6.ZT_Dezember_2012.pdf
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
ist, Alles veraltet so schnell, dass<br />
die Gegenwart schrumpft, es besteht<br />
eine schier unendliche Fülle<br />
verschiedener Lebensformen, die<br />
Geschlechtsrollen verändern sich<br />
in wachsendem Maße, Bindungen<br />
und Verbindlichkeiten nehmen ab<br />
zugunsten einer Individualisierung<br />
– und: nach dem Ende der traditionellen<br />
„großen Deutungssysteme“<br />
suchen Menschen individuell nach<br />
Sinn.<br />
Das sind die Prozesse, die mit<br />
Schlagworten wie „Individualisierung“,<br />
„mobile Gesellschaft“ oder<br />
„Netzwerkgesellschaft“ beschrieben<br />
werden. An die Stelle von sozialen<br />
Strukturen, die auf Dauer angelegt<br />
sind, treten für Richard Sennett<br />
wandelbare Netzwerke mit flüchtigen<br />
sozialen Beziehungen.<br />
Was meint die Persönlichkeitspsychologie<br />
als eigentliche Wissenschaft<br />
der Person? Sie stellte schon<br />
immer große und wichtige Fragen:<br />
Warum sind wir so, wie wir sind? Alles<br />
vererbt, gar evolutionär bedingt?<br />
– oder situativ, gesellschaftlich und<br />
kulturell? Ist unsere Persönlichkeit<br />
ein Leben lang stabil – oder kann<br />
sich jeder Mensch nachhaltig verändern?<br />
Sind wir frei – oder determiniert?<br />
Ist jeder von uns wirklich<br />
einzigartig – oder sind wir „Gleiche<br />
unter Gleichen“?<br />
Ein Jahrhundert lang konnte die Persönlichkeitspsychologie<br />
diese und<br />
andere existentielle Fragen nicht<br />
beantworten: viele Bruchstücke und<br />
dutzende unvereinbarer Theorien<br />
ergaben kein taugliches Modell des<br />
Menschen.<br />
Dies gilt auch für die in den letzten<br />
Jahren als internationaler Durchbruch<br />
gefeierte Big Five-Theorie:<br />
Ihr Postulat lebenslang stabiler<br />
Fundamente scheint im Lichte<br />
neuer Studien hinfällig geworden.<br />
Ordnung und Perspektive für das<br />
verworrene Puzzle um die Persönlichkeit<br />
könnte das visionäre Rahmenmodell<br />
„New Big Five“ des<br />
Persönlichkeitspsychologen Dan<br />
McAdams bringen. Er will die ehemalige<br />
Königsdisziplin der Psychologie<br />
wieder fit machen für ihre<br />
uneingelöste historische Mission:<br />
Psychologen und anderen Verhaltensforschern<br />
den Weg zum ganzen<br />
Menschen zu weisen.<br />
Wir halten uns an das vom amerikanischen<br />
Persönlichkeitspsychologen<br />
Dan McAdams vorgelegte Modell<br />
der „New Big Five“ mit seinen<br />
fünf Dimensionen Natur und Kultur,<br />
Traits, PACs und Life Stories.<br />
Demnach können wir unsere Mitmenschen<br />
ebenso sehr viel besser<br />
begreifen wie wir unsere individuelle<br />
Persönlichkeit nachhaltiger verstehen<br />
und entwickeln, wenn wir<br />
1. unser mehr oder weniger<br />
festgelegtes evolutionäres Erbe zusammen<br />
mit den Bedingungen unserer<br />
Kultur und Umwelt als Rahmenfaktoren<br />
beachten,<br />
2. uns in diesem Rahmen mit<br />
unseren Traits als charakteristischen,<br />
lebenslang prägenden Verhaltensdispositionen,<br />
unseren PACs<br />
als situationsabhängigen Handlungen,<br />
Motiven und Werten beschäftigen<br />
und<br />
3. uns sehr viel bewusster als<br />
jemals zuvor mit unseren ganz persönlichen<br />
Life Stories und Lebenserzählungen<br />
befassen.<br />
Die Früchte des sprichwörtlich<br />
ganzheitlichen Unterfangens sind<br />
verheißend: verstärktes Wohlbefinden,<br />
verbesserte Leistungs- und<br />
Schaffungsfreude und vergrößerte<br />
Lebensfreude.<br />
Diese drei Bereiche sind die Pflicht,<br />
die wir alle besser oder schlechter zu<br />
absolvieren haben: Unsere Dispositionen<br />
und Traits zu leben, im Alltag<br />
situationsangemessene Denk- und<br />
Handlungsmuster mit entsprechenden<br />
Zielen, Motiven und Werten zu<br />
finden und ebenso kluge wie spannende<br />
Lebenserzählungen zu finden,<br />
die dem Ganzen sprichwörtlich<br />
Sinn und Zweck verleiht.<br />
Ohne diese großen Drei – Traits,<br />
PACs und Life Stories – geht es<br />
nicht: Sie sind notwendige Grundlage<br />
einer Kür und integrierten Persönlichkeitsentwicklung,<br />
die Nietzsche<br />
mit dieser paradoxe Prämisse<br />
charakterisierte: Werde, der Du bist!<br />
Dabei geht es um das Werden unserer<br />
Persönlichkeit und unseres<br />
Selbst, das Können, Wollen und<br />
Dürfen umfasst: das Können im<br />
Sinne einer allgemeinen Kompetenz-<br />
und Ressourcenentwicklung,<br />
das durch unsere persönlichen Ziele,<br />
Motive und Werte bestimmte<br />
Wollen, und das als weitreichende<br />
Integration von Traits, PACs und<br />
Life Stories verstandene Dürfen und<br />
Gestalten der eigenen Persönlichkeit<br />
und des individuellen Lebens.<br />
Dr. Andreas Huber<br />
(Auszug aus dem 2012 erscheinenden<br />
Buch von Helmut Fuchs<br />
und Andreas Huber: Ein Rose ist<br />
eine Rose ist eine Rose: Selbst,<br />
Persönlichkeit und Charakter im<br />
21. Jahrhundert.<br />
Zukunft-Training 12/2011 45