und Leseprobe (PDF) - Vandenhoeck & Ruprecht
und Leseprobe (PDF) - Vandenhoeck & Ruprecht
und Leseprobe (PDF) - Vandenhoeck & Ruprecht
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Traugott Holtz, Die Offenbarung des Johannes<br />
6 Einleitung<br />
Das gleiche gilt auch für alle anderen Abschnitte, die einen mehr oder<br />
weniger starken Eindruck einer gewissen Selbständigkeit machen, angefangen<br />
von der Epiphanie 1, 12–20 über die Theophanie Kap. 4 bis hin zur<br />
Beschreibung des Neuen Jerusalems 21, 9–22, 5. Sie mögen z.T. zunächst<br />
selbständig ausgearbeitet sein, jedenfalls unter Verwendung dem Verfasser<br />
überkommenen Traditionsmaterials unterschiedlichen Charakters <strong>und</strong> zu<br />
verschiedenen Zeitpunkten; aber alle sind sie von Johannes bearbeitet <strong>und</strong><br />
(erst) durch ihn zu einem einheitlichen Werk zusammengefügt worden,<br />
ohne daß man wirklich begründet zwischen zwei oder mehr selbständigen<br />
Stufen („Auflagen“) unterscheiden könnte. Daß zu den überkommenen<br />
Traditionen, die Johannes in die Gestaltung seines Buches einarbeitet,<br />
auch solche der christlichen Gemeinde (bis hin zur Jesus-Überlieferung;<br />
s. z.B. 3, 3; 16, 15) gehören, ist selbstverständlich <strong>und</strong> hat in christologischen<br />
Aussagen zentrale Bedeutung. Gerade dort aber zeigt sich der<br />
eigene reflektierte Umgang mit der überkommenen Tradition besonders<br />
deutlich.<br />
Ein hervorstechendes literarisches Organisationsprinzip ist die Sieben,<br />
auch wenn die Stoffülle nicht zwingend durch sie beherrscht zu sein erscheint.<br />
Dazu entfaltet diese zu stark eine eigene Dynamik, die auf Vollständigkeit<br />
drängt.<br />
4. Das visionäre Element<br />
Mit der Frage nach der Form verbindet sich die nach dem visionären Element,<br />
das der Verfasser für seine Darstellung beansprucht. Sie zu beantworten<br />
ist überaus schwierig, in jedem Fall nur mehrschichtig möglich. Ein<br />
Blick etwa in die erste Ausgabe der vollständigen Lutherbibel von 1534<br />
zeigt, daß kein anderes Buch der Heiligen Schrift mit so vielen Bildern<br />
ausgestattet ist wie Offb. Das ist ein Zeichen ihrer visuellen Dynamik.<br />
Reflexion <strong>und</strong> Vision schließen sich nun aber nicht aus, gerade im Bereich<br />
künstlerischer Gestaltung, wie beeindruckende Zeugnisse von Autoren<br />
literarischer Werke ausweisen, die vom Umgang mit ihren (fiktiven) Gestalten<br />
berichten. So darf man auch für den Verfasser der Offb visionäre<br />
Erfahrungen bei der Arbeit an seinem freilich im Ganzen sorgfältig theologisch<br />
<strong>und</strong> literarisch durchdachten Text nicht ausschließen. Sie zu isolieren<br />
<strong>und</strong> vielleicht gar psycho(-patho)logisch zu analysieren ist allerdings<br />
weder möglich noch angemessen. Dominant ist fraglos die Reflexion<br />
von Form <strong>und</strong> Inhalt bei der Verarbeitung überkommener, verbindlicher<br />
Traditionen im Dienst der eigenen Erfahrung <strong>und</strong> Überzeugung angesichts<br />
der geschichtlichen Situation, in die die Gemeinde des Christus<br />
ohne die Möglichkeit eigener aktiver Gestaltung hineingerissen ist.<br />
© 2012, <strong>Vandenhoeck</strong> & <strong>Ruprecht</strong> GmbH & Co. KG, Göttingen<br />
ISBN Print: 9783525513873 — ISBN E-Book: 9783647513874