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6.ZT_Dezember_2012.pdf

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Buchtipp<br />

Welche Spuren werde ich hinterlassen? Wie verbinde ich mein Leben mit der<br />

Zukunft der Nachgeborenen? Welche Werte kann ich vermitteln? Ein Buch<br />

über zentrale Fragen der Babyboomer-Generation, der Menschen, die heute in<br />

der Mitte des Lebens stehen. Etwas hervorbringen, das über die eigene Existenz<br />

hinausreicht, einen Beitrag zu einer lebenswerten Welt leisten - das ist ein<br />

wachsender Wunsch im reifen Erwachsenenalter, aber auch eine Herausforderung<br />

in Zeiten des Jugendlichkeitskultes und rasanten Wertewandels.<br />

der Wissenschaft, beginnt mit der<br />

Strukturierung dessen, was ist. Forschen<br />

ist zunächst Ordnen, und die<br />

daraus entstehenden Taxonomien<br />

sind die Basis des Wissens. Wissenschaftsgeschichte<br />

ist seit Aristoteles<br />

vor allem die Geschichte der<br />

großen Ordnungssysteme. Solche<br />

Ordnungen liegen wie ein unsichtbares<br />

Netz über allen Wissensgebieten.<br />

In der Sprache ist die Grammatik<br />

ein solches Netz, und jeder<br />

Schüler schlägt sich mit diesem und<br />

vielen anderen wichtigen Systemen<br />

herum. Jahreszahlen und Epochen<br />

ordnen die Geschichte, und in den<br />

Naturwissenschaften bilden die<br />

großen Ordnungsschemata das Erkenntnisraster:<br />

In der Biologie zum<br />

Beispiel die Gliederung von Linné,<br />

in der Chemie das periodische<br />

System der Elemente, entdeckt von<br />

Meyer und Mendelejev.<br />

Wissenschaftsgeschichte erscheint<br />

so als die Geschichte eines Fortschreitens<br />

von Ordnung zu Ordnung.<br />

Dieses Fortschreiten kann<br />

in Sprüngen stattfinden, im chaotischen<br />

Umsturz von Revolutionen<br />

oder in behutsamen Evolutionen.<br />

Ordnungen werden entdeckt oder<br />

durchgesetzt. Und sie werden häufig<br />

wieder verworfen und aufgegeben.<br />

Der Wissenschaftshistoriker<br />

Thomas Kuhn beschrieb in seiner<br />

bahnbrechenden Arbeit über den<br />

Wandel im menschlichen Denken<br />

und Forschen, wie eine alte<br />

Ordnung, die disziplinäre Matrix,<br />

durch eine neue abgelöst wird: Unter<br />

dem Druck neuer Erkenntnisse<br />

verflüssigen sich alte Problemlösungsmodelle<br />

und ein Paradigmenwechsel<br />

wird eingeleitet. Und<br />

der Philosoph Michel Foucault beschreibt<br />

in seiner „archäologischen<br />

Wissenschaftsgeschichte“ mit dem<br />

Titel Die Ordnung der Dinge, dass<br />

Wissen weniger das Resultat von<br />

rationalen Denkprozessen ist, sondern<br />

von mehr oder weniger zufälligen<br />

Entdeckungen und von politischen<br />

Machtverhältnissen. Beides<br />

bestimmt die jeweiligen diskursiven<br />

Strukturen. Veränderungen<br />

in der „Ordnung der Dinge“ sind<br />

im Grunde Transformationen von<br />

Seinsformen.<br />

„Denken ist das Ordnen des Tuns“,<br />

schrieb der Entwicklungspsychologe<br />

Hans Aebli. Der menschliche<br />

Geist ist eng verknüpft mit der zentralen<br />

Fähigkeit zum Ordnen, und<br />

das heißt nichts anderes als Überlegen,<br />

Antizipieren, Planen, mit dem<br />

Ziel, seine Handlungen einigermaßen<br />

rational und geregelt durchzuführen.<br />

Das ordnende Strukturieren<br />

ist die eigentlich menschliche Metafähigkeit,<br />

die zentrale kognitive<br />

Leistung: Es kommt darauf an, immer<br />

und überall Muster und Regelmäßigkeiten<br />

erkennen und zu einer<br />

Ordnung zu finden, selbst dort, wo<br />

keine ist.<br />

Denn Ordnungen und Strukturen<br />

sind kein Selbstzweck. Sie geben<br />

Halt, Sicherheit und Orientierung.<br />

Die Ordnung ist der feste Boden,<br />

auf dem wir leben und operieren<br />

können. Sie ist der Rahmen unseres<br />

Denkens und Tuns, und sie ist deshalb<br />

„das halbe Leben“. Was aber<br />

ist die andere Hälfte? Bei genauerer<br />

Betrachtung: die Unordnung, die<br />

Emotion, das Chaos. Man könnte<br />

auch sagen: die empfundene (neudeutsch:<br />

„gefühlte“) Unordnung<br />

und Unberechenbarkeit der Natur<br />

(die jedoch ihre eigene innere Ordnung<br />

hat) zwang den Menschen<br />

zur Kultur, zu Neu-Ordnungen,<br />

die ihm das Leben erleichterten,<br />

wenn nicht überhaupt erst ermöglichten.<br />

Der Gegensatz von Natur<br />

und Kultur (und damit der von relativer<br />

Unordnung und relativer<br />

Ordnung) begleitet den Menschen<br />

seit seiner Menschwerdung, denn<br />

er selbst vereint und verkörpert in<br />

sich beides, mal als produktive Polarität,<br />

mal als schmerzhaften Widerspruch.<br />

Kulturgeschichte lässt sich begreifen<br />

als das Spiel mit den Formen<br />

und Ausbildungsgraden menschlicher<br />

Ordnungen, und die Ästhetik<br />

ist der ewige und sichtbarste Umschlagplatz<br />

zwischen den beiden<br />

Sphären von Ordnung und Chaos:<br />

Wie viel Ordnung ist edel, hilfreich<br />

und gut - und wie viel ist<br />

erdrückend, erstarrt, unfruchtbar?<br />

Wie viel Unordnung braucht der<br />

Mensch, um menschlich zu bleiben,<br />

und wann verschlingt ihn das<br />

Chaotische?<br />

Zukunft-Training 12/2011 17

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