20.11.2013 Aufrufe

Gesetzeskraft - Hans-Joachim Lenger

Gesetzeskraft - Hans-Joachim Lenger

Gesetzeskraft - Hans-Joachim Lenger

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

schaft, Entscheidung usw.); jede Dekonstruktion dieses<br />

begrifflichen Netzes, dieser in einer gewissen Form vorgegebenen<br />

oder vorherrschenden Begriffe kann einer Entla<br />

stung der Verantwortung, einem Beitrag zur Vergrößerung<br />

der IJnverantwortlichkeit ähneln und zwar gerade in dem<br />

Augenblick, in dem die Dekonstruktion einen Zuwachs an<br />

Verantwortung fordert. rü/ann immer die Dekonstruktion<br />

einem Axiom den Kredit entzieht oder aufkündigt (dies ist<br />

ein strukturell notwendiges Moment), kann man des Glaubens<br />

sein, daß es für die Gerechtigkeit keinen Platz mehr<br />

gibt, weder {ür die Gerechtigkeit selbst noch für das theoretische<br />

lnteresse, das den Problemen der Gerechdgkeit entgegengebracht<br />

wird. Dieses Moment der Auitündigung,<br />

der Suspension, diese Zeir d.er Epocbd, ohne die in der Tat<br />

keine Dekonstruktion möglich ist, sind beängstigend, doch<br />

wer wird behaupten, daß er gerecht ist, wenn er die Angst<br />

ausspart? Das Moment beängstigender Suspension, das<br />

auch den Zvrischenraum der Verräumlichung darstellt, in<br />

denen juridisch-politische Verwandlungen, ja Revolutionen<br />

stattfinden, vermag einzig in der Forderung nach einem Zuwachs<br />

an Gerechtigkeit, nach einem Gerechtigkeits-Supplement<br />

(also einzig in der Erfahrung einer IJnangemessenheit,<br />

eines Sich-nicht-Anpassens, einer unberechenbaren<br />

Disproportion) seinen Grund haben und den ihm eigenen<br />

Zug oder die ihm eigene Stoßkraft finden. Denn woher<br />

würde die Dekonstruktion ihre Kraft schöpfen, woher<br />

vrürde sie ihre Gewalt nehmen, woher würde sie ihren Bewegungsimpuls<br />

oder ihre Motivierung haben, wenn nicht<br />

von diesem immer unzufriedenen Ruf, von dieser nie zufriedenzustellenden<br />

Forderung, jenseits der vorgegebenen und<br />

überlieferten Bestimmungen dessen, was man in bestimm<br />

ten Zusammenhängen als Gerechtigkeit, als Möglichkeit<br />

der Gerechtigkeit bezeichnet? Doch es bedarf noch einer<br />

Deutung dieser Disproportion. Venn ich sage, daß ich<br />

nichts kenne, was gerechter und angemessener ist als jenes,<br />

1z<br />

was ich heute Dekonstruktion nenne (ich sage nicht, daßich<br />

nichts kenne, was so legal und so legitim ist), so weiß ich,<br />

daß ich damit unvermeidlich etwas sage, was überraschend<br />

und anstößig klingt, nicht bloß für die mit Bestimmtheit<br />

aufrretenden Gegner der Dekonstruktion (oder dessen, was<br />

sie sich unter diesem Namen vorstelien), sondern auch für<br />

jene, die als ihre Anh;inger, als ihre praktischen Vertreter<br />

gelten, für jene, die sich dafür ausgeben. lch sage es aiso<br />

nicht, zumindest nicht auf direkte Weise und ohne mich<br />

zuvor au{ einige Umwege zu begeben, um die nötige Vorsicht<br />

walten zu lassen.<br />

'Wie Sie wissen, hat in vielen Ländern eine der für das<br />

Gesetz oder für die Au{erlegung und Durchsetzung des<br />

Staatsrechts grund Iegenden Gewalttaten darin bestanden,<br />

daß man den nationalen oder ethnischen Minderheiten, die<br />

cin Staat zusammenfaßt, eine Sprache auferlegt hat; dies ist<br />

in der Vergangenheit so gewesen und ist heute immer noch<br />

so. ln Frankreich ist mindestens zweimal eine solche Gewalt<br />

angetan worden! zunächst, als der Erlaß von Villers-Cotterer<br />

die Einheit des monarchischen Staates ge{estigt hat:<br />

dieser Erlaß hat das Französische als juridisch-administrative<br />

Sprache aulerlegt und verboten, daß das Lateinische,<br />

die Sprache des Rechts oder der Kirche, es allen Einwohnern<br />

des Königtums erlaubt, sich durch einen vermittelnden<br />

und übersetzenden Anwalt in einer gemeinsamen Sprache<br />

vertreten zu Iassen, ohne Au{erlegung des Französischen,<br />

das noch eine besondere, partikulare Sprache war. Es<br />

stimmt freilich, daß das Lateinische bereits etwas Gewaltsames<br />

an sich hatte und daß aus solcher Sicht de. Übe.ga.,g<br />

vom Lateinischen zum Französischen nichts anderes gewe<br />

sen ist als de. Übergang von einer Gewalt(tat) zur anderen.<br />

Das zweite bedeutende Moment der Auferlegung war das<br />

der Französischen Revolution, als die sprachliche Vereinheitlichung<br />

manchmal pädagogische Züge annahm, die<br />

äußerst unterdrückend, in jedem Fall ausgesprochen autori-<br />

41

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!