20.11.2013 Aufrufe

Gesetzeskraft - Hans-Joachim Lenger

Gesetzeskraft - Hans-Joachim Lenger

Gesetzeskraft - Hans-Joachim Lenger

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

"allein<br />

würde, wäre keine freie Entscheidung, sie wäre eine programmierbare<br />

Anwendung oder ein berechenbares Vorgehen.<br />

Sie wäre vielleicht rechtens, nicht aber gerecht. Im<br />

Augenblick der Suspension, der der Augenblick des Unenrscheidbaren<br />

ist, ist sie allerdings ebensowenig gerecht, da<br />

allein eine Entscheidung gerecht sein kann (um den Sarz<br />

eine Entscheidung kann gerecht sein. zu rechtfertigen,<br />

muß man keineswegs die Entscheidung auf die Struktur<br />

eines Subjekts oder auf die propositionelle Form eines<br />

Urteils beziehen). Hat sie sich der Prüfung des Unentscheidbaren<br />

unterzogen, hat sie dessen Erfahrung gemacht,<br />

gehören Prüfung und Erfahrung zur Vergangenheit (ist dies<br />

möglichl), so hat die Entscheidung wieder eine Regel befolgt,<br />

so hat sie sich selbst erneut eine Regel vorgegeben;<br />

sie hat eine Regel erfunden oder wieder erfunden, wieder<br />

behauptet und ist gegenurirtig, in der Gegenled.rt nicht länger<br />

voll und ganz gerecht. Vie es scheint, kano man niemals<br />

sagen, daß eine Entscheidung jetzt, im gegenwärtigen<br />

Augenblick vollkommen gerecht ist: entweder hat man sich<br />

noch nicht entschieden und dabei eine Regel befolgt (nichts<br />

erlaubt uns in diesem Fall, zu sagen, die Entscheidung sei<br />

gerecht) - oder man hat schon eine Regel befolgt - empfangen,<br />

bestätigt, erhalten, wieder erfunden -, die ihrerseirs<br />

nicht absolut verbürgr werden kann; wäre diese Regel eine<br />

verbürgte Regel, wäre also die Entscheidung eine verbürgte<br />

Entscheidung, so häme sie sich in ein Berechenbares verwandelt,<br />

und man könnte wiederum nicht sagen, sie sei<br />

gerecht. Deshalb ist die Erfahrung, die Prüfung des Unentscheidbaren,<br />

durch die, wie ich gerade ausgeführt habe, jede<br />

Entscheidung hindurch muß, die den Namen einer Entscheidung<br />

verdient, niemals ein Vergangenes. überholtes<br />

oder Überschrittenes, sie ist nie ein in Jer Entscheidung,<br />

durch die Entscheidung a af ge lt ob e n e s't Moment. Jeder Entscheidung,<br />

jeder sich ereignenden Entscheidung, jedem<br />

Entscheidungs-Ereignis wohnt das Unentscheidbare wie<br />

,o<br />

ein Gespenst inne, wie ein wesentliches Gespe[st. Sein Gespensterhaftes<br />

dekonstruiert im [nneren iede Gegenwarts-<br />

Versicherung, jede Gewißheit, jede vermeintliche Kriteriologie,<br />

welche die Gerechtigkeit einer Entscheidung (eines<br />

Entscheidungs-Ereignisses) (ver)sichert, ja welche das Entscheidungs-Ereignis<br />

selbst sicherstellt. V'er wird jemals<br />

(ver)sichern können, daß sich eine Entscheidung als solche<br />

ereignet hat? Daß sie nicht auf diesem oder ienem Umweg<br />

einem Grund, einem Zweck, einem Rechmhandel, einer Berechnung,<br />

einer Regel Befolgt ist - ohne diese kaum wahrnehmbare<br />

Suspension, die jede freie Entscheidung auszeichnet,<br />

im Augenblick, da eine Regel angewendet oder<br />

nicht angewendet wird?<br />

Die gesamte subjektale Axiomatik der Veranrwortung,<br />

des Bewußtseins, der lntentionalität, der Eigenschaft und<br />

des Eigenen, Eigentümlichen, die den gegenwärtig vorherrschenden<br />

juridischen Diskurs und die Kategorie der<br />

Entscheidung (die Bestellung medizinischer Gutachten einbegriffen)<br />

bestimmt, ist derart anfällig und theoretisclr<br />

grobschlächtig, daß man darauf nicht eigens hinweisen<br />

muß. Die Auswirkungen dieser Begrenztheit sind konkret<br />

und auffällig genug, um ein Aufzählen von Beispielen überflüssig<br />

erscheinen zu lassen.<br />

Diese zweite Aporie oder diese zweite Gestalt der nämlichen<br />

Aporie macht bereits deutlich, daß die Dekonstruktion<br />

des Glaubens an die bestimmende Gewißheit einer<br />

gegenv/ärrigen Gerechtigkeir selber von der "Idee der Gerechdgkeit",<br />

von der Idee einer unendlichen Gerechtigkeit<br />

ausgeht: unendlich ist diese Gerechtigkeit, weil sie sich<br />

nicht reduzieren, auf etwas zurückführen läßt, irreduktibel<br />

ist sie, weil sie dem Anderen gebührt, dem Anderen sich<br />

verdankt; dem Anderen verdankt sie sich, gebührt sie vor<br />

jedem Venragsabschluß, da sie vom Anderen aus, vom Anderen<br />

her gekommen, da sie das Kommen des Anderen ist,<br />

dieses immer anderen Besonderen. In meinen Augen ist<br />

,I

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!