Gesetzeskraft - Hans-Joachim Lenger
Gesetzeskraft - Hans-Joachim Lenger
Gesetzeskraft - Hans-Joachim Lenger
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
implikation der Gewalt und des Rechts zu denken, nehmen<br />
sich die üblichen Kritiken naiv und inkonsequent aus. Benjaminverbirgt<br />
keineswegs die Verachtung, die er den Deklamationen<br />
des pazifistischen Aktivismus und den Proklamationen<br />
"eines<br />
geradezu kindischen Anarchismus", der die<br />
Person von jedem Zwang befreien möchte (S. r87), entgegenbringt.<br />
Die Bezugnahme auf den kategorischen Imperativ<br />
("Handle so, daß Du die Menschheit sowohl in Deiner<br />
Person als in der Person eines jeden Anderen jederzeit zugleich<br />
als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest"<br />
[S. r 8 7]) reicht nicht aus, so unan{echtbar sie auch sein mag.<br />
Mit der ihm eigenen Gewalt beansprucht das Recht, eben<br />
die Menschheit als Zweck anzuerkennen und zu verteidigen,<br />
und zwar in der Person eines jeden einzelnen. Eine rein<br />
moralische Kritik der Gewalt erweist sich also als ebenso<br />
ungerecht{ertigt wie ohnmächtig, Aus denselben Gründen<br />
kann man die Gewalt auch nicht im Namen der Freiheit<br />
kritisieren, im Namen dessen, was Benjamin hier die "gestaltlose<br />
,Freiheit." nennt, das heißt im Namen einer bloß<br />
formellen Freiheit, einer Freiheit, die eine leere Form ist -<br />
Benjamin folgt einer hegelianisch-marxistischen Ader; sie<br />
fehlt in seinem Gedankengang keineswegs. Den angeführten<br />
Angriffen au{ die Gewalt geht die Pertinenz und die<br />
'Wirksamkeit ab, weil sie mit dem gesetzlichen §flesen des<br />
Rechts, mit der nicht vertraut sind. Eine<br />
"Rechtsordnung.,<br />
wirksame Kritik muß dem Rechtskörper selbst entgegentreten,<br />
ihn an Haupt und Gliedern anfechten, statt bloß die<br />
Gesetze und die besonderen Rechtsbräuche anzugreifen,<br />
die das Recht in den Schutz seiner Macht nimmt. Die<br />
Rechtsordnung ist so eingerichtet, daß es ein einziges<br />
"nur<br />
Schicksal. (S. r87) - nur ein einziges Geschick, nur eine<br />
einzige Geschichte - gibt. Dieser Begriff des Schicksals (des<br />
Schicksals selbst oder seiner vollkommenen Einzigartigkeit)<br />
ist ein Schlüsselbegriff des Textes, aber auch einer der<br />
dunkelsten. Das Bestehende und jenes, was das Bestehende<br />
88<br />
I'r'rlr r rl rr cl.rs Drohende gehören "unverbrüchlich"<br />
derse l-<br />
I'tu ()nlnung an (S. r88); diese Ordnung ist ,'unverbrüchlr,lr-.<br />
wcil sic cinzigartig ist. Man kann ihr alleit in ibrem<br />
/rrrrr'r ll (lcwalt zu{ü ge4 allein in ibrem Inneren kanr' man<br />
.r,. vt.r'lctzcn odcr übertreten. Die Vorstellung einer Drolrrrrrli<br />
ist rrn d ieser Stelle wichtig, auch sieläßtsich abernicht<br />
,.r rrl,r.lr bcstimmen: die Drohung kommr nämlich nicht von<br />
.rrrlicr. l)irs Recht ist drohend und wird zugleich von sich<br />
.,,.ll,sr Lreclroht. Eine solche Drohung hat nicht den Sinn der<br />
Iirrrelriiclrterung oder der Abschreckung, wie die Pazifi-<br />
.r,.rr, rlic Anarchisten oder die Aktivisten annehmen. Das<br />
( , t,sct z ist drohend wie das Schicksal. Um Zugang zu finden<br />
zrrr:r "ticl.sten Sinn in der Unbestimmtheit der Rechtsdrolrrrrrg"<br />
(S. r 88) gilt es, das Iüesen des Schicksals zu betrachtr.rr,<br />
rlrs den Ursprung dieser Drohung bildet.<br />
lrrr Zugc ciner Betrachtung des Schicksals, die auch eine<br />
A rr.rlvsc der Polizei, der Todesstrafe, der parlamentarischen<br />
l irrriclrtungen ist, unterscheidet Benjamin dann zwischen<br />
ll,ttlithcr und menschlicher Gewalt, zwischen einer göttlr,<br />
lrcn ()cwalt, die das Recht zerstöfi, und einer mythischen<br />
( ,( \v.rll, die das Recht begründet.<br />
I )ic lcchtserhaltende Gewalt, die Drohung, die nicht ein-<br />
',. lriillrtcrt, ist eine (Be)drohung des Rechts - sie stammt<br />
r ,,rrr llccht her und sie bedroht es. Im Bereich der Stra{en, in<br />
,llr 'lirLlcs"^trafe liegt hier ein werwoller Hinweis. Benjamin<br />
., lrcint rlrvon auszugehen, daß die Diskurse gegen das<br />
l(c,lrr .ruf Bestrafung und die Todesstrafe oberflächlich<br />
.,',r,1, urr.l daß dieser Umstand kein Zufall ist. Denn sie ver-<br />
[,.rrrrcn cin für die Definirion des Rechts wesentliches<br />
A r i,,rrr. Velches ? Nun - wenn man die Todesstrafe angreift,<br />
lr,L lrtct men nicht eine Strafe unter vielen an, sondern das<br />
l(ci lrr sclbst in seinem Ursprung, in seiner eigenen Ordrrrr<br />
rr11. \flenn cine gewaltsame, gewalrtätige Setzung den Urll,nrrß<br />
(lcs I{echts bildet, so erscheint sie dort am deutlr,<br />
lntcrr uncl lm reinsten, wo die Gewalt absolut ist, wo sie<br />
89