Gesetzeskraft - Hans-Joachim Lenger
Gesetzeskraft - Hans-Joachim Lenger
Gesetzeskraft - Hans-Joachim Lenger
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
geeignet sind, wenn sie nur als einem natürlichen und ungeschichtlichen<br />
Zweck gemäß sich erweisen. Sie schreibt vor,<br />
Mittel zu beurteilen, das heißt ihre Angemessenheit an ein<br />
Recht zu beurteilen, das gerade eingerichtet wird: an ein<br />
neues (nicht natürliches) Recht, das sie im Zusammenhang<br />
mit den Mitteln und folglich aufgrund einer Kritik der<br />
Mittel abschätzt und bewertet. Beide Traditionen haben jedoch<br />
eine dogmatische Voraussetzung gemein: die, daß man<br />
einen gerechten Zweck mit angemessenen, berechtigten, gerechten<br />
Mitteln erreichen kann: »Das Naturrecht srrebt,<br />
durch die Gerechtigkeit der Zwecke die Mittel zu ,recht{ertigen.,<br />
das positive Recht durch die Berechtigung der Mittel<br />
die Gerechtigkeit der Zwecke zu,garartieren.." (S. r8o)So<br />
kreisen also die beiden Traditionen in demselben Kreis dogmatischer<br />
Voraussetzungen. Es gibt keinerlei Lösung für<br />
die Antinomie, wenn ein li(iderspruch zwischen gerechten<br />
Zwecken und berechtigten Mitteln aufraucht. Das positive<br />
Recht soll der Unbedingtheit der Zwecke gegenüber blind<br />
sein, das Naturrecht ist es gegenüber der Bedingtheit der<br />
Mittel. Obwohl er beide Traditionen gleichermaßen abweist<br />
und ihre Symmetrie aufdeckt, behält Benjamin vom positiven<br />
Recht und seiner Tradition den Sinn für die Geschichtlichkeit<br />
des Rechts zurück. Allerdings tri{ft umgekehrt zu,<br />
daß jenes, was Benjamin später dann zur göttlichen Gerechtigkeit<br />
äußert, nicht durchgängig mit dem theologischen<br />
Hintergrund oder \Wesen aller naturrechtlichen Konzeptionen<br />
unvereinbar ist. §fie es auch sei: Benjamins Kritik der<br />
Gewalt erhebt den Anspruch, über beide Traditionen hinauszugehen;<br />
sie will nicht Iänger der Sphäre des Rechts<br />
angehören, sie will nicht mehr von einer Interpretation abhängen,<br />
die in die juridische Institution einbezogen ist. Sie<br />
hat ihren Ort in einer "Geschichtsphilosphie"<br />
(ein Ausdruck,<br />
den Benjamin in einem sehr bestimmten, eigentümlichen<br />
Sinne gebraucht) und begrenzt sich explizit auf die<br />
europäischen Gegebenheiten.<br />
nichts Überraschendes mehr -<br />
In seiner grundlegendsten Verfassung tendiert das europäische<br />
Recht dazu, die individuelle Gewalt zu verbieten<br />
und sie in dem Maße zu verurteilen, in dem sie nicht dieses<br />
oder jenes Gesetz bedroht, sondern ,die Rechtsordnung"<br />
selber. Daher das Interesse des Rechß - denn das Recht hat<br />
ein Interesse daran, sich selber zu setzen und zu erhalten; es<br />
ist daran interessiert, das Interesse, das es ja gerade - und zu<br />
Recht - repräsentiert, seinerseits zu repräsentieren. Das Interesse<br />
des Rechts kann "überraschend"<br />
anmuten (so Benjamins<br />
eigener Ausdruck); soweit das Recht aber in seinem<br />
Wesen, in seiner Natur Interesse ist, muß es - daran ist<br />
die individuelle Gewalt ausschließen,<br />
die seine Ordnung bedroht; das Recht muß also<br />
die Gewalt monopolisierer, (Gewab't' im Sinne von Autorität).<br />
Es besteht ein "Interesse<br />
des Rechts an der Monopoli<br />
sierung der Gewalt" (S. r83). Dieses Monopol tendiert<br />
nicht dazu, diesen oder jenen Rechtszweck in Schutz zu<br />
nehmen, sondern dazu, das Recht selber zu beschützen.<br />
I)em Anschein nach handelt es sich hierbei um eine tautologische<br />
Trivialität. lst indes die Tautologie nicht die phänomenale<br />
Struktur einer bestimmten Gewalt des Rechts, das<br />
sich selbstsetzt, indem es dekretiert, daß alljenes gewaltsam<br />
(ungesetzlich, dem Gesetz äußerlich) ist, was es nicht anerkennt?<br />
Perfornative Tautologie oder Synrhese a priori, die<br />
die Struktur einer Gesetzesgrundlegung bildet einer Gesetzesgrundlegung,<br />
die wie jede andere Grundlegung auch<br />
die Möglichkeit schaf{t, auf performative 'üeise die Konvertionen<br />
zu erzeugen, die die Gültigkeit des Performativums<br />
sichern, dem sich die Mittel verdanken, über die<br />
Legalität der Gewalt zu entscheiden. Die Begriffe der Tautologie,<br />
der Synthese a prioti und vor allem jenes Performativums<br />
sind nicht dem Benjaminschen Sprachgebrauch entlehnt;<br />
ich wage es aber, zu glauben, daß sie seine Absichr<br />
nicht verraten.<br />
Die bes,undernde Faszination, welche "die Gestalt des<br />
72