Gesetzeskraft - Hans-Joachim Lenger
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,großen. Verbrechers" (S. r8j) aufdas Volk ausübt, läßt sich<br />
so erklären: Die heimliche Bewunderung wird nicht von<br />
jemandem erregt, der ein bestimmtes Verbrechen begangen<br />
hat, sondern von jemandem, der das Gesetz herausfordert,<br />
der ihm trotzt und die Gewalt der Rechtsordnung selbst<br />
bloßlegt. Auf diese Veise könnte man auch die Faszination<br />
erklären, die in Frankreich der RechtsanwaltJacques Vergös<br />
ausübt: Vergös übernimmt die Verreidigung bei den schwierigsten<br />
Fällen, dann, wenn es sich in den Augen der Mehrheit<br />
um unhaltbare und unenrägliche Angelegenheiten handelt;<br />
er praktiziert, was er die "Strategie<br />
des Risses oder des<br />
(Ab)bruchs" lscrarigie de ruptwreJ rennt das heißt er macht<br />
der bestehenden Rechtsordnung ihre Legitimitär streitig, er<br />
stellt die gesetzliche Autoriät, die Macht der Justiz und<br />
schließlich die rechtmäßige Autorität und Macht des Staates,<br />
der seine Klienten vor dem Gesetz erscheinen läßt,<br />
radikal in Abrede. Der Angeklagte erscheint vor der gesetzlichen<br />
Autorität, ohne (vor ihr) zu erscheinen; er beansprucht<br />
das Recht, der Rechtsordnung ihr Rechr streitig<br />
machen zu können. Doch um welche Rechtsordnung geht<br />
es? Geht es um die Rechtsordnung im allgemeinen oder um<br />
eine spezifische Rechmordnung, die ein bestimmter Sraar<br />
eingesetzt und "enforced" har? Oder um die Ordnung, die<br />
mit dem Staat im allgemeinen sich deckt?<br />
Das unterscheidende, diskriminierende Beispiel ist hier<br />
wohl das des Streikrechts. Benjamin merkt an, daß im KIassenkampf<br />
das Streikrecht den Arbeitern garanrierr wird:<br />
neben dem Staat sind sie also das einzige "Rechtssubjekt",<br />
das die Garantie eines "Rechrs<br />
auf Gewalt" erhält und das<br />
folglich an dem Monopol partizipiert, welches der Staat in<br />
dieser Hinsicht innehat. Manche haben dagegen eingewendet,<br />
daß das Streiken, diese Unterlassung von Handlungen,<br />
dieses Nicbt-Handelz't nicht als Gewalt bezeichnet werden<br />
darf, weil es eben keine Handlung ist. Dies dient dann als<br />
Rechtfertigung für die Einräumung des Streikrechts, wo die<br />
Staatsgewalt sie nicht mehr umgehen kann. Die Gewah wird<br />
,rus solcher Sichr vom Arbeitgeber ausgeübt; der Streik besteht<br />
nur in einer Abkehr, in einem Sich-Endernen, das<br />
kcineswegs gewaltsam ist und durch das der Arbeiter, der<br />
die Beziehungen zum Unternehmer und zu seinen Maschinen<br />
abbricht, diesen fremd wird. Brechts späterer Freund<br />
bestimmt diese Abkehr als ' Entfremd.ung.'t. Er setzt das<br />
\(ort in Anführungszeichen. Doch offensichtlich glaubt<br />
Benjamin nicht an das Argument der Gewaltlosigkeit des<br />
Streiks. Die Streikenden stellen Bedingungen, um die Arbeit<br />
wieder aufzunehmen, sie brechen den Streik nur ab,<br />
wenn sich ein bestimmter Stand der Dinge geänderr hat.<br />
Gewalt steht also gegen Gewalt. Indem er das Streikrecht an<br />
seine eigenen Grenzen rühren Iäßt, offenbart der Begriff<br />
(das Losungswort) des Generalstreiks dessen Wesen. Der<br />
Staat erträgt dieses Bis-an-die-Grenze-Gehen nur schlecht.<br />
Er hält es für einen Mißbrauch (des Streikrechts) und behauptet,<br />
daß ein Mißverständnis vorliegt, daß die ursprüngliche<br />
Absicht falsch verstanden, falsch gedeutet worden ist<br />
und daß.das Streikrecht,so. nicht temeinr gewesen sei"<br />
(S. r84). Er kann den Generalstreik als widerrechtlich verurteilen;<br />
wenn dieser jedoch weiterhin anhält, stehen wir<br />
vor einer revolutionären Situation. Eine solche Situation isr<br />
die einzige, die es uns erlaubt, die Gleichartigkeit von Recht<br />
und Gewalt zu denken: die Gleichartigkeit der Gewalt als<br />
Ausübung des Rechts und des Rechts als Gewaltausübung.<br />
Die Gewalt ist der Rechmordnung nicht äußerlich. Sie bedroht<br />
das Recht in dessen Innerem. Sie besteht nicht wesentlich<br />
in der praktischen Kundgebung ihrer Mächtigkeir<br />
oder einer brutalen Kraft, deret Zrel das Erreichen eines<br />
lirgebnisses ist, sondern darin, daß sie eine gegebene<br />
Rechtsordnung bedroht oder zerstört; unrer den Umstänclen,<br />
um die es hier geht, bedroht oder zerstört sie also die<br />
staadiche Rechtsordnung, die das Recht au{ Gewalt (zum<br />
13cispiel das Streikrecht) zugestanden hat. Vie soll man die-<br />
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