Gesetzeskraft - Hans-Joachim Lenger
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setzung« (S. r98)2r und der Macht als Prinzip "aller mythischen<br />
Rechtsetzung" (ebd.) zu tun.<br />
Das Vort "Kritik" imTitel Zur Kritih der Geutah't zeigt<br />
nicht einfach eine negative Bewertung an, ein legitimes Verwerfen<br />
oder Verurteilen der Gewalt, sondern ebenfalls eine<br />
Urteilsfindung, eine Abwägung, eine Untersuchung, die<br />
sich selbst mit den erforderlichen Mitteln ausstattet, um die<br />
Gewalt zu beurteilen. In dem Maße, in dem der Begrif{ der<br />
Kritik eine Entscheidung und eine Frage beinhaltet (eine<br />
Entscheidung in Gestalt des Urteils, eine Frage nach dem<br />
Recht, etwas zu [be]urteilen), hängt er wesentlich, in seinem<br />
Wesen selbst mit der Sphäre des Rechts zusammen. Im<br />
Grunde verhält es sich dabei ein wenig so wie in der kantischen<br />
Tradition des Kritikbegriffs. Der Begriff der Gewalt<br />
ermöglicht eine bewertende, abwägende Kritik nur in der<br />
Sphäre des Rechts und der Gerechtigkeit oder in der der<br />
"sittlichen<br />
Verhältnisse". Es gibt keine natürliche oder physische<br />
Gewalt. Im übertragenen Sinne kann man freilich von<br />
Gewalt sprechen, wenn ein Erdbeben sich ereignet oder sogar<br />
wenn man körperlichen Schmerz empfindet. Man bleibt<br />
aber dessen gewahr, daß es sich dann nichttm eite GewaLt"<br />
handelt, die, einem wie immer auch beschaffenen Justizapparat<br />
gegenübergestellt, ein Urteil herbeiführen kann. Der<br />
Begriff der Gewalt gehört der symbolischen Ordnung des<br />
Rechts, der Politik und des Sittlichen an. Allein in dieser<br />
Hinsicht kann er einer Kritik stattgeben. Bis jetzt hat sich<br />
diese Kritik stets dem Raum, den die Unterscheidung zwischen<br />
Mitel und Zweck beherrscht, eingefügt. Dagegen<br />
wendet Benjamin ein, daß die Frage, ob die Gewalt ein Mittel<br />
zz einem (gerechten oder ungerechten) Zweck sein kann,<br />
r.rns bereits daran hindert, die Gewah selber zu beurteilen,<br />
:r Sämdiche Senenzahlen, die nach Znaten in Klammern beicelüst werden, beziehen<br />
s;ch auf Benjamins Knnk det Geoalt. ZnieLt wird dabel folgende<br />
Ausgabe: \üalte. Benjantin, Zur Kritih det Geoal, \n: ders., GesanmeLte<br />
Schriftcn, Band ll.r, heretrsseseben von Rolf Tiedemaon und Hermann<br />
Schweppenhäuser, Frankfurt am Main r971<br />
Liber sie selbst ein Urteil zr.r sprechen. Die Kriteriologie uml,r1lt<br />
in diesem Falllediglich die Gewaltanwendung, nicht die<br />
Gcwalt selber: es läßt sich nicht ausmachen, ob die Gewalt<br />
,rls Mittel in sicä seller berechtigt oder unberechtigt, gerecht<br />
ocler r:ngerecht, sittlich oder unsittlich ist. Die kritische<br />
Irrage bleibt folglich offen: die Frage nach einer Bewertung<br />
rund Rechtfertigung der Gewalt selber, unabhängig davon,<br />
ob sie ein bloßes Mittel ist und welchen Zwecken sie dient.<br />
l)ie naturrechtliche Tradition soll, so Benjamin, diese kriti<br />
sche Dimension ausgeschlossen haben. Der Rekurs auf gerv:rltsame<br />
Mittel erscheint den Ver{echtern des Naturrechts<br />
lieineswegs als fraglich, da die natürlichen Zwecke gerecht<br />
sind. Dieser Rekurs ist genauso gerechtfertigt und gev/öhn-<br />
Iich wie das "Rechtn des Menschen, seinen Körper zu bewegen,<br />
um ein Ziel zu erreichen. Aus solcher Sicht ist die<br />
(lewalt ein "Naturprodukt.. Benjamin führt einige Beispiele<br />
an, welche diese "Naturalisierung"<br />
(dieses Zur-Natur-Verden)<br />
der Gewalt, die das Naturrecht bewirkt, belegcn<br />
sollen:<br />
a) den auf dem Naturrecht gründenden Staat, von dem<br />
Spinoza im Tbeologisch-poLitiscben Trahtat redet; vor Äbschluß<br />
eines vernun{tgemäßen Vertrages übt der Bürger<br />
,lieses Staats de jwre err,e Gewalt aus, die er de facto rnelriu:<br />
b) die ideologische G rundlage d.er terreur (Benjamin sagt:<br />
Lles<br />
"Terrorismus")<br />
in der Französischen Revolution;<br />
c) die ausbeutenden Verwertungen eines bestimmten Darrvinismus<br />
(was später auf den Nazismus übertragen werden<br />
lii)nnte) usw.<br />
'Wenn aber die Überlieferung des positiven Rechts im Gescnsatz<br />
zum Naturrecht dem geschichtlichen §(erden, dem<br />
d,rs Recht unterworfen ist, eine größere Aufmerksamkeit<br />
schenkt, so bleibt auch sie diesseits der kritischen BefragLrng,<br />
die Benjamin fordert, die durch ihn erforderlich wird.<br />
()hne Zv,,eifelkann sie nicht davon ausgehen, daß alle Mittel<br />
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