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<strong>Mathematische</strong> <strong>Grundlagen</strong><br />

Peter Breitfeld *<br />

Störck-Gymnasium<br />

Bad Saulgau<br />

20. August 2011<br />

In den folgenden Abschnitten werden einige für die Physik wichtige Themen<br />

aus der <strong>Mathematik</strong> besprochen, die in der Schule üblicherweise zu kurz kommen.<br />

Besonders für Schüler der 11. Klasse wurde noch ein Abschnitt über Differentialund<br />

Integralrechnung aufgenommen. Der letzte Abschnitt beschäftigt sich mit Differentialgleichungen<br />

und auch ihrer numerischen Lösung.<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

1 Kegelschnitte • 5<br />

1.1 Formelübersicht • 5<br />

1.2 Ellipse • 5<br />

1.2.1 Definitionen • 5<br />

1.2.2 Eigenschaften der Ellipse • 5<br />

1.2.3 Mittelpunktsform der Ellipse • 8<br />

1.2.4 Krümmungskreis • 9<br />

1.3 Hyperbel • 10<br />

1.3.1 Definitionen • 10<br />

1.3.2 Eigenschaften der Hyperbel • 10<br />

1.4 Parabel • 12<br />

1.5 Leitlinieneigenschaft der Kegelschnitte • 14<br />

1.6 Scheitelform der Kegelschnitte • 14<br />

1.7 Mutation der Kegelschnitte • 15<br />

2 Differentialrechnung • 15<br />

2.1 Tangentensteigung und Ableitung • 15<br />

2.2 Ableitungsregeln • 16<br />

2.3 Geometrische Bedeutung der Ableitung • 18<br />

*<br />

E-Mail: phbrf@t-online.de<br />

http://www.pBreitfeld.de


Inhaltsverzeichnis<br />

2.3.1 Maxima und Minima • 18<br />

2.3.2 Krümmung einer Kurve • 18<br />

2.3.3 Ableitung in Polarkoordinaten • 19<br />

2.3.4 Bogenlänge einer Kurve • 20<br />

2.3.5 Krümmungskreis • 20<br />

2.4 Die l’Hospitalsche Regel • 21<br />

3 Integralrechnung • 21<br />

3.1 Stammfunktionen • 21<br />

3.2 Begriff des Integrals • 22<br />

3.3 Der Hauptsatz • 23<br />

3.4 Integrationsregeln • 24<br />

3.4.1 Produktintegration • 25<br />

3.4.2 Substitutionsmethode • 25<br />

3.4.3 Partialbruchzerlegung • 26<br />

3.5 Beispiele zur Integration • 28<br />

4 Approximierung – Taylorreihen • 31<br />

4.1 Das Taylorpolynom • 31<br />

4.2 Die Taylorsche Reihe • 32<br />

4.3 Taylorentwicklung wichtiger Funktionen • 32<br />

4.4 Entwicklung um andere Punkte • 33<br />

5 Differentialgleichungen • 33<br />

5.1 Trennung der Variablen • 34<br />

5.2 Totale Differentialgleichung • 34<br />

5.3 Integrierender Faktor • 36<br />

5.4 Lineare Differentialgleichungen • 37<br />

5.4.1 Etwas Theorie zur linearen DGL • 37<br />

5.4.2 Lösung der linearen DGL erster Ordnung • 38<br />

5.4.3 Lösung der linearen DGL mit konstanten Koeffizienten • 39<br />

5.4.4 Superposition linearer DGL • 46<br />

5.4.5 Einige direkte Ansätze für partikuläre Lösungen • 47<br />

6 Näherungsverfahren für Differentialgleichungen • 51<br />

6.1 Numerische Integration • 51<br />

6.1.1 Die Trapezregeln • 51<br />

6.1.2 Fortgesetzte Halbierung • 53<br />

6.2 Numerische Lösung von Differentialgleichungen • 55<br />

6.2.1 Differentialgleichungen erster Ordnung • 55<br />

6.2.2 Gleichungssysteme und DGL höherer Ordnung • 60<br />

2


Abbildungsverzeichnis<br />

Abbildungsverzeichnis<br />

1 Die Ellipse • 6<br />

2 Die Hyperbel • 10<br />

3 Die Parabel • 12<br />

4 Tangentensteigung • 15<br />

5 Krümmungskreis • 20<br />

6 Integral und Flächeninhalt • 22<br />

7 Numerische Integration • 51<br />

8 Richtungsfeld der dgl von Gleichung (83) • 56<br />

Tabellenverzeichnis<br />

1 Wichtige Formeln bei Kegelschnitten • 6<br />

2 Reihenentwicklung wichtiger Funktionen • 33<br />

3 Runge-Kutta-Schema • 61<br />

3


1. Kegelschnitte<br />

In der Physik tauchen die Kegelschnitte auf als Bahnen von Körpern, die sich unter dem<br />

Einfluss einer Kraft der Form<br />

F(r) = kr<br />

r <br />

bewegen. Die wichtigsten Fälle sind die Gravitation mit k = −GMm und die Coulombkraft<br />

mit k = qQ/(4πε). Schon dies zeigt, dass Kegelschnitte sehr häufig auftretenden Kurven<br />

sind.<br />

Es gibt drei Kegelschnitte: Ellipsen (mit dem Kreis als Sonderfall), Parabeln und Hyperbeln.<br />

In Polarkoordinaten lassen sich alle mit einer einzigen Formel ausdrücken:<br />

r =<br />

p<br />

1 + ε cos φ<br />

(1)<br />

Dabei entscheidet der Wert der (numerischen) Exzentrizität ε über die Art des Kegelschnitts<br />

und der Wert des Parameters p, der gleich der Ordinate im Brennpunkt ist, über<br />

seine Größe. Es gilt:<br />

0 ⩽ ε < 1 ∶ Ellipse, für ε = 0 ein Kreis<br />

ε = 1 ∶ Parabel<br />

ε > 1 ∶ Hyperbel<br />

1.1. Formelübersicht<br />

In der Formelübersicht von Tabelle 1 werden die wichtigsten Beziehungen der Kegelschnitte<br />

zusammengestellt. Die Herleitungen folgen in den weiteren Abschnitten.<br />

1.2. Ellipse<br />

1.2.1. Definitionen<br />

In Abb. 1 ist das Schaubild einer Ellipse mit ε = 0, 5 und p = 1 gezeichnet.<br />

Die Punkte F und F ′ sind die Brennpunkte der Ellipse, M ist der Mittelpunkt, P ist das<br />

Perizentrum, in diesem Punkt ist die Entfernung r p = FP von F am kleinsten, entsprechend<br />

ist A das Apozentrum mit dem größten Abstand r a = FA von F. Die Strecke AM = PM<br />

ist die große Halbachse a, die Strecke MB die kleine Halbachse b. Die Strecke p = FR ist der<br />

Parameter der Ellipse. MF ist die lineare Exzentrizität e der Ellipse.<br />

1.2.2. Eigenschaften der Ellipse<br />

Es sollen nun die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Größen dargelegt<br />

werden.<br />

5


1 Kegelschnitte<br />

Tab. 1 Wichtige Formeln bei Kegelschnitten<br />

Mittelpunktsform<br />

Ellipse Parabel Hyperbel<br />

x y<br />

+<br />

a b = 1 — x <br />

y<br />

−<br />

a b = 1 <br />

Scheitelform y = 2px + (ε − 1)x y = 2px y = 2px + (ε − 1)x <br />

p<br />

p<br />

Große Halbachse a a =<br />

— a =<br />

1 − ε ε − 1<br />

p<br />

p<br />

Kleine Halbachse b<br />

= a√1 − ε —<br />

= a√ε − 1<br />

√1 − ε √ε − 1<br />

lineare Exzentrizität e = √a − b = ε a — e = √a + b = ε a<br />

Krümmungskreisradius a<br />

p = b<br />

a<br />

Perizentrumsabstand b r p = a − e = p<br />

1 + ε<br />

Apozentrumsabstand c r a = a + e = p<br />

1 − ε<br />

p<br />

r p = p 2<br />

∞<br />

p = b<br />

a<br />

r p = e − a =<br />

p<br />

1 + ε<br />

Flächeninhalt A = πab — —<br />

Asymptotenwinkel θ — — tan θ 2 = b a = √ε − 1<br />

∞<br />

a. im Hauptscheitel<br />

b. Der kleinste Abstand eines Kurvenpunkts vom Brennpunkt<br />

c. Der größte Abstand eines Kurvenpunkts vom Brennpunkt<br />

X<br />

B<br />

R<br />

b<br />

r<br />

a<br />

p<br />

A<br />

F’ M e<br />

Φ<br />

F<br />

P<br />

a<br />

Abb. 1 Die Ellipse<br />

6


1.2 Ellipse<br />

Zunächst erkennt man, dass Punkt R zum Winkel φ = 90 ∘ gehört, dann ist aber<br />

cos φ = 0 und r = p, d. h. der Parameter ist die Ordinate im Brennpunkt. Das gilt für alle<br />

Kegelschnitte.<br />

Aus Gl. (1) folgt sofort, dass der kürzeste Abstand r p dann erreicht ist, wenn der<br />

cos φ = 1 ist, also φ = 0 und entsprechend der größte, wenn cos φ = −1 ist, also φ = π.<br />

Damit gilt<br />

r p =<br />

p r<br />

1 + ε<br />

a =<br />

p<br />

(2)<br />

1 − ε<br />

Die große Halbachse a ist a = (r p + r a ), damit gilt:<br />

a = 1 2 p<br />

1 + ε + p<br />

1 − ε = p 2<br />

⋅<br />

1 − ε + 1 + ε<br />

1 − ε =<br />

p<br />

1 − ε oder p = a(1 − ε ) (3)<br />

Der zweite Brennpunkt F ′ hat die Koordinate F ′ (r p − r a | 0) und ein beliebiger Punkt X<br />

auf der Ellipse hat die Koordinaten X(r cos φ | r sin φ), wobei r aus Gl. (1) zu nehmen ist.<br />

Hieraus folgt, dass die für die lineare Exzentrizität e gilt:<br />

r p − r a = − 2pε = −2aε ⇒ e = ε a (4)<br />

1 − ε Damit ist F ′ (−2e | 0). Nun gilt<br />

Weiter bekommt man für F ′ X:<br />

FX =<br />

p<br />

1 + ε cos φ<br />

F ′ X = (r cos φ + 2e) + r sin φ = 4e + r + 4er cos φ<br />

Setzt man hier ein: e = aε = pε/(1 − ε ) und r = p/(1 + ε cos φ), dann folgt (am besten mit<br />

einem Algebraprogramm rechnen!):<br />

F ′ X = p(1 + ε + 2ε cos φ)<br />

(1 − ε )(1 + ε cos φ)<br />

und schließlich:<br />

FX + F ′ X =<br />

2p = 2a<br />

1 − ε Damit haben wir die erste Brennpunkteigenschaft der Ellipse bewiesen:<br />

Die Summe der Entfernungen eines Ellipsenpunktes von den beiden Brennpunkten<br />

ist immer das Doppelte der großen Halbachse.<br />

Wegen der Wichtigkeit dieses Resultats noch eine zweite Herleitung. Wir zeigen, dass<br />

alle Punkte X, für die FX + F ′ X = 2a gilt, auf einer Ellipse liegen. Wir bezeichnen dazu<br />

r = FX, r = F ′ X und ∢(F ′ FX) = 180 ∘ − φ, sowie F ′ F = 2e. Die Forderung ist dann<br />

r + r = 2a. Nach dem Kosinussatz gilt nun<br />

r = r + (2e) + 4r e cos φ<br />

7


1 Kegelschnitte<br />

Ersetzt man nun r = r − 4ar + 4a , so erhält man<br />

−4ar + 4a = 4e + 4r e cos φ ⇒ a − e = r (a + e cos φ)<br />

Auflösung nach r und Ersetzen von e = aε ergibt mit Gl. (3):<br />

r = a (1 − ε )<br />

a(1 + ε cos φ) = a(1 − ε )<br />

1 + ε cos φ = p<br />

1 + ε cos φ<br />

Damit ist die Behauptung bewiesen.<br />

Da die Abszisse des Nebenscheitels B genau in der Mitte zwischen F und F ′ liegt, gilt<br />

für dessen Ordinate b nach Pythagoras:<br />

b = a − e = a − a ε = a (1 − ε )<br />

⇒ b = a√1 − ε <br />

Beachtet man noch p = a(1 − ε ), dann bekommt man schließlich:<br />

p<br />

b = a √1 − ε =<br />

(5)<br />

√1 − ε <br />

Aus der ersten Brennpunkteigenschaft kann man noch mehr folgern: Verlängert man<br />

die Strecke F ′ X über X hinaus um ein Stück der Länge FX bis zum Punkt G, dann ist<br />

FXG ein gleichschenkliges Dreieck. Die Mittelsenkrechte von FG trifft die Ellipse nur<br />

im Punkt X, deshalb ist sie die Tangente an die Ellipse im Punkt X. Daraus folgt, dass<br />

die Tangente die Winkelhalbierende des Nebenwinkels von ∢(FXF ′ ) ist. Es gilt somit die<br />

zweite Brennpunkteigenschaft der Ellipse:<br />

Die Normale in einem Ellipsenpunkt halbiert den von den Brennstrahlen<br />

eingeschlossenen Winkel.<br />

D. h. Alle von einem Brennpunkt ausgehenden Strahlen werden an der Ellipse<br />

so reflektiert, dass sie durch den anderen Brennpunkt gehen.<br />

1.2.3. Mittelpunktsform der Ellipse<br />

Es soll die Gleichung der Ellipse in kartesischen Koordinaten angegeben werden. Jeder<br />

Punkt der Ellipse hat die Koordinaten<br />

p cos φ<br />

x =<br />

1 + ε cos φ<br />

p sin φ<br />

y =<br />

1 + ε cos φ<br />

Wegen der hohen Symmetrie zum Ellipsenmittelpunkt ist zu erwarten, dass die Gleichung<br />

besonders einfach wird, wenn man den Mittelpunkt als Koordinatenursprung<br />

wählt. Dazu muss man das Schaubild um e nach rechts verschieben. Dies geschieht,<br />

indem man x durch x − e ersetzt.<br />

Im Koordinatensystem mit Ursprung in M sind also die Koordinaten eines Ellipsenpunktes:<br />

x = e +<br />

p cos φ<br />

1 + ε cos φ = pε p cos φ<br />

+<br />

1 − ε 1 + ε cos φ<br />

p sin φ<br />

y =<br />

1 + ε cos φ<br />

8


1.2 Ellipse<br />

Bildet man nun<br />

dann ergibt sich<br />

x (ε + cos φ)<br />

= und<br />

a (1 + ε cos φ) <br />

y <br />

b = (1 − ε ) sin φ<br />

(1 + ε cos φ) <br />

x y<br />

+<br />

a b = ε + 2ε cos φ + cos φ + sin φ − ε sin φ<br />

= ε cos φ + 2ε cos φ + 1<br />

= 1<br />

(1 + ε cos φ) (1 + ε cos φ) <br />

Damit haben wir die Mittelpunktsform der Ellipse<br />

1.2.4. Krümmungskreis<br />

x <br />

a<br />

<br />

+<br />

y<br />

= 1 (6)<br />

b Gesucht ist der Radius desjenigen Kreises, der im Punkt P die Ellipse am besten approximiert.<br />

Dieser Kreis wird Krümmungskreis genannt.<br />

Aus Symmetriegründen muss der Mittelpunkt dieses Krümmungskreises auf der<br />

x-Achse liegen. Er habe den Mittelpunkt K(u | 0) und den Radius ρ.<br />

Um den Krümmungskreis zu bestimmen, verwenden wir die Mittelpunktsform. Dazu<br />

schneiden wir den Kreis mit der Ellipse:<br />

Kreis:<br />

Dies in die Ellipsengleichung eingesetzt ergibt:<br />

(x − u) + y = ρ ⇒ y = ρ − (x − u) <br />

1 = x<br />

a + ρ − (x − u) <br />

b <br />

= x<br />

a<br />

b<br />

ρ x<br />

+ −<br />

<br />

2ux<br />

+<br />

b b <br />

⇒ a b = (b − a )x + 2a ux + a (ρ − u )<br />

− u<br />

b <br />

Nun beachte man noch, dass der Krümmungskreis im Punkt P berühren muss, also<br />

muss nun u = a − ρ sein, damit hat man:<br />

Die Lösung dieser Gleichung ist:<br />

(b − a )x + 2a (a − ρ)x + a (2aρ − a ) − a b = 0<br />

x = −a (a − ρ) ± a a (a − ρ) − ((2aρ − a ) − b )(b − a )<br />

b − a <br />

Soll Berührung auftreten, dann darf diese Gleichung nur eine Lösung haben, die beiden<br />

möglichen Schnittpunkte müssen also zusammenfallen. Dazu muss die Diskriminante<br />

Null werden:<br />

0 = a − 2a ρ + a ρ − (2aρ − a )(b − a ) + b (b − a ) = (b − aρ) ⇒ ρ = b<br />

a<br />

Damit haben wir den Radius des Krümmungskreises ermittelt:<br />

ρ = b<br />

a<br />

= p (7)<br />

9


1 Kegelschnitte<br />

1.3. Hyperbel<br />

1.3.1. Definitionen<br />

X<br />

r<br />

B<br />

R<br />

e<br />

p b<br />

Φ<br />

F P a S<br />

F F’<br />

Abb. 2 Die Hyperbel<br />

In Abbildung 2 ist das Schaubild der Hyperbel für p = 2, 25 und ε = 1, 25 gezeigt. In<br />

der Abb. 2 entsteht der zweite Ast durch Punktspiegelung an S, so wie es im rechten<br />

Schaubild von Abb. 2 dargestellt ist.<br />

Man erkennt, dass Hyperbeln Asymptoten besitzen. Der Punkt F ist der Brennpunkt,<br />

P das Perizentrum, a = PS die große Halbachse, b = PB die kleine Halbachse und p = FR<br />

der Parameter. Die lineare Exzentrizität findet man als e = SB = SF wieder. Die Hyperbel<br />

kann kein Apozentrum haben, da sich die Kurve nicht schließt.<br />

1.3.2. Eigenschaften der Hyperbel<br />

Bei der Ellipse hatten wir a = p/(1 − ε ) und b = p/√1 − ε definiert. Da bei der Hyperbel<br />

aber ε > 1 ist, ergäbe dies negative Werte für a und einen imaginären Wert für b. Auf<br />

den ersten Blick ist das für Strecken nicht brauchbar, aber so schlecht ist es auch wieder<br />

nicht, denn viele für die Ellipse hergeleiteten Formeln kann man dadurch sofort auf<br />

die Hyperbel übertragen. Dies werden wir im folgenden ausnützen, indem wir in den<br />

Gleichungen der Ellipse a durch −a und b durch −b ersetzen, oder – wenn wir mit p<br />

und ε rechnen – ersetzt man 1 − ε durch ε − 1.<br />

Um positive Werte für a und b zu erhalten, muss man also definieren:<br />

p<br />

a =<br />

ε − 1<br />

p<br />

b =<br />

√ε − 1<br />

(8)<br />

10


1.3 Hyperbel<br />

Weiter in der Analogie:<br />

a + r p =<br />

p<br />

ε − 1 +<br />

p<br />

ε + 1 =<br />

Mittelpunktsgleichung<br />

pε<br />

ε − 1 = ε a = e und e = ε a = a + b <br />

Aus der Mittelpunktsgleichung (6) der Ellipse entsteht ebenso die Mittelpunktsgleichung<br />

der Hyperbel:<br />

x y<br />

−<br />

a b = 1 ⇒ y = b<br />

a (x − a ) (9)<br />

Asymptoten<br />

In der Polargleichung (1) geht r gegen Unendlich wenn der Nenner Null wird. Dies ist<br />

der Fall, wenn<br />

1 + ε cos φ = 0 ⇒ cos φ = − 1 ε ⇒ tan φ = 1 − cos φ<br />

cos φ<br />

= √ε − 1<br />

Dies ist gerade b/a. Damit gilt für den von den beiden Asymptoten eingeschlossenen<br />

Winkel θ:<br />

tan θ 2 = b a = √ε − 1 und cos θ 2 = −1 ε<br />

und sin θ 2 = 1 ε √ε − 1 (10)<br />

Dies hätte man auch aus der Mittelpunktsgleichung (9) der Hyperbel ersehen können,<br />

denn für große x geht diese in<br />

y = b<br />

a x ⇒ y = ± b x (11)<br />

a<br />

über, und das sind die Gleichungen der beiden Asymptoten.<br />

Krümmungskreis<br />

Auch der Krümmungskreisradius kann übertragen werden:<br />

Brennpunkteigenschaften<br />

ρ = −b<br />

−a = b<br />

a<br />

= p (12)<br />

Bei der Ellipse war die Summe der Längen der beiden Brennstrahlen 2a. Bei der Übertragung<br />

müsste sie −2a sein. Betrachtet man die Herleitung der Formel auf <strong>Seite</strong> 7, dann<br />

stellt man fest, dass die Übertragung auf ein negatives F ′ X führen würde, während FX<br />

unverändert bliebe, so dass man für die Brennpunkteigenschaften erhält:<br />

Die Differenz der Brennstrahlen zu einem Hyperbelpunkt ist immer 2a.<br />

Die Hyperbeltangente halbiert den von den Brennstrahlen eingeschlossenen<br />

Winkel.<br />

11


1 Kegelschnitte<br />

1.4. Parabel<br />

Die Parabel hat ε = 1. Damit ist sie der einfachste der drei Kegelschnitte. Angaben für<br />

a und b machen keinen Sinn, da in der Definition der Nenner Null wird. In der Abb. 3<br />

ist ein Schaubild gezeichnet. Die Parabel hat nur einen Ast, so dass keine Symmetrie zu<br />

zwei Achsen auftritt, sondern nur eine Symmetrie zur x-Achse.<br />

Für den Perizentrumsabstand bekommt man:<br />

r p = p 2<br />

(13)<br />

X<br />

T<br />

r<br />

R<br />

p<br />

H<br />

Φ<br />

F<br />

p<br />

<br />

2<br />

P<br />

Abb. 3 Die Parabel<br />

Scheitelgleichung<br />

Da es keinen Mittelpunkt gibt, kann man keine Mittelpunktsgleichung angeben, sondern<br />

nur eine Scheitelgleichung, bei der man den Scheitel im Ursprung wählt. Dazu setzt man<br />

wieder:<br />

Bildet man nun:<br />

y =<br />

p cos φ<br />

x =<br />

1 + cos φ − p 2<br />

p sin φ<br />

y =<br />

1 + cos φ<br />

p sin φ<br />

(1 + cos φ) = p (1 − cos φ)<br />

= p (1 − cos φ)<br />

(1 + cos φ) 1 + cos φ<br />

12


1.4 Parabel<br />

und<br />

Dann erhält man<br />

2px = 2p cos φ<br />

1 + cos φ − p = 2p cos φ − p − p cos φ<br />

= p (cos φ − 1)<br />

1 + cos φ<br />

1 − cos φ<br />

y = −2px<br />

als Scheitelform der Parabel.<br />

Diese Parabel ist, wie auch die mittels Gl. (1) entstehende, nach »links« geöffnet.<br />

Meistens gibt man die Scheitelform für nach rechts geöffnete Parabeln an, dann lautet<br />

sie:<br />

y = 2px (14)<br />

Krümmungskreis<br />

Den Krümmungskreisradius kann man hier recht einfach ausrechnen. Ein Kreis mit<br />

Radius ρ und Mittelpunkt auf der x-Achse, der durch den Scheitel geht, hat die Gleichung:<br />

(x − ρ) + y = ρ <br />

Schneidet man ihn mit der nach rechts geöffneten Parabel, dann bekommt man:<br />

(x − ρ) + 2px = ρ ⇒ x − 2x(ρ − p) = 0<br />

Diese Gleichung darf nur eine Lösung haben, nämlich x = 0. Somit muss ρ = p gelten.<br />

Damit gilt für den Krümmungskreis<br />

ρ = p (15)<br />

Tangenteneigenschaft<br />

Parabeln kennt man ja aus der Schule in der Form y = cx . Dort sind sie nach oben<br />

(oder unten für negative c) geöffnet. Sie entstehen aus der Scheitelform (Gl. (14)) durch<br />

Spiegelung an der ersten Winkelhalbierenden, also durch Vertauschung von x und y.<br />

Der Zusammenhang zwischen c und p ist dann 2p = 1/c.<br />

Die Tangente in einem beliebigen Punkt (x | y) der Parabel y = cx hat die Steigung 2cx.<br />

Ein Steigungsdreieck mit der Höhe y hat also die Grundseite<br />

cx <br />

2cx = 1 2 x<br />

Die Tangente schneidet somit die Scheiteltangente (hier die x-Achse) bei x/2. In Abb. 3<br />

gilt demnach<br />

Die Tangente im Punkt X der Parabel schneidet die Scheiteltangente in H.<br />

Der Punkt H ist der Mittelpunkt von PT.<br />

13


1 Kegelschnitte<br />

1.5. Leitlinieneigenschaft der Kegelschnitte<br />

g<br />

T<br />

F<br />

φ<br />

d<br />

r<br />

In nebenstehender Abbildung ist g die sogenannte Leitlinie,<br />

die vom Punkt F den Abstand c haben möge. Wir<br />

zeigen nun, dass die Kegelschnitte die Kurven aller der<br />

Punkte sind, für die das Verhältnis r ∶ d = ε konstant ist.<br />

(Dies kann für den Kreis mit ε = 0 nicht gelten!)<br />

Legt man zunächst den Ursprung nach F, dann gilt<br />

d = c + r cos φ und damit<br />

r<br />

d =<br />

r<br />

= ε ⇒ r(1 − ε cos φ) = εc<br />

c + r cos φ<br />

Setzt man hier noch εc = p, dann bekommt man bis auf das Minus vor dem ε genau<br />

die Gleichung (1):<br />

p<br />

r =<br />

(16)<br />

1 − ε cos φ<br />

Man kann sich überlegen, dass diese Gleichung denselben Kegelschnitt wie Gl. (1)<br />

darstellt, nur diesmal »nach rechts« geöffnet.<br />

1.6. Scheitelform der Kegelschnitte<br />

Nicht nur für die Parabel, sondern auch für Ellipse und Hyperbel lässt sich eine Scheitelform<br />

angeben. Dazu setzt man diesmal den Ursprung in den Scheitel, der um das Stück<br />

r p = p/(1 + ε) links von F liegt. Für die kartesischen Koordinaten eines Punktes gilt dann<br />

auf Grund der Leitlinieneigenschaft mit den Bezeichnungen von Abschnitt 1.5<br />

(x − r p ) + y = ε (c + x) <br />

Nun war c = p/ε der Abstand von Leitlinie und Brennpunkt. Der Abstand von Scheitel<br />

und Leitlinie ist c − r p und das ist:<br />

Damit bekommt man:<br />

c − r p = p ε −<br />

(x − r p ) + y = ε p<br />

<br />

ε(1 + ε) + x <br />

p<br />

1 + ε = p<br />

ε(1 + ε)<br />

<br />

<br />

= ε r p<br />

ε + x = r p + 2εr p x + ε x <br />

y = −x + 2r p x − r p + r p + 2εr p x + ε x = (ε − 1)x + 2xr p (1 + ε)<br />

= (ε − 1)x + 2xp<br />

Damit haben wir die Scheitelform der Kegelschnitte:<br />

y = 2px − (1 − ε )x (17)<br />

14


1.7 Mutation der Kegelschnitte<br />

1.7. Mutation der Kegelschnitte<br />

Die Parabel ist eine Art »Trennkurve« zwischen Ellipsen und Hyperbeln. Hält man<br />

nämlich den Brennpunkt fest und lässt ε von 0 an immer größer werden, dann bekommt<br />

man immer langgestrecktere Ellipsen, wenn ε gegen 1 geht. Der Perizentrumsabstand<br />

nähert sich dem Grenzwert p/2 für Ellipsen und der Apozentrumsabstand geht gegen<br />

Unendlich.<br />

Sobald der Wert ε = 1 erreicht ist, schließt sich die Ellipse nicht mehr und man hat<br />

die Grenzlage der Parabel, die noch keine Asymptoten hat. Eine weitere Erhöhung des<br />

Wertes von ε ergibt nun Hyperbeln. Der Perizentrumsabstand ist jetzt immer kleiner<br />

als p/2. Bei den nun entstehenden Hyperbeln bilden die beiden Asymptoten für ε-Werte<br />

sehr nahe bei 1 zunächst fast eine Gerade (vgl. Gl. (10)). Mit weiter wachsendem ε<br />

schließen die Asymptoten dann immer größere Winkel ein, und im Grenzfall ε → ∞<br />

fallen die Asymptoten und die Brennpunkte zusammen und die Hyperbel entartet zu<br />

einer Geraden.<br />

2. Differentialrechnung<br />

Die Differentialrechnung versucht, eine Funktion in der Umgebung eines Kurvenpunktes<br />

durch ihre Tangente, also eine lineare Funktion zu approximieren. Dadurch kann man<br />

kleine Änderungen der Funktion durch lineare Funktionen ausdrücken.<br />

2.1. Tangentensteigung und Ableitung<br />

P<br />

x 0<br />

dx = ∆x<br />

Q<br />

dy<br />

∆y<br />

Abb. 4 Tangentensteigung<br />

Um die Steigung der Tangente in P zu bestimmen, betrachtet<br />

man zunächst die Sehne PQ. Ihre Steigung entnimmt<br />

man dem Steigungsdreieck zu<br />

m s = Δy<br />

Δx = f(x + Δx) − f(x )<br />

Δx<br />

(18)<br />

Nun rückt man den Punkt Q immer näher an den Punkt<br />

P heran, indem man Δx immer kleiner macht. Dadurch<br />

wird die Sehne immer mehr zur Tangente. Die Tangente<br />

ist also die Grenzlage der Sehne für Δx → 0. Dadurch<br />

erhält man als Steigung der Tangente:<br />

Δy<br />

m t = lim<br />

Δx→ Δx = lim f(x + Δx) − f(x )<br />

Δx→ Δx<br />

(19)<br />

Diese Steigung der Tangente an der Stelle x bezeichnet man als Ableitung der Funktion<br />

an der Stelle x und schreibt für sie f ′ (x ). Den Quotienten von Gl. (18) bezeichnet man als<br />

Differenzenquotient. Eine Funktion wird differenzierbar genannt, wenn der Grenzwert (19)<br />

15


2 Differentialrechnung<br />

existiert. Alle elementaren Funktionen (Polynome, gebrochen rationale Funktionen, Wurzeln,<br />

trigonometrische Funktionen, Exponentialfunktionen, …) sind differenzierbar.<br />

Mit der Punkt-Steigung-Form der Gerade kann man nun die Gleichung der Tangente<br />

anschreiben:<br />

y = m t (x − x ) + f(x ) = f(x ) + f ′ (x )(x − x )<br />

Die Gleichung lässt sich umschreiben auf die Verwendung von Δx und dy:<br />

y − f(x ) = f ′ (x )Δx ⇒ dy = f ′ (x )dx ⇒ df(x)<br />

dx<br />

= dy<br />

dx = f′ (x ) (20)<br />

dy bezeichnet man als Differential. Es ist eine Funktion von zwei Variablen, dem Startpunkt<br />

x und dem Zuwachs dx = Δx in x-Richtung. Es gibt den Zuwachs der Tangente<br />

an, während Δy den tatsächlichen Zuwachs der Funktion angibt. Wichtig ist dabei, dass<br />

die Abhängigkeit von dx linear ist. In der letzten Gleichung ist f ′ (x) als Quotient der<br />

Differentiale dy und dx aufgefasst, deshalb nennt man f ′ (x ) auch den Differentialquotienten.<br />

Das Entscheidende ist nun, dass im Grenzfall kleiner dx aus der Differenz Δy das<br />

Differential dy wird.<br />

In der Physik stellt man sich also unter Differentialen extrem kleine Größen vor, für<br />

die man schreiben kann:<br />

dy = f(x + dx) − f(x) = f ′ (x)dx oder: f(x + dx) = f(x) + f ′ (x)dx (21)<br />

Aus Sicht der <strong>Mathematik</strong> ist das nicht sauber. Ein Größe, die kleiner ist als jede Zahl<br />

(betragsmäßig), ist Null und damit macht die obige Gleichung keinen Sinn mehr. Mathematisch<br />

sinnvoll ist nur der Differentialquotient, der Grenzwert eines Quotienten aus<br />

zwei gegen Null strebenden Größen ist. Ein solcher Grenzwert kann durchaus existieren.<br />

Was der Physiker hier macht, ist tatsächlich die Approximation der Funktion durch<br />

ihre Tangente. Dann sind dy und dx endliche Größen, für die Gl. (21) richtig ist. Dass<br />

diese Gleichung auch auf die Funktion angewendet werden kann, liegt daran, dass für<br />

sehr kleine dx Funktion und Tangente sich kaum mehr unterscheiden. Es wird also der<br />

Grenzübergang »vorweggenommen«.<br />

Der dadurch entstehende »Calculus« ist sehr mächtig. Man rechnet mit den Differentialen<br />

rum, und weil diese ja extrem klein sind, sind höhere Potenzen um Größenordnungen<br />

kleiner, so dass man alle Terme mit dx und höheren Potenzen bei der Rechnung vernachlässigen<br />

kann.<br />

2.2. Ableitungsregeln<br />

Sind u(x) und v(x) Funktionen, a und k Konstanten, dann gelten die Regeln:<br />

Summenregel: (u + v) ′ = u ′ + v ′ insbesondere (u + a) ′ = u ′<br />

Faktorregel: (k ⋅ u) ′ = k ⋅ u ′<br />

Produktregel: (uv) ′ = u ′ v + uv ′ 16


2.2 Ableitungsregeln<br />

Quotientenregel: u v ′ = u′ v − uv ′<br />

Kettenregel: (f(u(x))) ′ = f ′ (u)u ′ (x) =<br />

Umkehrfunktion:<br />

v <br />

Ableitung der inneren Fkt. mal Ableitung der äußeren Fkt.<br />

f ′ ̄ (y) = 1<br />

f ′ (x)<br />

wobei y = f(x) und x =<br />

̄ f(y)<br />

Als Beispiel für den Calculus soll die Produktregel bewiesen werden:<br />

u(x + dx)v(x + dx) = (u(x) + u ′ (x)dx)(v(x) + v ′ (x)dx)<br />

= u(x)v(x) + (u ′ (x)v(x) + u(x)v ′ (x))dx + u ′ (x)v ′ (x)dx <br />

Nach der Grundregel des Calculus werden höhere Potenzen von dx vernachlässigt, und<br />

nach Gleichung (21) ist der Faktor bei dx die Ableitung. Damit ist die Produktregel<br />

bewiesen. Genauso beweist man die anderen Regeln, etwa die Kettenregel:<br />

z = f(u) ⇒ dz<br />

dx = dz<br />

du ⋅ du<br />

dx = f′ (u)u ′ (x)<br />

Auch die Umkehrfunktion geht nach diesem Schema:<br />

y = f(x) ⇒ f ′ (x) = dy<br />

dx<br />

und x = f(y) ̄ ⇒ f ′ ̄ (y) = dx<br />

dy = 1 y<br />

x<br />

= 1<br />

f ′ (x)<br />

Die Grundformel (19) dient zur Bestimmung von Ableitungsregeln für spezielle Funktionsklassen.<br />

Es soll die Ableitung der Funktion y = f(x) = x n bestimmt werden:<br />

Somit ist nach Gleichung (21)<br />

(x + dx) n = x n + nx n− dx + Zeug mit dx und höher<br />

Ein weiteres Beispiel ist f(x) = sin x:<br />

dx n<br />

dx = nxn−<br />

Δy sin(x + Δx) − sin x sin x cos Δx + cos x sin Δx − sin x<br />

= =<br />

Δx Δx<br />

Δx<br />

sin x(cos Δx − 1) + cos x sin Δx cos Δx − 1 sin Δx<br />

= = sin x + cos x<br />

Δx<br />

Δx<br />

Δx<br />

Nun muss der Grenzübergang gemacht werden. Zunächst ist bekanntlich (im Bogenmaß<br />

rechnen!)<br />

sin Δx<br />

lim = 1<br />

Δx→ Δx<br />

denn im Bogenmaß ist Δx der Bogen im Einheitskreis und sin Δx die Ordinate. Für kleine<br />

Δx sind diese gleich.<br />

17


2 Differentialrechnung<br />

cos Δx − 1<br />

Δx<br />

=<br />

(cos Δx − 1)(cos Δx + 1)<br />

Δx(1 + cos Δx)<br />

= cos Δx − 1<br />

Δx(cos Δx + 1)<br />

= −sin<br />

Δx<br />

Δx<br />

sin Δx<br />

cos Δx + 1<br />

Der erste Faktor im letzten Ausdruck hat den Grenzwert 1, der zweite Faktor wird im<br />

Zähler Null und im Nenner 2, also hat dieser den Grenzwert Null und somit auch der<br />

ganze Ausdruck.<br />

Damit erhält man<br />

(sin x) ′ Δy<br />

= lim = sin x ⋅ 0 + cos x ⋅ 1 = cos x<br />

Δx→ Δx<br />

Die Ableitungen weiterer Funktionen findet man in allen Formelsammlungen.<br />

2.3. Geometrische Bedeutung der Ableitung<br />

Die Ableitung f ′ (x) einer Funktion gibt die Steigung der Funktion an der Stelle x an.<br />

Entsprechend gibt f ″ (x) die Steigung der Ableitungsfunktion an.<br />

2.3.1. Maxima und Minima<br />

Ist für eine Funktion in einem Intervall a ⩽ x ⩽ b die Ableitung f ′ (x) > 0, dann ist f<br />

in diesem Intervall streng monoton steigend. Dies ist sogar dann noch richtig, wenn in<br />

einzelnen, isolierten Punkten des Intervalls f ′ (x) = 0 ist. Vgl. dazu die Funktion y = x ,<br />

die streng monoton in R ist und an allen Stellen außer x = 0 eine positive Ableitung<br />

(y ′ = 3x ) hat. In anderen Worten: f ′ (x) darf nicht in einer ganzen Umgebung eines<br />

Punktes Null sein.<br />

Auf diese Weise lassen sich die Maxima und Minima der Funktion bestimmen. Ist<br />

etwa die Funktion in einem Intervall a < x < x monoton steigend im anschließenden<br />

Intervall x < x < b monoton fallend, so muss bei x ein Maximum auftreten. Da dort<br />

das Vorzeichen von f ′ (x) von Plus auf Minus wechselt, muss f ′ (x ) = 0 sein. Die analoge<br />

Überlegung gilt für die Minima.<br />

Damit hat man: Kandidaten für Maxima und Minima einer Funktion sind die Stellen<br />

x , an denen f ′ (x ) = 0 gilt. Ob an dieser Stelle tatsächlich ein Minimum oder Maximum<br />

vorliegt, muss an Hand des Vorzeichenwechsels von f ′ an der Stelle x entschieden<br />

werden. So hat etwa die Funktion f(x) = x die Ableitung f ′ (x) = 3x , für diese gilt<br />

f ′ (0) = 0, trotzdem liegt dort kein Extrempunkt vor, denn sowohl links als auch rechts<br />

der Stelle x = 0 ist das Vorzeichen von f ′ (x) positiv.<br />

2.3.2. Krümmung einer Kurve<br />

Ist in einem Intervall a < x < b die zweite Ableitung f ″ (x) > 0 dann ist f ′ (x) streng<br />

monoton steigend. Dadurch wird die Tangente an die Funktion f immer steiler. Das<br />

bedeutet, dass f eine Linkskurve ist. (Wenn man in Richtung zunehmender x auf der Kurve<br />

entlangfährt, so muss man das Steuer nach links einschlagen). Entsprechend bedeutet<br />

18


2.3 Geometrische Bedeutung der Ableitung<br />

f ″ (x) < 0 eine Rechtskurve. Stellen, an denen die Kurve von Links- auf Rechtskurve oder<br />

umgekehrt wechselt, heißen Wendepunkte.<br />

Kandidaten für Wendepunkte sind also die Stellen mit f ″ (x ) = 0. Es liegt tatsächlich<br />

ein Wendepunkt vor, wenn an dieser Stelle f ″ einen Vorzeichenwechsel hat.<br />

Etwa für f(x) = x ist f ″ (x) = 6x, somit ist f ″ (0) = 0. Für x-Werte links von Null ist<br />

f ″ (x) < 0, für solche rechts von Null dagegen f ″ (x) > 0. Es liegt also ein VZW von f ″ an<br />

der Stelle x = 0 vor, somit ist bei x = 0 ein Wendepunkt.<br />

Als Gegenbeispiel dient f(x) = x mit f ″ (x) = 12x . Zwar ist hier ebenfalls f ″ (0) = 0,<br />

somit x = 0 ein Wendepunktkandidat, aber an allen Stellen außer x = 0 ist f ″ (x) > 0, es<br />

liegt also kein VZW und somit kein Wendepunkt vor.<br />

2.3.3. Ableitung in Polarkoordinaten<br />

O<br />

φ<br />

∆φ<br />

S<br />

α<br />

Q<br />

δ<br />

µ<br />

P<br />

β<br />

Ist eine Kurve in Polarkoordinaten r = r(φ) gegeben,<br />

wie etwa die Kegelschnitte in Gl. (1) also durch den<br />

Stellwinkel φ gegenüber der positiven x-Achse und den<br />

Abstand r vom Ursprung, dann kann man r ′ (φ) nach<br />

den üblichen Ableitungsregeln berechnen. Aber r ′ (φ)<br />

ist nun nicht die Steigung der Tangente an das Schaubild.<br />

Denn nach der Grundformel (19) muss man den<br />

Grenzwert des Differenzenquotienten bilden, also<br />

dr<br />

dφ = lim Δr<br />

Δφ→ Δφ = lim r(φ + Δφ) − r(φ)<br />

Δφ→ Δφ<br />

Nun ist aber hier r(φ) = OP, r(φ + Δφ) = OQ, Δr = r(φ + Δφ) − r(φ) = SQ und für<br />

kleine Δφ ist PQS ein rechtwinkliges Dreieck mit rechtem Winkel bei S und weiter (im<br />

Bogenmaß!) SP = rΔφ.<br />

Für den Winkel δ = ∢(PQS) bekommt man damit:<br />

tan δ = rΔφ<br />

Δr<br />

Nun interessiert ja die Steigung der Tangente. Diese ist die Grenzlage der Sekante PQ,<br />

die den Steigungswinkel β besitzt. Für diesen gilt<br />

β = δ + (φ + Δφ)<br />

Im Grenzfall Δφ → 0 wird δ → μ und β → α, und man bekommt α = μ + φ, somit<br />

tan μ = r dφ<br />

dr = r(φ)<br />

r ′ (φ)<br />

(22)<br />

dabei ist nun μ der Winkel zwischen OP und der Tangente.<br />

19


2 Differentialrechnung<br />

2.3.4. Bogenlänge einer Kurve<br />

In Abb. 4 fällt die Länge des Kurvenbogens PQ für kleine dx mit der Länge der Strecke<br />

PQ zusammen. Somit kann man die Länge des Bogenelements mit dem Pythagoras<br />

ausrechnen:<br />

(Δs) = (Δx) + (Δy) ⇒ ds = dx + dy = dx 1 + dy<br />

dx <br />

<br />

Daraus folgt für das »Bogenlängenelement«:<br />

ds = <br />

1 + (f ′ (x)) dx (23)<br />

Die Länge eines endlichen Kurvenstücks bekommt man dann durch Integration der<br />

ds. Das ist Gegenstand des Abschnitts über Integration.<br />

2.3.5. Krümmungskreis<br />

M<br />

R dα<br />

dα<br />

R Q<br />

P<br />

α<br />

Abb. 5 Krümmungskreis<br />

In nebenstehender Abbildung soll der Radius R des<br />

Krümmungskreises im Punkt P bestimmt werden. Dazu<br />

betrachten wir den eng benachbarten Punkt Q. Diese<br />

Punkte liegen das Stück ds auseinander und es muss<br />

gelten:<br />

ds = Rdα ⇒ R = ds<br />

dα<br />

Nun ist aber α die Steigung der Tangente, also tan α =<br />

f ′ (x). Daraus folgt α = arctan f ′ (x). Daraus erhält man<br />

mit der Kettenregel und unter Beachtung der Ableitung<br />

arctan ′ (x) = 1/(1 + x )<br />

dα = α ′ (x)dx =<br />

f″ (x)dx<br />

1 + (f ′ (x)) <br />

Mit ds aus Gl. (23) bekommt man<br />

R = ds<br />

dα = ( 1 + (f′ (x)) )(1 + (f ′ (x)) ))<br />

f ″ = [1 + (f′ (x)) ] /<br />

(x)<br />

f ″ (x)<br />

(24)<br />

Eine entsprechende Formel lässt sich in Polarkoordinaten herleiten, sie lautet:<br />

R =<br />

(r + r ′ ) /<br />

r + 2r ′ − r r ″ (25)<br />

Eine Gerade hat den Krümmungsradius Unendlich, bei einem Kreis ist der Krümmungsradius<br />

konstant gleich dem Kreisradius, bei allen anderen Kurven hängt der<br />

Krümmungsradius vom Kurvenpunkt ab.<br />

20


2.4 Die l’Hospitalsche Regel<br />

2.4. Die l’Hospitalsche Regel<br />

Im allgemeinen bestimmt man Grenzwerte für x → ∞ durch Vernachlässigen aller<br />

Potenzen außer der höchsten in Summen, und Grenzwerte gegen endliche Stellen durch<br />

Einsetzen. Dies ist möglich, da man es meist mit stetigen Funktionen zu tun hat, für die<br />

definitionsgemäß der Grenzwert dem Funktionswert gleich ist. Bei dieser Einsetzung<br />

entstehen bisweilen Ausdrücke der Form 0/0 bzw. ∞/∞ oder 0 ∞ , die unbestimmt sind.<br />

Grenzwerte, die zu solchen Ausdrücken führen, können oft mit den Regeln von l’Hospital<br />

bestimmt werden. Nehmen wir an, es seien zwei differenzierbare Funktionen f<br />

und g gegeben, für die f(a) = 0 und g(a) = 0 ist. Es soll der Grenzwert des Quotienten<br />

f(x)/g(x) für x → a bestimmt werden. In der Nähe des Punktes a kann man schreiben:<br />

f(a + dx) = f(a) + f ′ (a)dx = f ′ (a)dx<br />

g(a + dx) = g(a) + g ′ (a)dx = g ′ (a)dx<br />

Damit gilt für den Quotienten<br />

f(x)<br />

lim<br />

x→a g(x) = lim f(a + dx)<br />

x→ g(a + dx) = lim f ′ (a)dx<br />

x→ g ′ (a)dx = f′ (a)<br />

g ′ (a) = lim f ′ (x)<br />

x→a g ′ (x)<br />

(26)<br />

Dies ist die l’Hospitalsche Regel. Würde sich rechts nochmals 0/0 ergeben, dann kann<br />

man die Aktion wiederholen, bis man einen eindeutig bestimmten Quotienten bekommt.<br />

Die Gleichung gilt genauso in dem Falle, dass f(a) = g(a) = ∞ sind, die Ableitungen<br />

aber endlich. Fälle wie 0 ∞ oder 0 (das ist unbestimmt, weil i. a. einerseits a = 1 ist,<br />

andererseits 0 x = 0) führt man gewöhnlich durch Logarithmieren auf die Form 0/0 oder<br />

∞/∞ zurück.<br />

Beispiele:<br />

cos x − 1 sin x<br />

lim = lim = 0<br />

x→ x x→ 1 1 = 0<br />

ln x<br />

lim x ln x = lim = lim<br />

x→ x→ x→<br />

x<br />

<br />

x<br />

− x <br />

= − lim<br />

x→<br />

x = 0<br />

Für x → 0 ergäbe x ln x den unbestimmten Ausdruck 0 ⋅ ∞, er wurde hier umgeschrieben<br />

auf einen Ausdruck der Form ∞/∞<br />

3. Integralrechnung<br />

3.1. Stammfunktionen<br />

Eine Funktion F heißt Stammfunktion der Funktion f, wenn F ′ (x) = f(x) gilt.<br />

Ist F irgendeine Stammfunktion von f, dann ist auch F(x) + C (mit konstantem C) eine<br />

Stammfunktion, denn beim Ableiten fällt ja C als konstanter Summand weg. Jede Funktion<br />

hat also unendlich viele Stammfunktionen, die sich aber nur um einen konstanten<br />

Summanden unterscheiden.<br />

21


3 Integralrechnung<br />

y=f(x)<br />

y y y y y y y<br />

0 1 2 3 4 5 6<br />

a= x x x x x x x =b<br />

0 1 2 3 4 5 6<br />

Abb. 6 Integral und Flächeninhalt<br />

3.2. Begriff des Integrals<br />

In Abb. 6 soll die Fläche zwischen der x-Achse und der Funktion y = f(x) zwischen x = a<br />

und x = b berechnet werden.<br />

Um eine Näherung für diese Fläche zu bekommen, teilt man sie in Streifen auf (in der<br />

Abb. 6 sind es 6 Streifen) und nimmt die Summe der Flächeninhalte der Rechtecke als<br />

Näherung für die Fläche. Wenn man die Zahl der Streifen so erhöht, dass die Breite jedes<br />

Streifens gegen Null geht, dann bekommt man als Grenzwert die gesuchte Fläche. In<br />

Abb. 6 ist die Näherung:<br />

A = y (x − x ) + y (x − x ) + y (x − x ) + y (x − x ) + y (x − x ) + y (x − x )<br />

Beachtet man, dass y k = f(x k ) ist und schreibt man Δx = x − x , Δx = x − x usw.,<br />

dann bekommt man für n Streifen:<br />

A n = f(x )Δx + f(x )Δx + ⋯ + f(x n )Δx n = f(x k )Δx k<br />

Der Grenzwert dieser A n ist nun die gesuchte Fläche:<br />

b<br />

a<br />

dy = b<br />

f(x) dx = lim f(x k )Δx k (27)<br />

a<br />

Beim Grenzübergang ist nur zu beachten, dass mit Erhöhung der Streifenzahl n auch<br />

alle Breiten Δx k gegen Null gehen, also lim n→∞ max Δx k = 0 gilt.<br />

Schaut man sich die Abb. 6 an, dann stellt man fest, dass statt f(x k ) als <strong>Seite</strong> der<br />

Rechtecke auch Rechtecke verwendet werden könnten, deren <strong>Seite</strong> irgendein f(u k ) ist,<br />

wobei x k− ⩽ u k ⩽ x k ist.<br />

Grenzwerte der Art von Gl. (27) heißen Integrale. Funktionen, für die dieser Grenzwert<br />

für jede Art der Unterteilungsfolge und jede Wahl der f(u k ) existiert und immer denselben<br />

Wert ergibt, heißen integrierbar.<br />

Als Physiker sagt man, durch Integration werden Elemente der Form dy = f(x) dx<br />

aufaddiert.<br />

n→∞<br />

n<br />

k=<br />

n<br />

k=<br />

22


3.3 Der Hauptsatz<br />

3.3. Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung<br />

Die Bestimmung der Grenzwerte in Gleichung (27) ist eine mühselige Angelegenheit.<br />

Aber alles wendet sich zum Guten, denn Integrale können mittels Stammfunktionen<br />

bestimmt werden.<br />

Um dies klar zu machen betrachten wir irgendeine Stammfunktion F der Randfunktion<br />

f. Nach der Grundformel (20) ist dann<br />

dF(x) = F ′ (x)dx = f(x)dx ⇒ ΔF(x k ) ≈ f(x k )Δx k ⇒ F(x k ) − F(x k− ) ≈ f(x k )Δx k<br />

Die Näherung ist umso besser je kleiner Δx k ist.<br />

Wendet man diese Beziehung auf die Näherungssumme A n an, dann bekommt man:<br />

A n ≈ (F(x ) − F(x )) + (F(x ) − F(x )) + ⋯ (F(x n ) − F(x n− )<br />

In dieser Gleichung heben sich alle Summanden bis auf F(x ) und F(x n ) heraus, also ist,<br />

weil x = a und x n = b ist, A n ≈ F(b) − F(a).<br />

Diese Näherung wird umso besser, je kleiner die Δx werden, also hat man für den<br />

Grenzwert:<br />

n<br />

b<br />

f(x) dx = lim f(x<br />

a<br />

n→∞ k )Δx k = F(b) − F(a) = [F(x)] b a (28)<br />

k=<br />

Dies ist der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung. Mit ihm wird das Problem<br />

der Integration auf das Auffinden einer Stammfunktion zurückgeführt. Als <strong>Mathematik</strong>er<br />

müsste man noch anfügen, dass diese Beziehung nicht immer gilt, sondern nur<br />

unter gewissen Voraussetzungen.<br />

Der Hauptsatz ist sicher dann richtig, wenn die Funktion f stetig ist. In diesem Fall<br />

kann man auch so formulieren:<br />

I a (x) = x<br />

f(ξ) dξ ⇒ I ′ a(x) = f(x)<br />

a<br />

Die Funktion I a nennt man hier die Integralfunktion. Man kann sie sich vorstellen als<br />

die Funktion die jeder Stelle x die Fläche zwischen a und x zuordnet. Unter den obigen<br />

Voraussetzungen ist also die Ableitung der Integralfunktion gleich der Randfunktion.<br />

Ist die Randfunktion f nicht im ganzen Intervall stetig, sondern nur »stückweise stetig«,<br />

dann ist zwar die Integralfunktion immer noch stetig, aber in den Trennpunkten der<br />

Stetigkeitsbereiche nicht mehr notwendig differenzierbar.<br />

Häufig kommen auch sogenannte unbestimmte Integrale vor. Ein unbestimmtes Integral<br />

ist einfach eine Stammfunktion. Man schreibt dann<br />

und nennt C die Integrationskonstante.<br />

f(x) dx = F(x) + C<br />

23


3 Integralrechnung<br />

Eine Stammfunktion zu finden, ist allerdings häufig auch nicht sehr einfach. Für<br />

viele aus elementaren Funktionen zusammengesetzte Funktionen bekommt man leider<br />

Stammfunktionen, die nicht mehr elementar dargestellt werden können. Das gilt schon<br />

für so einfach aussehende Integrale wie<br />

<br />

sin x<br />

x<br />

Da sin x/x in ihrem Definitionsbereich stetig ist, muss sie nach dem Hauptsatz eine<br />

Stammfunktion haben. Sie lässt sich allerdings nicht mehr durch elementare Funktionen<br />

ausdrücken, sondern gibt eine »neue« sogenannte »höhere« Funktion, die man Integralsinus<br />

nennt. Ihre Funktionswerte kann man mit Tabellen oder mit Computerprogrammen<br />

bestimmen. Zunächst mag man meinen, dies sei etwas besonderes, aber auch die Werte<br />

eines Logarithmus oder eines Sinus kann man nur mit dem Taschenrechner berechnen<br />

oder aus einer Funktionentafel entnehmen.<br />

3.4. Integrationsregeln<br />

Da Integration die Umkehrung des Ableitens ist (»Aufleiten«) übertragen sich die Ableitungsregeln<br />

auf das Integrieren:<br />

• Konstante Faktoren bleiben stehen.<br />

dx<br />

• Summen werden summandenweise aufgeleitet.<br />

• b<br />

= c<br />

+ b<br />

a<br />

a<br />

• b<br />

= − a<br />

a<br />

b<br />

c<br />

• Es gibt keine direkte Umkehrung der Produkt-, Quotienten und Kettenregel, sondern<br />

hier muss man kompliziertere Verfahren verwenden.<br />

Wichtige Integrale sind:<br />

x n dx = xn+<br />

n + 1<br />

(29)<br />

sin x dx = − cos x (30)<br />

cos x dx = sin x (31)<br />

<br />

dx = tan x (32)<br />

cos x<br />

1 dx = ln |x| (33)<br />

x<br />

<br />

dx = arctan x (34)<br />

1 + x 24


3.4 Integrationsregeln<br />

In Formelsammlungen stehen viele Integrale, es gibt auch Integraltafeln, die hunderte<br />

von Integralen fertig angeben. CAS-Programme können alle sehr gut integrieren.<br />

Aus der Formel (28) erkennt man, dass das Integral negativ wird, wenn im betrachteten<br />

Intervall f(x) < 0 ist. Dann verläuft die Kurve unterhalb der x-Achse, und man muss<br />

als Fläche den Betrag nehmen. Integrale sind aber nicht nur Flächen, mit ihnen kann<br />

man Volumina, Energien, Ladungen und und und …ausrechnen, und bei vielen dieser<br />

Größen sind negative Werte durchaus sinnvoll!<br />

3.4.1. Produktintegration<br />

Nach der Produktregel ist (uv) ′ = u ′ v+uv ′ . Integriert man nun beide <strong>Seite</strong>n, und beachtet,<br />

dass nach dem Hauptsatz ∫ (uv) ′ dx = uv ist, dann bekommt man die Formel für die<br />

Produktintegration, die auch partielle Integration genannt wird.<br />

u ′ v dx = uv − uv ′ dx (35)<br />

Mit dieser Regel kann man z. B. Integrale folgender Form lösen:<br />

x sin x dx<br />

Setzt man hier u ′ = sin x, v = x, dann ist u = − cos x und v ′ = 1. Setzt man diese Werte in<br />

die Produktintegrations-Formel ein, dann folgt:<br />

x sin x dx = (− cos x)x − (− cos x) ⋅ 1 dx<br />

= −x cos x + cos x dx = −x cos x + sin x<br />

Ein anderes schönes Beispiel ist die Stammfunktion von ln x. Dazu fasst man ln x als<br />

1 ⋅ ln x auf und wählt u ′ = 1, v = ln x, also u = x und v ′ = 1/x und erhält:<br />

ln x dx = x ln x − x ⋅ 1 dx = x ln x − 1 dx = x ln x − x<br />

x<br />

3.4.2. Substitutionsmethode<br />

Es soll die Stammfunktion von x(1 − x ) bestimmt werden. Hier wäre zum Ableiten<br />

die Kettenregel und die Produktregel nötig, beides gibt es aber in reiner Form beim<br />

Integrieren nicht. Man kann aber häufig durch geschickte Substitution das Integral<br />

auf eine Form bringen, für die dann eine Stammfunktion angegeben werden kann.<br />

Der wesentliche Punkt dabei ist, dass nicht nur x sondern auch dx der Substitution<br />

unterworfen werden muss.<br />

In diesem Beispiel setzen wir u = 1 − x . Dann ist du = u ′ (x)dx = −2xdx. Somit ist<br />

dx = −du/2x. Nun geht’s los:<br />

x(1 − x ) dx = xu −1<br />

2x du = −1 2 u du = − 1<br />

20 u = − 1<br />

20 (1 − x ) <br />

25


3 Integralrechnung<br />

Hätten wir hier die Stammfunktion nicht benötigt, sondern nur den Wert eines bestimmten<br />

Integrals, dann hätte man sich die Rücksetzung sparen können, indem man<br />

die Grenzen auf die neue Variable umschreibt:<br />

<br />

x(1 − x ) dx = − 1<br />

x=<br />

2 u du = − 1<br />

u= 20 u = − 1 1<br />

(0 − 1) =<br />

20 20<br />

In diesem Beispiel haben wir einen Teilausdruck des Integrals gleich u gesetzt. Im<br />

folgenden Beispiel machen wir es anders herum und setzen x gleich einer Funktion von<br />

u. Es soll die Fläche einer Ellipse berechnet werden. Für den oberen Ellipsenbogen gilt<br />

die Gleichung (Auflösen der Mittelpunktsform (6) nach y):<br />

y = b a √a − x <br />

Die Fläche unter dem oberen Ellipsenbogen ist die halbe Ellipsenfläche und berechnet<br />

sich so:<br />

A =<br />

a<br />

<br />

x=−a<br />

b<br />

a √a − x dx =<br />

π<br />

<br />

<br />

u=− π <br />

b<br />

a √a − a sin u a cos u du =<br />

π<br />

<br />

<br />

− π <br />

ab cos u du<br />

Dabei hat man x = a sin u gesetzt, dann wird dx = a cos udu. Nun muss man nur noch<br />

die Stammfunktion von cos u ermitteln. Dazu kann man etwa die Beziehung cos 2u =<br />

2 cos u − 1 heranziehen, also cos u = (1 + cos 2u). Diese hat die Stammfunktion (u +<br />

sin u cos u). Damit bekommt man für die Fläche:<br />

A = ab 2 [u + sin u cos u]+ π <br />

− π <br />

= ab 2 [(π 2 + 0) − (−π 2 + 0)] = 1 2 πab<br />

Die gesamte Fläche der Ellipse ist doppelt so groß, also πab.<br />

3.4.3. Partialbruchzerlegung<br />

Die Partialbruchzerlegung ist ein allgemeines Verfahren zur Integration gebrochen rationaler<br />

Funktionen. Es sei gegeben:<br />

f(x) = P(x)<br />

Q(x) = a + a x + ⋯ + a n x n<br />

b + b x + ⋯ + b m x m (36)<br />

Im Falle m ⩽ n führt man zuerst eine Polynomdivision aus, dann bekommt man eine<br />

ganzrationale Funktion und eine gebrochen rationale mit m > n, so dass wir uns für das<br />

Weitere auf den Fall m > n beschränken können.<br />

Das Nennerpolynom kann im Komplexen vollständig in Linearfaktoren zerlegt werden,<br />

im Reellen bleiben ggf. quadratische Faktoren übrig, die keine reellen Nullstellen mehr<br />

haben. Seien nun x k die Nullstellen von Q(x) mit der Vielfachheit ν k dann kann man Q(x)<br />

stets auf die folgende Form bringen:<br />

Q(x) = b m (x − x ) ν (x − x ) ν … (x − x k ) ν k(x + α x + β ) μ … (x + α r x + β r ) μ r (37)<br />

26


3.4 Integrationsregeln<br />

Die gebrochen rationale Funktion f(x) lässt sich nun als Summe von Partialbrüchen<br />

schreiben. Dabei gilt:<br />

1. Jeder Linearfaktor (x − x k ) der Vielfachheit ν k trägt zur Zerlegung die folgenden<br />

Summanden bei:<br />

A <br />

(x − x k ) + A <br />

(x − x k ) + ⋯ +<br />

A νk<br />

(x − x k ) ν k<br />

2. Jeder quadratische Faktor mit der Vielfachheit μ k trägt die folgenden Summanden<br />

bei:<br />

C x + D <br />

(x + αx + β) + C x + D <br />

(x + αx + β) + ⋯ +<br />

C μ k<br />

x + D μk<br />

(x + αx + β) μ k<br />

Die Linearfaktoren lassen sich sofort integrieren, bei den quadratischen geht man so vor:<br />

(x + αx + β) = x + α + δ = (δy) + δ = δ (y + 1)<br />

Hier hat man quadratisch ergänzt und δ ⋅ y = x + α <br />

ist<br />

Nun wird das Integral zu:<br />

x = δy − α 2<br />

y = x + α <br />

δ<br />

substituiert. Mit dieser Substitution<br />

dx = δ dy<br />

<br />

Cx + D 1 Cδy + D − <br />

dx = Cα<br />

(x + αx + β)<br />

μ<br />

δ μ− <br />

(y + 1) μ dy<br />

= C <br />

δμ− y dy<br />

(y + 1) μ + D − Cα <br />

δ μ− dy<br />

(y + 1) μ<br />

Für das erste der beiden verbleibenden Integrale bekommt man dann<br />

<br />

u −μ<br />

⎧<br />

y dy<br />

⎪⎪⎨⎪⎪⎩<br />

(y + 1) μ = 1 du<br />

<br />

2 u μ = = für μ = 2, 3, …<br />

2(1 − μ) (38)<br />

<br />

ln |u| für μ = 1 <br />

Hier hat man u = y + 1 gesetzt. Nun muss noch das zweite bestimmt werden.<br />

J μ = <br />

dy<br />

(y + 1) μ<br />

Für μ = 1 ist es bekannt, J = arctan y.<br />

Wir werden eine Rekursionsformel für die J μ herleiten. Wir beginnen mit der Beziehung<br />

J μ+ = (y + 1) − y <br />

(y + 1) μ+ dy = J μ − y <br />

dy<br />

(y + 1)<br />

μ+<br />

27


3 Integralrechnung<br />

Nun denken wir uns den zweiten Integranden als y⋅Rest geschrieben und integrieren<br />

partiell:<br />

y ⋅<br />

y dy<br />

(y + 1) μ+ =<br />

−y<br />

2μ(y + 1) μ + 1<br />

2μ <br />

dy<br />

(y + 1) μ =<br />

Setzt man das oben ein, so bekommt man die Rekursionsformel:<br />

Insbesondere ist dann (rechne das nach!)<br />

J = arctan y<br />

−y<br />

2μ(y + 1) μ + 1<br />

2μ J μ<br />

J μ+ = 1 − 1<br />

2μ y<br />

J μ +<br />

2μ(y + 1) μ (39)<br />

J = 1 y<br />

arctan y +<br />

2 2(y + 1)<br />

J = 3 8 y<br />

arctan y +<br />

y + 1 y<br />

+<br />

4(y + 1) <br />

J = 5<br />

16 arctan y +<br />

3.5. Beispiele zur Integration<br />

y<br />

y + 1 + 5 24 ⋅<br />

y<br />

(y + 1) +<br />

y<br />

6(y + 1) <br />

Aufgabe 1 Man bestimme die Fläche unter der Parabel y = 2x im Bereich 1 ⩽ x ⩽ 4.<br />

<br />

2x dx = 2<br />

3 x = 2 (64 − 1) = 42<br />

3<br />

Aufgabe 2 Bestimme die Formel für das Volumen einer Pyramide der Höhe h und der<br />

Grundfläche G.<br />

Man stellt sich die Pyramide aus dünnen Schichten der Dicke dx parallel zur Grundfläche<br />

aufgebaut vor. Die x-Achse legt man durch die Spitze der Pyramide, so dass die Höhe<br />

auf die x-Achse zu liegen kommt. Da die Flächen der Schichten dann durch zentrische<br />

Streckung aus der Grundfläche entstehen, hat eine Schicht im Abstand x von der Spitze<br />

die Fläche A(x), für die nach dem Strahlensatz gilt:<br />

x A(x)<br />

=<br />

h G<br />

⇒<br />

A(x) = G x<br />

h Das Volumen einer Schicht ist dann dV = A(x) dx. Das Volumen der Pyramide ist die<br />

Summe der Volumina aller Schichten, diese Summe bekommt man durch Integration:<br />

V = h<br />

<br />

dV = h<br />

<br />

G<br />

h x dx = G h ⋅ 1 3 x h = G<br />

3h (h − 0) = 1 3 Gh<br />

Aufgabe 3 Bestimme die Energie, die notwendig ist, um einen Körper der Masse m im<br />

Schwerefeld der Masse M vom Abstand R ins Unendliche zu bringen.<br />

28


3.5 Beispiele zur Integration<br />

Um den Körper das Stückchen dr vom Zentralkörper zu entfernen, braucht man die<br />

Arbeit dW = F dr, wobei F die Gravitationskraft ist. Die gesamte notwendige Arbeit ist<br />

dann:<br />

W = ∞<br />

dW = ∞<br />

R<br />

R<br />

G Mm<br />

r <br />

dr = GMm − 1 r ∞ R<br />

= GMm(0 − (− 1 GMm<br />

)) =<br />

R R<br />

Dies war ein Beispiel eines sogenannten uneigentlichen Integrals, bei solchen liegen<br />

entweder die Grenzen im Unendlichen, oder die Funktion selbst wird an einer Stelle<br />

unendlich.<br />

Aufgabe 4 Bestimme ∞<br />

e −x dx<br />

−∞<br />

Diese Aufgabe habe ich eingefügt, weil das ein wichtiges Integral ist. Seine Berechnung<br />

ist aber nicht ganz einfach, man muss einen »Umweg« machen. Zuerst schreiben wir:<br />

∞<br />

e −x dx = ∞<br />

e −x dx ∞<br />

e −y dy = ∞<br />

−∞ −∞<br />

−∞ −∞ ∞ e −(x +y ) dx dy<br />

−∞<br />

Führt man nun Polarkoordinaten ein, also x = r cos φ; y = r sin φ, dann ist das Flächenelement<br />

r dφ dr und x + y = r . Das letzte Integral wird dadurch<br />

π<br />

<br />

dφ ∞<br />

re −r dr = 2π − <br />

<br />

e−r ∞ <br />

Mit Substitution kann man nun noch beweisen:<br />

∞<br />

π<br />

e −ax dx =<br />

−∞ a<br />

= π ⇒ ∞<br />

e −x dx = √π<br />

Dazu setzt man u = ax ⇒ du = √a dx. Dies kann nur gehen, wenn a > 0 ist. Man kann<br />

zeigen, dass die Formel sogar für komplexe a stimmt, sofern Ra > 0 ist.<br />

−∞<br />

Anmerkung: e −x hat keine elementare Stammfunktion, es gibt aber eine Reihe von<br />

höheren Funktionen, die mit diesem Integral verwandt sind. Zunächst ist dabei die aus<br />

der Wahrscheinlichkeitsrechnung bekannte Normalverteilung (Gauß-Verteilung) zu<br />

erwähnen, die durch<br />

Φ(x) = 1<br />

√2π x<br />

−∞<br />

e − t dt mit Φ(∞) = 1<br />

definiert ist. Daneben gibt es die Gaußsche Fehlerfunktion<br />

erf (x) = 2<br />

√π x<br />

<br />

e −t dt wobei Φ(x) = 1 2 1 + erf x √2<br />

Aufgabe 5 Bestimme das Integral durch Partialbruchzerlegung. Es sei gegeben:<br />

f(x) =<br />

x + 2<br />

(x − 1)(x + 1) =<br />

A<br />

x − 1 +<br />

B<br />

x + 1<br />

Cx + D Ex + F<br />

+ +<br />

(x + 1) x + 1<br />

29


3 Integralrechnung<br />

Nun müssen die Koeffizienten A, … , F bestimmt werden. Dazu multipliziert man zuerst<br />

mit dem Hauptnenner durch:<br />

x + 2 = A(x + 1)(x + 1) + B(x − 1)(x + 1) + (Cx + D)(x − 1) + (Ex + F)(x − 1)<br />

Zunächst kann man nun für x spezielle Werte einsetzen, so dass möglichst viele Ausdrücke<br />

Null werden:<br />

x = 1 ∶ 3 = 8A ⇒ A = <br />

x = −1 ∶ 1 = −8B ⇒ B = − <br />

x = 0 ∶<br />

2 = + − D − F<br />

<br />

Hätte man nur einfache Vielfachheiten, so könnte man auf diese Weise alle Koeffizienten<br />

bestimmen. Hier ist das leider nicht der Fall, so dass wir zur »Ochsentour« greifen<br />

müssen. Dazu wird die rechte <strong>Seite</strong> ausmultipliziert und dann ein Koeffizientenvergleich<br />

gemacht:<br />

x + 2 = (A − B − D − F) + (A + B − C − E)x + (2A − 2B + D)x <br />

+ (2A + 2B + C)x + (A − B + F)x + (A + B + E)x <br />

Der Koeffizientenvergleich liefert nun ein Gleichungssystem (wobei wir unsere schon<br />

bekannten Werte für A und B gleich einsetzen)<br />

2 = + − D − F<br />

<br />

1 = − − C − E<br />

<br />

0 = + + D ⇒ D = −1<br />

<br />

0 = − + C ⇒ C = − <br />

0 = + + F ⇒ F = − <br />

0 = − + E ⇒ E = − <br />

Setzt man die sich aus den letzten vier Gleichungen ergebenden Werte nun in die beiden<br />

ersten ein, so sind diese erfüllt. Wir sind fertig und haben das Ergebnis<br />

f(x) =<br />

<br />

<br />

(x − 1) −<br />

<br />

<br />

x + 1 −<br />

Nach den Gleichungen (38) und (39) ergibt sich so:<br />

<br />

x + 1 <br />

<br />

(x + 1) − x + <br />

x + 1<br />

f(x) dx = 3 8 ln |x − 1| − 1 8 ln |x + 1| + 1 4 ⋅ 1<br />

x + 1<br />

− 1 x<br />

arctan x −<br />

2 2(x + 1) − 1 8 ln |x + 1| − 1 arctan x<br />

2<br />

30


Der Koeffizientenvergleich ist deshalb so leicht gegangen, weil wir schon einige Werte<br />

mit der Einsetze-Methode ermittelt hatten. Man hätte statt des Koeffizientenvergleichs<br />

auch weitere Gleichungen erzeugen können, indem man einfach weitere Zahlen einsetzt.<br />

Wenn irgend möglich, sollte man versuchen mit der Einsetze-Methode zum Ziel zu<br />

kommen. Am aller einfachsten ist es allerdings, Mathematica anzuwerfen, dann hat man<br />

das Integral in Sekundenbruchteilen.<br />

4. Approximierung – Taylorreihen<br />

In der Physik werden komplizierte Formeln häufig durch Näherungen ersetzt, damit<br />

man das zu untersuchende Modell mathematisch einfacher beschreiben kann.<br />

Die wichtigste Technik dabei ist die Entwicklung einer Funktion in eine Reihe. Die am<br />

häufigsten vorkommende Reihe ist die Taylorreihe.<br />

4.1. Das Taylorpolynom<br />

Man versucht eine gegebene Funktion f(x) durch ein Polynom anzunähern. Dazu kann<br />

man zunächst den folgenden Ansatz machen:<br />

f(x) = a + a x + a x + a x + ⋯ + a n x n = a k x n<br />

Leitet man die Funktion ab, so ergibt sich:<br />

n<br />

k=<br />

f ′ (x) = a + 2a x + 3a x + ⋯ + na n x n− = ka k x k−<br />

n<br />

k=<br />

n<br />

f ″ (x) = 2a + 6a x + ⋯ + n(n − 1)a n x n− = k(k − 1)x k−<br />

⋮<br />

f (n) (x) = n! a n<br />

⋮<br />

Setzt man den Wert 0 für x in die obigen Gleichungen ein, dann ergibt sich:<br />

a = f(0) a = f ′ (0) a = f″ (0)<br />

2<br />

k=<br />

… a k = f(k) (0)<br />

k!<br />

Ist die Funktion f selbst kein Polynom, dann ist diese Reihe stets nur eine Näherung,<br />

die Werte der Reihe unterscheiden sich dann vom Funktionswert f(x) um ein »Restglied«<br />

R n (x). Wir schreiben:<br />

n<br />

f (k) (0)<br />

f(x) = x k + R<br />

k!<br />

n (x) (Taylorpolynom) (40)<br />

k=<br />

…<br />

31


4 Approximierung – Taylorreihen<br />

4.2. Die Taylorsche Reihe<br />

Man kann nun auf die Idee kommen, die Zahl der Summanden im Taylorpolynom immer<br />

mehr zu erhöhen um die Näherung zu verbessern. Lässt man in diesem Sinne n gegen<br />

unendlich gehen, dann bekommt man die Taylorsche Reihe<br />

∞<br />

f (k) (0)<br />

f(x) = <br />

k!<br />

k=<br />

x k<br />

(Taylorreihe)<br />

Dies ist eine unendliche Potenzreihe. Deshalb sind zwei Dinge zu prüfen:<br />

1. Für welche x-Werte konvergiert die Reihe überhaupt?<br />

2. Ist der Grenzwert der Reihe für diese x gleich dem Funktionswert?<br />

Die Antwort ist: Die Reihen konvergieren in einem Konvergenzintervall oder Konvergenzkreis<br />

−ρ < x < ρ, wobei man ρ als Konvergenzradius der Potenzreihe bezeichnet.<br />

Für manche Reihen ist ρ = ∞, d. h. sie konvergieren in ganz R, für andere Reihen ist<br />

ρ = 0, d. h. Konvergenz liegt nur für x = 0 vor, die Reihe ist also unbrauchbar für die<br />

Darstellung der Funktion.<br />

Im Bereich der komplexen Zahlen gilt, dass jede Taylorreihe als Grenzwert den Funktionswert<br />

hat, dies ist leider im Reellen manchmal nicht richtig. Das »klassische« Beispiel<br />

ist die Funktion<br />

f(x) = exp (− ) ; x ≠ 0<br />

x 0 ; x = 0<br />

Für diese Funktion ist f(0) = f ′ (0) = f ″ (0) = ⋯ = 0, somit hat die Taylorreihe für alle<br />

x den Wert Null, konvergiert also in ganz R, stellt aber nicht die Funktion f dar, denn<br />

diese hat ja nur an der Stelle 0 den Wert 0.<br />

Trotzdem ist es nicht so schlimm. Die meisten Funktionen sind so geartet, dass ihre<br />

Taylorreihen innerhalb des Konvergenzkreises auch die Funktion darstellen.<br />

4.3. Taylorentwicklung wichtiger Funktionen<br />

Die Konvergenzbereiche der Reihen aus Tab. 2 sind:<br />

Gl. (41): |x| < 1 für beliebige r ∈ R. Für ganze positive r ist die Reihe ein Polynom und<br />

deshalb in ganz R definiert.<br />

Gl. (42) – (44): x ∈ R<br />

Gl. (45) – (46): −1 < x ⩽ 1<br />

Je nach der erforderlichen Güte der Näherung nimmt man mehr oder weniger Glieder<br />

der Reihe. Oft genügt es, nur die beiden ersten Summanden zu nehmen, falls x nahe<br />

genug bei Null liegt. Insbesondere die Näherung<br />

aus Gleichung (41) von Tab. 2 wird sehr häufig benützt.<br />

(1 + x) r ≈ 1 + rx (47)<br />

32


4.4 Entwicklung um andere Punkte<br />

Tab. 2 Reihenentwicklung wichtiger Funktionen<br />

(1 + x) r = 1 + rx +<br />

r(r − 1)<br />

x +<br />

2!<br />

sin x = x − x<br />

3! + x<br />

5! − x<br />

7! ± ⋯ = ∞<br />

<br />

r(r − 1)(r − 2)<br />

x + ⋯ =<br />

3!<br />

k=<br />

cos x = 1 − x<br />

2! + x<br />

4! − x<br />

6! ± ⋯ = ∞<br />

<br />

k=<br />

∞<br />

e x = 1 + x + x<br />

2! + x<br />

3! + ⋯ = x k<br />

<br />

k!<br />

k=<br />

ln(1 + x) = x − x<br />

2 + x<br />

3 − x<br />

4 ± ⋯ = ∞<br />

<br />

k=<br />

arctan x = x − x<br />

3 + x<br />

5 − x<br />

7 ± ⋯ = ∞<br />

<br />

k=<br />

(−1) k x k+<br />

(2k + 1)!<br />

(−1) k+ x k<br />

(2k)!<br />

(−1) k+ x k<br />

k<br />

(−1) k x k+<br />

2k + 1<br />

∞<br />

r k x k (41)<br />

k=<br />

(42)<br />

(43)<br />

(44)<br />

(45)<br />

(46)<br />

4.4. Entwicklung um andere Punkte<br />

Bisher haben wir die Reihen immer um x = 0 herum entwickelt. Genauso kann man sie<br />

aber auch um einen Punkt x = x entwickeln. Dann ist der Ansatz für das Taylor-Polynom<br />

f(x) = a + a (x − x ) + a (x − x ) + ⋯ + a n (x − x ) n<br />

Dann erhält man mit demselben Vorgehen wie oben für die Taylorreihe:<br />

∞<br />

f (k) (x )<br />

f(x) = (x − x<br />

k! ) k (48)<br />

k=<br />

5. Differentialgleichungen<br />

Gleichungen, in denen neben der Funktion auch Ableitungen der Funktion auftreten,<br />

werden Differentialgleichungen genannt. Sie sind in der Physik allgegenwärtig. Die<br />

Lösung einer Differentialgleichung ist eine Funktion. Die höchste auftretende Ableitung<br />

bezeichnet man als die Ordnung der dgl.<br />

Hier können nur die einfachsten Fälle besprochen werden. Das Auffinden der Lösungen<br />

von Differentialgleichungen ist noch schwieriger als das Auffinden von Stamm-<br />

33


5 Differentialgleichungen<br />

funktionen. Mathematica oder Maple können aber sehr viele Differentialgleichungen<br />

lösen.<br />

5.1. Trennung der Variablen<br />

Es soll die folgende dgl gelöst werden:<br />

y ′ = x y<br />

oder<br />

dy<br />

dx = x y<br />

Diese Gleichung kann so umgestellt werden, dass auf jeder <strong>Seite</strong> nur noch eine Variable<br />

vorkommt. Man sagt, man habe die Variablen getrennt.<br />

dy<br />

y = x dx<br />

Nun kann man beide <strong>Seite</strong>n der dgl integrieren:<br />

ln y = 1 3 x + C ⇒ y = exp( 1 3 x ) exp(C) = A exp( 1 3 x )<br />

Damit haben wir die möglichen Lösungsfunktionen gefunden. Man beachte das Auftreten<br />

der Integrationskonstanten C. Dadurch wird immer als Lösung einer dgl eine<br />

Funktionenschar herauskommen. In diesem Beispiel sind alle (positiven) Vielfachen der<br />

Exponentialfunktion Lösungen. Lösungen der dgl, die keine allgemeine Integrationskonstante<br />

besitzen, also eine einzelne Funktion und keine Funktionenschar darstellen,<br />

werden partikuläre Lösungen genannt. Lösungen mit allen nötigen Integrationskonstanten<br />

heißen allgemeine Lösungen der dgl.<br />

Die Integrationskonstante braucht nur auf einer <strong>Seite</strong> der Gleichung angebracht zu<br />

werden, hätte man oben ln y + C = x + C geschrieben, so brauchte man nur C auf<br />

die rechte <strong>Seite</strong> zu bringen und dann C = C − C zu setzen.<br />

Bei den meisten Problemen sind weitere Bedingungen gegeben, die dann die Integrationskonstante<br />

festlegen. In unserem Beispiel könnte man etwa fordern, dass y = 1 für<br />

x = 3 sei, dann hätte man für die Integrationskonstante A:<br />

1 = Ae ⇒ A = e −<br />

5.2. Totale Differentialgleichung<br />

Ist die Gleichung<br />

u(x, y) = C<br />

mit einer willkürlichen Konstanten C gegeben, dann entsteht durch Bildung des totalen<br />

Differentials:<br />

du = ∂u ∂u<br />

dx + dy = 0 (49)<br />

∂x ∂y<br />

34


5.2 Totale Differentialgleichung<br />

Ist umgekehrt eine Gleichung<br />

P(x, y) dx + Q(x, y) dy = 0 (50)<br />

so entstanden, dann muss sie zur Gleichung (49) äquivalent sein. Sie muss dann eine<br />

Lösung der Form u(x, y) = C besitzen. Eine solche dgl wird total genannt.<br />

Damit eine Gleichung der Form (50) total ist, muss also eine Funktion u(x, y) existieren,<br />

so dass<br />

P(x, y) = ∂u Q(x, y) = ∂u<br />

(51)<br />

∂x<br />

∂y<br />

und somit<br />

∂P<br />

∂y = ∂ u<br />

∂x∂y = ∂Q<br />

∂x<br />

Daraus folgt der Satz:<br />

Die dgl (50) ist genau dann total, wenn die Integrabilitätsbedingung<br />

∂P<br />

∂y = ∂Q<br />

∂x<br />

(52)<br />

erfüllt ist.<br />

Die Lösung geht nun in folgenden Schritten:<br />

Man integriert zunächst die Gleichung:<br />

∂u<br />

∂x<br />

= P ⇒ u(x, y) = P(x, y) dx + φ(y) = S(x, y) + φ(y)<br />

mit einer willkürlichen Funktion φ(y), die bei dieser partiellen dgl an Stelle der Integrationskonstanten<br />

gewöhnlicher dgl’s erscheint. Andererseits ist aber:<br />

Q(x, y) = ∂u<br />

∂y = ∂S<br />

∂y + φ′ (y) ⇒ φ ′ ∂S(x, y)<br />

(y) = Q(x, y) −<br />

∂y<br />

Durch Integration des nun bekannten φ ′ (y) erhält man dann die Integrationskonstante.<br />

Man hätte natürlich ebenso mit der Integration von Q beginnen können.<br />

Beispiel:<br />

ln(y + 1) dx +<br />

Die Integrabilitätsbedingung ist erfüllt. Es ist:<br />

Daraus folgt<br />

Q(x, y) = ∂u<br />

∂y =<br />

2y(x − 1)<br />

y + 1 dy = 0<br />

u(x, y) = ln(y + 1) dx + φ(y) = x ln(y + 1) + φ(y)<br />

2xy<br />

y + 1 + φ′ (y) ⇒ φ ′ 2y(x − 1)<br />

(y) =<br />

y + 1 − 2xy<br />

y + 1 = − 2y<br />

y + 1<br />

35


5 Differentialgleichungen<br />

Daraus folgt nun<br />

φ(y) = − ln(y + 1) ⇒ u(x, y) = x ln(y + 1) − ln(y + 1) = (x − 1) ln(y + 1)<br />

Die allgemeine Lösung ist also:<br />

5.3. Integrierender Faktor<br />

Zu der Differentialgleichung<br />

(x − 1) ln(y + 1) = C<br />

P(x, y) dx + Q(x, y) dy = 0<br />

existiert immer ein integrierender Faktor μ(x, y) derart, dass die Gleichung<br />

μP dx + μQ dy = 0<br />

total ist. Wenn man dies nun als gültig anerkennt, dann muss μ(x, y) die Integrabilitätsbedingung<br />

erfüllen:<br />

∂μP<br />

∂y<br />

= ∂μQ<br />

∂x<br />

⇔<br />

P ∂μ<br />

∂y − Q∂μ ∂x + μ ∂P<br />

∂y − ∂Q<br />

∂x = 0 (53)<br />

Diese Gleichung allgemein zu lösen, ist meistens viel schwieriger als die Lösung der<br />

Ausgangsgleichung, allerdings genügt ja die Kenntnis einer partikulären Lösung für<br />

μ(x, y), die man oft durch Raten finden kann. Direkt lösen kann man sie, wenn μ nur von<br />

einer Variablen abhängt. Im Falle, dass z. B. μ = μ(x) gilt, wird Gl. (53)<br />

Qμ ′ (x) = μ ∂P<br />

∂y − ∂Q<br />

∂x ⇒ μ′ (x)<br />

μ(x) = 1 Q ∂P ∂y − ∂Q<br />

∂x (54)<br />

und diese Gleichung kann man sofort integrieren.<br />

Für einen nur von y abhängigen Faktor μ(y) bekommt man entsprechend:<br />

μ ′ (y)<br />

μ(y) = − 1 P ∂P ∂y − ∂Q<br />

∂x (55)<br />

Ein solcher, nur von einer Variablen abhängiger, integrierender Faktor existiert also<br />

genau dann, wenn die rechte <strong>Seite</strong> von Gl. (54) nur von x bzw. die rechte <strong>Seite</strong> von Gl. (55)<br />

nur von y abhängig ist.<br />

Beispiel:<br />

Das ist keine totale dgl, denn ∂P<br />

∂y<br />

also nicht erfüllt. Nun ist aber:<br />

(1 − xy) dx + (xy − x ) dy = 0<br />

= −x, aber<br />

∂Q<br />

∂x<br />

1<br />

Q ∂P ∂y − ∂Q<br />

∂x −x − (y − 2x)<br />

= = − 1 xy − x x<br />

= y − 2x, die Integrabilitätsbedingung ist<br />

36


5.4 Lineare Differentialgleichungen<br />

Nun klappt’s:<br />

μ ′<br />

μ = −1 x ⇒ ln |μ| = − ln |x| ⇒ μ = 1 x<br />

Multipliziert man nun die Ausgangsgleichung mit diesem Faktor, dann entsteht die<br />

totale dgl<br />

1 − y dx + (y − x) dy = 0<br />

x<br />

Wendet man auf sie die Methode der Integration totaler dgl’s an, dann bekommt man<br />

die Lösung: (rechne das nach!)<br />

ln |x| − xy + 1 2 y = C<br />

5.4. Lineare Differentialgleichungen<br />

dgl der Form<br />

a(x)y ″ + b(x)y ′ + c(x)y = f(x) (56)<br />

heißen lineare dgl zweiter Ordnung, weil die y und ihre Ableitungen eben nur linear<br />

auftauchen. Ganz entsprechend sind lineare dgl anderer Ordnung definiert.<br />

Ist f(x) = 0, dann heißt die lineare dgl homogen. Diese ist besonders einfach zu lösen,<br />

wenn die Koeffizienten a, b, c konstant sind also nicht von x abhängen. Dann führt immer<br />

der Ansatz y = exp(λx) zum Erfolg.<br />

Sind die Funktionen y (x) und y (x) Lösungen einer solchen homogenen dgl, dann ist<br />

auch ihre Summe y (x) + y (x) wieder eine Lösung. Das ist offensichtlich, man braucht<br />

nur einzusetzen.<br />

Weil hier auch zweite Ableitungen vorkommen, muss man zweimal integrieren, erhält<br />

also nun zwei Integrationskonstanten. Dies ist eine für alle dgl gültige<br />

Regel: Die allgemeine Lösung einer dgl n-ter Ordnung benötigt n frei wählbare Integrationskonstanten.<br />

5.4.1. Etwas Theorie zur linearen DGL<br />

Wir betrachten wieder die allgemeine lineare dgl (56). Sind hier y (x) und y (x) Lösungen,<br />

dann gilt für die Differenz dieser Lösungen durch Einsetzen in (56)<br />

a(x)(y − y ) ″ + b(x)(y − y ) ′ + c(x)(y − y ) = 0<br />

d. h. die Differenz zweier beliebiger Lösungen der linearen dgl ist eine Lösung der<br />

zugehörigen homogenen dgl. Daher scheint es sinnvoll zu sein, zuerst mal die Lösungen<br />

der homogenen dgl zu betrachten.<br />

Die Menge aller Lösungen der homogenen dgl bildet einen Vektorraum, denn wie<br />

wir oben schon erwähnt hatten, ist die Summe zweier Lösungen ebenso wie das skalare<br />

Vielfache ky(x) einer Lösung y(x) wieder eine Lösung.<br />

37


5 Differentialgleichungen<br />

Mit diesen Lösungsfunktionen kann man also wie mit Vektoren rechnen, man kann<br />

also zwei Lösungen u und u als unabhängig bezeichnen, wenn die Gleichung<br />

C u (x) + C u (x) = 0<br />

nur die triviale Lösung C = C = 0 besitzt. Bei linearen dgl 2. Ordnung ist die Dimension<br />

des Lösungsraums zwei, bei dgl 3. Ordnung drei usw.<br />

Sind nun u und u linear unabhängige Lösungen, dann ist die allgemeine Lösung der<br />

homogenen dgl eine Linearkombination der u i , nämlich C u + C u , die u i sind also<br />

die »Basisvektoren« des Lösungsraums.<br />

Nun sei η eine spezielle Lösung (partikuläre Lösung) der inhomogenen dgl, die also<br />

keine allgemeinen Integrationskonstanten enthält, und es sei Y die allgemeine Lösung,<br />

die also zwei Integrationkonstanten enthält, dann genügt ja y = Y − η der homogenen<br />

dgl, deren allgemeine Lösung als C u + C u darstellbar ist. Daraus folgt:<br />

Y − η = C u + C u ⇒ Y = C u + C u + η<br />

Die allgemeine Lösung der inhomogenen Lösung kann man also erhalten als Summe<br />

der allgemeinen Lösung der homogenen dgl plus irgendeiner partikulären Lösung der<br />

inhomogenen dgl.<br />

5.4.2. Lösung der linearen DGL erster Ordnung<br />

Eine lineare dgl erster Ordnung hat die Form:<br />

f(x)y ′ + g(x)y = h(x)<br />

Dividiert man sie durch f(x), so bekommt man die Normalform:<br />

y ′ + p(x)y = q(x) kurz: y ′ + py = q oder: (py − q)dx + dy = 0 (57)<br />

Durch Anwendung der Bedingung Gl. (54) erkennt man (p und q hängen ja nur von x ab)<br />

1<br />

Q ∂P ∂y − ∂Q<br />

∂x = p − 0 = p<br />

1<br />

dass der Ausdruck nur von x abhängt. Damit existiert der integrierende Faktor:<br />

μ ′ (x)<br />

μ(x)<br />

Dann ist die Gleichung<br />

= p(x) ⇒ ln |μ| = p dx<br />

p x<br />

⇒ μ = e∫<br />

(py − q)μ dx + μ dy = 0 ⇒ μ dy + μ ′ y dx = μq dx ⇒ d(μy) = qμ dx ⇒ μy = qμ dx<br />

total und die Lösung kann angegeben werden. Die Umformungen gelten, weil μ ′ = pμ<br />

ist. Damit hat man eine Lösungsformel für die lineare dgl erster Ordnung gefunden:<br />

38


5.4 Lineare Differentialgleichungen<br />

Die Gleichung (57) hat die Lösung:<br />

y = 1 μ qμ dx mit μ = e∫ p x (58)<br />

Die für die allgemeine Lösung nötige Integrationskonstante entsteht als Integrationskonstante<br />

des Integrals ∫ qμ dx.<br />

Anmerkung: Im Fall q = 0 hat man die homogene Gleichung, die mittels Variablentrennung<br />

sofort integriert werden kann und die allgemeine Lösung<br />

y = C e − ∫ p x (59)<br />

besitzt.<br />

Beispiel:<br />

Der integrierende Faktor ist:<br />

weiter ist<br />

ln μ = − x + 1<br />

x<br />

xy ′ − (x + 1)y = x − x ⇒ y ′ − x + 1<br />

x<br />

y = x − x <br />

dx = −x − ln x ⇒ ln(μx) = −x ⇒ μ = e−x<br />

x<br />

μq dx = (x − x ) e−x<br />

x dx = (1 − x)e−x dx = xe −x + C<br />

Damit ist die allgemeine Lösung der dgl:<br />

y = 1 μ qμ dx = xex (xe −x + C) = Cxe x + x <br />

5.4.3. Lösung der linearen DGL mit konstanten Koeffizienten<br />

Wir hatten oben schon erwähnt, dass bei konstanten Koeffizienten die Lösung der homogenen<br />

dgl durch den Exponentialansatz y = exp(λx) ermittelt werden kann. Durch<br />

den Exponentialansatz bekommt man eine Gleichung zweiten Grades (die charakteristische<br />

Gleichung) in λ mit den Lösungen λ und λ . Die allgemeine Lösung ist dann<br />

C e λ x + C e λ x . Das Problem besteht im Auffinden einer partikulären Lösung der inhomogenen<br />

Gleichung. Eine Methode ist die sogenannte Variation der Konstanten.<br />

Dazu ersetzt man die Integrationskonstanten C i der homogenen Lösung C u + C u <br />

durch Funktionen von x und setzt dies in die dgl ein.<br />

Unsere inhomoge dgl zweiter Ordnung mit konstanten Koeffizienten sei:<br />

y ″ + py ′ + qy = r(x)<br />

39


5 Differentialgleichungen<br />

mit konstanten p und q. Mit dem Exponentialansatz ermitteln wir die Lösung der homogenen<br />

Gleichung: y = C u + C u . Fasst man hier die C i als Funktionen von x auf, dann<br />

gilt:<br />

y ′ = C ′ u + C ′ u + C u ′ + C u ′ <br />

y ″ = (C ′ u + C ′ u ) ′ + C ′ u′ + C′ u′ + C u ″ + C u ″ <br />

(60)<br />

Da wir ja nur irgendeine partikuläre Lösung suchen, kann man an die C i vereinfachenden<br />

Forderungen stellen, etwa<br />

C ′ u + C ′ u = 0 und C ′ u′ + C′ u′ = r(x) (61)<br />

<br />

wendet man diese Vereinfachungen auf Gl. (60) an, dann folgt:<br />

y ′ = C u ′ + C u ′ <br />

y ″ = C u ″ + C u ″ + r(x)<br />

Dies in die inhomogene dgl eingesetzt liefert:<br />

Daraus folgt<br />

C u ″ + C u ″ + r(x) + p(C u ′ + C u ′ ) + q(C u + C u ) = r(x)<br />

C (u ″ + pu′ + qu ) + C (u ″ + pu′ + qu ) = 0<br />

was erfüllt ist, da die u i Lösungen der homogenen Gleichung sind.<br />

Die Gleichungen (61) sind nun zwei Gleichungen für die unbekannten Funktionen C ′ <br />

und C ′ . Löst man dieses Gleichungssystem ganz normal nach den C′ auf, dann folgt:<br />

i<br />

C ′ =<br />

−r(x)u <br />

u u ′ − u′ u <br />

C ′ =<br />

r(x)u <br />

u u ′ − u′ u <br />

Mit<br />

entsteht dadurch das allgemeine Integral<br />

y = −u r(x)u <br />

W<br />

W = u u ′ − u′ u <br />

dx + u r(x)u <br />

W<br />

dx (62)<br />

die beiden notwendigen Integrationskonstanten entstehen dabei aus den Integrationskonstanten<br />

der beiden Integrale.<br />

Anmerkung zu zusammenfallenden Lösungen: Ergeben sich beim Exponentialansatz y =<br />

exp(λx) für λ keine zwei Lösungen, so hat man nur eine unabhängige Lösung u = C e λ x.<br />

Eine vollständige allgemeine Lösung ist dann u = (A + Bx)e λx .<br />

Entsprechendes gilt für lineare dgl höherer Ordnung. Eine r-fache Lösung der charakteristischen<br />

Gleichung trägt den Summanden<br />

zur allgemeinen Lösung der homogenen Gleichung bei.<br />

(C + C x + ⋯ + C r x r− )e λx (63)<br />

40


5.4 Lineare Differentialgleichungen<br />

Beispiel:<br />

Es sei die dgl gegeben:<br />

y ″ + y = 1<br />

cos x<br />

Ansatz für die Lösung des homogenen Systems: y = e λx . Daraus λ + 1 = 0. Dies<br />

liefert die beiden komplexen Werte λ , = ±i, also die Lösungen e x und e −x . Da jede<br />

Linearkombination ebenfalls eine Lösung ist, kann man wählen (e x + e −x ) = cos x<br />

und (e x − e −x ) = sin x, womit man wieder rein reelle Lösungen erzeugt hat. Damit ist<br />

u = cos x und u = sin x<br />

Für W bekommt man dann W = cos x + sin x = 1 und damit aus Gleichung (62) die<br />

allgemeine Lösung:<br />

y = − cos x tan x dx + sin x dx = cos x ⋅ (A + ln | cos x|) + sin x ⋅ (B + x)<br />

Beispiel: Schwingungsgleichung Als Beispiel lösen wir die Schwingungsgleichung mit<br />

Dämpfung. Diese hat die Form:<br />

ma = −kv − Dx ⇒ m d x<br />

= −kdx<br />

dt dt − Dx<br />

Um sie in eine »schönere« Form zu bringen, verwendet man die folgenden Größen:<br />

ω =<br />

<br />

D<br />

m<br />

γ = k m<br />

Damit bekommt die Schwingungsgleichung die folgende Form:<br />

d x<br />

+ γdx<br />

dt dt + ω x = 0 (64)<br />

<br />

Das ist eine homogene lineare dgl mit konstanten Koeffizienten.<br />

Mit dem Lösungsansatz<br />

x = e λt<br />

dx<br />

dt = λeλt<br />

d x<br />

dt = λ e λt<br />

folgt nach Einsetzen und Division der Gleichung durch e λt<br />

diese Gleichung hat die beiden Lösungen:<br />

λ + γλ + ω = 0<br />

λ , = − γ 2 ± γ 2 − ω <br />

Nun muss man diverse Fälle unterscheiden:<br />

41


5 Differentialgleichungen<br />

Sind die Lösungen λ und λ beide reell und verschieden, dann kann man die Lösung<br />

sofort angeben:<br />

x(t) = A e λt + A e λt γ<br />

, falls<br />

2 > ω (65)<br />

Man kann die Lösung noch ein bisschen anders schreiben:<br />

x(t) = e −tγ/ (A e Γt + A e −Γt ) mit Γ =<br />

<br />

γ 2 − ω < γ 2<br />

Nach längerer Zeit überwiegt der Summand mit A und die Funktion geht über in:<br />

x(t) = A e t(Γ−γ/)<br />

Der nächste Fall ist der zusammenfallender Lösungen, wenn also<br />

λ = λ = λ = − γ 2<br />

ist. Als Lösung kann man nun schreiben:<br />

d. h.<br />

γ<br />

2 = ω <br />

x(t) = A e λt + A e λ = (A + A )e λt = Ce λt<br />

Diese Funktion hat nur noch eine Integrationskonstante, kann also nicht die allgemeine<br />

Lösung sein, sondern nur eine spezielle Lösung. Wo bekommt man jetzt eine zweite<br />

Integrationskonstante her?<br />

Dazu ändert man zunächst γ oder ω ein bisschen ab, so dass wieder zwei Lösungen<br />

entstehen, die sich um einen kleinen Betrag δλ unterscheiden:<br />

λ = λ λ = λ + δλ ⇒ x(t) = e λt (A + A e δλt ) = e λt (A + A (1 + δλ ⋅ t))<br />

wobei man im letzten Schritt die Näherung e x = 1 + x für kleine x verwendet hat. (vgl.<br />

Gl. (44))<br />

Nun führen wir die beiden Integrationskonstanten ein:<br />

A = A + A <br />

B = A δλ<br />

Nun machen wir den Grenzübergang δλ → 0, aber so, dass A und B endlich bleiben.<br />

Dies ist nur möglich, wenn A → −∞ und A → ∞ gilt. Damit erhält man die Lösung:<br />

x(t) = e −γt/ (A + Bt) (66)<br />

Was mit den Ausführungen zu Gl. (63) übereinstimmt.<br />

Diese Lösung wird als aperiodischer Grenzfall bezeichnet. Dies ist auch eine »Begründung«<br />

der Regel über zusammenfallende Lösungen der charakteristischen Gleichung<br />

von oben.<br />

Schließlich der letzte Fall: γ/2 < ω 0 . Dann werden die λ komplex. Wir setzen nun:<br />

ω = <br />

ω − γ<br />

4 ∈ R ⇒ λ , = − γ 2 ± iω<br />

42


5.4 Lineare Differentialgleichungen<br />

Setzt man diese λ in die Lösung Gl. (65) ein, dann bekommt man:<br />

x(t) = e −γt/ (A e ωt + A e −ωt )<br />

= e −γt/ [A (cos ωt + i sin ωt) + A (cos ωt − i sin ωt)]<br />

Hier haben wir die Eulersche Formel verwendet. Wir sortieren die Gleichung noch<br />

etwas um:<br />

x(t) = e −γt/ [(A + A ) cos ωt + i(A − A ) sin ωt]<br />

Da die Lösung aus physikalischen Gründen reell sein muss, müssen die A k selbst komplex<br />

sein, und zwar so<br />

A + A = A und A − A = −iB<br />

mit reellen A und B. Mit dieser Setzung wird 2A = A − Bi und 2A = A + Bi. Nun<br />

bekommt man wieder eine reellwertige Funktion:<br />

x(t) = e −γt/ [A cos ωt + B sin ωt] (67)<br />

Dies ist die allgemeine Lösung im dritten Fall. Sie stellt nun tatsächlich eine harmonische<br />

Schwingung dar, die durch den Faktor exp(−γt/2) gedämpft wird.<br />

Beispiel Keplerbewegung:<br />

Energiesatz:<br />

Für die Keplerbewegung gilt der Drehimpulssatz und der<br />

m(r × dr<br />

dt ) = L 1<br />

m dr<br />

2 dt − GMm = E<br />

r<br />

Da die Bewegung in einer Ebene verläuft, führt man in dieser Ebene Polarkoordinaten<br />

ein, dann gilt dr = dr + r dφ . Für den Betrag des Drehimpulses L gilt dann<br />

L = mr ⋅ r dφ<br />

dt<br />

= mr<br />

dφ<br />

dt<br />

da nur die zu r senkrechte Komponente von dr/dt zum Drehimpulsbetrag beiträgt. Die<br />

Energiegleichung wird dann zu:<br />

E = m 2 ⋅ dr + r dφ <br />

dt <br />

− GMm<br />

r<br />

= m ⎛ dr dφ dφ ⎞<br />

2 ⎜ +<br />

⎝dφ r<br />

dt dt ⎟<br />

⎠<br />

− GMm<br />

r<br />

Gesucht ist ja die Funktion r(φ), deshalb wird die Energiegleichung so umgeformt,<br />

dass nur noch r und φ vorkommen. Nun ist aber wegen des Drehimpulses<br />

dφ <br />

dt<br />

L h<br />

= ≡<br />

m r r <br />

und dies eingesetzt in die Energiegleichung liefert<br />

E = m 2<br />

<br />

dr h<br />

<br />

<br />

dφ r<br />

<br />

+<br />

h<br />

r − GMm<br />

r<br />

43


5 Differentialgleichungen<br />

Setzt man nun noch r = 1/u, dann ist dr/dφ = −u ′ /u , wobei der Strich die Ableitung<br />

nach φ bedeutet. Damit bekommt man:<br />

E = m 2 u′ u h u + h u − GMmu = h m<br />

2 u′ + u − GMmu<br />

Leitet man diese Gleichung ein weiteres mal nach φ ab, dann entsteht:<br />

0 = h m<br />

2 2u′ u ″ + 2uu ′ − GMmu ′ ⇒ u ″ + u = GM<br />

h (68)<br />

Dies ist wieder eine lineare dgl mit konstanten Koeffizienten. Zwei unabhängige<br />

Lösungen der homogenen Gleichung u ″ + u = 0 sind cos φ und sin φ, wieder ist W = 1<br />

und die allgemeine Lösung lautet:<br />

u = − cos φ GM<br />

h <br />

= GM<br />

h <br />

GM<br />

sin φ dφ + sin φ cos φ dφ<br />

h <br />

− cos φ ⋅ (A − cos φ) + sin φ ⋅ (B + sin φ)<br />

= GM (1 − A cos φ + B sin φ)<br />

h = GM<br />

h (1 + ε cos(φ + φ ))<br />

wobei ε = A + B und tan φ = B/A ist.<br />

Damit hat man nun:<br />

die bekannte Kegelschnittlösung.<br />

1<br />

r = GM<br />

h (1 + ε cos(φ + φ )) ⇒ r =<br />

<br />

h <br />

GM<br />

1 + ε cos(φ + φ )<br />

Beispiel Planetenbahn in der A R T : In der allgemeinen Relativitätstheorie ist die Bahn<br />

eines Körpers durch die Geodäten der Raumzeit bestimmt, das sind die Linien, die zwei<br />

Ereignisse der Raumzeit so verbinden, dass ihre Länge extremal wird. (Auf einer Kugel<br />

sind etwa die Großkreise, also die Kreise, deren Mittelpunkt mit dem Kugelmittelpunkt<br />

zusammenfällt die Geodäten.)<br />

Für die Geodäten unter der Schwarzschildmetrik, das ist die Metrik der Raumzeit, die<br />

in der Umgebung einer nicht rotierenden kugelsymmetrischen Masse vorliegt, bekommt<br />

man fast dieselbe dgl wie Gleichung (68), nämlich<br />

u ″ + u = R<br />

2h + 3 2 Ru mit R = 2GM<br />

c (69)<br />

dabei bezeichnet man R als den Schwarzschildradius. Es tritt zur Gleichung (68) nur das<br />

Glied mit u hinzu.<br />

44


5.4 Lineare Differentialgleichungen<br />

Wie löst man nun eine solche Gleichung? Nun, die Bahn muss der oben berechneten<br />

Kegelschnittbahn sehr ähnlich sein, denn die Newtonsche Mechanik funktioniert bei der<br />

Planetenbewegung sehr genau, daher kann man als erste Näherung die Newtonsche<br />

Lösung für u verwenden, also (mit φ = 0):<br />

u = R (1 + ε cos φ)<br />

2h Setzt man das in die rechte <strong>Seite</strong> von Gleichung (69) ein, dann folgt:<br />

u ″ + u = R 3R<br />

+<br />

2h 8h (1 + 2ε cos φ + ε cos φ)<br />

Neben der gewohnten Lösung des homogenen Systems braucht man für diese Gleichung<br />

eine partikuläre Lösung für jeden Summanden rechts, also für jede der dgl’s<br />

u ″ + u = A u ″ + u = A cos φ u ″ + u = A cos φ<br />

Die Summe dieser partikulären Lösungen ist dann eine partikuläre Lösung der dgl. Dass<br />

man dies machen darf, folgt wieder aus der Tatsache, dass die Summe zweier Lösungen<br />

einer linearen dgl wieder eine Lösung ist.<br />

Diese partikulären Lösungen sind dann:<br />

u = A u = 1 2 Aφ sin φ u = 1 2 A − 1 A cos 2φ<br />

6<br />

wie man durch Einsetzen bestätigen kann.<br />

Nun entsteht die allgemeine Lösung als Summe der allgemeinen Lösung der homogenen<br />

Gleichung plus partikuläre Lösung der inhomogenen Gleichung.<br />

u fügt nur eine Konstante zur Lösung hinzu, das ändert nichts wesentliches, u <br />

fügt eine Konstante hinzu sowie einen oszillierenden Teil mit kleiner Amplitude. (Man<br />

beachte, dass R eine sehr kleine Größe ist, und damit auch A). Damit kann auch der<br />

Beitrag von u in erster Näherung vernachlässigt werden. Nicht vernachlässigt werden<br />

kann dagegen der Beitrag von u , denn er enthält φ als Faktor, wächst also ständig<br />

(betragsmäßig).<br />

Die nächstbeste Näherung nach der reinen Keplerbahn ist also:<br />

u = R<br />

3R<br />

R<br />

(1 + ε cos φ + εφ sin φ) ≈<br />

2h 4h 2h 1 + ε cos 1 − 3R<br />

4h φ<br />

Für die Näherung hat man cos(α − β) = cos α cos β + sin α sin β verwendet und dann<br />

cos β ≈ 1, sin β ≈ β für kleine Winkel. Es zeigt sich, dass u und damit auch r eine<br />

periodische Funktion von φ sind mit der Periode<br />

2π<br />

1 − 3R /(4h ) > 2π<br />

45


5 Differentialgleichungen<br />

Daraus folgt, dass das Perihel der Bahn nicht nach einem Umlauf von 360 ∘ = 2π erreicht<br />

wird, sondern dieses um einen Winkel Δ bei jedem Umlauf vorrückt, wobei gilt<br />

Δ =<br />

2π<br />

1 − 3R<br />

4h <br />

− 2π ≈ 2π(1 + 3R 3R 3πR<br />

− 1) = ≈<br />

4h 2h a(1 − ε )<br />

Die letzte Näherung folgt aus der Tatsache, dass 2h /R ja gerade der Parameter des<br />

Kegelschnitts ist und somit 2h /R = a(1 − ε ) gilt, wo a die große Halbachse ist. Dies ist<br />

die bekannte Periheldrehung, die beim Merkur mit a = 5, 8 ⋅ 10 m, T = 88 Tage, ε = 0, 2<br />

und R Sonne = 3 km etwa 5 ⋅ 10 − rad = 0, 105 ″ pro Umlauf beträgt, das sind in einem<br />

Jahrhundert, also 418 Umläufen dann ca 43 ″ .<br />

Es ist zu beachten, dass durch Bahnstörungen in einem Jahrhundert eine Präzession<br />

des Perihel von ca. 5600 ″ im Jahrhundert entsteht, der durch die A R T zu erklärende<br />

Anteil sind nur diese dagegen kleinen 43 ″ . Trotzden war diese Abweichung schon vor<br />

der A R T bekannt und führte zu Vermutungen über einen weiteren Planeten innerhalb<br />

der Merkurbahn.<br />

Man fragt sich (hoffentlich) weshalb man bei der Näherung φ als klein ansetzen konnte,<br />

obwohl u stetig größer wird. Nun man kann zeigen, dass die Lösung der Gleichung (69)<br />

unter Anfangsbedingungen, die auf Ellipsen führen, eine periodische Funktion sein<br />

muss, so dass wir eine typischen Teil der Bahn beschreiben konnten. Es gibt allerdings<br />

auch noch andere Lösungen dieser Gleichung, die kein klassisches Analogon haben,<br />

etwa Bahnen, die sich spiralförmig auf das Zentrum zu bewegen.<br />

5.4.4. Superposition linearer DGL<br />

Im letzten Beispiel haben wir die Möglichkeit der Superposition von Lösungen einer<br />

linearen dgl ausgenützt.<br />

Nehmen wir an, wir hätten zwei lineare dgl der Form (56), die sich nur in den rechten<br />

<strong>Seite</strong>n unterscheiden, also<br />

a(x)y ″ + b(x)y ′ + c(x)y = f (x) (70)<br />

a(x)y ″ + b(x)y ′ + c(x)y = f (x) (71)<br />

Sei nun y (x) bzw. y (x) eine Lösung von (70) bzw. (71), dann erhält man durch Einsetzen<br />

dieser Lösung und anschließender Addition der beiden Gleichungen:<br />

a(x)(y ″ + y″ ) + b(x)(y′ + y′ ) + c(x)(y + y ) = f (x) + f (x)<br />

Diese Möglichkeit der Superposition linearer dgl bedeutet nun, dass man die Lösung<br />

der Gleichung<br />

a(x)y ″ + b(x)y ′ + c(x)y = f (x) + f (x) (72)<br />

aus den Einzellösungen y (x) und y (x) der Gleichungen (70) und (71) durch einfache<br />

Addition erhalten kann. Die Lösung y(x) von Gl. (72) ist also gegeben durch<br />

y(x) = y (x) + y (x)<br />

46


5.4 Lineare Differentialgleichungen<br />

5.4.5. Einige direkte Ansätze für partikuläre Lösungen<br />

In vielen Fällen findet man bei linearen dgl mit konstanten Koeffizienten eine partikuläre<br />

Lösung ohne die Variation der Konstanten anwenden zu müssen. Einige Fälle seien hier<br />

ohne Beweis mitgeteilt.<br />

Bezeichnet man mit D den Operator D = , dann kann eine solche Gleichung in der<br />

x<br />

Form<br />

F(D)y = f(x)<br />

geschrieben werden, z. B. ist y ″ + y ′ − 6y = 8e x dasselbe wie (D + D − 6)y = 8e x und<br />

das charakteristische Polynom ist dann F(λ) = λ + λ − 6.<br />

Nun gilt:<br />

1. Ist f(x) = Ae αx , so ist eine partikuläre Lösung y = Aαx<br />

, sofern F(α) ≠ 0 ist.<br />

F(α)<br />

Sollte α eine r-fache Nullstelle von F(α) sein, also F(D) = G(D)(D − α) r gelten, dann<br />

ist die partikuläre Lösung durch y = Aαx x r<br />

gegeben.<br />

r!G(α)<br />

2. Mit obiger Regel kann man auch den Fall f(x) = A sin ωx mittels komplexer Rechnung<br />

erledigen, indem man f(x) als Imaginärteil von Ae ωx betrachtet.<br />

3. Ist f(x) ein Polynom vom Grad k, so kann man für die partikuläre Lösung ebenfalls<br />

ein Polynom k-ten Grades ansetzen.<br />

4. Ist f(x) = P k (x)e αx , wo P k ein Polynom k-ten Grades ist, dann ist Q k (x)e αx , wo Q k<br />

ein Polynom höchstens k-ten Grades ist, eine partikuläre Lösung.<br />

5. Der Fall f(x) = P k (x)e αx cos ωx lässt sich auf den vorigen zurückführen indem man<br />

f(x) als Realteil von P k (x)e (α+ω)x betrachtet.<br />

Beispiel: (D + 1) y = e −x + x . Linke <strong>Seite</strong> ausgeschrieben lautet: y ‴ + 3y ″ + 3y ′ + y.<br />

Die charakteristische Gleichung hat nur die dreifache Nullstelle λ = −1. Die allgemeine<br />

Lösung der homogenen Gleichung ist demnach: u = (C + C x + C x )e −x . Wir müssen<br />

nun partikuläre Lösungen für die rechten <strong>Seite</strong>n x und e −x suchen. Nach dem<br />

Superpositionsprinzip ergibt sich ja die Gesamtlösung als Summe der Lösungen für die<br />

Summanden.<br />

Für x setzt man y = A + Bx + Cx an. Dann erhält man durch Einsetzen:<br />

0 + 3 ⋅ 2C + 3 ⋅ (B + 2Cx) + (A + Bx + Cx ) = x ⇒<br />

(C − 1)x + (B + 6C)x + (A + 3B + 6C) = 0<br />

woraus durch Koeffizientenvergleich C = 1, B = −6 und A = 12 folgt. Damit ist die<br />

partikuläre Lösung y = x − 6x + 12<br />

Für den Summanden ist Regel 1 anzuwenden. Hier ist α = −1 eine r = 3 fache Nullstelle<br />

von F(λ), damit ist G(D) = 1 und die Partikulärlösung lautet: y = x e −x<br />

Somit ist die allgemeine Lösung der dgl:<br />

y = (C + C x + C x + x )e −x + x − 6x + 12<br />

47


5 Differentialgleichungen<br />

Beispiel: y ″ − 7y ′ + 12y = e x (x − 5x )<br />

Die charakteristische Gleichung liefert λ = 3 und λ = 4. Als Ansatz für die Partikulärlösung<br />

nimmt man: y = (A + Bx + Cx + Dx )e x Dann ist<br />

y ′ = e x [(2A + B) + (2C + 2B)x + (3D + 2C)x + 2Dx ] und<br />

y ″ = e x [4A + 4B + 2C + (4B + 8C + 6D)x + (4C + 12D)x + 4Dx ]<br />

Einsetzen des Ansatzes liefert:<br />

(2A − 3B + 2C) + (2B − 6C + 6D)x + (5 + 2C − 9D)x + (2D − 1)x = 0<br />

woraus durch Koeffizientenvergleich folgt: D = ; C = − ; B = − <br />

und A = −<br />

<br />

Da die homogene Lösung u = C e x + C e x lautet, ist die Lösung der dgl:<br />

y = C e x + C e x + e x 1 2 x − 1 4 x − 9 4 x − 28 8 <br />

Beispiel: y ″ + a y = e μx cos ax<br />

Die Lösung der homogenen Gleichung ist C cos ax + C sin ax.<br />

Wir betrachten die rechte <strong>Seite</strong> als Realteil von e (μ+a)x . Nach Regel 4 kann man ansetzen:<br />

y = Ae (μ+a)x , dann ist y ″ = Ae (μ+a)x (μ + ia) <br />

Einsetzen liefert:<br />

Damit ist:<br />

A(μ + ai) + Aa = 1 ⇒ A =<br />

1<br />

a + (μ + ai) = μ − 2iμa<br />

μ + 4μ a <br />

y = e(μ+a)x (μ + 2ia)<br />

⇒ Ry = eμx (μ cos ax + 2μa sin ax)<br />

μ + 4μ a μ + 4μ a <br />

Für die partikuläre Lösung brauchen wir nur den Realteil, also lautet die vollständige<br />

Lösung der dgl:<br />

y = C cos ax + C sin ax +<br />

e μx<br />

μ + 4a cos ax + 2a<br />

μ sin ax <br />

Beispiel (erzwungene Schwingung):<br />

Wir betrachten die Gleichung:<br />

x ̈ + γx ̇ + ω x = a cos ωt (73)<br />

<br />

Dies ist die Schwingungsgleichung wie im oben behandelten homogenen Fall, nur wird<br />

der Schwinger nun durch eine periodische Kraft mit der Kreisfrequenz ω angeregt. Man<br />

kann die rechte <strong>Seite</strong> wieder als Realteil von ae ωt auffassen. Mit komplexer Rechnung<br />

war ja die homogenen Lösung gegeben durch<br />

u(t) = e −γt/ (A e Ωt + A e −Ωt ) mit Ω = <br />

ω − γ<br />

4<br />

48


5.4 Lineare Differentialgleichungen<br />

Die Integrationskonstanten A und A sind hier komplex, stellen also vier reelle Konstanten<br />

dar. Die allgemeine Lösung braucht aber nur zwei reelle Konstanten, so dass A = 0<br />

gesetzt werden kann. Damit hat man für den physikalisch allein sinnvollen Realteil dann<br />

mit A = Ae φ das Ergebnis:<br />

Ru(t) = R Ae −γt/ e (Ωt+φ) = Ae γt/ cos(Ωt + φ)<br />

Dies ist die allgemeinste Lösung der Gleichung (64), wobei hier Ω komplex sein kann,<br />

nämlich dann, wenn die Lösungen λ , = − γ ± iΩ der charakteristischen Gleichung reell<br />

<br />

sind.<br />

u(t) beschreibt also eine Bewegung in der komplexen Ebene, ihr Realteil die Projektion<br />

dieser Bewegung auf die x-Achse.<br />

Für das charakteristische Polynom haben wir hier F(D) = D + γD + ω . Nach der<br />

<br />

Regel 1 von oben hat man dann als Ansatz für eine partikuläre Lösung zu nehmen (mit<br />

α = iω):<br />

v(t) = aeiωt<br />

F(iω) = ae ωt<br />

ae<br />

=<br />

ωt<br />

−ω + iγω + ω ω − ω + iγω<br />

falls F(iω) ≠ 0 ist. Der Fall, dass F(iω) = 0 ist, tritt auf, wenn ω = γ ± Ω ist. Dieser<br />

<br />

Fall kann bei echten Schwingungen, wo Ω reell ist, nicht vorkommen, da sonst die<br />

Erregerfrequenz selbst komplex sein müsste.<br />

Im allgemeinen Fall bekommt man so zunächst als komplexe Lösung der erzwungenen<br />

Schwingung:<br />

ae ωt<br />

x(t) = u(t) + v(t) = Ae −γt/+(Ωt+φ) +<br />

ω − ω + iγω<br />

Wir wollen hier nur den einzig interessanten Fall der »echten« Schwingung betrachten,<br />

wo also Ω reell ist. Dann klingt wegen der Dämpfung die homogene Lösung nach<br />

Beendigung des Einschwingvorgangs auf Null ab, so dass nur die partikuläre Lösung v<br />

verbleibt. Für diese gilt dann<br />

v(t) ≡ Ce (ωt+δ) = ae ωt ((ω − ω ) − iγω)<br />

(ω − ω ) + ω γ ⇒ C =<br />

a<br />

(ω − ω ) + ω γ (74)<br />

Die Phasenverschiebung zwischen der Erregerschwingung und e ωt und v(t) ist dann<br />

gegeben durch<br />

e δ =<br />

(ω − ω ) − iγω<br />

(ω − ω ) + ω γ ⇒ tan δ =<br />

δ<br />

Ie<br />

Re = − γω<br />

δ ω − (75)<br />

ω<br />

Wir können feststellen, dass die maximale Amplitude auftritt, wenn ω ≈ ω ist (Resonanzfall),<br />

ohne Dämpfung (also mit γ = 0) bekäme man dann unendliche Auslenkung,<br />

die Dämpfung drückt die Amplitude auf einen endlichen Wert herunter.<br />

49


5 Differentialgleichungen<br />

Lässt man ω von 0 an ins Unendliche wachsen, so erkennt man, dass die Phase für<br />

kleine ω Null ist, also Schwinger und Erreger gleichphasig sind, mit wachsenden Werten<br />

wird dann die Phase negativer, bis sie bei ω = ω den Wert − π = −90∘ erreicht. Steigt<br />

nun die Erregerfrequenz weiter, so wird die Phase zu −π = −180 ∘ , also schwingen dann<br />

Erreger und Schwinger gegenphasig. Der Schwinger hinkt also immer dem Erreger nach.<br />

Noch eine Anmerkung zur genauen Lage des Maximums der Amplitude C: Ableiten<br />

und Null setzen von C(ω) führt auf die Gleichung<br />

mit den Lösungen<br />

2ω(ω − ω ) = ωγ<br />

ω = 0;<br />

C(0) = a ω <br />

und ω res = <br />

ω − γ ; C(ω res ) =<br />

a<br />

γ <br />

ω − γ<br />

Damit liegt die Resonanzfrequenz unterhalb von ω . Ohne äußere Erregung würde das<br />

System mit der Eigenfrequenz Ω = <br />

ω − γ schwingen.<br />

Bei ω = 0 liegt ein lokales Minimum vor, denn für ω → ∞ wird C = 0.<br />

Das Verhältnis der Amplituden bei ω res und ω = 0 bezeichnet man als Resonanzüberhöhung,<br />

sie hat den Wert:<br />

ω <br />

≈ ω <br />

γ ω <br />

− γ ≈ ω res<br />

γ<br />

γ<br />

Die Näherungen gelten, wenn γ ≪ ω ist.<br />

Mehrere Anregungsfrequenzen: Nun kann man noch den Fall untersuchen, dass der<br />

Schwinger von den Frequenzen ω , … , ω n angeregt wird. Dann hat die rechte <strong>Seite</strong> von<br />

Gleichung (73) in komplexer Schreibweise die Form:<br />

n<br />

F(t) = a k e ω k t<br />

k=<br />

Nach dem Superpositonsprinzip addieren sich dann die Lösungen nach dem Schema<br />

der Gleichungen (74) und (75) auf zur Lösung<br />

n<br />

v(t) = C k e (ω k t+δ k ) = (C k e δ k)e ω k t<br />

k=<br />

Stellen wir uns nun noch F(t) als »beliebige« Funktion vor, so kann man diese in eine<br />

Fourierreihe entwickeln (n geht dabei gegen Unendlich). Die Losung der Bewegungsgleichung<br />

ist dann ebenfalls eine Fourierreihe mit den Koeffizienten<br />

C k e δ k =<br />

n<br />

k=<br />

a k<br />

ω − ω k + iω kγ<br />

50


B<br />

A<br />

B<br />

y 1<br />

y 0<br />

y<br />

A 1 ∗ y 1 y2<br />

∗<br />

y 0<br />

x 0 x 1 x 0 x 1 x 2<br />

h<br />

h h<br />

Abb. 7 Zur numerischen Integration (links) und numerischen Lösung von dgl (rechts).<br />

Diese Situation kann man so interpretieren: Der Oszillator führt eine Fourieranalyse<br />

der Kraftfunktion F(t) durch. Er zeigt maximale Schwingungsamplitude für ω k ≈ ω . So<br />

stellt man bei elektromagnetischen Schwingungen den Radiosender ein. Die einfallenden<br />

Wellen haben Maxima bei den Frequenzen der diversen Sender; der Schwingkreis im<br />

Empfänger wird solange verändert, bis er die Frequenz eines der empfangbaren Sender<br />

erreicht hat.<br />

6. Näherungsverfahren für Differentialgleichungen<br />

Bevor wir in diesem Abschnitt auf die Lösung von Differentialgleichungen eingehen,<br />

betrachten wir die numerische Integration.<br />

6.1. Numerische Integration<br />

6.1.1. Die Trapezregeln<br />

Von der Funktion f(x) seien zwei Stützwerte A(x | y ) und B(x | y ) gegeben. Um das<br />

Integral<br />

x <br />

x <br />

f(x) dx<br />

zu berechnen, kann man in erster Näherung die Fläche durch das Trapez ersetzen, das<br />

die Strecke AB anstelle der Kurve hat. Schreibt man h = x − x , dann ist die Fläche<br />

näherungsweise<br />

x <br />

x <br />

dx ≈ T = h(y + y ) (76)<br />

Das ist die so genannte Trapezregel.<br />

Zur Abschätzung des Fehlers benützen wir die Tangenten in den Punkten A und B<br />

und bezeichnen noch die Ableitungen an den Stützstellen mit<br />

y ′ = f′ (x ) und y ′ = f′ (x )<br />

51


6 Näherungsverfahren für Differentialgleichungen<br />

Die linke Tangente trifft die mittlere Vertikale auf der Höhe y + hy′ , somit ist die Fläche<br />

<br />

des linken Tangententrapezes<br />

h<br />

4 y + y + hy′ = hy + h y ′ <br />

Entsprechend hat das rechte Tangententrapez die Fläche<br />

<br />

hy − h y ′ <br />

Die Summe T ∗ dieser beiden Trapeze ist eine andere Näherung für das Integral:<br />

T ∗ = h(y + y ) + h (y ′ − y′ ) = T − h (y ′ − y′ )<br />

Ist nun – wie in Abb. 7 – die Kurve im Intervall [x ; x ] eine Linkskurve, also f ″ (x) > 0,<br />

dann liegt der echte Integralwert zwischen den Werten von T und T ∗ . Damit gilt für den<br />

Fehler der Trapezregel:<br />

x <br />

x <br />

f(x) dx − T ⩽ h (y ′ − y′ )<br />

Dasselbe ist richtig, wenn die Kurve eine Rechtskurve ist, also immer dann, wenn sie<br />

keinen Wendepunkt hat. Die Trapezregel wird also umso ungenauer, je stärker die Kurve<br />

gekrümmt ist. Bei der Trapezregel werden alle Werte addiert, es kann also auch bei<br />

kleinen Schrittweiten h nicht zu Auslöschung durch Subtraktion kommen.<br />

Sowohl T als auch T ∗ liefern ein exaktes Ergebnis, wenn f eine lineare Funktion (eine<br />

Gerade) ist. Nun versuchen wir, durch Kombination von T und T ∗ eine Näherung zu<br />

erhalten, die für Parabeln exakt ist. Wir bilden dazu den Ausdruck pT + qT ∗ mit den<br />

Gewichten p und q, deren Summe p + q = 1 ist. Auch diese Summe integriert Geraden<br />

dann noch richtig. Falls sie auch f(x) = x richtig integriert, kann sie es für alle Parabeln.<br />

Wir nehmen x = 0 und h = 1 an. Dann ist ja<br />

<br />

x dx = 1<br />

3<br />

und T = 1 2<br />

Daher sind p und q so zu bestimmen, dass gilt<br />

und T ∗ = 1 4<br />

p + q = 1<br />

Daraus folgt p = und q = . Damit ist<br />

<br />

und<br />

<br />

p + q = <br />

pT + qT ∗ = T − <br />

h (y ′ − y′ )<br />

Damit bekommt man die verbesserte Trapezregel<br />

x <br />

x <br />

f(x) dx ≈ h(y + y ) − h (y ′ − y′ ) (77)<br />

Diese Formel hat die schöne Eigenschaft, sogar Polynome dritten Grades exakt integrieren<br />

zu können. Zur Übung sollte man nachrechnen, dass x richtig integriert wird.<br />

52


6.1 Numerische Integration<br />

6.1.2. Fortgesetzte Halbierung<br />

Wir wollen nun annehmen, dass wir jeden beliebigen Funktionswert der Funktion f(x)<br />

bestimmen können. Dann kann man die Stützstellen so legen, wie es einem passt. Das<br />

Integrationsintervall hat nun die Länge l = b − a. Zur Vereinfachung soll hier a = 0 und<br />

l = 1 gesetzt werden. Wir wollen also das Integral<br />

<br />

f(x) dx<br />

<br />

näherungsweise bestimmen. Die gröbste Näherung ist mit der Trapezformel über das<br />

ganze Intervall:<br />

T = f(0) + f(1)<br />

<br />

Um die Näherung zu verbessern, halbiert man das Intervall und wendet die Trapezformel<br />

auf jedes Teilintervall an. Den Wert des linken Trapezes nennen wir T( ), weil x = die<br />

Mitte des linken Trapezes ist und den rechten T( ). Die Summe dieser beiden Werte ist<br />

<br />

dann:<br />

T = T( ) + T( ) = f(0) + 2f( ) + f(1) = T + f (78)<br />

<br />

Für eine weitere Halbierung braucht man nun die Trapeze<br />

T = f(0) + f( )<br />

T = f( ) + f( )<br />

T = f( ) + f( )<br />

T <br />

= f( ) + f(1)<br />

Die Summe ist dann:<br />

T = 1 8 f(0) + 2f( ) + 2f( ) + 2f( ) + f(1)<br />

anders geschrieben:<br />

T = 1 2 T + f( ) + f( ) (79)<br />

Jetzt erkennt man das System: Es muss immer das Mittel der hinzukommenden Funktionswerte<br />

zum vorhergehenden Trapezwert addiert werden. Damit wäre die nächste Verbesserung:<br />

T = 1 2 T + f( ) + f( ) + f( ) + f( ) (80)<br />

Ist f eine stetige Funktion, dann erhält man auf diese Weise eine Folge T , T , T , … von<br />

Näherungen, die gegen das Integral streben.<br />

Wie bei der Trapezregel soll wieder eine Verbesserung gesucht werden, die auch<br />

quadratische Funktionen exakt berechnet. Es war ja<br />

<br />

x dx = 1<br />

3<br />

und T = 1 2<br />

und T = 3 8<br />

53


6 Näherungsverfahren für Differentialgleichungen<br />

Für die Gewichte der Kombination pT + qT bekommt man daraus die Gleichungen:<br />

p + q = 1<br />

Damit bekommt man den Wert:<br />

<br />

p + q = <br />

⇒<br />

p = − <br />

q = <br />

S = 4T − T <br />

(81)<br />

3<br />

Diese Formel ist wieder sogar für Polynome dritten Grades exakt. Man kann sie so<br />

deuten: Sind die Werte f(0), f( ) und f(1) bekannt, so legt man durch diese Stützpunkte<br />

<br />

eine Parabel und integriert diese anstelle der Funktion f. Nun kann man wieder auf die<br />

Teilintervalle übergehen, was ich nicht weiter vorführen will, weil es langsam langweilig<br />

wird. Man bekommt wie zu erwarten für die Summe der beiden Teilintervalle dann<br />

S = 4T − T <br />

3<br />

und<br />

S = 4T − T <br />

3<br />

usw.<br />

Man könnte jetzt wieder die Summen S und S so gewichten, dass sie für Polynome<br />

vom 4. Grade exakt wird, nach dem schon geübten Vorgehen bekommt man dann<br />

C = 4 S − S <br />

4 − 1<br />

und<br />

C = 4 S − S <br />

4 − 1<br />

usw.<br />

Sie sind sogar für Polynome 5. Grades exakt. Auf diese Weise kann man weitermachen<br />

und C und C gewichten. Das schöne dabei ist, dass es ganz regelmäßig weitergeht:<br />

D = 4 C − C <br />

4 − 1<br />

und<br />

D = 4 C − C <br />

4 − 1<br />

usw.<br />

Die D i sind nun sogar für Polynome 7. Grades exakt. Wie das weitergehen muss, ist nun<br />

offensichtlich. Damit erhält man eine Integrationstabelle:<br />

T <br />

T <br />

S <br />

T S C <br />

T S C D <br />

T S C D E <br />

In dieser Tabelle konvergiert jede Spalte und jede absteigende Diagonale gegen den Integralwert.<br />

Wenn das Integrationsintervall nicht die Länge 1, sondern die Länge l hat, dann muss<br />

man am Ende noch mit l multiplizieren. Man treibt die Tabelle so weit voran, bis rechts unten<br />

ein »Nest« von Werten entsteht, die in hinreichend vielen Dezimalen übereinstimmen.<br />

Die Werte S i nennt man Simpsonsche, die C i Cotessche Näherungswerte. Die D i sind für<br />

Polynome 8. Grades i. a. nicht mehr exakt.<br />

Die Keplersche Fassregel<br />

Integriert man über ein Intervall der Länge l = x − x mit Mittelpunkt x , dann gilt ja,<br />

wenn man die Ordinaten an den x i wieder mit y i bezeichnet:<br />

T = l 2 (y + y ) T = l 4 (y + 2y + y ) ⇒ S = l 6 (y + 4y + y )<br />

54


6.2 Numerische Lösung von Differentialgleichungen<br />

Diese Näherung ist die Keplersche Fassregel. Sie ist i. a. etwas weniger genau als die<br />

verbesserte Trapezregel, hat aber den Vorteil, dass man keine Ableitungen kennen muss.<br />

x <br />

x <br />

f(x) dx ≈ l 6 (y + 4y + y ) (82)<br />

Bei fünf äquidistanten Stützstellen bekommt man durch Addition über die beiden Teilintervalle<br />

dann:<br />

x <br />

x <br />

f(x) dx ≈ l<br />

12 (y + 4y + 2y + 4y + y )<br />

Das kann man beliebig weitertreiben. Die Randpunkte haben einfaches, die geraden<br />

Punkte doppeltes und die ungeraden vierfaches Gewicht. Das ist die Formel von Simpson.<br />

(Im Nenner steht die dreifache Intervallzahl.)<br />

6.2. Numerische Lösung von Differentialgleichungen<br />

6.2.1. Differentialgleichungen erster Ordnung<br />

Einführendes Beispiel<br />

Als Einführungsbeispiel wollen betrachten:<br />

y ′ = −xy (83)<br />

Diese Gleichung kann mittels Trennung der Variablen geschlossen gelöst werden, so<br />

dass wir gut prüfen können, wie gut unsere Näherungen funktionieren. Die Lösung ist<br />

y = Ce −x /x<br />

mit y(0) = 1 dann y = e −x /<br />

Das Richtungsfeld dazu findet man in der Abb. 8. Nun wollen wir eine Näherungslösung<br />

unter der Anfangsbedingung y(x ) = y aufstellen. Wir wollen den Funktionswert von y<br />

an der Stelle x = x +h bestimmen. Dazu integrieren wir beide <strong>Seite</strong>n von Gleichung (83):<br />

x <br />

x <br />

y ′ dx = − x <br />

xy dx ⇒ y(x ) − y(x ) = − x <br />

xy dx<br />

x <br />

Das erste Integral konnte mühelos berechnet werden, das rechte – tun wir mal so – konnte<br />

nicht. Der Integrand ist die Funktion xy(x). Mit der Trapezregel (76) bekommt man dafür<br />

die Näherung:<br />

und damit<br />

x <br />

x <br />

xy dx ≈ h[x y(x ) + x y(x )]<br />

y(x ) ≈ y(x ) − h[x y(x + x y(x ))]<br />

Wir haben nun durch diese Diskretisierung aus der dgl eine normale lineare Gleichung<br />

gemacht. Man bekommt nun durch Auflösen nach dem Näherungswert y ≈ y(x )<br />

y = 2 − hx <br />

2 + hx <br />

⋅ y (84)<br />

x <br />

55


6 Näherungsverfahren für Differentialgleichungen<br />

2<br />

1<br />

-2 -1 1 2<br />

-1<br />

-2<br />

Abb. 8 Richtungsfeld der dgl von Gleichung (83)<br />

Der Näherungswert wird umso genauer ausfallen, je kleiner die Schrittweite h ist. Nun<br />

lassen wir einen weiteren Iterationsschritt folgen, der nun y als Startwert nimmt und<br />

den Wert y an der Stelle x = x + h annähern soll. Dann ist<br />

y = 2 − hx <br />

2 + hx <br />

⋅ y <br />

Da y schon ungenau war, wird y den gesuchten Wert y(x ) mit höherer Ungenauigkeit<br />

liefern; es ist also mit einer Erhöhung des Fehlers im Verlauf des Verfahrens zu<br />

rechnen. Deshalb wird man in der Praxis den Schritt h nicht konstant lassen, sondern<br />

verkleinern, wenn man in Gegenden kommt, wo y(x) stärker variiert. Damit hat man die<br />

Rekursionsformel:<br />

y n+ =<br />

2 − hx n<br />

⋅ y<br />

2 + hx n (85)<br />

n+<br />

Ein Zahlenbeispiel für x = 0, y = 1 und h = 0, 1 liefert die Tabelle<br />

x = 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5<br />

y = 0.995 0.980 0.956 0.923 0.882<br />

Diese Näherungen sind auf drei Dezimalen genau.<br />

56


6.2 Numerische Lösung von Differentialgleichungen<br />

Die Schwierigkeit bei der numerischen Integration von dgl ist die Wahl einer günstigen<br />

Schrittweite h und deren Regulierung während des Prozesses. Ein kleines h hält<br />

zwar den Diskretisierungs-Fehler klein, begünstigt aber infolge der vielen Schritte die<br />

Akkumulation der numerischen Fehler.<br />

Allgemeines Vorgehen<br />

Vorgelegt ist nun die dgl<br />

y ′ = f(x, y) mit Anfangsbedingung y(x ) = y (86)<br />

Wie im Beispiel oben wählt man nun einen Schritt h, der zur Stelle x = x + h führt und<br />

integriert die Gleichung über das Intervall:<br />

y(x ) = y(x ) + x <br />

f(x, y) dx<br />

Mit der Trapezregel bekommt man die Näherung:<br />

x <br />

y = y + h[f(x , y ) + f(x , y )] (87)<br />

wobei hier leider die gesuchte Größe y auch noch auf der rechten <strong>Seite</strong> auftaucht. Oben<br />

konnte man die Gleichung leicht nach y auflösen, aber das kann Schwierigkeiten bereiten.<br />

In diesem Falle muss man die Gleichung numerisch lösen. Dazu braucht man einen<br />

»vernünftigen« Näherungswert für y . Diesen kann man bekommen, wenn man die<br />

Funktion f linearisiert, also statt der Funktion selbst die Tangente verwendet. Damit<br />

bekommt man als Näherungswert für y :<br />

y ∗ = y + hy′ = y + hf(x , y ) (88)<br />

Diese Gleichung nennt man den Prädikator, weil sie einen ersten Wert für y vorhersagt.<br />

Setzt man nun diesen in die rechte <strong>Seite</strong> von Gleichung (87) ein, dann erhält man:<br />

y = y + h[f(x , y ) + f(x , y ∗ )] (89)<br />

<br />

Diese Formel nennt man den Korrektor. Eigentlich müsste man nun den so gewonnenen<br />

Wert von y wieder rechts in (87) einsetzen usw. Das wird üblicherweise nicht gemacht,<br />

den irgendwann muss man ja abbrechen.<br />

Begnügt man sich bei der Näherung für y mit dem Prädikator, so spricht man vom<br />

Verfahren von Euler, verwendet man auch noch den Korrektor, dann hat man das<br />

verbesserte Euler-Verfahren, das auch Methode von Heun genannt wird. Diese Methode<br />

besteht also aus zwei Schritten:<br />

Prädikator: y ∗ = y + hf Korrektor: y = y + h(f + f ∗ ) (90)<br />

wobei gesetzt wurde:<br />

f = f(x , y ) und f ∗ = f(x , y ∗ )<br />

57


6 Näherungsverfahren für Differentialgleichungen<br />

An diesen ersten Schritt wird nun ein weiterer Schritt, ausgehend von den Anfangswerten<br />

(x , y ), angeschlossen usw.<br />

Verfahren von Runge-Kutta<br />

Man kann auf den Gedanken kommen, die Trapezregel durch eine bessere Regel, etwa<br />

die Keplersche Fassregel, zu ersetzen. Außer dem Anfangswert y sei dazu auch der Wert<br />

y am Ende des ersten Schritts bekannt. Wir fügen nun einen zweiten Schritt derselben<br />

Länge h an, der nach x führt; sodann wird die dgl über das Intervall von x bis x <br />

integriert:<br />

Die Werte an den Stellen sind dann<br />

y(x ) = y(x ) + x <br />

x <br />

f(x, y(x))dx (91)<br />

f = f(x , y ) f = f(x , y(x )) f = f(x , y(x ))<br />

Das Integrationsintervall hat die Länge l = 2h und man bekommt mit der Keplerschen<br />

Fassregel<br />

Damit erhält man<br />

x <br />

x <br />

f(x, y(x)) dx = h[f + 4f + f ]<br />

y = y + h[f + 4f + f ] (92)<br />

Auch diese Gleichung ist im allgemeinen Fall nur näherungsweise nach y auflösbar;<br />

wir brauchen also wieder einen Prädikator y ∗ für y . Den konstruiert man wie oben. An<br />

den Stellen x und x sind ja nicht nur die Funktionswerte y und y (näherungsweise)<br />

bekannt, sondern wegen der dgl auch die Ableitungen y ′ = f(x , y ) und y′ = f(x , y ).<br />

In der Abb. 7 rechts hat man also in den beiden Punkten A und B die Funktionswerte<br />

samt ihren Ableitungen, man kann also durch diese Punkte ein Polynom dritten Grades<br />

P(x) legen. Mit den Abkürzungen p = x − x und q = x − x lautet dieses<br />

Die Ableitung ist:<br />

P(x) = 1 h q (3p − q)y − p (3q − p)y + 1 h pq y ′ + p qy ′ <br />

P ′ (x) = 6pq<br />

h (y − y ) + 1 h q(q + 2p)y′ + p(p + 2q)y′ <br />

An der Stelle x ist p = 0 und q = −h, woraus sofort P(x ) = y und P ′ (x ) = y ′ folgt.<br />

Entsprechend ist in x dann p = h und q = 0, woraus P(x ) = y und P ′ (x ) = y ′ folgt. Das<br />

<br />

Polynom ist also richtig. Nun ist der Wert des Polynoms an der Stelle x , wo p = 2h und<br />

q = h ist, gegeben durch<br />

y ∗ = P(x ) = 5y − 4y + 2hy′ + 4hy′ <br />

(93)<br />

Das ist der Prädikator. Einsetzen in Gleichung (92) liefert dann den Korrektor:<br />

y = y + h(f + 4f + f ∗ ) (94)<br />

58


6.2 Numerische Lösung von Differentialgleichungen<br />

wo erwartungsgemäß f ∗ = f(x , y ∗ ) gesetzt wurde.<br />

<br />

Schlecht an diesem Vorgehen ist, die Tatsache, dass y als bekannt vorausgesetzt wurde.<br />

Dem kann man abhelfen, indem man diesen Wert mit der verbesserten Eulerschen<br />

(Heunschen) Methode bestimmt. Setzt man den dortigen Wert Gleichung (93) ein, so<br />

nimmt der Prädikator die Form an:<br />

y ∗ = y − 2hf ∗ + 4hf <br />

Fasst man nun alle Rechenschritte zusammen, dann erhält man:<br />

y ∗ = y + hf y = y + h(f + f∗ )<br />

y ∗ = y − 2hf∗ + 4hf y = y + h(f + 4f + f∗ )<br />

In der Literatur findet man dieses Schema in anderer Form gegeben. Um es zu erhalten,<br />

führen wir die Hilfsgrößen ein<br />

k = 2hf k = 2hf ∗ <br />

k = 2hf k = 2hf ∗ <br />

Damit bekommt man das Schema für die erste Methode von Runge-Kutta, wo man<br />

jetzt h = x − x setzt, um die beiden Schritte x → x und x → x verschmelzen zu<br />

können.<br />

k = hf(x , y )<br />

k = hfx + h 2 , y + k <br />

2 <br />

k = hfx + h 2 , y + k <br />

4 + k <br />

4 k = hf(x + h, y − k + 2k )<br />

y = y + (k + 4k + k )<br />

Ein etwas anderes Schema ist das folgende, das praktisch ebenso genau ist. Es wird<br />

zweite Methode von Runge-Kutta genannt und üblicherweise verwendet:<br />

k = hf(x , y )<br />

k = hfx + h 2 , y + k <br />

2 <br />

k = hfx + h 2 , y + k <br />

2 k = hf(x + h, y + k )<br />

y = y + (k + 2k + 2k + k )<br />

Für unsere Beispiels-dgl y ′ = −xy bekommt man im ersten Schritt mit x = 0, y = 1<br />

und h = 0, 1 der Reihe nach:<br />

k = 0; k = −0, 005; k = −0, 00049875; k = −0, 00995013; y = 0, 995012479<br />

Alle hier gezeigten Stellen sind exakt. Fügt man nach diesem Schema 9 weitere Schritte<br />

an, dann bekommt man y(1) ≈ 0, 606531. Dieses Ergebnis ist auf 6 Stellen genau.<br />

59


6 Näherungsverfahren für Differentialgleichungen<br />

6.2.2. Gleichungssysteme und DGL höherer Ordnung<br />

Differentialgleichungen höherer Ordnung werden immer auf ein System von Differentialgleichungen<br />

erster Ordnung zurückgeführt. Nimmt man z. B. die Gleichung<br />

y ″ + P(x)y ′ + Q(x)y = F(x)<br />

Dann kann man y ′ = p setzen und erhält das System aus zwei Gleichungen:<br />

y ′ = p<br />

p ′ = F(x) − P(x)p − Q(x)y ≡ f(x, y, p)<br />

Dieses System benötigt wie die ursprüngliche dgl zweiter Ordnung zwei Anfangsbedingungen:<br />

y(0) = y und p(0) = p .<br />

Analog geht man vor, wenn man dgl noch höherer Ordnung hat. Als Beispiel soll ein<br />

physikalisches Problem gelöst werden: Ein Schwingkreis besteht aus einer Spule mit<br />

Induktivität L und einem Kondensator mit Kapazität C. Wir suchen die Stromstärke I<br />

und die Spannung U an der Spule als Funktion der Zeit. Dann bekommt man das System:<br />

dI<br />

dt = 1 L ⋅ U(t) und dU<br />

dt = − 1 ⋅ I(t) (95)<br />

C<br />

Die Anfangsbedingungen seien:<br />

I(0) = I und U(0) = U <br />

Dieses System löst man nun mit genau denselben Waffen numerisch, die im vorigen<br />

Abschnitt benützt wurden, also mittels der Methoden von Euler oder Runge-Kutta.<br />

Man wählt einen kleinen Zeitschritt h und integriert beide Gleichungen:<br />

I(h) = I + 1 L h U(t) dt<br />

<br />

U(h) = U − 1 C h I(t) dt<br />

<br />

Nähert man die Integrale mittels der Trapezregel, dann bekommt man<br />

I = I + h<br />

2L (U + U )<br />

U = U − h<br />

2C (I + I )<br />

Löst man dieses lineare Gleichungssystem auf, dann erhält man die Rekursionsformeln:<br />

I =<br />

1 − h<br />

CL I + h L U <br />

1 + h<br />

CL<br />

und U =<br />

− h C I + 1 − h<br />

CL U <br />

1 + h<br />

CL<br />

Von diesen Werten ausgehend macht man dann den Schritt zum Zeitpunkt 2h usw.<br />

Natürlich kann man auch die bessere Methode von Runge-Kutta benützen. Dann<br />

bekommt man ein Schema wie in Tabelle 3 für das allgemeine System<br />

y ′ = f(x, y, z) z ′ = g(x, y, z) mit y(x ) = y z(x ) = z <br />

Jeder k- bzw. l-Wert wird berechnet, indem man die Funktion f bzw. g mit den Argumenten<br />

auswertet, die in derselben Zeile davor stehen und das so ermittelte Resultat<br />

noch mit h multipliziert.<br />

60


6.2 Numerische Lösung von Differentialgleichungen<br />

Tab. 3 Runge-Kutta-Schema für ein System aus zwei Differentialgleichungen erster Ordnung<br />

x y z k l<br />

x y z k l <br />

x + h <br />

x + h <br />

y + k <br />

<br />

y + k <br />

<br />

z + l <br />

<br />

z + l <br />

<br />

k l K<br />

k l L<br />

x + h y + k z + l k l <br />

x + h y = y + K z = z + L<br />

K = (k + 2k + 2k + k )<br />

L = (l + 2l + 2l + l )<br />

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