Punkte Pi<br />

und Pj nur feststellen, welcher von beiden zuerst<br />

auf dem Rand auftauchen könnte. Dies geht – wieder<br />

ohne „richtiges“ Rechnen – mit der Orientierung<br />

des Tripels P,Pi,Pj. Verläuft diese <strong>im</strong> Uhrzeigersinn,<br />

so muss Pj vor Pi auftauchen, sonst umgekehrt.<br />

Auch wenn diese Beschreibung sehr skizziert<br />

war – eine ausführlich beschriebene Unterrichtseinheit<br />

zu diesem Thema findet sich in Kortenkamp<br />

(2006) – der <strong>für</strong> unsere Betrachtung wesentliche<br />

Punkt tritt zutage: Über die algorithmische<br />

Fragestellung „wie finde ich heraus, welche Punkte<br />

die Ecken der konvexen Hülle bilden“ wird der<br />

entscheidende Grundbegriff erschlossen. Der Algorithmus<br />

kann mit einer einzigen Grundoperation<br />

(„finde die Orientierung von drei Punkten in<br />

der Ebene“ ) auskommen. Damit haben wir das<br />

Strukturieren mit Algorithmen<br />

Problem mathematisch charakterisiert. 8<br />

3 Zusammenfassung:<br />

Funktionen von Algorithmen<br />

Wie in den obigen Beispielen gesehen, können Algorithmen<br />

diverse Funktionen <strong>im</strong> Unterricht haben.<br />

Sie dienen<br />

• der Verdeutlichung und Visualisierung von<br />

Strukturen,<br />

• der Belebung von Modellen und<br />

• der Isolierung von Grundbegriffen und -<br />

operationen<br />

Diese Funktionen können sie in allen Jahrgangsstufen<br />

erfüllen. Da Algorithmen in gewisser Weise<br />

exakt formulierte Spielregeln darstellen, können<br />

sie auch in spielerischer Weise Eingang in den<br />

Unterricht finden. So bilden sie auch eine Grundlage<br />

<strong>für</strong> Handlungsorientierung <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong>.<br />

Da Algorithmen stets eine Beschreibung der<br />

möglichen Eingaben und der erwünschten Ausgaben<br />

mit sich bringen, stellen sie die Anwendung<br />

mathematischer <strong>Ideen</strong> in der Praxis geeignet<br />

dar. Gerade <strong>im</strong> Zusammenspiel mit der Diskreten<br />

Mathematik wird dies besonders deutlich. Gepaart<br />

mit der Exaktheit in der Beschreibung fokussieren<br />

sie das mathematische Denken der Schülerinnen<br />

und Schüler (und Lehrkräfte).<br />

Dieses exakte Beschreiben lässt sich noch verstärken,<br />

wenn man den Computer gezielt einsetzt,<br />

um Algorithmen zu formulieren und auszuprobieren.<br />

Diesen Tätigkeiten sei der letzte Abschnitt gewidmet.<br />

4 Schlussbemerkung:<br />

Programmieren und<br />

<strong>Mathematikunterricht</strong> 9<br />

Soll <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong> programmiert werden?<br />

Die kurze Antwort, ein uneingeschränktes<br />

„ja!“, sei vorweg gestellt.<br />

Die längere Antwort soll hier ohne eine umfassende<br />

Diskussion der bereits in der Didaktik<br />

der Informatik lange geführten Auseinandersetzung<br />

(dazu siehe z.B. Humbert (2005) und Schubert<br />

& Schwill (2004)), die ja auch in einer Arbeitsgruppe<br />

dieser Tagung (Haftendorn, 2008, S.<br />

171) Platz hatte, begründet werden.<br />

Natürlich kann man diese Frage nicht beantworten,<br />

ohne auf die Akteure und Situationen einzugehen.<br />

Die Verlage und Hersteller von Lernsoftware<br />

lassen wir außen vor; zur Produktion von digitalem<br />

Material, welches <strong>im</strong> „Algorithmenunter-<br />

8 In späteren Jahrgangsstufen (dieses Problem ist durchaus <strong>für</strong> die Sekundarstufe I geeignet) kann man dann auf diesen Grundbegriffen<br />

mit der Determinantenfunktion aufbauen.<br />

9 Anmerkung des Herausgebers: Zum Zeitpunkt der Endredaktion des Tagungsbandes war bereits bekannt, dass auf der Jahrestagung<br />

2007 des Arbeitskreises <strong>Mathematikunterricht</strong> und Informatik ein weiterer Beitrag zum Programmieren <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

von Andreas Fest, Berlin, eingereicht wird, auf den hiermit ausdrücklich hingewiesen wird.<br />

83


Ulrich Kortenkamp, Schwäbisch Gmünd<br />

richt“ eingesetzt werden könnte, ist eine gewisse<br />

Programmierkunst unabdingbar.<br />

Betrachten wir also zunächst die Lernenden.<br />

Es gibt diverse mathematische Programmierumgebungen,<br />

die alle Altersbereiche abdecken (Logo,<br />

Cinderella mit CindyScript, aber auch Computeralgebrasysteme<br />

wie Maple oder Mathematica).<br />

Weiterhin gibt es viele Programmiersprachen,<br />

die auch oder gerade <strong>für</strong> Anfänger geeignet<br />

sind. Insbesondere Scriptsprachen wie Python<br />

oder Ruby können gut <strong>im</strong> Unterricht gelehrt werden,<br />

aber auch „professionelle“ Sprachen wie Java<br />

sind lehrbar. Aber es soll ja kein Programmierkurs<br />

werden. . .<br />

Kein Programmierkurs?! Warum eigentlich<br />

nicht? Konzepte wie Schleifen, Prozeduren und<br />

insbesondere Variablen sind eigentlich unabdingbar<br />

und bieten Bildungschancen! Genauso wenig,<br />

wie es wichtig ist, dass ein normaler Mensch lange<br />

Zahlenkolonnen korrekt per schriftlicher Addition<br />

addiert, ist es wichtig, dass man eine spezielle<br />

Programmiersprache beherrscht. Aber es ist auch<br />

genauso wichtig, irgendeine Programmiersprache<br />

zum Verständnis dieser Konzepte benutzt zu haben,<br />

wie es notwendig ist, die schriftliche Addition<br />

als strukturiertes Verfahren in der Grundschule<br />

zu lernen.<br />

Die Forderung nach der Heranführung an das<br />

Programmieren in der Grundschule ist zwar alt,<br />

aber wohl doch auch unmodern, wie der aktuelle<br />

Zustand an Grundschulen vermuten lässt. Gefolgt<br />

von einer zwanglosen Vertiefung durch die Anwendung<br />

einer konkreten Programmiersprache,<br />

wann und wo <strong>im</strong>mer es <strong>im</strong> Unterricht hilfreich erscheint,<br />

erscheint sie mir aber durchaus gerechtfertigt.<br />

Zurecht wird man nun anmerken, dass dies auf<br />

dem aktuellen Ausbildungsstand der Lehrkräfte,<br />

und zwar nicht nur derer, die schon vor dem Computerzeitalter<br />

das Referendariat abgeschlossen haben,<br />

sondern auch derer, die aktuell die Universitäten<br />

und Hochschulen verlassen, eine völlig unrealistische<br />

Forderung ist. Aus diesem Grund folgt<br />

hier eine weitere Forderung: Das Programmieren<br />

als gestalterische und strukturierende Tätigkeit<br />

muss in das Lehramtsstudium verankert werden,<br />

wenigstens <strong>für</strong> diejenigen, die später Mathematik<br />

lehren möchten.<br />

Die Gestaltung von Lehr-/Lernumgebungen<br />

ist eine Tätigkeit, die zu den Kernkompetenzen<br />

von Lehrerinnen und Lehrern gehört. Sind diese<br />

nicht fähig, ein Aufgabenblatt <strong>für</strong> ihren Unterricht<br />

zu erstellen, oder wenigstens eine Kopiervorlage<br />

anzupassen, so können sie diese Tätigkeit nicht<br />

ausüben. Da aber der Einsatz von „mult<strong>im</strong>edialen“<br />

Lehrmaterialien <strong>im</strong>mer mehr gefordert wird<br />

(von Eltern, von den Lernenden, von den Kultusministerien)<br />

muss die Lehrkräfte auch solches<br />

84<br />

Material gestalten können — und nicht nur aus<br />

den vorgefertigten Edutainment-Titeln auswählen<br />

können. Die Fähigkeit, etwas verändern zu können,<br />

in den Unterricht aktiv eingreifen zu können,<br />

hat eine soziologisch-kognitive Bedeutung.<br />

Daher halte ich das Programmieren in der<br />

Lehramtsausbildung, so wie z.B. von Löthe<br />

(2008) in diesem Band beschrieben und praktiziert,<br />

<strong>für</strong> unerlässlich.<br />

Literatur<br />

de Berg, Mark, Marc van Kreveld, Mark Overmars & Otfried<br />

Schwarzkopf (2000): Computational Geometry. Springer-<br />

Verlag<br />

Bescherer, Christine (2005): Sicherheit <strong>im</strong> Umgang mit Informationstechnologie<br />

— Ein Konzept zur „FITness“ <strong>im</strong> Computerbereich.<br />

LOG-IN, 135, 42–45<br />

Brock, William H. & Michael H. Price (1980): Squared paper<br />

in the nineteenth century: Instrument of science and engineering,<br />

and symbol of reform in mathematical education. Educational<br />

Studies in Mathematics, 11, 365–381<br />

Bruder, Regina & Hans-Georg Weigand (2005): Problemlösen,<br />

Verstehen, Anwenden ... aber bitte diskret. mathematik lehren,<br />

129, 4–8<br />

Epkenhans, Martin (2008): Laufzeitanalysen, Wachstumsfunktionen<br />

und asymptotische Untersuchungen. In: Kortenkamp<br />

et al. (2008), 59–62<br />

Freudenthal, Hans (1972): Mathematik als pädagogische Aufgabe.<br />

Klett<br />

Geschke, Anne, Ulrich Kortenkamp, Brigitte Lutz-Westphal &<br />

Dirk Materlik (2005): Visage – Visualization of Algorithms in<br />

Discrete Mathematics. Zentralblatt <strong>für</strong> Didaktik der Mathematik,<br />

37(5), 395–401<br />

Haftendorn, Dörte (2008): Wieviel Programmieren-Können<br />

braucht man in der Mathematiklehre? In: Kortenkamp et al.<br />

(2008), 171–173<br />

Hopcroft, John E., Rajeev Motwani & Jeffrey D. Ullman<br />

(2002): Einführung in die Automatentheorie, Formale Sprachen<br />

und Komplexitätstheorie. München: Pearson Studium, 2.,<br />

überarbeitete Auflage<br />

Humbert, Ludger (2005): Didaktik der Informatik – mit praxiserprobtem<br />

Unterrichtsmaterial. Wiesbaden: Teubner<br />

Klein, Rolf (1997): Algorithmische Geometrie. Addison Wesley<br />

KMK (2003): Bildungsstandards <strong>im</strong> Fach Mathematik <strong>für</strong><br />

den Mittleren Schulabschluss. Bonn: Sekretariat der Ständigen<br />

Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik<br />

Deutschland Ref. IV A<br />

Kortenkamp, Ulrich (2005a): Visage – Visualisierung von<br />

Graphenalgorithmen. In: Beiträge zum <strong>Mathematikunterricht</strong>.<br />

Vorträge auf der 39. Tagung <strong>für</strong> Didaktik der Mathematik, <strong>Gesellschaft</strong><br />

<strong>für</strong> Didaktik der Mathematik, Bielefeld: Franzbecker<br />

Kortenkamp, Ulrich (2005b): Wie fährt die Müllabfuhr? URL<br />

http://kortenkamps.net/Material/Eulertour<br />

Kortenkamp, Ulrich (2006): Algorithmische Geometrie <strong>im</strong><br />

Unterricht. Der <strong>Mathematikunterricht</strong>, 52(1)<br />

Kortenkamp, Ulrich, Hans-Georg Weigand & Thomas Weth<br />

(Hg.) (2008): <strong>Informatische</strong> <strong>Ideen</strong> <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong>.<br />

Bericht über die 23. Arbeitstagung des Arbeitskreises „<strong>Mathematikunterricht</strong><br />

und Informatik“, Hildeshe<strong>im</strong>: Franzbecker<br />

Lambert, Anselm & Pia Selzer (2008): Schillernde Diskretisierung<br />

– eine Schnittstelle von Mathematik und Informatik. In:<br />

Kortenkamp et al. (2008), 87–100


Löthe, Herbert (2008): Erlebnis Mathematik mit Computer –<br />

Realisierung am Beispiel des Folgenbegriffs. In: Kortenkamp,<br />

Ulrich, Hans-Georg Weigand & Thomas Weth (Hg.): <strong>Informatische</strong><br />

<strong>Ideen</strong> <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong>. Bericht über die 23. Arbeitstagung<br />

des Arbeitskreises „<strong>Mathematikunterricht</strong> und Informatik“,<br />

Franzbecker, 101–108<br />

Lutz-Westphal, Brigitte (2006): Kombinatorische Opt<strong>im</strong>ierung<br />

– Inhalte und Methoden <strong>für</strong> einen authentischen <strong>Mathematikunterricht</strong>.<br />

Dissertation, Technische Universität Berlin, Berlin<br />

Strukturieren mit Algorithmen<br />

Schubert, Sigrid & Andreas Schwill (2004): Didaktik der Informatik.<br />

Heidelberg, Berlin: Spektrum Akademischer Verlag<br />

Vogel, Markus (2006): Mathematisieren funktionaler Zusammenhänge<br />

mit mult<strong>im</strong>ediabasierter Supplantation. Dissertation,<br />

Pädagogische Hochschule Ludwigsburg<br />

Ziegler, Günter M. (1995): Lectures on Polytopes. Nummer<br />

152 in Graduate Texts in Mathematics, Berlin: Springer-Verlag<br />

85


Raum <strong>für</strong> Notizen<br />

86


• Schillernde Diskretisierung – eine Schnittstelle von<br />

Mathematik und Informatik<br />

Anselm Lambert und Pia Selzer, Saarbrücken<br />

Mathematik wird <strong>im</strong> Unterricht — wie <strong>im</strong> richtigen Leben — von Menschen gedacht und gemacht.<br />

Das Neue Medium und Werkzeug Computer erweitert dabei Möglichkeiten zur Darstellung von Objekten<br />

des mathematischen Tuns und des Operierens mit diesen — <strong>im</strong>mer allerdings <strong>im</strong> Rahmen<br />

seiner prinzipiellen Grenzen.<br />

Ein Unterricht, der Wert auf eine verständige und reflektierende Verwendung unterschiedlicher Darstellungen<br />

legt und der den Computer als eine Erweiterung unserer Werkzeugpalette begreift, sollte<br />

dessen Grenzen mitdiskutieren, und kann dies ja auch, da jeder Computer, als Maschine gewordene<br />

Mathematik, auch mathematischer Beschreibung zugänglich ist.<br />

Hier kann der Computer eine reflexive Stärke demonstrieren: Er unterstützt durch seine Darstellungsund<br />

Operationsmöglichkeiten auch bei der Erkundung seiner eigenen prinzipiellen Grenzen.<br />

1 Einleitung<br />

Eine der Leitfragen der Tagung ist die nach zentralen,<br />

aktuellen und zukunftsweisenden <strong>Ideen</strong> der<br />

Informatik und deren Relevanz <strong>für</strong> den <strong>Mathematikunterricht</strong>.<br />

Um dieser Frage nachzugehen, ist es<br />

sinnvoll, zuerst einmal zu klären, was denn „Informatik“<br />

bedeutet, bedeuten soll. Wieso das? Die<br />

Frage „Was ist Informatik?“ ist gewiss genauso<br />

schwer — wenn nicht gar genauso unmöglich —<br />

zu beantworten, wie die „Was ist Mathematik?“<br />

— an der wir uns hier gar nicht erst versuchen<br />

wollen.<br />

Sicher hat jede Leserin, jeder Leser dennoch<br />

eine eigene, zumindest vage Vorstellung von einer<br />

Antwort. Wir gehen davon aus, dass diese Vorstellungen<br />

durchaus unterschiedlich (und von persönlichen<br />

Vorlieben geprägt), wenn auch großenteils<br />

konsensfähig sind. Um unserem Beitrag ein<br />

— besseres — Verstehen zu ermöglichen, scheint<br />

es uns also sinnvoll, unsere hier zugrunde liegende<br />

Vorstellung von Informatik zu klären.<br />

Auf Basis dieser als Arbeitshypothese gedachten,<br />

hier vorgenommenen Umschreibung, schlagen<br />

wir dann Diskretisierung als eine wesentliche<br />

Idee an einer Schnittstelle von Mathematik und<br />

Informatik vor, die helfen kann, die beiden Fächer<br />

in der Schule zu verbinden, wenn nicht sogar zu<br />

integrieren. Dies wollen wir dann zum Schluss anhand<br />

eines exemplarischen Beispiels <strong>für</strong> den Unterricht<br />

konkretisieren, um auf theoretischem Unterbau<br />

das oben Angekündigte einzulösen.<br />

2 Was bedeutet „Informatik“?<br />

Diese Frage lässt sich unter zwei sich ergänzenden<br />

Gesichtspunkten verstehen:<br />

1. Worauf verweist die Bezeichnung<br />

„Informatik“?<br />

2. Welche Bedeutung hat Informatik (oder sollte<br />

sie haben)<br />

• <strong>für</strong> die <strong>Gesellschaft</strong>?<br />

• <strong>für</strong> die Schule?<br />

Um Antworten darauf geben zu können, wählen<br />

wir verschiedene Ansätze. Zum einen werden wir<br />

hier Spuren des Wortes, der Bezeichnung „Informatik“<br />

<strong>im</strong> Sprachgebrauch nachzeichnen, zum anderen<br />

werden wir die institutionalisierte Informatik<br />

selbst zu Wort kommen lassen.<br />

2.1 Ursprung und Ausbreitung der<br />

Bezeichnung „Informatik“<br />

Die Bezeichnung „Informatik“ ist ein 1957 von<br />

Karl Steinbuch eingeführtes Kunstwort, gebildet<br />

aus „Information“ und „Automatik“ (vgl. Baumann,<br />

1990, 82 und <strong>für</strong> eine Betrachtung der beiden<br />

Wortstämme Humbert, 2005, 11f.). Sie weist<br />

auf die beiden wissenschaftlichen Traditionen hin,<br />

die hier zu einer neuen Wissenschaft verschmolzen<br />

wurden:<br />

eine mathematische Tradition und<br />

eine ingenieurwissenschaftliche.<br />

In dieser doppelten Tradtion ist Informatik sowohl<br />

Grundlagen- als auch Ingenieurwissenschaft. Was<br />

bedeutet das <strong>für</strong> den Unterricht in Informatik?<br />

Bisher hatte doch noch keine Ingenieurwissenschaft<br />

einen eigenen Platz <strong>im</strong> Fächerkanon der allgemeinbildenden<br />

Schulen (dazu später).<br />

Das Wort „Informatik“ verbreitete sich in<br />

Deutschland <strong>im</strong> öffentlichen Sprachgebrauch<br />

nach einer Rede des damaligen Forschungsministers<br />

Gerhard Stoltenberg <strong>im</strong> Jahr 1968 — in Anlehnung<br />

an das französische, von der Académie<br />

Française favorisierte «informatique». Im amerikanischen<br />

Raum etablierte sich dagegen die Bezeichnung<br />

„Computer Science“, die explizit auf<br />

den Computer verweist, da „Informatics“ durch<br />

einen Firmennamen bereits kommerziell besetzt<br />

war; in Deutschland hatte dagegen Karl Steinbuch<br />

auf die zunächst geschützten Namensrechte bald<br />

verzichtet (vgl. Baumann, 1990, 82f).<br />

87


Anselm Lambert und Pia Selzer, Saarbrücken<br />

Im skandinavischen Raum spricht man von<br />

Datalogie (Humbert, 2005, 9).<br />

2.2 Was steht hinter der Bezeichnung<br />

„Informatik“?<br />

Neben dem, was sich der Urheber bei „Informatik“<br />

dachte, ist von Interesse, was man in der Zwischenzeit<br />

damit (bewusst) assoziiert.<br />

Die aktuelle Definition<br />

Die <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> Informatik (GI) definiert heute<br />

ihre Disziplin weitgehend anerkannt selbst so<br />

(vgl. Schubert & Schwill, 2004, 2): Informatik<br />

ist die Wissenschaft, die sich mit der systematischen<br />

und automatischen Verarbeitung, Speicherung<br />

und Übertragung von Daten aus Sicht der<br />

Hardware, der Software, der Grundlagen und der<br />

Auswirkungen befasst.<br />

In der aktuellen Brochüre „Was bedeutet Informatik?“<br />

finden wir als Selbstbest<strong>im</strong>mung(en):<br />

Und:<br />

Informatik - das ist die Faszination,<br />

sich die Welt der Information<br />

und des symbolisierten Wissens zu<br />

erschließen und dienstbar zu machen.<br />

(GI, 2005, 2)<br />

Inzwischen macht sie den Computer<br />

nicht mehr nur zur Arbeitsmaschine,<br />

sondern zugleich zum<br />

Medium, Wissensträger, Manager,<br />

Unterhaltungskünstler, Steuerungsinstrument<br />

und zu einer Art neuen<br />

Wahrnehmungsorgans <strong>für</strong> die meisten<br />

Wissenschaften. (GI, 2005, 2)<br />

Informatik ist also einerseits abstrakte Theorie<br />

formal gefassten Wissens. So ist etwa auch Logik<br />

heute an vielen Universitäten ein wissenschaftliches<br />

Teilgebiet der Informatik und nicht mehr eines<br />

der Mathematik.<br />

Und andererseits ist Informatik konkrete Praxis<br />

der Entwicklung des Computers — den man<br />

gewöhnlich unmittelbar mit ihr assoziert.<br />

Was bedeutet das <strong>für</strong> den Unterricht? Unter<br />

anderem: Abstrakte Theorie zeichnet sich durch<br />

eine gewisse Langlebigkeit aus; Computerpraxis<br />

überholt sich schnell. Dies muss bei der Auswahl<br />

der Inhalte eine entscheidende Rolle spielen. Vor<br />

allem verweist diese Unterscheidung aber darauf,<br />

dass Informatik mehr ist als Computer.<br />

Nebenbei bemerkt: Eine stärkere Berücksichtigung<br />

von Themen aus der theoretischen Informatik<br />

kommt (nach Humbert, 2005, 168) insbesondere<br />

auch den Interessen der Schülerinnen entgegen.<br />

88<br />

Begeisterung und Kritik<br />

Informatiksysteme verändern unsere Wirklichkeit<br />

direkt oder indem sie unsere Wahrnehmung dieser<br />

beeinflussen. Eigen ist der Informatik als <strong>im</strong>mer<br />

noch jungstürmischer Wissenschaft eine besondere,<br />

bis heute nicht abgeebbte Begeisterung <strong>für</strong> die<br />

durch sie möglichen großen Veränderungen in naher<br />

Zukunft:<br />

In Zukunft werden die Menschen<br />

nicht nur über mehr materielle Güter<br />

und mehr Energie verfügen, sondern<br />

auch über sehr viel mehr Information.<br />

Der Besitz an Wissen<br />

wird mit unvorstellbarer Geschwindigkeit<br />

vergrößert werden [. . . ] das<br />

gesamte Wissen wird in riesigen, allen<br />

Menschen zugänglichen Informationsbanken<br />

gespeichert sein. Menschen<br />

werden mit Methoden belehrt,<br />

welche das Lernen zum Vergnügen<br />

machen [. . . ]. (Steinbuch, 1966, 338)<br />

Die Wissenschaften werden neue<br />

Erkenntnisse mehr und mehr unter<br />

Nutzung der Informatik gewinnen<br />

und mit der nächsten Welle der<br />

Informatikanwendungen werden wir<br />

in eine Welt der Sensoren eintreten,<br />

in der Information ständig erfasst<br />

wird und präsent ist — wir werden<br />

die mühselige Dateneingabe und Datenpflege<br />

hinter uns lassen und allein<br />

durch Sprechen und Verhalten<br />

schnell und zielgerichtet kommunizieren<br />

und handeln können. Und wieder<br />

neue Welten tun sich uns auf<br />

. . . (GI, 2005, 2)<br />

Mit Spannung erwarten wir die Sensoren, die neue<br />

philosophische Erkenntnisse ermöglichen ;-)<br />

Schon 1704 spottete Jonathan<br />

Swift in seiner Satire A Tale of a<br />

Tub über Gelehrte, die nicht lesen<br />

und denken, sondern lediglich sammeln,<br />

und nannte sie [. . . ] Computer.<br />

Später beschreibt und zeichnet er<br />

dann in Gullivers Reisen eine nach<br />

sorgfältiger Computation konstruierte<br />

und mittels 40 Kurbeln bedienbare<br />

Maschine, mit deren Hilfe «der unwissendste<br />

Mensch zu vernünftgem<br />

Preis und mit wenig Körperarbeit Bücher<br />

über Philosophie, Poesie, Politik,<br />

Recht, Mathematik und Theologie<br />

schreiben kann, ohne die mindeste<br />

Unterstützung durch Begabung<br />

und Fleiß». (Bauer-Wabnegg, 2001,<br />

32)


Schillernde Diskretisierung – eine Schnittstelle von Mathematik und Informatik<br />

Dennoch: Als (Ingenieur-)Wissenschaft gestaltet<br />

Informatik unser aller Leben ständig neu,<br />

aber viel bleibt unter der Oberfläche der Neuen<br />

Möglichkeiten verborgen:<br />

Als Menschen nehmen wir die<br />

Veränderung unseres Lebens durch<br />

Informatiksysteme [...] nicht so<br />

rauschhaft schnell wahr, wie sie eigentlich<br />

ist. (GI, 2005, 2)<br />

Ein Ziel eines allgemeinbildenden Unterrichts in<br />

Informatik muss u. a. die Fähigkeit und Bereitschaft<br />

zur Reflexion der Möglichkeiten und Grenzen<br />

von Informatiksystemen sein.<br />

Der Fächerkatalog der Informatik<br />

Ihre Probleme bewältig die Informatik (wie alle<br />

Wissenschaften) durch fachliche Spezialisierung.<br />

1976 verabschiedete der Fakultätentag als Akt definitorischer<br />

Selbstbest<strong>im</strong>mung einen Fächerkatalog<br />

(siehe unten, nach Baumann, 1990, 84f). Gewiss<br />

sind in der Praxis die Grenzen zwischen diesen<br />

Fächern durchaus fließend, dennoch leistet die<br />

vorgenommene Unterteilung der Aufgabenfelder<br />

auch <strong>für</strong> den Unterricht eine nützliche Orientierung.<br />

(Die ersten drei Katalogpunkte bilden die<br />

Kerninformatik.)<br />

1. Theoretische Informatik: Aus der Mathematik<br />

eingebrachte Forschungs- und Lehrgegenstände,<br />

z. B. Automatentheorie und formale Sprachen,<br />

Theorie der Berechenbarkeit und Entscheidbarkeit,<br />

Codierungs- und Informationstheorie<br />

2. Praktische Informatik: Softwareorientierte Fächer,<br />

z. B. Architektur der Programmierung,<br />

Betrieb und Weiterentwicklung von Softwaresystemen<br />

3. Technische Informatik: Aus der Elektro- und<br />

Nachrichtentechnik eingebrachte hardwareorientierte<br />

Fächer<br />

4. Anwendungen der Informatik: Z. B. Wirtschaftsinformatik<br />

5. <strong>Gesellschaft</strong>liche Bezüge der Informatik: Hier<br />

beschäftigt man sich mit Bedingungen und<br />

Auswirkungen von Informatik<br />

6. Didaktik der Informatik<br />

Konkret kann das dann heute — die Breite der ersten<br />

vier Katalogpunkte ausschöpfend — an einer<br />

Universität so aussehen: In der Fachrichtung<br />

Informatik der Universität des Saarlandes (einem<br />

der ältesten Informatikstandorte in Deutschland)<br />

finden wir folgende Arbeitsgruppen: Reactive Systems,<br />

Nachrichtentechnik, Dependable Systems<br />

and Software, Informationssysteme, Bioinformatik,<br />

Rechnerarchitektur und Parallelrechner, Betriebssysteme,<br />

Computer Algebra, Theoretische<br />

Informatik, Multi-Agent Systems, Programmiersysteme,<br />

Computer Grafik, Künstliche Intelligenz,<br />

Mathematische Bildanalyse und Bildverarbeitung,<br />

Übersetzerbau, Softwaretechnik, Computer Datennetze,<br />

Sicherheit und Kryptographie (Stand<br />

September 2005). Teilweise sind diese Arbeitsgruppen<br />

in Mathematik und Informatik angesiedelt.<br />

Daneben gibt es in Saarbrücken noch informatischer<br />

Forschung gewidmete Max-Planck-<br />

Institute und das Deutsche Forschungsinstitut <strong>für</strong><br />

Künstliche Intelligenz (DFKI).<br />

Nach dem fünften Punkt des Kataloges ist<br />

Reflexion von Informatik ein wissenschaftliches<br />

Teilgebiet, wenn dies auch in der an Universitäten<br />

institutionalisierten Informatik oft eine eher<br />

nebensächliche Rolle spielt; in den allgemeinbildenden<br />

Unterricht gehören entsprechende Fragen:<br />

Schulinformatik ist der allgemeinen<br />

Bildung verpflichtet. [. . . ] Ziel<br />

der Schulinformatik ist damit die<br />

Ausformung der — vom Standpunkt<br />

der Informatik aus — gebildeten Persönlichkeit.<br />

Dies äußert sich in dem<br />

kompetenten, kritischen Umgang mit<br />

Informatiksystemen [. . . ]. Die zu erwerbenden<br />

Kompetenzen umfassen<br />

ein weites Feld: sie reichen von Elementen<br />

der Kerninformatik über Fragen<br />

der Softwareergonomie bis in<br />

ethisch-moralische Bereiche. (Humbert,<br />

2005, 67)<br />

Spielen dabei ingenieurwissenschaftliche Aspekte<br />

eine allgemeine Rolle, so haben sie ihren Platz <strong>im</strong><br />

Unterricht zu finden.<br />

Die Forderung nach einer eigenständigen Didaktik<br />

der Informatik ist mit diesem Katalog<br />

knapp dreißig Jahre alt, wenn auch bis heute<br />

kaum wissenschaftlich institutionalisiert — erst<br />

1996 gab es die erste Forschungsgruppe (Humbert,<br />

2005, 47), heute gibt es gerade einmal 13 universitäre<br />

Standorte (Stand Juli 2005 nach Humbert,<br />

2005, 56).<br />

2.3 Ein kurzer Rückblick auf die<br />

Institutionalisierung in Schule und<br />

Hochschule<br />

Seit 1968 ist Informatik Hochschuldisziplin in<br />

der Bundesrepubklik Deutschland; 1970 gab es<br />

Studiengänge zur Informatik an 10 Hochschulen.<br />

1972 wurde das Unterrichtsfach in der gymnasialen<br />

Oberstufe eingerichtet. 1986 konnte Informatik<br />

an 22 Universitäten und 27 Fachhochschulen<br />

studiert werden (nach Baumann, 1990, 83f).<br />

In den siebziger und achtziger Jahren durchlief<br />

die Schulinformatik verschiedene Phasen: Rechnerorientierung,<br />

Algorithmenortientierung, Anwendungsorientierung<br />

(<strong>im</strong> informatischen Sinn),<br />

Benutzungsorientierung, <strong>Gesellschaft</strong>sorientierung.<br />

1991 wurden die ersten deutschlandweit<br />

89


Anselm Lambert und Pia Selzer, Saarbrücken<br />

geltenden Prüfungsanforderungen <strong>für</strong> die Schule<br />

veröffentlicht (nach Humbert, 2005, 48 bzw. 52).<br />

Heute ist das Studienangebot flächendeckend.<br />

Die Studierendenzahl hat sich von etwa 2000 <strong>im</strong><br />

Jahre 1972 in 30 Jahren auf über 80000 vervierzigfacht<br />

(vgl. Abbildung).<br />

In der Schule ist Informatik heute in der<br />

Sekundarstufe II eigenständiges Fach in allen<br />

Bundesländern (in Berlin, Brandenburg, Bremen,<br />

Hamburg, Hessen, NRW und <strong>im</strong> Saarland auch als<br />

LK), bleibt aber <strong>im</strong> Alltag des Kurssystems oft<br />

randständig. In der Sekundarstufe I gibt es Pflichtangebote<br />

in Bayern, Mecklenburg-Vorpommern<br />

und Sachsen, sonst meist Arbeitsgruppen <strong>im</strong><br />

Wahlpflichtbereich oder „nur“ Eingliederung in<br />

andere Fächer (vgl. Schubert & Schwill, 2004,<br />

27). Oder Schulen setzen es zur Profilbildung ein.<br />

Dort, wo sich Informatik in der Sekundarstufe I<br />

durchsetzt, gehen die dazu nötigen Stunden i. d.<br />

R. auf Kosten anderer Fächer: auf Kosten der Mathematik<br />

oder, in naturwissenschaftlichen Gymnasien,<br />

auf Kosten des Hauptfaches Physik (das seinerzeit<br />

die dritte Fremdsprache — oft das klassische<br />

Latein — verdrängte).<br />

2.4 Wie soll es in der Schule nun<br />

weitergehen?<br />

In welcher Form Informatik verbindlicher Gegenstand<br />

an allen allgemeinbildenden Schulen wird<br />

— langfristig und mit der gleichen Selbstverständlichkeit,<br />

mit der wir heute die <strong>im</strong> Laufe des 20.<br />

Jahrhunderts sich dort endgültig etablierenden naturwissenschaftlichen<br />

Fächer finden — lässt sich<br />

kaum vorhersagen. Die Wünsche dazu sind <strong>im</strong>mer<br />

noch unterschiedlich.<br />

Auf der einen Seite finden wir exemplarisch<br />

bei einem der Pioniere informatischen Unterrichts<br />

in Deutschland, der bereits 1969 <strong>im</strong> Rahmen des<br />

<strong>Mathematikunterricht</strong>s Informatik unterrichtete :<br />

90<br />

Nun lässt sich begründen, dass<br />

es einerseits informatische Aspekte<br />

von allgemeinbildendem Wert gibt,<br />

dass aber <strong>für</strong> die schulische Umsetzung<br />

solcher Absichten kein eigenes<br />

Unterrichtsfach Informatik benötigt<br />

wird, [. . . ] unsere <strong>Gesellschaft</strong> kann<br />

nicht <strong>für</strong> jedes bildungsbedeutsame<br />

neue Gebiet ein eigenes neues Unterrichtsfach<br />

schaffen [. . . ]. (Hischer,<br />

2002, 101)<br />

„kann nicht [. . . ] schaffen“ sollte man hier <strong>im</strong> doppelten<br />

Sinn lesen: Um einer Kontinuität und Stabilität<br />

von Schule willen, sollte man erstens nicht<br />

<strong>im</strong> Hauruck . . . , und zweitens ist das System gar<br />

nicht in der Lage, dieses nichttriviale Ansinnen so<br />

einfach umzusetzen — wo sollen die benötigten<br />

Lehrpersonen auf einen Schlag herkommen? Und<br />

wir möchten oben hinzufügen: Ebenso wenig, wie<br />

<strong>für</strong> jedes andere arbeitsmarktbedeutsame (vgl. die<br />

Abbildung auf Basis der Daten des Statistischen<br />

Bundesamtes).<br />

Betriebswirtschaftlehre, Jura, Medizin sind<br />

auch Fächer mit einem hohen Studierendenbedarf<br />

und einer hohen Relevanz <strong>für</strong> unsere <strong>Gesellschaft</strong><br />

(und — nebenbei bemerkt — einer emanzipierteren<br />

Quote von Studentinnen), aber keines davon<br />

ist i. d. R. in allgemeinbildenden Schulen am Start.<br />

Auf der anderen Seite sprechen sich etwa<br />

(Hubwieser, 2004), (Humbert, 2005) und (Schubert<br />

& Schwill, 2004) jeweils in ihrer „Didaktik<br />

der Informatik“ selbstverständlich explizit <strong>für</strong> ein<br />

eigenes allgemeinbildendes Fach Informatik aus.<br />

Gemeinsam ist beiden Seiten der Wunsch, Informatik<br />

verstärkt zu unterrichten. Folgende<br />

Möglichkeiten bieten sich dazu prinzipiell an (vgl.<br />

Schubert & Schwill, 2004, 28f.):<br />

• Informatik als eigenes Fach<br />

• Informatik integriert in das Leitfach Mathematik<br />

• Informatik verteilt auf mehrere Fächer<br />

• Informatikunterricht als fächerübergreifender<br />

Projektunterricht<br />

Klar sollte sein: Informatikunterricht an allgemeinbildenden<br />

Schulen kann sich nicht nur an zukünftige<br />

Informatikerinnen und Informatiker richten,<br />

sondern muss alle Schülerinnen und Schüler<br />

<strong>im</strong> Auge haben. Entsprechend muss die Organisationsform<br />

und auch der Stoff gewählt sein.<br />

Klafki weist darauf hin, dass Allgemeinbildung<br />

dem „Allgemeinen“ <strong>im</strong> dreifachen Sinn gilt<br />

(vgl. etwa Krüger, 1997, 71):<br />

• Allgemeinbildung als Bildung <strong>für</strong> alle<br />

• Bildung <strong>im</strong> Medium des Allgemeinen (orientiert<br />

an zentralen Schlüsselproblemen der gemeinsamen<br />

Gegenwart und der voraussehbaren<br />

Zukunft)


Schillernde Diskretisierung – eine Schnittstelle von Mathematik und Informatik<br />

• Bildung als Entwicklung von Vielseitigkeit<br />

Die Neuen Informations- und Kommunikationstechniken<br />

gehören heute unumstritten zu diesen<br />

Schlüsselproblemen. Entlang der genannten Trias<br />

kann Informatik als<br />

Einführung in die Nutzung und in<br />

ein elementarisiertes Verständnis der<br />

modernen [. . . ] Kommunikations-,<br />

Informations- und Steuerungsmedien<br />

<strong>im</strong>mer verbunden mit der Reflexion<br />

über ihre Wirkungen auf die sie benutzenden<br />

Menschen (Klafki, 1996,<br />

60)<br />

allgemeinbildend sein. Um aber diesem Anspruch<br />

gerecht zu werden, haben wir bei der Auswahl<br />

der allgemeinbildenden Unterrichtsinhalte die folgenden<br />

Fragen zu beantworten (siehe Hubwieser,<br />

2004, 57):<br />

• Lässt der (geplante) Inhalt zu, dass meine Schüler<br />

eine allgemeine Kenntnis erwerben können?<br />

• Lässt sich das Allgemeine an diesem Inhalt auch<br />

von meinen Schülern in dieser Lernsituation erfassen?<br />

Und nicht zuletzt:<br />

• Sollten meine Schüler dieses Allgemeine überhaupt<br />

erwerben?<br />

Nach unserer Auffassung lassen sich diese drei<br />

Fragen <strong>für</strong> die von uns <strong>im</strong> folgenden Abschnitt<br />

vorgestellte Idee Diskretisierung und die in Abschnitt<br />

4 folgenden exemplarischen Konkretisierungen<br />

<strong>für</strong> den Unterricht positiv beantworten.<br />

3 Zentrale, aktuelle und<br />

zukuftsweisende <strong>Ideen</strong> der<br />

Informatik<br />

Was <strong>für</strong> die Mathematik seit langem klar ist, wird<br />

inzwischen auch <strong>für</strong> die Informatik gesehen. Nun<br />

herrscht allgemein Konsens, daß<br />

die Fortschritte der Wissenschaft<br />

Informatik nicht mit gleicher Geschwindigkeit<br />

<strong>für</strong> den Schulunterricht<br />

zugänglich gemacht werden<br />

können. Daher müssen sich die Inhalte<br />

[. . . ] an den langlebigen Grundlagen<br />

der Wissenschaft orientieren.<br />

(Schwill, 1993, 1)<br />

Um der Frage nach den begründbar wünschenswerten<br />

Inhalten des Unterrichts nachgehen<br />

zu können, verallgemeinert man diese zunächst<br />

auf die Frage nach den fundamentalen <strong>Ideen</strong> des<br />

Faches.<br />

3.1 Fundamentale <strong>Ideen</strong><br />

Fundamentale <strong>Ideen</strong> dienen der<br />

fachlichen Absicherung von Inhalten.<br />

(Humbert, 2005, 54)<br />

Sie funktionieren als spiraliges Strukturmoment<br />

(vgl. Schwill, 1993, 11-14) und helfen Zeitgeisterei<br />

<strong>im</strong> Unterricht verhindern.<br />

Fundamentale <strong>Ideen</strong> nach und vor Bruner<br />

Fundamentale <strong>Ideen</strong> haben eine gute Tradition als<br />

Rahmen <strong>für</strong> Untericht und wurden durch den amerikanischen<br />

Erziehungswissenschaftler Bruner fachunabhängig<br />

thematisiert und populär.<br />

Im Jahre 1960 formulierte [. . . ]<br />

Bruner das didaktische Prinzip, wonach<br />

sich Unterricht in erster Linie an<br />

Strukturen der zugrunde liegenden<br />

Wissenschaft orientieren soll. (Schubert<br />

& Schwill, 2004, 79)<br />

[Fundamentale <strong>Ideen</strong>] sind nicht<br />

Elemente der Wissenschaft an sich,<br />

sondern Produkte unseres Verstandes,<br />

die wir der Wissenschaft aufprägen.<br />

(Schubert & Schwill, 2004, 82)<br />

Bruner selbst gibt keine explizte<br />

Definition oder Charakterisierung des<br />

Begriffs, er überlässt es <strong>im</strong> wesentlichen<br />

dem Leser, sich anhand vieler<br />

Beispiele eine intuitive Vorstellung<br />

von fundamentalen <strong>Ideen</strong> zu verschaffen.<br />

(Schubert & Schwill, 2004,<br />

81)<br />

Um als solider Rahmen <strong>für</strong> Untericht dienen<br />

zu können, sollten Fundamentale <strong>Ideen</strong> gewissen<br />

Kriterien genügen (vgl. Schwill, 1993,<br />

8): Sie sollten (1) vielfältig erkennbar und anwendbar<br />

sein (Horizontalkriterium), (2) auf jedem<br />

intellektuellen Niveau — mit dem bekannten<br />

Wort Bruners: <strong>für</strong> jedem Menschen in jedem<br />

Alter — aufgezeigt und vermittelt werden<br />

können (Vertikalkriterium), (3) in der historischen<br />

Entwicklung längerfristig relevant sein<br />

(Zeitkriterium) und (4) Bezug zur alltäglichen<br />

Wirklichkeit besitzen (Sinnkriterium). In (Schubert<br />

& Schwill, 2004, 85f.) wird diese Liste noch<br />

um das Zielkriterium ergänzt, wonach Fundamentale<br />

<strong>Ideen</strong> als Annäherung an eine idealisierte<br />

Zielvorstellung dienen.<br />

Wir finden Fundamentale <strong>Ideen</strong> heute <strong>für</strong> den<br />

<strong>Mathematikunterricht</strong> explizit unter dem Namen<br />

Leitideen in den Bildungsstandards <strong>für</strong> die Sekundarstufe<br />

I:<br />

Folgende mathematische Leitideen<br />

sind zu Grunde gelegt: (L1)<br />

91


Anselm Lambert und Pia Selzer, Saarbrücken<br />

Zahl, (L2) Messen, (L3) Raum und<br />

Form, (L4) Funktionaler Zusammenhang,<br />

(L5) Daten und Zufall.<br />

Eine Leitidee vereinigt Inhalte<br />

verschiedener mathematischer Sachgebiete<br />

und durchzieht ein mathematisches<br />

Curriculum spiralförmig.<br />

(KMK, 2003, 13)<br />

Aber auch schon bereits in den Preußischen<br />

Richtlinien von 1925 in der Tradition der revidierten<br />

Meraner Lehrpläne von 1922 (nach Lietzmann,<br />

1926, 261f (Hervorhebungen nicht <strong>im</strong> Original),<br />

vgl. dazu auch Lambert, 2005a) können wir<br />

lesen:<br />

Allgemeines Lehrziel<br />

[. . . ] Erzielung der Fähigkeit, das<br />

Mathematische in Form, Maß, Zahl<br />

und Gesetzmäßigkeit an den Gegenständen<br />

und Erscheinungen der Umwelt<br />

zu erkennen und die gewonnene<br />

Erkenntnis selbständig anzuwenden;<br />

insbesondere Entwicklung<br />

des räumlichen Anschauungsvermögens<br />

und der Fertigkeit <strong>im</strong> mathematischen<br />

Auffassen der gegenseitigen<br />

Abhängigkeit veränderlicher Größenwerte.<br />

Die Idee Daten und Zufall war damals gerade aus<br />

dem Lehrplan gefallen, heute erlebt sie (dort?)<br />

wieder eine Renaissance.<br />

Fundamentale <strong>Ideen</strong><br />

der Informatik<br />

(Baumann, 1990, 55) nennt den fundamentalen<br />

Begriff Algorithmus, die Idee der formalen<br />

Beschreibung und die Konstruktion künstlicher<br />

Sprachen, die weit in die Geistesgeschichte zurückgehen,<br />

und stellt fest:<br />

Die Entstehung der Informationsverarbeitung<br />

durch Computer beruht<br />

<strong>im</strong> wesentlichen auf drei fundamentalen<br />

<strong>Ideen</strong>, nämlich der Idee der Formalisierung,<br />

der Idee der Mechanisierung<br />

und der Idee der Programmsteuerung.<br />

(Baumann, 1990, 55)<br />

(Schwill, 1993) schlägt basierend auf seiner<br />

Analyse von Softwareentwicklung folgende drei<br />

Fundamentale <strong>Ideen</strong> als Masterideen vor:<br />

• Algorithmisierung,<br />

• Strukturierte Zerlegung,<br />

• Sprache,<br />

und eröffnet damit die breitere Diskussion um<br />

Fundamentale <strong>Ideen</strong> der Informatik <strong>für</strong> den Unterricht.<br />

92<br />

1994 hat die Tagung unseres „Arbeitskreises<br />

<strong>Mathematikunterricht</strong> und Informatik in der<br />

GDM“ das Thema: „Fundamentale <strong>Ideen</strong> – Zur<br />

Zielorientierung eines künftigen <strong>Mathematikunterricht</strong>s<br />

unter Berücksichtigung der Informatik“.<br />

Bender konstatiert dort:<br />

[D]ie drei [. . . ] Master-<strong>Ideen</strong> sind<br />

entweder sowieso fundamentale <strong>Ideen</strong><br />

der [. . . ] Mathematik, oder aber<br />

[. . . ] informatische Verkörperungen<br />

solcher [. . . ]. (Bender, 1995, 12)<br />

Hier fließen offenbar zwei Überlegungen zusammen.<br />

Erstens: An Algorithmen war man schon<br />

lange vor der Erfindung des Computers interessiert<br />

und Mathematiktreibende sind maker of patterns<br />

(Hardy, 1967, 84) und Mathematik ist eine<br />

formale Sprache – man denke nur an Hilberts<br />

Programm. Und zweitens: Der Computer ist eine<br />

Maschine, auf die wir menschliche Denkfähigkeit<br />

mechanisiert auslagern (vgl. Hischer, 2002, 69f.<br />

bzw. Weigand & Weth, 2003, 1).<br />

In der Verbindung mit der Idee „Auslagerung<br />

auf einen Computer“ werden die historisch mathematischen<br />

<strong>Ideen</strong> Algorithmisierung, Strukturierte<br />

Zerlegung und Sprache also zu informatischen,<br />

und zu dieser Auslagerung ist Diskretisierung notwendig.<br />

Fasst man die Mathematik als die<br />

Wissenschaft vom „formal Denkbaren“<br />

auf, so konzentriert sich die Informatik<br />

auf das „Realisierbare“, also<br />

auf Formalismen und Begriffe, die<br />

der maschinellen Verarbeitung zugänglich<br />

sind. (GI, 2005, 3)<br />

Die Untersuchungsobjekte der<br />

Mathematik unterliegen <strong>im</strong> Allgemeinen<br />

keinen Einschränkungen,<br />

während in der Informatik eine Bevorzugung<br />

diskreter Strukturen vorherrscht.<br />

(Claus, 1977, nach Schubert<br />

& Schwill, 2004, 14)<br />

Kurz:<br />

Mathematik ist die Wissenschaft von den<br />

denkbaren Mustern und Strukturen, und<br />

Informatik die von den computertechnisch<br />

machbaren, notwendig diskreten.<br />

3.2 Diskretisierung<br />

In Diskretisierung sehen wir eine zentrale, aktuelle<br />

und zukunftsweisende Idee an einer Schnittstelle<br />

von Mathematik und Informatik; nach unserer<br />

Auffassung erfüllt sie obige Kriterien an eine<br />

Fundamentale Idee und ist von allgemeinbildendem<br />

Wert. Sie spiegelt beide Traditionen der Informatik<br />

wider: Wir finden Sie in der Mathematik,


Schillernde Diskretisierung – eine Schnittstelle von Mathematik und Informatik<br />

die sich auch schon vor dem Computer mit diskreten<br />

Strukturen auseinandersetzte, und sie hat als<br />

technische Notwendigkeit zwingenden Bezug zur<br />

Ingenieurwissensschaft.<br />

Diskrete Mathematik<br />

An der Brücke zwischen Mathematik und Informatik<br />

erlebt die Diskrete Mathematik heute ein –<br />

auch institutionell durch neue Professuren getragenes<br />

— Wiedererstarken.<br />

Ob Diskrete Mathematik ein eigenständiges<br />

Gebiet der Mathematik oder eine spezielle, klassische<br />

Gebiete verbindende Art, mathematisch zu<br />

denken, ist, darüber gehen die Meinungen auseinander.<br />

Letztlich wird dies tatsächlich erst die noch<br />

vor uns liegende geschichtliche Entwicklung entscheiden.<br />

Einerseits<br />

Diskrete Mathematik ist ein relativ<br />

junges Gebiet der Mathematik,<br />

das in einzigartiger Weise sogenannte<br />

„reine Mathematik“ mit „Anwendungen“<br />

verbindet. Insbesondere seit<br />

der Einführung des Computers in der<br />

Mitte des 20. Jahrhunderts drängten<br />

sich Probleme der diskreten Mathematik<br />

in den Vordergrund. Im Gegensatz<br />

zu solchen Teilgebieten der<br />

Mathematik, die sich mit kontinuierlichen,<br />

„stetigen“ Phänomenen beschäftigen,<br />

wie z.B. die Analysis, ist<br />

es eine Herausforderung der diskreten<br />

Mathematik, Modelle zum Verständnis<br />

und zur Beherrschung von<br />

endlichen, eventuell allerdings sehr<br />

großen Phänomenen und Strukturen<br />

zu entwickeln. [. . . ] es werden Formeln<br />

und Algorithmen behandelt. Insofern<br />

sind die Übergänge zur Informatik<br />

fließend. (Beutelsbacher &<br />

Zschigener, 2004, Umschlagstext)<br />

Hier spricht der aktive Forscher, der in dem, was<br />

er tut, etwas Eigenes sieht. Interessant ist, dass wir<br />

auch hier die bereits oben schon von Bender getroffene<br />

Feststellung finden können, dass Formalisierung<br />

und Algorithmisierung sowohl zur Mathematik<br />

als auch zur Informatik gehören und diese<br />

verbinden.<br />

Andererseits<br />

Diskrete Mathematik ist ein Sammelname<br />

<strong>für</strong> verschiedene mathematische<br />

Teilgebiete, deren gemeinsamer<br />

Kern die Beschäftigung mit endlichen<br />

— bzw. diskreten — Mengen<br />

und darauf vereinbarten Relationen<br />

oder Strukturen ist. Hierzu gehö-<br />

ren Kombinatorik und Graphentheorie,<br />

insbesondere die diskrete Opt<strong>im</strong>ierung<br />

sowie die Codierungstheorie<br />

und Kryptographie. [. . . ] Diskrete<br />

Mathematik ist also kein eigenständiges<br />

mathematisches Teilgebiet<br />

wie Algebra, Geometrie oder Analysis.<br />

(Bruder & Weigand, 2005, 4)<br />

Dies ist ein Standpunkt <strong>für</strong> die Schule, <strong>für</strong> den<br />

Unterricht: Schule entwickelt sich langsam weiter<br />

und Neuerungen brauchen belastbare Anknüpfungspunkte.<br />

Wir sollten also das Diskrete zunächst<br />

bei Bekanntem suchen.<br />

Ein integrierender Zugang<br />

THESE: Die Übergänge zwischen Mathematik,<br />

Numerik und Informatik sind fließend, und so<br />

sollten sie auch in der Schule erscheinen. — Dies<br />

ist mit einer Integration informatischer <strong>Ideen</strong> in<br />

den <strong>Mathematikunterricht</strong> (der Sekundarstufe I)<br />

leichter möglich als mit einem abgespaltenen Fach<br />

Informatik.<br />

VORSCHLAG zur Diskussion: Es sollte in<br />

der Sekundarstufe I — ab Klasse 7, 8 oder 9? —<br />

ein integriertes Fach „Mathematik & Informatik“<br />

eingerichtet werden.<br />

4 Exemplarisches Beispiel <strong>für</strong><br />

den Unterricht<br />

Die in den vorherigen Abschnitten gelegten theoretischen<br />

Grundlagen zu allgemeiner Informatik<br />

und der Mathematik und Informatik verbindenden<br />

Idee Diskretisierung werden wir nun an beziehungshaltigen<br />

Beispielen <strong>für</strong> den Unterricht exemplarisch<br />

konkretisieren. Diese sind dabei so gewählt,<br />

dass sie in den derzeitigen alltäglichen <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

— <strong>im</strong> Rahmen der üblichen<br />

Lehrpläne der Sekundarstufe I — problemlos integriert<br />

werden können.<br />

4.1 Ein rund(?)er Anfang<br />

Der Computer vermittelt als Neues Medium und<br />

Werkzeug <strong>im</strong> Unterricht zwischen Mensch und<br />

Welt. Er erweitert mitprägend unsere Wahrnehmung.<br />

Konstruieren wir [. . . ] die Welt<br />

nach dem Bild des Computers, oder<br />

erschließen wir uns mit seiner Hilfe<br />

die Wirklichkeit? (Bauer-Wabnegg,<br />

2001, 33)<br />

Zeichnen wir mit einem DGS einen Kreis, erhalten<br />

wir ein Bild wie das folgende (hier: mit dem<br />

DGS des Casio Classpad 300):<br />

93


Anselm Lambert und Pia Selzer, Saarbrücken<br />

Wir sehen einen Kreis, weil wir bereits wissen,<br />

was ein Kreis ist. Wenn wir Objekte zeichnen,<br />

die wir noch nicht kennen, dann erkennen wir sie<br />

nicht. Man kann die Beobachtung machen, dass<br />

Schülerinnen und Schüler, die Parabeln noch nicht<br />

kennen — aufgrund der durch die Bildschirmauflösung<br />

notwendigen Treppen — Probleme haben,<br />

die Parabeln vom Display „genau“ abzuzeichnen<br />

(vgl. Lambert, 2005b, 260).<br />

Was steckt eigentlich hinter den Treppen? Genaues<br />

Hinsehen ergibt: Der Rechner hat nur endlich<br />

viele Zeichenpunkte zur Verfügung! Bei der<br />

Untersuchung des Phänomens können wir ein<br />

Tabellenkalkulationsprogramm nutzen. Das Programm<br />

offenbart sich dadurch als ein sehr mächtiges<br />

Werkzeug (dazu Hischer, 2002, 241), das auch<br />

Dinge kann, <strong>für</strong> die es ursprünglich gar nicht gedacht<br />

ist.<br />

S<strong>im</strong>ulieren wir also die obige Kreisdarstellung<br />

(vgl. dazu auch Hubwieser, 2004, 137ff.,<br />

wo durch Tabellenkalkulation Rastergrafik und<br />

Vektorgrafik veranschaulicht werden): Wir setzen<br />

einen Pixel, falls die Kreisgleichung annähernd<br />

erfüllt ist.<br />

Dazu können wir wie folgt vorgehen: In Zeile<br />

1 bzw. Spalte A haben wir x- bzw. y-Koordinaten<br />

eingetragen, In Zelle D3 bis D7 finden sich Mittelpunkt,<br />

Radius und Näherungsschranken <strong>für</strong> die<br />

Kreisberechnung. Der kurze Befehl <strong>für</strong> die in der<br />

Abbildung markierte Zelle X7 lautet:<br />

=WENN(<br />

UND(<br />

(X$1-$D$3)^2+($A1-$D$4)^2>=$D$5^2-$D$6;<br />

(X$1-$D$3)^2+($A1-$D$4)^2


Schillernde Diskretisierung – eine Schnittstelle von Mathematik und Informatik<br />

Taschenrechner Mit dem Taschenrechner<br />

wurde die Präzision der Näherungen erhöht und<br />

das Bewusstsein über numerische Fehler reduziert.<br />

Einheitskreis Früher konnte man Einheitkreise<br />

als Unterrichtmaterialien in Gestalt von Funktionsanzeigern<br />

erwerben (aus Lietzmann, 1923,<br />

176).<br />

Heute können sich die Lernenden selbst mit einem<br />

DGS einen beweglichen Eindruck vom Einheitskreis<br />

zum Funktionsgraphen verschaffen.<br />

Funktionsgraph Biegbare Kurvenlineale und<br />

starre Schablonen halfen früher be<strong>im</strong> Darstellen<br />

glatter Graphen. Oder man ließ sich technisch unterstützen<br />

(mit direktem Bezug zu den entsprechenden<br />

physikalischen Aspekten): durch Oszilloskop<br />

bzw. x-t-Schreiber oder auch durch St<strong>im</strong>mgabel<br />

und Rußplatte (Lietzmann, 1925, 145).<br />

Funktionsplots als Ergebnis mehrfacher Diskretisierung<br />

(vgl. Hischer, 2004, 40f) stellen heute<br />

Funktionsgraphen notwendig treppig dar. Aber<br />

es gibt auch einen wirklichen mediendidaktischen<br />

Durchbruch (vgl. Hischer, 2002, 249): Heute können<br />

wir Funktionsgraphen auf dem Computerbildschirm<br />

entstehen lassen (siehe oben) und über<br />

auf Formvariable wirkende virtuelle Schieberegler<br />

interaktiv bewegen. Für Letzteres eignet sich<br />

hervorragend das vom Lehrer Robert Triftshäuser<br />

programmierte, frei erhältliche und einfach handhabbare<br />

Paraplot2, das zu vom Nutzer verwendeten<br />

Formvariablen automatisch Schieberegler generiert.<br />

. . . und in der Sekundarstufe II<br />

Reihe Für die rigorose Analysis spielt es eine<br />

Rolle, dass sich der Sinus als unendliche Reihe<br />

sin(x) =<br />

∞<br />

∑<br />

k=0<br />

(−1) k x2k+1 (2k+1)!<br />

darstellen lässt; sie kann dies als Definition nehmen.<br />

Den Grenzübergang können wir uns heute<br />

leicht ansehen.<br />

Mathematische und andere Pendel Bei<br />

der Beschreibung von Schwingungen spielt die<br />

Sinusfunktion eine wichtige Rolle. Dabei erhalten<br />

wir in einer gegebenen Situation unterschiedliche<br />

Aussagen über das Verhalten eines Pendels,<br />

je nachdem was wir zur Lösung verwenden (wollen).<br />

Ein wirkliches (nicht angeregtes) Pendel<br />

schwingt, einmal angestoßen, natürlich mit fallender<br />

Amplitude, bis es schließlich zum Stillstand<br />

kommt.<br />

Das wie üblich zum mathematischen Pendel<br />

linearisierte — hier wird der Sinus <strong>im</strong> Ansatz<br />

durch seine lineare Näherung ersetzt, damit man<br />

eine exakte Lösung erhalten kann — Anfangswertproblem<br />

¨x(t) = −x(t), ˙x(0) = 1, x(0) = 0<br />

hingegen hat den ewig schwingenden Sinus als<br />

Lösung.<br />

Und lösen wir diese Differentialgleichung<br />

über das naiv — d. h. analysisfrei — diskretisierende<br />

Eulerverfahren numerisch (siehe unten, mit<br />

Maple), so wächst die Amplitude der Schwingung<br />

beständig. Durch Verkleinerung der Schrittweite,<br />

können wir diese Lösung zwar verbessern, aber<br />

letztlich wäre der Grenzübergang dann doch wieder<br />

kontinuierliche Analysis.<br />

f:=(t,x,y)->y;<br />

g:=(t,x,y)->-x;<br />

t[0]:=0; x[0]:=0; y[0]:=1;<br />

h:=0.1; schritte:=400;<br />

for k from 0 to schritte do<br />

t[k+1]:=t[k]+h;<br />

x[k+1]:=x[k]+h*f(t[k],x[k],y[k]);<br />

y[k+1]:=y[k]+h*g(t[k],x[k],y[k])<br />

od:<br />

95


Anselm Lambert und Pia Selzer, Saarbrücken<br />

Das Beispiel zeigt auch, dass eine strikte Trennung<br />

von Mathematik- und Physikunterricht leider<br />

die Beziehungshaltigkeit vieler (auch hier<br />

nicht genannter) Aspekte des Begriffes Sinus reduziert,<br />

die exemplarisch <strong>für</strong> die Beziehungshaltigkeit<br />

von Mathematik und Physik stehen könnte.<br />

Periodisches Aliasing be<strong>im</strong> Plotten von<br />

Sinusfunktionen<br />

Funktionenplotter sind oft ein nützliches Werkzeug<br />

zum Erkennen von Funktionseigenschaften.<br />

Dabei ist ihnen durch die diskrete Auflösung der<br />

Funktionsgraphen in Pixel eine technische Grenze<br />

<strong>für</strong> Darstellungsmöglichkeiten gesetzt, die uns<br />

bewusst sein muss, damit wir uns nicht in die Irre<br />

führen lassen. Man kann sich leicht überlegen,<br />

dass es auf einem Bildschirm mit m mal n Pixeln,<br />

die nur die Werte Schwarz bzw. Weiß annehmen,<br />

genau 2 mn verschiedene Bilder gibt, gewiss zu wenig,<br />

um unendlich viele unterschiedliche Funktionen<br />

auch unterschiedlich darzustellen.<br />

Die Pixel bilden ein periodisches Raster, der<br />

Sinus ist eine periodische Funktion, da ist es nicht<br />

abwegig bei zwingend auftretenden Fehldarstellungen<br />

auch periodische Phänomene zu erwarten,<br />

Mathematik und Informatik haben schließlich System.<br />

Durch systematisches Probieren kann man<br />

entdecken: Der Funktionsplot auf dem TI Voyage<br />

200 etwa zeigt uns über dem Intervall [−π,π]<br />

und<br />

sin(x) = sin(239x) = sin(477x) = ···<br />

sin(2x) = sin(240x) = sin(478x) = ···<br />

usw. (vgl. Herget et al., 2002) und der auf dem<br />

Casio Classpad 300 (Lambert, 2005b, 262f)<br />

und<br />

sin(x) = sin(155x) = sin(309x) = ···<br />

sin(2x) = sin(156x) = sin(310x) = ···.<br />

Wie kommt das zustande? Die Plotter berechnen<br />

und zeichnen die Werte an den durch ihre Bildschirmauflösung<br />

gegebenen Stützstellen. An diesen<br />

fallen die Werte der unterschiedlichen Funktionen<br />

offensichtlich zusammen. Offensichtlich —<br />

96<br />

aber warum? Ein Additionstheorem erhellt den<br />

Zusammenhang (vgl. Hischer, 2002, 58):<br />

sin((a+ks)xσ)<br />

= sin(axσ)cos(kσ2π)+cos(axσ)sin(kσ2π)<br />

<strong>für</strong> k ∈ Z, die Abtastrate s und die Stützstellen<br />

xσ = 2πσ<br />

s mit σ = 1...s. Darin ist cos(kσ2π) = 1<br />

und sin(kσ2π) = 0 <strong>für</strong> alle k und σ. Vom Term<br />

rechts des Gleichheitszeichens bleibt also tatsächlich<br />

nur sin(axσ) stehen, und das sehen wir. So<br />

lässt sich dann auch die Abtastrate s best<strong>im</strong>men.<br />

Haben wir das verstanden, so können wir eine erklärende<br />

Abbildung erzeugen — mit überschaubarer<br />

Frequenz des Sinus und passender Abtastrate<br />

in einer Wertetabelle (hier auf dem Casio<br />

Classpad 300):<br />

Spannend ist hier auch die letzte Zeile der Wertetabelle,<br />

die uns etwas über die interne (Un-<br />

)Genauigkeit der Maschine verrät. Vergleichbare<br />

Beobachtungen kann man auch leicht mit einer<br />

Tabellenkalkulation machen.<br />

Das Phänomen möglicher Fehldarstellungen<br />

bei äquidistanter Abtastung ist von hoher Anwendungsrelevanz:<br />

Es spielt z. B. eine wesentliche<br />

Rolle bei der Digitalisierung — also Diskretisierung<br />

— von Tonsignalen bei Audioaufnahmen.<br />

Als Ausweg haben wir Shannons Abtasttheorem,<br />

das sicherstellt, dass wir, wenn wir ein Signal mit<br />

einer Frequenz abtasten, die mehr als doppelt so<br />

groß ist wie die höchste der in dem abzutastenden<br />

Signal enthalten Frequenzen, das Originalsignal<br />

wieder vollständig rekonstruieren können. Dazu<br />

verwendet man die schnelle Fouriertransformation<br />

(FFT), die, in wenigen Zeilen programmierbar,<br />

<strong>im</strong> Untericht von der Lehrperson leicht demonstriert<br />

werden kann – man kann nicht alles die Lernenden<br />

selbst entdecken lassen.<br />

Oben haben wir die inzwischen historisch gewachsene<br />

Trennung von Mathematik- und Physikunterricht<br />

be<strong>im</strong> Thema Sinus bedauert. Eine Trennung<br />

von Mathematik- und Infomatikunterricht<br />

<strong>im</strong> Alltag würde noch vorhandene Chancen angebrachter<br />

Vernetzung — die hier exemplarisch angedeutet<br />

wurde — vergeben. (Zwischen-) Bilanzierend<br />

möchten wir hier festhalten:


Schillernde Diskretisierung – eine Schnittstelle von Mathematik und Informatik<br />

Am Beispiel des Begriffs „Sinus“ lässt<br />

sich Diskretisierung <strong>im</strong> Zusammenspiel<br />

von Mathematik, Numerik & Informatik<br />

erkennen-erkunden-erfahren-erklären.<br />

4.3 Ein Modell von Modellbildung be<strong>im</strong><br />

reflektierenden Einsatz von<br />

Computern <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

In Erweiterung des Modells von Modellbildung<br />

von (Schupp, 1988, 11) <strong>für</strong> den anwendungsorien-<br />

Schupp hat den Modellbildungskreislauf<br />

strukturiert, indem er die Seiten Problem und Lösung<br />

und die Ebenen Welt und Mathematik bewusst<br />

unterscheidet.<br />

Wir möchten dem Modell be<strong>im</strong> Computereinsatz<br />

zwei weitere Ebenen hinzufügen: Die Ebene<br />

„Auf dem Computer“ und die Ebene „Im Computer“.<br />

Wir übersetzen (falls möglich!) unser mathematisches<br />

Modell so, dass wir es dem Computer<br />

übergeben können. Der übersetzt es sich wiederum<br />

so, dass er binär damit rechnen kann. Das<br />

Resultat seiner Rechnung transformiert er dann<br />

wieder in eine <strong>für</strong> uns verständliche Sprache zurück,<br />

woraus wir schließlich ein Ergebnis gewinnen<br />

können.<br />

Wir sehen bei der Nutzung eines CAS, das <strong>für</strong><br />

uns algebraisch operiert, nicht, dass dies <strong>im</strong> Computer<br />

durch Binärarithmetik realisiert ist.<br />

Das Modell erinnert uns daran, dass wir in vielen<br />

Fällen zuerst Mathematisieren und dann Diskretisieren<br />

(sollten), und dass erst die Kenntnis der<br />

Möglichkeiten und Grenzen des Computers einen<br />

verständigen Umgang mit diesem ermöglicht.<br />

4.4 Pixelphänomene<br />

Diskrete Auflösung durch Pixel spielt noch an vielen<br />

weiteren Punkten in den Mathematik- und Informatikunterricht<br />

hinein.<br />

Phänomene die zwischen die Pixel fallen<br />

Auf Bildschirmen haben wir <strong>im</strong>mer Diskretisierung<br />

vor Augen, die Phänomene des Unendlichen<br />

verendlicht. Ohne eine angemessene Reflexion<br />

der Situation lassen sich leicht Fehlschlüsse<br />

tierten <strong>Mathematikunterricht</strong> schlagen wir angeregt<br />

durch die Betrachtungen am exemplarischen<br />

Beispiel Sinus folgendes Modell <strong>für</strong> den entsprechenden<br />

Einsatz <strong>im</strong> Mathematik & Informatik -<br />

Unterricht vor; typisch informatische Anwendungen<br />

wie etwa Datenbanken sollen von diesem Modell<br />

nicht beschrieben werden.<br />

ziehen.<br />

Auf einen präzisen Grenzwertbegriff<br />

wird verzichtet. Dies geschieht<br />

auch in dem Zusammenhang, dass<br />

wir uns in einem Übergang vom<br />

industriellen Zeitalter ins Informationszeitalter<br />

befinden. Mathematische<br />

Grundlage <strong>für</strong> das industrielle Zeitalter<br />

war die traditionelle Analysis.<br />

Basis <strong>für</strong> das Informationszeitalter ist<br />

eher die diskrete Mathematik. (Weitendorf,<br />

2000)<br />

Untersuchen wir also nun etwa die Krümmung der<br />

recht s<strong>im</strong>plen Funktion<br />

<strong>für</strong><br />

f : R + → R, x ↦→ xln(x)<br />

x → 0.<br />

Ein Blick auf das Display des Classpad 300 zeigt<br />

uns den Plot über [−0,5..1,5] ×[−1..1] bzw. eine<br />

Auschnittsvergrößerung:<br />

97


Anselm Lambert und Pia Selzer, Saarbrücken<br />

Das Krümmungsverhalten scheint harmlos zu<br />

sein. Wie <strong>im</strong>mer bei Funktionsplots differenzierbarer<br />

Funktionen ist das Bild lokal linear — was<br />

ja <strong>im</strong> Unterricht Funktionenmikroskope ermöglicht<br />

(vgl. Kirsch, 1979). Es suggeriert uns aber<br />

auch leicht Krümmung 0 – ein prinzipielles Problem.<br />

Ein Plot der zugehörigen Krümmungsfunktion<br />

lässt bei geschicktem Zoomen etwas Anderes<br />

möglich scheinen. Eine analytische Betrachtung<br />

— bei der ein CAS Arbeit abn<strong>im</strong>mt — verblüfft<br />

schließlich endgültig damit, dass <strong>für</strong> x gegen 0 die<br />

Krümmung gegen ∞ geht.<br />

Sie haben mal Leute zitiert, die<br />

behauptet haben, daß Newton und<br />

Leibniz die Differential- und Integralrechnung<br />

nicht erfunden hätten,<br />

wenn sie Taschenrechner gehabt hätten!<br />

Diese Aufgabe zeigt, was das <strong>für</strong><br />

ein Unsinn ist. (Schülerin nach Steinberg,<br />

2005, 46)<br />

Übrigens: Wir leben <strong>im</strong> (Informations-) Zeitalter,<br />

in dem man dank Computer Schiller zitieren kann,<br />

ohne ihn wirklich selbst gelesen zu haben (vgl.<br />

auch Swift oben). Und so finden wir passend zum<br />

Schillerjahr leicht ein hier passendes Zitat:<br />

Theoretischerhaben ist ein Gegenstand,<br />

insofern er die Vorstellung<br />

der Unendlichkeit mit sich führet, deren<br />

Darstellung sich die Einbildungskraft<br />

nicht gewachsen fühlt. (Schiller,<br />

1793)<br />

Und deren Darstellung diskrete Computer nicht<br />

gewachsen sein können.<br />

Weitere Phänomene, die zwischen den<br />

Pixeln emporsteigen<br />

Aliasing be<strong>im</strong> Plotten des Sinus lässt sich als Phänomen<br />

bei der Überlagerung periodischer Strukturen<br />

beschreiben. Dies birgt <strong>für</strong> den Unterricht ein<br />

Verallgemeinerungspotential. Überlagerung periodischer<br />

Strukturen haben wir auch in der folgenden<br />

Situation: Der Scan eines leicht gedrehten<br />

Streifenmusters (mit einem Scanner, aber auch<br />

bei Bilschirmdarstellung) zeigt Moiré-Phänomene<br />

(vom frz. moiré: schillernd).<br />

Zur Untersuchung <strong>im</strong> Unterricht der Sekundarstufe<br />

I benötigen wir unterschiedliche Folien<br />

mit äquidistanten Steifenmustern, die wir leicht<br />

mit LATEX (oder auch einem Grafikprogramm) erzeugen:<br />

98<br />

\documentclass[12pt,a4paper]{article}<br />

\begin{document}<br />

\setlength{\unitlength}{1cm}<br />

\begin{picture}(5,15)<br />

\linethickness{0.1 cm}<br />

\multiput(0,0)(0.2,0){70}{\line(0,1){15}}<br />

\end{picture}<br />

\end{document}<br />

Dieser kurze Quellcode erzeugt ein Muster mit<br />

Streifenbreite 0,1 cm (Zeile 5) und der Periode<br />

0,2 cm (Zeile 6).<br />

Legt man zwei dieser Folien übereinander und<br />

verdreht sie gegeneinander, so kann man abhängig<br />

vom Drehwinkel und vom Frequenzverhältnis<br />

Streifen sehen, die in keiner der Folien selbst enthalten<br />

sind.<br />

Wir sehen hier den so genannten (1,−1)-<br />

Moiré <strong>für</strong> die Frequenzverhältnisse q = 1 bzw.<br />

q = 1,1 und einen Drehwinkel von etwa 6 ◦ (aus<br />

Selzer, 2005, 42).<br />

Die Sichtbarkeit <strong>im</strong> Folienexper<strong>im</strong>ent ist auch<br />

abhängig davon, ob man in das Moiré hinein- oder<br />

aus ihm herausdreht (Selzer, 2005, 103).<br />

Aus mathematischer Sicht interessant ist die<br />

Frage, ob und wie man ggf. aus den Perioden der<br />

Ausgangsfolien und dem Drehwinkel den Moiré<br />

best<strong>im</strong>men kann.<br />

Ein möglicher Weg, der schließlich zu einer<br />

verständigen S<strong>im</strong>ulation von Moirés bei Streifenmustern<br />

mit einem DGS führen kann, ist in (Lambert,<br />

2005a) beschrieben.


Schillernde Diskretisierung – eine Schnittstelle von Mathematik und Informatik<br />

Was wir hier sehen ist eine didaktische Reduktion<br />

der Fourieranalyse: Links sind Richtung und<br />

Größe der jeweiligen Frequenzen dargestellt; Frequenz<br />

und Richtung des Moirés ergibt sich durch<br />

lineare Superposition (kennt man aus dem Physikunterricht<br />

von Kräften), also durch Vektoraddition.<br />

Bei anderen als dem (1,−1)-Moiré kommen<br />

entsprechende andere Vielfache der Vektoren zum<br />

Zug.<br />

Neben Streifenmustern können auch weitere<br />

periodische Muster betrachtet werden, was die<br />

visuelle Entdeckung ermöglicht, dass <strong>im</strong> Moiré<br />

Information aus den Ausgangssignalen zu sehen<br />

ist. Überlagern wir etwa zweifach periodisch angeordnete<br />

weiße Kreise auf schwarzen Grund<br />

mit zweifach periodisch angeordneten schwarzen<br />

Herzchen auf weißem Grund, so wird bei geringem<br />

Drehwinkel ein Moiré sichtbar, der verschwommen<br />

vergrößerte Herzen aufweist (vgl.<br />

Selzer, 2005, 88).<br />

Das Vergrößerungsphänomen hat man schon<br />

früher zur Qualitätsbest<strong>im</strong>mung von Seidenstoffen<br />

verwendet. Dort spielen Moirés auch bei der<br />

Herstellung von schillernden Stoffen eine Rolle<br />

— bereits <strong>im</strong> alten China (vgl. dazu Selzer, 2005,<br />

6).<br />

Mit dem Wissen um Moirés kann man diese<br />

dann auch <strong>im</strong> Alltag jenseits des Computers wiederfinden<br />

(Abb. aus Selzer, 2005, 5) — man sieht,<br />

was man weiß.<br />

4.5 Ein rund(?)es Ende<br />

Hat man die Idee der Diskretisierung verstanden,<br />

kann man sie schließlich selbst kreativ nutzen. Wir<br />

können dazu den <strong>im</strong>pliziten 3D-Funktionenplotter<br />

DPGraph einsetzen, der leicht zu bedienen und<br />

preiswert zu erhalten ist, und der sich <strong>für</strong> mathematische<br />

Anwendungen und mathematische Spielereien<br />

<strong>im</strong> Unterricht eignet.<br />

graph3d.mesh:=false<br />

graph3d.resolution := 99<br />

graph3d.contrast := 0.6<br />

graph3d.highlight := 0.3<br />

graph3d.shading := 0.8<br />

graph3d.color := (x+y+z)/5<br />

graph3d.min<strong>im</strong>umx := -2<br />

graph3d.max<strong>im</strong>umx := 2<br />

graph3d.min<strong>im</strong>umy := -2<br />

graph3d.max<strong>im</strong>umy := 2<br />

graph3d.min<strong>im</strong>umz := -2<br />

graph3d.max<strong>im</strong>umz := 2<br />

graph3d(<br />

((x-3/2)^2+(y-3/2)^2+(z-3/2)^2=0.1875,<br />

x^2+y^2+z^2=0.4969,<br />

(x-3/4)^2+(y-3/4)^2+(z-3/4)^2=0.1875,<br />

(x+5/4)^2+(y+5/4)^2+(z+5/4)^2=2.8*0.1875)<br />

)<br />

Bei diesen vier Kugeln sind Mittelpunkte<br />

und Radien so gewählt, dass sie<br />

bei Reduktion des stützenden Gitters auf<br />

graph3d.resolution := 9 (fast) aussehen<br />

wie arch<strong>im</strong>edische und platonische Körper<br />

— sehen sie als Kugeln eigentlich aus wie Kugeln?<br />

Literatur<br />

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Unterichts. I. Teil: Organisation, Allgemeine Methode und<br />

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uni-hamburg.de/Personal/Gkaiser/db83.<br />

html#ch242


• Erlebnis Mathematik mit Computer — Realisierung am<br />

Beispiel des Folgenbegriffs<br />

Herbert Löthe, Ludwigsburg<br />

In diesem Artikel wird ein prozessorientierter Ansatz <strong>für</strong> die Anwendung des Computers in der<br />

Mathematik-Lehramtsausbildung vorgestellt, der an der PH Ludwigsburg entwickelt und erprobt<br />

wurde.<br />

1 Einleitung<br />

Das Gebiet „Mathematik mit Computer“ ist schon<br />

fast nicht mehr diskutierbar, da bei Argumenten<br />

sehr verschiedene didaktische Situationen gemeint<br />

sein können; es ist also leicht aneinander<br />

vorbei zu reden. So meinen wir <strong>im</strong> Folgenden<br />

nicht etwa die Rolle, die die Mathematik pragmatischerweise<br />

bei der Vermittlung von Basiskenntnissen<br />

und -fähigkeiten der Informationstechnologie<br />

— etwa nach dem FITness-Curriculum (Fluency<br />

with Information Technology) — <strong>im</strong>mer<br />

noch spielt oder spielen muss, solange es ein<br />

durchgreifendes Fach Informatik noch nicht gibt.<br />

Wobei hier offen bleiben kann, ob es dies überhaupt<br />

geben sollte.<br />

Wir denken <strong>im</strong> Folgenden auch nicht an die<br />

Nutzung von Anwendersoftware <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong>.<br />

Wie <strong>im</strong>mer ist die <strong>im</strong> Unterricht verwendete<br />

Software gegenüber inhaltlichen Vorgaben<br />

dominierend und in der Regel werden didaktische<br />

Urteile von ihr beeinflusst. Man denke nur<br />

an Tabellen-, Geometrie- oder Algebrasysteme,<br />

die jeweils schon fast eine eigene Mediendidaktik<br />

innerhalb der Mathematikdidaktik induzieren.<br />

Auch die Frage, welche informatischen Inhalte,<br />

Denkweisen und Techniken <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

mit Erfolg nutzbar sind, stellt ein weites Feld<br />

didaktisch-methodischer Diskussionen dar. Während<br />

ein iterativ algorithmisches Denken schon etwas<br />

in das Blickfeld der Schulmathematik gekommen<br />

ist, sieht es bei echt rekursiven Denken noch<br />

eher düster aus. Auch das Vermeiden von Indices,<br />

die ja eine Technik der statisch verstandenen<br />

Mathematik darstellen, wird kaum zur Stärkung<br />

eines mehr dynamisch mathematischen Denkens<br />

genutzt. Wir werden dazu später ein Beispiel mit<br />

dem Folgenbegriff haben.<br />

All dies soll jedoch <strong>im</strong> Folgenden nicht <strong>im</strong><br />

Vordergrund stehen.<br />

2 Von Inhalten zu Prozessen<br />

Das Grundproblem, das wir zur Zeit sehen ist, wie<br />

bringen wir es fertig von inhaltsbezogenem didaktischen<br />

Denken zu einem Denken in prozessorientierten<br />

Arbeits- und Lernstilen <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

zu kommen?<br />

Dass dies dem gegenwärtigen Einsichten in<br />

der Didaktik der Mathematik entspricht, ist nach<br />

TIMSS, PISA etc., den NCTM-Standards (1978<br />

bis 2000), den zur Zeit sich entwickelnden Bildungsstandards<br />

und nicht zuletzt diversen Projekten<br />

wie SINUS usw. offensichtlich. Formulliert ist<br />

diese Form des mathematischen Lernens und aktiven<br />

Arbeitens als Prozess in den Prozessstandards<br />

der NCTM, die ja auch in den Bildungsstandards<br />

bei uns einige Spuren hinterlassen haben.<br />

Das Problem dabei ist — besonders in<br />

Deutschland und vor allem am Gymnasium —<br />

wie <strong>im</strong>plementiert man ensprechende Lehr- und<br />

Lernstile in den Schulen. Es gibt sicherlich den<br />

guten Willen dazu, aber die Lehrer sind über<br />

das Wie eher ratlos. Lehrende können nur dann<br />

methodische Fantasie <strong>für</strong> ihren Unterricht entwickeln,<br />

wenn sie auf ein entsprechendes eigenes<br />

Lernerlebnis zurückgreifen können. Im Lehramtsstudium<br />

stehen leider genau wie <strong>im</strong> Schulunterricht<br />

eher die Inhalte und weniger die Prozesse<br />

mathematischen Arbeitens und Lernens <strong>im</strong> Vordergrund.<br />

Wesentlich ist also das Erleben von Mathematik<br />

und weniger das Wissen über Mathematik.<br />

Leider ist es aber so, dass nur wenige Studierende<br />

daran gewöhnt sind eigeninitiativ und aktiv<br />

Mathematik zu betreiben, indem sie Vorlesungen<br />

nacharbeiten, Übungen aktiv durchführen und<br />

sich die Mathematik zur „eigenen Sache“ zu machen.<br />

Es besteht also die Aufgabe <strong>für</strong> Studium und<br />

Schule Lernumgebungen <strong>für</strong> zentrale Inhalte der<br />

Mathematik zu gestalten und Studierende da<strong>für</strong> zu<br />

gewinnen.<br />

Für diese Aufgabe sind die didaktischen <strong>Ideen</strong><br />

Seymour Paperts (und der ihn umgebenden<br />

Projekte seit 1968) <strong>im</strong>mer noch (oder gerade erst<br />

richtig) aktuell. Eine Möglichkeit methodisch zu<br />

arbeiten kann darin bestehen, dass man Lernen<br />

durch aktive explorative Arbeit in einer mathematikhaltigen<br />

Softwareumgebung organisiert.<br />

An der Pädagogischen Hochschule wurden in<br />

den letzten 15 Jahren eine Reihe von Vorlesungen<br />

<strong>für</strong> das Grundstudium mit Übungen und Computerübungen<br />

entwickelt, wobei letztere eine Lernumgebung<br />

darstellen sollten. Basis ist jeweils<br />

ein Skript, das relativ straff die Inhalte darstellt<br />

und rechte Seiten, die <strong>für</strong> aktive Arbeit während<br />

der Vorlesung Anregungen und Platz bieten. Hinzu<br />

treten von Tutoren geleitete klassische Papier-<br />

Bleistift-Übungen und Computerübungen. Beide<br />

Übungsformen leiden unter der Inaktivität vieler<br />

101


Herbert Löthe, Ludwigsburg<br />

Studierender, die sich mit dem Anhören der Vorlesung<br />

und Absitzen der Übungen erst einmal zufrieden<br />

geben. Es bleibt also die Frage, ob man<br />

nicht unter Ausnutzung von informatischen Techniken<br />

mehr Studierende in eine aktiv explorierende<br />

Lernhaltung „hineinziehen“ kann. Dabei kann<br />

es sich nicht nur um Demonstrationen des Vortragenden<br />

(etwa durch Beamer) handeln. Nach unseren<br />

Erfahrungen werden solche Demonstrationen<br />

eher inaktiv konsumiert als produktiv als Arbeitsanreiz<br />

<strong>für</strong> die spätere Übung verstanden. Es ist sogar<br />

so, dass Lernende gar keinen Anlass mehr sehen<br />

aktiv arbeitend sich mit Problemen am Computer<br />

auseinander zu setzen, wenn sie meinen,<br />

oberflächlich eine Demonstration verstanden zu<br />

haben.<br />

Soweit unsere eher ernüchternde Erfahrungen<br />

aus dem Lehrbetrieb. Dies hat jedoch meinen Ludwigsburger<br />

Kollegen Siegfried Krauter nicht davon<br />

abgehalten ein Lehrbuch „Erlebnis Geometrie“<br />

zu schreiben, in dem der Leser durchgehend<br />

aufgefordert wird, Exper<strong>im</strong>ente mit einem Dynamischen<br />

Geometriesystem zu machen (Krauter,<br />

2005). Es wird dabei vom Lernenden erwartet,<br />

dass er aktiv lesend sich den geometrischen Inhalt<br />

erschließt, indem er Exper<strong>im</strong>ente am Computer<br />

macht.<br />

3 Die Lernumgebung „Folgen“<br />

Im folgende soll ein Schritt weiter gegangen und<br />

ein konkretes Beispiel beschrieben werden, wie<br />

man unter Ausnutzung informatischer Techniken<br />

vielleicht den Abstand zwischen Buch oder Skript<br />

einerseits und der Lernumgebung auf dem Computer<br />

verkleinern kann, indem man nämlich die<br />

Lernumgebung mit dem Computer in das Skript<br />

(als pdf-File) integriert. Zur verwendeten Technik<br />

wird später noch einiges ausgeführt.<br />

Als Pilotvorhaben haben wir den Folgenbegriff<br />

ausgewählt, wie er etwa in der Analysis auftritt.<br />

Das klassische Vorgehen in der Analysis ist<br />

<strong>für</strong> Lernen unter der didaktischen Leitidee „Lernumgebung<br />

<strong>für</strong> aktives, explorierendes Lernen“<br />

wenig geeignet. Es handelt sich um typische veröffentlichte<br />

Mathematik ohne viel Möglichkeiten<br />

zum Explorieren, auch Schulbücher sind hier<br />

nicht besser. Die übliche Analysis bietet vorgeprägte<br />

Lösungsrezepte und ermutigt Routine und<br />

Klapperatismus.<br />

Schon die übliche Definition der Folge als<br />

Funktion von N in irgendwas (z.B. R) koppelt die<br />

Indizierung an den Begriff, obwohl wir die Folge<br />

eher als ein eigenständiges Abstraktum verstehen<br />

sollten, damit das Denken nicht pr<strong>im</strong>är<br />

durch das Ausdenken geschickter Indizierungen<br />

belastet wird. Man benötigt Folgen um jegliche<br />

diskrete oder diskret modellierten Prozesse darzustellen,<br />

z.B. Wachstum, Finanzprozesse, Inter-<br />

102<br />

agieren von Populationen, Schweine-Zyklus etc.<br />

Man stellt numerische Verfahren mit Folgen dar<br />

und untersucht ihr Verhalten, indem man die Folge<br />

der Näherungswerte als Ganzes definiert und danach<br />

untersucht, wie das Konvergenzverhalten ist.<br />

Sogar begrifflich Abstraktes wie der Aufbau der<br />

reelle Zahlen als Fundamentalfolgen oder durch<br />

Intervallschachtelungen kann mit Folgen geschehen,<br />

wobei in allen Fällen die Indizierung <strong>für</strong> die<br />

praktische Arbeit unwesentlich ist. Erst bei infinites<strong>im</strong>alen<br />

Beweistechniken erhält sie einige Berechtigung.<br />

Man macht sich <strong>für</strong> praktische Arbeit von der<br />

Indizierung frei, indem man Folgen als potentiell<br />

unendliche Datenstruktur versteht und als Denkstil<br />

eine iterativ algorithmische Vorstellung heranzieht.<br />

Technisch ist dies durch „lazy evaluation“<br />

möglich. In Scheme ist dies durch „streams“ geschehen,<br />

in LUCS benutzen wir eine folgenspezifische<br />

Terminologie.<br />

Im Anhang sind die ersten beiden Seiten des<br />

Skripts, ein pdf-File, zu Folgen abgedruckt.<br />

In der linken Spalte gibt es jeweils ein Link<br />

„Praxis“. Be<strong>im</strong> Anklicken wird dann die Originalsoftware<br />

LUCS (Otto, 2000) mit einer Lernumgebung<br />

aufgerufen. Die Praxis beginnt mit dem Vorspielen<br />

von explorierendem Verhalten zum Abtasten<br />

von Begriffen und Zusammenhängen und endet<br />

mit der Aufforderung weiter zu arbeiten. Im<br />

Anhang ist jeweils <strong>für</strong> die ersten zwei Seiten das<br />

„Drehbuch“ <strong>für</strong> den Einstieg in die Lernumgebung<br />

angegeben. Der Text wird in der Endversion gesprochen<br />

und als Audiofile synchron an die Vorführung<br />

zu gekoppelt.<br />

Auch dieses Lehr-Lern-Arrangement sollte<br />

man eher nüchtern beurteilen. Es gilt weiterhin <strong>für</strong><br />

die Lernenden: Wer nicht ernsthaft liest, nicht die<br />

Praxis aufruft, nicht aktiv mitdenkt, nicht weiterarbeitet,<br />

der lernt nichts!<br />

4 Technische Realisierung<br />

Die technische Realisierung geschieht mit der<br />

Software Clever PHL, die auf jacareto (java capture<br />

and replay tool) beruht. Die von Christian<br />

Spannagel entwickelten Systeme (siehe dazu auch<br />

Schroeder & Spannagel, 2004; Spannagel et al.,<br />

2005) können bei jeder in Java geschriebenen<br />

Software jede Aktion aufzeichnen, z.B. also eine<br />

Lehrervorführung. Diese Aufzeichnung kann authentisch<br />

in der Java-Software wieder abgespielt<br />

werden, z.B. also durch den Praxis-Link <strong>im</strong> pdf-<br />

File. Authentisch heisst dabei, dass es sich um<br />

eine wirkliche Neuausführung der Aktionen und<br />

nicht um eine Video-Abspielung handelt. Lernende<br />

können folglich damit weiterarbeiten und auch<br />

<strong>für</strong> eigene Aktionen die Vorführung unterbrechen,<br />

in der augenblicklichen Umgebung exper<strong>im</strong>entieren<br />

und dann fortsetzen. Die bisherigen Einsätze


Erlebnis Mathematik mit Computer — Realisierung am Beispiel des Folgenbegriffs<br />

von jacareto in Ludwigsburg waren alle <strong>im</strong> Forschungskontext.<br />

Christian Spannagel untersuchte<br />

mit Clever PHL das Verhalten von Schülern bei<br />

Modellierungen mit einem Tabellensystem, Dieter<br />

Klaudt nutzte MSW-Logo mit Clever PHL als<br />

Werkzeug zur Erforschung des mentalen Zahlenstrahls<br />

von Erstklässlern.<br />

Literatur<br />

Krauter, Siegfried (2005): Erlebnis Geometrie. Spektrum Akademischer<br />

Verlag<br />

Otto, Marcus (2000): Eine Computersprache <strong>für</strong> die Lehrerausbildung<br />

in Mathematik. In: Vorträge auf der 34. Tagung<br />

<strong>für</strong> Didaktik der Mathematik, Beiträge zum <strong>Mathematikunterricht</strong>,<br />

Hildeshe<strong>im</strong>: Franzbecker, 482–485, URL http://<br />

www.ph-ludwigsburg.de/download.html<br />

Schroeder, Ulrik & Christian Spannagel (2004): The case for<br />

action-oriented e-learning. In: Cantoni, L. & C. McLoughlin<br />

(Hg.): World Conference on Educational Mult<strong>im</strong>edia, Hypermedia<br />

and Telecommunications 2004(1), Norfolk, VA: AACE,<br />

2449–2454<br />

Spannagel, Christian, Michaela Gläser-Zikuda & Ulrik<br />

Schroeder (2005): Application of qualitative content analysis<br />

in user-program interaction research. Forum Qualitative<br />

Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research,<br />

6(2), URL http://www.qualitative-research.<br />

net/fqs-texte/2-05/05-2-29-e.htm<br />

103


Herbert Löthe, Ludwigsburg<br />

Anhang<br />

Im Anhang finden Sie die „Drehbücher“ <strong>für</strong> die ersten zwei Seiten des Scriptes, sowie die daraus produzierten<br />

Script-Seiten.<br />

Drehbuch 1<br />

Wir haben eine Funktion vordefiniert, die eine Folge mit Zufallsziffern von 0 bis 9 liefert. Der Aufbau ist<br />

<strong>für</strong> Sie derzeit völlig uninteressant.<br />

Wir definieren eine Beispielsfolge mit Namen z <strong>im</strong> Schreibfenster<br />

(def z (zzif))<br />

Die definierten Objekte werden übersetzt durch Anklicken des grünen Pfeils.<br />

In der Eingabe können wir jetzt Beispiele ausführen lassen:<br />

• schauen wir nach was sich bei der Ausführung von z ergibt: irgendeine interne Darstellung, die wir nicht<br />

deuten können und auch nicht deuten müssen — ein abstraktes Objekt.<br />

• Es sollte uns die Folge in einer anschaulichen Weise <strong>für</strong> unsere Augen gezeigt werden.<br />

Ein Beispiel wäre die Aufzählung mit Kommas:<br />

(zgf z) "Zeige die Folge z" (erste zehn Glieder von z)<br />

Die Folge hat ja gar nicht unendlich viele Glieder, sondern nur 10. Dies liegt aber nicht an der Folge z,<br />

sondern an der Ausgabe<br />

• Dem können wir abhelfen:<br />

(zgf z 20) "Zeige die ersten 20 Glieder von z"<br />

oder auch die ersten 100 Glieder:<br />

(zgf z 100)<br />

• Diese Form der Ausgabe ist jedoch nur eine Möglichkeit. Die Zufallsfolge mit Ziffern könnte ja von<br />

einem Dez<strong>im</strong>albruch stammen.<br />

• Dann wollen wir die Ziffern lückenlos hintereinander ausgedruckt haben:<br />

(zgzf z) "Zeige die ersten 10 Glieder als Ziffernfolge"<br />

(zgzf z 90) "Zeige die ersten 90 Glieder als Ziffernfolge"<br />

Für jeden Zweck muss man sich eine geeignete Ausgabe entwickeln, so wie es <strong>für</strong> unser Auge geeignet<br />

ist.<br />

• Eine Folge ist ja aus Kopfglied und Restfolge aufgebaut: Schauen wir uns das Kopfglied an:<br />

(kopfglied z) "Kopfglied von z"<br />

ok, wir können mit diesem Funktionswert natürlich auch rechnen, z.B.<br />

(10 * (kopfglied z))<br />

• Schauen wir uns die Restfolge von z an:<br />

(restfolge z) "Restfolge von z"<br />

Ok, aber dies ist ja die interne Darstellung einer Folge, also benötigen wir wieder „Zeige Folge“:<br />

(zgf (restfolge z)) "Zeigen der Restfolge, die ersten 10 Glieder"<br />

• Folgen sind ein eigener Datentyp in LUCS, der von anderen getrennt angesprochen werden kann. Mit<br />

einem Prädikat kann man testen, ob etwas eine Folge ist oder nicht:<br />

(folge? z) Prädidikat, das "wahr" ergibt, wenn z eine Folge ist<br />

(folge? 123) sonst "falsch"<br />

Arbeiten Sie kurz weiter: Wie erhalten Sie das zweite Glied einer Folge, wie das dritte Glied?<br />

104


Drehbuch 2<br />

Erlebnis Mathematik mit Computer — Realisierung am Beispiel des Folgenbegriffs<br />

Wir wollen jetzt Folgen konstruieren und definieren. Dazu müssen wir das Kopfglied und die Restfolge<br />

festlegen. Der Konstruktor folge baut daraus eine Folge zusammen.<br />

Das einfachste Beispiel ist die Konstantenfolge, d.h. eine Folge, deren Glieder alle gleich sind. Dann ist<br />

nämlich die Restfolge gleich der Folge selbst:<br />

• Führen wir dies beispielsweise mit der 5 durch<br />

(def konstantenfolgen5 (folge 5 konstantenfolge5))<br />

• Lassen wir uns die Folge anzeigen:<br />

(zgf konstangenfolge5)<br />

• Die Verallgemeinerung <strong>für</strong> eine beliebige Konstante ist offensichtlich<br />

(def (konstantenfolge k) (folge k (konstantenfolge k)))<br />

Es handelt sich also um eine Funktion, die nach Angabe des konstanten Gliedes k eine Konstantenfolge mit<br />

diesem Glied erzeugt. Ein Beispiel ist die Folgen-Eins, die wir später noch benötigen:<br />

(def folgen1 (konstantenfolge 1))<br />

Betrachten wir die Veranschaulichung <strong>für</strong> ein anderes Verfahren zur Konstruktion einer Folge, und zwar<br />

durch eine Iterationsregel, hier <strong>im</strong> Beispiel „+3“. Das jeweilige Glied entsteht aus dem vorhergehenden<br />

durch Addition von 3. Irgendwo muss man anfangen: Anfangsglied a (<strong>im</strong> Beispiel 5). „5 plus 3 gibt 8 plus<br />

3 gibt 11 plus 3 gibt 14 und so weiter“<br />

Man nennt dies eine arithmetische Folge: Anfangsglied a, Differenz zum nächsten Glied d:<br />

(def (arith-folge-ab a d)<br />

Sicher ist die Restfolge nicht identisch mit der Folge selbst, sie ist jedoch um d „verschoben“ zu ihr:<br />

(folge a (arith-folge-ab (a + d) d)))<br />

Alle Glieder der Restfolge sind um d größer als die der Folge selbst. Lassen wir uns die arithmetische Folge<br />

ab 5 mit Differenz 3 anzeigen:<br />

(zgf (arith-folge-ab 5 3)30)<br />

Die wichtigste arithmetische Folge sind die natürlichen Zahlen:<br />

(def nat (arith-folge-ab 1 1))<br />

(zgf nat 100)<br />

Verallgemeinern wir noch einmal: multiplizieren statt addieren. Dies gibt die geometrische Folge mit Anfangsglied<br />

a und Quotient q (aus nächstem Glied und aktuellem Glied).<br />

(def (geom-folge-ab a q)<br />

Das nächste Glied entsteht durch Multiplikation mit q:<br />

(folge a (geom-folge-ab (a * q) q)))<br />

Bei Anfangsglied a = 4 und Quotient q = 2 ergibt sich:<br />

(zgf (geom-folge-ab 4 2))<br />

Bearbeiten Sie jetzt die Aufgaben.<br />

105


Herbert Löthe, Ludwigsburg<br />

Script Seite 1<br />

106


Script Seite 2<br />

Erlebnis Mathematik mit Computer — Realisierung am Beispiel des Folgenbegriffs<br />

107


Raum <strong>für</strong> Notizen<br />

108


• Gute Seiten, schlechte Seiten — Internetangebote <strong>für</strong> den<br />

<strong>Mathematikunterricht</strong><br />

Georg Hauck, Markus Mann, Weingarten<br />

Moderne Unterrichtsvorbereitung und -gestaltung mit Hilfe des Internet wird <strong>für</strong> Lehrer und Lehramtsstudierende<br />

zunehmend interessanter. Wie findet man allerdings spannende und <strong>für</strong> den MU<br />

nützliche Internetangebote? Welche Seiten gibt es? Und wie gut sind diese?<br />

Bisher liegen keine systematisierten Übersichten und kein transparentes Bewertungssystem vor, anhand<br />

dessen Internetnutzer effizient entscheiden können, welche der vielfältigen Internetangebote<br />

den von ihnen intendierten Zwecken dienen.<br />

In einem Kooperationsseminar von Mathematik- und Mediendidaktik erarbeiteten <strong>im</strong> Sommer 2005<br />

Lehramtsstudierende der Pädagogischen Hochschule Weingarten Kriterien zur Bewertung von Internetangeboten<br />

<strong>für</strong> den <strong>Mathematikunterricht</strong>. Die Kriterien generieren sich sowohl aus fachdidaktischen<br />

Aspekten des <strong>Mathematikunterricht</strong>s und aus mediendidaktischen Aspekten der Webgestaltung,<br />

als auch aus der intuitiven Bewertung der Lehramtsstudierenden. Ziel der Veranstaltung war<br />

weiter der Aufbau einer Datenbank, welche die <strong>im</strong> Seminar recherchierten Seiten sowie deren Beurteilung<br />

auf Grundlage des erarbeiteten Bewertungssystems erfasst und kategorisiert.<br />

Inzwischen liegen ein Bewertungssystem in Form eines Fragenkatalogs sowie erste Ergebnisse der<br />

Bewertungsarbeit vor.<br />

1 Ausgangslage und Ziele<br />

Lehrerinnen und Lehrer kennen das Problem. Sie<br />

möchten zur Vorbereitung einer Unterrichtsstunde<br />

das Internet nutzen, verwerfen dieses Vorhaben<br />

aber wieder, nachdem die ersten zwanzig<br />

bis dreißig „besten“ Suchergebnisse bei Google<br />

(http://www.google.de) oder einer anderen<br />

Suchmaschine nichts Brauchbares hervor gebracht<br />

haben. Dies führt dann zu wenig verwunderlichen<br />

Aussagen bezüglich des Interneteinsatzes<br />

<strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong>, wie etwa folgenden:<br />

„In der Regel finde ich nie das, was ich suche!“<br />

oder „Wenn ich endlich mal vernünftiges Material<br />

gefunden habe, dann habe ich da<strong>für</strong> so lange<br />

gebraucht, dass ich es gleich selbst hätte erstellen<br />

können.“<br />

1.1 Ansatz<br />

Die diesen Aussagen zu Grunde liegenden Probleme<br />

sind darin zu sehen, dass es inzwischen<br />

trotz oder gerade wegen der übergroßen Fülle an<br />

Internetangeboten <strong>für</strong> den <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

(man gebe z.B. die Suchbegriffe Mathematik oder<br />

<strong>Mathematikunterricht</strong> in eine Suchmaschine ein)<br />

enorm schwierig ist, die guten Angebote heraus<br />

zu filtern. Dazu muss man sich darüber <strong>im</strong> Klaren<br />

sein, was denn unter einem guten Angebot überhaupt<br />

zu verstehen ist, wodurch es sich auszeichnet<br />

und wie man es erkennen kann. Welche Anforderungen<br />

sind zu stellen? Welche Kriterien zu<br />

Grunde zu legen? Außerdem kann man fragen, ob<br />

denn nicht schon andere (Lehr-)Personen vor einem<br />

selbst Material zu genau demselben Zweck<br />

gesucht und gefunden haben.<br />

Mit diesen und ähnlichen Fragen befasste sich<br />

auch eine Arbeitsgruppe auf der Tagung des Arbeitskreises<br />

<strong>Mathematikunterricht</strong> und Informatik<br />

2001 und erarbeitete dabei Vorschläge <strong>für</strong> die<br />

Gestaltung mathematikdidaktischer Internetseiten<br />

(„Wie soll die Mathematikdidaktik <strong>im</strong> Netz erscheinen?“<br />

). Als wichtig werden u. a. die Nennung<br />

des Adressatenkreises, eine leichte Nutzung<br />

sowie ergiebige Suchergebnisse heraus gestellt.<br />

Auch soll nach Ansicht der Teilnehmer der Informationsgehalt<br />

von Internetangeboten <strong>im</strong> Vordergrund<br />

stehen. „Für die Schule geeignete mathematische<br />

Themen sollen didaktisch aufbereitet und<br />

zur eigenständigen Erarbeitung <strong>für</strong> die Schüler bereitgestellt<br />

werden“ (Hartmann & Ludwig, 2002)<br />

Dabei sollte die Aufbereitung altersgemäß, sachlich<br />

strukturiert, anwendungsbezogen und leicht<br />

zugänglich sein.<br />

1.2 Internet <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

Die oben geschilderte Problematik lässt sich von<br />

der Frage des Interneteinsatzes zur Unterrichtsvorbereitung<br />

übertragen auf Fragen zum Einsatz<br />

von mathematischen Internetangeboten <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

1 . Sieht man ab von den bekannten<br />

und vielfach genutzten Möglichkeiten der Beschaffung<br />

von Datenmaterial, der Recherche und<br />

der Kommunikation, so kann das Internet auch<br />

an vielen anderen Stellen <strong>im</strong> Unterricht eingesetzt<br />

werden. Als Beispiele sind downloadbare Abbildungen<br />

zu Präsentationszwecken, Applets, Bastelvorlagen,<br />

Aufgabensammlungen und Arbeitsblätter<br />

oder auch ganze Unterrichtsentwürfe zu nennen.<br />

Das Auffinden solcher Materialien, welche<br />

geeignet erscheinen und eine hohe Qualität auf-<br />

1 Es sei an dieser Stelle auch an das Tagungsthema „WWW und Mathematik — Lehren und Lernen <strong>im</strong> Internet“ des Arbeitskreises<br />

<strong>Mathematikunterricht</strong> und Informatik <strong>im</strong> Jahr 2003 erinnert<br />

109


Georg Hauck, Markus Mann, Weingarten<br />

weisen, gestaltet sich oft schwierig.<br />

Es bleibt insgesamt fest zu halten, dass es bisher<br />

sowohl an sinnvoll konzipierten Übersichtsangeboten<br />

als auch an einem transparenten Bewertungssystem<br />

fehlt. Daher ist es schwierig und<br />

aufwendig, sich <strong>im</strong> Internet zurechtzufinden und<br />

Material <strong>für</strong> den Unterricht aufzuspüren — auch<br />

wenn dieses in großer Anzahl und guter Qualität<br />

existiert.<br />

1.3 Zielsetzungen des Projekts:<br />

Internetangebote <strong>für</strong> den<br />

<strong>Mathematikunterricht</strong><br />

Damit sind zwei Kernpunkte genannt, die es<br />

durchaus lohnenswert erscheinen lassen, sich mit<br />

ihnen zu befassen: ein Bewertungssystems <strong>für</strong> mathematische<br />

Internetangebote und ein Übersichtsangebot,<br />

beispielsweise in Form einer Rangliste.<br />

Ein solches Ranking kann später insbesondere<br />

(angehenden) Lehrern eine Hilfe anbieten, welche<br />

es erleichtert, geeignete Internetangebote <strong>für</strong><br />

die Unterrichtsvorbereitung und den Unterrichtseinsatz<br />

auszuwählen. Durch eine detaillierte Erfassung<br />

angebotsspezifischer Daten (z.B. inhaltliche<br />

Fragen, Medienangebot, Zielgruppe, usw.)<br />

sollte es außerdem möglich sein, eine Vorauswahl<br />

bzw. eine Einschränkung der Rangliste nach gewissen,<br />

vom Nutzer wählbaren Kriterien zu treffen.<br />

2 Seminarkonzept<br />

Um die angesprochenen Ziele zu verfolgen wurde<br />

<strong>im</strong> Sommersemester 2005 an der Pädagogischen<br />

Hochschule Weingarten ein Seminar durchgeführt,<br />

das die Beurteilung von Internetangeboten<br />

aus dem Bereich der Mathematik und deren<br />

Einsatzmöglichkeiten <strong>für</strong> den <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

thematisierte. Das Kooperationsseminar<br />

von Mathematikdidaktik und Mediendidaktik<br />

sollte ein Beurteilungsraster erarbeiten, das den<br />

Teilnehmern einerseits ermöglicht, Internetangebote<br />

zur Mathematik auf Grundlage transparenter<br />

Kriterien zu beurteilen. Damit sollte den Studierenden<br />

die Bedeutung einer kriterienorientierten<br />

Bewertung von Lernangeboten verdeutlicht<br />

werden. Andererseits stand eine erste Begutachtung<br />

eines Ausschnitts aus der Vielzahl mathematischer<br />

Internetangebote <strong>im</strong> Fokus.<br />

Trotz Hochschulkontext stellen die Bewertungen<br />

das Urteil professioneller Nutzer dar, die<br />

kriterienbezogen Rückmeldung über die Qualität<br />

des Angebots geben. Die Ergebnisdarstellung<br />

soll über das Gesamturteil hinaus die Bewertung<br />

in den einzelnen Kriterien transparent<br />

machen, und es den Nutzern ermöglichen, die<br />

Benotung von Einzelfragen einzusehen. Insofern<br />

stellt das Ranking derzeit zwar einen auf<br />

110<br />

2 Unter dieser Adresse kann auch das Befragungsinstrument eingesehen werden<br />

geringer Stichprobe basierenden Teilausschnitt<br />

aus einer kaum überschaubaren Gesamtmenge<br />

von mathematischen Internetangeboten dar, kann<br />

aber als ein <strong>im</strong> Aufbau befindliches Informationsangebot<br />

<strong>für</strong> den Einsatz einzelner Netzangebote<br />

<strong>für</strong> den <strong>Mathematikunterricht</strong> verstanden<br />

werden. Das tagesaktuelle Ranking kann eingesehen<br />

werden unter http://mathematik.<br />

ph-weingarten.de/mathetopten/ 2 .<br />

2.1 Didaktisches Konzept<br />

Bezug nehmend auf konstruktivistische Lerntheorien<br />

(Gruber et al., 1996; Henninger & Mandl,<br />

2003) wurde in dem Seminar auf eine erfahrungsbasierte<br />

Herangehensweise Wert gelegt. Die<br />

Studierenden erarbeiteten gemeinsam mit den<br />

Seminarleitern den Kriterienkatalog in dem sie<br />

in speziellen Arbeitsaufträgen Internetrecherchen<br />

durchführten und auf dieser Erfahrungsgrundlage<br />

die Kriterien definierten, die ihren Einschätzungen<br />

zu Grunde lagen. Dieser Prozess wurde durch<br />

Input-Referate zu Themen der Mathematikdidaktik<br />

und der Mediendidaktik unterstützt.<br />

2.2 Inhaltliche Aspekte<br />

Im Bereich Mathematikdidaktik wurden zunächst<br />

die verschiedenen Möglichkeiten des Computereinsatzes<br />

<strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong> diskutiert<br />

(Weigand & Weth, 2001), um anschließend speziell<br />

den Interneteinsatz <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

in den Fokus zu rücken. Den Studierenden wurde<br />

so zunächst vermittelt, welche Möglichkeiten<br />

es grundsätzlich gibt, den Computer einzusetzen<br />

und wo jeweils deren Vor- und Nachteile gesehen<br />

werden können. Einen wesentlichen Aspekt stellte<br />

dabei der Werkzeugcharakter von Dynamischen<br />

Geometrie Systemen und von Computeralgebrasystemen<br />

dar, aber auch deren Potential <strong>für</strong> exper<strong>im</strong>entelles<br />

und erforschendes Vorgehen.<br />

Weiter wurden Möglichkeiten des Interneteinsatzes<br />

<strong>im</strong> Unterricht allgemein sowie <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

<strong>im</strong> Speziellen vorgestellt (<strong>für</strong> eine<br />

Übersichtsdarstellung siehe Schumann, 2003;<br />

Schuman, 2003; Weigand & Weth, 2001). Insbesondere<br />

kam dabei die Kombination von Dynamischen<br />

Geometrie Systemen bzw. von Computeralgebrasystemen<br />

mit dem Internet in Form von<br />

Applets und Online-Tools zur Sprache. Präsentiert<br />

wurden in diesem Zusammenhang Beispiele<br />

<strong>für</strong> den Einsatz von mult<strong>im</strong>edialen Elementen in<br />

Form interaktiver Arbeitsblätter mit dem Geometriesystem<br />

Cinderella (Richter-Gebert & Kortenkamp,<br />

1999) und mit den Online-Versionen der<br />

Computeralgebrasysteme webMathematica und<br />

LiveMath (Mann et al., 2004, vgl.). Anschließend<br />

wurde ihre Bedeutung <strong>für</strong> didaktische Unterrichtskonzepte<br />

herausgearbeitet.<br />

Im Themenbereich Mediendidaktik wurden


Gute Seiten, schlechte Seiten — Internetangebote <strong>für</strong> den <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

auf Grundlage aktueller kognitiver Prozessmodelle<br />

(Mayer, 1997; Mayer & Moreno, 2003)<br />

und Theorien zur mult<strong>im</strong>edialen Informationsverarbeitung<br />

(Baddeley, 2000; Chandler & Sweller,<br />

1991; Schnotz et al., 2001) Designvorschläge vorgestellt,<br />

die Ansprüche an die Gestaltung von medial<br />

aufbereiteten Lehr-Lernangeboten formulieren.<br />

Zentrale Aspekte waren dabei Überlegungen<br />

zur Interaktivität, zur Integration von Text und<br />

Bildinformationen, die Kombination mult<strong>im</strong>odal<br />

präsentierter Lernmaterialien und die Segmentierung<br />

des Lernstoffes in nutzergesteuerten Einheiten.<br />

2.3 Kriterien zur Bewertung<br />

Auf dieser Basis erarbeitete die genannte Projektgruppe<br />

Bewertungskriterien, aus denen drei Kriterienblöcke<br />

resultierten:<br />

• Gestaltung und Layout,<br />

• mathematikdidaktische Kriterien und<br />

• mediendidaktische Kriterien.<br />

Der erste Block erfasst die Bewertung von allgemeinen<br />

Kriterien der Websitegestaltung wie der<br />

Menügliederung, der Link-Struktur oder der Aktualität<br />

des Angebots. Im zweiten Block stehen<br />

didaktische Aspekte aus Sicht des <strong>Mathematikunterricht</strong>s<br />

<strong>im</strong> Zentrum. Hier werden u. a. die dargestellten<br />

Inhalte bewertet, deren didaktische Aufbereitung<br />

und ihr Nutzwert <strong>für</strong> den <strong>Mathematikunterricht</strong>.<br />

Im letzten Kriterienblock geht es dann<br />

um die mediendidaktische Perspektive. Es werden<br />

die Informationsgliederung, die Interaktivität des<br />

Lernmaterials und die mediale Aufbereitung und<br />

Unterstützung beurteilt. Am Ende soll eine Abschlussbewertung<br />

vorgenommen werden, die den<br />

Gesamteindruck der Bewertenden vom zu bewertenden<br />

Internetangebot wiedergibt.<br />

2.4 Durchführung als hybrides Seminar<br />

Das Seminar wurde über das gesamte Semester<br />

hinweg virtuell unterstützt. Dazu stand die<br />

virtuelle Lernplattform „ComVironment“ 3 zur<br />

Verfügung . Neben dem Austausch von Daten<br />

diente diese Plattform zur Besprechung wesentlicher<br />

Fragestellungen in einem Diskussionsforum<br />

(vgl. Abb. 14.1). Außerdem stellte sie die Funktionalität<br />

zur Verfügung, welche benötigt wird, um<br />

ein Befragungsinstrument mittels eines Online-<br />

Fragebogens erstellen und später auswerten zu<br />

können.<br />

3 Das Befragungsinstrument<br />

Die internetbasierte Befragung 4 startet mit einer<br />

kurzen Einleitung in der die Ziele der Be-<br />

fragung und der Umgang mit dem Befragungsinstrument<br />

dargestellt werden (Abb. 14.2). Des<br />

Weiteren werden Kontaktadressen und Ansprechpartner<br />

<strong>für</strong> Rückfragen genannt. Im Anschluss<br />

muss die Adresse der zu bewertenden Internetseite<br />

eingetragen oder aus einem Pool an bereits<br />

registrierten Angeboten ausgewählt werden. Danach<br />

soll der bewertende User kurz in eigenen<br />

Worten beschreiben, womit sich die betreffende<br />

Seite beschäftigt. Im nächsten Schritt folgen<br />

die drei Kriterienblöcke. Dabei können generell<br />

zwei Arten von Items unterschieden werden: Bewertungsfragen<br />

und Auswahlfragen. Die Bewertungsfragen<br />

sind so aufgebaut, dass die einzelnen<br />

Kriterien zunächst benannt (z.B. „Interaktivität“,<br />

vgl. Abb. 14.3) und dann durch einen erläuternden<br />

Text (Zielformulierung) definiert werden<br />

(Beispiel: „Das Angebot bietet hohe Interaktionsmöglichkeiten<br />

(Berechnungen, Graphengenerierung,<br />

veränderbare Kurvenverläufe, Puzzles,<br />

etc. sind integriert). Die Steuerungsmöglichkeiten<br />

sind eindeutig erklärt und funktional sinnvoll.“ ).<br />

Die Bewertung des Angebots hinsichtlich der Kriterien<br />

kann anhand einer elfstufigen Notenskala<br />

(Schulnoten 1–6 mit Zwischennoten) vorgenommen<br />

werden (die Bewertungsskala wurde ebenfalls<br />

in Abst<strong>im</strong>mung mit den Leitern des Seminars<br />

von der Projektgruppe erarbeitet).<br />

Diese Fragen bilden die Grundlage <strong>für</strong> die Berechnung<br />

der Gesamtbewertung eines Internetangebots.<br />

Neben den Benotungsfragen gibt es eine<br />

zweite Klasse von Items, die Auswahlfragen,<br />

bei denen von vorgegebenen Antwortalternativen<br />

die jeweils zutreffenden angekreuzt werden sollen<br />

(z.B. „Zielgruppe: Lehrer, Studierende, Schüler,<br />

Dozierende, nicht erkennbar, Sonstige“ ).<br />

Hier stellt beispielsweise die Angabe, welches<br />

inhaltliche Angebot eine Seite macht, eine wertvolle<br />

Information zur späteren Kategorisierung in<br />

Themengebieten dar. Ein Lehrer, der sich auf der<br />

Suche nach Angeboten mit geometrischen Inhalten<br />

befindet, kann sich somit nur die hier<strong>für</strong> in Frage<br />

kommenden Seiten anzeigen lassen. 5 In der Ergebnisaufbereitung<br />

sollen diese Kriterien als Basis<br />

<strong>für</strong> eine Suchfunktion herangezogen werden<br />

und einen gezielten Zugriff auf Daten speziell ausgewählter<br />

Angebote erlauben. Damit wird ein Zugriff<br />

aus unterschiedlichen Motivationslagen realisiert.<br />

Suchen Nutzer eine besonders gute Seite zu<br />

ganz speziellen Anforderungen, kann dann über<br />

die Suchfunktion das Angebot so eingeschränkt<br />

werden, dass nur relevante Treffer erscheinen.<br />

Zum Ende der Beurteilung wird wie bereits<br />

erwähnt eine Abschlussbewertung <strong>für</strong> den Ge-<br />

3 http://comvironment.de/<br />

4 Die vollständige Fassung des Fragebogens ist kann unter http://mathematik.ph-weingarten.de/mathetopten/<br />

eingesehen oder als PDF-Datei herunter geladen werden<br />

5 In der aktuell vorliegenden Version (31.10.2005) ist die Suchfunktion noch nicht integriert<br />

111


Georg Hauck, Markus Mann, Weingarten<br />

112<br />

Abbildung 14.1: Die Lernplattform zur virtuellen Unterstützung des Seminars<br />

Abbildung 14.2: Startseite des internetgestützten Fragebogens


Gute Seiten, schlechte Seiten — Internetangebote <strong>für</strong> den <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

Abbildung 14.3: Ausschnitt aus dem Fragebogen: mediendidaktische Kriterien<br />

samteindruck abgegeben.<br />

Tab. 14.1 zeigt die derzeitige Ergebnisausgabe<br />

des Rankings. Zu sehen sind die Durchschnittsnoten<br />

der drei Kriterienblöcke und die berechnete<br />

Gesamtnote, in die die Einzelnoten mit unterschiedlicher<br />

Gewichtung eingehen. Durch die Gewichtung<br />

soll die wesentliche Bedeutung der fachdidaktischen<br />

Aspekte hervorgehoben werden.<br />

3.1 Praktische Durchführbarkeit<br />

Bei der Entwicklung des beschriebenen Befragungsinstruments<br />

spielten auch pragmatische<br />

Aspekte eine Rolle, d.h. die Praktikabilität und<br />

Durchführbarkeit der eigentlichen Bewertungsarbeit.<br />

Diese sollte stets auch <strong>für</strong> Personengruppen<br />

wie Studenten und Lehrer gewährleistet sein, die<br />

in der Regel nicht als fach- und mediendidaktische<br />

Experten anzusehen sind. Auch die Dauer <strong>für</strong> eine<br />

vollständige Bewertung muss überschaubar bleiben.<br />

Die Erfahrungen mit dem Fragebogen zeigen,<br />

dass dies auch gewährleistet ist. Zwar wurden<br />

auch bis zu 45 Minute zur Bewertung einer<br />

Seite benötigt, dies jedoch nur dann, wenn sowohl<br />

der Bewertungsbogen als auch das Internetangebot<br />

unbekannt waren. Denn dann muss sich die<br />

bewertende Person zunächst einen Überblick über<br />

das Angebot verschaffen, ehe sie überhaupt mit<br />

der eigentlichen Durchführung beginnen kann. In<br />

den Fällen, in denen den Studierenden sowohl der<br />

Fragebogen, als auch das Internetangebot bereits<br />

vertraut waren, reduzierte sich die Dauer eines Bewertungsdurchlaufs<br />

auf etwa zehn bis fünfzehn<br />

Minuten.<br />

4 Erste Ergebnisse<br />

Das Projekt Internetangebote <strong>für</strong> den <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

lieferte bisher zwei wesentliche Ergebnisse:<br />

den Bewertungsbogen selbst und eine erste<br />

Übersicht über bereits bewertete Internetangebote<br />

in Form einer Rangliste. Dieses tagesaktuelle<br />

Ranking kann unter der oben genannten Adresse<br />

eingesehen werden. Die Autoren wollen darauf<br />

hinweisen, dass die Bewertung nicht repräsentativ<br />

ist (oder sein will) und das Ranking in seiner<br />

derzeitigen Form auf eine geringe Stichprobe<br />

zurück zuführen ist. Aktuell liegen Bewertungen<br />

<strong>für</strong> 25 verschiedene Internetangebote aus dem<br />

Themenfeld Mathematik vor, welche mit dem vorgestellten<br />

Befragungsinstrument erstellt wurden.<br />

Dabei wurden bisher lediglich fünf dieser Angebote<br />

mehrfach bewertet. Dies verdeutlicht die angesprochene<br />

geringe Datenbasis.<br />

Wie in Tab. 14.1 ersichtlich reicht die durchschnittliche<br />

Bewertung (Durchschnittsnote) von<br />

einer Gesamtnote von 1,21 bis zu einer Gesamtnote<br />

von 5,24. Dies verdeutlicht, dass in der Bewertung<br />

die Spannbreite, die durch das halbstufige<br />

Schulnotensystem möglich ist, auch tatsächlich<br />

ausgenutzt wird.<br />

4.1 Der Spitzenreiter<br />

Die derzeit am besten bewertete Seite ist ein Angebot<br />

der Universität Bayreuth zum Thema Goldener<br />

Schnitt (vgl. Abb. 14.4). Was bei diesem In-<br />

113


Georg Hauck, Markus Mann, Weingarten<br />

ternetangebot besonders hervorzuheben ist, ist eine<br />

klare Segmentierung der Inhalte in kleine, gut<br />

nachvollziehbare Schritte, die sinnvoll aufeinander<br />

aufbauen und referieren. Durch Vor- und Zurückbuttons<br />

ist eine Lernersteuerung realisiert, die<br />

jedem Lernenden ein individuelles Lerntempo ermöglicht.<br />

Das Angebot ist übersichtlich gestaltet<br />

und bleibt in seinen wesentlichen Steuerungsmodulen<br />

über alle Unterseiten hinweg konstant. Das<br />

heißt, die Nutzer müssen sich nicht mit jedem<br />

Klick an eine neue Umgebung gewöhnen und finden<br />

Menü- und Steuerungselemente <strong>im</strong>mer an der<br />

gleichen Stelle. Die Texte sind zielgruppengerecht<br />

formuliert und bieten alle notwendigen Informationen.<br />

Sehr gelungen ist bei der Beweisführung<br />

eine Art graphisches Signaling, bei dem sich entsprechende<br />

Text- und graphische Teile bei Kontakt<br />

mit dem Mauszeiger identisch einfärben. Der<br />

Lernende kann somit leicht informationsäquivalente<br />

Strukturen identifizieren und in Zusammenhang<br />

bringen. Dies spiegelt sich in der sehr guten<br />

Bewertung von Gestaltung und Layout (Note<br />

1,25) sowie der mediendidaktischen Bewertung<br />

(Note 1,5) wieder.<br />

Aber auch die inhaltliche und mathematikdidaktische<br />

Bewertung des Angebots ist sehr gut:<br />

die mathematikdidaktischen Charakteristika wurden<br />

durchschnittlich mit 1,08 bewertet. Diese Bewertung<br />

begründet sich <strong>im</strong> z.B. klaren Aufbau.<br />

Die Seite beginnt mit einem motivierenden Einstieg,<br />

beschäftigt sich anschließend mit den inhaltlichen<br />

Aspekten und stellt zum Abschluss<br />

Anwendungsaspekte des goldenen Schnitts vor.<br />

Diese werden in Form eines Umweltbezugs <strong>für</strong><br />

das Auftreten des goldenen Schnitts in Natur<br />

und in der Kunst aufgezeigt. Fachlich wird zunächst<br />

die Konstruktion schrittweise erklärt, wobei<br />

dies in jedem Schritt mit Hilfe von integrierten<br />

dynamischen Geometrieelementen nachvollzogen<br />

werden kann. Anschließend ist dann eine<br />

Überprüfung vorgesehen, wozu ein Online-<br />

Taschenrechner zur Verfügung gestellt wird, bevor<br />

der anspruchsvolle algebraische Beweis geführt<br />

wird. Schüler können somit auf ganz unterschiedlichen<br />

Niveaustufen an den goldenen Schnitt herangeführt<br />

werden. Für Lehrer finden sich eine Reihe<br />

von Demonstrationselementen. Auch ein Ein-<br />

114<br />

Tabelle 14.1: Ausschnitt aus der der Rangliste<br />

satz des Angebots <strong>im</strong> Unterricht (<strong>im</strong> Computerraum)<br />

ist gut vorstellbar.<br />

Den zweiten Platz in der Rangliste belegt mit<br />

einer Durchschnittsnote von 1,42 eine weitere Seite<br />

der Universität Bayreuth zum Thema Achsenspiegelung,<br />

Platz drei n<strong>im</strong>mt aktuell das Angebot<br />

„MADIN — Mathematikdidaktik <strong>im</strong> Netz“<br />

mit einer Durchschnittsnote von 1,48 ein, welches<br />

als Kooperationsprojekt der Universitäten<br />

Braunschweig, Erlangen / Nürnberg, Münster und<br />

Würzburg entstand.<br />

4.2 Umgang mit dem Ranking<br />

Das unter http://mathematik.ph-weingarten.<br />

de/mathetopten vorliegende Ranking stellt<br />

aus Sicht der Autoren ein offenes Angebot an<br />

Lehrpersonen, Studierende und Interessierte dar.<br />

Wie können diese mit den Ergebnissen einer<br />

Bewertungsrangliste umgehen? Im Allgemeinen<br />

wird man sich nur in den wenigsten Fällen bei der<br />

Einsicht eines Rankings spontan <strong>für</strong> den Spitzenplatz<br />

entscheiden. Vielmehr wird man doch hinterfragen,<br />

was denn diesen Spitzenplatz ausmacht.<br />

Man wird sich informieren, wie das Ergebnis zustande<br />

gekommen ist und sich möglicherweise<br />

einige der Teilkriterien genauer betrachten, <strong>für</strong><br />

sich selbst werten oder gewichten. Ausgehend<br />

von solch einer subjektiven, zweckgebundenen<br />

Analyse wird man sich schließlich <strong>für</strong> die daraus<br />

resultierenden Ergebnisse entscheiden. Somit<br />

stellt das Ranking sicher eine Hilfe und einen ersten<br />

Anhaltspunkt dar, es wird aber in der Regel<br />

auch auf einen zweiten Blick darauf ankommen.<br />

Auch das hier vorgestellte Ranking kann in dieser<br />

Art genutzt werden. Da alle Teilergebnisse sowie<br />

der Fragenkatalog offen einsehbar bzw. frei<br />

verfügbar sind, kann jeder Nutzer nach ganz best<strong>im</strong>mten<br />

Kriterien fahnden, diese <strong>für</strong> sich bewerten<br />

und somit beispielsweise auch Einträge aus<br />

dem Ranking übergehen. Unsere Intention liegt<br />

darin, je nach persönlicher Suche ein passendes<br />

und lohnendes Internetangebot anzubieten. Das<br />

eigenständige Überprüfen des Angebots kann aus<br />

Sicht der Autoren nicht ausbleiben.<br />

5 Ausblick<br />

Die vorangegangenen Ausführungen zeigen, dass<br />

das aktuelle Ranking gewissermaßen „Work-in-


Gute Seiten, schlechte Seiten — Internetangebote <strong>für</strong> den <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

Abbildung 14.4: Startseite des Spitzenreiters „Der goldene Schnitt“ 6<br />

progress“ darstellt. Die momentane Datenbasis ist<br />

noch klein, liefert aber bereits interessante Eindrücke<br />

von einer beachtenswerten Anzahl an Internetangeboten.<br />

Ziel ist, die Bewertungsgrundlage<br />

durch zukünftige Beurteilungen weiter auszubauen<br />

und somit zu aussagekräftigen Mehrfachbewertungen<br />

zu gelangen. Ferner ist es wie bereits<br />

erwähnt angedacht, die Ergebnisdarstellung<br />

dahingehend zu erweitern, dass durch ein gezieltes<br />

Anklicken einer gerankten Seite differenzierte<br />

Auskünfte über das Abschneiden dieses Angebots<br />

auf den jeweiligen Kriterien nachzulesen ist. Dies<br />

erfordert allerdings zusätzliche Programmierleistung<br />

und ist derzeit noch nicht zu realisieren. Bei<br />

dieser Erweiterung wird auch eine Suchfunktion<br />

integriert werden. Dies würde über die reine Vergleichsmöglichkeit<br />

unterschiedlicher Mathematikangebote<br />

<strong>im</strong> Internet auch eine gezielte Suche<br />

nach speziellen Angeboten ermöglichen. Es wäre<br />

dann beispielsweise möglich, eingeschränkt nach<br />

Arbeitsmaterialien zu best<strong>im</strong>mten Themen zu suchen<br />

und sich nur diejenigen Seiten anzeigen zu<br />

lassen, die ein solches Angebot machen.<br />

Ein Problem, das derzeit noch nicht endgültig<br />

gelöst ist, stellen die unterschiedlichen Auflösungsgrade<br />

der bewerteten Internetangebote dar.<br />

Während die genannten Angebote der Universität<br />

Bayreuth ein thematisch stark eingegrenztes<br />

Spektrum bieten, stellt zum Beispiel MADIN<br />

ein sehr breites, umfassendes Angebot zur Mathematikdidaktik<br />

dar. Andererseits sind die <strong>im</strong><br />

Ranking aufgeführten Wikipedia-Einträge lediglich<br />

Teilaspekte eines umfassenden Lexikons, das<br />

nicht schwerpunktmäßig mathematische Inhalte<br />

aufweist. Zusammengefasst bedeutet das, dass<br />

die unterschiedlichen Bewertungsobjekte unterschiedliche<br />

Anforderungen befriedigen. Für eine<br />

Bewertung auf Basis der erarbeiteten Kriterien ist<br />

das kein wirkliches Problem. Alle Kriterien können<br />

sowohl an einzelne, sehr spezifisch ausgerichtete<br />

Seiten angelegt werden, als auch an umfassendere<br />

Informationsangebote. Es kann allerdings<br />

nicht dokumentiert werden, wie viele Informationen<br />

bei der Bewertung größerer Internetangebote<br />

tatsächlich in die Bewertung mit einfließen<br />

und inwieweit die jeweilige Bewertung somit<br />

auf das Gesamtangebot oder lediglich auf einen<br />

Ausschnitt daraus referiert. Der Umgang mit diesem<br />

Phänomen wird in der Autorengruppe diskutiert.<br />

Zusammenfassend kann der aktuelle Stand<br />

des Projektes als ein interessanter Einstieg in die<br />

kriterienorientierte Bewertung von Internetangeboten<br />

zur Nutzung <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong> verstanden<br />

werden.<br />

5.1 Ausbau des Rankings<br />

Aus unserer Sicht ist mit den vorgestellten Ergebnissen<br />

ein erster Schritt getan — weitere sollen<br />

jedoch folgen. Zunächst wird es darum gehen, die<br />

Anzahl der Bewertungen, die <strong>für</strong> ein Internetangebot<br />

abgegeben wurden, zu erhöhen. Gleichzeitig<br />

muss auch die Anzahl der verschiedenen bewerteten<br />

Seiten steigen, um die Auswahl an Angeboten<br />

115


Georg Hauck, Markus Mann, Weingarten<br />

zu erhöhen und die Such- bzw. Filterfunktionen<br />

ergiebig zu gestalten. Weiterhin wird das zugehörige<br />

Internetangebot detaillierter werden, so dass<br />

verschiedene Such- und Sortiermöglichkeiten angeboten<br />

werden und alle verfügbaren Daten <strong>für</strong><br />

Besucher zu Verfügung stehen. Schließlich sollen<br />

die Ergebnisse in einem weiteren Seminar überprüft<br />

werden.<br />

Literatur<br />

Baddeley, Alan (2000): The Episodic Buffer: a new component<br />

of working memory? Trends in Cognitive Science, 4(11),<br />

417–423<br />

Chandler, Paul & John Sweller (1991): Cognitive Load Theory<br />

and the format of instruction. Cognition and Instruction, 8,<br />

293–332<br />

Gruber, Hans, L.-C. Law, Heinz Mandl & A. Renkl (1996): Situated<br />

learning and transfer: State of the art. In: Re<strong>im</strong>ann, P.<br />

& H. Spada (Hg.): Learning in humans and machines, Oxford:<br />

Pergammon, 168–188<br />

Hartmann, Mutfried & Matthias Ludwig (2002): Mathematikdidaktische<br />

Seiten <strong>im</strong> Netz. In: Herget, Wilfried, R. Sommer,<br />

Hans-Georg Weigand & Thomas Weth (Hg.): Medien verbreiten<br />

Mathematik. Bericht über die 19. Arbeitstagung des Arbeitskreises<br />

„<strong>Mathematikunterricht</strong> und Informatik“, Hildeshe<strong>im</strong>:<br />

Franzbecker, 167–168<br />

Henninger, Michael & Heinz Mandl (2003): Zuhören — Verstehen<br />

— Miteinander reden. Verlag Hans Huber<br />

116<br />

Mann, Markus, Wolfgang Weigel & Gerald Wittmann (2004):<br />

Das Projekt MaDiN — Die Module „Didaktik der Analysis“<br />

und „Computereinsatz <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong>“. In: Reiss,<br />

Kristina (Hg.): Beiträge zum <strong>Mathematikunterricht</strong>, Franzbecker<br />

Mayer, Richard E. (1997): Mult<strong>im</strong>edia Learning: Are we asking<br />

the right questions? Educational Psychologist, 32, 1–19<br />

Mayer, Richard E. & R. Moreno (2003): Nine Ways to Reduce<br />

Cognitive Load in Mult<strong>im</strong>edia Learning. Educational Psychologist,<br />

38(1), 43–52<br />

Richter-Gebert, Jürgen & Ulrich Kortenkamp (1999): The Interactive<br />

Geometry Software Cinderella. Berlin, Heidelberg:<br />

Springer-Verlag, URL http://cinderella.de<br />

Schnotz, Wolfgang, T. Seufert & M. Bannert (2001): Lernen<br />

mit Mult<strong>im</strong>edia: Pädagogische Verheißungen aus kognitionspsychologischer<br />

Sicht. In: Silbereisen, R.K. & M. Reitzle<br />

(Hg.): Psychologie 2000. Bericht über den 42. Kongress der<br />

Deutschen <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> Psychologie in Jena 2000, Lengerich:<br />

Pabst, 457–467<br />

Schuman, Heinz (2003): <strong>Mathematikunterricht</strong> und Internet.<br />

Ein Überblick über den Inhalt des Themenheftes MU 4, 2003.<br />

In: Bender, Peter, Wilfried Herget, Hans-Georg Weigand &<br />

Thomas Weth (Hg.): Lehren und Lernen <strong>im</strong> Internet, Bericht<br />

über die 21. Arbeitstagung des Arbeitskreises „<strong>Mathematikunterricht</strong><br />

und Informatik“, Hildeshe<strong>im</strong>: Franzbecker<br />

Schumann, Heinz (2003): Internet und <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

— eine Übersicht. Der <strong>Mathematikunterricht</strong>, 49(4), 7–26<br />

Weigand, Hans-Georg & Thomas Weth (2001): Computer <strong>im</strong><br />

<strong>Mathematikunterricht</strong>. Heidelberg: Spektrum Akademischer<br />

Verlag


• Papageiengeplapper versus verstandene<br />

Sprachproduktion<br />

Fritz Nestle<br />

Bei einer Metabetrachtung sind Esoterik, Fußball, Informatik, Mathematik, . . . als Lernstoff weitgehend<br />

austauschbar.<br />

Während früher wesentliche Teile des mathematischen SI-Schulstoffs <strong>für</strong> den Alltag relevant waren,<br />

trifft dies heute nur noch in geringem Maß zu. Die Bedeutung des Mathematiklernens <strong>im</strong> Kindesund<br />

Jugendalter ist überwiegend auf ein kognitives Konditionstraining reduziert und in dieser Funktion<br />

durch andere Lerngebiete ersetzbar geworden. Solche können aus der Informatik kommen, zum<br />

Beispiel auch heute noch Programmieraufgaben und als Voraussetzung dazu Strukturierungsaufgaben.<br />

Die Programmierungsaufgaben sind — auch bei der Verwendung von Programmgeneratoren -<br />

mit etwas höherem Anspruch denen des Zahlenrechnens vergleichbar. Die Strukturierungsaufgaben<br />

sind eine Verallgemeinerung von Mathematisierungsproblemen.<br />

Neben der praktischen Nutzbarkeit des Inhalts ist ein wichtiges Kriterium <strong>für</strong> die Auswahl, auf<br />

welchem taxonomischen Niveau Anwendungen möglich sind. Die Spannweite reicht von verständnislosem<br />

Papageiengeplapper bis zur verstandenen Sprachproduktion.<br />

1 Die Inflation der Lernstoffe<br />

Es vergeht kaum einen Woche, in der nicht irgend<br />

ein Interessenverband die Aufnahme neuer<br />

Themen in den Schulunterricht fordert. Einmal<br />

soll die Schule <strong>für</strong> Verkehrserziehung und Führerscheine<br />

zuständig sein, ein anderes Mal sind<br />

es Psychologie, Politik, Wirtschaft oder — aktuell<br />

<strong>für</strong> uns - die Integration informatischer <strong>Ideen</strong><br />

in den <strong>Mathematikunterricht</strong> oder gar ein eigenes<br />

Fach Informatik.<br />

Während sich rasch Gruppen finden, die Forderungen<br />

dieser Art unterstützen, bleibt es merkwürdig<br />

still um einige Fragen, die mit der Umsetzung<br />

zusammenhängen. Auf einen Teil davon will<br />

dieser Beitrag eingehen:<br />

• Wie können wir ein Lernthema charakterisieren;<br />

liefert dies Kriterien zur Auswahl?<br />

• Welche Ziele wollen wir bei den Lernenden erreichen?<br />

• Welche Ziele könnten wir <strong>im</strong> Rahmen der Lernfähigkeit<br />

und -willigkeit erreichen?<br />

• Welche Ziele erreichen wir tatsächlich und auf<br />

welchem Niveau?<br />

2 Lernthemen der Gegenwart<br />

Kanon der klassischen Schulfächer:<br />

• Deutsch<br />

• „alte“ Fremdsprachen (Latein, Griechisch, Althebräisch,<br />

Aramäisch, . . . )<br />

• „neue“ Fremdsprachen (Chinesisch, Englisch,<br />

Französisch, Spanisch, Türkisch, . . . )<br />

• Mathematik<br />

• Musische Fächer<br />

• Naturwissenschaften<br />

• Sozial- und Geisteswissenschaften<br />

• Sport<br />

Was davon dauerhaft vermittelt wird, bleibt<br />

weitgehend unbekannt. Der kleine Spalt, durch<br />

den TIMSS und PISA einen Lichtstrahl geworfen<br />

haben, wurde in Deutschland schnell durch<br />

die sogenannten Bildungs-“ Standards“ (KMK,<br />

2003) wieder geschlossen. Den Sachverständigen<br />

der KMK ist es gelungen, die Forderungen der<br />

Bildungspläne zusätzlich zu vernebeln statt sie<br />

zu konkretisieren; mit der Gründung des IQB<br />

hat die KMK wieder ein paar Jahre Zeit gewonnen.<br />

Ob die Kultusminister aus Unkenntnis<br />

oder aus anderen Motiven getönt haben, dass mit<br />

den Bildungs-“ Standards“ der Übergang zur Outputsteuerung<br />

<strong>im</strong> Schulwesen gelungen sei und<br />

jetzt klar sei, welche Forderungen an die Schüler<br />

gestellt werden, ist nicht feststellbar und nicht<br />

richtig (oder welche Präzision erkennt die Lehrkraft<br />

in Wortgeklingel wie „Die Schülerinnen<br />

und Schüler.entwickeln sinntragende Vorstellungen<br />

von . . . Zahlen und nutzen diese entsprechend<br />

der Verwendungsnotwendigkeit ““?)<br />

Einen gewissen Einblick in die Vorstellungen<br />

von Didaktikern über Ergebnisse des<br />

Mathematik- und Informatiklernens, der dringend<br />

vertieft und besser abgesichert werden sollte,<br />

vermittelt www.bildungsoptionen.de/ifragen.htm<br />

oder mein Beitrag „Fragebogenaktion: Vorstellungen<br />

über Lernziele und Lernergebnisse in diesem<br />

Buch.“<br />

Wie weit schulisches Lernen Langzeitergebnisse<br />

bewirkt, zeigt eine Selbstbeobachtung des<br />

Autors: Ich muß einräumen, dass ich erst seit kurzem<br />

nicht mehr zuverlässig aus dem Gedächtnis<br />

auf die in der Schule vor mehr als sechzig Jahren<br />

gelernten Gedichte, Gesangbuchverse, Stammreihen<br />

unregelmäßiger altgriechischer Verben, Geschichtszahlen<br />

aus dem Mittelalter, . . . zugreifen<br />

kann. Sogar manche mathematische Beweise fal-<br />

117


Fritz Nestle<br />

len mir nicht mehr auf Anhieb ein. Dieses Wissen<br />

war mir in der Schule eigentlich als dauerhafter<br />

Besitz vermittelt worden. Dazu kontrastiert,<br />

dass manche Didaktiker der Auffassung sind, man<br />

dürfe in Klasse 8 nicht auf das Bruchrechnen,<br />

bei Abiturienten nicht auf Prozentrechnen zurückgreifen!<br />

Tatsache ist, dass fast durchgehend die Fiktion<br />

aufrecht erhalten wird, Bildung sei um so<br />

erfolgreicher, je länger sie dauert, unabhängig<br />

davon, was als dauerhaftes Wissen oder Fähigkeit<br />

übrig bleibt.. Tatsache ist ferner, dass viele<br />

der oft als bildungsschwach abklassifizierten<br />

Hauptschüler in schulfremden Gebieten (Computerspiele,<br />

Fußballergeb-nisse und -spieler, . . . )<br />

erstaunlich leistungsfähig sind. Die unbefriedigenden<br />

Leistungen der Hauptschüler sind unter<br />

Umständen weit mehr ein Problem der Motivation<br />

als eine Frage der Lernfähigkeit! (Siehe auch<br />

www.bildungsoptionen.de/handy.htm)<br />

3 Neue Lernstoffe<br />

Es muss nicht gerade Esoterik sein mit Magnetpunkten<br />

in den Schuhen oder <strong>im</strong> Armreif oder<br />

die Beachtung des auf- und absteigenden Mondes<br />

sein, obwohl viele unserer Zeitgenossen, auch<br />

Akademiker, überzeugt sind, damit ihr Leben<br />

verbessern zu können. Es gibt tatsächlich viele<br />

neue Anforderungen, z.B. aus Politik, Wirtschaft<br />

und natürlich Informatik, bei denen erörtert<br />

werden muss, ob die Schule damit befasst werden<br />

soll oder nicht. Interessenvertreter der klassischen<br />

Schulfächer lehnen vielfach aus Fachegoismus<br />

neue Fächer ab, wenn da<strong>für</strong> bei etablierten<br />

Fächern gekürzt werden müsste. Sie folgen dem<br />

Prinzip „Nicht <strong>für</strong> das Leben, <strong>für</strong> die Schule lernen<br />

wir!“, das längst das alte lateinische Prinzip<br />

„Non scolae sed vitae disc<strong>im</strong>us“ an vielen Stellen<br />

abgelöst hat.<br />

Zeitweise — zeitweise auch nicht — geht man<br />

auch <strong>im</strong> kognitiven Bereich davon aus, dass es<br />

formale Bildung gibt und diese das Lernen neuer<br />

Inhalte fördert. (Bei Sport oder Musik geht<br />

man <strong>im</strong>mer davon aus, dass intensives Training<br />

die Grundlage jeden Erfolgs ist.)<br />

Wenn man nach dem Beispiel des Sports formalem<br />

Lernen Bedeutung be<strong>im</strong>isst, muss man<br />

auch <strong>im</strong> kognitiven Bereich prüfen, welche<br />

Lernthemen Kindern und Jugendlichen angeboten<br />

werden sollen:<br />

4 Charakterisierung kognitiver<br />

Lernthemen und Kriterien der<br />

Auswahl<br />

4.1 Umfang des Vokabulars<br />

Das Vokabular kann endlich oder unendlich sein.<br />

Je weniger „Vokabeln“ zu einem Themengebiet<br />

118<br />

gehören, desto schneller sind Lernerfolge zu erwarten.<br />

Dienes, der <strong>im</strong> letzten Jahrhundert viel Mathematikdidaktiker<br />

— und Kinder — begeistert hat,<br />

hat bei seinen Vorführstunden stets Themen gewählt,<br />

zu denen die Voraussetzungen in wenigen<br />

Minuten geschaffen werden konnten. Sehr wenig<br />

Vokabeln gibt es be<strong>im</strong> Einstieg in eine endliche<br />

Geometrie. Die vielen Schriftzeichen in Sprachen<br />

wie Chinesisch oder Japanisch — allein die<br />

Grundschrift Kanji benützt mehr als 6 000 Zeichen<br />

— machen es dagegen dem Europäer schwer,<br />

über die Schrift in eine solche Sprache einzudringen.<br />

4.2 Regeln und logische<br />

Verknüpfungsmöglichkeiten<br />

Die die einzelnen Vokabeln können voneinander<br />

unabhängig sein oder Beziehungen untereinander<br />

haben und einem Regelwerk unterliegen; durch<br />

Verknüpfung von Vokabeln können neue Vokabeln<br />

entstehen. Die Erfahrung zeigt, dass die Einstiegsschwelle<br />

schnell sehr hoch zu liegen kommt,<br />

schon wenn nur wenige Regeln zu beachten sind.<br />

Erfolgreiche Computerspiele, wie zum Beispiel<br />

die zahlreichen Tetris- oder Moorhuhnvarianten,<br />

treffen hierbei das richtige Maß.<br />

Die Bruchrechnung zeigt unter anderem, dass<br />

viele Kinder schnell überfordert sind, wenn zwei<br />

Regeln hintereinander angewendet werden müssen.<br />

Entsprechend ist von der Prozentrechnung<br />

bekannt, dass schon der Prozentbegriff selbst<br />

wegen seiner Nähe zur Bruchrechnung Schwierigkeiten<br />

macht. Die Zuordnung von Daten zu<br />

Grundwert, Prozentwert und Prozentsatz ist bereits<br />

stark von der Reihenfolge der Nennung der<br />

Daten abhängig und kann häufig inhaltlich nicht<br />

gedeutet werden. (So haben vielfach auch Akademiker<br />

nicht verstanden, dass die 25% des Kirchhoffmodells<br />

<strong>für</strong> die Steuer vor der Bundestagswahl<br />

2005 nicht bedeuten, dass die Steuersumme<br />

<strong>für</strong> alle Bürger gleich ist, wie auch früher schon in<br />

der Quellensteuerdiskussion viele Leute meinten,<br />

dass jährlich 15% des Vermögens (und nicht der<br />

Einkünfte aus dem Vermögen) weggesteuert werden<br />

sollten.)<br />

Noch schwerer ist es <strong>für</strong> viele, einen axiomatischen<br />

Aufbau mit abstrakten Grundbegriffen<br />

anhand von Regeln nachzuvollziehen. Vor mehr<br />

als 100 Jahren hat sich schon Hilbert damit auseinandersetzen<br />

müssen, dass die Äquivalenz des<br />

Begriffspaars Punkt-Gerade mit dem Begriffspaar<br />

Bierseidel-Tabakspfeifen bei sonst gleichen Axiomen<br />

seine Umwelt zum Teil auch in Fachkreisen<br />

überfordert hat.<br />

Wenn es um formale Bildung geht, ist daher<br />

die Auswahl von Lernthemen mit adressatengerechten<br />

Systemen von Regeln ein entscheidender<br />

Gesichtspunkt — und ebenso der Mode unterwor-


fen wie <strong>im</strong> Publikumssport die aktuellen Sportgeräte<br />

(2005 nordic walking, . . . ).<br />

4.3 Alltagsrelevanz<br />

Der Lernbereich kann — subjektiv — irrelevant<br />

sein oder <strong>für</strong> das Subjekt gesellschaftlich, emotional<br />

oder kognitiv von Bedeutung sein.<br />

Vor hundert Jahren gab es eine Unterscheidung<br />

zwischen dem Rechenunterricht mit bürgerlichem<br />

Rechnen, geometrischen Zeichnen, . . . <strong>für</strong><br />

die „niederen Stände“ und dem <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

<strong>für</strong> die höheren. Die Gegenstände des<br />

Rechenunterrichts waren ausgewählt unter dem<br />

Gesichtspunkt der Anwendbarkeit <strong>im</strong> Arbeitsleben.<br />

Der <strong>Mathematikunterricht</strong> gab vor, wissenschaftliche<br />

Erkenntnisse und Einsichten unabhängig<br />

von ihrer praktischen Nutzbarkeit zu vermitteln,<br />

blieb aber dann doch an der sphärischen Trigonometrie<br />

<strong>für</strong> Astronomen und Kapitäne sowie<br />

an der Analysis der Ingenieurwissenschaften hängen.<br />

Der Rechenunterricht wurde in der zweiten<br />

Hälfte des letztenJahrhunderts in Mathematik umbenannt,<br />

die Oberschulen in Gymnasien. Inhaltlich<br />

hatte sich zunächst dadurch nichts geändert.<br />

Der Drill früherer Jahrzehnte und die intensive<br />

Übung wurden vermindert — eigentlich in der<br />

Absicht, den Nachdruck auf verständiges Lernen<br />

zu legen. Dies wäre eine sinnvolle Grundlage <strong>für</strong><br />

die Nutzung von Hilfsmitteln, ist indessen vermutlich<br />

nur in geringem Maß gelungen. Inzwischen<br />

sind auch Ziele <strong>im</strong> Bereich der elementaren<br />

Fähigkeiten, teilweise zurecht, aufgegeben worden:<br />

Auf das große Einmaleins wird verzichtet;<br />

be<strong>im</strong> Divisionsalgorithmus beschränkt man sich<br />

auf zweistellige Divisoren, ; Beweisen, sphärische<br />

Trigonometrie oder darstellende Geometrie sind<br />

zu Orchideenangeboten geworden. Die Bedeutung<br />

solcher Themen ist von der inhaltichen Relevanz<br />

auf ein reines Kognitionstraining geschrumpft; die<br />

Themen selbst könnten daher durch andere Themen<br />

mit vergleichbarer kognitiver Struktur ersetzt<br />

werden.<br />

Die frei werdende Lernkapazität würde Raum<br />

schaffen <strong>für</strong> die Begegnung mit zeitgemäßen<br />

Hilfsmitteln wie CAS, DGS oder Tabellenkalkulation.<br />

Leider bleibt der Zugang dazu vielen Schülern<br />

— und an den Hochschulen den Studierenden<br />

einschlägiger Fächer - bis heute sowohl als<br />

Erweiterung der Arbeits- und Denkmöglichkeiten<br />

als auch als Abenteuerspielplatz verschlossen.<br />

4.4 „Lernbarkeit“<br />

Die Anforderungen an den Lernenden können gering,<br />

mäßig oder unüberwindbar hoch sein. Entscheidend<br />

sind — neben der Lernmotivation —<br />

die Kriterien Umfang des Vokabulars und Regelwerk.<br />

Bei zu geringen Anforderungen in der Schule<br />

Papageiengeplapper versus verstandene Sprachproduktion<br />

suchen die Kinder und Jugendlichen andere Möglichkeiten,<br />

etwas zu leisten, oder sie verfallen in<br />

Lethargie. Lethargie ist vielfach auch das Ergebnis<br />

der Arbeit der Schule bei Überforderung. In<br />

diesem Fall haben die Lehrkräfte das Problem,<br />

wie sie mangelhafte Unterrichtsergebnisse durch<br />

gute Noten kaschieren. Dies ist bekanntlich solange<br />

einfach, wie keine klassenübergreifenden, externen<br />

Maßstäbe angewendet werden.<br />

4.5 Tradition<br />

Die Dominanz dieses Kriteriums bei der Auswahl<br />

der Lernstoffe <strong>für</strong> die allgemeinbildenden Schulen<br />

ist offenkundig.<br />

5 Lern- bzw. Arbeitsziele<br />

5.1 Initiationsritus<br />

Lernen kann als Initiationsritus verstanden werden,<br />

mit dessen Hilfe sich Erwachsene vor Heranwachsenden<br />

oder „bessere“ gesellschaftliche<br />

Gruppen vor anderen schützen.<br />

Dieser Aspekt ist um so bedeutsamer, je länger<br />

die Bildungsdauer ist. Durch das Vergessen<br />

n<strong>im</strong>mt der Nettolernzuwachs asymptotisch gegen<br />

Null ab. (Die Aufnahme neuer Information ist näherungsweise<br />

linear; die aufgenommene Information<br />

zerfällt nach einem Exponentialgesetz. Die<br />

„Konstante“ ist individuell verschieden und vermutlich<br />

themenabhängig.)<br />

5.2 „formale“ Bildung<br />

Im Sport ist die formale Bildung unumstritten. Für<br />

Schifahren oder Fußball ist begleitende Gymnastik<br />

unerlässlich.<br />

Das Urteil darüber, ob es auch <strong>im</strong> kognitiven<br />

Bereich formale Bildung gibt und diese das Lernen<br />

neuer Inhalte fördert, ist der Mode unterworfen.<br />

5.3 Dauererwerb von nützlichen<br />

Kenntnissen und Fähigkeiten<br />

Im elementaren Bereich — laufen, lesen, schreiben,<br />

rechnen lernen — findet man schnell einen<br />

Konsens darüber, dass da dauerhafte Fähigkeiten<br />

erworben werden sollen. Unter Mathematikdidaktikern<br />

scheint es auch einen Konsens darin zu<br />

geben, das das kleine Einmaleins nicht <strong>für</strong> <strong>für</strong> drei<br />

Wochen am Ende von Klasse 3 sondern lebenslang<br />

verfügbar sein sollte (Siehe auch http://<br />

www.bildungsoptionen.de/ifragen.<br />

htm#m1). Be<strong>im</strong> Bruchrechnen wird dagegen hingenommen,<br />

dass ein halbes Jahr intensiver Arbeit<br />

nicht nur be<strong>im</strong> Rechnen sondern auch be<strong>im</strong><br />

Bruchbegriff nur bei wenigen einen nachhaltigen<br />

Erfolg zeitigt. Bekannt ist der Fußballer, dem<br />

in der Frühzeit des Profifußballs ein Drittel des<br />

Reinerlöses seines Vereins angeboten wurde. Er<br />

war damit nicht zufrieden und verlangte mindestens<br />

ein Viertel. Ähnliches gilt <strong>für</strong> Prozent- und<br />

119


Fritz Nestle<br />

Zinsrechnung. Bei einer Umfage unter Experten<br />

glaubt mehr als die Hälfte, dass weniger als die<br />

Hälfte der Abiturienten eine normale Aufgabe aus<br />

der Zinsrechnung richtig bearbeiten wird — und<br />

die anderen sind wohl hoffnungsvolle Opt<strong>im</strong>isten<br />

(http://www.bildungsoptionen.<br />

de/ifragen.htm#m3). Das alte lateinische<br />

Prinzip „non multa, sed multum“ - besser weniges<br />

richtig als vielerlei unzureichend — wird in der<br />

heutigen Sekundarstufe kaum mehr berücksichtigt<br />

mit der Folge, dass die Bildungszeit <strong>im</strong>mer<br />

länger, das Ergebnis jedoch <strong>im</strong>mer weniger tragfähig<br />

wird. Im Hochschulstudium müssen daher<br />

die BWLer versuchen, die Prozentrechnung zu<br />

verstehen, in den Ingenieurwissenschaften geht es<br />

um eine Pysik <strong>für</strong> Biologen, Maschinenbauer, . . . ,<br />

die nach den Lehrplänen zu einem beträchtlichen<br />

Teil bereits in der Mittelstufe des Gymnasiums<br />

erarbeitet sein sollte. Bei Geschichte, Biologie,<br />

Geographie dürfte es nicht viel besser aussehen.<br />

Viele Lehrer und Hochschullehrer in der Lehrerbildung<br />

retteten sich in der Zeit, in der die programmierte<br />

Instruktion <strong>im</strong> Mittelpunkt der Diskussion<br />

stand, in die These, dass man die wahre<br />

Bildung nicht mit kleinlichen Details verdunkeln<br />

dürfe: „Bildung ist das, was übrig bleibt, wenn<br />

man alles Schulwissen vergessen hat.“<br />

Zum Überleben in einer globalen Zivilisation<br />

genügt das freilich nicht. Unsere Kinder müssen<br />

später mit Kindern konkurrieren, die in effektiveren<br />

Bildungsystemen aufwachsen. Was in der<br />

Kindheit versäumt wird, kann später nur noch mit<br />

größter Anstrengung oder gar nicht ausgeglichen<br />

werden.<br />

Wenn wir eine effektivere Lernorganisation<br />

wollen, muß am Anfang das Problem gelöst werden:<br />

Wie kontrolliert man das Lernergebnis? Vor<br />

200 Jahren war die einzige Lösung da<strong>für</strong>, dass<br />

Hunderte oder Tausende von Mathematiklehrern<br />

in handwerklicher Einzelarbeit ihre Lernkontrollen<br />

entwickeln. Standardisierung erfolgte nur sehr<br />

begrenzt über Unterrichtsvisitationen. Im Zeitalter<br />

der schnellen Datenübertragung und des<br />

Internet ist dieses Vorgehen ein teurer und ineffektiver<br />

Anachronismus. Das Dortmunder Manifest<br />

(www.bildungsoptionen.de/manifest.htm)<br />

schlägt einen Weg vor, wie man heute<br />

vorgehen könnte; eine Präzisierung<br />

mit Programmbeispiel findet man hier<br />

(www.bildungsoptionen.de/dilli/fuchsorg.htm).<br />

Beiden Vorschlägen gemeinsam ist eine Vergrößerung<br />

der Chancengerechtigkeit <strong>im</strong> Bildungswesen<br />

und die Unterstützung selbstorganisierten<br />

Lernens.<br />

6 Taxonomische Betrachtungen<br />

Taxonomien beschreiben, auf welchem Niveau die<br />

Auseinandersetzung mit einem Problem und die<br />

120<br />

Ausführung eines Auftrags erfolgen. Die meisten<br />

Taxonomievorschläge sind Variationen des Ansatzes<br />

von Bloom und viele erliegen dem Fehler, mit<br />

einer Taxonomie ließen sich Aufgaben charakterisieren.<br />

In Wirklichkeit hängt die Einordnung in<br />

eine der Kategorien von Bloom<br />

• Wissen<br />

• Verstehen<br />

• Anwendung<br />

• Analyse<br />

• Synthese<br />

• Bewertung<br />

nicht monokausal mit den Anforderungen zusammen,sondern<br />

wird wesentlich vom Lernstand des<br />

Individuums best<strong>im</strong>mt.<br />

Ein Beispiel zeigt dies: Wer weiß, wie es geht,<br />

löst die Aufgabe, vier kongruente gleichseitige<br />

Dreiecke aus sechs Streichhölzern zu bilden, auf<br />

der Ebene des Wissens; wer es nicht weiß, hat unter<br />

Umständer erst nach mühsamer Synthese die<br />

Lösung gefunden (Hinweis: Tetraeder).<br />

Zwei andere Beispiele: Viele Schülerinnen<br />

und Schüler lösen eine Aufgabe, vor allem in Fächern<br />

wie Physik, Chemie, . . . wie Google. Sie suchen<br />

in ihrem Gedächtnis nach Umgebungen eines<br />

Stichworts aus der Aufgabe. Diese Umgebung<br />

reproduzieren sie. In einer Biologiestunde bat ich<br />

einmal einen Schüler in einer neu übernommenen<br />

Klasse, mir an einem menschlichen Skelett das<br />

Stirnbein zu zeigen. Als Antwort war er bereit, mir<br />

wie ein Papagei oder ein Tonband die Namen aller<br />

Knochen des menschlichen Körpers herzusagen,<br />

konnte jedoch von keinem einzigen die Lage <strong>im</strong><br />

Körper zeigen.<br />

Vor einigen Jahren hatte einmal die Firma<br />

IBM zur Vorführung eines Computerprogramms<br />

eingeladen, das Freiantworten auswerten sollte.<br />

Ich durfte die Frage „Wie heißt die Hauptstadt von<br />

Baden-Württemberg?“ beantworten und schrieb<br />

„Stuttgart ist nicht die Hauptstadt von Baden-<br />

Württemberg.“ Der Computer lobte mich <strong>für</strong> diesen<br />

Satz und erklärte ihn <strong>für</strong> richtig. Zwischenzeitlich<br />

sind die Programme natürlich besser geworden;<br />

mit einer falschen Antwort, die durch s<strong>im</strong>ple<br />

Negation der richtigen Antwort entsteht, lassen sie<br />

sich nicht mehr täuschen.<br />

Mit diesen Beispielen soll nicht der Wert des<br />

Wissens herabgesetzt werden. Auf — auch mechanisches<br />

- Wissen als Grundlage kann bei keinem<br />

Lernthema verzichtet werden. Be<strong>im</strong> menschlichen<br />

Lernen sollte freilich die Anwendung des<br />

Wissens zur Problemlösung auf verschiedenen Niveaus<br />

<strong>im</strong> Vordergrund stehen, das heißt die Produktion<br />

von Sprache mit dem einschlägigen Vokabular.<br />

Zur Erläuterung betrachten wir das Problem,<br />

eine HTML-Seite zu schreiben, auf der eine Ant-


worten auf Fragen angefordert und anschließend<br />

ausgewertet werden sollen.<br />

Bei der synthetischen Lösung müssen aus der<br />

Gesamtheit der Sprachelemente die benötigten<br />

ausgewählt und in der richtigen Syntax aneinandergefügt<br />

werden. Dies ist recht mühsam bei<br />

Sprachen mit vielen Elementen; es erfordert ein<br />

Durchforsten eines großen Teils des Vokabulars,<br />

bis passende Befehle gefunden worden sind. Die<br />

Syntax schafft zusätzliche Schwierigkeiten. Trotzdem<br />

werden <strong>im</strong>mer noch viele Fremd- und Programmiersprachen<br />

auf diese Weise gelehrt.<br />

Bei anderem Vorgehen nähert man sich dem<br />

Problem mit fertigen „Sätzen“, die ein analoges<br />

Problem lösen. Entsprechend dem Erlernen der<br />

Muttersprache werden diese Sätze <strong>für</strong> das neue<br />

Problem nur adaptiert. Das hat den großen Vorteil,<br />

dass man die Syntax einfach übernehmen kann.<br />

Der Kode <strong>für</strong> ein pr<strong>im</strong>itives Formular in<br />

Abb. 15.1 zeigt das Vorgehen:<br />

<br />

<br />

Formular mit Pflichtfeldern<br />

<br />

<br />

<br />

Klicken Sie das Feld an und tragen<br />

Sie den Namen ein:<br />

<br />

<br />

Wenn Sie<br />

<br />

anklicken, sehen Sie, ob Ihre Einsetzung<br />

angemommen wurde.<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Abbildung 15.1: HTML-Datei mit einem Eingabefeld<br />

Der Satz „Klicken Sie in das Feld und tragen<br />

Sie den Namen ein“ wird wörtlich so auf der<br />

Webseite angezeigt. Dieser könnte ersetzt werden<br />

durch “ Wie heißt das allgemeinste punktsymmetrische<br />

Viereck?“, “ Wie lang ist die Hypotenuse<br />

eines rechtwinkligen Dreiecks, wenn die Katheten<br />

5 und 12 cm lang sind?“ oder eine andere Lernanforderung.<br />

Das klassische Formular ist also strukturgleich<br />

mit üblichen Abfragen.<br />

In spitzen Klammern stehen neben Formatierungsangaben<br />

die Befehle <strong>für</strong> das Anfordern<br />

Papageiengeplapper versus verstandene Sprachproduktion<br />

der Eingabe und das Abschicken. Sie werden<br />

in der durch „action“ aufgerufenen Datei<br />

0te.PHP durch PHP-Anweisungen ausgewertet<br />

(Abb. 15.2).<br />

<br />

<br />

Formular mit Pflichtfeldern<br />

<br />

<br />

<br />

Ihr Name:<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Abbildung 15.2: Die Datei zur Auswertung der<br />

Eingabe<br />

Wenn Sie mit diesen beiden Dateien spielen<br />

wollen, müssen Sie diese in das gleiche Verzeichnis<br />

<strong>im</strong> Netz bei einem Provider einstellen, der<br />

PHP unterstützt oder auf Ihrem Rechner einen eigenen<br />

Server mit PHP (z.B. Xampp) installieren.<br />

Im Gegensatz zum Papageiengeplapper des<br />

Knochenbeispiels zeigt das Formularbeispiel eine<br />

verstandene Sprachproduktion, wobei das rein<br />

synthetische Vorgehen schwieriger ist als das<br />

analytisch-synthetische. Letzteres wurde unter anderem<br />

dazu benützt, um mit einer Seniorengruppe<br />

(www.senioren-ulm.de), die <strong>für</strong> gemeinnützige<br />

Einrichtungen Internetseiten erstellt, Anmeldeformulare<br />

<strong>für</strong> eine Jugendkunstschule zu erarbeiten.<br />

Was Senioren leisten können, schaffen auch<br />

Schüler — wenn man sie dazu motiviert. Das ist<br />

viel einfacher, als viele Kollegen denken. Dann<br />

gilt <strong>für</strong> die Schüler: „Docendo disc<strong>im</strong>us“. (Wenn<br />

man eine Sache lehrt, wird man sie irgendwann<br />

einmal auch verstehen.): Wohl die effektivste<br />

Form des Lernens!<br />

Literatur<br />

KMK (2003): Bildungsstandards <strong>im</strong> Fach Mathematik <strong>für</strong><br />

den Mittleren Schulabschluss. Bonn: Sekretariat der Ständigen<br />

Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik<br />

Deutschland Ref. IV A<br />

121


Raum <strong>für</strong> Notizen<br />

122


• Vom Nutzen und vom Nachteil der Informatik <strong>für</strong> den<br />

<strong>Mathematikunterricht</strong><br />

Reinhard Oldenburg, Heidelberg<br />

Wenn ein Titel auf Friedrich Nietzsche anspielt, kann man zu Recht erwarten, dass der Autor provozieren<br />

will — dies war <strong>im</strong> vorliegenden Fall ursprünglich auch beabsichtigt. Es zeigte sich aber <strong>im</strong><br />

Verlauf der Arbeitskreis-Tagung, dass die Positionen zu Fragen der Einbeziehung informatorischer<br />

Inhalte in den <strong>Mathematikunterricht</strong> extrem weit auseinander liegen, so dass auch die hier aufgestellten<br />

Thesen recht unterschiedlich bewertet wurden und werden. Die Überlegungen folgenden<br />

dicht dem Tagungsthema. Es soll diskutiert werden, welche Inhalte und Methoden der Informatik<br />

den <strong>Mathematikunterricht</strong> bereichern können.<br />

1 Ausgangspunkte<br />

Computer sind in unserer <strong>Gesellschaft</strong> ein extrem<br />

leistungsfähiges Hilfsmittel zur Problemlösung,<br />

Problemanalyse und manchmal auch Problemgenerierung<br />

geworden. Eine kurze Recherche <strong>im</strong> Internet<br />

und die Beachtung der enormen Dynamik<br />

dieser Entwicklung sollte Teil a) der folgenden<br />

These bestätigen:<br />

These: a) Der wechselseitige Einfluss<br />

von Computern und Mathematik wird<br />

— gerade in der Schule — <strong>im</strong>mer<br />

noch unterschätzt. b) Deshalb werden<br />

die Möglichkeiten des PCs zur Problemlösung<br />

<strong>im</strong> Schulunterricht nicht<br />

adäquat abgebildet.<br />

Teil b) der These ist problematischer. Natürlich<br />

müssen Schüler Einblicke erhalten in die technologische<br />

Basis unserer <strong>Gesellschaft</strong>, und <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

ist es Aufgabe, die mathematischen<br />

Anteile daran transparent zu machen. Wie<br />

viel es aber dazu bedarf, wie konkret Schüler die<br />

Lösung mathematischer Probleme mit dem Computer<br />

und die Nutzung in Anwendungen kennen<br />

lernen müssen, bedarf der didaktischen Diskussion.<br />

Während die Fachwissenschaft Mathematik<br />

mitsamt ihren Vernetzungen ein dynamischer Prozess<br />

ist, ist die Schulmathematik eher starr und<br />

<strong>im</strong>mer noch stark <strong>im</strong> 19. Jh. verwurzelt. Dies soll<br />

an zwei Fragestellungen der analytischen Geometrie<br />

exemplarisch kontrastiert werden:<br />

Traditionelle Fragestellung Welcher Anteil des<br />

Volumens eines Tetraeders n<strong>im</strong>mt die einbeschriebene<br />

Kugel ein? Steigerung: Wie<br />

hoch steigt der Anteil, wenn auch die vier<br />

freien Ecken mit je einem Kügelchen max<strong>im</strong>aler<br />

Größe ausgefüllt werden?<br />

Aktuelle Fragestellung Eine Videokamera<br />

n<strong>im</strong>mt Bilder vorbeifahrender Autos und<br />

ihrer Fahrer auf. Daraus soll ein 3D-Modell<br />

der Gesichtsoberflächen berechnet werden,<br />

aus dem sich biometrische Daten extrahieren<br />

lassen. Das grundlegende Verfahren zur<br />

Lösung dieser Fragestellung kann <strong>im</strong> Unterricht<br />

vollständig behandelt werden. Die<br />

Schüler lernen dabei zweierlei, zum einen,<br />

wie man an Fördergelder des Bundesinnenministeriums<br />

herankommt, und zum<br />

zweiten, wie man gesellschaftlich-kritisch<br />

denkt.<br />

2 Mathematik und Informatik —<br />

ein schwieriges Verhältnis<br />

Die Mathematik stellt eine der wichtigsten Wurzeln<br />

der Informatik dar, <strong>für</strong> die nicht Hardwaregebundenen<br />

Teile sogar die wichtigste. In der rasanten<br />

Entwicklung dieses Fachs hat die Informatik<br />

aber einen erheblichen Bestand an eigenen<br />

Methoden und Inhalten hervorgebracht, der<br />

die Eigenständigkeit als universitäres Fach wie als<br />

Schulfach eindrucksvoll unterstreicht. Für die Didaktik<br />

der Informatik gilt ähnliches. Insbesondere<br />

<strong>im</strong> Zuge der didaktischen Aufarbeitung der Methoden<br />

des Designs von Informatiksystemen, wie<br />

sie besonders am Vordringen der Objektorientierten<br />

Modellierung (OOM) in den Informatikunterricht<br />

sichtbar wird, hat sich eine Mathematikferne<br />

Grundhaltung etabliert. Dies spiegelt sich<br />

wieder in den deutlichen Worten der Abgrenzung<br />

zur Mathematik, wie man sie in der Literatur der<br />

Informatikdidaktik findet. So argumentieren beispielsweise<br />

(Schubert & Schwill, 2004): „..Mathematik<br />

[arbeitet] meist mit kontinuierlichen und<br />

elementaren Größen. . . Informatik . . . mit strukturierten<br />

Objekten. . . ?. Eine solche Unterscheidung<br />

ist <strong>für</strong> die Fachwissenschaft falsch, man denke etwa<br />

an reich strukturierte mathematische Begriffe<br />

wie Vektorraumbündel oder Tensorkategorien.<br />

Sie ist tendenziell richtiger <strong>im</strong> Bereich der Schulmathematik,<br />

aber auch dort muss widersprochen<br />

werden, denn beispielsweise sind Funktionsgraphen<br />

keineswegs elementar, und eine Reklamation<br />

des ganzen Gebietes der diskreten Mathematik <strong>für</strong><br />

die Informatik kann auch nicht <strong>im</strong> Sinne des <strong>Mathematikunterricht</strong>s<br />

sein, zumal in einer Zeit, in<br />

der dieses Gebiet <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong> zunehmend<br />

Unterstützung erfährt. These: Eine deontologische<br />

Abgrenzung kann wegen zu enger Ver-<br />

123


Reinhard Oldenburg, Heidelberg<br />

wandtschaft der Fächer nicht gelingen.<br />

Damit soll nicht gesagt werden, dass es nicht<br />

Inhalte gäbe, die man eindeutig in einem der Fächer<br />

verorten kann, aber die Fachcharakteristika<br />

ermöglichen keine klare Trennlinie, und es gibt<br />

daher einen riesigen Überschneidungsbereich. Es<br />

ist daher sinnvoll, wenn es beide Fächer gibt, und<br />

wenn die Aufgabenverteilung nach pragmatischen<br />

Kriterien, wie der Verfügbarkeit von Lehrkräften,<br />

den organisatorischen Rahmenbedingungen (z.B.<br />

Informatik als Wahl(pflicht)fach oder als Pflichtfach)<br />

und natürlich nicht zuletzt nach inhaltlichen<br />

Bildungszielen erfolgt.<br />

Das angesprochene Überschneidungsgebiet<br />

soll nun durch eine unvollständige Aufzählung<br />

etwas belichtet werden: Logik, Berechenbarkeit,<br />

Komplexität, Korrektheitsbeweise, Zahlentheorie,<br />

Kryptographie, Informationstheorie, Datenkompression,<br />

diskrete Mathematik, Graphentheorie,<br />

Kombinatorik, Opt<strong>im</strong>ierung, Numerik, Computeralgebra,<br />

Computergrafik, Virtual Reality,<br />

Künstliche Intelligenz, Bildverarbeitung, künstliches<br />

Sehen, Robotik, Statistik, Monte-Carlo-<br />

S<strong>im</strong>ulationen.<br />

Neben dieser großen Grauzone zwischen den<br />

Fächern gibt es genuin mathematische Gebiete,<br />

beispielsweise die Topologie, und genuin informatorische<br />

Gebiete, wie Softwaredesign, OOM,<br />

Echtzeitsysteme, Theorie der Betriebssysteme<br />

u.s.w.. Die Eigenständigkeit dieser Gebiete untermauert<br />

die Stellung der Informatik als eigenes<br />

Fach.<br />

Neben inhaltlichen Anregungen kann der <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

auch methodischen Input von<br />

der Informatik nutzen. Im Informatikunterricht ist<br />

der Projektunterricht eine tragende Form. Das ist<br />

möglich, weil der Computer den Schülerinnen<br />

weitreichende Handlungsmöglichkeiten eröffnet.<br />

Für den <strong>Mathematikunterricht</strong> gilt analog das gleiche.<br />

Es ist bedenkenswert, ob man unter diesem<br />

Gesichtspunkt die Inhalte des gegenwärtigen <strong>Mathematikunterricht</strong>es<br />

überdenken muss, denn Unterricht<br />

wird nicht nur durch Inhalte legit<strong>im</strong>iert,<br />

sondern auch durch die Methoden und Prozesse,<br />

die in ihm möglich sind.<br />

3 Algorithmen sind gut!<br />

Algorithmisierung ist allgemein als fundamentale<br />

Idee der Mathematik anerkannt (siehe z.B. Tietze<br />

et al., 1997, 38ff) Bedauerlicherweise verzichten<br />

allerdings die KMK-Bildungsstandards <strong>für</strong> den<br />

mittleren Schulabschluss (KMK, 2003) auf eine<br />

entsprechende Würdigung des Algorithmenbegriffs.<br />

Möglicherweise liegt dies begründet in<br />

der Beobachtung, dass <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

das kalkülhafte Arbeiten einen zu hohen Stellenwert<br />

einn<strong>im</strong>mt. Man beachte aber, dass Algorith-<br />

124<br />

1 http://www.g<strong>im</strong>p.org<br />

misierung als fundamentale Idee <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

nicht dazu führen sollte, dass die Schüler<br />

wiederholt Algorithmen ausführen. Satt dessen<br />

sollen sie Algorithmen entwerfen, bewerten und<br />

über ihre Korrektheit und angemessene Nutzung<br />

kritisch reflektieren. Für eine sinnvolle Nutzung<br />

sollte die Algorithmisierung <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

wirklich als Prozess erlebbar werden. Algorithmen<br />

kodieren und kombinieren Erkenntnisse.<br />

Dazu müssen Erfahrungen gesammelt, zu mathematischen<br />

Aussagen verdichtet und in ein Verfahren<br />

übersetzt werden, das wieder Gegenstand mathematischer<br />

Reflexion sein wird. Exemplarisch<br />

soll dies am Beispiel des Euklidischen Algorithmus<br />

zur Best<strong>im</strong>mung des größten gemeinsamen<br />

Teilers zweier Zahlen erläutert werden. Die Phasen<br />

des Algorithmisierungsprozesses können sein:<br />

1. Erfahrung:<br />

Zahlenbeispiele werden gesammelt<br />

2. Beobachtungen werden zu Regeln verdichtet:<br />

ggT(n,n) = n, ggT(n,1) = 1, ggT(n,m) =<br />

ggT(m,n), ggT(n,m) = ggT(n,m − n)<br />

3. Umsetzung in einen Algorithmus:<br />

ggT(n,m):=<br />

if n>m : ggT(m,n)<br />

else if n=1 : 1<br />

else if n=m : n<br />

else : ggT(n,m-n)<br />

4. Korrektheitsbeweis<br />

Wenn Schüler einen solchen Prozess durchlaufen<br />

können, ist das Zitat „Algorithmen sind gut!? von<br />

(Freudenthal, 1972) bestätigt.<br />

4 Mathematik als<br />

Zuliefer-Wissenschaft<br />

Schüler kennen in der Regel viele Anwendungen,<br />

in denen mathematische Verfahren angewendet<br />

werden, beispielsweise Bildverarbeitungsprogramme<br />

und Soundeditoren. Eine Strategie des<br />

<strong>Mathematikunterricht</strong>s kann darin bestehen, solche<br />

Programme punktuell zu öffnen und die mathematischen<br />

Grundlagen den Schülern direkt zugänglich<br />

zu machen.<br />

Bildbearbeitungsprogramme bieten viele<br />

Möglichkeiten, Helligkeit und Kontrast eines Bildes<br />

zu ändern. Dabei wird eine Funktion best<strong>im</strong>mt,<br />

die die Menge der Helligkeitswerte (also<br />

die ganzen Zahlen von 0 bis 255) auf sich<br />

selbst abbildet. Im kostenlosen Bildbearbeitungsprogramm<br />

G<strong>im</strong>p 1 kann diese Funktion (genauer<br />

gesagt, ihr Funktionsgraph) explizit angezeigt und<br />

sogar mit der Maus verändert werden (siehe Abb.<br />

16.1). Viele Computeralgebraprogramme (Mu-<br />

PAD, Maple, Mathematica) oder ein kleines Programm<br />

(siehe Abb. 16.2) des Autors ermöglichen<br />

auch, die Transformationsfunktion algebraisch zu


Vom Nutzen und vom Nachteil der Informatik <strong>für</strong> den <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

Abbildung 16.1: Einstellung der Helligkeitswerte in GIMP<br />

Abbildung 16.2: Anwenden einer durch einen Term gegebenen Funktion auf die Helligkeitswerte eines<br />

Bildes<br />

125


Reinhard Oldenburg, Heidelberg<br />

spezifizieren. Dies ermöglicht eine schöne Darstellung<br />

des S<strong>im</strong>ultanaspektes von Funktionen.<br />

In eine ähnliche Richtung geht die Verwendung<br />

von Funktionstermen zur Modellierung von<br />

Klängen. Mit einem vom Autor erhältlichen Zusatzmodul<br />

kann das CAS MuPAD Funktionen<br />

als Schalldruckpegel eines zu erzeugenden Tonsignals<br />

verstehen. Beispielsweise erzeugt<br />

PlayFunction(<br />

0.5*(sin(2*PI*441*t)<br />

+sin(2*PI*440*t)),<br />

t=0..2.0)<br />

eine zwei Sekunden lange Schwebung. Schülern<br />

machen solche und auch einfachere Beispiele (etwa<br />

ein Ton, dessen Frequenz langsam ansteigt)<br />

von Schallmodellierung viel Spaß. Algebra wird<br />

zum Mittel, es lustig piepsen zu lassen.<br />

Ein weiteres Beispiel bilden die in Mailprogrammen<br />

integrierten Spamfilter. Welche Mail als<br />

Spam gilt, hängt vom Nutzer ab, es ist eine individuelle<br />

Entscheidung. Deswegen sollten Spamfilter<br />

lernfähig sein. Zum Lernen aus Erfahrung<br />

bietet sich die Bayesstatistik an, die ermöglicht,<br />

aus der beobachteten Häufigkeit eines best<strong>im</strong>mten<br />

Wortes in der bisher als Spam klassifizierten<br />

Mail zu errechnen, mit welcher Wahrscheinlichkeit<br />

eine einkommende Mail, in der dieses Wort<br />

gefunden wurde, Spam ist:<br />

P(Spam|„Viagra“ ) =<br />

P(„Viagra“ |Spam)<br />

P(„Viagra“ |Spam)+P(„Viagra“ |Ham)<br />

Natürlich stützt man sich in der Praxis nicht<br />

nur auf ein Wort, sondern auf viele, und auch über<br />

deren geschickte Auswahl kann man statistisch argumentieren.<br />

Eine große Klasse von realen Anwendungen<br />

erschließt sich der <strong>Mathematikunterricht</strong>,<br />

wenn er Opt<strong>im</strong>ierungsalgorithmen behandelt,<br />

da dies in Oldenburg (2006) ausführlich dargestellt<br />

werden soll, bleibt es hier bei diesem Hinweis.<br />

4.1 S<strong>im</strong>ulationen<br />

S<strong>im</strong>ulationen können den MU an vielen Stellen<br />

bereichern, vor allem bei Versuchen zur Wahrscheinlichkeitstheorie.<br />

Dabei können fertige Programme<br />

eine wichtige Rolle spielen. Besser ist<br />

aber, wenn die Schüler lernen, mit einem Werkzeug<br />

beliebige Fragestellungen s<strong>im</strong>ulieren zu können.<br />

Dies kann z.B. mit einer Tabellenkalkulation<br />

erfolgen. Dabei treten allerdings technische<br />

Schwierigkeiten (z.B. das Auszählen von Erfolgen<br />

in einer Spalte) auf, die den Problemen be<strong>im</strong> Programmieren<br />

u.U. ebenbürtig sein können. Gänzlich<br />

an seine Grenzen stößt ein solches Werkzeug,<br />

wenn sehr große Versuchszahlen durchzuführen<br />

126<br />

sind. Beispielsweise zeigt Meyer (2006) wie der<br />

<strong>für</strong> Anwendungen extrem wichtige t-Test auf Basis<br />

von mit S<strong>im</strong>ulationen gewonnen Erkenntnissen<br />

angewendet werden kann, ohne wesentliche Teile<br />

der traditionellen Theorie zu benötigen. Dazu sind<br />

allerdings große Anzahlen (> 10 6 ) von Versuchsdurchführungen<br />

nötig, und das ist mit einer Tabellenkalkulation<br />

unmöglich. Natürlich ist es nicht<br />

prinzipiell nötig, dass jeder Schüler ein solches<br />

S<strong>im</strong>ulationsprogramm selbst schreibt, man sollte<br />

aber bedenken, dass eine solche S<strong>im</strong>ulation nur<br />

dann Überzeugungskraft hat, wenn die S<strong>im</strong>ulationsprinzipien<br />

vollkommen klar sind und <strong>im</strong> Vorfeld<br />

ausreichend vertrauensbildende Maßnahmen<br />

durchgeführt wurden. Ein Weg dazu ist das eigenständige<br />

Programmieren. Eine Bewertung dieses<br />

Weges <strong>im</strong> Vergleich zu Alternativen steht aus.<br />

Hier soll ein weiteres Themengebiet vorgestellt<br />

werden, das durch S<strong>im</strong>ulation behandelt<br />

werden kann, und das sich durch den Fächerübergriff<br />

von Mathematik, Informatik und Physik<br />

auszeichnet. Unter dem Begriff Perkolation<br />

fasst man eine Reihe statistischer Modelle zusammen.<br />

Das einfachste Perkolations-Modell besteht<br />

aus einem zweid<strong>im</strong>ensionalen Quadratgitter, dessen<br />

Knoten mit einer best<strong>im</strong>mten vorgegebenen<br />

Besetzungswahrscheinlichkeit als besetzt (sonst<br />

als frei) markiert werden. In einem Realmodell<br />

kann man eine Mischung von Glas- und Stahlkugeln<br />

herstellen und in eine zweid<strong>im</strong>ensionale<br />

Schicht bringen. Eine sinnvolle Frage ist dann,<br />

ob eine elektrische Verbindung über die Stahlkugeln<br />

vom linken zum rechten Rand der Schicht<br />

hergestellt wird. Natürlich ist sofort klar, dass die<br />

Wahrscheinlichkeit P einer leitenden Verbindung<br />

mit der Besetzungswahrscheinlichkeit p (Stahlkugelanteil)<br />

steigt. Das — <strong>für</strong> viele überraschende<br />

— S<strong>im</strong>ulationsergebnis ist, dass P unstetig von<br />

p abhängt, <strong>für</strong> kleine Werte von p ist P = 0, bei<br />

einem Schwellenwert aber springt P auf 1, d.h.<br />

das Modell zeigt einen Phasenübergang. Eine Erkenntnis,<br />

die enorme praktische Rückwirkungen<br />

hat bei Fragen der Ausbreitung von Waldbränden<br />

oder be<strong>im</strong> Einschluss von Erdgas in porösen Gesteinsschichten.<br />

Das S<strong>im</strong>ulationsprogramm (siehe<br />

Abb. 16.3) zeigt auch, dass an der Sprungstelle<br />

fraktale leitende Gebilde entstehen.


Vom Nutzen und vom Nachteil der Informatik <strong>für</strong> den <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

Abbildung 16.3: Fraktalbildung bei Perkolation<br />

4.2 Working Models — das Prinzip<br />

verstehen<br />

Für viele gängige und bekannte Programmarten,<br />

z.B. Compiler, Interpreter, Browser, Dynamische<br />

Geometrie, Computeralgebra, Klassensystem,<br />

Chatserver, können <strong>im</strong> Informatikunterricht<br />

„Working models“ also Funktionsmodelle erstellt<br />

werden. Diese Programme sollen nicht trivial sein,<br />

sondern wirklich funktionieren, dabei aber soweit<br />

reduziert sein, dass ihre Arbeitsweise <strong>im</strong> Detail<br />

verstanden werden kann. Ziel ist Transparenz herzustellen<br />

und eine Grundlage <strong>für</strong> Aktivitäten der<br />

Schüler zu geben, die dabei Einsicht in reale Probleme<br />

der Softwareentwicklung gewinnen können.<br />

Aus dem Sicht des <strong>Mathematikunterricht</strong>s<br />

ist es beispielsweise interessant, wenn <strong>im</strong> Informatikunterricht<br />

ein Dynamisches Geometrieprogramm<br />

(DGS) erstellt wird. In diesem Fall<br />

bringt die Mathematik die Beschreibungsmethoden<br />

<strong>für</strong> Graden, Strecken und Kreise und die Berechnungsmethoden<br />

<strong>für</strong> Lote, Schnittpunkte und<br />

ggf. auch Tangenten u.ä. in den Informatikunterricht<br />

ein. Der Informatikunterricht dagegen wird<br />

an diesem Beispiel vor allem schätzen, dass die<br />

OOM daran überzeugend dargestellt werden kann.<br />

Dies zeigt einmal mehr, dass MU und IU unterschiedliche<br />

Ziele verfolgen. Im MU kann das<br />

Thema auch ohne eigenes Programmieren genutzt<br />

werden. Die Arbeitsweise eines DGS kann dekonstruiert<br />

werden, d.h. die Schüler beschreiben umgangssprachlich,<br />

nach welchem Algorithmus und<br />

auf Basis welcher Informationen die neue Konfiguration<br />

<strong>im</strong> Zugmodus aus der alten berechnet<br />

werden kann.<br />

Eine ähnliche Quelle von Anregungen bietet<br />

die 3D-Computergrafik, deren Nützlichkeit <strong>für</strong><br />

den <strong>Mathematikunterricht</strong> von Andreas Filler gegenwärtig<br />

gründlich untersucht wird (siehe Filler,<br />

2008, in diesem Band, S. 63).<br />

5 Prozess-Objekt-Dualität<br />

Auf den ersten Blick ist klar, was Daten (Objekte)<br />

und was Prozeduren sind. Interessanterweise hält<br />

dies einem zweiten Blick nicht stand: Datenstrukturen<br />

und Prozeduren können identifiziert werden.<br />

In der Informatik kennt man schon seit fast 30<br />

Jahren die Entstehung von Objekten aus Prozeduren<br />

(Operationen) und nutzt sie z.B. bei der Implementation<br />

von Klassensystemen in Lisp. In der<br />

Mathematikdidaktik hat diese Erkenntnis verspätet<br />

und unabhängig Einzug gehalten. Die Lehre<br />

aus dieser Beobachtung ist, dass die Informatik<br />

in der Lage ist, sinnvolle metaphorische Beschreibungen<br />

von Lernprozessen <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

zu liefern. Ein konkretes Beispiel ist die Repräsentation<br />

von nichtabbrechenden Dez<strong>im</strong>albrüchen.<br />

Schüler haben regelmäßig ontologische Probleme<br />

mit Dez<strong>im</strong>alzahlen mit unendlich vielen,<br />

nichtperiodischen Stellen, die ja nie vollständig<br />

angegeben werden können. Eine informatorische<br />

Modellierung einer solchen Dez<strong>im</strong>alzahl ist gegeben<br />

durch eine realisierbare Funktion (also durch<br />

einen Algorithmus), die als Eingabe die Anzahl<br />

der zu berechnenden Stellen n<strong>im</strong>mt und einen entsprechenden<br />

Näherungswert produziert. Ähnlich<br />

wie auch bei der Beherrschung des Grenzwertbegriffs<br />

werden die „unendlich vielen“ Stellen durch<br />

„beliebig viele“ Stellen ersetzt.<br />

Eine weitere metaphorische Leistung der Informatik<br />

liegt <strong>im</strong> Bereich der Begriffsbildung. Angenommen,<br />

es soll der folgende größte gemeinsame<br />

Teiler berechnet werden: ggT(1,1111 4 444).<br />

In den meisten Programmiersprachen würden zunächst<br />

die Argumente ausgewertet, das heißt die<br />

Exponentiation wird ausgerechnet — eine erhebliche<br />

Arbeit mit riesigem Ergebnis. Dieser Wert<br />

wird allerdings gar nicht benötigt, denn die erste<br />

Zahl <strong>im</strong> Aufruf von ggT ist 1 und also muss<br />

auch der ggT selbst 1 sein. Aus der Einsicht,<br />

dass solche Situationen auch in weniger künstlichen<br />

Situationen vorkommen können, wurden<br />

funktionale Programmiersprachen mit sogenannter<br />

lazy evaluation entwickelt. Diese schieben die<br />

Auswertung von Ausdrücken solange wie möglich<br />

auf. Genau das passiert auch bei der Begriffsbildung:<br />

5/2 und √ 3 sind zunächst Handlungsanweisungen.<br />

Die löbliche Faulheit besteht darin,<br />

diese Operationen zunächst nicht auszuführen, die<br />

Operationen also „einzufrieren“, so dass sie zu einem<br />

handhabbaren Eisblock (Objekt) werden. Bei<br />

Bedarf kann dieser aufgetaut werden — und dann<br />

zeigt sich seine Bedeutung. Dies liefert ein durch<br />

die Informatik gestütztes Modell der Begriffsbildung,<br />

das wichtige Erkenntnisse stützt, die bereits<br />

auf anderem Wege gewonnen wurden, etwa das<br />

Begriffsbildung kein schneller Prozess ähnlich ei-<br />

127


Reinhard Oldenburg, Heidelberg<br />

ner mathematischen Definition sondern ein aktiver<br />

Konstruktionsschritt ist. Nicht ganz so offensichtlich<br />

ist die Folgerung, zum Zwecke der Begriffsbildung<br />

Aktivität zu Gunsten von Reflexion<br />

gezielt zurück zu stellen.<br />

6 Methoden-Werkzeugkasten<br />

Methoden der Informatik können nicht nur als<br />

Metapher in didaktischen Überlegungen nützlich<br />

sein, sondern u.U. lassen sie sich unmittelbar <strong>im</strong><br />

Unterricht einsetzen. Hier sollen einige Beispiele<br />

zur Algebra zusammen gestellt werden.<br />

Kortenkamps Klammergebirge (siehe Kortenkamp,<br />

2008, in diesem Band, S. 77) nutzen Methoden<br />

wie sie auch bei der Programmierung von<br />

Parsern verwendet werden, um Schülern be<strong>im</strong><br />

Umgang mit geklammerten Termen zu helfen.<br />

Graphische Beschreibungsmethoden erleben in<br />

der Informatik eine Blüte, <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

sind dagegen die Termbäume so selten geworden,<br />

dass sich viele Lehramtsstudenten nicht<br />

mehr daran erinnern.<br />

Objekte <strong>für</strong> den schnellen Zugriff zu sortieren<br />

ist eine bekannte Technik. Interessante Diskussionen<br />

mit Schülern habe ich angesichts der Ordnung<br />

in einer Formelsammlung erlebt zur Frage, wie<br />

man Terme (alphabetisch?) sortieren kann. Dies<br />

ist eine wunderbare offene Aufgabe, bei der viel<br />

sonst nur <strong>im</strong>plizites Wissen über den Aufbau von<br />

Termen explizit gemacht werden muss.<br />

Eine weit verbreitete Strategie der Softwareentwicklung<br />

ist die Model-View-Abstraktion, d.h.<br />

die Daten und Methoden, die die Modellbeschreibung<br />

betreffen, sollen getrennt werden von denen,<br />

die die Darstellung betreffen. Der gleiche Term,<br />

verschiedene Schreibweisen, das kennt die Mathematik<br />

schon lange, hier aber noch mal eine neue<br />

Anregung über Termschreibweisen und die Übersetzung<br />

zwischen ihnen nachzudenken.<br />

Ähnliches gilt <strong>für</strong> Normalformen und kanonische<br />

Formen von Termen. Wenn die Schüler <strong>im</strong><br />

Sinne der Metakognition über ihre Möglichkeiten<br />

zur Termumformung reflektieren, helfen diese Begriffe<br />

aus dem Bereich der Computeralgebra bei<br />

der Systematisierung!<br />

Ebenfalls aus der Computeralgebra bekannt ist<br />

das Pattern-Matching, also die Problemstellung,<br />

einen Term an ein best<strong>im</strong>mtes Muster anzupassen.<br />

Das liefert viele Aufgabenstellungen unterschiedlichen<br />

Schwierigkeitsgrades. Eine eher einfache<br />

Aufgabe ist: Passt der Term 5 − x auf das Muster<br />

Ax+B?<br />

7 Problematische Aspekte<br />

In einer unvoreingenommen Diskussion dürfen<br />

Punkte nicht ausgespart bleiben, bei denen die<br />

Informatik einen problematischen Einfluss ausübt.<br />

In der mathematischen Praxis geht man an<br />

128<br />

vielen Stellen flexibel mit Begriffen um. Kanonische<br />

Isomorphien werden oft vergessen, etwa<br />

wenn die konstanten Funktionen mit den reellen<br />

Zahlen identifiziert werden, oder, ähnlich gelagert,<br />

wenn zwischen Funktion und Funktionsterm<br />

nicht konsequent unterschieden wird. In der Informatik<br />

muss man solche Fragen etwas strenger<br />

sehen, um die passenden Datentypen auswählen<br />

zu können. Andererseits werden auch mathematisch<br />

traditionell unterschiedene Objekte in Informatiksystemen<br />

oft gleich repräsentiert(z.B Listendarstellung<br />

sowohl von Vektoren als auch von Teilern<br />

einer Zahl). Auch bei der Anwendung von Informatiksystemen<br />

ist zu beachten, dass in der Mathematik<br />

häufig vorgenommene Identifizierungen<br />

nicht gelten, so gilt etwa in vielen Geometriesystemen,<br />

dass eine Parabel als Funktionsgraph etwas<br />

andere ist als eine Parabel als Kegelschnitt.<br />

Die Informatik erfordert präzise Beschreibungen<br />

und sorgfältige Planungen, und der Informatikunterricht<br />

fordert diese ein. Dies geht teilweise<br />

parallel zu Zielen des <strong>Mathematikunterricht</strong>s,<br />

aber es gibt auch Differenzen. Der <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

versucht u.a. auch zu einem exper<strong>im</strong>entellen,<br />

interaktiven Arbeiten anzuregen. Dies<br />

sind Arbeitsweisen, die in der informatorischen<br />

Praxis zwar auch vorkommen, die aber von der<br />

stark durch Theorie geleiteten Informatikdidaktik<br />

als defizitär angesehen werden. Zwar gibt es auf<br />

diesem Feld eine leichte Entspannung, aber das<br />

Ziel der konsequenten Objektorientierten Modellierung<br />

vor der (und oft auch ohne) Realisierung<br />

ist doch best<strong>im</strong>mend. Exper<strong>im</strong>entelle Aktivitäten<br />

mit dem Rechner müssen <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

deshalb bewusst als Gegenmodell zur Praxis<br />

des Informatikunterrichts angeboten werden.<br />

Im Zusammenhang damit steht die seit 100<br />

Jahren <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong> propagierte fundamentale<br />

Idee des funktionalen Zusammenhangs.<br />

In der Informatik hat funktionales Denken<br />

zwar auch wichtige Spuren hinterlassen, der<br />

Informatikunterricht setzt gegenwärtig aber stärker<br />

auf objektorientierte denn auf funktionale Modellierung.<br />

Wenn sich die Lehrer beider Fächer<br />

über diese unterschiedliche Schwerpunktsetzung<br />

<strong>im</strong> klaren sind, muss daraus aber kein Nachteil<br />

erwachsen, <strong>im</strong> Gegenteil, Methodenpluralismus<br />

kann fruchtbar wirken! Allerdings zeigt gerade<br />

die Objektorientierte Modellierung die Ambivalenz<br />

der Beziehung der beiden Schulfächer.<br />

Aus dem <strong>Mathematikunterricht</strong> ist die Mengenlehre<br />

wieder weitgehend verschwunden, ihre informatorische<br />

Übersetzung (Klasse=Menge, Objekt=Element,<br />

Unterklasse=Teilmenge, abstrakte<br />

Klasse=Kategorie) aber schickt sich gerade an,<br />

in die (bayerische) Sekundarstufe I einzudringen.<br />

Die Freude, hier mathematische Konzepte <strong>im</strong> Informatikunterricht<br />

zu sehen, weicht der Ernüch-


Vom Nutzen und vom Nachteil der Informatik <strong>für</strong> den <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

terung, dass dieser Ansatz Gefahr laufen könnte,<br />

ähnlich zu scheitern wie die mathematische Mengenlehre.<br />

Einige der Ansätze in diese Richtung<br />

laufen darauf hinaus, dass die Schüler eine Sprache<br />

lernen (es gibt konsequenter Weise auch Abschnitte<br />

zum Lernen der „Vokabeln?), <strong>für</strong> die es<br />

keinen wirklichen Bedarf gibt. Aber etwas Neues<br />

zu lernen, nur um bekannte Dinge anders beschreiben<br />

zu können, motiviert Schüler nicht dauerhaft,<br />

es muss mit den neuen Werkzeugen auch<br />

wirklich etwas getan werden.<br />

8 Abschlussthesen<br />

Dieser Aufsatz hat versucht zu belegen, dass der<br />

<strong>Mathematikunterricht</strong> von vielen <strong>Ideen</strong> der Informatik<br />

profitieren kann, sowohl auf inhaltlicher wie<br />

auf methodischer Ebene. Vieles davon ist ohne<br />

Programmierkenntnisse der Schüler und Schülerinnen<br />

möglich. Für einige Anwendungen sind<br />

diese aber nützlich, um <strong>im</strong> Sinne eines handlungsorientierten,<br />

auf Konstruktion gerichteten Unterrichts<br />

nennenswerte Eigentätigkeit zu ermöglichen.<br />

Das ist vor allem auch deshalb sinnvoll,<br />

weil der Informatikunterricht sich weit von seinen<br />

mathematischen Wurzeln entfernt hat. Dabei<br />

haben neue, eigenständig informatorische Inhalte<br />

viele traditionelle mathematische Programme<br />

verdrängt. Wenn Schüler mathematische Algorithmen,<br />

wie das Sieb des Erathostenes, das Heron-<br />

verfahren, den Euklidischen Algorithmus oder die<br />

Bisektion zur Lösung von Gleichungen kennen<br />

lernen sollen, ist das exklusiv eine Aufgabe des<br />

<strong>Mathematikunterricht</strong>s.<br />

Literatur<br />

Filler, Andreas (2008): Dynamische Aspekte von Parameterdarstellungen:<br />

Generieren von Bewegungsbahnen sowie von<br />

Geraden und Kurven als Punktmengen. In: Kortenkamp et al.<br />

(2008), 63–72<br />

Freudenthal, Hans (1972): Mathematik als pädagogische Aufgabe.<br />

Klett<br />

KMK (2003): Bildungsstandards <strong>im</strong> Fach Mathematik <strong>für</strong><br />

den Mittleren Schulabschluss. Bonn: Sekretariat der Ständigen<br />

Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik<br />

Deutschland Ref. IV A<br />

Kortenkamp, Ulrich (2008): Algorithmen <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong>.<br />

In: Kortenkamp et al. (2008), 77–86<br />

Kortenkamp, Ulrich, Hans-Georg Weigand & Thomas Weth<br />

(Hg.) (2008): <strong>Informatische</strong> <strong>Ideen</strong> <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong>.<br />

Bericht über die 23. Arbeitstagung des Arbeitskreises „<strong>Mathematikunterricht</strong><br />

und Informatik“, Hildeshe<strong>im</strong>: Franzbecker<br />

Meyer, Jörg (2006): Ein einfacher Zugang zu t-Tests. In:<br />

ISTRON-Band, Franzbecker<br />

Oldenburg, Reinhard (2006): Numerische Opt<strong>im</strong>ierung — ein<br />

schneller Weg zur Modellbildung. In: ISTRON-Band, Franzbecker<br />

Schubert, Sigrid & Andreas Schwill (2004): Didaktik der Informatik.<br />

Heidelberg, Berlin: Spektrum Akademischer Verlag<br />

Tietze, Uwe, Manfred Klika & H. Wolpers (1997): <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

in der Sekundarstufe II<br />

129


Raum <strong>für</strong> Notizen<br />

130


• Dynamik von DGS — Wozu und wie sollte man sie nutzen?<br />

Jürgen Roth, Würzburg<br />

In der Literatur zum Einsatz von dynamischer Geometriesoftware (DGS) <strong>im</strong> Unterricht wird <strong>im</strong>mer<br />

wieder darauf verwiesen, dass der wesentliche Vorteil dieser Software die Möglichkeit ist, sehr<br />

einfach Bewegungen bzw. Veränderungen von Konfigurationen realisieren zu können. Es stellt sich<br />

allerdings die Frage, bei welchen Inhalten diese Möglichkeit sinnvoll eingestetzt werden kann. Selbst<br />

nach einer Beantwortung bleibt weiterhin zunächst offen, wie ein Einsatz von DGS <strong>im</strong> Unterricht<br />

aussehen sollte, um diese Möglichkeiten auch auszuschöpfen. Ferner darf die Entwicklungsarbeit<br />

nicht unterschätzt werden, die notwendig ist, um entsprechende DGS-Dateien zu erzeugen. Diese<br />

Problemstellungen werden hier diskutiert. Dabei wird deutlich, dass Konzeptionen zum DGS-<br />

Einsatz zwei D<strong>im</strong>ensionen berücksichtigen müssen. Dies ist zum einen die „Inhaltsd<strong>im</strong>ension“, die<br />

den Zweck des Einsatzes betrifft und zum anderen die „Unterstützungsd<strong>im</strong>ension“, die den Grad der<br />

zur Verfügung gestellten Fokussierungshilfen betrifft. Es wird an konkreten Beispielen dargestellt,<br />

welche Aspekte diese beiden D<strong>im</strong>ensionen beinhalten und wie sie ineinander greifen.<br />

1 Alte Idee der beweglichen<br />

Konfigurationen<br />

Die alte Idee, sich Konfigurationen beweglich vorzustellen<br />

und dies als Argumentationsgrundlage<br />

zu nutzen, wird spätestens seit der Meraner Reform<br />

<strong>im</strong>mer wieder in der didaktischen Diskussion<br />

aufgegriffen und <strong>für</strong> den Geometrieunterricht<br />

(GU) propagiert (vgl. etwa Bender, 1989).<br />

Auswirkungen auf den realen <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

waren bisher allerdings kaum festzustellen.<br />

Krüger (2000) spricht diesbezüglich sogar vom<br />

„Scheitern der Meraner Reform“. Als ein Grund<br />

da<strong>für</strong> wird angeführt, dass es früher schwierig<br />

war, derartige Bewegungen zu visualisieren oder<br />

der Aufwand zur Herstellung von entsprechenden<br />

Medien, z.B. Mathematikfilme oder gegenständliche<br />

Modelle, ganz erheblich ist bzw. war. Darüber<br />

hinaus haben Unterrichtsfilme den Nachteil,<br />

dass Eingriffe in den Ablauf eines einmal erstellten<br />

Films nur in geringem Umfang durchführbar<br />

sind. Damit sind aber entdeckendes Lernen und<br />

das Beschreiten eigener Lernwege nur sehr eingeschränkt<br />

möglich. Diese Problematik hat sich<br />

durch die Verfügbarkeit von Computern und die<br />

Entwicklung von dynamischer Geometriesoftware<br />

(DGS) grundlegend geändert. Mit ihrer Hilfe<br />

können Visualisierungen mathematischer Konfigurationen<br />

relativ einfach erzeugt und dynamisch<br />

variiert werden. Wichtig ist dabei die Möglichkeit,<br />

einzelne Variable der Konfiguration gezielt und<br />

stetig bzw. „quasistetig“ zu verändern. Diese Variation<br />

kann z.B. mit Hilfe von Schiebereglern realisiert<br />

werden. Diese Vorgehensweise bietet sich<br />

dann an, wenn viele verschiedene, vorab bereits<br />

feststehende Veränderungsmöglichkeiten nebeneinander<br />

zur Verfügung gestellt werden sollen.<br />

Darüber hinaus bietet DGS infolge des Zugmodus<br />

große Freiheiten in den Variationsmöglichkeiten<br />

und ist einfach und intuitiv zu bedienen. Der<br />

letztgenannte Aspekt ist insbesondere <strong>im</strong> Hinblick<br />

darauf, dass das Arbeiten mit Bewegungen und<br />

Veränderungen meiner Ansicht nach den <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

spätestens ab der 5. Jahrgangsstufe<br />

begleiten sollte, ein entscheidendes Kriterium<br />

be<strong>im</strong> Einsatz von Computern <strong>im</strong> Unterricht.<br />

2 Funktionen des DGS-Einsatzes<br />

(Wozu?)<br />

Die Tatsache, dass Veränderungen mit Hilfe geeigneter<br />

Computerprogramme sehr einfach durchgeführt<br />

und von Schülerinnen und Schülern in gewissen<br />

Grenzen selbst gesteuert werden können,<br />

birgt alleine allerdings noch keinen didaktischen<br />

Vorteil. Die Bewegung bzw. Veränderung muss<br />

zwar nicht mehr hineingesehen werden, weil sie<br />

bereits bildhaft vor dem Auge der Schülerin bzw.<br />

des Schülers abläuft, um aber aus dieser Bewegung<br />

Informationen oder <strong>Ideen</strong> <strong>für</strong> eine Argumentation<br />

zu erhalten, ist eine intensive Auseinandersetzung<br />

mit der Problematik notwendig, die nicht<br />

einfach durch oberflächliches Betrachten von Bewegungen<br />

erreicht wird. Genau genommen setzt<br />

ein Gewinn bringender Einsatz von Software, die<br />

„benutzergesteuerte“ dynamische Veränderungen<br />

zulässt, bereits die Fähigkeiten des Beweglichen<br />

Denkens (Roth, 2005a) voraus. Es handelt sich dabei<br />

um folgende drei Fähigkeiten:<br />

1. Bewegung hineinsehen und damit argumentieren<br />

Hier geht es um die Fähigkeit, in ein (statisches)<br />

Phänomen eine Bewegung bzw. eine<br />

Veränderung hineinsehen zu können. Darüber<br />

hinaus gehört zu dieser Komponente des<br />

Beweglichen Denkens aber auch die Fähigkeit,<br />

diese vorgestellte Bewegung bzw. Veränderung<br />

zur Argumentation be<strong>im</strong> Lösen von<br />

Problemen, Entdecken von Zusammenhängen<br />

und ganz allgemein be<strong>im</strong> Erforschen von (mathematischen)<br />

Phänomenen benutzen zu können.<br />

2. Gesamtkonfiguration erfassen und analysieren<br />

131


Jürgen Roth, Würzburg<br />

Zum Beweglichen Denken gehört die Fähigkeit,<br />

eine reale bzw. vorgestellte („hineingesehene“<br />

) Bewegung/Veränderung in ihren Auswirkungen<br />

auf die Gesamtkonfiguration erfassen<br />

und analysieren zu können. Dies erfordert,<br />

die Fokussierung auf best<strong>im</strong>mte Aspekte<br />

wechseln und so jeweils <strong>für</strong> gerade betrachtete<br />

Fragestellungen relevante Veränderungen bzw.<br />

Invarianten in den Blick nehmen zu können.<br />

3. Änderungsverhalten erfassen und beschreiben<br />

Der dritte Aspekt des Beweglichen Denkens<br />

ist die Fähigkeit, die Frage nach der Art und<br />

Weise der Veränderung beantworten, also das<br />

Änderungsverhalten qualitativ erfassen und beschreiben<br />

zu können.<br />

Für einen Menschen, der versiert <strong>im</strong> Beweglichen<br />

Denken ist, kann der Computer mit entsprechender<br />

Software drei wesentliche Funktionen erfüllen:<br />

1. Kontrollinstanz<br />

Er ist eine externe Kontrollinstanz, mit der <strong>im</strong><br />

Kopf abgelaufene bewegliche Denkvorgänge<br />

auf ihre Tragfähigkeit hin überprüft und kritisch<br />

hinterfragt werden können.<br />

2. „Denkzeug“<br />

Der Computer ist ein Werkzeug, das das Bewegliche<br />

Denken unterstützt, in Anlehnung an<br />

Dörfler (1991) also ein „Denkzeug“, weil er bei<br />

komplexen Problemstellungen, die nicht mehr<br />

<strong>im</strong> Kopf erfassbar sind, dazu dient, die Komplexität<br />

in den Griff zu bekommen. Dies geschieht<br />

dadurch, dass das Gedächtnis entlastet<br />

wird und einzelne Fähigkeitsaspekte des Beweglichen<br />

Denkens an den Rechner delegiert<br />

werden. Folgende Aspekte sind hier zu nennen:<br />

132<br />

• Am Computer arbeitende Menschen benötigen<br />

die Fähigkeit „Bewegung hineinsehen“<br />

nicht mehr <strong>im</strong> gleichen Umfang wie jene ohne<br />

Werkzeug, da die Bewegung zwar noch<br />

geplant, aber nicht mehr mental realisiert<br />

werden muss.<br />

• Das Gedächtnis wird nicht mehr so stark<br />

belastet, weil die Gesamtkonfiguration ständig<br />

zur Verfügung steht und nötige Fokussierungen<br />

auf jeweils relevante Details nur<br />

noch antizipiert werden müssen. Geeignete<br />

Hilfsmittel, die das Computerprogramm bietet,<br />

können zur Konzentration der Aufmerksamkeit<br />

auf diesen Aspekt genutzt werden.<br />

• Diese Entlastung in den genannten kognitiven<br />

Bereichen erlaubt be<strong>im</strong> Problemlösen<br />

mit Hilfe des Beweglichen Denkens die Konzentration<br />

auf Aspekte der Planung, Interpretation,<br />

Analyse und Argumentation. Voraussetzung<br />

dazu ist allerdings die Fähigkeit, mit<br />

der jeweiligen Software umgehen und ihren<br />

zielgerichteten Einsatz planen und <strong>im</strong> Laufe<br />

des verteilten Denkprozesses ggf. auch reorganisieren<br />

zu können.<br />

3. Kommunikationsmittel<br />

Der Computer ist ein Hilfsmittel, um Ergebnisse<br />

beweglicher Denkvorgänge und ihr Zustandekommen<br />

gerade auch solchen Menschen<br />

zu vermitteln, deren Fähigkeit zum Beweglichen<br />

Denken weniger stark ausgeprägt ist. Dabei<br />

spielen die Möglichkeiten des dynamischen<br />

„Vorführens“ von Veränderungen und der Aufmerksamkeitsfokussierung<br />

eine wichtige Rolle.<br />

Diese drei genannten Funktionen des Computers<br />

gelten <strong>für</strong> Personen, deren kognitives Standardrepertoire<br />

das Bewegliche Denken als selbstverständlichen<br />

Bestandteil umfasst. Sie eröffnen aber<br />

auch einen Zugang zu sinnvollen Einsatzmöglichkeiten<br />

des Computers <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong>,<br />

wenn es um die Entwicklung Beweglichen Denkens<br />

geht. Dabei sind zwei wesentliche Zielrichtungen,<br />

dass die Schülerinnen und Schüler auch<br />

mit Hilfe des Computereinsatzes dazu befähigt<br />

werden,<br />

• ohne Computer, also <strong>im</strong> Kopf, Bewegungen hineinzusehen,<br />

zu analysieren und Änderungsverhalten<br />

zu erfassen, sowie<br />

• bei komplexeren Gegebenheiten einen geeigneten<br />

Computereinsatz zu planen, vorzustrukturieren<br />

und während des Denkprozesses ggf. zu reorganisieren.<br />

3 Fokussierungshilfen<br />

Auf dem Weg zu diesen Zielen ermöglicht der<br />

Einsatz des Computers der Lehrkraft die Komplexität<br />

des beweglichen Denkprozesses dadurch zu<br />

reduzieren, dass Strukturierungs- bzw. Fokussierungshilfen<br />

bereits in eine Lernumgebung eingebaut<br />

werden und den Schülerinnen und Schülern<br />

so eine Konzentration auf Analyse- und Argumentationsprozesse<br />

ermöglicht wird. Dabei wird man<br />

<strong>im</strong> Zuge der Entwicklung des Beweglichen Denkens<br />

die Strukturierungshilfen in den Lernumgebungen<br />

schrittweise verringern. In der Endform<br />

erzeugen die Schülerinnen und Schüler die zu untersuchenden<br />

Konfigurationen mit Hilfe von DGS<br />

komplett selbst, planen selbstständig Fokussierungshilfen<br />

und setzen sie um bzw. nutzen DGS<br />

zur Kontrolle der Ergebnisse des <strong>im</strong> Kopf abgelaufenen<br />

Beweglichen Denkens. Diese Endform<br />

kann aber nur das Ziel eines langfristigen, sich<br />

über mehrere Jahre erstreckenden Prozesses sein.<br />

Für diesen Zeitraum müssen von Lehrern und Didaktikern<br />

auf DGS basierende Lernumgebungen<br />

entwickelt werden, die jeweils angemessene Fokussierungshilfen<br />

enthalten. Die Gestaltung von<br />

Fokussierungshilfen erfordert dabei einen erheblichen<br />

und nicht zu unterschätzenden Aufwand


<strong>im</strong> Hinblick auf die Konzeption, aber auch auf<br />

die Umsetzung der gewünschten Fokussierungshilfen.<br />

Oft sind dazu trickreiche und nicht nahe<br />

liegende Konstruktionen notwendig, die ein DGS<br />

so nicht unmittelbar zur Verfügung stellt. Auch<br />

wäre eine einzelne Lehrkraft überfordert, wollte<br />

sie zu allen Themen des Lehrplanes geeignete<br />

auf DGS basierende Lernumgebungen entwickeln.<br />

Hier ist eine Internet-Plattform notwendig,<br />

auf der bereits fertige Lernumgebungen zu<br />

verschiedenen Themen vorliegen. Dort findet man<br />

— <strong>im</strong> Idealfall — bereits eine Umsetzung zu einem<br />

gewünschten Thema, die man als Lehrkraft<br />

an die eigenen Bedürfnisse anpassen kann, oder<br />

man erhält zumindest Anregungen dazu, wie eigene<br />

<strong>Ideen</strong> mit Hilfe von DGS umgesetzt werden<br />

können. Einen Ansatz dazu stellt meine Homepage<br />

http://www.juergen-roth.de dar.<br />

Hier stelle ich unter der Rubrik „EUKLID DynaGeo“<br />

eine ganze Reihe von Lernumgebungen<br />

zur Verfügung, die von mir konzipiert und umgesetzt<br />

wurden und die auf DynaGeoX-Applets basieren.<br />

Sie können online genutzt, aber auch heruntergeladen<br />

und gemäß den eigenen Vorstellungen<br />

und Bedürfnissen geändert werden. Außerdem<br />

zeigen sie exemplarisch, welche Arten von<br />

Fokussierungshilfen möglich sind.<br />

Grundsätzlich kann man drei Stufen der Fokussierungshilfen<br />

unterscheiden:<br />

1. Eine Konfiguration ist vollständig vorgegeben.<br />

• Für die wesentlichen zu beobachtenden<br />

Aspekte sind bereits Fokussierungshilfen<br />

(z.B. durch Farbgebung, Linienstärken, die<br />

Mitführung von Messwerten u.ä.) enthalten.<br />

• Evtl. sind Variationsmöglichkeiten an der<br />

Konfiguration bewusst eingeschränkt.<br />

• Evtl. können einzelne Elemente ein- und<br />

ausgeblendet werden.<br />

Beispiele hier<strong>für</strong> sind in Abb. 17.1 und<br />

Abb.17.2 wiedergegeben. Die zugehörigen<br />

DynaGeoX-Applets findet man unter<br />

http://www.juergen-roth.de →<br />

EUKLID DynaGeo und dort unter → N →<br />

Nebenwinkel bzw. → S → Schachtel.<br />

Abbildung 17.1: Scheitel- und Nebenwinkel (Eigenschaften)<br />

Dynamik von DGS — Wozu und wie sollte man sie nutzen?<br />

Abbildung 17.2: Oben offene Schachtel<br />

2. Eine veränderbare (Teil-)Konfiguration ist vorgegeben.<br />

• Sie kann (bzw. muss) ergänzt oder verändert<br />

werden.<br />

• Es sind nur einzelne Fokussierungshilfen<br />

vorhanden.<br />

Ein Beispiel hier<strong>für</strong> ist in Abb.17.3 wiedergegeben.<br />

Das zugehörige DynaGeoX-<br />

Applet findet man unter http://<br />

www.juergen-roth.de → EUKLID<br />

DynaGeo→ D → Dreiecksgrundformen →<br />

gleichschenkliges Dreieck.<br />

Abbildung 17.3: Begriffsumfang: „Gleichseitiges<br />

Dreieck“<br />

3. Es wird mit einer leeren, unstrukturierten<br />

DGS-Datei gearbeitet, eine dynamische Geometriesoftware<br />

wird völlig selbstständig und<br />

ohne Vorgaben als Werkzeug benutzt.<br />

Insgesamt muss darauf hingearbeitet werden,<br />

dass die Schülerinnen und Schüler sich be<strong>im</strong> Arbeiten<br />

mit dem Computer intensiv mit den beobachtbaren<br />

Veränderungen und Invarianten auseinander<br />

setzen und auch beginnen ihr Vorgehen<br />

(Welche Veränderungen sollten als nächstes<br />

mit welchem Ziel untersucht werden?) zu planen.<br />

Geschieht dies nämlich nicht, besteht die Gefahr,<br />

dass der Computereinsatz die Entwicklung<br />

des Beweglichen Denkens nicht nur nicht unterstützt,<br />

sondern ggf. sogar kontraproduktiv wirkt,<br />

133


Jürgen Roth, Würzburg<br />

weil evtl. nur „wild mit der Maus gezogen wird“,<br />

man nette Effekte auf dem Bildschirm betrachtet<br />

(Computerspiel!) und kein Denkvorgang einsetzt.<br />

Erleben die Schülerinnen und Schüler aber nicht,<br />

dass man mit Bewegungen argumentieren kann<br />

und sie das Verständnis unterstützen, so wird der<br />

Computereinsatz an dieser Stelle <strong>im</strong>mer nur als<br />

„Spielerei“ eingeordnet und der erwünschte Aufbau<br />

der Fähigkeiten des Beweglichen Denkens<br />

findet nicht statt.<br />

Neben den oben angesprochenen Hilfen zur<br />

Aufmerksamkeitsfokussierung wird versucht, die<br />

Auseinandersetzung mit den beobachteten Veränderungen<br />

dadurch zu intensivieren, dass Vorhersagen,<br />

Begründungen und Ergebnisfixierungen<br />

in Wort und Schrift eingefordert werden. Darüber<br />

hinaus ist es notwendig, die Schülerinnen<br />

und Schüler durch regelmäßiges Aufgreifen und<br />

explizites Ansprechen an heuristische Strategien<br />

bzw. Arbeitsstrategien zu gewöhnen, die charakteristisch<br />

<strong>für</strong> das Arbeiten <strong>im</strong> Sinne des Beweglichen<br />

Denkens sind. Solche Strategien sind z.B.:<br />

1. In ein statisch formuliertes Phänomen eine Bewegung<br />

hineinsehen.<br />

2. Bedingungen jeweils einzeln und kontrolliert<br />

variieren.<br />

3. Veränderungen bewusst bis hin zu Extremlagen<br />

ausführen.<br />

4 Sinnvoller Einsatz der<br />

dynamischen Möglichkeiten<br />

von DGS (Wie?)<br />

Im Folgenden werden verschiedene Einsatzweisen<br />

<strong>für</strong> eine DGS <strong>im</strong> Rahmen eines Unterrichts beschrieben,<br />

der das Bewegliche Denken der Schülerinnen<br />

und Schüler fördern will.<br />

4.1 Kommunikation einer Idee<br />

Eine DGS wird genutzt, um die Idee einer Argumentation<br />

zu kommunizieren, die Elemente des<br />

Beweglichen Denkens nutzt. Ich möchte dies an-<br />

134<br />

Abbildung 17.4: Eigenschaften von Achsenpunkten<br />

hand des Beweises zu folgendem Satz knapp erläutern:<br />

Satz: Jeder Punkt P, der nicht auf der<br />

Achse a liegt, ist unterschiedlich weit<br />

von einem Punkt A und dessen Bildpunkt<br />

A ′ bei Achsenspiegelung an der<br />

Achse a entfernt.<br />

Eine mit einer DGS erzeugte Konfiguration<br />

wird <strong>im</strong> Unterricht als dynamische Grundlage <strong>für</strong><br />

ein Unterrichtsgespräch genutzt (vgl. Abb. 17.4).<br />

Das zugehörige DynaGeoX-Applet findet man<br />

unter http://www.juergen-roth.de →<br />

EUKLID DynaGeo → K → Kongruenzabbildungen<br />

→ Eigenschaften von Achsenpunkten<br />

Dabei werden bewusst Fokussierungshilfen<br />

verwendet. (Hier dienen die unterschiedliche Färbung<br />

der Strecken [AP] und [A ′ P] sowie das Einzeichnen<br />

des Schnittpunktes S von [AP] bzw. [A ′ P]<br />

und der Achse a als Fokussierungshilfen.) Im Unterrichtsgespräch<br />

wird herausgearbeitet, welchen<br />

Vorteil die Vorstellung der Bewegung <strong>für</strong> die Argumentation<br />

bietet. Bereits die einfache Strategie,<br />

zunächst Grenzlagen zu erzeugen und wieder zu<br />

verlassen, führt auf die entscheidende Idee. Bewegt<br />

man nämlich P von a weg, so stellt man fest,<br />

dass abhängig von der Bewegungsrichtung eine<br />

der beiden Strecken [AP] oder [A ′ P] die Achse a<br />

<strong>im</strong> Punkt S schneidet. Als Achsenpunkt ist er von<br />

A und A ′ gleich weit entfernt. Die Strecke [A ′ P]<br />

in Abb. 17.4 (links) lässt sich also aus den Seiten<br />

[AS] und [SP] des Dreiecks ΔASP zusammensetzen.<br />

Die Summe dieser beiden Streckenlängen ist<br />

größer als [AP] (Dreiecksungleichung). Damit ist<br />

aber der Satz bereits bewiesen, weil das dynamische<br />

Argument sofort ergibt, dass jede Bewegung<br />

von P von der Achse a weg einen Schnittpunkt S<br />

erzeugt.<br />

Weitere interessante Beispiele findet man z.B.<br />

bei Danckwerts & Vogel (2003). Abb. 17.4 kann<br />

noch in einer anderen Weise als oben gedeutet<br />

werden:


4.2 Vermittlung einer Beweisidde<br />

Mit einer DGS erzeugte dynamische Konfigurationen<br />

können bei Beweisen dazu eingesetzt werden,<br />

die gesamte Beweisidee zu vermitteln, sie also<br />

„auf einen Blick“ erfass- und verstehbar zu machen.<br />

Abbildung 17.5: Satz des Pythagoras — da Vinci-<br />

Beweis<br />

Wenn man sich vor Augen hält, wie schwierig<br />

es oft <strong>für</strong> Lernende (nicht nur in der Schule!) ist,<br />

eine Beweisidee (d.h. den „roten Faden“ des Beweisganges)<br />

zu erfassen, wird deutlich, welches<br />

Potenzial das Bewegliche Denken und (mit einer<br />

DGS erzeugte) dynamische Konfigurationen hier<br />

eröffnen. Ein anderes Beispiel <strong>für</strong> eine über Bewegungen<br />

eingefangene und dem Verständnis zugänglich<br />

gemachte Beweisidee ist in Abb. 17.5 <strong>für</strong><br />

einen auf da Vinci zurückgehenden Beweis des<br />

Satzes des Pythagoras angedeutet. Das zugehörige<br />

DynaGeoX-Applet findet man unter http://<br />

www.juergen-roth.de → EUKLID Dyna-<br />

Geo → P → Pythagoras → Beweis des Leonardo<br />

da Vinci.<br />

Elschenbroich (2001) geht auf weitere Aspekte<br />

be<strong>im</strong> Einsatz von DGS <strong>im</strong> Zusammenhang mit<br />

dem Beweisen ein. Wichtig ist dabei insbesondere<br />

auch der unten unter „exper<strong>im</strong>entelles Arbeiten“<br />

aufgeführte Aspekt „Finden von <strong>Ideen</strong> <strong>im</strong> Problemlöseprozess“.<br />

4.3 Dynamische Verständnisgrundlage<br />

Mit einer DGS konstruierte Konfigurationen können<br />

dynamische, weil variierbare und damit in<br />

ihrem Umfang und in ihren Grenzen besser erfassbare<br />

Verständnisgrundlagen <strong>für</strong> Begriffe und<br />

ihre Eigenschaften sein. Abb. 17.6 zeigt dies exemplarisch<br />

<strong>für</strong> die Winkeltypen und die zugehörigen<br />

Winkelsätze an Parallelenkreuzungen.<br />

Dynamik von DGS — Wozu und wie sollte man sie nutzen?<br />

Abbildung 17.6: Verständnisgrundlage <strong>für</strong> Winkel<br />

an Parallelenkreuzungen<br />

Das zugehörige DynaGeoX-Applet findet man<br />

unter http://www.juergen-roth.de →<br />

EUKLID DynaGeo → P → Parallelenkreuzung<br />

→ Merkfigur.<br />

Zu beachten ist dabei, dass diese dynamischen<br />

Verständnisgrundlagen den Schülerinnen<br />

und Schülern erst nach einer Erarbeitungsphase<br />

(<strong>im</strong> Sinne von Postorganizern nach Ausubel)<br />

zur Verfügung gestellt werden. Ein weiteres Beispiel<br />

hierzu zeigt Abb. 17.7. Das DynaGeoX-<br />

Applet zu Begriffen am Dreieck findet man<br />

unter http://www.juergen-roth.de →<br />

EUKLID DynaGeo→ D → Dreieck.<br />

Abbildung 17.7: Verständnisgrundlage <strong>für</strong> Begriffe<br />

am Dreieck<br />

Es geht dabei insbesonder um den Aufbau und<br />

die Entwicklung von Grundvorstellungen zu mathematischen<br />

Begriffen (hier Begriffen am Dreieck)<br />

<strong>im</strong> Sinne von vom Hofe (1995).<br />

4.4 Exper<strong>im</strong>entelles Arbeiten<br />

Mit DGS kann man <strong>im</strong> Hinblick auf Bewegliches<br />

Denken exper<strong>im</strong>entell arbeiten. Auf diese Weise<br />

können Zusammenhänge entdeckt werden. Dies<br />

erfolgt mit Hilfe von DGS-Dateien, die die zu erarbeitenden<br />

Beziehungen nicht bereits durch Fokussierungshilfen<br />

wie z.B. die Farbgebung, mitgeführte<br />

Messwerte u.ä. nahe legen. In Abb. 17.8<br />

wird beispielsweise eine Konfiguration gezeigt,<br />

135


Jürgen Roth, Würzburg<br />

mit deren Hilfe Schülerinnen und Schüler in Partnerarbeit<br />

die Eigenschaften der Achsenspiegelung<br />

erarbeiten. Wichtig ist dabei, von Anfang an<br />

sehr viel Wert auf Begründungen von entdeckten<br />

Zusammenhängen zu legen. Dies erhöht die<br />

Chance auf eine intensive Auseinandersetzung.<br />

Das DynaGeoX-Applet zu diesem Beispiel findet<br />

man unter http://www.juergen-roth.de<br />

→ EUKLID DynaGeo → K → Kongruenzabbildungen<br />

→ Eigenschaften der Achsenspiegelung.<br />

Abbildung 17.8: Erarbeitung der Eigenschaften<br />

der Achsenspiegelung<br />

Ein weiteres Beispiel zeigt Abb. 17.9. Dort<br />

wird in direkter Gegenüberstellung ein Dreieck<br />

jeweils verschiedenen Kongruenzabbildungen<br />

und einer schiefen Achsenspiegelung unterworfen.<br />

Durch dynamische Exploration wird den<br />

Schülerinnen und Schülern die Entdeckung ermöglicht,<br />

dass Längen-, Winkel- und Geradentreue<br />

als Abbildungseigenschaften etwas besonderes<br />

sind, und dass der rechte Winkel zwischen der<br />

Verbindungsstrecke von Punkt und Bildpunkt und<br />

der Symmetrieachse bei der Achsenspiegelung <strong>für</strong><br />

diese Eigenschaften wesentlich ist.<br />

Abbildung 17.9: „Längen-, Winkel- und Geradentreue“<br />

Auch das Finden von <strong>Ideen</strong> <strong>im</strong> Problemlöseprozess<br />

geschieht <strong>im</strong> Rahmen eines exper<strong>im</strong>entellen,<br />

zielgerichteten Arbeitens. Zur Illustration soll<br />

folgendes Problem dienen (vgl. Abb. 17.10):<br />

136<br />

Abbildung 17.10: „Halbierter Rechter“ — <strong>Ideen</strong><br />

finden be<strong>im</strong> Problemlösen<br />

Die Winkelhalbierende des rechten Winkels<br />

in einem rechtwinkligen Dreieck teilt das Quadrat<br />

über der Hypotenuse in zwei Teilflächen gleichen<br />

Flächeninhalts. Hier hilft es weiter, wenn<br />

man sich die oben bereits erwähnten Strategien<br />

in Erinnerung ruft: Den Einfluss der Bedingungen<br />

auf ein Problem, kann man am einfachsten<br />

abschätzen, wenn man sie jeweils einzeln variiert<br />

und dabei die anderen Bedingungen konstant<br />

hält. Eine der möglichen Variationen, nämlich die<br />

Bewegung des Scheitelpunkt des rechten Winkels<br />

auf dem Thaleskreis führt zu einer entscheidenden<br />

Idee. Bei dieser Bewegung ändert sich auch die<br />

Lage der Winkelhalbierenden des rechten Winkels.<br />

Man kann vermuten, dass es sich um eine<br />

Drehung handelt. Es stellt sich die Frage, um welchen<br />

Punkt diese Drehung erfolgt. Oft hilft es —<br />

zur Klärung von Fragen wie dieser — die Veränderungen<br />

bis hin zu Extremlagen auszuführen.<br />

Wendet man diese Strategie auf die hier betrachtete<br />

Bewegung an, so bedeutet das, den Punkt auf<br />

dem Thaleskreis so weit zu ziehen, dass er (fast)<br />

mit den Endpunkten der Hypotenuse zur Deckung<br />

kommt. In diesen Lagen scheint die Winkelhalbierende<br />

jeweils (näherungsweise) mit einer der Diagonalen<br />

des Hypotenusenquadrates zusammenzufallen.<br />

Die Diagonalen schneiden sich aber <strong>im</strong><br />

Mittelpunkt des Quadrates. Dies legt die Vermutung<br />

nahe, dass der Drehpunkt der Winkelhalbierenden<br />

der Mittelpunkt des Hypotenusenquadrates<br />

ist. Das ist besonders deshalb interessant,<br />

weil sich in diesem Punkt auch die Mittelsenk-


echte der Hypotenuse und der Thaleskreis schneiden.<br />

Diese Vermutung ist der Kern der Problemlösung.<br />

Alles weitere lässt sich nun mit einer einfachen<br />

Kongruenzüberlegung (Die Gerade durch<br />

den Scheitel des rechten Winkels und den Mittelpunkt<br />

des Quadrats halbiert die Quadratfläche.)<br />

bzw. mit Winkelbetrachtungen an gleichschenkligen<br />

Hilfsdreiecken (Die Gerade durch den Scheitel<br />

des rechten Winkels und den Mittelpunkt des<br />

Quadrats ist die Winkelhalbierende des rechten<br />

Winkels.) zeigen. Das DynaGeoX-Applet zu diesem<br />

Beispiel findet man unter http://www.<br />

juergen-roth.de → EUKLID DynaGeo →<br />

K → Knobelaufgabe.<br />

Weitere Beispiele zum exper<strong>im</strong>entellen und<br />

heuristischen Arbeiten mit DGS findet man etwa<br />

in Weth (2002).<br />

4.5 Reflexion von<br />

Problemlöseprozessen<br />

Ein wesentlicher Aspekt des Einsatzes dynamischer<br />

Visualisierungen liegt in der Reflexion von<br />

Problemlöseprozessen, in denen ohne (Computer-<br />

)Werkzeug gearbeitet wird und bei denen Heuristiken<br />

und Fähigkeiten des Beweglichen Denkens<br />

eingesetzt werden. Dabei werden die Schülerinnen<br />

und Schüler mit Problemen konfrontiert und<br />

erhalten als Werkzeuge (zunächst) nur Papier und<br />

Bleistift. Be<strong>im</strong> anschließenden Computereinsatz<br />

stehen drei Gesichtspunkte <strong>im</strong> Mittelpunkt, nämlich<br />

• die Kontrolle der Richtigkeit der dynamischen<br />

Argumentation,<br />

• die Kommunikation von Gedankengängen und<br />

Ergebnissen und<br />

• die Reflexion über eingesetzte heuristische Strategien<br />

und deren Verallgemeinerbarkeit.<br />

Abbildung 17.11: „Dreieckssehne“ — Reflexion<br />

von Problemlöseprozessen<br />

Zur Illustration soll das Problem der Längenänderung<br />

einer „Sehne“ <strong>im</strong> gleichseitigen Dreieck<br />

dienen. Dabei wird ein Endpunkt der Sehne<br />

festgehalten und der andere wird gleichmäßig<br />

Dynamik von DGS — Wozu und wie sollte man sie nutzen?<br />

(mit konstanter Bahngeschwindigkeit) entlang der<br />

Dreiecksperipherie bewegt. Wie ändert sich dabei<br />

die Länge der Sehne (vgl. Abb. 17.11)? Eine<br />

ausführliche Darstellung des Problems und seiner<br />

Lösung findet man in Roth (2005b). Dynamische<br />

Arbeitsblätter zur zugehörigen Unterrichtssequenz<br />

stehen <strong>im</strong> Netz unter http://www.<br />

juergen-roth.de → EUKLID DynaGeo →<br />

S → Kurvenerzeugende Sehnen.<br />

5 D<strong>im</strong>ensionen des Einsatzes<br />

von DGS<br />

Liest man die vorstehende Liste von Einsatzmöglichkeiten<br />

<strong>für</strong> eine DGS <strong>im</strong> Rahmen eines auf Bewegliches<br />

Denken ausgerichteten <strong>Mathematikunterricht</strong>s,<br />

so wird deutlich, dass (fast) bei jedem<br />

Punkt graduelle „Feineinstellungen“ insbesondere<br />

<strong>im</strong> Hinblick auf Fokussierungshilfen möglich<br />

und nötig sind. Dies liegt darin begründet, dass<br />

der Einsatz von DGS (nicht nur) <strong>im</strong> Zusammenhang<br />

mit Beweglichem Denken zwei unabhängige<br />

D<strong>im</strong>ensionen besitzt, nämlich die „Inhaltsd<strong>im</strong>ension“,<br />

die das Ziel des DGS-Einsatzes betrifft<br />

und die „Unterstützungsd<strong>im</strong>ension“, die den<br />

Grad der Fokussierungshilfen umfasst. In Tabelle<br />

1 wird <strong>für</strong> jeden Verwendungszweck durch ein<br />

„Kreuz“ X gekennzeichnet, welcher Grad der Fokussierungshilfen<br />

jeweils angemessen sein kann.<br />

Die in Klammern gesetzten „Kreuze“ (X) in der<br />

Spalte „Leere, unstrukturierte DGS-Datei“ bedeuten,<br />

dass hier geeignete Dateien zwar von fortgeschrittenen<br />

Schülerinnen und Schülern selbst erstellt<br />

werden können, der Einsatz <strong>im</strong> Hinblick auf<br />

das Inhaltsziel aber einen anderen Grad der Fokussierungshilfe<br />

erforderlich macht.<br />

Literatur<br />

Bender, Peter (1989): Anschauliches Beweisen <strong>im</strong> Geometrieunterricht<br />

— unter besonderer Berücksichtigung von (stetigen)<br />

Bewegungen bzw. Verformungen. In: Kautschitsch & Metzler<br />

(Hg.): Anschauliches Beweisen. 7. und 8. Workshop zur „Visualisierung<br />

in der Mathematik“ in Klagenfurt <strong>im</strong> Juli 1987<br />

und 1988, Stuttgart: Teubner, 95–145<br />

Danckwerts, Rainer & Dankwart Vogel (2003): Dynamisches<br />

Visualisieren und <strong>Mathematikunterricht</strong> — Ein Ausloten der<br />

Chancen an zwei Beispielen. mathematik lehren, 117, 19–22,<br />

39<br />

Dörfler, Willibald (1991): Der Computer als kognitives Werkzeug<br />

und kognitives Medium. In: Dörfler, Willibald (Hg.):<br />

Computer — Mensch — Mathematik: Beiträge zum 6. Internationalen<br />

Symposium zur Didaktik der Mathematik, Stuttgart:<br />

Teubner, 51–75<br />

Elschenbroich, Hans-Jürgen (2001): DGS als Werkzeug zum<br />

präformalen visuellen Beweisen. In: Elschenbroich, Hans-<br />

Jürgen, Thomas Gawlick & Hans-Wolfgang Henn (Hg.):<br />

Zeichnung — Figur — Zugfigur, Hildeshe<strong>im</strong>: Franzbecker,<br />

41–53<br />

vom Hofe, Rudolf (1995): Grundvorstellungen mathematischer<br />

Inhalte. Heidelberg, Berlin, Oxford: Spektrum Akademischer<br />

Verlag<br />

Krüger, Katja (2000): Erziehung zum Funktionalen Denken<br />

— Zur Begriffsgeschichte eines Didaktischen Prinzips. Berlin:<br />

Logos Verlag<br />

137


Jürgen Roth, Würzburg<br />

Ziel des DGS-Einsatzes<br />

Fertig vorgegebene<br />

Konfiguration (evtl.<br />

Möglichkeit zum<br />

Ein- und<br />

Ausblenden von<br />

Elementen)<br />

Grad der Fokussierungshilfen<br />

Veränderbare<br />

Konfiguration mit<br />

einzelnen Fokussierungshilfen<br />

Leere,<br />

unstrukturierte<br />

DGS-Datei<br />

Bewegliche Argumentation kommunizieren<br />

X (X)<br />

Beweisideen vermitteln X (X)<br />

Verständnisgrundlagen <strong>für</strong> Begriffe<br />

und ihre Eigenschaften bilden<br />

Exper<strong>im</strong>entelles Arbeiten / Entdecken<br />

von Zusammenhängen<br />

Exper<strong>im</strong>entelles Arbeiten / Finden<br />

von <strong>Ideen</strong> <strong>im</strong> Problemlöseprozess<br />

Reflexion von Problemlöseprozessen<br />

Roth, Jürgen (2005a): Bewegliches Denken <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong>.<br />

Hildeshe<strong>im</strong>: Franzbecker<br />

Roth, Jürgen (2005b): Kurvenerzeugende Sehnen — Kurvendiskussion<br />

einmal anders. mathematik lehren, (130), 8–10<br />

138<br />

X X (X)<br />

X X X<br />

X X<br />

X X<br />

Tabelle 17.1: Einsatzmöglichkeiten von DGS<br />

Weth, Thomas (2002): Der Computer als heuristisches Werkzeug<br />

<strong>im</strong> Geometrieunterricht. In: Peschek, Werner (Hg.): Beiträge<br />

zum <strong>Mathematikunterricht</strong>, Franzbecker, 511–514


• Lineare Gleichungssysteme <strong>im</strong> Unterricht mit<br />

CAS-Rechnern<br />

Reinhold Thode, Kiel<br />

• Im Unterricht — auch und gerade <strong>im</strong> Leistungsfach Mathematik — werden zunehmend Inhalte<br />

der Linearen Algebra zu Gunsten der Analytischen Geometrie verdrängt, nach meinem Empfinden<br />

eine eher unglückliche Entwicklung.<br />

• Schüler beurteilen <strong>im</strong>mer wieder eine numerische Lösung von Gleichungen oder Gleichungssystemen<br />

als minderwertig, nachgerade „unanständig“. Sie erwarten — und nur das halten sie <strong>für</strong><br />

„mathematisch angemessen“ — eine geschlossene Lösung. Unser Unterricht hauptsächlich in der<br />

Mittelstufe scheint die Schüler zu verbilden.<br />

• Numerische Verfahren bieten sich natürlich zur Programmierung an. In der Programmierung<br />

selbst liegt dann allerdings kaum noch Erkenntniszugewinn <strong>für</strong> den mathematischen Inhalt. CAS-<br />

Systeme erlauben eine „halbautomatische“ Lösung, die oft das Lösungsverfahren der Wahl darstellen<br />

können.<br />

Der Artikel beschäftigt sich mit den drei genannten Aspekten und berichtet über einen Unterrichtsversuch<br />

<strong>im</strong> Leistungskurs Mathematik unter Einbeziehung des ClassPad 300 von Casio. Zentrum<br />

der Darstellung ist das numerische Lösen von Linearen Gleichungssystemen.<br />

Ergebnisse und auch „Arbeitsaufträge“ aus dem zugehörigen Arbeitskreis während der Tagung werden<br />

— so weit vorhanden — in diese Ausführungen eingearbeitet.<br />

Vita brevis arithmetica longa<br />

Mein alter Lateinlehrer schrieb mir diesen<br />

Spruch als Widmung in ein Buch über diskrete<br />

Mathematik, das er mir schenkte.<br />

Diese Weisheit ist sicher bedeutsam, aber es<br />

gibt doch <strong>im</strong>mer wieder Zeiten, in denen auch <strong>für</strong><br />

Mathematiker das Leben die wirkliche Relevanz<br />

darstellt, siehe Abb. 18.1.<br />

Abbildung 18.1: Meine Enkelin Larissa bei ihren<br />

ersten Kommunikationsversuchen mit ihrem<br />

Großvater.<br />

1 Vorbemerkung<br />

Ich werde nicht müde, <strong>im</strong>mer wieder die folgenden<br />

beiden Thesen zu vertreten und mich damit<br />

bewusst zu wiederholen:<br />

These1: Der Einsatz mächtiger Software hätte<br />

mindestens Teile des Unterrichtes revolutionieren<br />

müssen.<br />

Damit ist i. W. gemeint:<br />

• Computeralgebra-System<br />

• Dynamisches Geometriesystem<br />

• Tabellenkalkulation<br />

• Interaktive Internetseiten<br />

• Internetrecherche<br />

• Eigene Programmierung<br />

• Lernprogramme<br />

Die Reihenfolge der aufgeführten Tools<br />

möchte ich als Ranking interpretiert wissen.<br />

Andererseits denke ich:<br />

These 2: Dies ist jedenfalls flächendeckend —<br />

wenn überhaupt — nur in geringem Umfang eingetreten.<br />

Wesentliche Gründe da<strong>für</strong> liegen:<br />

• <strong>im</strong> Bereich der KollegInnen<br />

• <strong>im</strong> Bereich Ministerium, Fachaufsicht, z.T.<br />

Fortbildungsinstitute<br />

• in der nicht gegebenen permanenten Verfügbarkeit<br />

der Software<br />

Der dritte Unterpunkt ist die entscheidende<br />

Motivation, mich mit CAS-Rechnern, hier dem<br />

ClassPad 300 von Casio, zu beschäftigen.<br />

Erst kürzlich beklagte die Fachaufsicht in<br />

Schleswig-Holstein, dass trotz aller Bemühungen<br />

der Einsatz von CAS und DGS offenbar nicht<br />

Standard <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong> sei. Es soll erneut<br />

ein diesmal größer angelegter Modellversuch<br />

angestoßen werden, bei dem die neuen Medien<br />

139


Reinhold Thode, Kiel<br />

und insbesondere auch CAS- und DGS-Rechner<br />

eine gewichtige Rolle spielen sollen (vgl. meinen<br />

Betrag in dieser Reihe aus dem Jahre 2002, ich berichtete<br />

dort über einen Unterrichtsversuch in den<br />

Jahren 1993-95).<br />

2 Eine Unterrichtseinheit zu<br />

linearen Gleichungssystemen<br />

Im folgenden wird über eine Unterrichtseinheit<br />

berichtet, die die drei Fragen<br />

• Können wir auf die Lineare Algebra zunehmend<br />

verzichten?<br />

• Brauchen wir <strong>im</strong>mer geschlossene Auflösungsformeln?<br />

• Müssen wir <strong>im</strong>mer numerische Verfahren programmieren?<br />

aus der Ankündigung aufgreift. Dabei werden<br />

<strong>im</strong>mer wieder Aspekte des Tagungsthemas „Informatorische<br />

<strong>Ideen</strong> <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong>“ eine<br />

wesentliche Rolle spielen.<br />

2.1 Unterrichtliche Voraussetzungen<br />

Es handelte sich um einen Leistungskurs Mathematik<br />

des 12. Jahrgangs. Der Kurs wurde auf der<br />

Basis des aktuellen Lehrplans, der in Schleswig-<br />

Holstein spiralig aufgebaut ist, unter wesentlicher<br />

Verwendung neuer Medien durchgeführt.<br />

D.h. den Schülern stand <strong>im</strong> Unterricht und<br />

zu Hause je ein Casio ClassPad 300 zur Verfügung.<br />

Wahlweise fand der Unterricht auch <strong>im</strong> Medienraum<br />

statt, so dass darüber hinaus Internetzugang<br />

sowie Derive und Excel zum Einsatz kommen<br />

konnte. (CAS und Tabellenkalkulation gehören<br />

natürlich auch zum Softwareumfang des ClassPad).<br />

Die Schule besitzt Campuslizenzen <strong>für</strong> alle<br />

angegebenen Softwaretools, so dass auch bei<br />

der häuslichen Arbeit die Schüler über den Einsatz<br />

des geeigneten Mediums selbst entscheiden<br />

konnten.<br />

Inhaltliche Voraussetzung <strong>für</strong> das vorgegebene<br />

Thema war u.a.:<br />

Lösen von Linearen Gleichungssystemen<br />

aufbauend auf den Kenntnissen der Mittelstufe<br />

etwa <strong>im</strong> Zusammenhang mit der<br />

analytischen Geometrie<br />

Elementarer Umgang mit Matrizen etwas <strong>im</strong><br />

Zusammenhang mit dem Gauss-Verfahren<br />

Numerische Lösung von Gleichungen<br />

Newton-Verfahren, Iteration etc.<br />

Zu den Unterpunkten jeweils einige kurze Bemerkungen<br />

— insbesondere auch in Hinblick auf<br />

den Einsatz des ClassPad 300:<br />

• Eine herkömmliche Eingabe eines LGS, wie<br />

man es von der Mittelstufe her kennt, wäre auf<br />

dem ClassPad wie in Abb. 18.2 zu erledigen.<br />

140<br />

Abbildung 18.2: Eingabe eines LGS auf dem<br />

ClassPAD<br />

• Das Gauss-Verfahren steckt hinter dem<br />

ClassPad-Befehl ref(A), das Jordan-<br />

Verfahren (vollständige Überführung der Koeffizientenmatrix<br />

in die Einheitsmatrix) hinter<br />

dem Befehl rref(A).<br />

• Wenn den Schülern die Darstellung eines LGS<br />

in der Form A�x =�c und die entsprechende Umformung<br />

(bei regulären Matrizen)�x = A −1 �c bekannt<br />

ist, lässt sich dies direkt auf den ClassPad<br />

übertragen. Die Abb. 18.3 zeigt Beispiele.<br />

• Numerische Verfahren sollten an Beispielen<br />

eingeführt werden, bei denen man (ehrlich!)<br />

keine Chance hat, der Lösung anders beizukommen.<br />

Im Unterricht lautete das einführenden<br />

Beispiel: Welches ist die Lösung der Gleichung<br />

x + lnx = 0? (Diese existiert offensichtlich<br />

— wie der Graph in Abb. 18.2 zeigt —, die<br />

Gleichung ist aber geschlossen nicht lösbar.)<br />

Abbildung 18.4: Der Graph von x+lnx


Weitere Einzelheiten des vorangegangenen<br />

Unterrichtsgeschehen sollen hier — da nicht unbedingt<br />

zum Thema gehörig — nicht detailliert<br />

dargestellt werden. Insbesondere die Diskussion<br />

Gauss- vs. Jordan-Verfahren oder die Frage, welches<br />

numerische Verfahren wann angebracht ist,<br />

soll hier nicht vertieft werden.<br />

Ich komme aber z. T. <strong>im</strong> folgenden darauf zurück!<br />

2.2 Eine Kontextaufgabe<br />

Es ist heute üblich geworden, Aufgaben aus einem<br />

zunächst nichtmathematischen Kontext heraus<br />

zu stellen. Dieses (oft vernünftige) Vorgehen<br />

n<strong>im</strong>mt nach meiner Auffassung manchmal schon<br />

fast zwanghafte Züge an. Ich bin nicht der Meinung,<br />

dass innermathematische Fragestellungen<br />

nachrangig oder gar nicht behandelt werden sollten.<br />

Viele interessante und weiterführende Problemlösungen<br />

haben kein Pendant außerhalb der<br />

Mathematik. Diese ist eben nicht nur Anwendung<br />

bzw. Hilfswissenschaft! Das dürfen Schülern gern<br />

erfahren und erleben!<br />

Hierin liegt nach m.E. auch eine wesentliche<br />

Begründung (vgl. die einführende Fragestellung)<br />

<strong>für</strong> das Hintanstellen von Inhalten der Linearen<br />

Algebra gegenüber solchen der Analytischen<br />

Geometrie. Interessanterweise habe ich die<br />

Erfahrung gemacht, dass etliche Kollegen keinen<br />

Unterschied zwischen den Gebieten sehen. Das<br />

finde ich erstaunlich, es sei denn, diese Kollegen<br />

empfinden die Analytische Geometrie als Teil-<br />

(Anwendungs-)gebiet der Linearen Algebra. Dadurch<br />

würde allerdings der geometrische Aspekt,<br />

der mir ohnehin in der Schule zu kurz kommt,<br />

wiederum weiter zurückgedrängt.<br />

Wie auch <strong>im</strong>mer, ein Beispiel <strong>für</strong> eine kontextbezogene<br />

Aufgabe, wie sie <strong>im</strong> Unterricht (eigent-<br />

Lineare Gleichungssysteme <strong>im</strong> Unterricht mit CAS-Rechnern<br />

Abbildung 18.3: Lösung von LGS mit dem ClassPad<br />

lich zu Wiederholungszwecken) auftauchte, soll<br />

auch hier aufgeführt werden.<br />

Die vorgegebene Rechnung (Abb. 18.5) war<br />

einer echten Rechnung der Kieler Stadtwerke<br />

nachempfunden. Die Schüler hinterfragten dies,<br />

verwiesen auf die physikalischen Ungere<strong>im</strong>theiten,<br />

insbesondere was die Einheiten anlangt, und<br />

machten sich auf die Suche nach den Tarifbedingungen.<br />

Auf den Internetseiten der Stadtwerke<br />

wurden sie fündig und konnten dann mit den dort<br />

enthaltenen Informationen die offenen Fragen beantworten<br />

(Abb. 18.6).<br />

2.3 Gedanken zum unterschiedlichen<br />

Einsatz des Gauss-Verfahrens <strong>im</strong><br />

Unterricht<br />

Wenn der Gauss-Algorithmus den Schülern nahe<br />

gebracht wird, muss ihnen zumindest intuitiv klar<br />

sein, dass elementare Matrixumformungen nichts<br />

an der Lösungsmenge ändern. Bei Zeilen- und<br />

Spaltenvertauschungen ist das ja auch evident, bei<br />

Ersatz einer Zeile oder Spalte durch eine Linearkombination<br />

anderer müsste man eigentlich erst<br />

etwas genauer hinschauen.<br />

Wie auch <strong>im</strong>mer, der Algorithmus selbst ist<br />

von der Begrifflichkeit her <strong>für</strong> Schüler kein Problem.<br />

Sollen sie aber ein gegebenes System nach<br />

der Methode händisch lösen, scheitern sie (natürlich)<br />

reihenweise an Rechenfehlern.<br />

Hier kann ein CAS-Rechner Abhilfe schaffen.<br />

Der ClassPad stellt dazu u.a. Befehle zum Zeilentausch<br />

(swap), zur Zeilenaddition (RowAdd),<br />

zur S-Multiplikation einer Zeile (mRow) und<br />

zur S-Multiplikation mit anschließender Addition<br />

(mRowAdd) zur Verfügung.<br />

Das Beispiel in Abb. 18.7 zeigt die Verwendung.<br />

Später bei einer reinen Anwendung wird<br />

man selbstverständlich auf die Befehle ref und<br />

141


Reinhold Thode, Kiel<br />

Rechnung<br />

Jahresabrechnung<br />

Mehrfamilienhaus<br />

Waldstr. 42<br />

24768 Rendsburg<br />

Verbrauchsunabhängiger Grundpreis pro Einheit 221,34 �.<br />

Verbrauchsabhängige Leistungen<br />

Familie<br />

Meier<br />

Niebuhr<br />

Umwali<br />

Gas / KWh<br />

25.000<br />

30.000<br />

24.000<br />

Strom / KWh<br />

2.000<br />

2.800<br />

3.000<br />

Zahlbar bis Ende des laufenden Quartals.<br />

Wasser / m 3<br />

80<br />

70<br />

70<br />

Endpreis / �<br />

2.343,54<br />

2.699,76<br />

2.406,04<br />

Knooper Weg<br />

24114 Kiel<br />

Was kann man<br />

sich fragen?<br />

Fingierte<br />

Rechnung??<br />

Gas, Strom in KWh??<br />

Was ist mit dem<br />

Grundbetrag?<br />

Was kosten die<br />

Einheiten jeweils?<br />

Ist das günstig?<br />

Sind die <strong>im</strong> richtigen<br />

Tarif?<br />

Die allgemeinen Preise der Grundversorgung entsprechen den Allgemeinen Tarifen <strong>für</strong> die Versorgung mit Gas (Kieler<br />

Gastarife) der Stadtwerke Kiel AG. Die Allgemeinen Preise <strong>für</strong> die Versorgung mit Gas gelten bis auf weiteres auch <strong>für</strong> die<br />

Ersatzversorgung.<br />

142<br />

Abbildung 18.5: Eine „Rechnung“


Lineare Gleichungssysteme <strong>im</strong> Unterricht mit CAS-Rechnern<br />

Abbildung 18.6: Tarifinformation der Kieler Stadtwerke<br />

143


Reinhold Thode, Kiel<br />

rref (vgl. oben) zurückgreifen.<br />

Abbildung 18.7: Elementare Matrixoperationen<br />

Aus geometrischen Überlegungen, etwa Interpretation<br />

eines 2 × 2-LGS als Schnitt zweier Geraden<br />

oder eines 3 × 3-Systems als Schnitt dreier<br />

Ebenen, ist den Schülern klar, dass die Fälle<br />

1. genau eine Lösung, 2. keine Lösung oder 3.<br />

unendlich viele Lösungen auftreten können. Am<br />

Beispiel mit den Ebenen ist auch sofort klar, dass<br />

PROGRAM Gauss_El<strong>im</strong>ination;<br />

USES Crt;<br />

CONST Max = 10;<br />

TYPE Matrix = ARRAY [1..Max,1..Max+1] OF REAL;<br />

Vektor = ARRAY [1..max] OF REAL;<br />

VAR A : Matrix;<br />

x : Vektor;<br />

v : ARRAY [1..max] OF INTEGER;<br />

n, i : INTEGER;<br />

das Lösungsgebilde in diesem Fall die D<strong>im</strong>ension<br />

Null (Punkt), Eins (Gerade) oder Zwei (Ebene)<br />

annehmen, also die Aussage „unendlich viele Lösungen“<br />

weiter präzisiert werden kann.<br />

Auf die Theorie der Lösungsmannigfaltigkeiten<br />

gehe ich weiter unten noch kurz ein. Zu diesem<br />

Zeitpunkt ist <strong>im</strong> Unterricht klar (ohne Thematisierung<br />

der Begriffe D<strong>im</strong>ension oder Rang<br />

u.ä.), dass das Verfahren scheitert, wenn in die<br />

betreffende Diagonalstelle (auch nach Tausch von<br />

Spalten) kein Element ungleich Null mehr hingeschafft<br />

werden kann. In diesem Fall ist das LGS<br />

offensichtlich nicht eindeutig lösbar.<br />

Hiermit könnte man es sein Bewenden sein<br />

lassen. In der „Vor-CAS-Zeit“ allerdings wurde<br />

in vielen Fällen das Gauss-Verfahren (in irgendeinem<br />

Programmentwicklungssystem) programmiert.<br />

Die Frage ist, welchen Gewinn bei welchem<br />

Aufwand das <strong>für</strong> den <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

bringt?<br />

Ein Algorithmus beispielsweise in Pascal<br />

(oder Delphi) könnte wie folgt aussehen:<br />

PROCEDURE Eingabe;<br />

VAR i, j, k : INTEGER;<br />

BEGIN<br />

Write(’Geben Sie die Anzahl der Unbekannten ein (


Lineare Gleichungssysteme <strong>im</strong> Unterricht mit CAS-Rechnern<br />

h : Vektor;<br />

BEGIN<br />

i := Stelle+1;<br />

WHILE (A[Stelle,i]=0) AND (i


Reinhold Thode, Kiel<br />

Kriterien entwickelt.<br />

• „pragmatisch“: nicht zu beseitigende Nullen<br />

in der Hauptdiagonalen etwa be<strong>im</strong> Gauss-<br />

Algorithmus. Benutzt man die ClassPad-<br />

Befehle ref und rref in Verbindung mit<br />

der erweiterten Koeffizientenmatrix, können die<br />

Schüler direkt ablesen, ob das Gleichungssystem<br />

unlösbar oder mehrdeutig ist.<br />

• „theoretisch“: Lineare Abhängigkeit der<br />

Spalten- oder Zeilenvektoren. Wenn <strong>im</strong> Unterricht<br />

die Theorie der Lösungsmannigfaltigkeit<br />

behandelt wurde, wissen die Schüler,<br />

dass die Lösung des Systems in der Form<br />

�x =�x0 + λ�x1 + μ�x2 gegeben ist, also durch eine<br />

spezielle Lösung des inhomogenen und die<br />

allgemeine Lösung des homogenen Systems.<br />

Mit rref angewandt auf die erweiterte Koeffizientenmatrix<br />

sieht das beispielsweise auf dem<br />

ClassPad wie in Abb. 18.8.<br />

Abbildung 18.8: Anwendung auf die erweiterte<br />

Koeffizientenmatrix<br />

Abbildung 18.9: Schlecht konditionierte LGS<br />

Das LGS ist schlecht konditioniert<br />

Geometrisch: Die Geraden haben schleifenden<br />

Schnitt. Algebraisch: Die Zeilenvektoren sind<br />

„fast“ linear abhängig.<br />

Welche Bedeutung haben diese Fälle?<br />

• bei ungenau gegebenen Koeffizienten, etwa aus<br />

Messungen, ist höchste Aufmerksamkeit und<br />

kritische Bewertung der Ergebnisse angezeigt!<br />

146<br />

• Ggf. kann Akkumulation von Rundungsfehlern<br />

ein „Katastrophe“ auslösen!<br />

Was schafft Abhilfe?<br />

• Pivotisierung (War diesmal nicht Gegenstand<br />

des Unterrichtes)<br />

• selbstkorrigierende Iterationsverfahren (s.u.)<br />

Zeitverhalten und Speichereffizienz sind<br />

nicht opt<strong>im</strong>al<br />

Bei einigen Anwendungen kann das Gleichungssystem<br />

exorbitant groß werden, z.B.<br />

• wirtschaftliche Verflechtungsmatrizen<br />

• meteorologische Gleichungssysteme<br />

• Computertomographie (hier bis zu 106 Gleichungen)<br />

Wie oben erwähnt, wächst etwa be<strong>im</strong> Gauss-<br />

Algorithmus der Zeitaufwand mit der dritten Potenz<br />

der Anzahl der Variablen. N<strong>im</strong>mt man etwa<br />

<strong>für</strong> ein LGS mit 10 Variablen eine Bearbeitungszeit<br />

von 0,01s an, so ergibt sich bei 105 Variablen<br />

eine Rechenzeit von mehr als 300 Jahren! Zudem<br />

sind die dauernd zu berechnenden Matrizen sehr<br />

speicherintensiv!<br />

Was schafft Abhilfe?<br />

• Nutzung besonderer Eigenschaften der LGSe<br />

(z.B. Dreiecksform, Tridiagonalität, als Koeffizienten<br />

kommen nur Nullen oder Einsen vor<br />

(wie bei Tomographie) etc.)<br />

• selbstkorrigierende Iterationsverfahren<br />

Letzteres war eingehend Thema des Unterrichtes,<br />

auch — vgl. die Eingangsfragestellung —<br />

um den Schülern zu verdeutlichen, dass numerische<br />

und insbesondere näherungsweise Lösung<br />

ein normales, gleichwertiges und oft vorkommendes<br />

Verfahren darstellt.<br />

3 Iteratives Lösen von<br />

Gleichungssystemen<br />

Als Vorübung wurde zum Finden des Algorithmus<br />

ein einfaches Gleichungssystem gegeben.<br />

Die Schüler erhielten den Auftrag das LGS gleichsam<br />

durch „solve by inspection“, ohne große<br />

Rechnungen, jedenfalls ohne Anwendung eines<br />

der ihnen bekannten Verfahren zu lösen.<br />

Es entwickelte sich eine lebhafte Diskussion<br />

wie in Abb. 18.10 dargestellt.<br />

Diese Idee eines iterativen Algorithmus führt<br />

zu folgender theoretischer Umsetzung:<br />

Gegeben sei ein LGS in der Form Ax = c, wobei<br />

A = (ai j) regulär ist. Dann kann ohne Beschränkung<br />

der Allgemeinheit angenommen —<br />

mindestens erreicht — werden, dass alle Hauptdiagonalelemente<br />

von Null verschieden sind, aii �=<br />

0 <strong>für</strong> alle i.


Wir ersetzen A durch B − C, wobei B = (bi j)<br />

wie folgt gewählt wird:<br />

bii = aii,bi j = 0 <strong>für</strong> i �= j .<br />

B enthält also nur die Diagonalelemente von A.<br />

Damit ist C = (ci j) mit<br />

cii = 0,ci j = −ai j <strong>für</strong> i �= j .<br />

C enthält damit <strong>im</strong> Prinzip die restlichen Elemente<br />

von A.<br />

Ax = (B −C)x = Bx −Cx = c bzw. Bx = Cx+<br />

c.<br />

Die inverse Matrix von B lässt sich nach deren<br />

Wahl leicht angeben, nämlich B−1 = (b ′ i j ) mit<br />

b ′ ii = 1/aii,b ′ i j = 0 <strong>für</strong> i �= j .<br />

Daher folgt weiter x = B −1 Cx + B −1 c bzw.<br />

x = Hx + b, mit H = B −1 C und b = B −1 c, dabei<br />

gilt H = (hi j) mit hi j = −ai j/aii <strong>für</strong> i �= j und<br />

hii = 0 bzw. bi = ci/aii.<br />

Die letzte Gleichung x = Hx+b erinnert deutlich<br />

an die entsprechende — den Schülern bekannte<br />

— Besserungsfunktion aus dem Thema<br />

„Numerisches Lösen einer Gleichung durch Iteration“.<br />

Wir erzeugen daher einen Näherungsfolge<br />

durch die Zuordnung xn+1 = Hxn + b bzw.<br />

dynamisch x := Hx + b bzw. in der ClassPad-<br />

Schreibweise H x + b ==> x.<br />

Nach der obigen Umformung gilt offenbar der<br />

Satz: Wenn das Verfahren konvergiert, also einen<br />

Fixpunkt besitzt, dann ist dieser Fixpunkt Lösung<br />

des gegebenen Gleichungssystems.<br />

Anschließend wird die Theorie auf dem ClassPad<br />

umgesetzt. Der besseren Übersicht halber<br />

Lineare Gleichungssysteme <strong>im</strong> Unterricht mit CAS-Rechnern<br />

Abbildung 18.10: Diskussion unter Schülern<br />

wird der Algorithmus in Abb. 18.11 nicht als<br />

Hardcopy wiedergegeben, sondern als normaler<br />

Text.<br />

Diese BASIC-Version des ClassPad ist weitgehend<br />

selbsterklärend. Dennoch einige Hinweise:<br />

• Es gibt keine eigentliche Variablenvereinbarung,<br />

Festlegung von Name und Typ geschieht<br />

über Belegung einer Variablen.<br />

• Dies geschieht hier durch Unterprogramme<br />

(Subroutinen, s.u.)<br />

• Die Goto-Anweisungen in der Case-<br />

Anweisung sind notwendig, da die Implementation<br />

von Case fehlerhaft ist (wurde an Casio<br />

gemeldet)<br />

• Für Schüler mit Programmierkenntnissen etwas<br />

gewöhnungsbedürftig ist die Wertzuweisung<br />

a := b („a gesetzt gleich b“ ), die (natürlich)<br />

in der ClassPad-Philosophie b ==> a<br />

(„b wird zugewiesen a“ ) lautet.<br />

• Der ClassPad unterscheidet durchgängig zwischen<br />

kleinen und großen Buchstaben, weswegen<br />

Matrix B und Vektor b nebeneinander benutzt<br />

werden können.<br />

Eine Analyse des Algorithmus ergibt, dass das<br />

Zeitverhalten dieses Verfahrens proportional zu<br />

z · n 2 ist, dabei ist n die Anzahl der Variablen,<br />

z die der Iterationen. Bei größeren, schnell konvergierenden<br />

Systemen also deutlich schneller als<br />

Gauss- oder Jordanverfahren. Zudem ist das Verfahren<br />

— wenn es denn konvergiert — selbst korrigierend,<br />

also weitgehend unempfindlich gegenüber<br />

Rundungsfehlern oder schlechter Konditionierung.<br />

Neben der Belegungs-Subroutine zeigen die<br />

147


Reinhold Thode, Kiel<br />

’LGS Iterativ’<br />

’Eingabe’<br />

ClrText<br />

Input d, "D<strong>im</strong>ension(2-4)?", "LGS Iterativ"<br />

’Variablenvereinbarung’<br />

Switch d<br />

Case 2<br />

SDIM2(): Goto Ende<br />

Case 3<br />

SDIM3(): Goto Ende<br />

Default<br />

SDIM4()<br />

SwitchEnd<br />

Lbl Ende<br />

For 1 ==> i To d<br />

For 1 ==> j TO d<br />

Input A[i,j], "A[i,j]?", Koef.-Mat. Zeilenweise"<br />

Next<br />

Next<br />

For 1 ==> i To d<br />

Input c[i], "c[i]?", "Konstantenvektor"<br />

Next<br />

’Initialisierung’<br />

For 1 ==> i To d<br />

A[i,j] ==> B[i,j]<br />

Next<br />

For 1 ==> i To d<br />

For 1 ==> j TO d<br />

If i ? j<br />

Then<br />

- A[i,j] ==> C[i,j]<br />

IfEnd<br />

Next<br />

Next<br />

B^-1*C ==> H: B^-1*c ==> b<br />

’Iteration’<br />

Input n, "Wieviele Schritte"<br />

For 1 ==> i To n<br />

H*x + b ==> x<br />

Next<br />

’Ausgabe’<br />

SetDec<strong>im</strong>al<br />

Print<br />

Print "Ergebnis"<br />

Print x<br />

148<br />

Abbildung 18.11: Iterative Lösung eines Gleichungssystem auf dem ClassPad in BASIC


Lineare Gleichungssysteme <strong>im</strong> Unterricht mit CAS-Rechnern<br />

Abbildung 18.12: Iterative Lösung von Gleichungssystemen<br />

149


Reinhold Thode, Kiel<br />

Hardcopys in Abb. 18.12 Teile des Programmlaufes.<br />

3.1 Eine weitere Anwendungsaufgabe<br />

Die drei Systemhäuser Ahrendsen, Becker und<br />

Clausen vereinbaren eine Kooperation derart,<br />

dass sie sich zeitweise gegenseitig nach Bedarf mit<br />

Arbeitsstunden unterstützen. Das vermeidet ggf.<br />

teure Überstunden und ein kurzfristiges „hire and<br />

fire“.<br />

Am Ende des Jahres zahlt die Fa. Ahrendsen<br />

bei 10.000 eigenen Arbeitsstunden, 2.000 von<br />

Becker und 1.500 von Clausene1,080 Mill. Lohn.<br />

Becker hat entsprechend bei 8.000 eigenen Stunden,<br />

1.500 von Ahrendsen und 2.000 von Clausen<br />

Lohnkosten vone0,805 Mill. und schließlich<br />

Clausen mit 9.000 eigenen Stunden, 2.500 von Ahrendsen<br />

und 1.000 von Becker solche vone1,040<br />

Mill..<br />

Man kann sich z.B. fragen, ob die Firmen gleichen<br />

Lohn bezahlen. Dann müsste man etwa folgendes<br />

Gleichungssystem lösen:<br />

⎛<br />

10000<br />

⎜<br />

⎝ 1500<br />

2000<br />

8000<br />

⎞ ⎛ ⎞<br />

1500 10800000<br />

⎟ ⎜ ⎟<br />

2000 ⎠�x = ⎝ 80500 ⎠<br />

2500 1000 9000 1062500<br />

Die Lösung lautet exakt<br />

⎛ ⎞<br />

80<br />

⎜ ⎟<br />

�x = ⎝ 75 ⎠ .<br />

85<br />

In diesem Beispiel sind etliche Iterationsschritte<br />

zur Lösung notwendig. Zusammen mit<br />

dem Einführungsbeispiel entsteht bei den Schülern<br />

die Vermutung, dass eine Dominanz der<br />

Hauptdiagonalelemente <strong>für</strong> Konvergenz hinreichend<br />

sein könnte. Je stärker diese Dominanz, um<br />

so schneller die Konvergenz.<br />

Nach der Einführung geeigneter Normen kann<br />

man (<strong>im</strong> Leistungskurs) das Zeilensummen- bzw.<br />

das Spaltensummenkriterium beweisen, die genau<br />

die Vermutung der Schüler bestätigen. Auf<br />

die (bekannten bzw. in der Literatur nachlesbaren)<br />

Beweise kann hier verzichtet werden.<br />

Mit Hilfe der ClassPad-Befehle rowNorm<br />

und colNorm, die jeweils die max<strong>im</strong>ale absolute<br />

Summe einer Zeile bzw. Spalte angeben, kann<br />

eine Überprüfung auf diese Kriterien erfolgen.<br />

150<br />

Abbildung 18.13: Zeilensummen und Spaltensummenkriterium<br />

4 Schlussbemerkung<br />

Schleswig-Holstein hat sich sehr zu meinem Leidwesen<br />

nun auch spät (zu spät) entschieden das<br />

Zentralabitur in fast allen wesentlichen Fächern<br />

einzuführen.<br />

Ich habe den Beitrag mit einem lateinischen<br />

Spruch begonnen in Abwandlung des bekannten<br />

Zitates des alten Cato möchte ich auch so enden:<br />

Ceterum censeo:<br />

abituram communem prohibendam esse!<br />

Das Zentralabitur ist aus meiner Sicht der<br />

natürliche Feind der neuen Aufgabenkultur und<br />

des Einsatzes neuer Medien <strong>im</strong> Mathematik-<br />

Unterricht<br />

Letzten Herbst in Dillingen habe ich mich<br />

noch <strong>für</strong> eine Kompromisslösung aus zentralem<br />

Fundamentum und unterrichtsbezogenem Additum<br />

stark gemacht.<br />

Zum diesjährigen schriftlichen Abitur gab es<br />

aus dem Ministerium die Aufforderung, unsere<br />

Aufgaben sollten u.a. sicher stellen, dass sie den<br />

Nachweis führen, die Schüler hätten Sozialkompetenz<br />

erworben. Das fand ich eher absurd und<br />

habe daher <strong>für</strong> die Fachaufsicht unter meinen Aufgabenvorschlag<br />

folgende Bemerkung gesetzt:<br />

Ich bin der Überzeugung, dass der geforderte<br />

Nachweis von Selbst- und Sozialkompetenz durch<br />

eine übliche Aufgabenstellung nicht oder nur teilweise<br />

gelingen kann. . . .


Wenn man die o.a. Kompetenzen und zusätzlich<br />

die in den Standards genannten Fähigkeiten<br />

wie Argumentieren, Modellieren, Präsentieren<br />

etc. abprüfen will, muss man sich von der bisherigen<br />

Art der individualistischen, schriftlichen Einzelprüfung<br />

komplett verabschieden, weil sie nicht<br />

das Messinstrument <strong>für</strong> derlei Fähigkeiten darstellt.<br />

Auch und gerade das Zentralabitur ist in<br />

diesem Sinne rückschrittig und kontraproduktiv.<br />

Andere Vorstellungen von Prüfungen, wie sie<br />

etwa außerhalb der Schule Anwendung finden, geben<br />

Hinweise, wie man vorgehen könnte. Ich wäre<br />

dankbar, wenn hierüber ein Gespräch (möglicherweise<br />

mündend in einen Modellversuch) mit der<br />

Fachaufsicht stattfinden könnte.<br />

Seit dem Schreiben der zweiten Seite dieses<br />

Berichtes bis zum Schreiben dieser Seite ist (leider)<br />

viel Zeit vergangen. 1 In dieser Zeit hat sich<br />

allerdings einiges Erfreuliches getan.<br />

In Schleswig-Holstein wird — beginnend mit<br />

dem kommenden Schuljahr — ein neuer Modellversuch<br />

CIMS-SH (ein ähnlicher Versuch läuft<br />

in Hamburg) durchgeführt, in dem es wesentlich<br />

um den Einsatz neuer Medien <strong>im</strong> Mathematik-<br />

Unterricht geht.<br />

Es gibt Hinweise und gewisse Chancen, dass<br />

1 Dank <strong>für</strong> die Geduld an die Herausgeber!<br />

Lineare Gleichungssysteme <strong>im</strong> Unterricht mit CAS-Rechnern<br />

es evtl. möglich ist, tatsächlich diesem Modellversuch<br />

eine neue weitere Facette zu geben, nämlich<br />

die Entwicklung und Erprobung alternativer Prüfungsformen,<br />

etwa in der Richtung, die ich oben<br />

gefordert habe. Sollte dies so kommen, werde ich<br />

vor der MU&I berichten.<br />

Literatur<br />

Gjone, Gunnar & Tor Andersen (2004): Form und Zahl. Eine<br />

Einführung zum Einsatz des ClassPad 300 <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong>.<br />

Norderstedt: Casio Europe<br />

Kowalsky, Hans-Joach<strong>im</strong> (1974): Einführung in die Lineare<br />

Algebra. Berlin: Walter de Gruyter<br />

Padlitz, Ludwig (2004): Mathematische Modelle und<br />

wissenschaftlich-technische Anwendungen. Norderstedt:<br />

Casio Europe, Bildungsverlag E1NS<br />

Thode, Reinhold (1992): Numerische Algorithmen. Hannover:<br />

Metzler<br />

Thode, Reinhold (2001): Neue Medien <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

— Erfahrungsbericht aus dem SSchulalltag". In: Herget,<br />

Wilfried & Rolf Sommer (Hg.): Lernen <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

mit Neuen Medien, Hildeshe<strong>im</strong>: Franzbecker, 21–28<br />

Thode, Reinhold (2004): Beispiele <strong>für</strong> den Einsatz des ClassPad<br />

300 <strong>im</strong> Unterricht. In: Bender, Peter, Wilfried Herget,<br />

Hans-Georg Weigand & Thomas Weth (Hg.): Neue Medien<br />

und Bildungsstandards, Hildeshe<strong>im</strong>: Franzbecker, 128–136<br />

Todd, Philip, Michael Siebold & Brian Maguire (2002): Wie<br />

Sie das Meiste aus dem ClassPad machen. Beaverton, OR,<br />

USA: Saltire Software<br />

151


Raum <strong>für</strong> Notizen<br />

152


• Objektorientierung <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

Bert Xylander, Gera<br />

Eine Übertragung objektorientierter Denkweisen in den <strong>Mathematikunterricht</strong> eröffnet den Schülerinnen<br />

und Schülern oftmals eine veränderte Sicht auf mathematische Inhalte und erweitert ihr<br />

methodisches Repertoire. In den Vordergrund treten stoffbezogene sowie stoffübergreifende Zusammenhänge<br />

und Analogien; es werden strukturierende und systematisierende Arbeitsweisen entwickelt<br />

und ein analytisches und synthetisierendes Denken gefördert. Der Artikel skizziert grundlegende<br />

informatische Konzepte der Objektorientierung, überträgt anschließend die begrifflichen und<br />

konzeptuellen Grundgedanken in die Sprache und Denkweise der Mathematik und gewinnt somit<br />

einen geeigneten Ausgangspunkt <strong>für</strong> eine beispielbezogene Diskussion der inhaltlichen, methodischen<br />

und didaktischen Konsequenzen, die eine objektorientierte Durchdringung des <strong>Mathematikunterricht</strong>es<br />

mit sich führt.<br />

1 Einleitung<br />

Objektorientierung ist ein weitläufiger Begriff,<br />

der in vielen Fachgebieten anwendbar ist und<br />

auch angewendet wird. Besondere Bedeutung erwächst<br />

jedoch in der Informatik, in der Objektorientierung<br />

als eine der grundlegenden Leitideen<br />

erscheint. Objektorientierung durchdringt dabei<br />

nicht nur das Feld der Programmierung —<br />

auf das es oftmals reduziert wird — sondern umspannt<br />

viel mehr: Denkweisen, Interpretationsmuster<br />

und Modellierungsprozesse. Wie in der Fachwissenschaft,<br />

sind auch <strong>im</strong> Informatikunterricht<br />

objektorientierte Herangehensweisen von grundlegender<br />

Bedeutung. Allerdings differieren die didaktischen<br />

Auffassungen über Zeitpunkt, Umfang<br />

und Tiefe der unterrichtlichen Behandlung. 1<br />

Warum aber erfolgt hier nun eine Diskussion<br />

über Objektorientierung <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong>?<br />

Es gibt wichtige Gründe. Objektorientierung<br />

zeichnet sich durch strukturierende und systematisierende<br />

Denk- und Arbeitsweisen aus; charakteristisch<br />

ist ebenso der inhaltliche und methodische<br />

Transfer zwischen vergleichbaren Strukturen.<br />

Dies sind fundamentale Kompetenzen, die<br />

auch <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong> eine große Bedeutung<br />

besitzen und eben dort entwickelt und erworben<br />

werden sollen. Mithin lässt sich Objektorientierung<br />

als eine Komponente des <strong>Mathematikunterricht</strong>es<br />

verstehen, die mit ihren Ansätzen<br />

und Herangehensweisen den Schülerinnen<br />

und Schülern die ureigene mathematische Denkweise<br />

zumindest ein Stück näher bringt. Allein<br />

dieses Ansinnen rechtfertigt bereits eine Auseinandersetzung<br />

mit den informatischen Konzepten.<br />

Hinzu tritt aber noch, dass eine objektorientierte<br />

Sichtweise den <strong>Mathematikunterricht</strong> bereichern<br />

kann und interessante Ansätze <strong>für</strong> das Erkennen<br />

und Entwickeln von inhaltlichen Zusammenhän-<br />

gen bietet, wie in nachfolgenden Beispielen gezeigt<br />

werden kann.<br />

Die folgenden Ausführungen beleuchten zunächst<br />

grundlegende informatische Konzepte der<br />

Objektorientierung. Im zweiten Schritt werden<br />

diese Konzeptideen durch Begriffe und Inhalte aus<br />

der Mathematik interpretiert, um damit einen Ausgangspunkt<br />

<strong>für</strong> die inhaltliche Übertragung der<br />

Objektorientierung in den <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

und die damit verbundene Diskussion der didaktischen<br />

und methodischen Konsequenzen zu haben.<br />

Zuletzt wird eine Unterrichtseinheit vorgestellt,<br />

mit der aus objektorientierter Sicht die Polygone<br />

abschließend in der Klasse 7 bzw. 8 behandelt<br />

und systematisiert werden können.<br />

2 <strong>Informatische</strong> Konzepte der<br />

Objektorientierung<br />

In der Informatik stellt sich Objektorientierung<br />

als ein facettenreiches Konzeptgefüge dar, das<br />

oft auf ein Programmierparadigma reduziert wird<br />

(Beschreiben, Strukturieren und Lösen informatischer<br />

Probleme), oft aber auch in einem umfassenderen<br />

Zusammenhang mit informatorischen<br />

Interpretations- und Denkmustern steht. Die Verständigung<br />

über den Begriff der Objektorientierung<br />

zeigt sich dadurch erschwert, dass die objektorientierten<br />

Konzepte je nach Betrachtung eine<br />

unterschiedliche Wichtung erfahren, und dass<br />

darüber hinaus ein und dasselbe Konzept unterschiedlich<br />

interpretiert werden kann.<br />

Im Folgenden werden einige grundlegende<br />

Konzepte der Objektorientierung 2 skizziert, damit<br />

die sich anschließende Diskussion der objektorientierten<br />

Ausgestaltung des <strong>Mathematikunterricht</strong>es<br />

eine begriffliche Basis erhält. Das Konzept<br />

der Objekte: Objekte sind gegenständliche<br />

Eigenschaftsstrukturen, die sowohl realer als auch<br />

künstlicher, d. h. theoretisch-abstrakter Natur sein<br />

1Die Stellung und die Behandlung objektorientierter Konzepte <strong>im</strong> Informatikunterricht werden etwa bei Schulte (2001) und Thomas<br />

(2004) diskutiert.<br />

2Eine vertiefende Darstellung der Objektorientierung, ihrer Konzepte und der damit verbundenen Spannungsfelder finden sich z.<br />

B. bei Berard (1998), Balzert (2000) und Forbrigg (2002).<br />

153


Bert Xylander, Gera<br />

können. Ein Objekt zeichnet sich durch einen definierten<br />

Zustand aus. Führt eine äußere Einwirkung<br />

zu einer Zustandsänderung, so wird das Objekt<br />

als passives Objekt bezeichnet; erfolgt eine<br />

Zustandsänderung von innen heraus, handelt es<br />

sich um ein aktives Objekt.<br />

Das Konzept der Klassen und Instanzen Das<br />

Konzept der Klassen unterliegt in der Informatik<br />

drei verschiedenen Bedeutungszuweisungen<br />

(Berard, 1998): Klassen werden<br />

betrachtet als ein Muster von strukturell<br />

identischen Dingen, den Instanzen, die unter<br />

Benutzung der Klasse erzeugt werden.<br />

Berard spricht diesbezüglich von einer Vorstellung<br />

eines „cookie cutter“. Die zweite<br />

Sichtweise auf eine Klasse beschreibt die<br />

Klasse als „Instanzenfabrik“: ein System,<br />

bestehend aus einem Muster und einem<br />

Mechanismus, in dem der Mechanismus<br />

dem Muster entsprechende Gegenstände<br />

(Instanzen) generiert. Die dritte Interpretation<br />

sieht eine Klasse als die Menge aller<br />

Instanzen eines best<strong>im</strong>mten Musters.<br />

Die Kapselung von Informationen Ein Objekt<br />

ist nach außen durch seine Eigenschaftsstruktur<br />

charakterisiert. Verborgen bleibt allerdings,<br />

wie diese Struktur <strong>im</strong> Inneren des<br />

Objektes organisiert (<strong>im</strong>plementiert) wird.<br />

Dieses Verstecken der objekt<strong>im</strong>manenten<br />

und existentiellen Informationen wird als<br />

Kapselung bezeichnet. Die Kapsel schirmt<br />

das Objekt gegen eine externe Manipulation<br />

der internen Informationen und Abläufe<br />

ab und verhindert somit eine Destabilisierung<br />

des Objektzustandes. Das Konzept<br />

der Kapselung sieht gleichzeitig eine Bereitstellung<br />

definierter Schnittstellen vor, an<br />

denen objekt- und gesamtsystemrelevante<br />

Information ausgetauscht werden können.<br />

Das Konzept der Schnittstellen Für eine monound<br />

bidirektionale Kommunikation mit seiner<br />

Umgebung stellt ein Objekt eine öffentliche<br />

Schnittstelle zur Verfügung. Eine<br />

Schnittstelle kann drei Informationskategorien<br />

realisieren: Daten (auch bezeichnet<br />

als Werte oder Konstanten), Methoden<br />

(auch bezeichnet als Operationen oder<br />

Prozesse) und Ausnahmen (auch bezeichnet<br />

als Exceptions bzw. Fehler). Die Daten<br />

in der Schnittstelle besitzen mit festen<br />

Inhalten einen konstanten Status. Demgegenüber<br />

können Methoden einer Schnitt-<br />

stelle einen dynamischeren Status aufweisen.<br />

Vorstellbar sind Methoden, die nur statisch<br />

Daten austauschen, bis hin zu Methoden,<br />

die Prozesse auslösen und den Zustand<br />

des Objektes verändern. 3 Die Ausnahmen<br />

in der Schnittstelle charakterisieren undefinierte<br />

Zustände des Objektes. Mit diesen<br />

Informationen können das Objekt und die<br />

Umgebung des Objektes irreguläre Situationen<br />

behandeln und verarbeiten.<br />

Das Konzept der Vererbung Die Vererbung<br />

(auch als Spezialisierung oder Ableitung<br />

bezeichnet) beschreibt die Übertragung wesentlicher<br />

Eigenschaften eines Objektes auf<br />

ein neues Objekt. Dabei kann das neue Objekt<br />

um weitere Eigenschaften erweitert (d.<br />

h. ergänzt) werden. In der Objektorientierung<br />

wird das Konzept der Vererbung zumeist<br />

<strong>im</strong> Zusammenhang mit Klassenstrukturen<br />

verwendet.<br />

Das Konzept der abstrakten Klassen Abstrakte<br />

Klassen sind unvollständig definierte Klassen<br />

mit einer verallgemeinerten Eigenschaftsstruktur.<br />

Sie dienen als Grundlage<br />

und Muster <strong>für</strong> die Vererbung. Mit den<br />

Konzepten der abstrakten Klassen und der<br />

Vererbung wird das das Prinzip einer hierarchischen<br />

Strukturierung in der Objektorientierung<br />

begründet. 4<br />

3 Mathematische<br />

Interpretationen der<br />

objektorientierten<br />

Konzeptideen<br />

Auf dem Weg der Objektorientierung von der<br />

informatorischen Idee hin zu einer gestaltenden<br />

Sichtweise <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong> ist es<br />

unerlässlich, die begrifflichen und konzeptuellen<br />

Grundgedanken der Informatik in die Sprache<br />

und Denkweise der Mathematik zu übertragen.<br />

Dabei erweist sich eine mathematisierende<br />

Herangehensweise an die Objektorientierung und<br />

die sie durchsetzenden informatischen Konzepte,<br />

d. h., der Versuch, Objektorientierung und ihre<br />

Konzepte mit mathematischen Begriffen und<br />

Strukturen zu beschreiben, als durchaus problematisch.<br />

Es stellt sich nämlich heraus, dass es<br />

nicht <strong>im</strong>mer möglich ist, eine wirklich angemessene<br />

und deckungsgleiche mathematische Beschreibung<br />

der informatischen Gedanken zu finden.<br />

Deshalb wird <strong>im</strong> Folgenden mit Bedacht der Begriff<br />

der Interpretation gebraucht.<br />

3 Im Zusammenhang mit Objektmethoden ist zu beachten, dass die öffentlich zugänglichen Methoden der Objektschnittstelle von<br />

den internen, gekapselten Methoden eines Objektes zu unterscheiden sind.<br />

4 Neben den skizzierten kennt die Informatik weitere Konzepte, die <strong>für</strong> die Objektorientierung von Bedeutung sind, so z. B. die<br />

Komposition und Aggregation von Objekten, die Bildung von Objektsystemen und die Kopplung und innere Bindung von Objekten.<br />

Da diese und andere Konzepte in den nachfolgenden Betrachtungen nicht untersucht werden, wird hier auf eine weitere Diskussion<br />

verzichtet.<br />

154


Objekte lassen sich in der Mathematik in vielerlei<br />

Gestalt identifizieren. Seien es scheinbar<br />

einfache Objekte wie eine einzelne Zahl oder sehr<br />

komplex aufgebaute Objekte wie eine Funktion.<br />

Allen mathematischen Objekten ist gemein, dass<br />

sie durch ein Eigenschaftsgefüge gekennzeichnet<br />

sind, das sie einerseits von Objekten gleichen<br />

Typs unterscheidet und mit dem anderseits unterschiedliche<br />

Objekttypen charakterisiert werden<br />

können. Die Suche nach einer mathematischen Interpretation<br />

des Objektes <strong>im</strong> informatischen Sinne<br />

führt zu einer Mengensichtweise. Objekte können<br />

als Elemente einer Menge betrachtet werden,<br />

die sich durch eine gleichartige Eigenschaftsstruktur<br />

auszeichnen, voneinander dennoch wohlunterscheidbar<br />

sind durch eine charakteristische Variation<br />

in eben dieser Eigenschaftsstruktur.<br />

Diese mathematische Interpretation fortschreibend,<br />

lässt sich in Anlehnung an die Mengentheorie<br />

eine Klasse in der Objektorientierung<br />

auffassen als eine Menge von Objekten. Die Klasse<br />

stellt sich dann dar als die Menge aller ihrer<br />

Instanzen, d. h. als die Menge aller der durch sie<br />

erzeugten Objekte mit identischer Eigenschaftsstruktur.<br />

Die mengentheoretische Interpretation der<br />

Objekte und Klassen deckt wesentliche Bestandteile<br />

der informatischen Inhalte beider Begriffe<br />

ab, versagt teilweise jedoch bei einer genaueren<br />

Betrachtung der Objekteigenschaften und ihrer<br />

Veröffentlichung in Form der Objektschnittstellen.<br />

Daten eines mathematischen Objektes können<br />

als statische Eigenschaften eines Mengenelementes<br />

interpretiert werden und Ausnahmen finden<br />

z. B. in der Form von Definitionsbereichsgrenzen<br />

bei komplexeren mathematischen Objekten<br />

eine Sinnentsprechung.<br />

Interpretationsprobleme bereiten die Methoden,<br />

die mit der Objektschnittstelle verbunden<br />

sind. Die damit verbundene Möglichkeit einer aktiven<br />

oder passiven Zustandsänderung der Objekte<br />

lässt sich oft nur schwer <strong>im</strong> mathematischen Kontext<br />

wieder finden. Ein Beispiel <strong>für</strong> eine solche dynamische<br />

Methode eines mathematischen Objektes<br />

ist die Wirkung einer Abbildung auf ein ebenes<br />

Polygon (Abb. 19.1).<br />

Ebenfalls Mühe bereitet der Versuch, das informatische<br />

Konzept der Kapselung, d. h. der Informationsabschirmung<br />

nach außen, in mathematischen<br />

Ausdrucksformen darzustellen. Eine inhaltliche<br />

Ähnlichkeit findet sich vielleicht am ehesten<br />

in der Mathematik bei algorithmischen Verfahren.<br />

Algorithmen sind charakterisiert durch<br />

Startbedingungen, durch eine Folge elementarer<br />

Handlungen die zu einer Problemlösung führen<br />

und durch einen Endzustand. Die Folge der elementaren<br />

Handlungen lässt sich nun auffassen als<br />

diejenigen Informationen, die definiert existieren,<br />

Objektorientierung <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

ohne dass von außen in den Ablauf des Verfahrens<br />

eingegriffen werden muss oder kann. Damit erscheint<br />

dieser Teil des gesamten Algorithmus als<br />

gekapselt. Startbedingungen und Endzustand würden<br />

dann der Objektschnittstelle zugeordnet werden.<br />

Allerdings widerspricht diese Interpretation<br />

der realen Bedeutung des algorithmischen Verfahrens<br />

in der Mathematik, da <strong>im</strong> Allgemeinen<br />

gerade die elementaren Schritte und ihre Abfolge<br />

eigentlicher Mittelpunkt der Untersuchungen<br />

und Betrachtungen sind. Eine weitere Interpretationsmöglichkeit<br />

der Kapselung findet sich in dem<br />

Ansatz, zwei verschiedene Zustände eines mathematischen<br />

Objektes zu betrachten und den Prozess<br />

zwischen Anfang und Ende als gekapselte Informationen<br />

und Methoden aufzufassen. Der Prozess<br />

wird dann als einheitliches Ganzes, mithin als<br />

Kapsel, angesehen.<br />

Die Konzepte der Vererbung und der abstrakten<br />

Klassen führen eine Strukturierung in die (informatische)<br />

Objektorientierung ein, mit der eine<br />

Klassenhierarchie geschaffen werden kann. Dem<br />

und der Mengeninterpretation der Klassen entsprechend,<br />

lässt sich Vererbung in der Mathematik<br />

als eine Ordnungsrelation auffassen, die zu einer<br />

Mengenhierarchie führt. Die abstrakten Klassen<br />

stellen in diesem Sinnzusammenhang die Wurzeln<br />

der Hierarchiestrukturen dar. Vererbung darf dabei<br />

nicht als eine Teilmengenrelation betrachtet werden,<br />

denn gerade die Strukturgestaltung von den<br />

verallgemeinerten (abstrakten) hin zu den konkreten<br />

Eigenschaftsgefügen, die gegenüber den Wurzeln<br />

um zusätzliche Eigenschaften erweitert werden<br />

können, stehen dieser Sicht diametral entgegen.<br />

4 Objektorientierung <strong>im</strong><br />

<strong>Mathematikunterricht</strong><br />

Nachdem wesentliche informatische Konzepte der<br />

Objektorientierung benannt und die Konzeptideen<br />

mathematischen Begriffen und Denkweisen<br />

zumindest teilweise zugeordnet werden konnten,<br />

wird nun untersucht, welche objektorientierten<br />

Sichtweisen <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong> bedeutsam<br />

sind und wie Schülerinnen und Schüler einen Zugang<br />

zu diesen Sichtweisen gewinnen. Eine Begründung<br />

<strong>für</strong> die Integration der Objektorientierung<br />

als Idee <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong> ergibt sich<br />

dann aus eben dieser Diskussion.<br />

Die Betrachtung mathematischer Objekte <strong>im</strong><br />

Unterricht wird die Eigenschaftsstruktur der Objekte<br />

in den Vordergrund rücken. Hervorgehoben<br />

werden die charakterisierenden Objekteigenschaften<br />

in der Absicht, auf das Wesentliche und Wichtige<br />

zu fokussieren. Am Beispiel lässt sich diese<br />

Vorgehensweise nachvollziehen. Das Objekt regelmäßiges<br />

Fünfeck wird betrachtet mit seinen<br />

fünf gleichlangen Seiten und seinen fünf gleich-<br />

155


Bert Xylander, Gera<br />

Abbildung 19.1: Eine Abbildungsoperation als mathematische Interpretation einer Objektmethode. Das Polygon,<br />

hier <strong>im</strong> Beispiel ein regelmäßiges Fünfeck, ist das mathematische Objekt. Die charakterisierenden<br />

Eigenschaften sind neben den typischen Eigenschaften regelmäßiger Fünfecke auch die Seitenlänge a und<br />

die konkrete Lage in der Ebene. Wird eine Abbildung (hier eine Spiegelung an der Spiegelgeraden g) auf die<br />

Ebene angewendet, so kann die Abbildungsoperation als eine Objektmethode des regelmäßigen Fünfecks<br />

aufgefasst werden. Die Wirkung der Methode (die Spiegelung) verändert die konkrete Lage des Polygons<br />

und mithin den Zustand des mathematisches Objektes.<br />

großen Innenwinkeln von jeweils 108deg Größe.<br />

Diskutiert werden kann die Bedeutung einer<br />

konkreten Seitenlänge a <strong>für</strong> ein konkretes Fünfeckobjekt<br />

in einer Ebene. Eine Veränderung in<br />

a erzeugt dann ein neues Fünfeckobjekt. Diskutiert<br />

werden kann auch die Bedeutung der gleichgroßen<br />

Innenwinkel <strong>im</strong> Hinblick auf zwei voneinander<br />

verschiedene regelmäßige Fünfecke. Ein<br />

tieferes Eindringen in das Spannungsfeld der charakterisierenden<br />

Eigenschaften lässt sich erreichen,<br />

wenn zudem zwei unterschiedliche Definitionsansätze<br />

gegenübergestellt und diskutiert werden:<br />

Das regelmäßige Fünfeck, das best<strong>im</strong>mt ist<br />

durch seine gleichlangen Seiten und gleichgroßen<br />

Innenwinkel, wird gegenübergestellt dem regelmäßigen<br />

Fünfeck, dessen Eckpunkte alle auf einem<br />

Kreis um einen Punkt M mit einem Radius<br />

r liegen, wobei die Kreissehnen zwischen jeweils<br />

zwei benachbarten Eckpunkten die Basisseiten<br />

von fünf kongruenten gleichschenkligen Dreiecken<br />

mit dem gemeinsamen Scheitelpunkt M bilden<br />

(Abb. 19.2). Aus einer solchen Diskussion erwächst<br />

den Schülerinnen und Schülern unmittelbar<br />

ein Gespür <strong>für</strong> unterschiedliche Definitionsformen,<br />

<strong>für</strong> eine geeignete und ungeeignete Beschreibung<br />

und Best<strong>im</strong>mung mathematischer Objekte.<br />

Im <strong>Mathematikunterricht</strong> treten Klassen zumeist<br />

als Mengen mathematischer Objekte in Erscheinung.<br />

Klassen lassen sich daher bilden und<br />

untersuchen als verallgemeinerte Eigenschafts-<br />

strukturen ihrer Objekte: Von konkreten Objekten<br />

ausgehend, abstrahieren die Schülerinnen und<br />

Schüler das allgemeine Objektmuster (die Klasse)<br />

bzw. aus der allgemeinen Klassenstruktur wird<br />

das konkrete Einzelobjekt spezialisiert. Eine zweite<br />

unterrichtliche Herangehensweise ist das vergleichende<br />

Betrachten von Klassen: die vergleichende<br />

Analyse des Beziehungsgefüges zwischen<br />

Klassen und Objekten sowie die Einordnung der<br />

Klassen in Hierarchien. Eine besondere Bedeutung<br />

gewinnen hierbei die abstrakten Klassen und<br />

die Vererbung und die damit verbundene Generalisierung<br />

und Spezialisierung innerhalb der Klassenhierarchien.<br />

Wie auch <strong>im</strong> nachfolgenden Beispiel deutlich<br />

wird, führt das Behandeln von Klassen <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

aus didaktischer Sicht zur Systematisierung<br />

von Wissensinhalten. Ein zweiter<br />

wichtiger Aspekt ist die Analogiebildung: Der<br />

Vergleich zweier Klassen und die Erzeugung einer<br />

neuen Klasse durch Vererbung überträgt das<br />

inhaltliche Gefüge einer Klassenstruktur auf eine<br />

zweite Klasse. Die Untersuchung von Polygonen<br />

erfolgt <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong> gemeinhin<br />

an den Dreiecken und Vierecken. Vielecke dagegen<br />

werden oftmals nur in ihrer Regelmäßigkeit<br />

betrachtet. Eine objektorientierte Sichtweise<br />

auf die Klassen der Polygone könnte in gewohnter<br />

Manier bei den einzelnen Dreieck- und Viereckklassen<br />

ansetzen. Betrachtet werden etwa die<br />

Klassen der unregelmäßigen, gleichschenkligen<br />

5 Im streng mathematischen Sinne handelt es sich bei der Ordnung der Dreiecke nach ihren Seitenlängen um eine Teilmengenbeziehung,<br />

wohingegen die Einteilung nach den Winkelgrößen eine echte Äquivalenzklasseneinteilung der Dreiecke darstellt. Zu beachten<br />

ist daher hier und <strong>im</strong> Nachhinein der informatisch geprägte Sprachgebrauch von den Klassen der Dreiecke und Vierecke.<br />

156


Objektorientierung <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

Abbildung 19.2: Zwei unterschiedliche Definitionsansätze <strong>für</strong> das Objekt regelmäßiges Fünfeck.<br />

und gleichseitigen Dreiecke oder die Klassen der<br />

spitz-, recht- und stumpfwinkligen Dreiecke. 5 Von<br />

diesen konkreten Dreieckklassen ausgehend, lässt<br />

sich eine allgemeine Dreieckklasse inhaltlich ergründen.<br />

In ähnlicher Weise wird aus den Klassen<br />

der Quadrate, Rhomben, Rechtecke, Trapeze bis<br />

hin zur Klasse der unregelmäßigen Vierecke eine<br />

allgemeine Viereckklasse entwickelt. Die Klasse<br />

der regelmäßigen Fünfecke, Sechsecke usw.<br />

ergänzt die einfache objektorientierte Umsetzung<br />

der üblichen unterrichtlichen Vorgehensweise.<br />

Mit der gerade beschriebenen Inhaltskonstruktion<br />

wird aber nur eine Facette der objektorientierten<br />

Denkweise <strong>im</strong> Hinblick auf die Polygonklassen<br />

beleuchtet. Eine konsequente Anwendung der<br />

objektorientierten Konzepte ruft geradezu nach<br />

einer umfänglichen Strukturierung der Polygonklassen<br />

in einer Klassenhierarchie. Denkbar wäre<br />

eine Erarbeitung, die von der einzelnen konkreten<br />

Polygonklasse (etwa der Klasse der gleichseitigen<br />

Dreiecke) ausgeht und zu einer vollständigen<br />

Systematik der Polygonklassen gelangt. Dabei<br />

stellt die (allgemeine) Klasse der Polygone<br />

eine abstrakte Klasse dar, von der <strong>im</strong> zweiten<br />

Schritt ausgehend, durch Vererbung und Erweiterung<br />

um zusätzliche Eigenschaften weitere abstrakte<br />

und konkrete Klassen abgeleitet werden.<br />

Somit lässt sich die Hierarchie der Polygonklassen<br />

von der Wurzel her durchlaufen (Abb. 19.3).<br />

Bedeutsam ist in dieser objektorientierten Sichtweise<br />

eine möglichst vollständige Erfassung der<br />

ableitbaren Klassen, so dass etwa unregelmäßige<br />

Vielecke ebenso thematisiert werden können<br />

wie Punkte und Strecken als eine Form entarteter<br />

Polygonklassen. In diesem Zusammenhang muss<br />

aber betont werden, dass eine vollständige Systematisierung<br />

der Polygonklassen, die z. B. in Form<br />

eines Hierarchiebaumes 6 entwickelt wird, von die<br />

Schülerinnen und Schüler ein hohes Maß an Abstraktionsvermögen<br />

einfordert, was sich insbesondere<br />

bei den Überlegungen zu den entarteten Polygonen<br />

zeigt.<br />

Das Behandeln der Polygonklassen be-<br />

schränkt sich natürlich nicht nur auf ein systematisches<br />

Erarbeiten der gesamten Klassenstruktur.<br />

Gerade die (objektorientiert motivierte) vergleichende<br />

Untersuchung von Klassen der gleichen<br />

Hierarchiestufe — etwa von Dreiecken und Vierecken<br />

— führt durch Analogiebetrachtungen zu<br />

überraschenden Einsichten, die mit den bisherigen<br />

Klassifikations- und Eigenschaftsbetrachtungen<br />

<strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong> in der Deutlichkeit<br />

nicht in Erscheinung traten. Solche Zusammenhänge<br />

und Erkenntnisse werden exemplarisch <strong>im</strong><br />

folgenden Abschnitt vorgestellt und erläutert.<br />

Das Konzept der Kapselung ist <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

nur in ausgewählten Situationen und<br />

nur behutsam thematisierbar. Der bereits beschriebene<br />

Vergleich zwischen einem Ausgangszustand<br />

und einem Endzustand eines Objektes kann die<br />

Schülerinnen und Schüler zu der Frage nach dem<br />

„Dazwischen“ führen. Damit lässt sich die Einsicht<br />

gewinnen, dass bei einer Zustandsänderung<br />

eines mathematischen Objektes nicht alle Teilschritte<br />

eines Prozesses (oder nicht alle Teile eines<br />

Algorithmus) bekannt sein müssen, und dennoch<br />

das gesamte inhaltliche Gefüge genau best<strong>im</strong>mbar<br />

und auch einer Untersuchung zugänglich<br />

ist. Das Beispiel der Kongruenz zweier Polygone<br />

führt zu einer solchen Diskussion. Beide Polygone<br />

lassen sich als Anfangszustand und Endzustand<br />

ein und desselben mathematischen Objektes<br />

auffassen. Beide Zustände werden mit einer<br />

Lageveränderung, die auf einer Bewegungsabbildung<br />

beruht, ineinander übergeführt. Diese Lageveränderung<br />

lässt sich genau analysieren und etwa<br />

als Verschiebung, als Drehung oder als Spiegelung<br />

in der Ebene identifizieren. Genauso gut lässt<br />

sich die Abbildung aber auch als Folge von Spiegelungen<br />

auffassen (Dreispiegelungssatz). Für die<br />

Untersuchung der Kongruenz der beiden Polygonzustände,<br />

d. h., <strong>für</strong> die Untersuchung des Objektes<br />

an sich, ist die Form der Abbildung unerheblich;<br />

wesentlich ist vielmehr ihre Wirkung. Deshalb<br />

können die Informationen über die Abbildungsoperation<br />

und der dynamische Prozess, der<br />

6 Mit den Möglichkeiten der Strukturierung, Systematisierung und Darstellung von Wissensinhalten setzt sich tiefgründig die formale<br />

Begriffsanalyse auseinander, vgl. dazu etwa Dahlberg (1987) und Wille (1987).<br />

157


Bert Xylander, Gera<br />

Abbildung 19.3: Eine Hierarchie der Polygonklassen. Die Darstellung der Klassenstruktur beschränkt sich<br />

hier auf die Einteilung der Dreiecke, die nach verschiedenen Eigenschaftskomponenten, etwa nach Seitenlängen<br />

und Winkelgrößen, erfolgt.<br />

mit der Abbildung verbunden ist, als gekapselt<br />

aufgefasst werden. Dieses Beispiel unterscheidet<br />

sich <strong>im</strong> Übrigen von dem oben verwendeten Beispiel<br />

der Spiegelung als Objektmethode, da hier<br />

die Abbildung gerade nicht betrachtet wird.<br />

Das Behandeln des objektorientierten Schnittstellenkonzeptes<br />

kann <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

vielgestaltig erfolgen. Statische Werte eines mathematischen<br />

Objektes sind Gegenstand des Unterrichts,<br />

sobald statische Eigenschaften des mathematischen<br />

Gegenstandes ermittelt und berechnet<br />

werden. Objektmethoden erscheinen <strong>im</strong> Fokus<br />

der Schülerinnen und Schüler, sobald Parameter<br />

eines mathematischen Objektes best<strong>im</strong>mt werden<br />

und ihr Einfluss auf den Objektzustand untersucht<br />

wird. Ausnahmen widerspiegeln die Suche<br />

nach den Definitionsbereichen der mathematischen<br />

Objekte. Insgesamt sind Eigenschaften,<br />

Parameter und Definitionsbereiche von mathematischen<br />

Sachverhalten (Objekten) grundlegende<br />

und zentrale Inhalte des mathematischen Unterrichts.<br />

Entsprechend umfassend gestaltet sich aber<br />

auch das didaktisch-methodische Repertoire, mit<br />

dem diese Konzeptideen bereits <strong>im</strong> Unterricht verankert<br />

sind, so dass hier außerhalb des nachfolgenden<br />

Beispiels nicht tiefgründig darauf eingegangen<br />

werden muss.<br />

Ein regelmäßiges Fünfeck als mathematisches<br />

Objekt weist sich in seinen statischen Eigenschaften<br />

wie etwa dem Umfang oder dem Flächeninhalt<br />

oder auch seiner konkreten Lage aus. Diese<br />

und viele andere Fünfeckeigenschaften, die nicht<br />

nur als Zahlenwerte erfassbar sein müssen, stellen<br />

die Werte der Objektschnittstelle dar. Wird<br />

das Objekt nun so konstruiert, dass mittels Methoden<br />

der Objektzustand veränderbar ist, dann<br />

enthalten diese Methoden zumeist Parameterwer-<br />

158<br />

te, die den Zustand des Fünfecks dynamisieren.<br />

Denkbar wäre die Vorgabe einer neuen Seitenlänge<br />

oder auch die Vorgabe eines neuen Flächeninhaltes,<br />

so dass durch die Objektmethoden, die<br />

in der öffentlichen Schnittstelle zugänglich sind,<br />

eine Zustandsänderung des Objektes erfolgt. Hier<br />

entstehen zugleich auch Ansatzpunkte <strong>für</strong> die Behandlung<br />

von Ausnahmen, die etwa als Folge negativer<br />

Seitenlängen- und Flächeninhaltsvorgaben<br />

resultieren. In den vorangegangenen Ausführungen<br />

sollte insgesamt offenkundig geworden sein,<br />

dass die beschriebenen Vorgehensweisen <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

natürlich nicht neuartig sind.<br />

Der Anspruch gerade des <strong>Mathematikunterricht</strong>es<br />

war und ist, Zusammenhänge offen zu legen,<br />

Analogien und Transfermöglichkeiten aufzuzeigen,<br />

das Abstraktionsvermögen zu entwickeln sowie<br />

analytisches und synthetisches Denken zu fördern.<br />

Zusammenfassend betrachtet, findet sich die<br />

Bedeutung und der Vorzug der Objektorientierung<br />

hauptsächlich darin begründet, dass sie hilft, diese<br />

Denk- und Vorgehensweisen methodisch zu bündeln<br />

und didaktisch zu beschreiben.<br />

5 Skizze einer<br />

„objektorientierten“<br />

Unterrichtseinheit<br />

Nach den überwiegend theoretischen Überlegungen<br />

zu den informatischen Konzepten der Objektorientierung,<br />

ihren mathematischen Entsprechungen<br />

und ihrer unterrichtspraktischen Umsetzung<br />

soll nun eine konkrete Unterrichtseinheit vorgestellt<br />

werden. Konzipiert ist die Unterrichtseinheit<br />

als ein zusammenfassender und systematisierender<br />

Abschluss des Unterrichtszyklus über<br />

die ebene Geometrie der Polygone, <strong>im</strong> Allgemeinen<br />

angesiedelt in der Klassenstufe 7 und 8. Un-


terrichtsgegenstand sind die Dreiecke, Vierecke<br />

und regelmäßigen Vielecke sowie die Kongruenz<br />

und die Ähnlichkeit von Polygonen. Inhaltlich sollen<br />

die Schülerinnen und Schüler in der Unterrichtseinheit<br />

grundlegende Eigenschaften der Polygone<br />

erkennen und festigen, ein Beziehungsgefüge<br />

zwischen unterschiedlichen Polygonklassen<br />

entwickeln und eine Systematik der Polygone<br />

erarbeiten. Aus didaktischer Sicht stehen<br />

die Vernetzung bereits vorhandener Wissensinhalte<br />

und deren Transfer auf neu zu erschließende<br />

Wissensinhalte <strong>im</strong> Mittelpunkt. Methodisch wird<br />

die Unterrichteinheit gestaltet mit einer kooperativen<br />

Phase in Form einer Gruppenarbeit und mit<br />

einer Auswertungs- und Systematisierungsphase,<br />

die <strong>im</strong> gesamten Klassenverband stattfindet.<br />

5.1 Beschreibung der Gruppenphase<br />

Die Arbeit an den Polygonen führen die Schülerinnen<br />

und Schüler in Gruppen durch. Die Zusammensetzung<br />

der Gruppen sollte leistungshomogen<br />

erfolgen, damit die beteiligten Schülerinnen<br />

und Schüler sich in gleichem Maße inhaltlich<br />

und kreativ einbringen können und müssen.<br />

Zu Beginn der Zusammenarbeit einigen sich die<br />

Angehörigen einer Gruppe auf eine Funktionsverteilung;<br />

benötigt werden ein Moderator, ein Sprecher,<br />

ein Hilfesuchender sowie ein Zeit- und Regelmanager.<br />

7 Dem Moderator obliegt die Diskussionsführung,<br />

der Sprecher präsentiert in der Auswertungsphase<br />

die Gruppenergebnisse, der Hilfesuchende<br />

kontaktiert bei Bedarf den Lehrenden,<br />

um Hinweise und Tipps als Impulse <strong>für</strong> die Gruppenarbeit<br />

einzufordern, und der Zeit- und Regelmanager<br />

überwacht die Einhaltung vorgegebener<br />

Zeitabläufe und Organisationsregeln.<br />

Gebildet werden wenigstens sechs Gruppen,<br />

denen nach dem Leistungsvermögen der Gruppe<br />

unterschiedliche Aufgabenkomplexe zugeteilt<br />

werden. Die erste Gruppe setzt sich mit der Einteilung<br />

der Dreiecke und Vierecke nach ihren Seitenlängen<br />

auseinander. Die zweite Gruppe klassifiziert<br />

Dreiecke und Vierecke nach ihren Innenwinkelgrößen.<br />

8 Die dritte Gruppe untersucht regelmäßige<br />

Vielecke und versucht einen Zusammenhang<br />

zwischen der Eckpunktanzahl und der Innenwinkelsumme<br />

zu ermitteln. Die vierte Gruppe überträgt<br />

die Kongruenzsätze <strong>für</strong> Dreiecke auf Vierecke<br />

und regelmäßige Vielecke. Die fünfte Gruppe<br />

überträgt die Ähnlichkeitssätze <strong>für</strong> Dreiecke<br />

auf Vierecke und regelmäßige Vielecke. Die sechste<br />

Gruppe best<strong>im</strong>mt Kriterien <strong>für</strong> die Konstruierbarkeit<br />

von Dreiecken, Vierecken und regelmäßi-<br />

Objektorientierung <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

gen Vielecken. 9<br />

Die Aufgabenkomplexe <strong>für</strong> die Gruppen sind<br />

mehrteilig gestaltet (Abb. 19.4). Aus objektorientierter<br />

Sicht enthalten die Komplexe solche Aufgaben,<br />

die die Schülerinnen und Schüler zu klassenstrukturierenden<br />

Erkenntnissen führen sollen.<br />

Diese werden aus der Entwicklung verschiedener<br />

Klassifikationskriterien der betrachteten Polygone<br />

und aus der Formulierung allgemeiner Eigenschaften<br />

der entsprechenden Polygonklassen gewonnen.<br />

Weiterhin werden die Schülerinnen und<br />

Schüler mit Konstruktionsaufgaben konfrontiert,<br />

anhand derer sie konkrete Objekte realisieren und<br />

zwischen den allgemeinen klassendefinierenden<br />

und den konkreten objektkonstituierenden Eigenschaften<br />

unterscheiden lernen sollen. Zum Dritten<br />

reflektieren die Schülerinnen und Schüler grundlegende<br />

Eigenschaften der von ihnen untersuchten<br />

Klassen und Objekte. Damit gewinnen sie einen<br />

Zugang zum objektorientierten Schnittstellenkonzept,<br />

da diese statischen und auch dynamischen<br />

Eigenschaften die öffentlich zugänglichen Daten<br />

und Methoden der Polygonklassen und Polygonobjekte<br />

darstellen.<br />

Die Gruppenarbeit wird vom Lehrenden begleitet,<br />

indem auf Nachfragen des Hilfesuchenden<br />

einer Gruppe mit Impulsen reagiert wird. Diese<br />

Impulse werden zum Teil gestuft eingebracht, so<br />

dass die Gruppe fortwährend in ihrer eigenständigen<br />

Arbeit gefordert ist (Abb. 19.5)<br />

Die Ergebnisse ihrer Arbeit werden durch die<br />

Gruppen auf einem Poster festgehalten, das in<br />

der sich anschließenden Auswertungsphase präsentiert<br />

wird. Die Gruppenphase endet nach einer<br />

festgelegten Zeiteinheit — etwa nach 45 Minuten.<br />

5.2 Beschreibung der Auswertungs- und<br />

Systematisierungsphase<br />

Die Auswertungsphase <strong>im</strong> Klassenverband gestaltet<br />

sich <strong>im</strong> Allgemeinen sehr zeitintensiv, da allen<br />

Gruppen Raum gegeben werden muss, ihre Ergebnisse<br />

ausführlich darzustellen. Der Grund <strong>für</strong><br />

die umfängliche Präsentation ist die parallel dazu<br />

erfolgende Systematisierung der Polygonklassen<br />

in Form eines hierarchischen Schemas, dessen<br />

gemeinsame Entwicklung ein zentraler Bestandteil<br />

und zugleich krönender Abschluss der gesamten<br />

Unterrichtseinheit ist. Die hintergründige Verankerung<br />

der objektorientierten Konzeptideen in<br />

den Vorstellungen der Schülerinnen und Schüler<br />

erfordert vom Lehrenden, die Präsentationen dahingehend<br />

behutsam zu kommentieren. Zugleich<br />

führt er mit Hilfe von Beobachtungs- und Bewer-<br />

7Mehr als vier Mitglieder sollte eine Gruppe jedoch nicht umfassen, um eine intensive Arbeitsphase, in der sich alle Gruppenmitglieder<br />

einbringen müssen, zu ermöglichen.<br />

8Aus mathematischer Sicht führt die Systematisierung der Vierecke <strong>im</strong> Unterschied zur Einteilung der Dreiecke in beiden Fällen<br />

(Seitenlängen und Winkelgrößen) zu einer Ordnung entsprechend einer Teilmengenrelation.<br />

9Für eine vertiefende Auseinandersetzung mit den schulmathematisch relevanten Inhalten der ebenen Geometrie empfiehlt sich u.<br />

a. Hilbert (1986).<br />

159


Bert Xylander, Gera<br />

160<br />

Gruppe 1: Dreiecke und Vierecke und ihre Seitenlängen<br />

1. Sammelt Kriterien und formuliert eine Vorschrift, mit der Dreiecke nach ihren Seitenlängen<br />

eingeteilt werden können.<br />

2. Sammelt Kriterien und formuliert eine Vorschrift, mit der Vierecke nach ihren Seitenlängen<br />

eingeteilt werden können.<br />

3. Beschreibt Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Dreiecken und Vierecken!<br />

4. Konstruiert <strong>für</strong> jede „Seitenlängen-Klasse“ von Dreiecken und Vierecken zwei selbst<br />

gewählte Beispiele!<br />

5. Ermittelt die kleinste Anzahl der Größen, die <strong>für</strong> die jeweiligen Konstruktionen vorher<br />

festgelegt werden müssen! Welche Größen sind das? Gibt es mehrere Möglichkeiten?<br />

6. Formuliert wichtige Eigenschaften der Dreiecke und Vierecke (z. B. Umfang, Flächeninhalt,<br />

Winkelgrößen, besondere geometrische Punkte, Strecken und Geraden<br />

usw.) speziell <strong>für</strong> die einzelnen Dreieck- und Viereckklassen!<br />

Fasst Eure Ergebnisse übersichtlich auf einem Poster zusammen (mit Konstruktionsbeispielen).<br />

Präsentiert und erläutert Eure Ergebnisse mit dem Poster vor der Klasse.<br />

Abbildung 19.4: Aufgabenkomplex <strong>für</strong> die Gruppenarbeit.<br />

Gruppe 1: Dreiecke und Vierecke und ihre Seitenlängen — Arbeits<strong>im</strong>pulse<br />

1. (a) Vergleicht die Längen der drei Seiten eines beliebigen Dreieckes miteinander!<br />

(b) Welche Möglichkeiten der Längenverhältnisse zueinander gibt es (Gleichheit,<br />

Ungleichheit)?<br />

(c) Formuliert eine entsprechende Einteilung, nach der Dreiecke sortiert werden<br />

können!<br />

2. Verfahrt wie bei den Dreiecken entsprechend mit den Seitenlängen eines Vierecks.<br />

3. Stellt beide Vorschriften in möglichst gleichem Wortlaut dar!<br />

4. Denkt Euch selbst die Größen aus (Seitenlängen und/oder Winkelgrößen), die Ihr <strong>für</strong><br />

eine Konstruktion benötigt.<br />

5. (a) Gibt es die Möglichkeit, die Beispiele nur mit einer vorgegebenen Größe zu<br />

konstruieren?<br />

(b) Benötigt Ihr zwei Größen? Oder drei? . . .<br />

(c) Welche Größen sind das?<br />

Abbildung 19.5: Arbeits<strong>im</strong>pulse <strong>für</strong> die Gruppenarbeit


tungsaufgaben die nicht an der jeweiligen Präsentation<br />

beteiligten Gruppen zur Ergänzung des systematischen<br />

Überblicks über die Polygonklassen.<br />

Grundlegender Bestandteil der Auswertungsphase<br />

sollte natürlich eine Bewertung der Arbeitsleistungen<br />

aller Mitglieder einer Gruppe untereinander<br />

sein. Unterrichtspraktische Erfahrungen zeigen,<br />

dass die Schülerinnen und Schüler hierbei<br />

durchaus verantwortlich und auch selbstkritisch<br />

mit diesem Bewertungsinstrument umgehen. Insgesamt<br />

sollte <strong>für</strong> die Auswertungs- und Systematisierungsphase<br />

ein Zeitrahmen von 60 bis 90 Minuten<br />

vorgesehen werden. Ausgewählte Ergebnisse<br />

der Gruppenarbeit. Die Unterrichtseinheit zeigt<br />

mit ihrer unterrichtspraktischen Umsetzung überraschende<br />

Ergebnisse gerade in der Systematik<br />

der Vierecke, die in dieser Form üblicherweise<br />

nicht Gegenstand des <strong>Mathematikunterricht</strong>s sind.<br />

Dies erscheint umso verwunderlicher, da es sich<br />

um eine einfache Übertragung der Dreiecksystematisierung<br />

auf die Klassen der Vierecke handelt<br />

und es sich <strong>im</strong> mathematischen Sinne um Erkenntnisse<br />

handelt, die hautsächlich aus dem Umkehrschluss<br />

der üblichen Betrachtungsweise gewonnen<br />

werden. Hinzu tritt, dass auf diese Weise<br />

übergreifende Zusammenhänge und Beziehungen<br />

anschaulich geometrisch nachvollziehbar gestaltet<br />

werden. Die betreffenden Ergebnisse werden ausgehend<br />

von den Bezeichnungen <strong>im</strong> Viereck (Abb.<br />

19.6 in den folgenden Tabellen dargestellt (Tab.<br />

19.1 und 19.2).<br />

Abbildung 19.6: Bezeichnung der Winkelgrößen<br />

und Seitenlängen <strong>im</strong> Viereck<br />

Dabei handelt es sich, ausgehend von den<br />

gleichseitigen, gleichschenkligen und unregelmäßigen<br />

Dreiecken, um eine ähnliche Systematik<br />

<strong>für</strong> die Vierecke, die gleichseitige, gleichschenklige<br />

und unregelmäßige Vierecke konkretisiert und<br />

speziellen Vierecktypen zuweist (Abb. 19.1). In<br />

ähnlicher Weise lassen sich die Vierecke systematisieren,<br />

wenn von der Größe ihrer Innenwinkel<br />

ausgehend, rechtwinklige, stumpfwinklige<br />

und spitzwinklige Vierecke untersucht werden<br />

(Tab. 4).<br />

Objektorientierung <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

Durch das Hinzunehmen weiterer charakterisierender<br />

Eigenschaften können die Einteilungen<br />

nach den Seitenlängen und den Winkelgrößen<br />

noch verfeinert werden. So lassen sich aus den<br />

Lagen der Diagonalen, der Parallelität der Viereckseiten<br />

oder wechselseitig aus den Winkelgrößen<br />

(in der Einteilung nach den Seitenlängen) und<br />

den Seitenlängen (in der Einteilung nach den Winkeln)<br />

weitere Vierecktypen den Klassen zuordnen.<br />

Die Vermittlung der objektorientierten Konzepte<br />

in der gesamten Unterrichtseinheit erfolgt<br />

mittelbar. Die Schülerinnen und Schüler setzen<br />

sich intensiv mit den Eigenschaften der Polygone<br />

auseinander und erlangen so — fast intuitiv —<br />

eine Vorstellung von einem Polygon als mathematischem<br />

Objekt. Dreiecke, Vierecke und regelmäßige<br />

Vielecke werden bewusst als Mengen (Klassen)<br />

mathematischer Objekte untersucht und miteinander<br />

verglichen. Der Vergleich und die Übertragung<br />

der an einer Klasse gewonnenen Erkenntnisse<br />

auf eine andere Polygonklasse führen die<br />

Schülerinnen und Schüler zu einem tieferen Verständnis<br />

von komplexen Objektstrukturen, mithin<br />

von Klassen. Letztendlich geleitet die Systematisierung<br />

der Polygonklassen in Form einer Klassenhierarchie<br />

zu einer grundlegenden Einsicht in<br />

die strukturierenden Ordnungsprinzipien der Objektorientierung:<br />

Vererbung, Ableitung und Eigenschaftserweiterung.<br />

6 Fazit<br />

Der Wert einer objektorientierten Herangehensweise<br />

<strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong> erwächst aus<br />

zwei Betrachtungsrichtungen. Aus informatorischer<br />

Sicht werden Grundlagen geschaffen <strong>für</strong> ein<br />

späteres Verstehen und Entwerfen objektorientierter<br />

Konzepte und Problemlösungen. Für den <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

selbst ist bedeutsam, dass eine<br />

objektorientierte Sicht auf Mathematik zum Teil<br />

ungewohnte, insgesamt aber bereichernde Einsichten<br />

und Zusammenhänge offenbaren kann.<br />

Dass die objektorientierte Herangehensweise so<br />

neu nicht ist und oftmals in einem anderen Kontext<br />

unter anderer Bezeichnung so oder so ähnlich<br />

bereits umgesetzt wird, ist sicherlich ebenfalls offenkundig.<br />

Die informatischen Konzepte der Objektorientierung<br />

lassen sich zum Teil nur mühsam in das<br />

inhaltliche und konzeptuelle Gefüge der Mathematik<br />

und damit auch des <strong>Mathematikunterricht</strong>es<br />

einbringen. Andererseits ist es auch gar nicht notwendig,<br />

die vollständige Umsetzung der Konzeptideen<br />

<strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong> anzustreben. Die<br />

Schülerinnen und Schüler sollen vielmehr angeregt<br />

werden, objektorientierte Denkmuster auszubilden<br />

als Ergänzung ihrer <strong>im</strong> bisherigen Lernprozess<br />

erworbenen kognitiven Strategien.<br />

Das didaktisch-methodische Potenzial der Ob-<br />

161


Bert Xylander, Gera<br />

Vierecke Klassendefinierende<br />

Eigenschaften<br />

Gleichseitige<br />

Vierecke<br />

Gleichschenklige<br />

Vierecke<br />

Unregelmäßige<br />

Vierecke<br />

Typisierung<br />

a = b = c = d Quadrat, Rhombus<br />

a = b = c Kein spezielles<br />

Viereck<br />

a = b; c = d Drachenviereck<br />

a = c; b = d Rechteck,<br />

Parallelogramm<br />

a = b Kein spezielles<br />

Viereck<br />

a = c Kein spezielles<br />

Viereck<br />

a �= b; a �= c; a �= d;<br />

b �= c; b �= d; c �= d<br />

Kein spezielles<br />

Viereck<br />

Tabelle 19.1: Systematisierung nach Viereckseiten. O. B. d. A. werden in der Tabelle die klassendefinierenden<br />

Eigenschaften beginnend mit der Seitenlänge a formuliert.<br />

Vierecke Klassendefinierende<br />

Eigenschaften<br />

Rechtwinklige<br />

Vierecke<br />

Stumpfwinklige<br />

Vierecke<br />

Spitzwinklige<br />

Vierecke<br />

Spezialfälle Typisierung<br />

α = β = γ = δ = 90deg Quadrat, Rechteck<br />

α = β = γ = 90deg Quadrat, Rechteck<br />

α = β = 90deg Rechtwinkliges<br />

Trapez<br />

α = γ = 90deg Sehnenviereck<br />

α = 90deg Viereck<br />

α,β,γ,δ > 90deg Kein Viereck!<br />

α,β > 90deg Viereck<br />

α + γ = β + δ =<br />

180deg<br />

Sehnenviereck<br />

α,γ > 90deg Viereck<br />

α = γ; β = δ Rhombus,<br />

Parallelogramm<br />

α > 90deg Viereck<br />

α,β,γ,δ < 90deg α,β,γ,δ < 90deg Kein Viereck!<br />

Tabelle 19.2: Systematisierung nach Viereckwinkelgrößen. O. B. d. A. werden in der Tabelle die klassendefinierenden<br />

Eigenschaften beginnend mit dem Winkel α formuliert.<br />

162


jektorientierung liegt zweifellos in dem Vermögen,<br />

Zusammenhänge und Analogien herstellen,<br />

ergründen und darstellen zu können sowie in der<br />

Fähigkeit, inhaltliche und methodische Strukturen<br />

auf vertraute und neue Wissensbereiche übertragen<br />

zu können. Objektorientierung sollte dabei<br />

verstanden werden als eine der vielen Möglichkeiten,<br />

einen modernen <strong>Mathematikunterricht</strong> zu<br />

entwickeln: weniger Inhalte vermitteln und mehr<br />

mathematisches Denken befördern.<br />

Literatur<br />

Balzert, H. (2000): Objektorientierung in 7 Tagen. Spektrum<br />

Akademischer Verlag<br />

Berard, E. V. (1998): Basic Object-Oriented Concepts. URL<br />

http://www.toa.com<br />

Objektorientierung <strong>im</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

Dahlberg, I. (1987): Die gegenstandsbezogene, analytische<br />

Begriffstheorie und ihre Definitionsarten. In: Ganter, B., Rudolf<br />

Wille & K. Wolff (Hg.): Beiträge zur Begriffsanalyse,<br />

Mannhe<strong>im</strong>, Wien, Zürich: BI Wissenschaftsverlag, 9–22<br />

Forbrigg, P. (2002): Objektorientierte Softwareentwicklung<br />

mit UML. Leipzig: Fachbuchverlag<br />

Hilbert, A. (1986): Ebene Geometrie. Fachbuchverlag<br />

Schulte, Carsten (2001): Vom Modellieren zum Gestalten<br />

— Objektorientierung als Impuls <strong>für</strong> einen neuen Informatikunterricht?<br />

informatica didactica, 3, URL http://www.<br />

informatica-didactica.de<br />

Thomas, Marco (2004): Objektorientierung und informatische<br />

Bildung: Stellenwert und Konkretisierung <strong>im</strong> Unterricht — mit<br />

BlueJ. LOG-IN, 128, 26–31<br />

Wille, Rudolf (1987): Bedeutung von Begriffsverbänden. In:<br />

Ganter, B., Rudolf Wille & K. Wolff (Hg.): Beiträge zur Begriffsanalyse,<br />

Mannhe<strong>im</strong>, Wien, Zürich: BI Wissenschaftsverlag,<br />

161–211<br />

163


Bert Xylander, Gera<br />

164


Teil III<br />

Arbeitsgruppen<br />

165


• Arbeitsgruppe: Computergrafik und <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

Andreas Filler, Heidelberg<br />

1996 gab es auf der 14. Arbeitskreistagung des Arbeitskreises MU & I in Wolfenbüttel eine Arbeitsgruppe<br />

„Computergrafik als Bindeglied zwischen Mathematik- und Informatikunterricht“. Seitdem<br />

wurden auf Arbeitskreistagungen viele Vorträge zur Einbeziehung der Computergrafik in den <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

gehalten — mit unterschiedlichen Herangehensweisen und Zielen — sowie einschlägige<br />

Unterrichtserfahrungen gesammelt. Die Arbeitsgruppe „Computergrafik und <strong>Mathematikunterricht</strong>“<br />

auf der Arbeitskreistagung 2005 setzte sich das Ziel, eine Zwischenbilanz zu Zielen<br />

und Möglichkeiten der Einbeziehung der Computergrafik in den MU zu ziehen. Entsprechend dem<br />

Thema der Tagung „<strong>Informatische</strong> <strong>Ideen</strong> <strong>im</strong> MU“ sollten dabei auch Fragen der Berücksichtigung<br />

informatischer Aspekte bei der Erstellung von Computergrafiken und -an<strong>im</strong>ationen berücksichtigt<br />

werden.<br />

Es bestand in der Arbeitsgruppe Einigkeit darüber,<br />

dass Elemente der Computergrafik vor allem<br />

in der Sekundarstufe II und hier insbesondere <strong>im</strong><br />

Stoffgebiet „Analytische Geometrie“ zum Tragen<br />

kommen können.<br />

Die „Basisfunktion“ der Einbeziehung von<br />

Elementen der (insbesondere dreid<strong>im</strong>ensionalen)<br />

Computergrafik ist die Anfertigung von Visualisierungen<br />

räumlicher Sachverhalte. Dadurch lassen<br />

sich Inhalte der analytischen Geometrie des<br />

Raumes veranschaulichen, <strong>für</strong> welche dies ohne<br />

Computerhilfe oftmals schwierig ist, wenngleich<br />

traditionelle Anschauungsmodelle weiterhin verwendet<br />

werden sollten.<br />

Hervorgehoben wurde die Motivierung, welche<br />

die Erstellung (insbesondere fotorealistischer)<br />

Computergrafiken und -an<strong>im</strong>ationen durch die<br />

Schüler bewirken kann. Diese, <strong>für</strong> viele Schüler<br />

ausgesprochen interessanten, Gegenstandsbereiche<br />

eignen sich sehr gut, um den Realitätsbezug<br />

und die anwendungspraktische Relevanz von<br />

Inhalten der analytischen Geometrie <strong>für</strong> die Schüler<br />

anhand aktiver Tätigkeiten deutlich werden zu<br />

lassen. Voraussetzung da<strong>für</strong> ist natürlich die Verwendung<br />

einer Software, welche analytische Beschreibungen<br />

geometrischer Objekte und Szenen<br />

erfordert, um Grafiken bzw. An<strong>im</strong>ationen zu generieren.<br />

Die Arbeitsgruppe diskutierte über die Auswahl<br />

einer <strong>für</strong> die Nutzung <strong>im</strong> Stoffgebiet „Analytische<br />

Geometrie“ geeigneten Software, mit deren<br />

Hilfe dreid<strong>im</strong>ensionale grafische Darstellungen<br />

erstellt werden können. Aus dem bereits genannten<br />

Grunde, dass die Schüler bei der Arbeit<br />

mit der Software geometrische Objekte analytisch<br />

beschreiben sollten, kommen Programme, die <strong>für</strong><br />

den Raumgeometrieunterricht der Sekundarstufe I<br />

entwickelt wurden, sowie die meisten kommerziellen<br />

3D-Grafiksysteme nicht in Frage. Die Auswahl<br />

der Software hängt von der Zielsetzung und<br />

vom Umfang der Einbeziehung der Computergrafik<br />

in den Unterricht ab.<br />

• Sollen lediglich Visualisierungen zu den Stan-<br />

dardinhalten des gegenwärtigen Unterrichts angefertigt<br />

werden, so bietet sich die Nutzung spezieller,<br />

<strong>für</strong> das Stoffgebiet „Analytische Geometrie“<br />

entwickelter und sehr einfach zu erlernender,<br />

Software wie z. B. DreiDGeo an. Allerdings<br />

können in diesem Falle auch Computeralgebrasysteme<br />

(CAS) zum Einsatz kommen, deren<br />

grafische Möglichkeiten in den vergangenen<br />

Jahren erheblich ausgebaut wurden. Dies ist vor<br />

allem dann sinnvoll, wenn die Schüler bereits<br />

mit CAS gearbeitet haben.<br />

• Die Betrachtung nichtlinearer Objekte wie Kurven<br />

und Flächen ist sowohl mithilfe von CAS<br />

als auch unter Verwendung der durch eine<br />

Szenenbeschreibungssprache gesteuerten 3D-<br />

Grafiksoftware POV-Ray möglich. Auch elementare<br />

Programmierkonstrukte (wie Schleifen<br />

und Verzweigungen) lassen sich sowohl in POV-<br />

Ray als auch in CAS wie MuPAD, Maple oder<br />

Mathematica nutzen. Alle diese Softwarepakete<br />

ermöglichen auch die Erstellung von An<strong>im</strong>ationen.<br />

• Sollen mathematische Grundlagen der 3D-<br />

Computergrafik thematisiert werden, so ist dies<br />

vor allem anhand des in Bezug auf seine<br />

Funktionsweise relativ einfach verständlichen<br />

Raytracing-Verfahrens möglich. Da POV-Ray<br />

nach diesem Verfahren arbeitet, bietet sich dabei<br />

die Verwendung dieser Software an. Ein<br />

weiteres Argument <strong>für</strong> die Nutzung von POV-<br />

Ray besteht <strong>im</strong> Fotorealismus der erzeugten<br />

Darstellungen. Es wurde in der Arbeitsgruppe<br />

hervorgehoben, dass die von der verwendeten<br />

Software erzeugten Darstellungen hinreichend<br />

„schön“ sein sollten, da <strong>für</strong> die Motivierung<br />

der Schüler durch die Arbeit mit computergrafischen<br />

Darstellungen die ästhetische Komponente<br />

eine wichtige Bedeutung hat. Auch die<br />

Tatsache, dass die von POV-Ray erzeugten Bilder<br />

nicht an mathematische Illustrationen, sondern<br />

eher an computergenerierte Spielfilme oder<br />

Zeitschriftenbilder erinnern, wurde als motivierender<br />

Aspekt angeführt, da die Schüler hierbei<br />

167


Andreas Filler, Heidelberg<br />

erkennen, dass auch hinter diesen nicht „mathematisch<br />

aussehenden“ Bildern Mathematik<br />

steht. Allerdings ist zur Verwendung von POV-<br />

Ray anzumerken, dass sich die Nutzung dieser<br />

Software nur dann „lohnt“, wenn die Schüler<br />

nicht nur die Standardinhalte des Unterrichts<br />

in analytischer Geometrie visualisieren, sondern<br />

auch einige der Realität nachempfundene Objekte<br />

durch Koordinaten- bzw. Gleichungsbeschreibungen<br />

modellieren, was natürlich Unterrichtszeit<br />

erfordert.<br />

Die Teilnehmer an der Arbeitsgruppe vertraten<br />

einhellig die Auffassung, dass die (in etwas größerem<br />

Umfang erfolgende) Einbeziehung von Elementen<br />

der 3D-Computergrafik in den Unterricht<br />

in starkem Maße projektorientierte Arbeitsformen<br />

<strong>im</strong>pliziert. Schüler sollten an etwas umfangreiche-<br />

168<br />

ren Projekten arbeiten, deren Inhalt sie selbst mitbest<strong>im</strong>men<br />

können. Die mathematische Beschreibung<br />

dreid<strong>im</strong>ensionaler Objekte und Szenen und<br />

die auf dieser Grundlage erfolgende Erstellung<br />

von Computergrafiken bzw. -an<strong>im</strong>ationen kann Inhalt<br />

vieler unterschiedlicher Unterrichtsprojekte<br />

sein.<br />

Ohne diese Thematik vertiefen zu können,<br />

stellten die Teilnehmer fest, dass die Untersuchung<br />

von Kurven und Flächen übergreifendes<br />

Element des <strong>Mathematikunterricht</strong>s in der Sekundarstufe<br />

II sein könnte und dabei reichhaltige<br />

Ansatzpunkte <strong>für</strong> die Einbeziehung von Elementen<br />

der Computergrafik gegeben wären. Bedauert<br />

wurde, dass die gegenwärtigen Rahmenpläne die<br />

Behandlung von Kurven und Flächen <strong>im</strong> Stoffgebiet<br />

„Analytische Geometrie“ höchstens am Rande<br />

zulassen.


• Arbeitsgruppe: Konstruktion korrekturgünstiger Aufgaben<br />

— auch mit sofortiger automatischer Auswertung<br />

Fritz Nestle, Ludwigsburg<br />

1 Konstruktion<br />

korrekturgünstiger Aufgaben<br />

Zusammenstellung, Durchführung und Bewertung<br />

schriftlicher Lernkontrollen beanspruchen <strong>im</strong><br />

Fach Mathematik bei vielen Kollegen 10% bis<br />

20% ihrer gesamten Arbeitszeit — ein erster<br />

Grund, sich mit dem Thema näher zu befassen und<br />

sich mit den Rationalisierungsreserven in diesem<br />

Bereich auseinanderzusetzen. 1<br />

Ein zweiter Grund ist das Thema Korrekturgerechtigkeit.<br />

Nicht nur bei Aufsätzen sondern auch<br />

bei Mathematikklassenarbeiten (Schulaufgaben)<br />

hängt bei der derzeitigen Praxis die Bewertung unter<br />

anderem ab von der Reihenfolge der Korrektur<br />

(der Maßstab bleibt nicht konstant während der<br />

Korrektur), der Kondition des Korrigierenden und<br />

natürlich in besonderem Maß vom Korrigierenden<br />

selbst. 2 Die Erkenntnis, dass dies unter dem Gesichtspunkt<br />

der Chancengleichheit <strong>für</strong> die Lernenden<br />

eigentlich unerträglich ist, ist wenig verbreitet.<br />

Das Bild zeigt einen Ausschnitt aus der oben<br />

angegebenen URL, die Bearbeitung eines Schülers<br />

zu Aufgabe 5 der betrachteten Klassenarbeit:<br />

Abbildung 21.1: Schülerlösung zur Aufgabe 5):<br />

Ein Händler kauft zwei teure und drei billige Fahrräder<br />

<strong>für</strong> zusammen 694 DM. Was kostet eines der<br />

billigen Fahrräder, wenn ein teures Fahrrad 158<br />

DM kostet?<br />

Wie will man diesem Schüler gerecht werden?<br />

Die Punktsumme <strong>für</strong> diese Bearbeitung<br />

schwankt — nach intensiv diskutierter Normierung<br />

— bei Korrektur durch 73 erfahrene<br />

Lehrer zwischen 9 und 16, die Note zwischen<br />

2,5 und 4. Wo bleibt die Gerechtigkeit?<br />

Wie will man diese Bearbeitung diagnostisch<br />

auswerten, damit man <strong>für</strong> den Schüler geeignete<br />

Therapiemaßnahmen ergreifen kann? Eine<br />

Trennung der Anforderungen in Gedächtnisleistungen,<br />

Formel/Rechenwegauswahl, Zahlenrechnungen,<br />

Übersetzungsprobleme, Textanalyse,<br />

. . . erleichtert Korrektur und Diagnostik und bringt<br />

mehr Gerechtigkeit.<br />

Schließlich ist in naher oder ferner Zukunft<br />

damit zu rechnen, dass die Vorteile von online-<br />

Lernkontrollen sowohl <strong>für</strong> Lehrende als auch besonders<br />

<strong>für</strong> Lernende genutzt werden. Wenn auf<br />

selbstorganisiertes Lernen Wert gelegt wird, sind<br />

sie unverzichtbar. Sie lassen sich heute <strong>im</strong> Internet<br />

(oder lokal) leicht erstellen; durch Kooperation<br />

unter den Lehrkräften würde sich der Zeitaufwand<br />

innerhalb eines Schuljahres amortisieren,<br />

wenn man das open-source-Verfahren anwendet<br />

3 .<br />

2 Online-Lernkontrollen<br />

Auf Wunsch der Teilnehmer lag der Schwerpunkt<br />

in der Arbeitsgruppe bei online-Lernkontrollen.<br />

Sie haben die Struktur eines online-Formulars in<br />

HTML das mit einer PHP-Datei ausgewertet werden<br />

kann.<br />

Durch Variation des Beispiels entstand so eine<br />

Lernkontrolle mit 2 Eingaben, wie in den Abbildungen<br />

dargestellt.<br />

Unter http://www.bildungsoptionen.de/<br />

dilli2/2te.htm finden Sie das Beispiel, unter http://<br />

www.bildungsoptionen.de/dilli/fuchsorg.<br />

htm weitere Erläuterungen zum Vorgehen.<br />

1 Siehe dazu http://www.BildungsOptionen.de/200mio.htm<br />

2 Siehe dazu http://www.ph-ludwigsburg.de/fileadmin/subsites/2e-<strong>im</strong>ix-t01/user_files/<br />

personal/nestle/alternativen/kap1.htm#16. Die Note entsteht in vier Willkürschritten: Auswahl der Anforderungen,<br />

Bewertung der Anforderungen, Zuweisung von Punkten, Umsetzung der Punkte in eine Schulnote.<br />

3 Siehe dazu auch http://www.bildungsoptionen.de/opens.htm<br />

169


Fritz Nestle, Ludwigsburg<br />

<br />

<br />

Formular mit Pflichtfeldern<br />

<br />

<br />

<br />

Klicken Sie das Feld an und tragen<br />

Sie den Namen ein:<br />

<br />

<br />

Wenn Sie<br />

<br />

anklicken, sehen Sie, ob Ihre Einsetzung<br />

angemommen wurde.<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Formular mit Pflichtfeldern<br />

<br />

<br />

<br />

Ihr Name:<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Abbildung 21.2: Beispieldateien <strong>für</strong> eine online-Lernkontrolle<br />

<br />

<br />

Wie heißt das allgemeinste Viereck<br />

ABCD mit einem Paar paralleler Seiten?<br />

<br />

<br />

<br />

Obiges Viereck soll zusätzlich<br />

punktsymmetrisch sein. Wie heißt jetzt<br />

das allgemeinste Viereck dieser Art?<br />

<br />

<br />

Wenn Sie<br />

<br />

anklicken, sehen Sie, ob Ihre Einsetzung<br />

angemommen wurde.<br />

<br />

170<br />

<br />

<br />

Deine Antwort ist<br />

<br />

Diese Antwort ist<br />

<br />

Abbildung 21.3: Änderungen an den Beispieldateien.


• Arbeitsgruppe: Wieviel Programmieren-Können braucht<br />

man in der Mathematiklehre?<br />

Dörte Haftendorn, Lüneburg<br />

Teilnehmer: Martin Epkenhans, Wolfgang Friebe, Dörte Haftendorn, Andreas Meier, Hartwig Meißner,<br />

Marianne Moormann, Reinhard Oldenburg, Wolfgang Schulz, Siegfried Zseby.<br />

1 Fragestellungen<br />

Wir haben uns den folgenden Fragen gewidmet:<br />

1. Was ist eigentlich Programmieren in mathematischem<br />

Zusammenhang?<br />

2. Welche Elemente der Programmierung sind<br />

wesentlich?<br />

3. Welche Werkzeuge eignen sich?<br />

4. Warum sollte man das können?<br />

5. Welche Mathematik-Lehrenden verstehen genug?<br />

6. Wie kann man Akzeptanz von MU mit Computer<br />

steigern?<br />

Dabei ging es vor allem um die Sicht auf<br />

Lehrende und Lehramt-Studierende. Ob die Lernenden<br />

dann auch programmieren, haben wir<br />

als nachrangig eingestuft. In Abwandlung des<br />

Themas hätten wir wohl bescheidenener von<br />

„Programmier-Verständnis“ reden sollen.<br />

1.1 Was ist eigentlich Programmieren in<br />

mathematischem Zusammenhang?<br />

Am ehesten werden die Lehrenden in Excel- (oder<br />

anderen TK-) Tabellen Formeln einfügen. Schon<br />

Schieberegler in Excel sind zwar sehr nützlich<br />

aber nicht verbreitet. In den CAS ist der Einsatz<br />

eines Folgenoperators noch einigermaßen üblich.<br />

Das Schreiben von eigenen internetfähigen<br />

HTML-Seiten, eigener Abfragen und Prozeduren<br />

in Excel oder den CAS liegt wohl allenfalls den<br />

Mathmatiklehrenden nahe, die auch Informatik<br />

als Fach haben. Das Programmieren in einer Programmiersprache<br />

(LOGO, Java, Visual Basic. . . )<br />

wird von diesen vielleicht sogar dann gemacht,<br />

wenn es in dem verfügbaren CAS oder TK viel<br />

einfacher ginge. Jedenfalls soll mit dem Programmieren<br />

grundsätzlich eine ganze Klasse von Problemen<br />

gelöst werden. Die Ziele werden bei 4. erläutert.<br />

1.2 Welche Elemente der<br />

Programmierung sind wesentlich?<br />

• Zählschleifen<br />

• Einfacher Folgenoperator<br />

• Zugriff auf Folgenelemente<br />

• Anwendung von Funktionen auf Folgen<br />

• Bedingte Schleifen<br />

• While, Repeat, Loop<br />

• Verzweigungen<br />

• If . . . Then . . . Else . . . .<br />

• Moduln, Prozeduren, Funktionen, Makros<br />

• Eingabe-Parameter, Eingabebedingungen<br />

• Lokale und globale Variable<br />

• Rückgabe<br />

• Elemente Objektorientierter Programmierung<br />

• Methoden, Eigenschaften, Vererbung, Zugriff<br />

auf Objekte<br />

• Speicherung, Datentransport, Datensicherung,<br />

. . .<br />

Vermutlich können die meisten heutigen<br />

Mathematik-Lehrenden damit wenig anfangen.<br />

Sie sollten sich allerdings klarmachen, dass „Windows“,<br />

Elemente <strong>im</strong> Malprogramm, Graphen <strong>im</strong><br />

CAS, Kreise <strong>im</strong> DGS,. . . — so gut wie alles was<br />

heutige Computer bieten, „Objekte“ sind. Man<br />

kann ja wohl nicht annehmen, dass die Verantwortung<br />

<strong>für</strong> die Bildung eines entsprechenden<br />

Verständnisses vornehmlich bei den Nicht-<br />

Mathematik-Lehrenden liegt. Es geht nicht um<br />

das „Unterrichten“ dieser Elemente, das wird man<br />

einem eventuell stattfindenden Informatikunterricht<br />

überlassen, sondern um das adäquate Bewusstsein<br />

und Handeln der Lehrenden, wann <strong>im</strong>mer<br />

solche Elemente vorkommen.<br />

1.3 Welche Wekzeuge eignen sich?<br />

• GTR, Graphenzeichner: Graphische TR, Matheass,<br />

Turboplot,. . . .<br />

• TK , Tabellenkalkulation: Excel, Starcalc, . . .<br />

• DMS, Dynamische-Mathematik-Systeme: Geo-<br />

Gebra<br />

• DGS, Dynamische-Geometrie-Systeme: Euklid<br />

Dynageo, Cabri Geomètre,. . .<br />

• CAS, Computer-Algebra-Systeme in der üblichen<br />

Art: MuPAD, Derive, Maple, . . .<br />

• CAS, als Programmierwerkzeug: MuPAD, s.o.<br />

. . .<br />

• Programmiersprachen: Visual-Basic, Excel, Javascript,<br />

Applets, Logo, Java,. . .<br />

1.4 Warum sollten Mathematik-Lehrende<br />

das können oder zumindest<br />

verstehen?<br />

Sowie man überhaupt Mathematik mit Computern<br />

betreibt, steht man vor solchen Fragen:<br />

• Wie werte ich den Term <strong>für</strong> mehrere Einsetzungen<br />

aus?<br />

• Wie erzeuge ich eine Folge von Bildern, die<br />

meine Unterrichtsidee unterstützen?<br />

171


Dörte Haftendorn, Lüneburg<br />

• Wie baue ich mir Hilfen <strong>für</strong> das Finden und Testen<br />

von Aufgaben?<br />

• Wie prüfe ich bei der Korrektur arbeitsökonomisch,<br />

ob der Prüfling folgerichtig weitergearbeitet<br />

hat?<br />

• Wie gebe ich den Objekten die Farben und<br />

Strickdicken, die man Projizieren oder Drucken<br />

kann?<br />

• Wie erzeuge ich einen hinreichend großen Karohintergrund,<br />

auf dem die Lernenden dann<br />

weitere Einzeichnungen machen können?<br />

• Wie erstelle ich Material zum Erkunden?<br />

• Wie visualisiere ich mein Lehrvorhaben?<br />

• Und wenn die Schüler selbst am Computer arbeiten:<br />

– Wie erstelle ich ein elektronisches Arbeitsblatt?<br />

– Wie gelangt es vor die Augen der Schüler?<br />

– Wie ermögliche ich interaktive Eingriffe der<br />

Schüler?<br />

– Wie schütze ich mein Vorhaben gegen unbeabsichtigte<br />

und mutwillige Fehlbedienung?<br />

– Wie sorge ich <strong>für</strong> Ergebnissicherung, passende<br />

Speicherung, arbeitsökonomische Beurteilung<br />

und Rückmeldung.<br />

1.5 Welche Mathematik-Lehrenden<br />

verstehen genug?<br />

Die Mathematik in Schule und Hochschule wird<br />

durch Computer enorm bereichert. Dieses ist <strong>für</strong><br />

die Teilnehmer dieser Tagung oft schon eine anderthalb<br />

Jahrzehnte alte Erfahrung und hat vor<br />

vielen Jahren zum „Arbeitskreis <strong>für</strong> <strong>Mathematikunterricht</strong><br />

und Informatik“ geführt.<br />

Aber „<strong>im</strong> Lande“ ist diese Erkenntnis noch<br />

nicht hinreichend weit verbreitet. Er gibt bedeutende<br />

regionale Unterschiede, aber auch an ein<br />

und derselben Schule ist das Erfahrungsspektrum<br />

mitunter breit. Auch nach Schularten muss man<br />

unterscheiden.<br />

Leider gehören oft auch die jüngeren Lehrkräfte<br />

zu den Unerfahrenen, denn an den Hochschulen<br />

ist die Wichtigkeit einer entsprechenden<br />

Ausbildungskomponete zum Teil auch heute noch<br />

nicht erkannt. Man hat den Eindruck, dass „die<br />

Schulen“ da sogar weiter sind als die Hochschulen<br />

<strong>im</strong> Allgemeinen.<br />

Häufig mangelt es trotz entsprechender Angebote<br />

der Hochschulen in der Lehrerausbildung<br />

auch am Interesse der Studierenden. Sie glauben,<br />

Schule könne so bleiben, wie sie sie selbst erlebt<br />

haben. Es gibt auch Studierende, die das Lehramt<br />

wählen um „dem Computer“ zu entkommen.<br />

Als Schreibwerkzeug ist der Computer heute<br />

unumstritten, als Mathematikwerkzeug ist sein<br />

Potenzial bei weitem nicht ausgelotet. Das übertriebene<br />

„Einb<strong>im</strong>sen“ von Fertigkeiten, die man<br />

mit Computer in wenigen Minuten erledigt, ga-<br />

172<br />

rantiert keine mathematische Kompetenz. Das Argument,<br />

dass die „Abnehmer“ das so wollten, ist<br />

zwar leider wahr, aber dennoch eine Ausflucht,<br />

denn man hat es versäumt, die „Abnehmer“ in der<br />

Wandlungsprozess von <strong>Mathematikunterricht</strong> einzubeziehen.<br />

Außerdem ist ?so die Teilnehmer dieser<br />

Arbeitsgruppe- ja sogar anzunehmen, dass bei<br />

gewandeltem Unterricht auch die von den „Abnehmern“<br />

nachgefragten Kompetenzen erworben<br />

würden.<br />

Viele gute Ansätze sind aber zu beobachten<br />

und die in dieser Hinsicht innovativen Lehrkräfte<br />

an Schule und Hochschule erweitern langsam<br />

aber stetig ihren Wirkungskreis.<br />

Soweit zur Verbreitung des Einsatzes von<br />

Computern <strong>im</strong> MU. Wenn man allerdings das<br />

Programmieren-Können oder das Programmier-<br />

Verständnis <strong>im</strong> Sinne der obigen Ausführungen<br />

betrachtet, so reduziert sich die Zahl der entsprechend<br />

kompetenten Lehrenden wohl nochmals<br />

drastisch. Sogar unter denen mit Fakultas<br />

<strong>für</strong> Mathematik und Informatik gibt es<br />

leider viele, die keine oder kaum Computer-<br />

Mathematikwerkzeuge einsetzen.<br />

Programmier-Kompetenzen aber geben dem<br />

Lehrenden Freiheit <strong>für</strong> eigene <strong>Ideen</strong> und das ist<br />

allemal gut <strong>für</strong> nachhaltiges Lernen.<br />

1.6 Wie kann man Akzeptanz und<br />

Verständnis steigern?<br />

Hier geht es also überhaupt erstmal um Comptereinsatz<br />

<strong>im</strong> MU. Das Progammier-Verständnis ist<br />

sicher nachgeordnet. Um dessen eventuelle Vermittlung<br />

hat sich diese Arbeitsgruppe noch keine<br />

Gedanken gemacht.<br />

• Computereinsatz <strong>im</strong> MU muss in der Lehrerausbildung<br />

verpflichtendes Element werden, am<br />

besten integriert in alle Veranstaltungen. Das<br />

ist durchaus möglich: siehe http://www.<br />

mathematik-verstehen.de<br />

• Die Prägung der Lehramt-Studierenden durch<br />

den erlebten MU ist aufzubrechen.<br />

• Die Studienseminare sollten die Kompetenzen<br />

der Referendare gezielt fördern.<br />

• Schulinterne LFB regen das Gespräch unter den<br />

Kollgen an. Die psychologische Schwelle kann<br />

<strong>im</strong> Kreis der Kollegen erniedrigt werden. Der<br />

Austausch von Erfahrungen und Material am eigenen<br />

Arbeitsplatz ist sehr effektiv.<br />

• Tagungen (MNU, GDM, Lehrertag auf der<br />

GDM-Tagung,. . . ) ermutigen die innovationsbereiten<br />

Lehrkräfte und haben eine wichtige<br />

Multiplikatorenwirkung.<br />

• Unterstützung seitens der Schulleitungen, der<br />

Schulämter und Kultusministerien ist unerlässlich.<br />

Sie müssen in die Pflicht genommen werden,<br />

ihre <strong>im</strong> Amt befindlichen Lehrer weiterzubilden.


Arbeitsgruppe: Wieviel Programmieren-Können braucht man in der Mathematiklehre?<br />

• Durch Landeslizenzen könnte der finanzielle<br />

Druck auf die einzelnen Schule gemildert werden.<br />

• Materialien sind hilfreich. Es ist inzwischen<br />

viel Gutes erschienen, oft in Zusammenarbeit<br />

mit Teilnehmern gerade dieses Arbeitskreises<br />

der GDM. Eine wichtige Quelle <strong>für</strong> Publikationen<br />

ist die T 3 -Gruppe (http://www.<br />

t3deutschland.de).<br />

• Die Richtlinien und die Schulbücher müssen<br />

dementsprechende Anregungen geben und die<br />

allgemein verfügbaren Werkzeuge (GTR,TK,<br />

CAS, DMS, DGS) integrieren.<br />

• Die Zentralen Prüfungen müssen Aufgabentypen<br />

enthalten, die besser bewältigt werden,<br />

wenn der Unterricht Coputerwerkzeuge eingesetzt<br />

hat.<br />

• Eine wesentliche Komponente der Mathematik-<br />

Werkzeuge ist die Ermöglichung von Erkundung<br />

und selbstbest<strong>im</strong>mem Lernen.<br />

Als Fazit wurde festgestellt, dass durch „PI-<br />

SA“ in der Öffentlichkeit gerade ein <strong>für</strong> Wandlungen<br />

<strong>im</strong> MU offenes Kl<strong>im</strong>a herrscht, das man <strong>im</strong><br />

Sinne der genannten Ziele nutzen müsse.<br />

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