Evaluation - Landschaftsverband Rheinland
Evaluation - Landschaftsverband Rheinland
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Das Consulentenprojekt<br />
der Heilpädagogischen Heime<br />
des <strong>Landschaftsverband</strong>es <strong>Rheinland</strong><br />
zur Unterstützung der professionellen Arbeit mit Menschen<br />
mit geistiger Behinderung und erheblichen Verhaltensauffälligkeiten<br />
<strong>Evaluation</strong><br />
im Auftrag des <strong>Landschaftsverband</strong>es <strong>Rheinland</strong><br />
- November 2004 -<br />
Monika Seifert<br />
Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin<br />
in Kooperation mit<br />
Universität zu Köln / Heilpädagogische Fakultät<br />
Seminar für Geistigbehindertenpädagogik (Lehrstuhl: Fornefeld)
Einführung<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
1 Einführung.........................................................................................5<br />
2 Zielsetzung und methodisches Vorgehen ......................................8<br />
2.1 Erhebungsinstrumente................................................................................................... 8<br />
2.1.1 Dokumentenanalyse zur Klärung der Ausgangslage ......................................... 9<br />
2.1.2 Fragebogenerhebung zur <strong>Evaluation</strong> der Consulentenarbeit ............................ 9<br />
2.1.3 Einzelfallstudien zu ausgewählten Fragestellungen ........................................ 12<br />
2.2 Güte der Daten ............................................................................................................ 12<br />
3 Problemlagen bei Antragstellung..................................................14<br />
3.1 Lebenssituation der Bewohner/innen........................................................................... 14<br />
3.2 Herausfordernde Verhaltensweisen............................................................................. 16<br />
3.3 Auswirkungen auf das soziale Umfeld......................................................................... 18<br />
3.4 Versuche zur Problemlösung....................................................................................... 20<br />
4 Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt ............22<br />
4.1 Personenkreis.............................................................................................................. 22<br />
4.2 Verhalten zu Beginn der Consulentenarbeit ................................................................ 24<br />
4.3 Maßnahmen und Interventionen im Überblick ............................................................. 27<br />
4.3.1 Theoretische Grundannahmen ........................................................................ 27<br />
4.3.2 Durchgeführte Interventionen und Maßnahmen .............................................. 28<br />
4.3.3 Wirksamkeit der Maßnahmen und Interventionen ........................................... 30<br />
4.3.4 Veränderungen der Wohnsituation .................................................................. 31<br />
4.3.5 Personelle Veränderungen .............................................................................. 36<br />
4.3.6 Erweiterung der Mitarbeiterkompetenz ............................................................ 41<br />
4.3.7 Erweiterung von Beobachtung, Problemanalyse und Diagnostik .................... 46<br />
4.3.8 Veränderungen am Betreuungskonzept .......................................................... 51<br />
4.3.9 Veränderungen sozialer Beziehungen ............................................................. 56<br />
4.3.10 Veränderungen in der Alltagsgestaltung / Lebensführung ............................... 61<br />
4.3.11 Veränderungen bei Beschäftigung, Freizeit und Bildung ................................. 67<br />
4.3.12 Spezielle Maßnahmen ..................................................................................... 71<br />
5 Veränderungsprozesse ..................................................................80<br />
5.1 Fremdgefährdendes Verhalten .................................................................................... 81<br />
5.2 Selbstverletzendes Verhalten ...................................................................................... 83<br />
5.3 Sachbeschädigendes Verhalten .................................................................................. 84<br />
5.4 Weitere Verhaltensweisen ........................................................................................... 84<br />
5.5 Fallbeispiele................................................................................................................. 86<br />
5.5.1 „Er musste viel Vertrauen aufbauen.“ .............................................................. 86<br />
5.5.2 „Sie war einfach sehr verzweifelt.“ ................................................................... 89<br />
5.5.3 „Hier ist er in der Gemeinschaft mit drin.“ ........................................................ 94<br />
5.6 Aktuelles Verhalten...................................................................................................... 97<br />
6 Bewertung der Consulentenarbeit ..............................................100<br />
6.1 Erfahrungen des Orga-Teams ................................................................................... 100<br />
6.2 Einschätzung der Teilnehmenden ............................................................................. 103<br />
3
Einführung<br />
7 Zusammenfassung der Ergebnisse............................................ 107<br />
7.1 Effektivität der Maßnahmen ....................................................................................... 107<br />
7.2 Veränderungen im Verhalten ..................................................................................... 110<br />
7.3 Einschätzung des Consulentenprojekts ..................................................................... 111<br />
8 Empfehlungen .............................................................................. 113<br />
8.1 Consulentenarbeit – Unterstützung auf dem Weg zur Partizipation .......................... 113<br />
8.2 Konsequenzen ........................................................................................................... 114<br />
8.2.1 Weiterentwicklung der Consulentenarbeit in den HPH .................................. 114<br />
8.2.2 Verankerung der Consulentenarbeit im System regionaler Hilfestrukturen ... 116<br />
9 Literatur......................................................................................... 118<br />
10 Verzeichnisse ............................................................................... 120<br />
10.1 Abbildungen ............................................................................................................... 120<br />
10.2 Tabellen ..................................................................................................................... 121<br />
11 Anhang .......................................................................................... 122<br />
11.1 Antrag zur Klärung des Bedarfs für erweitere Hilfe.................................................... 122<br />
11.2 Fragebogen zur Auswertung des Unterstützungsangebots des Organisationsteams122<br />
4
Einführung<br />
1 Einführung<br />
In den fünf Rheinischen Heilpädagogischen Heimen des <strong>Landschaftsverband</strong>es <strong>Rheinland</strong><br />
(HPH) wohnen ca. 2000 Menschen mit geistiger Behinderung (vgl.<br />
LANDSCHAFTSVERBAND RHEINLAND 2003):<br />
− HPH Bedburg-Hau (ca. 730 Bewohner/innen)<br />
− HPH Bonn (ca. 180 Bewohner/innen)<br />
− HPH Düren (ca. 330 Bewohner/innen)<br />
− HPH Langenfeld (ca. 400 Bewohner/innen)<br />
− HPH Viersen (ca. 370 Bewohner/innen)<br />
72 % der Bewohner/innen leben in dezentral organisierten Wohnformen, 28 % im Kernheimbereich,<br />
der teilweise auf dem Gelände der Rheinischen Kliniken liegt. 1 Die Wohngruppen<br />
umfassen in der Regel acht Plätze. Für eine kleine Zahl von Personen mit speziellem<br />
Unterstützungsbedarf wurden kleinere Wohneinheiten eingerichtet (1 – 3 Personen).<br />
Tagesstrukturierende Angebote für die Bewohner/innen stehen in insgesamt 11<br />
Heilpädagogischen Zentren zur Verfügung.<br />
Leitziele der Arbeit der Heilpädagogischen Heime sind ein Höchstmaß an Selbstbestimmung,<br />
eine bedarfsgerechte individuelle Beratung, Förderung, Betreuung und Versorgung.<br />
Der behinderte Mensch soll ein Leben so normal wie möglich führen können - mit<br />
gleichen Rechten wie für nicht behinderte Menschen, mit Privatsphäre und Intimität, mit<br />
Arbeit oder sonstiger Tagesstrukturierung und Freizeitgestaltung, Fortbildung und Urlaub.<br />
Einfluss auf die Gestaltung des Lebens im Heim und Chancen zur Teilhabe am gesellschaftlichen<br />
Leben sollen selbstverständlicher Bestandteil der Dienstleistungen sein.<br />
Fast die Hälfte der Bewohner/innen gilt als schwer oder schwerst geistig behindert. Viele<br />
haben wegen zusätzlicher körperlicher und/oder sinnesbezogener Beeinträchtigungen<br />
und/oder erheblicher Verhaltensauffälligkeiten bei der Bewältigung ihres Alltags einen<br />
spezifischen Hilfebedarf, der große Anforderungen an die professionelle Begleitung und<br />
Unterstützung stellt. Auch bei guter Qualifikation und heiminterner fachlicher Beratung<br />
stoßen die Gruppenmitarbeiter/innen im Einzelfall immer wieder an Grenzen, vor allem<br />
bei selbst- und fremdgefährdenden Verhaltensweisen. Trotz vielfältiger Bemühungen erscheinen<br />
festgefahrene Lebens- und Betreuungssituationen oftmals als nicht mehr veränderbar.<br />
Erfahrungen in den Niederlanden zeigen, dass durch gezielten Einsatz von Consulenten<br />
(Beratern) mit unterschiedlichen fachlichen Qualifikationen, unterschiedlichem Erfahrungshintergrund<br />
und unterschiedlichen Arbeitsschwerpunkten scheinbar ausweglose<br />
Situationen aufgebrochen und für die Betroffenen neue Lebensperspektiven eröffnet<br />
werden können: Bei der überwiegenden Zahl der Klienten war eine deutlicher Rückgang<br />
gravierender Verhaltensauffälligkeiten und eine Reduzierung des Einsatzes restriktiver<br />
Maßnahmen feststellbar (vgl. EEKELAAR 2003).<br />
Wesentliche Voraussetzung für das Gelingen der Consulentenarbeit ist die Erkenntnis,<br />
dass viele Verhaltensprobleme durch deprivierende Umfeldfaktoren hervorgerufen und<br />
aufrecht erhalten werden:<br />
„Der Klient ist nicht verhaltensgestört; vielmehr benimmt er sich so in Reaktion auf seine Umgebung<br />
bzw. in Interaktion mit seiner Umgebung. (...) Erfolgreiche Behandlungen waren häufiger<br />
auf die ‚Behandlung’ des Umfelds als auf die Behandlung des Klienten gerichtet. (...) Oft entwickelt<br />
sich ein neuer Ansatz durch das Anbieten einer anderen Norm. Es ist hilfreich, normale<br />
1 Die Plätze in den Kernheimen sollen perspektivisch auf 12 % reduziert werden.<br />
5
Einführung<br />
menschliche Erwartungen als Ausgangspunkt zu nehmen und nicht immer die Verhaltensproblematik<br />
in den Mittelpunkt zu stellen. Die Beschränkung des Blicks auf das Problemverhalten führt<br />
zu einer bloßen Beherrschungsstrategie – und dies ist genau das Problem. Man sollte sich öffnen<br />
für allgemeine menschliche Erwartungen, Bedürfnisse, für die Lebensqualität und das Bedürfnis,<br />
in betreuter Form zusammen zu leben und wohnen zu können.“ (EEKELAAR 2003, 252)<br />
Ein Informationsaustausch mit dem Niederländischen Consulententeam führte dazu,<br />
dass die Heilpädagogischen Heime im Herbst 2000 in Anlehnung an das Niederländische<br />
Modell ein Organisationsteam für Consulentenarbeit (Orga-Team) bildeten. Mitglieder<br />
des Teams sind ein Psychologe und zwei Psychologinnen, die in den Heilpädagogischen<br />
Heimen in leitender Funktion tätig sind: Dipl.-Psych. Reinhold Braun, Dipl.-<br />
Psych. Marlene Hittinger, Dipl.-Psych. Ingrid Elger (seit Herbst 2002; vorher: Dipl.-Psych.<br />
Thomas Ströbele). Sie verfügen über unterschiedliche therapeutische Zusatzausbildungen,<br />
z. B. Gesprächstherapie, Verhaltenstherapie, Psychosynthese und Psychodrama. 2<br />
Anders als in den Niederlanden, wo die Consulentenarbeit durch einrichtungsunabhängige<br />
regionale Beratungsteams staatlich finanziert wird, sind die Mitglieder des Orga-<br />
Teams als Abteilungsleiter/innen in den Heilpädagogischen Heimen tätig und verfügen<br />
über keine eigenen Mittel zur Finanzierung von Unterstützungsmaßnahmen. Sie sind mit<br />
halber Stelle für die Arbeit im Consulentenprojekt frei gestellt. Innerhalb des Consulentenprojekts<br />
sind die Mitglieder des Orga-Teams jeweils für die Heime zuständig, in denen<br />
sie keine leitenden Aufgaben innehaben. Das Verfahren der Consulentenarbeit ist<br />
im Qualitätsmanagementsystem der Heilpädagogischen Heime verankert.<br />
Zielsetzung der Arbeit ist die Unterstützung bei Verhaltensproblemen, die sich über einen<br />
längeren Zeitraum verfestigt haben und durch bisherige institutionelle Bemühungen<br />
nicht gelöst werden konnten:<br />
„Die Unterstützungsleistung besteht nach umfassender Problemanalyse in Beratung und Vermittlung<br />
von fachlichen, personellen und sachlichen Hilfeleistungen. Die Unterstützungsleistungen<br />
werden bedarfsentsprechend und zeitlich befristet in Form von Expertenkonsultationen und weiteren<br />
personellen und sachlichen Hilfeleistungen vermittelt.“ (GESCHÄFTSORDNUNG FÜR DIE<br />
ORGANISATION DER CONSULENTENARBEIT)<br />
Die Arbeitsweise des Organisationsteams umfasst folgende Schritte (vgl.<br />
LANDSCHAFTSVERBAND RHEINLAND 2004):<br />
− Die Verfahrensanweisung im Qualitätsmanagementsystem sieht vor, dass bei gravierenden<br />
Verhaltensauffälligkeiten eines Bewohners 3 zunächst abteilungsübergreifende<br />
Beratungen und eine Problembearbeitung innerhalb des Heimes durchzuführen<br />
sind und zu dokumentieren sind. Bleiben die Maßnahmen erfolglos, wird<br />
der Bewohner über die jeweilige fachliche Werkleitung zur weiteren unterstützenden<br />
Beratung beim Organisationsteam für Consulentenarbeit angemeldet.<br />
− Die Antragstellung erfolgt über einen Fragebogen, der persönliche Daten, eine Beschreibung<br />
des Umfelds, eine Problemanalyse, Lösungsversuche und Veränderungsziele<br />
beinhaltet. Das Organisationsteam wertet die Angaben im Antragsbogen<br />
aus und formuliert offene Fragen.<br />
− Es folgen Gespräche in der Wohngruppe mit dem Ziel, den Bewohner und seine<br />
Problemsicht kennen zu lernen, offene Fragen mit den beteiligten Personen und<br />
Diensten zu klären, Hintergrundinformationen zu sammeln und zu einer gemeinsamen<br />
Zieldefinition zu kommen.<br />
− Danach werden Vorschläge zur Problemlösung entwickelt und in einem Empfehlungsschreiben<br />
an die fachliche Werkleitung des jeweiligen Heims weitergeleitet,<br />
2 Vgl. www.consulenten.lvr.de<br />
3 Im Interesse einer besseren Lesbarkeit des Textes wird bei allgemeinen Personenbezeichnungen teilweise nur<br />
die maskuline Schreibweise verwendet.<br />
6
Einführung<br />
die ggf. einen Antrag zur Finanzierung von Maßnahmen an den überörtlichen Sozialhilfeträger<br />
stellt. Schwerpunkt der Empfehlungen können pädagogischtherapeutische<br />
Hilfen, Anregungen zur Milieugestaltung und zur Personalorganisation,<br />
Fortbildung, Supervision und Einsatz eines externen Beraters sowie die Beantragung<br />
einer Einzelfallhilfe sein.<br />
Im Zeitraum von 2001 bis 2004 war das Organisationsteam für ca. 40 Bewohner/innen<br />
tätig.<br />
Bereits zu Beginn ihrer Arbeit hat das Organisationsteam in Bezug auf die zu erwartende<br />
Effektivität und Effizienz seiner Arbeit 10 Thesen formuliert (BRAUN/STRÖBELE 2003):<br />
1. Die Arbeit des Organisationsteams hilft die Lebens- und Betreuungssituation der betroffenen<br />
Bewohner/innen zu verbessern.<br />
2. Die Arbeit des Orga-Teams leistet einen Beitrag auch dazu, die vorhandenen heiminternen<br />
pädagogisch-therapeutischen Ressourcen optimal zu nutzen und die fachlichen<br />
Potenzen der Heime zu verbessern.<br />
3. Das Orga-Team verlangt einen optimalen Einsatz personeller Mittel und bewirkt somit<br />
einen optimalen Personaleinsatz.<br />
4. Eine erhöhte fachliche und personelle Effizienz führt längerfristig zu einer Kostenreduzierung,<br />
da weniger erweiterte Hilfe benötigt wird.<br />
5. Das Ausfüllen des Antragsbogens führt in Einzelfällen schon zu Lösungen.<br />
6. Durch den Einsatz externer Berater wird die fachliche Qualifikation der Mitarbeiter<br />
erhöht.<br />
7. Das pädagogisch-therapeutische Konzept der Wohngruppe wird durch den externen<br />
Berater ergänzt und damit verbessert.<br />
8. Die Einbeziehung von Therapeuten, die über die Krankenkasse finanziert werden,<br />
bewirkt eine Kostenreduzierung.<br />
9. Im Rahmen der Heimbesuche wird minuziös abgeklärt, unter welchen Bedingungen<br />
der Bewohner sich unproblematisch verhält. Diese Erkenntnis fließt in die Problemlösung<br />
ein.<br />
10. Berater, die im Wohngruppenalltag, wie in den Niederlanden praktisch anleiten, sind<br />
notwendig, diese Finanzierung ist noch offen.<br />
7
Zielsetzung und methodisches Vorgehen<br />
2 Zielsetzung und methodisches Vorgehen<br />
Nach etwa zweijähriger Laufzeit des Consulentenprojekts beauftragte der <strong>Landschaftsverband</strong><br />
<strong>Rheinland</strong> die Autorin dieses Berichts 4 mit der <strong>Evaluation</strong> der Arbeit des Organisationsteams<br />
für Consulentenarbeit im Zeitraum 2001/2002. Ende 2003 wurde ein Zwischenbericht<br />
vorgelegt, der exemplarisch die Wirksamkeit einzelner Interventionen und<br />
Maßnahmen beschreibt.<br />
Die Fragestellung der Untersuchung konzentriert sich auf folgende Bereiche:<br />
−<br />
−<br />
−<br />
−<br />
−<br />
Analyse der Problemlagen in den Gruppen bei Antragstellung<br />
Untersuchung der Effektivität der durchgeführten Maßnahmen und Interventionen<br />
Untersuchung von Veränderungsprozessen anhand ausgewählter Beispiele<br />
Einschätzung der Consulentenarbeit nach den ersten zwei Jahren<br />
Erarbeitung von Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Consulentenprojekts<br />
Eine differenzierte Darstellung des aktuellen Forschungsstands zum Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten<br />
von Menschen mit geistiger Behinderung würde den Rahmen dieses<br />
Berichts sprengen. Wesentliche Grundannahmen werden skizziert, vertiefende Ausführungen<br />
sind den im Literaturverzeichnis angegebenen Publikationen zu entnehmen.<br />
2.1 Erhebungsinstrumente<br />
Da die <strong>Evaluation</strong> der Consulentenarbeit erst nach zweijähriger Laufzeit des Projekts in<br />
Auftrag gegeben wurde, musste sich die Untersuchung überwiegend auf retrospektive<br />
Bewertungen der Wirksamkeit der durchgeführten Maßnahmen beschränken. 5 Im Mittelpunkt<br />
steht die Erkundung der Sichtweisen der Beteiligten. Dieser Ansatz korrespondiert<br />
mit der Fragestellung des Forschungsprojekts, die ein Problemfeld tangiert, in dem subjektive<br />
Wahrnehmungen und Bewertungen handlungsleitende Bedeutung haben.<br />
−<br />
−<br />
−<br />
−<br />
−<br />
Vor diesem Hintergrund wird den Aussagen der Mitarbeiter/innen im Gruppendienst,<br />
die tagtäglich mit herausfordernden Verhaltensweisen der Bewohner/innen konfrontiert<br />
werden und auf fachliche Unterstützung von außen angewiesen sind, bei der<br />
Frage nach der Wirksamkeit der Consulentenarbeit besonderes Gewicht beigemessen.<br />
Im Interesse der Mehrperspektivität wurden darüber hinaus die Sichtweisen von Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeitern mit leitenden bzw. gruppenübergreifenden Funktionen<br />
erhoben.<br />
Zusätzlich wurde im Rahmen von Einzelfallstudien die Sicht von Eltern und von Experten<br />
und Expertinnen von außerhalb berücksichtigt.<br />
Im Zusammenhang mit der Bewertung der Consulentenarbeit nach den ersten zwei<br />
Jahren wurde die Einschätzung des Organisationsteams einbezogen.<br />
Die Perspektive der betroffenen Bewohner/innen, die im Zusammenhang mit Verhaltensauffälligkeiten<br />
von zentraler Bedeutung ist, konnte wegen der überwiegend stär-<br />
4 1997 – 2003 Mitarbeiterin der Heilpädagogischen Fakultät der Universität zu Köln (Seminar für Geistigbehindertenpädagogik,<br />
Lehrstuhl: Fornefeld), seit 2004 Gastprofessorin an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen<br />
Berlin<br />
5 Das Setting für die <strong>Evaluation</strong> wurde in Kooperation mit Dr. Christian Bradl, Abteilungsleiter im HPH Düren, und<br />
den Mitgliedern des Organisationsteams für Consulentenarbeit entwickelt. So konnte sicher gestellt werden, dass<br />
institutionsinterne Spezifika Berücksichtigung finden.<br />
8
Zielsetzung und methodisches Vorgehen<br />
ker eingeschränkten verbalen Kommunikationsfähigkeit der einbezogenen Frauen<br />
und Männer im Rahmen der zur Verfügung stehenden knappen personellen Kapazitäten<br />
des <strong>Evaluation</strong>sprojekts nicht systematisch erhoben werden. Ein <strong>Evaluation</strong>sbogen<br />
wurde nach Aussage des ausfüllenden Gruppenmitarbeiters unter Beteiligung<br />
des Bewohners beantwortet.<br />
Die im <strong>Evaluation</strong>sprojekt verwendeten Methoden umfassen quantitative und qualitative<br />
Verfahren: Dokumentenanalyse, Fragebogenerhebung und Einzelfallstudie. Die Durchführung<br />
der Erhebungen und der Auswertungen sowie die Darstellung der Ergebnisse<br />
entsprechen datenschutzrechtlichen Bestimmungen. Die Zustimmung der gesetzlichen<br />
Betreuer/innen der in die Studie einbezogenen Bewohner/innen wurde eingeholt.<br />
2.1.1 Dokumentenanalyse zur Klärung der Ausgangslage<br />
Im Zeitraum vom Beginn des Consulentenprojekts bis zum Jahr 2002 wurde für 22 Bewohner/innen<br />
der Rheinischen Heilpädagogischen Heime ein ‚Antrag zur Klärung des<br />
Bedarfs für erweiterte Hilfe – Konsulentenarbeit / Organisationsteam’ gestellt (Kurzform<br />
im Anhang) 6 . Der Antragsbogen umfasst differenzierte Angaben zur Person, für die Unterstützung<br />
benötigt wird, und zu den bereits erfolgten Maßnahmen:<br />
− Persönliche Daten<br />
− Wohnsituation<br />
− Soziales Umfeld / soziale Beziehungen<br />
− Arbeit / Beschäftigung<br />
− Förderung / Therapie<br />
− Problemanalyse<br />
− Erwartungen an die Unterstützung durch die Consulentenarbeit<br />
Zur Erfassung der Problemlagen wurden die 22 Antragsbögen analysiert (FORNELL<br />
2003). Die von Gruppenmitarbeitern und -mitarbeiterinnen handschriftlich eingetragenen<br />
Aussagen (überwiegend offene Fragen) wurden in anonymisierter Form transkribiert und<br />
unter Anwendung eines computerunterstützten Textanalyseprogramms für verbale Daten<br />
in Anlehnung an die strukturierende qualitative Inhaltsanalyse nach MAYRING (2000) ausgewertet.<br />
2.1.2 Fragebogenerhebung zur <strong>Evaluation</strong> der Consulentenarbeit<br />
Zur <strong>Evaluation</strong> der Consulentenarbeit in den ersten zwei Jahren wurde ein ‚Fragebogen<br />
zur Auswertung des Unterstützungsangebots des Organisationsteams im Rahmen des<br />
Consulentenprojekts der Heilpädagogischen Heime’ entwickelt (s. Anhang) 7 . Schwerpunkte<br />
des Bogens sind:<br />
− Personbezogene Daten<br />
− Wohnsituation / Tagesstruktur<br />
− Verhaltensauffälligkeiten bei Antragstellung nach Häufigkeit und Intensität<br />
− Durchgeführte Interventionen und Maßnahmen seit Anmeldung zum Consulentenprojekt<br />
− Bewertung der Effektivität der Maßnahmen für Mitarbeiter und Bewohner<br />
− Einschätzung der zu Beginn genannten Verhaltensweisen in der aktuellen Situation<br />
− Weitere zur Zeit problematische Verhaltensweisen<br />
6 Die hier vorliegende Analyse basiert auf der Erstfassung des Bogens. Der Bogen wurde inzwischen vom Orga-<br />
Team in Teilbereichen modifiziert. Informationen zum Bogen: www.consulenten.lvr.de<br />
7 in Kooperation mit Dr. Christian Bradl, Abteilungsleiter im HPH Düren<br />
9
Zielsetzung und methodisches Vorgehen<br />
− Positive Verhaltensweisen bzw. Fähigkeiten<br />
− Allgemeine Einschätzung des Consulentenprojekts<br />
Rücklauf<br />
Die Fragebögen wurden an alle Abteilungsleitungen geschickt, in deren Bereich die 22<br />
am Consulentenprojekt beteiligten Bewohner/innen wohnen. Im Interesse der Mehrperspektivität<br />
sollten für jede Person mindestens zwei Bögen ausgefüllt werden: von der<br />
zuständigen Abteilungsleitung und von der Gruppenleitung (bzw. eines Mitglieds des<br />
Teams). 45 Bögen wurden ausgefüllt zurück gesandt. Drei Bögen kamen unausgefüllt<br />
zurück: einmal wegen Teamwechsels in der Gruppe, zweimal mit der Begründung, dass<br />
die Bewohner/innen nach der Antragstellung (noch) nicht ins Consulentenprojekt einbezogen<br />
waren. Zu zwei Bewohnern gab es keinerlei Rückmeldungen. Die Angaben beziehen<br />
sich somit auf insgesamt 17 Frauen und Männer. Für elf Personen liegen jeweils<br />
drei Bögen vor, für sechs jeweils zwei Bögen.<br />
Mehrperspektivität<br />
Die Beantwortung der Fragebögen erfolgte durch 8 Abteilungsleiter/innen (16 Bögen) 8 ,<br />
12 Gruppenleiter/innen und 15 Gruppenmitarbeiter/innen, 1 Fachdienst-Mitarbeiter/in<br />
und 1 Caremanager/in (Abb. 1). Diese Zusammensetzung erlaubt einen Vergleich unterschiedlicher<br />
Sichtweisen zur Problemlage der Bewohner/innen und zur Einschätzung der<br />
durchgeführten Interventionen und Maßnahmen.<br />
Beantwortung der Fragebögen, n=45<br />
Fachdienst, 1<br />
Caremanager, 1<br />
Mitarbeiter, 15<br />
Abteilungsleiter, 16<br />
Gruppenleiter, 12<br />
Abb. 1<br />
Rücklauf der Fragebögen<br />
Der Vergleich der Perspektiven ist allerdings durch die Tatsache erschwert, dass von<br />
keiner Gruppierung Rückmeldungen zu allen 17 Bewohnern und Bewohnerinnen vorliegen.<br />
Darum wurde - neben der Gesamtstichprobe - für eine Gegenüberstellung spezifischer<br />
bewohnerbezogener Aussagen eine Einteilung der vorliegenden Aussagen in eine<br />
‚Gruppenperspektive’ und eine ‚Außenperspektive’ (leitend bzw. gruppenübergreifend<br />
tätige Mitarbeiter/innen) vorgenommen. Darüber hinaus ist bei ausgewählten Fragestellungen<br />
eine gesonderte Betrachtung aus der ‚Mitarbeiterperspektive’ von Interesse, die<br />
8 Die Zahl der Bögen ist nicht identisch mit der Zahl der beteiligten Abteilungsleitungen, da einige aus Gründen<br />
der Zuständigkeit für mehrere Bewohner/innen Bögen ausgefüllt haben.<br />
10
Zielsetzung und methodisches Vorgehen<br />
sich auf die im Gruppendienst Tätigen beschränkt. Bei der Ergebnisdarstellung wird die<br />
jeweils zugrunde liegende Datenbasis erläutert.<br />
Die Gruppenperspektive (n = 17) umfasst die Aussagen der 12 Gruppenleiter/innen<br />
und von 5 Gruppenmitarbeitern und -mitarbeiterinnen. Sie dient als Basis zur Auswertung<br />
der<br />
−<br />
Art, Ausprägung und Veränderungsprozesse auffälliger Verhaltensweisen<br />
Da die alltäglichen Erfahrungen des Gruppenpersonals mit den herausfordernden<br />
Verhaltensweisen der Bewohner/innen Anlass für die Anmeldung zum Consulentenprojekt<br />
waren, wird das Verhalten der Bewohner/innen bei Antragstellung und die<br />
Einschätzung des Veränderungsprozesses nach zwei Jahren aus Gruppenperspektive<br />
dargestellt.<br />
− Häufigkeit der durchgeführten Maßnahmen<br />
Auch bei den Angaben zur Häufigkeit der durchgeführten Maßnahmen werden die<br />
Aussagen aus Gruppenperspektive zugrunde gelegt, weil sie die Wahrnehmung im<br />
Team und die Praxis vor Ort wiedergeben.<br />
Eine zusätzliche Darstellung der Verhaltensweisen und der Häufigkeit der durchgeführten<br />
Maßnahmen aus der Außenperspektive einschließlich der Interpretation möglicher<br />
Unterschiede hätte den Bericht überfrachtet.<br />
Die Außenperspektive (n = 17) umfasst die Aussagen der leitend oder gruppenübergreifend<br />
tätigen Mitarbeiter/innen: 16 <strong>Evaluation</strong>sbögen wurden von Abteilungsleitungen<br />
ausgefüllt, ein Bogen von 1 Fachdienstmitarbeiter/in. 9 Im Interesse der Übersichtlichkeit<br />
der Ergebnisdarstellung wird ein Vergleich zwischen der Perspektive des Gruppenpersonals<br />
und der leitend bzw. gruppenübergreifend tätigen Mitarbeiter/innen nur punktuell<br />
bei ausgewählten Fragestellungen einbezogen, z. B. bei der Einschätzung der Veränderungsprozesse<br />
nach zwei Jahren.<br />
Die Gesamtstichprobe (n = 45) umfasst alle ausgefüllten Fragebögen. Sie ist Basis für<br />
die<br />
−<br />
−<br />
−<br />
Bewertung der Effektivität der Maßnahmen<br />
Datenbasis für die Bewertung der Effektivität der Maßnahmen sind die Aussagen von<br />
Gruppenmitarbeitern und -mitarbeiterinnen und von Personen, die in leitender oder<br />
gruppenübergreifender Funktion tätig sind. Diese ‚Gesamtperspektive’ integriert die<br />
Sichtweisen aller Beteiligten und wirkt damit einer einseitigen Beurteilung der Maßnahmen<br />
durch einzelne Personengruppen entgegen. Eine differenzierte Darstellung<br />
der Bewertungen aus unterschiedlicher Perspektive hätte auch hier die Übersichtlichkeit<br />
erschwert. 10<br />
Beschreibung positiver Verhaltensweisen bzw. Fähigkeiten<br />
Aussagen zu diesem Aspekt wurden im Fragebogen durch offene Fragen erhoben.<br />
Eine bewohnerbezogene quantitative Darstellung ist von daher nicht möglich. Darum<br />
werden im Interesse eines möglichst breiten Spektrums der Wahrnehmungen positiver<br />
Verhaltensweisen und Fähigkeiten der Bewohner/innen die Erfahrungen aller Beteiligten<br />
zusammengeführt.<br />
Einschätzung der Consulentenarbeit<br />
Die Bewertung der Consulentenarbeit erfolgt aus der Sicht aller Beteiligten. Besonderheit:<br />
Obwohl die Stichprobe insgesamt 45 Fragebögen umfasst, kommen bei dieser<br />
Fragestellung nur 37 Antworten zum Tragen, weil von den 8 beteiligten Abteilungsleitungen<br />
aus Zuständigkeitsgründen insgesamt 16 Bewohnerbögen ausgefüllt<br />
9 Der/die Fachdienstmitarbeiter/in hat den Bogen für eine/n Bewohner/in ausgefüllt, für den/die keine Abteilungsleiter-Aussagen<br />
vorliegen.<br />
10 Eine separate Auswertung der Ergebnisse aus Gruppenperspektive, in der jeweils ein Mitarbeiter seine subjektive<br />
Bewertung der Maßnahmen für einen Bewohner abgibt, ist in der Arbeit von SCHOßMEIER (2004) enthalten.<br />
11
Zielsetzung und methodisches Vorgehen<br />
wurden. Die Bewertung der Arbeit des Consulententeams kann pro Person jedoch<br />
nur einmal vorgenommen werden. Aus diesem Grund reduziert sich bei dieser Fragestellung<br />
die Gesamtzahl von 45 auf 37 Antworten.<br />
Die Mitarbeiterperspektive (n = 17) umfasst die Aussagen der 12 Gruppenleitungen<br />
und der 15 Gruppenmitarbeiter/innen. Sie erfährt bei der Einschätzung der fachlichen<br />
Unterstützung durch das Consulententeam besondere Beachtung. Auf eine systematische<br />
Betrachtung von ‚Mitarbeiterperspektive’ und ‚Außenperspektive’ wurde verzichtet.<br />
2.1.3 Einzelfallstudien zu ausgewählten Fragestellungen<br />
Zur Untersuchung des Veränderungsprozesses von festgefahrenen Verhaltensweisen<br />
und möglicher Bedingungsfaktoren wurden im Rahmen von Diplomarbeiten an den Universitäten<br />
Köln und Oldenburg Einzelfallstudien mit jeweils unterschiedlichem Schwerpunkt<br />
durchgeführt. Eine Studie stellt den Zusammenhang zwischen lebensgeschichtlichen<br />
Erfahrungen und Verhaltensauffälligkeiten in den Mittelpunkt (BAUER 2004), eine<br />
andere betrachtet schwerpunktmäßig die Bedeutung von sozialen Beziehungen im Kontext<br />
von problematischen Verhaltensweisen (DONAJSKI 2004). Eine weitere Arbeit befasst<br />
sich primär mit dem Umgang mit Krisen in Wohngruppen und den daraus abzuleitenden<br />
Anforderungen an die Consulentenarbeit (TÄUBER 2004). Die Kernaussagen der Einzelfallstudien<br />
können nur ausschnitthaft in die Darstellung der Ergebnisse des <strong>Evaluation</strong>sprojekts<br />
eingebunden werden. Eine detaillierte Darstellung würde den Rahmen des Berichts<br />
übersteigen.<br />
2.2 Güte der Daten<br />
Für alle Erhebungen gilt, dass die Angaben zu den jeweiligen Fragestellungen subjektive<br />
Einschätzungen sind. Eine objektive Darstellung ist nicht möglich, da Situationen je nach<br />
Beobachterstandpunkt grundsätzlich unterschiedlich wahrgenommen werden. Dies gilt<br />
insbesondere für die Perspektive des Gruppenpersonals, das in das Gruppengeschehen<br />
eingebunden und an der Durchführung und Qualität der Maßnahmen direkt beteiligt war.<br />
Dieser Sachverhalt hat den positiven Effekt, dass die Mitarbeiter/innen das Verhalten<br />
und Erleben der Bewohner/innen vermutlich am besten verstehen und Einschätzungen<br />
zur Wirksamkeit von Maßnahmen im Sinne der Bewohner/innen abgeben können. Unter<br />
Umständen fehlt ihnen aber die nötige Distanz für eine unvoreingenommene Beurteilung.<br />
So kann die Bewertung unverhältnismäßig positiv ausfallen, um die eigene Erfolglosigkeit<br />
zu bestreiten, oder sehr negativ, um den hohen Unterstützungsbedarf des Bewohners<br />
zu betonen. Im Einzelfall können sich die Ausfüllenden auch der Einrichtung oder<br />
dem Träger verpflichtet fühlen. Diese Problematik ist bei einer retrospektiv ausgerichteten<br />
Untersuchung nur durch das Einbeziehen mehrerer Sichtweisen zu lösen. Bei der<br />
hier vorliegenden <strong>Evaluation</strong> wurde durch die Beteiligung von leitend und gruppenübergreifend<br />
tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei der Bewertung der Maßnahmen<br />
die begrenzte Perspektive einer Personengruppe aufgebrochen. Künftige <strong>Evaluation</strong>sprojekte<br />
sollten den Veränderungsprozess mit unterschiedlichen Untersuchungsverfahren<br />
über einen längeren Zeitraum begleiten, wobei Einzelfallanalysen eine besondere<br />
Bedeutung zukommt.<br />
Subjektive Wahrnehmungen führen dazu dass eine Gegenüberstellung der Häufigkeitsangaben<br />
aus der Gruppenperspektive und der Außenperspektive in fast allen Maßnahmebereichen<br />
Diskrepanzen zwischen den Aussagen der gruppenintern und der leitend<br />
bzw. gruppenübergreifend Tätigen aufweisen. 11 Ein Teil der Unterschiede kann zufällig<br />
11 Bei den insgesamt 68 Häufigkeitsangaben zu einzelnen Maßnahmen geben Gruppenmitarbeiter in 69 % der<br />
Fälle einen höheren Wert an, bei 14 % einen niedrigeren Wert. Nur bei 10 % besteht Übereinstimmung zwischen<br />
12
Zielsetzung und methodisches Vorgehen<br />
entstanden oder durch unscharfe Begriffe bei einzelnen Items begründet sein. Andere<br />
können sich aus den unterschiedlichen Verantwortungsbereichen ergeben: So betreffen<br />
z. B. einige Mehrangaben aus Gruppenperspektive überwiegend Bereiche, die unmittelbar<br />
das professionelle Handeln innerhalb der Gruppe betreffen (z. B. Veränderungen der<br />
Alltagsgestaltung/Lebensführung, der sozialen Beziehungen und des Betreuungskonzepts).<br />
Umgekehrt überwiegen Mehrangaben aus Außenperspektive in Bereichen, an<br />
denen die Abteilungsleitungen aktiv beteiligt sind (z. B. Personelle Veränderungen und<br />
Erweiterung der Mitarbeiterkompetenz). Der aufgezeigte Trend ist jedoch nicht generell<br />
nachweisbar. Insgesamt kann angenommen werden, dass die Diskrepanzen auf grundsätzliche<br />
Mängel in der Zusammenarbeit zwischen Gruppenpersonal und leitend bzw.<br />
gruppenübergreifend Tätigen zurück zu führen sind, z. B. auf unzureichende Abstimmungen<br />
über vereinbarte Absprachen bzw. Ziele und auf eine unsystematische Dokumentation<br />
der durchgeführten Maßnahmen. Dies wird bei der abschließenden Bewertung<br />
der Praxis der Consulentenarbeit zu thematisieren sein. Eine Klärung der Differenzen<br />
war wegen der Anonymität der Befragung im Rahmen des <strong>Evaluation</strong>sprojekts nicht<br />
möglich.<br />
An einzelnen Stellen lassen die ausgefüllten Fragebögen erkennen, dass unscharfe Begriffe<br />
unterschiedlich verstanden und entsprechend beantwortet wurden. Zudem kommt<br />
es teilweise zu Überschneidungen zwischen den Inhalten verschiedener Maßnahmebereiche<br />
(z. B. bei der Kategorie ‚Spezielle Fördermaßnahmen in der Wohngruppe’ in der<br />
Abteilung ‚Spezielle Maßnahmen’). Dies wurde durch Wiedergabe der jeweils hinzugefügten<br />
Erläuterungen aufgefangen.<br />
beiden Aussagen. Die Unterschiede bei den Angaben bewegen sich zwischen 1 bis 6 Punkten: Abweichungen<br />
um nur einen Punkt überwiegen (46 %).<br />
13
Problemlagen bei Antragstellung<br />
3 Problemlagen bei Antragstellung<br />
Die Auswertung der überwiegend offenen Fragen im ‚Antrag zur Klärung des Bedarfs auf<br />
erweiterte Hilfe’ ergibt ein differenziertes Bild der Problemlagen vor Ort (vgl. FORNELL<br />
2003). Aus der Fülle der Ergebnisse können an dieser Stelle nur ausgewählte Aspekte<br />
dargestellt werden. Schwerpunkte sind die Beschreibung der beteiligten Bewohner/innen<br />
und ihrer Lebenssituation, die Art der problematischen Verhaltensweisen einschließlich<br />
ihrer Auswirkungen auf das soziale Umfeld und Handlungsstrategien der Gruppen vor<br />
Beginn der Consulentenarbeit.<br />
3.1 Lebenssituation der Bewohner/innen<br />
Die 14 Bewohner und 8 Bewohnerinnen mit überwiegend schwerer und mittelgradiger<br />
geistiger Behinderung waren zum Zeitpunkt der Antragstellung zwischen 20 und 70 Jahre<br />
alt (überwiegend unter 45 Jahre).<br />
Als medizinische Diagnosen werden in unterschiedlicher Häufigkeit u. a. Epilepsie, Sehbehinderungen,<br />
Schwerhörigkeit, Hauterkrankungen, orthopädische Folgeerkrankungen<br />
nach Frakturen, spastische Cerebralparese, Sprachentwicklungsstörungen und Koordinationsstörungen<br />
sowie Herz-Kreislauf-Insuffizienz, Durchblutungsprobleme und Störungen<br />
der Darmtätigkeit genannt. Alle Bewohner/innen haben erhebliche psychische Störungen<br />
unterschiedlicher Ausprägung.<br />
20 Bewohner/innen nahmen täglich Medikamente ein, im Durchschnitt vier Präparate,<br />
ausgenommen Bedarfsmedikation (Abb. 2). 12 Eine Person erhielt keine Medikation, bei<br />
einer weiteren wurden hierzu keine Angaben gemacht. Mit insgesamt 50 verabreichten<br />
Präparaten war die Hauptgruppe der Psychopharmaka am stärksten vertreten. 13 Das<br />
bedeutet, dass vermutlich jeder der 20 Betroffenen täglich mindestens ein Medikament<br />
dieser Gruppe einnahm. Häufig wurden drei bis fünf verschiedene Psychopharmaka-<br />
Präparate verabreicht. Die zweitgrößte Gruppe bildeten die Antiepileptika mit insgesamt<br />
20 Medikamentenausgaben pro Tag.<br />
Lebenslauf<br />
Die Lebensläufe sind überwiegend gekennzeichnet durch zahlreiche kurz- bzw. langfristige<br />
Aufenthalte in Heimen oder psychiatrischen Einrichtungen. Zehn Bewohner/innen<br />
lebten mehr als sechs Jahre in einer psychiatrischen Einrichtung. Ein Mann verbrachte<br />
insgesamt 29 Jahre, eine Frau 42 Jahre in psychiatrischen Kliniken. Als Einweisungsgründe<br />
werden u. a. problematische und aggressive Verhaltensweisen, Überlastung oder<br />
Überforderung des Umfeldes und Probleme in der Familie genannt.<br />
Die Aufnahme in die Heilpädagogischen Heime erfolgte bei den meisten Bewohnern und<br />
Bewohnerinnen aufgrund von Auflösungen der psychiatrischen Abteilungen im Rahmen<br />
der Psychiatriereform oder wegen Fehlplatzierung in anderen Einrichtungen oder Volljährigkeit<br />
(Umzug aus Kinder- und Jugendpsychiatrie). Drei Personen haben die Kindheit<br />
und Jugendzeit im Elternhaus verbracht.<br />
12 Die Daten zur Medikation sind mit Hilfe der Roten Liste 2002 ausgewertet worden. Eine Überprüfung der Passung<br />
zwischen den verordneten Medikamenten und den vorliegenden Diagnosen ist anhand der Angaben im<br />
Antragsbogen nicht möglich.<br />
13 Eine Aufgliederung der 50 Psychopharmaka in Untergruppen ergibt folgende Verteilung: 36 Neuroleptika, 11<br />
Tranquilantia/Anxiolytika, 2 Antidepressiva, 1 Lithiumpräparat.<br />
14
Problemlagen bei Antragstellung<br />
Medikamentenvergabe bei Antragstellung<br />
Psychopharmaka<br />
50<br />
Antiepileptika<br />
20<br />
Magen-Darm-Mittel<br />
4<br />
Hypnotika/Sedativa<br />
Parkinsonmittel<br />
3<br />
3<br />
Sexualhormone/Hemmstoffe<br />
Personen: n= 20<br />
Diuretika<br />
Antihypotonika<br />
Antiallergika<br />
Corticoide<br />
Lipidsenker<br />
Gichtmittel<br />
Laxantia<br />
1<br />
1<br />
1<br />
1<br />
1<br />
1<br />
1<br />
1<br />
0 10 20 30 40 50 60<br />
Anzahl der Präparate<br />
Abb. 2<br />
Medikamentenvergabe bei Antragstellung<br />
Arbeit / Beschäftigung / Förderung / Therapie<br />
Nur die Hälfte der 22 Bewohner/innen ging zum Zeitpunkt der Antragstellung regelmäßig<br />
einer Arbeit oder Beschäftigung nach: Vier haben einen Arbeitsplatz in einer Werkstatt<br />
für Menschen mit Behinderung (WfbM; davon zwei Personen im Förderbereich), sieben<br />
waren täglich oder stundenweise im Gruppenübergreifenden Förderbereich (GüF) beschäftigt.<br />
Elf Bewohner/innen hatten aus unterschiedlichen Gründen keine regelmäßige<br />
Arbeit oder Beschäftigung. Sie wurden – soweit möglich - an gruppeninternen Hausarbeiten<br />
beteiligt. 13 Bewohner/innen erhielten innerhalb des Wohnbereichs eine besondere<br />
Förderung, vor allem in den Bereichen Selbstständigkeit im Alltag, Kommunikation<br />
und soziale Kompetenz. Außerhalb des Wohnbereichs nahmen drei Personen an Therapien<br />
teil.<br />
Soziales Netzwerk<br />
17 Bewohner/innen hatten in unterschiedlicher Häufigkeit und Intensität Kontakt zu Familienangehörigen<br />
(z. B. Wochenendbesuche im Elternhaus, Besuch der Angehörigen in<br />
der Wohngruppe, Telefongespräche). Die Beziehung zu den Angehörigen wurde von<br />
Bewohner- und Angehörigenseite teilweise als positiv, teilweise als belastend erlebt. Aus<br />
der Mehrzahl der Antragsbögen geht hervor, dass die Besuche von Angehörigen für die<br />
betreffenden Bewohner/innen sehr wichtig waren. Sie freuten sich über Zusammenkünfte<br />
und wünschten sich teilweise einen regelmäßigeren Kontakt zu ihrer Familie. Im Einzelfall<br />
wirkte sich das Verhalten der Eltern jedoch kontraproduktiv aus:<br />
„Der Kontakt zur Mutter ist übereng, fast symbiotisch-abhängig. Bestimmte Verhaltensstörungen<br />
werden durch das inkonsequente, widersprüchliche Verhalten der Mutter unterstützt.“ (FORNELL<br />
2003)<br />
Aggressionen gegenüber Angehörigen wurden bei etwa der Hälfte der Betroffenen thematisiert.<br />
Sie lösten bei den Verwandten teilweise Angst, Überforderung und Hilflosigkeit<br />
15
Problemlagen bei Antragstellung<br />
aus und hatten wegen der hohen Belastung häufig eine Reduzierung der Kontakte zur<br />
Folge.<br />
Neben Eltern und anderen Verwandten zählen die Mitarbeiter/innen der Wohngruppen<br />
oder aus dem näheren Umfeld zu den wichtigen Bezugspersonen. Zwischen (einzelnen)<br />
Bewohnern bzw. Bewohnerinnen und (einzelnen) Mitarbeitern bzw. Mitarbeiterinnen war<br />
teilweise ein enges Vertrauensverhältnis entstanden.<br />
„Sucht ab und zu verstärkt Nähe (z. B. Umarmung, Streicheln). Entwickelte hohes Maß an Vertrauen<br />
zu den TeammitarbeiterInnen, z.B. bei Spaziergängen: läuft voraus oder fällt zurück, verlässt<br />
sich aber darauf, dass man auf ihn wartet. Sucht vermehrt Blickkontakt.“ (FORNELL 2003)<br />
Bei einigen Männern und Frauen wurde das Verhältnis zu ihren Betreuern und Betreuerinnen<br />
als ambivalent beschrieben (z. B. stark forderndes Verhalten einschließlich Drohungen<br />
und Aggressionen, in Konfliktsituationen auch körperliche Auseinandersetzung).<br />
Vier Personen nahmen innerhalb der Gruppe kaum soziale Kontakte auf und ließen bis<br />
dahin keinen spezifischen Bezug zu einzelnen Mitarbeitern oder Mitarbeiterinnen erkennen.<br />
Beziehungen zu Mitbewohner/innen wurden selten beschrieben. Das Verhältnis war häufig<br />
durch den Wechsel von Nähe und Distanz geprägt. Einzelne Bewohner/innen zeigten<br />
dabei selbst ihre Grenzen auf und bestimmten die Qualität der Interaktion und Beziehung.<br />
Engere Bindungen zu Mitbewohnern oder Mitbewohnerinnen waren nur vereinzelt<br />
entstanden. Drei Bewohner/innen suchten Kontakt außerhalb der Einrichtung,<br />
z. B. zur gesetzlichen Betreuerin, zu einer Geschäftsinhaberin in der Nähe oder auf Spaziergängen.<br />
3.2 Herausfordernde Verhaltensweisen<br />
Die Auswertung der Antragsbögen macht deutlich, dass das Leben der 22 Männer und<br />
Frauen überwiegend durch deprivierende biographische Erfahrungen, vielfältige Beeinträchtigungen<br />
bei der individuellen Alltagsbewältigung und durch Mangel an sozialen Beziehungen<br />
und adäquater Beschäftigung geprägt ist. Ihre spezifischen Verhaltensweisen<br />
stehen in engem Zusammenhang mit diesen lebensgeschichtlichen Erfahrungen, z. B.<br />
mit frühem Erleben von physischer und psychischer Gewalt.<br />
„Biographisch früh anzusiedeln -> massive körperliche Gewalterfahrung seit frühester Kindheit,<br />
psychische Belastung über gestörte Eltern-Beziehung, soziale, emotionale, körperliche Vernachlässigung<br />
(z. B. auf Spielplatz angekettet, keine Bemühung schulischer oder psychologischer Unterstützung).<br />
Lebensgeschichtlich bedingtes hohes Misstrauen (Eltern haben ihn mehrfach unter<br />
anderen Vorwänden in die Klinik gebracht).“ (FORNELL 2003)<br />
Abb. 3 gibt einen Überblick über die bei Antragstellung als problematisch beschriebenen<br />
Verhaltensweisen der Bewohner/innen. An der Spitze stand fremdgefährdendes Verhalten,<br />
gefolgt von selbstverletzendem Verhalten und Zerstörung von Gegenständen.<br />
Als Beispiele für fremdgefährdendes Verhalten wurden genannt: Schlagen, Kratzen,<br />
Beißen, Würgen, Treten, Kneifen, Spucken, Schubsen, Stoßen, Überrennen, Festhalten,<br />
Klammern, Ziehen, Schieben, Zerren, mit Ellenbogen zustoßen, Haare reißen, Angriffe<br />
mit Gegenständen, Gegenstände schleudern. - Bei selbstverletzenden Verhaltensweisen<br />
entstanden häufig Kopf- oder Gesichtsverletzungen durch Schlagen mit den Händen<br />
oder Stoßen des Kopfes gegen Wand, Boden oder kantige Gegenstände (Tische, Stühle,<br />
Fensterbänke etc.). Zwei Personen würgten sich selbst; zwei weitere bissen sich, z.<br />
B. ins Handgelenk oder in den Unterarm. Eine Frau verletzte sich durch Zuhilfenahme<br />
von scharfen Gegenständen. - Bei der Zerstörung von Sachen handelte es sich teilweise<br />
16
Problemlagen bei Antragstellung<br />
um persönliche Gegenstände des Betroffenen (z. B. Kleidung, Spielsachen, Videokamera,<br />
Fernseher) oder um Eigentum anderer.<br />
Verhaltensauffälligkeiten<br />
zum Zeitpunkt der Antragstellung<br />
(n = 22)<br />
Agressives Verhalten gegen Personen<br />
18<br />
Selbstverletzendes Verhalten<br />
12<br />
Zerstörung von Gegenständen<br />
11<br />
Sozial fehlangepasstes Verhalten<br />
8<br />
Psycho- motorische Unruhe<br />
Zwanghaftes Verhalten<br />
7<br />
7<br />
Delinquentes Verhalten<br />
6<br />
Problematisches Essverhalten<br />
Schreien<br />
5<br />
5<br />
Verbale Aggressionen<br />
Ängste<br />
Fluchttendenzen<br />
Einkoten<br />
4<br />
4<br />
4<br />
4<br />
Einnässen<br />
Suizidale Gefährdung<br />
Schlafstörungen<br />
Sexuell provozierendes Verhalten<br />
3<br />
3<br />
3<br />
3<br />
Depressionen<br />
Stereotypien<br />
2<br />
2<br />
Alkoholprobleme<br />
1<br />
0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20<br />
Anzahl der Personen (Mehrfachnennung)<br />
Abb. 3<br />
Verhaltensauffälligkeiten bei Antragstellung<br />
Weitere Verhaltensweisen, die von den Ausfüllenden als problematisch bezeichnet wurden,<br />
waren 14 : sozial fehlangepasstes Verhalten (z. B. Neigung zu intrigantem Verhalten,<br />
Neigung zu theatralischem Verhalten, nackt durch die Gruppe laufen, Distanzlosigkeit,<br />
Profilierungssucht), psychomotorische Unruhe, zwanghaftes Verhalten (z. B. Waschzwang,<br />
extrem ausgeprägtes Müllsammelbedürfnis), delinquentes Verhalten (z. B. Entwenden<br />
fremden Eigentums), problematisches Essverhalten (z. B. Herunterschlingen<br />
ohne zu kauen, Ausspucken, Verschlucken), Schreien, verbale Aggressionen (Beschimpfen<br />
und Bedrohen von Mitarbeitern und Mitbewohnern), massive Ängste, Fluchttendenzen,<br />
Einkoten, Einnässen, suizidale Gefährdung, Schlafstörungen, sexuelle provozierendes<br />
Verhalten, Depressionen, Stereotypien und Alkoholprobleme.<br />
Auslösende und aufrecht erhaltende Bedingungen<br />
Das Auftreten von Verhaltensauffälligkeiten stand nach Ansicht vieler Mitarbeiter/innen in<br />
engem Zusammenhang mit der Atmosphäre in der Wohngruppe, der Zusammensetzung<br />
der Gruppe und der Anwesenheit bestimmter Mitarbeiter/innen. So zeigte z. B. ein Bewohner<br />
sein auffälliges Verhalten vermehrt, sobald bestimmte Mitbewohner den Raum<br />
betraten. Ein anderer verhielt sich vor allem dann auffällig, wenn weibliche Personen<br />
Einzeldienst leisteten. Auch personelle, räumliche und zeitliche Veränderungen wurden<br />
von nahezu allen in Verbindung mit Verhaltensauffälligkeiten gesehen. Mitarbeiterwech-<br />
14 nach Häufigkeit abnehmend aufgezählt<br />
17
Problemlagen bei Antragstellung<br />
sel, Verlust von Bezugspersonen und Umgang mit neuen Mitarbeitern konnten zu Unsicherheit<br />
und Verlustängsten bei den Betroffenen führen. Mehrfach wird berichtet, dass<br />
der Umzug der Gruppe, Veränderungen in der Einrichtung, Abweichungen von der gewohnten<br />
Tagesstruktur oder unvorhergesehene Ereignisse aggressives Verhalten ausgelöst<br />
hatten.<br />
„Alle Aktionen müssen für ihn erkennbar sofort oder in einschätzbarem Zeitrahmen erfolgen, ansonsten<br />
droht er Gewalt an, folgen Sachzerstörungen, Fremd- und Autoaggressionen.“ (FORNELL<br />
2003).<br />
Problematische Verhaltensweisen ließen sich bei mehreren Bewohnerinnen und Bewohnern<br />
als Reaktion auf An- oder Aufforderungen nachzeichnen. So konnte z. B. die Aufgabe,<br />
zwischen verschiedenen Angeboten zu wählen und eine Entscheidung zu treffen,<br />
extreme Anspannung und Unsicherheit auslösen. Traten bestimmte Ereignisse nicht ein,<br />
wie z. B. ein angekündigter Besuch der Eltern, stellte sich vermehrt Frustration und Aggression<br />
ein. Ähnliche Reaktionen wurden beschrieben, wenn Verbote ausgesprochen<br />
oder Wünsche und Bedürfnisse der Bewohner/innen nicht berücksichtigt wurden.<br />
Sehr häufig war nach Ansicht von Mitarbeitenden ein gesteigertes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit<br />
und Zuwendung Anlass für aggressives Verhalten. Auch Angst auslösende<br />
Situationen konnten Verhaltensauffälligkeiten bedingen. Ein Bewohner reagierte extrem<br />
sensibel auf seine Umgebung, wenn sich mehr als zwei Menschen im Raum aufhalten<br />
oder wenn die Anwesenden keinen Abstand zu ihm halten. Fühlte er sich in seinen Wünschen<br />
nach räumlicher Distanz nicht ernst genommen, schlug er die betreffende Person.<br />
Eine Bewohnerin wurde unruhig, wenn sie bei Spaziergängen auf Hunde traf. Vereinzelt<br />
wurden Maßnahmen, die die Betroffenen in ihrer Freiheit und Selbstbestimmung einschränken,<br />
als auslösende Faktoren genannt.<br />
Die Analyse der Antragsbögen ergibt, dass es in mehreren Gruppen innerhalb der Mitarbeiterschaft<br />
unterschiedliche Einschätzungen des betreffenden Bewohners und seines<br />
Verhaltens gab, was im Einzelfall mit der Qualifikation und Erfahrung der Mitarbeiter/innen<br />
in Zusammenhang steht:<br />
„Zum Teil viel Verständnis für sein Verhalten und Akzeptanz seiner kleinen Lösungsschritte und<br />
‚Rückfälle’, zum Teil auch Gleichgültigkeit, Vorwurf von ‚Verwöhnungshaltung’ und ‚es sich leicht<br />
machen’ oder ‚will ja immer nur Extratouren fahren’ oder ‚Warum sollte ich mich in Gefahr bringen?<br />
Sollen das doch die Spezialisten aus dem Haus übernehmen’ (in Bezug auf Ausflüge etc.).<br />
Nicht alle Mitarbeiter/innen scheinen den Bewohner in seinem Entwicklungswunsch anzuerkennen,<br />
glauben, dass er lieber ‚bequem’ bleiben möchte.“ (FORNELL 2003)<br />
3.3 Auswirkungen auf das soziale Umfeld<br />
Die Auswirkungen der Verhaltensproblematik auf Mitbewohner/innen, Mitarbeiter/innen<br />
und die Nachbarschaft waren zum Zeitpunkt der Antragstellung gravierend. Die Atmosphäre<br />
in der Gruppe wurde von fast allen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen als unruhig<br />
und angespannt bezeichnet. Teilweise herrschte ein hoher Geräuschpegel, der das Zusammenleben<br />
beeinträchtigte. Nächtliches Schreien führte bei einigen Bewohnern und<br />
Bewohnerinnen zu vermehrten Schlafproblemen. Aufgrund der Zerstörung von Einrichtungsgegenständen<br />
konnte in einigen Gruppen kein gemütliches Wohnklima entstehen.<br />
Mitbewohner/innen<br />
In akuten Problemsituationen kam es vor, dass einige Mitbewohner/innen durch körperliche<br />
Angriffe Verletzungen erleiden. Andere reagieren verstärkt mit Unruhe, Angst, Unsicherheit,<br />
Ablehnung und Rückzug.<br />
18
Problemlagen bei Antragstellung<br />
„Der größte Teil der Mitbewohner/innen sitzt voller Angst im Wohnraum und traut sich nicht, ein<br />
Wort von sich zu geben. Sie sind völlig eingeschüchtert und verlassen in der Regel den Wohnraum.<br />
Im Umgang mit Frau X. wirken sie sehr gehemmt. Wenn Frau X. anwesend ist, ist sie das<br />
‚Thema’. Sie löst zum Teil Aggressionen/Unverständnis bei Mitbewohner/innen aus, die diese<br />
Emotionen nicht verbergen ( - dadurch wieder Provokation für Frau X. auffälliges Verhalten zu<br />
zeigen).“ (FORNELL 2003)<br />
Die Konzentration der Aufmerksamkeit auf einzelne ‚schwierige’ Bewohner/innen führte<br />
zwangsläufig zur Vernachlässigung der Bedürfnisse und Wünsche der Mitbewohner/innen<br />
und zu Einschränkungen geplanter Aktivitäten innerhalb und außerhalb des<br />
Wohnbereichs. Darüber hinaus wurde in einigen Gruppen durch notwendiges Verschließen<br />
von Räumen oder Türen die persönliche Freiheit aller Beteiligten eingeengt.<br />
„Sein unmittelbarer Zimmermitbewohner kann in Problemsituationen sein Zimmer nicht benutzen<br />
(muss gegebenenfalls ausquartiert werden). Schränkt in Problemsituationen durch Verschluss<br />
bestimmter Räume, den Wohnraum für die Mitbewohner ein.“ (FORNELL 2003)<br />
Einzelne Mitbewohner/innen äußerten des Öfteren den Wunsch, dass sie nicht länger<br />
mit den Betroffenen in einer Wohngruppe leben möchten. In den meisten Gruppen gab<br />
es Mitbewohner/innen, die ebenfalls auffällige Verhaltensweisen zeigten. Bei hoher Belastung<br />
und Anspannung verstärkten sich die Auffälligkeiten, was die Chancen zur Entwicklung<br />
positiven Verhaltens reduzierte. In Einzelfällen wurde beobachtet, dass Mitbewohner/innen<br />
Verhaltensauffälligkeiten anderer übernahmen.<br />
„Der Bewohner wirkt auch als (negatives) Vorbild, z. B. nichtsoziale Verhaltensweisen werden<br />
schnell übernommen (Asche auf Boden streuen; Aufräumen nicht als Selbstverständlichkeit, sondern<br />
als lästige Pflichtübung). Andere Bewohner bekommen mit, dass man Beachtung finden<br />
kann, wenn man aggressiv wird oder etwas kaputt schlägt.“ (FORNELL 2003)<br />
In einer Gruppen schien das herausfordernde Verhalten eines Bewohners keine negativen<br />
Auswirkungen auf die Mitbewohner/innen zu haben:<br />
„Bewohner respektieren ihn, erwecken nicht den Eindruck, dass sie Angst vor ihm haben. Körperlich<br />
unterlegene Mitbewohner greift er nur an, wenn sie ihn extrem bedrängen, sich z. B. bei ihm<br />
auf den Schoß setzen. “ (FORNELL 2003)<br />
Mitarbeiter/innen<br />
Den Aussagen in den Antragsbögen zufolge wurden viele Mitarbeiter/innen tätlichen Angriffen<br />
ausgesetzt, die zum Teil erhebliche Verletzungen zur Folge hatten.<br />
„Durch Festklammern und Zerren des Bewohners kommt es auch zum Zerreißen von Kleidung<br />
der Mitarbeiter, außerdem zu Hämatomen, Stürzen oder anderen Verletzungen. Mitarbeiter gehen<br />
ihm teilweise aus dem Weg, um nicht angefasst, gezerrt oder verletzt zu werden.“ (FORNELL<br />
2003)<br />
Neben der physischen Belastung infolge körperlicher Auseinandersetzungen sahen sich<br />
Mitarbeiter/innen aller Gruppen extrem hohen psychischen Belastungen ausgesetzt.<br />
Emotionale Reaktionen waren Angst, Verzweiflung, Ratlosigkeit, Lähmung, Frustration,<br />
Hilflosigkeit, Machtlosigkeit, Ekel, Ermüdung und Erniedrigung. Wenn Verhaltenseskalationen<br />
nicht verhindert werden konnten, entstanden vielfach Schuldgefühle, Unsicherheit<br />
und Unzufriedenheit sowie Versagensängste.<br />
„Der Dienst wird zur Belastung. (...) Physische und psychische Belastungsgrenzen werden<br />
schnell erreicht. Enorme psychische Belastungen ausgelöst durch Beobachtung des autoaggressiven<br />
Verhaltens (vor allem Kopf anschlagen auf Metall sowie an diversen Gegenständen), hierdurch<br />
ausgelöste Geräusche sowie Verletzungen, falls diese trotz intensiven Bemühens nicht<br />
verhindert werden können).“ (FORNELL 2003)<br />
19
Problemlagen bei Antragstellung<br />
„Sehr hohe emotionale Belastung durch ständige Angst, dass mit dem Bewohner auf der Straße<br />
etwas passiert, dass er tödlich verunfallt, dass die Mitarbeiter dann mit dem Vorwurf der Verletzung<br />
ihrer Aufsichtspflicht rechnen müssen. Allerdings braucht er seinen freien selbstbestimmten<br />
Bewegungsraum, bleibt aber nicht immer auf dem Gelände bzw. auf dem Fuß-/Radweg an der<br />
Landstraße.“ (FORNELL 2003)<br />
Als belastend wurde der große Energieaufwand empfunden, den die betreffenden Personen<br />
auf Kosten anderer Bewohner/innen einforderten, sowie der permanente Lärm,<br />
der die Arbeit erschwerte. In zwei Gruppen waren vor allem Mitarbeiterinnen sexuellen<br />
Provokationen ausgesetzt, was die nervliche und emotionale Anspannung verstärkte. Im<br />
Einzelfall wurde von erhöhten Ausfallzeiten beim Personal berichtet.<br />
Die Auswirkungen auf das Team wurden unterschiedlich gewertet. In drei Gruppen<br />
schien die Auseinandersetzung mit den Verhaltensauffälligkeiten im Großen und Ganzen<br />
keine negativen Auswirkungen auf die Arbeitsatmosphäre zu haben.<br />
„Frustration und Missmut, auch hohe Toleranzgrenzen werden gebrochen, aber durch die große<br />
Motivation und durch viele kreative Ideen, werden stets neue Kraft und Mut aufgebaut.“ (FORNELL<br />
2003)<br />
In anderen Teams nahmen Anspannung und Unsicherheit deutlich zu, was sich einerseits<br />
in einem erhöhten Bedürfnis nach Erfahrungsaustausch und gegenseitiger Unterstützung<br />
äußerte, andererseits in verstärkter gegenseitiger Kritik und Frustration.<br />
„Schuldgefühle, Angst, Stress mindern Empathie, Einsatzbereitschaft für G. Krise von G. wird als<br />
nicht erklärbarer Misserfolg des Teams interpretiert. Bereitschaft, über Auswirkungen eigenen<br />
Verhaltens, Umgangsstil, Teamkonzept im Umgang mit G. zu reflektieren, geht zurück. Einzelne<br />
Mitarbeiter ziehen sich stärker heraus (Ausfälle, Schweigen in Teambesprechungen, Äußerungen<br />
von Frust ...). Gegenseitige Schuldzuweisungen, Team zerfällt in ‚zwei Lager’, Loyalitätskonflikte.“<br />
(FORNELL 2003)<br />
Nachbarschaft<br />
In Bezug auf Auswirkungen der Verhaltensauffälligkeiten auf die Nachbarschaft ist es im<br />
Einzelfall zu einer Zunahme der Konflikte gekommen.<br />
„Vorher guter sozialer Kontakt zu den Nachbarn litt durch B.´s Verhalten deutlich und beschränkt<br />
sich zur Zeit auf das Notwendige. Kinder reagieren ängstlich, Nachbarn mit Unverständnis, zum<br />
Teil Mitleid die anderen Bewohner betreffend.“ (FORNELL 2003)<br />
3.4 Versuche zur Problemlösung<br />
In allen Gruppen wurde – mit unterschiedlicher Gewichtung - von einer Vielzahl von<br />
Problemlösungsstrategien berichtet, die vor dem Antrag auf erweiterte Hilfe erprobt wurden.<br />
Das Spektrum reichte von verhaltensbezogenen Maßnahmen (Abbau der Auffälligkeiten,<br />
Aufbau alternativer Verhaltensweisen), über bedürfnisorientierte Maßnahmen<br />
(z.B. Zuwendung, Kommunikation, Beschäftigung) und teambezogene Maßnahmen (z.<br />
B. Teamgespräche, Fortbildung, Supervision, abteilungsübergreifende Beratungsgespräche)<br />
bis hin zu institutionsbezogenen Maßnahmen, (z. B. Integration in den Gruppenübergreifenden<br />
Förderbereich oder die Werkstatt für Menschen mit Behinderung,<br />
Umzug in eine andere Wohngruppe, Beantragung von zusätzlichem Personal).<br />
Nur in einigen Fällen führten die Bemühungen zu einer grundlegenden Verbesserung der<br />
Situation. Mehrfach wurde berichtet, dass Veränderungen im Verhalten nur kurzfristig<br />
feststellbar waren. Eine Gruppe gab an, dass alle bisherigen Lösungsversuche als gescheitert<br />
anzusehen sind. Nach Ansicht der meisten Mitarbeiter/innen lagen die größten<br />
Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Maßnahmen in der mangelnden Passung zwi-<br />
20
Problemlagen bei Antragstellung<br />
schen den Zielsetzungen der pädagogischen Arbeit und den personellen Kapazitäten der<br />
Wohngruppen.<br />
„Es ergab sich die Schwierigkeit, dass im Grunde für die Integration einer so schwer verhaltensauffälligen<br />
Bewohnerin in der neuen Umgebung zu wenig Personal zur Verfügung steht, um<br />
sich intensiv mit ihr zu beschäftigen und konsequent pädagogisch zu arbeiten.“ (FORNELL 2003).<br />
Über die Aktivitäten von Gruppenpersonal und Abteilungsleitung hinausgehend wurde im<br />
Antragsbögen auch nach Versuchen der betreffenden Person gefragt, ihr Verhalten positiv<br />
zu beeinflussen, zu kontrollieren oder zu verändern. Diese Frage ist im Kontext des<br />
Handlungsansatzes von HEIJKOOP (1998) von besonderem Interesse. Er vertritt die These,<br />
dass Menschen mit geistiger Behinderung unter ihrem eigenen Problemverhalten<br />
und den daraus resultierenden Situationen leiden und Selbstschutzmechanismen entwickeln<br />
(z. B. Veränderung des inneren Erlebens, Sicherheit testen, Zurückhalten, Suchen<br />
von Alternativen, Veränderung der Umgebung).<br />
Nach den Erfahrungen in den Gruppen suchten manche Bewohner/innen in Problemsituationen<br />
verstärkt Nähe und den Kontakt zu Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Einige<br />
teilten durch verbale Äußerungen oder spezifische Signale ihre Gefühle mit und entspannten<br />
sich merklich, wenn darauf eingegangen wurde. Manche Personen stellten von<br />
sich aus eine räumliche Distanz her, um die Kontrolle über problematische Situationen<br />
zu behalten. Vereinzelt fixierten sich Bewohner/innen selbst oder wünschten fixiert zu<br />
werden, um ein Auftreten der Verhaltensauffälligkeiten zu verhindern.<br />
„Er sichert seine Hände im Hosenbund oder Autogurt; seine Beine und Füße verschränkt er; er<br />
wickelt sich in eine Decke, stellt eine Bank etc. zwischen sich und andere.“ (FORNELL 2003)<br />
Änderungen im Verhalten konnten nach Aussage einzelner Mitarbeiter/innen nicht in jedem<br />
Fall als Versuch einer Problemlösung gewertet werden.<br />
„Eher nicht, wobei er eine Verhaltensweise durchaus ändern/ablegen kann. Zum Beispiel das<br />
Urinieren/Einkoten im Zimmer war ein Problem, das er nahezu vollständig aufgegeben hat – für<br />
uns unerklärlich, aber wir bewerten es so, dass es für ihn schlicht uninteressant geworden ist und<br />
er etwas Neues ausprobiert. Genauso war es mit seinem ‚Abhauen, Bus fahren nach j. w d.’, das<br />
hat er massiv betrieben und von heute auf morgen einfach eingestellt, nicht aufgrund pädagogischer<br />
Interventionen“. (FORNELL 2003)<br />
Bei mehreren Bewohnern und Bewohnerinnen waren keinerlei wahrnehmbare Möglichkeiten<br />
der Selbstkontrolle festzustellen. Mitarbeiter/innen begründeten dies u. a. damit,<br />
dass das jeweilige Problemverhalten von den Betroffenen selbst nicht als problematisch,<br />
sondern als positiv und funktional empfunden wurde.<br />
Zusammenfassend ist festzustellen, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung – trotz vielfältiger<br />
Bemühungen um Verbesserung der Situation - in den meisten Gruppen ein Zustand<br />
erreicht war, der aus eigener Kraft nicht mehr veränderbar schien. Durch die Aufnahme<br />
des Bewohners bzw. der Bewohnerin in das Consulentenprojekt erhoffte sich ein<br />
großer Teil der Mitarbeiter/innen vor allem eine Erweiterung ihrer Handlungsmöglichkeiten<br />
(z. B. durch Fortbildungen, Förderprogramme, Expertenberatung, zusätzliches Personal)<br />
und eine Erweiterung der Ausdrucksmöglichkeiten der Bewohner/innen, damit ein<br />
besseres Verstehen und Handeln möglich wird. Hinsichtlich der Kompetenzen und Ressourcen<br />
der Betroffenen sahen nahezu alle Antragsteller/innen individuelle Möglichkeiten,<br />
die bei einer Lösung des Problems weiter helfen könnten.<br />
21
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
4 Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Von den 22 Personen, für die bis zum Beginn der <strong>Evaluation</strong>sstudie ein Antrag auf erweiterte<br />
Hilfe gestellt worden war, sind 17 in die Untersuchung einbezogen (vgl. Kap.<br />
2.1.2). Auf der Basis der Angaben im <strong>Evaluation</strong>sbogen (s. Anhang) werden im Folgenden<br />
zunächst die Lebenssituation der beteiligten Bewohner/innen und die den Alltag belastenden<br />
Verhaltensweisen beschrieben. Danach werden – eingebunden in die theoretischen<br />
Grundannahmen der Studie - die Schwerpunkte der <strong>Evaluation</strong> vorgestellt und<br />
hinsichtlich ihrer Wirksamkeit betrachtet.<br />
4.1 Personenkreis<br />
Die neun Männer und acht Frauen sind zum Zeitpunkt der Ausfüllung der <strong>Evaluation</strong>sbögen<br />
zwischen 21 und 75 Jahre alt (Abb. 4).<br />
8<br />
7<br />
Altersverteilung der Bewohner/innen<br />
(n = 17)<br />
7<br />
Anzahl der Personen<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
2<br />
4<br />
3<br />
1<br />
0<br />
21 - 25 26 - 35 36 - 45 46 - 55 56 - 65 66 - 75<br />
Abb. 4<br />
Altersverteilung der Bewohner/innen<br />
Alle gelten als geistig behindert. Bei acht Personen wird die geistige Behinderung als<br />
schwer bzw. schwerst eingeschätzt, bei fünf Personen als mittelschwer, bei einer als<br />
leicht (Abb. 5). Bei drei Personen wird der Grad der Behinderung nicht spezifiziert. Über<br />
die Hälfte der Bewohner/innen hat Epilepsie. Bei jeweils zwei Personen wird Sprachbehinderung,<br />
Körperbehinderung und Sehbeeinträchtigung angegeben, einmal Gehörlosigkeit.<br />
Autismus wurde bei vier Bewohnerinnen und Bewohnern diagnostiziert, je einmal<br />
wird Verdacht auf Tourette-Syndrom bzw. Schizophrenie geäußert. Alle zeigen ausgeprägte<br />
Verhaltensauffälligkeiten (Abb. 7).<br />
Wohnsituation und Tagesstruktur der Bewohner/innen<br />
−<br />
−<br />
−<br />
−<br />
Acht Frauen und Männer leben auf dem Heimgelände, neun in Außenwohngruppen.<br />
Die Gruppengrößen variieren zwischen 3 und 11 Plätzen: Die meisten Bewohner/innen<br />
(10 Personen) leben in Gruppen mit 8 – 11 Plätzen, fünf Personen in Gruppen<br />
mit 4 - 7 Plätzen. Bei zwei Personen ist eine Platzzahl von 3 pro Gruppe angegeben.<br />
Sechs Gruppen werden geschlossen geführt, sechs sind offene Gruppen; bei fünf<br />
Gruppen fehlen entsprechende Angaben.<br />
Fast alle Bewohner/innen verfügen über ein Einzelzimmer, nur zwei bewohnen Doppelzimmer.<br />
22
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
8<br />
7<br />
Einschätzung der geistigen Behinderung<br />
der Bewohner/innen aus Mitarbeitersicht (n = 17)<br />
7<br />
Anzahl der Personen<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
1<br />
5<br />
1<br />
3<br />
0<br />
leicht mittelschwer schwer schwerst keine<br />
Differenzierung<br />
Abb. 5<br />
Einschätzung der geistigen Behinderung<br />
−<br />
−<br />
−<br />
−<br />
Die Personalpräsenz in den Gruppen ist unterschiedlich: Sie variiert tagsüber zwischen<br />
einem/einer Mitarbeiter/in bis zu mehr als drei Mitarbeiter/innen (Abb. 6).<br />
Nachts wird die Personalpräsenz in elf Gruppen durch eine Nachtwache (teilweise<br />
Pendelnachtwache), in neun Gruppen durch eine Schlafbereitschaft und in drei<br />
Gruppen durch eine Rufbereitschaft gewährleistet.<br />
Der überwiegende Teil der Bewohner/innen (9 Personen) besucht den Gruppenübergreifenden<br />
Förderbereich (GüF), überwiegend nur stundenweise. Vier Personen gehen<br />
mit voller Stundenzahl in eine Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM)). Bei<br />
zwei Personen wurde ohne nähere Erläuterung ‚Sonstiges’ (stundenweise) angekreuzt.<br />
15 Zwei Bewohner/innen haben keine regelmäßige Arbeit oder Beschäftigung.<br />
Ein Vergleich der gegenwärtigen Beschäftigungssituation mit dem Zeitpunkt der Antragstellung<br />
zeigt, dass zwischenzeitlich zwei Personen Aufnahme in den Gruppenübergreifenden<br />
Förderbereich (GüF) gefunden haben.<br />
Personalpräsenz in den Gruppen - tagsüber (n = 17)<br />
keine ständige<br />
Präsenz<br />
Anzahl der Gruppen<br />
0 1 2 3 4 5 6 7 8<br />
1 Mitarbeiter<br />
2<br />
1-2 Mitarbeiter<br />
7<br />
2-3 Mitarbeiter<br />
6<br />
ständig mehr als 3<br />
Mitarbeiter<br />
1<br />
keine Antwort<br />
1<br />
Abb. 6<br />
Personalpräsenz in den Gruppen<br />
15 Möglicherweise regelmäßige gruppeninterne Beschäftigungen<br />
23
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Die Personalbemessung tagsüber ist am Hilfebedarf der Bewohner/innen orientiert. So<br />
wird z. B. eine Personalpräsenz von 2 – 3 Mitarbeitern sowohl für die 3er-Gruppen als<br />
auch für einige der Gruppen mit 4 –7 und mit 8 – 11 Plätzen angegeben. Eine Präsenz<br />
von 1 – 2 Mitarbeitern gibt es in Gruppen mit 4 – 7 und 8 – 11 Plätzen. Nur ein Mitarbeiter<br />
ist in Gruppen mit 4 – 7 Plätzen anwesend, in einer Gruppe mit 8 – 11 Plätzen sind<br />
tagsüber mehr als 3 Mitarbeiter präsent.<br />
4.2 Verhalten zu Beginn der Consulentenarbeit<br />
Bei der Ausfüllung der Fragen zu problematischen Verhaltensweisen sollten maximal<br />
drei Verhaltensauffälligkeiten der betreffenden Person genannt werden. Zur Erleichterung<br />
der Zuordnung wurde dem Fragebogen eine Liste mit häufig auftretenden problematischen<br />
Verhaltensweisen beigefügt. Jedes genannte Verhalten sollte durch konkrete<br />
Beispiele erläutert werden.<br />
Abb. 7 gibt einen Überblick über die problematischsten Verhaltensweisen bei Antragstellung.<br />
An erster Stelle stehen Fremdgefährdung und Selbstverletzung. Als fremdgefährdendes<br />
Verhalten (11 Pers.) wird genannt: Beißen, Kratzen, Schlagen, Treten, Würgen<br />
von Mitarbeitern und Besuchern. Im Einzelfall wurden dabei schwere Verletzungen zugefügt<br />
(Frakturen, Zerrungen). Selbstverletzendes Verhalten (10 Pers.) wird folgendermaßen<br />
erläutert: kratzt sich, beisst sich in den Handrücken, schlägt sich mit flacher Hand,<br />
schlägt mit dem Kopf gegen Wände, wirft sich zu Boden.<br />
Problematischste Verhaltensweisen bei Antragstellung<br />
aus Gruppenperspektive (n = 17)<br />
Personenzahl (Mehrfachnennung)<br />
0 2 4 6 8 10 12<br />
Fremdgefährdung<br />
11<br />
Selbstverletzung<br />
10<br />
Sachbeschädigung<br />
5<br />
Angstzustände<br />
4<br />
Schreien<br />
3<br />
Zwangshandlung<br />
3<br />
Hyperaktivität<br />
3<br />
Einkoten<br />
3<br />
Verbalaggression<br />
2<br />
Einnässen<br />
1<br />
Essverhalten<br />
1<br />
Stereotypien<br />
1<br />
Kontaktstörung<br />
1<br />
Sonstiges<br />
1<br />
Abb. 7<br />
Problematischste Verhaltensweisen bei Antragstellung<br />
24
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Mit größerem Abstand folgen Angstzustände (4 Pers.). Sie äußern sich z. B. durch Weinen,<br />
Schreien, Zittern und Verkrampfen der Hände bzw. Arme. Ein Bewohner hat bei<br />
fremden Gebäuden oder in fremder Umgebung Angst, dort bleiben zu müssen. Auch<br />
Balkon- und Fenstersprünge aus der ersten Etage werden genannt, vermutlich wegen<br />
psychotischen Erlebens. Jeweils dreimal werden Schreien, Zwangshandlungen, Hyperaktivität<br />
und Einkoten genannt. Bei einem Bewohner wird das Schreien als grundlos dargestellt,<br />
speziell bei und gegenüber fremden Personen. Zwangshandlungen werden teilweise<br />
als motorische Stereotypien beschrieben. Im Einzelfall wird erläutert, dass ein Bewohner<br />
streng festgelegte Strukturen im Tagesablauf einfordert. Ein anderer hat einen<br />
permanenten Toilettendrang, auch außerhalb der Wohngruppe, z. B. in Gaststätten. Hyperaktivität<br />
ist durch ständiges Umherlaufen, Zappeln und Treten sowie geringe Konzentrationsfähigkeit<br />
gekennzeichnet. Einkoten geht zum Teil mit Kotschmieren einher,<br />
wobei auch das Eigentum von Mitbewohnerinnen und -bewohnern betroffen ist. Verbalaggression,<br />
die zweimal genannt wurden, ist bei einem Bewohner der ‚Einstieg’ in<br />
Fremd- und Sachaggression.<br />
Die weiteren Verhaltensweisen werden jeweils nur einmal genannt. Hinter dem problematischen<br />
Essverhalten verbirgt sich das Essen von Zigarettenkippen, was bei Außenaktivitäten<br />
extrem hohe Aufmerksamkeit der Begleitpersonen erfordert. Unter der Rubrik<br />
Sonstiges wurde die Weglauftendenz eines Bewohners beschrieben: ’läuft aus der<br />
Gruppe raus und steigt in fremde Wohnung ein“.<br />
Bezogen auf die Geschlechterverteilung lassen sich nur geringe Unterschiede feststellen.<br />
Das am häufigsten genannte fremdgefährdende Verhalten war nahezu gleich verteilt:<br />
6 Frauen und 5 Männer. Selbstverletzende Verhaltensweisen waren geringfügig<br />
häufiger bei den Frauen (6 Frauen / 4 Männer). Sachbeschädigungen zeigten sich bei<br />
zwei weiblichen und drei männlichen Personen, Angstzustände traten bei drei Frauen<br />
und einem Mann auf. Verbale Aggressionen wurden nur bei zwei Frauen als gravierend<br />
dargestellt.<br />
Insgesamt wurden 48 Verhaltensauffälligkeiten 16 genannt, die bei den 17 Bewohnerinnen<br />
und Bewohnern als besonders problematisch erlebt werden (jeweils maximal drei Angaben).<br />
Um einen Eindruck vom jeweiligen Ausprägungsgrad zu erhalten, sollte das als<br />
problematisch eingestufte Verhalten jeweils anhand einer Rating-Skala nach Häufigkeit<br />
und Intensität bewertet werden. Für die Angaben zur Häufigkeit standen fünf Optionen<br />
im Spektrum von ‚seltener als monatlich’ bis ‚mehrmals am Tag’ zur Verfügung. Für die<br />
Charakterisierung der Intensität konnten ebenfalls fünf Optionen zwischen ‚unauffällig’<br />
bis ‚sehr stark’ genutzt werden.<br />
Häufigkeit (Abb. 8): Zum Zeitpunkt der Antragstellung stellten die Mitarbeiter/innen 56 %<br />
der Verhaltensauffälligkeiten mehrmals täglich fest, insgesamt 33 % der Handlungen<br />
zeigten sich mehrmals in der Woche bzw. im Monat.<br />
−<br />
−<br />
Über die Hälfte der Verhaltensweisen (27 Angaben) trat mehrmals am Tag auf, wobei<br />
selbstverletzendes, fremdgefährdendes und sachbeschädigendes Verhalten mit insgesamt<br />
14 Nennungen einen Großteil ausmachten. Hyperaktivität und Zwangshandlungen<br />
kamen bei je drei Bewohnern ebenfalls mehrmals täglich vor, bei zwei Personen<br />
wurde Schreien mehrmals am Tag festgestellt. Fünf weitere Verhaltensweisen<br />
traten „mehrmals täglich“ auf.<br />
Mehrmals im Monat wurde neunmal, mehrmals wöchentlich siebenmal angegeben.<br />
Auch hier waren Selbstverletzung und Fremdgefährdung am häufigsten aufgeführt.<br />
Einmal täglich wurde dreimal, seltener als monatlich zweimal angekreuzt.<br />
16 ohne Sonstiges<br />
25
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Verhaltensauffälligkeiten bei Antragstellung<br />
nach Häufigkeit aus Gruppenperspektive (n = 48)<br />
mehrmals am<br />
Tag<br />
27<br />
einmal täglich<br />
3<br />
mehrmals<br />
wöchentlich<br />
7<br />
mehrmals im<br />
Monat<br />
9<br />
seltener als<br />
monatlich<br />
2<br />
0 5 10 15 20 25 30<br />
Anzahl Verhaltensweisen<br />
Abb. 8<br />
Verhalten bei Antragstellung nach Häufigkeit<br />
Intensität (Abb. 9): Zum Zeitpunkt der Antragstellung wurden die aufgeführten Verhaltensauffälligkeiten<br />
von 83 % der Ausfüllenden als sehr stark bzw. stark charakterisiert.<br />
−<br />
−<br />
−<br />
In etwa der Hälfte aller Fälle (25 Angaben) schätzten die Ausfüllenden das auftretende<br />
Verhalten in der Intensität als sehr stark ein. Dabei wurde am häufigsten Selbstverletzung<br />
genannt (fünfmal). Fremdgefährdung, Sachbeschädigung und Zwangshandlungen<br />
kamen je dreimal vor, Hyperaktivität, Schreien und Angstzustände wurden<br />
in je zwei Fällen als sehr stark bewertet.<br />
15mal wurden die Auffälligkeiten als stark eingestuft. Hier hatte die Fremdgefährdung<br />
mit sieben Nennungen einen besonderen Stellenwert. Achtmal wurde das Verhalten<br />
als mittelgradig eingeordnet, darunter in vier Fällen selbstverletzende Verhaltensweisen.<br />
Keine der angegebenen Verhaltensweisen wurde als gering oder unauffällig eingeschätzt.<br />
Verhaltensauffälligkeiten bei Antragstellung<br />
nach Intensität aus Gruppenperspektive (n = 48)<br />
sehr stark<br />
25<br />
stark<br />
15<br />
mittelgradig<br />
8<br />
gering<br />
unauffällig<br />
0 5 10 15 20 25 30<br />
Anzahl Verhaltensweisen<br />
Abb. 9<br />
Verhaltenauffälligkeiten bei Antragstellung nach Intensität<br />
26
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
4.3 Maßnahmen und Interventionen im Überblick<br />
Die im <strong>Evaluation</strong>sbogen aufgenommenen Maßnahmen und Interventionen zur Verbesserung<br />
der Problemlage vor Ort sind Ausdruck eines system-ökologischen Denkens, das<br />
Verhaltensauffälligkeiten nicht primär als Merkmal der Person, sondern als Teil eines<br />
komplexen Bedingungsgeflechts sieht.<br />
4.3.1 Theoretische Grundannahmen<br />
Zum Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten gibt es in Theorie und Praxis zahlreiche<br />
Handlungsansätze. Sie basieren auf jeweils unterschiedlichen Annahmen zur Funktion<br />
und zum Bedingungszusammenhang auffälliger Verhaltensweisen, die im Rahmen dieser<br />
Studie nicht erläutert werden können. (vgl. BUNDESVEREINIGUNG LEBENSHILFE 1996).<br />
BRADL (2003) hat mögliche Funktionen von Verhaltensauffälligkeiten am Beispiel aggressiver<br />
Verhaltensweisen (Fremdgefährdung, Selbstverletzung, Sachbeschädigung)<br />
beschrieben:<br />
−<br />
−<br />
−<br />
−<br />
−<br />
−<br />
Existenzielle Funktion (Selbstbehauptung, Autonomiestreben)<br />
Explorative Funktion (aktive Erkundung der Möglichkeiten und Grenzen der Umwelt,<br />
z. B. bei Eintritt in neue soziale Bezugssysteme)<br />
Expressive Funktion (Ausdruck der individuellen Persönlichkeit, der Bedürfnisse und<br />
emotionalen Befindlichkeit, des Lebensstils)<br />
Psychohygienische Funktion (z. B. Abbau von Wut, Spannungen, Frustrationen)<br />
Instrumentelle Funktion (Durchsetzungsstrategie u. a.)<br />
Soziale Funktion (z. B. Ausdruck von Distanz, Ablehnung, Abwehr oder Nähe, Zuwendung,<br />
Aufmerksamkeit)<br />
Hinsichtlich des Bedingungsgefüges besteht heute weitgehend Konsens darüber, dass<br />
Verhaltensauffälligkeiten Ausdruck einer Störung der Austauschprozesse zwischen Individuum<br />
und Umwelt sind, die in der Regel bereits im frühen Eltern-Kind-Dialog entstanden<br />
ist und sich im weiteren Verlauf durch immer wieder misslingende oder abbrechende<br />
Beziehungen und andere traumatische Ereignisse manifestiert hat. Neben Beziehungsproblemen<br />
sind für die Entstehung von psychischen Krisen oder Störungen Gewalterfahrungen<br />
in therapeutischen Kontexten, Unter- oder Überforderung und ambivalente<br />
Betreuungskonzepte oder -haltungen sowie Probleme der Enkodierung und Dekodierung<br />
nonverbaler Botschaften, die unter anderem durch eine geringe Differenzierung des<br />
Ausdrucksrepertoires für unterschiedliche Befindlichkeiten oder atypische Ausdrucksformen<br />
bedingt sind, von besonderer Bedeutung (vgl. BRADL 1991). Im Einzellfall kann eine<br />
extreme Diskrepanz zwischen Situations- und Sprachverständnis und der eigenen Artikulations-<br />
bzw. Ausdrucksfähigkeit als permanentes Stresserleben zu psychischen Krisen<br />
führen.<br />
Deprivierende lebensgeschichtliche Erfahrungen gefährden oder beeinträchtigen die<br />
Ausbildung des Selbstwertgefühls geistig behinderter Menschen mit erheblichen Auswirkungen<br />
auf die psychische Gesundheit:<br />
„Die wiederholten Beziehungsabbrüche in der Kindheit hemmen die Entwicklung auf allen Gebieten,<br />
Verhaltensstörungen zeigen die seelische Not der Kinder an. Eine weitere Traumatisierung<br />
ergibt sich meistens durch die gesellschaftliche Realität. Geistig behinderte Menschen werden<br />
gering geschätzt, mit Vorurteilen belegt und ausgegrenzt, mit einem Wort: stigmatisiert. (...) Die<br />
Stigmatisierung wirkt sich, selbst wenn sie rational nicht begriffen wird, auf die emotionale Befindlichkeit<br />
geistig behinderter Menschen aus. (...) Selbstwertzweifel, Depressivität, oftmals auch tiefsitzende<br />
Ängste um die eigene Existenzberechtigung sind die Folge und führen zu psychischer<br />
27
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Erkrankung. Leben geistig behinderte Menschen im Heim, so vergrößern sich Fremdbestimmung<br />
und Anpassungsdruck nochmals, wird die Persönlichkeitsentfaltung durch vielerlei Umstände zusätzlich<br />
gefährdet (...) die häufig dazu beitragen, psychische Störungen zu verfestigen und zu<br />
verstärken. Verschärfen sich die negativen Entwicklungsbedingungen insbesondere der frühen<br />
Kindheit darüber hinaus durch zusätzliche Traumatisierungen wie direkte Ablehnung verbunden<br />
mit schwerster Vernachlässigung, massiver Gewalterfahrung oder sexuellem Missbrauch, so<br />
steigert sich der Grad der psychischen Störung nochmals. Solch schwere psychische Störung<br />
äußert sich durch die Intensivierung der Verhaltensprobleme (...). Doch können sich die schweren<br />
psychischen Störungen auch milder darstellen, beispielsweise in Form eines konsequenten<br />
apathischen Rückzugs und im Verlust des Realitätskontakts.“ (SENCKEL 2001, 339-340)<br />
HEIJKOOP (1998) stellt die lebensgeschichtlich bedingte tiefgreifende Verunsicherung der<br />
betroffenen Menschen in den Vordergrund:<br />
„Wenn in ihrem Leben kein Raum für eigene Gefühle und eigene Wünsche ist, reagieren sie so,<br />
wie wir in derselben Situation es tun würden. Ihre Verhaltensweisen sind Reaktionen auf Gefühle<br />
von Unsicherheit. Sie vertrauen sich selbst und anderen nicht. Es sind Reaktionen auf ihre Unfähigkeit,<br />
die Dinge um sie herum zu begreifen, und auf das Unverständnis ihrer Umgebung“<br />
(HEIJKOOP 1998,16).<br />
Nicht nur sie selbst, sondern das gesamte soziale System, dem sie angehören, befinden<br />
sich in einer festgefahrenen Situation, die zu einer Erstarrung der Beziehungen geführt<br />
hat.<br />
Verhaltensauffälligkeiten sind somit nicht nur mit Blick auf die aktuelle Lebenslage sondern<br />
auch bezogen auf biografische Erfahrungen i. S. einer verstehenden Diagnostik zu<br />
analysieren, um geeignete Interventionen in der akuten Situation, für präventive Maßnahmen<br />
oder längerfristige Veränderungsperspektiven zu finden (vgl. LINGG/THEUNISSEN<br />
2000; JANTZEN/LANWER-KOPPELIN 1996).<br />
Vor diesem Hintergrund wurde bei der Konzipierung der <strong>Evaluation</strong> der Maßnahmen der<br />
system-ökologische Ansatz zugrunde gelegt, der die Wechselwirkungsprozesse zwischen<br />
dem Individuum und seiner sozialen Umwelt sowie den strukturellen Bedingungen<br />
seines Lebensraums einschließlich der lebensgeschichtlichen Erfahrungen als wesentliche<br />
Bedingungsfaktoren von Verhaltensauffälligkeiten sieht (vgl. SEIFERT ET AL. 2001).<br />
4.3.2 Durchgeführte Interventionen und Maßnahmen<br />
Der Fragebogen zur Auswertung des Unterstützungsangebots des Organisationsteams<br />
im Rahmen des Consulentenprojektes der Heilpädagogischen Heime umfasst Maßnahmen<br />
und Interventionen in folgenden Bereichen (s. Anhang):<br />
1. Veränderungen der Wohnsituation<br />
2. Personelle Veränderungen<br />
3. Erweiterung der Mitarbeiterkompetenz<br />
4. Erweiterung von Beobachtung, Problemanalyse, Diagnostik<br />
5. Veränderungen am Betreuungskonzept<br />
6. Veränderungen sozialer Beziehungen<br />
7. Veränderungen in der Alltagsgestaltung/Lebensführung<br />
8. Veränderung bei Beschäftigung, Freizeit, Bildung<br />
9. Spezielle MaßnahmenNach Aussage der Gruppenmitarbeiter/innen haben zur Verbesserung<br />
der Problemlage Aktivitäten in folgenden Bereichen stattgefunden (Abb. 10):<br />
−<br />
28<br />
In allen Gruppen (n = 17) wurden Maßnahmen zur Erweiterung der Mitarbeiterkompetenz‚<br />
Veränderungen am Betreuungskonzept und zusätzliche spezielle Maßnahmen<br />
durchgeführt.
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
−<br />
−<br />
Fast gleich häufig gab es personelle Veränderungen (in 16 Gruppen), gefolgt von<br />
Veränderungen sozialer Beziehungen, Veränderungen in der Alltagsgestaltung/Lebensführung<br />
und bei Beschäftigung/Freizeit/Bildung (jeweils in 15 Gruppen).<br />
Am wenigstens wurden Veränderungen der Wohnsituation durchgeführt (in 11 Gruppen).<br />
17<br />
Durchgeführte Interventionen / Maßnahmen<br />
aus Gruppenperspektive (n = 17)<br />
Anzahl der Gruppen<br />
0 2 4 6 8 10 12 14 16 18<br />
Wohnsituation<br />
11<br />
Personal<br />
16<br />
Mitarbeiterkompetenz<br />
17<br />
Beobachtg., Problemanalyse,<br />
Diagnostik<br />
14<br />
Betreuungskonzept<br />
17<br />
Soziale Beziehungen<br />
15<br />
Alltagsgestaltung/Lebensführg.<br />
Beschäftigung, Freizeit,<br />
Bildung<br />
15<br />
15<br />
Spezielle Maßnahmen<br />
17<br />
Abb. 10 Durchgeführte Interventionen/Maßnahmen<br />
17 Da aus Gründen der Anonymität die Gruppenzugehörigkeit der Bewohner/innen nicht erfragt wurde, ist unklar,<br />
ob einzelne Personen ggf. in der gleichen Gruppe wohnen wie eine andere der einbezogenen Personen. Das<br />
Fehlen der Information erscheint jedoch im Kontext der Fragestellung dieser Studie belanglos, da jede Maßnahme<br />
mit Blick auf den/die Bewohner/in mit dem jeweils problematischen Verhalten durchgeführt wurde.<br />
29
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
4.3.3 Wirksamkeit der Maßnahmen und Interventionen<br />
Die Adressaten des Fragebogens wurden aufgefordert, die jeweils durchgeführten Maßnahmen<br />
hinsichtlich ihrer Effektivität für Mitarbeiter und für Bewohner zu bewerten. Zur<br />
Bewertung der Effektivität für Mitarbeiter standen folgende Optionen zur Verfügung:<br />
‚nicht hilfreich’ – ‚etwas/manchmal hilfreich’ – ‚meist hilfreich’ – ‚sehr hilfreich’. Die Beurteilung<br />
der Effektivität für Bewohner orientierte sich an den Optionen ‚eher unwirksam’ –<br />
‚häufig wirksam’ – ‚etwas/manchmal wirksam’ – ‚eher unwirksam’. Die Einschätzungen<br />
beziehen sich auf die Aktivitäten in den ersten zwei Jahren des Consulentenprojekts. 18<br />
Zur Erleichterung der Orientierung bei der Präsentation der <strong>Evaluation</strong>sergebnisse sind<br />
alle Maßnahmen-Kapitel gleich strukturiert. Nach einer kurzen einführenden Erläuterung<br />
des Stellenwerts des Maßnahmebereichs im Kontext von Handlungsansätzen zum Umgang<br />
mit Verhaltensauffälligkeiten wird ein Überblick über die praktizierten Vorgehensweisen<br />
gegeben. Es folgt eine detaillierte Darstellung der Ergebnisse zur Effektivität für<br />
Mitarbeiter und für Bewohner, die in eine zusammenfassende Einschätzung der Ergebnisse<br />
zum jeweiligen Maßnahmebereich mündet. Abschließend werden die Ergebnisse<br />
der Analyse zu den einzelnen Veränderungsbereichen jeweils in einem Tabellenüberblick<br />
zusammen gefasst, der auf Blick einen Vergleich der Effektivität für Mitarbeiter und<br />
für Bewohner ermöglicht.<br />
Zur besseren Übersicht bei den Bewertungen der Effektivität der Maßnahmen wurden im<br />
Tabellenüberblick die vier Antwortkategorien des <strong>Evaluation</strong>sbogens in jeweils zwei<br />
übergreifende Kategorien gebündelt:<br />
−<br />
−<br />
−<br />
Bei der Effektivität für Mitarbeiter umfasst die Kategorie ‚hilfreich’ die Optionen ‚meist<br />
hilfreich’ und ‚sehr hilfreich’. Die Kategorie ‚weniger hilfreich’ impliziert die Optionen<br />
‚nicht hilfreich’ und ‚etwas/manchmal hilfreich’.<br />
Bei der Effektivität für Bewohner umfasst die Kategorie ‚wirksam’ die Optionen ‚ häufig<br />
wirksam’ und ‚sehr wirksam’. Die Kategorie ‚weniger wirksam’ impliziert die Optionen<br />
‚eher unwirksam’ und ‚etwas/manchmal wirksam’.<br />
In einer weiteren Spalte werden positiv oder negativ herausragende Werte benannt<br />
(z.B. ‚sehr hilfreich’ oder ‚nicht hilfreich’).<br />
Datenbasis sind alle ausgefüllten Fragebögen (n = 45). Bei der Bewertung der einzelnen<br />
Maßnahmen werden jedoch nur die Rückmeldungen der jeweils daran Beteiligten<br />
zugrunde gelegt. Daraus ergeben sich sehr unterschiedliche Stichproben (zwischen 3<br />
und 42 Nennungen) 19 , bei denen im Einzelfall ein Vergleich der Bewertungen anhand<br />
von Prozentangaben problematisch ist. Um dennoch zu vorsichtigen Trend-Aussagen zu<br />
kommen, werden auch bei kleineren Fallzahlen Prozentangaben gemacht. Damit die tatsächliche<br />
Größenordnung der Aussagen nicht aus dem Blick gerät, sind jeweils die absoluten<br />
Zahlen hinzugefügt. Bei Fallzahlen
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
4.3.4 Veränderungen der Wohnsituation<br />
Aus ökopsychologischer Perspektive bilden Mensch und Wohnumwelt eine Einheit. Die<br />
Qualität der Wechselwirkungen zwischen beiden hat entscheidenden Einfluss auf das<br />
Wohlbefinden. Dies gilt in besonderem Maße für Menschen mit schwerer Behinderung,<br />
die unzureichende Wohnbedingungen kaum kompensieren können (vgl. SEIFERT ET AL.<br />
2001).<br />
−<br />
Sie brauchen Unterstützung bei der Aufnahme und Pflege sozialer Kontakte durch<br />
eine gemeinschaftsfördernde, beziehungsstiftende und kommunikationsfördernde<br />
Raumgestaltung mit Übergangszonen zwischen Privatheit und Gemeinschaft, die eine<br />
selbstbestimmte Regulierung zwischen Nähe und Distanz ermöglichen, und Raum<br />
zum Rückzug in einen privaten Bereich.<br />
− Sie brauchen Raum für lustvolles, nicht zweckgebundenes, autonomes Bewegen und<br />
Raum zum Ausagieren in Krisensituationen.<br />
− Sie brauchen Räume, die zur Stärkung ihrer Identität und Autonomie beitragen (z. B.<br />
Gestaltung des eigenen Zimmers).<br />
−<br />
Sie brauchen einen ‘Persönlichen Raum’, der im Kontakt mit anderen die selbstbestimmte<br />
Regulierung des gewünschten Abstands sichert. Verletzungen des persönlichen<br />
Raums werden im Allgemeinen als unangenehm und erregungssteigernd erlebt.<br />
Eine hohe soziale Dichte bei der Nutzung gemeinschaftlicher Räume kann zum Auslösefaktor<br />
von Beengungsstress (crowding) werden, Konflikte produzieren und Ursache<br />
von Verhaltensauffälligkeiten sein (vgl. SCHULTZ-GAMBARD 1990).<br />
Vor diesem Hintergrund können Veränderungen der räumlichen Bedingungen sowie der<br />
Größe und Zusammensetzung der Gruppe ein Baustein zum Aufbrechen festgefahrener<br />
Verhaltensweisen sein. Aus dem Bündel möglicher Einflussfaktoren wurden für die <strong>Evaluation</strong><br />
folgende Aspekte herausgegriffen und hinsichtlich ihrer Wirksamkeit überprüft:<br />
− Räumliche/bauliche Veränderungen (im Bewohnerzimmer und/oder in den Gemeinschaftsräumen)<br />
− Zimmerwechsel in der Wohngruppe (in ein Einzelzimmer oder zu einem anderen<br />
Bewohner)<br />
− Verminderung der Gruppengröße<br />
− Änderung der Gruppenzusammensetzung<br />
− Umzug in eine andere Wohngruppe/Wohnung<br />
Überblick<br />
Veränderungen der Wohnsituation wurden bei etwa zwei Dritteln der insgesamt 17 Personen<br />
durchgeführt (Abb. 11). Dabei handelt es sich überwiegend um räumliche bzw.<br />
bauliche Veränderungen (9x). Bei drei Personen wurde die Gruppenzusammensetzung<br />
verändert, jeweils einmal wurde ein Zimmerwechsel innerhalb der Gruppe, ein Umzug in<br />
eine andere Wohngruppe und eine Verminderung der Gruppengröße (von 14 auf 11<br />
Plätze) vorgenommen. Der Zimmerwechsel bezieht sich auf den Wechsel in ein Einzelzimmer;<br />
ein Umzug zu einem anderen Bewohner der Gruppe wurde nicht praktiziert.<br />
Weitere Veränderungen wurden bei sechs Personen angegeben. Bei etwa einem Drittel<br />
der Bewohner/innen wurden keine Veränderungen durchgeführt. Mehrfachnennungen<br />
waren möglich.<br />
31
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Veränderungen der Wohnsituation<br />
aus Gruppenperspektive (n = 17)<br />
räuml./baul. Veränd.<br />
9<br />
Zimmerwechsel<br />
1<br />
Gruppengröße<br />
1<br />
Gruppenzus.setzung<br />
3<br />
Umzug<br />
1<br />
andere Veränderung<br />
6<br />
keine Veränderung<br />
6<br />
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10<br />
Anzahl der Maßnahmen (Mehrfachnennungen)<br />
Abb. 11 Veränderungen der Wohnsituation (Überblick)<br />
Im Folgenden wird die Effektivität der Veränderungen für Mitarbeiter und Bewohner dargestellt.<br />
Die Spannbreite der Rückmeldungen pro Maßnahme variiert zwischen 3 und 21,<br />
entsprechend der Häufigkeit der Durchführung in den beteiligten Gruppen. Eine tabellarische<br />
Zusammenfassung der Ergebnisse befindet sich am Ende des Kapitels (Tab. 1).<br />
Effektivität für Mitarbeiter<br />
Alle genannten Maßnahmen werden in der jeweils gegebenen Situation als überwiegend<br />
hilfreich für Mitarbeiter beurteilt (Abb. 12). Besonders hervorzuheben sind Veränderungen<br />
im Gemeinschaftsraum, die von 9 der insgesamt 14 Beteiligten als sehr hilfreich<br />
bezeichnet werden. Als Beispiel für bauliche Veränderungen werden bei einem Bewohner<br />
mit Fluchttendenzen Sicherheitsmaßnahmen an den Fenstern genannt. Auch die bei<br />
jeweils einem Bewohner durchgeführte Verminderung der Gruppengröße, der Umzug in<br />
eine andere Wohngruppe und der Wechsel in ein Einzelzimmer werden überwiegend<br />
als sehr hilfreich beurteilt. Dem gegenüber erfahren Änderungen der Gruppenzusammensetzung<br />
positive und eher negative Bewertungen in fast gleicher Häufigkeit.<br />
Effektivität für Bewohner<br />
Mit einer Ausnahme wird Effektivität der genannten Maßnahmen auch für Bewohner als<br />
überwiegend wirksam beurteilt (Abb. 13). Allerdings werden die Veränderungen im Gemeinschaftsraum<br />
für Bewohner nicht so hoch bewertet wie für Mitarbeiter. Mit Hinblick<br />
auf die beispielhaft genannten Sicherheitsvorkehrungen an den Fenstern ist diese Aussage<br />
nachvollziehbar: Wegen der Fluchttendenzen des Bewohners bedeuten sie für Mitarbeiter<br />
eine Entlastung, schränken aber die Freiheitsbestrebungen des Bewohners ein.<br />
Hervorzuheben ist, dass Änderungen der Gruppenzusammensetzung von etwa der<br />
Hälfte der 11 Befragten als eher unwirksam eingeschätzt werden, während sie für Mitarbeiter<br />
als überwiegend hilfreich beurteilt werden. Möglicherweise standen bei der Entscheidung<br />
über konkrete Veränderungen die Interessen der Mitarbeiter/innen im Vordergrund,<br />
z. B. Erleichterung bei der Bewältigung ihrer Aufgaben, und weniger die Bedürf-<br />
32
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
nisse und Gewohnheiten der betreffenden Bewohner/innen. Bei der sehr kleinen Stichprobe<br />
ist der Unterschied allerdings sehr gering.<br />
Die bei einem Bewohner durchgeführte Verminderung der Gruppengröße wird - im Gegensatz<br />
zur mitarbeiterbezogenen Einschätzung - hinsichtlich ihrer Effektivität für den<br />
Bewohner nicht von allen als wirksam bezeichnet. Die Aussagen zum Umzug in eine<br />
andere Wohngruppe und zum Wechsel in ein Einzelzimmer entsprechen im Wesentlichen<br />
der Einschätzung für Mitarbeiter. Sie werden für den jeweils betroffenen Bewohner<br />
überwiegend als sehr wirksam beurteilt.<br />
Zimmerw echsel (n=3)<br />
Veränderungen der Wohnsituation<br />
nach Effektivität für Mitarbeiter<br />
Gruppengröße (n=3)<br />
Umzug (n=8)<br />
Gruppenzusammensetzung<br />
(n=11)<br />
Gemeinschaftsräume<br />
(n=14)<br />
sehr hilfreich<br />
meist hilfreich<br />
etw as/manchmal hilfreich<br />
nicht hilfreich<br />
keine Antw ort<br />
Bew ohnerzimmer (n=21)<br />
0 5 10 15 20 25<br />
Bewertungen<br />
Abb. 12 Veränderungen der Wohnsituation nach Effektivität für Mitarbeiter<br />
Veränderungen der Wohnsituation<br />
nach Effektivität für Bewohner<br />
Zimmerwechsel (n=3)<br />
Gruppengröße (n=3)<br />
Umzug (n=8)<br />
Gruppenzusammensetzung<br />
(n=11)<br />
Gemeinschaftsräume<br />
(n=14)<br />
sehr wirksam<br />
häufig wirksam<br />
etwas/manchmal wirksam<br />
eher unwirksam<br />
keine Antwort<br />
Bewohnerzimmer (n=21)<br />
0 5 10 15 20 25<br />
Bewertungen<br />
Abb. 13 Veränderungen der Wohnsituation nach Effektivität für Bewohner<br />
33
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Weitere Veränderungen der Wohnsituation<br />
Bei den zusätzlich angegebenen Veränderungen der Wohnsituation fällt auf, dass vor<br />
allem solche Maßnahmen von hoher Effektivität für alle Beteiligten sind, die den Bewohnerinnen<br />
und Bewohnern im Wohnalltag mehr Freiheitsräume bieten, Dem gegenüber<br />
wirken sich Verschlechterungen der Rahmenbedingungen als erschwerend aus. Im Einzelnen<br />
werden folgende Maßnahmen genannt und bewertet:<br />
Sehr hilfreich/wirksam (für Mitarbeiter und Bewohner):<br />
− Türen sind teilweise offen, jeder Bewohner kann sich in sein Zimmer zurück ziehen,<br />
dadurch ist die Gruppe leiser und ruhiger geworden<br />
− Badezimmer und Küche für den Bewohner zugänglich machen<br />
− Eigener Zimmerschlüssel<br />
Meist hilfreich/wirksam (für Mitarbeiter und Bewohner):<br />
− Trennung von Wohn- und Esszimmer in zwei Räume<br />
− Umzug in ein externes, der Gruppe angegliedertes Zimmer<br />
Etwas hilfreich (für Mitarbeiter):<br />
− Bewegungsmelder an der Haustür<br />
− Renovierung der Bewohnerzimmer<br />
Eher unwirksam (für Bewohner):<br />
− Bewegungsmelder an der Haustür<br />
− Renovierung der Bewohnerzimmer<br />
Nicht hilfreich / eher unwirksam (für Mitarbeiter und Bewohner):<br />
− Belegung des freien Wohnplatzes<br />
− Erhöhung der Gruppengröße von 5 auf 6 Plätze<br />
− Übernahme der Bewohnerin aus der Klinik<br />
Zusammenfassende Einschätzung<br />
Veränderungen der Wohnsituation wurden deutlich seltener vorgenommen als Veränderungen<br />
in anderen Bereichen. Mögliche Gründe können sein, dass Veränderungsmöglichkeiten<br />
in diesem Bereich sehr begrenzt sind oder dass die Bedeutung der Wechselwirkungen<br />
zwischen der Gestaltung der Wohnsituation und dem Verhalten von Bewohnerinnen<br />
und Bewohnern als eher gering eingeschätzt wird.<br />
Die durchgeführten Maßnahmen können die Arbeit der Mitarbeiter/innen erleichtern und<br />
für die Bewohner/innen Chancen zur Neuorientierung und zum Aufbrechen eingefahrener<br />
Verhaltensweisen eröffnen. Die Analyse der Bewertung der Maßnahmen lässt erkennen,<br />
dass sich die eingeschlagenen Wege im Kontext der Erfahrungen der Befragten<br />
für Mitarbeiter als insgesamt recht hilfreich erweisen, sie sind aber nicht in jedem Fall<br />
gleichermaßen auch für Bewohner wirksam. Auffällig ist, dass sich die genannten Beispiele<br />
vorwiegend auf Sicherheitsaspekte und auf Möglichkeiten der selbstbestimmten<br />
Nutzung von Räumen beziehen. Veränderungen, die die Räume wohnlicher machen o-<br />
der mehr Platz bieten, werden nicht eigens thematisiert. Als wesentliches Ergebnis ist<br />
hervorzuheben, dass vor allem solche Veränderungen in der Wohnsituation zur Problemlösung<br />
beitragen, die den Bewohnern und Bewohnerinnen im Alltag mehr Freiheitsräume<br />
bieten.<br />
34
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Maßnahme<br />
(Reihenfolge nach Häufigkeit<br />
der Nennungen/Bewohner)<br />
Rückmeldung<br />
(n) 1) hilfreich weniger<br />
hilfreich<br />
Veränderungen der Wohnsituation<br />
Effektivität für Mitarbeiter 2) Effektivität für Bewohner 2)<br />
keine<br />
Angabe<br />
Hervorhebung 3) wirksam weniger<br />
wirksam<br />
keine<br />
Angabe<br />
Hervorhebung<br />
Abb.<br />
Nr.<br />
Räumliche, bauliche<br />
Veränderungen (9 Bew.)<br />
12 – 13<br />
−<br />
−<br />
im Bewohnerzimmer<br />
(7 Bew.)<br />
in Gemeinschaftsräumen<br />
(5 Bew.)<br />
21 52 %<br />
(11 Pers.)<br />
14 71 %<br />
(10 Pers.)<br />
33 %<br />
(7 Pers.)<br />
21 %<br />
(3 Pers.)<br />
14 %<br />
(3 Pers.)<br />
7 %<br />
(1 Pers.)<br />
sehr hilfreich:<br />
38 % (8 Pers.)<br />
sehr hilfreich:<br />
64 % (9 Pers.)<br />
52 %<br />
(11 Pers.)<br />
50 %<br />
(7 Pers.)<br />
38 %<br />
(8 Pers.)<br />
36 %<br />
(5 Pers.)<br />
10 %<br />
(2 Pers.)<br />
14 %<br />
(2 Pers.)<br />
-<br />
-<br />
Änderung der Gruppenzusammensetzung<br />
(3 Bew.)<br />
Umzug in andere Wohngruppe/Wohnung<br />
(1 B.)<br />
Verminderung der<br />
Gruppengröße (1 Bew.)<br />
Zimmerwechsel in der<br />
Wohngruppe in ein Einzelzimmer<br />
(1 Bew.)<br />
Andere Veränderung der<br />
Wohnsituation (6 Bew.)<br />
11 55 %<br />
(6 Pers.)<br />
46 %<br />
(5 Pers.)<br />
- - 46 %<br />
(5 Pers.)<br />
8 (6 Pers.) (1 Pers.) (1 Pers.) sehr hilfreich:<br />
(6 Pers.)<br />
3 (3 Pers.) - - sehr hilfreich:<br />
(3 Pers.)<br />
3 (2 Pers.) (1 Pers.) - sehr hilfreich:<br />
(2 Pers.)<br />
55 %<br />
(6 Pers.)<br />
- eher unwirksam:<br />
55 % (6 P.)<br />
(6 Pers.) (2 Pers.) - sehr wirksam:<br />
(6 Pers.)<br />
(2 Pers.) (1 Pers.) - -<br />
(2 Pers.) (1 Pers.) - sehr wirksam:<br />
(2 Pers.)<br />
13 Da es sich bei den anderen Veränderungen der Wohnsituation um unterschiedliche Maßnahmen handelt, ist eine übergreifende Beurteilung<br />
hinsichtlich der Effektivität nicht möglich.<br />
1)<br />
Im Interesse der Vergleichbarkeit der Bewertungen werden auch bei kleineren Fallzahlen %-Werte angegeben. Bei Fallzahlen
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
4.3.5 Personelle Veränderungen<br />
Dem Gruppenpersonal kommt eine Schlüsselrolle im Umgang mit herausfordernden<br />
Verhaltensweisen zu. Zur Umsetzung des fachlichen Anspruchs sind adäquate Rahmenbedingungen<br />
notwendig, die sich positiv auf die Arbeit mit den Bewohnerinnen und<br />
Bewohnern und auf die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter/innen auswirken. Im Hinblick<br />
auf festgefahrene Situationen können personelle Veränderungen wirksame Unterstützung<br />
bieten. Sie sind sowohl unter dem Aspekt der Quantität und der Qualität von Bedeutung.<br />
So ermöglicht z. B. eine Anhebung des Personalschlüssels eine stärkere Individualisierung<br />
der Betreuung. Eine Passung zwischen den Anforderungen im Umgang<br />
mit den Bewohnern und der Persönlichkeit der Mitarbeiter/innen hat positive Auswirkungen<br />
auf die Interaktion. Zusätzliche Kräfte erhöhen die Chance für eine selbstbestimmtere<br />
Lebensführung. Darüber hinaus können auch organisatorische Veränderungen im<br />
Dienstplan den Interessen der Bewohner/innen zugute kommen.<br />
Vor diesem Hintergrund wurden zur <strong>Evaluation</strong> personeller Veränderungen folgende Aspekte<br />
ausgewählt:<br />
− Mehr Personal in betreffende Wohngruppe (Erhöhung des Personalschlüssels)<br />
− Personalwechsel in betreffender Wohngruppe (Ausscheiden / Neueinstellung)<br />
− Gezielte bewohnerbezogene Personalauswahl<br />
− Veränderung von Dienstzeiten / Anwesenheitszeiten<br />
− Einzelfallhilfe<br />
− Einsatz eines Assistenten<br />
− Einsatz eines heiminternen Caremanagers<br />
Überblick<br />
In 16 der insgesamt 17 Gruppen wurden personelle Veränderungen vorgenommen (Abb.<br />
14). Die Maßnahmen sind vielfältig. Am häufigsten wurde Einzelfallhilfe angegeben (9x),<br />
gefolgt von Personalwechsel und Einsatz eines heiminternen Caremanagers für den in<br />
das Consulentenprojekt einbezogenen Bewohner (jeweils 8x). Eine Erhöhung des Personalschlüssels<br />
erfolgte siebenmal, Dienstzeitenänderungen wurden in fünf Gruppen<br />
und eine gezielte bewohnerbezogene Personalauswahl in vier Gruppen vorgenommen.<br />
Drei Bewohnern wurden Assistenten zur Verfügung gestellt. Die Option ‚andere Veränderungen’<br />
wurde viermal angegeben. Mehrfachnennungen waren möglich. Einmal gab<br />
es keine Veränderungen.<br />
Im Folgenden wird die Effektivität der Veränderungen für Mitarbeiter und Bewohner dargestellt.<br />
Die Spannbreite der Rückmeldungen pro Maßnahme variiert zwischen 7 und 28,<br />
entsprechend der Häufigkeit der Durchführung in den beteiligten Gruppen. Eine tabellarische<br />
Zusammenfassung der Ergebnisse befindet sich am Ende des Kapitels (Tab. 2).<br />
36
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Personelle Veränderungen<br />
aus Gruppenperspektive (n = 17)<br />
mehr Personal<br />
7<br />
Personalwechsel<br />
8<br />
Personalauswahl<br />
4<br />
Dienstzeitenänderung<br />
5<br />
Einzelfallhilfe<br />
9<br />
Assistenten<br />
3<br />
Caremanager<br />
8<br />
andere Veränderungen<br />
4<br />
keine Veränderung<br />
1<br />
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10<br />
Anzahl der Maßnahmen (Mehrfachnennungen)<br />
Abb. 14 Personelle Veränderungen (Überblick)<br />
Effektivität für Mitarbeiter<br />
Fast alle durchgeführten personellen Veränderungen werden als meist bzw. sehr hilfreich<br />
für Mitarbeiter bewertet (Abb. 15): Veränderung von Dienstzeiten (14 von 16 Personen),<br />
gezielte bewohnerbezogene Personalauswahl (11 von 13 Personen; sechsmal:<br />
sehr hilfreich), Erhöhung des Personalschlüssels (10 von 13 Personen; neunmal: sehr<br />
hilfreich), Personalwechsel in der Wohngruppe (73 % von 22 Personen; achtmal: sehr<br />
hilfreich). Als eher unbefriedigend hat sich der Einsatz eines heiminternen Caremanagers<br />
herausgestellt. Diese Funktion kann von verschiedenen Personen ausgefüllt werden,<br />
z. B. von Abteilungsleitern, von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus anderen<br />
Gruppen oder von anderen heiminternen Personen mit besonderer Erfahrung. 10 von 18<br />
Rückmeldungen bezeichnen den heiminternen Caremanager als nicht bzw. etwas/manchmal<br />
hilfreich. Beim Einsatz eines Assistenten halten sich positive und eher<br />
negative Einschätzungen die Waage. Hierbei handelt es sich i.d.R. um freiwillig tätige<br />
Personen ohne spezifische Ausbildung, die die Bewohner/innen stundenweise unterstützen<br />
und dafür eine Aufwandentschädigung erhalten. Zu den Einzelfallhilfen liegen nur<br />
wenige Bewertungen vor, da zum Zeitpunkt der Befragung in vielen Gruppen erst ein Antrag<br />
für diese Maßnahme gestellt war: 8 von insgesamt 28 Rückmeldungen bezeichnen<br />
sie als meist bzw. sehr hilfreich; 20 Personen machten aus dem genannten Grund keine<br />
Angabe.<br />
Effektivität für Bewohner<br />
Die Wirksamkeit der Maßnahmen für Bewohner entspricht im Wesentlichen der Einschätzung<br />
für Mitarbeiter (Abb. 16), wobei die gezielte Personalauswahl mit 11 positiven<br />
Bewertungen bei insgesamt 13 Rückmeldungen als besonders wirksam hervorzuheben<br />
ist (siebenmal: sehr wirksam).<br />
Eine vergleichbar gute Beurteilung erfährt die Erhöhung des Personalschlüssels: 10<br />
von 13 Personen bezeichnen sie als wirksam (achtmal: sehr wirksam). In einem Interview<br />
begründet eine Mitarbeiterin die guten Erfahrungen mit der Erhöhung des Perso-<br />
37
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
nalschlüssels am Beispiel einer jungen Frau mit selbst- und fremdgefährdenden Verhaltensweisen:<br />
„Es ist eben sehr wichtig, dass wir genügend Personal sind, um Frau Y. da auch zu begleiten und<br />
aufzufangen. Ich kann mir nicht vorstellen, wenn wir einzeln in der Gruppe sind, das wir ihr diese<br />
Zuwendung, nicht nur ihr, den anderen beiden auch – das Ein-Mann-Personal oder Ein-Frau-<br />
Personal das überhaupt schaffen würde. Und wenn, dann einfach nur ein Halten, also den Tagesablauf<br />
halten und dann würde nichts mehr gefördert werden.“ (DONAJSKI 2004)<br />
Der Personalwechsel wird für Bewohner deutlich schlechter beurteilt als für Mitarbeiter:<br />
Nur die Hälfte der Beteiligten sieht diese Maßnahme als wirksam für Bewohner. Möglicherweise<br />
sind eher teambezogene Gründe Anlass für den Wechsel gewesen. Bewohner/innen<br />
können einen Wechsel als Störung des Gewohnten, als Unterbrechung der<br />
Kontinuität, ggf. auch als Beziehungsabbruch verstehen und entsprechend reagieren.<br />
Am wenigsten bewährt hat sich der heiminterne Caremanager-Einsatz: 12 von 18 Personen<br />
bezeichnen diese Maßnahme als weniger wirksam (achtmal: eher unwirksam).<br />
Personelle Veränderungen<br />
nach Effektivität für Mitarbeiter<br />
Assistenten (n=7)<br />
Personalauswahl (n=13)<br />
mehr Personal (n=13)<br />
Dienstzeiten (n=16)<br />
Caremanager (n=18)<br />
Personalwechsel (n=22)<br />
sehr hilfreich<br />
meist hilfreich<br />
etwas/manchmal hilfreich<br />
nicht hilfreich<br />
keine Antwort<br />
Einzelfallhilfe (n=28)<br />
0 5 10 15 20 25 30<br />
Bewertungen<br />
Abb. 15 Personelle Veränderungen nach Effektivität für Mitarbeiter<br />
Personelle Veränderungen<br />
nach Effektivität für Bewohner<br />
Assistenten (n=7)<br />
Personalauswahl (n=13)<br />
mehr Personal (n=13)<br />
Dienstzeiten (n=16)<br />
Caremanager (n=18)<br />
sehr wirksam<br />
häufig wirksam<br />
etwas/manchmal wirksam<br />
eher unwirksam<br />
keine Antwort<br />
Personalwechsel (n=22)<br />
Einzelfallhilfe (n=28)<br />
0 5 10 15 20 25 30<br />
Bewertungen<br />
Abb. 16 Personelle Veränderungen nach Effektivität für Bewohner<br />
38
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Andere personelle Veränderungen<br />
Weitere personelle Veränderungen kamen bei vier Personen zur Anwendung:<br />
− Einmal wöchentlich gezielter Einsatz eines Mitarbeiters und eines Begleiters zu Ausflügen<br />
und zum Training des Bewohners in der Öffentlichkeit<br />
− Benennung einer konkreten Bezugsperson in Absprache mit dem Bewohner<br />
− Einsatz von Schülern und Praktikanten<br />
− Ersatz für eine kranke Mitarbeiterin<br />
− Seit 4 Monaten ein neuer Bewohner und 4 neue Mitarbeiter<br />
Einer der Befragten merkt an, dass eine Personalkürzung abgewendet werden konnte.<br />
Die genannten Maßnahmen werden von den Beteiligten (n = 11) überwiegend als hilfreich/wirksam<br />
für Mitarbeiter und Bewohner bewertet.<br />
Zusammenfassende Einschätzung<br />
Die Analyse der Bewertung personeller Veränderungen bestätigt ihre hohe Relevanz für<br />
die Unterstützung von Mitarbeitern und Bewohnern bei festgefahrenen Situationen. Neben<br />
organisatorischen Maßnahmen (z. B. Veränderung von Dienstzeiten) haben sich vor<br />
allem Maßnahmen bewährt, die die Quantität und Qualität des Personals betreffen. Eine<br />
Erhöhung des Personalschlüssels trägt zur Entlastung der Mitarbeiter/innen und zur Milderung<br />
angespannter Situationen bei und wirkt sich dadurch positiv auf die Gruppenatmosphäre<br />
aus. Als besonders hilfreich erweisen sich Maßnahmen, die spezifische Bedürfnisse<br />
der Bewohner/innen mit Verhaltensauffälligkeiten berücksichtigen. So kann z.<br />
B. eine gezielte bewohnerbezogene Mitarbeiterauswahl ein adäquateres Eingehen auf<br />
die Anforderungen der Bewohner/innen gewährleisten und zugleich neue Impulse und<br />
Motivation für die Arbeit im Team bringen.<br />
Dem gegenüber wird der Einsatz von Caremanagern nur bedingt als wirksam erachtet,<br />
ohne Angabe von Gründen. Möglicherweise tragen die Distanz des Caremanagers zum<br />
Wohngruppenalltag oder eine ineffektive Organisation der Kooperation zwischen den Beteiligten<br />
dazu bei, dass die Problemlagen nicht ausreichend in ihrer Dynamik erfasst und<br />
begleitet werden. Erstaunlich ist, dass sich der Einsatz von zusätzlichen Assistenten, die<br />
bei der Gestaltung des Alltags für den Einzelnen mehr Individualität ermöglichen könnten,<br />
nicht in jedem Fall positiv für die betreffenden Bewohnerinnen und Bewohner eingeschätzt<br />
wird. Auch hier können mangelnde Absprachen zwischen den zusätzlichen Helfern<br />
und dem Team oder fehlende Erfahrung des Assistenten mit den spezifischen Anforderungen<br />
bei der Begleitung von Menschen mit Verhaltensauffälligkeiten teilweise unerwünschte<br />
Nebenwirkungen haben. Zum Zeitpunkt der Befragung lagen erst verhältnismäßig<br />
wenige Erfahrungen mit dieser Form der Unterstützung vor. Möglicherweise<br />
wurden Aspekte der Qualifikation der Assistenten unterbewertet.<br />
39
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Maßnahme<br />
(Reihenfolge nach Häufigkeit<br />
der Nennungen/Bewohner)<br />
Personelle Veränderungen<br />
Rückmeldung<br />
Effektivität für Mitarbeiter 2) Effektivität für Bewohner 2)<br />
1)<br />
(n) hilfreich weniger keine Hervorhebung 3) wirksam weniger keine Hervorhebung<br />
hilfreich Angabe<br />
wirksam Angabe<br />
Abb.<br />
Nr.<br />
Einzelfallhilfe (9 Bew.) 28 29 %<br />
(8 Pers.)<br />
- 71 % (20 Pers.): ohne Bewertung,<br />
Einzelfallhilfe beantragt<br />
29 %<br />
(8 Pers.)<br />
- 71 % (20 Pers.): ohne Bewertung,<br />
Einzelfallhilfe beantragt<br />
15-16<br />
Personalwechsel in der<br />
Wohngruppe (8 Bew.)<br />
22 73 %<br />
(16 Pers.)<br />
27 %<br />
(6 Pers.)<br />
- sehr hilfreich:<br />
36 % (8 Pers.)<br />
50 %<br />
(11 Pers.)<br />
50 %<br />
(11 Pers.)<br />
- -<br />
Einsatz eines heiminternen<br />
Caremanagers<br />
(8 Bew.)<br />
18 39 %<br />
(7 Pers.)<br />
56 %<br />
(10 Pers.)<br />
6 %<br />
(1 Pers.)<br />
- 28 %<br />
(5 Pers.)<br />
67 %<br />
(12 Pers.)<br />
6 %<br />
(1 Pers.)<br />
eher unwirksam:<br />
44 % (8 Pers.)<br />
Veränderung von<br />
Dienstzeiten (5 Bew.)<br />
16 88 %<br />
(14 Pers.)<br />
13 %<br />
(2 Pers.)<br />
- - 81 %<br />
(13 Pers.)<br />
19 %<br />
(3 Pers.)<br />
- -<br />
Mehr Personal (Personalschlüssel-Erhöhung)<br />
(7 Bew.<br />
Gezielte bewohnerbezogene<br />
Personalauswahl<br />
(4 Bew.)<br />
Einsatz eines Assistenten<br />
(3 Bew.)<br />
Andere personelle Veränderungen<br />
(4 Bew.)<br />
13 77 %<br />
(10 Pers.)<br />
13 85 %<br />
(11 Pers.)<br />
23 %<br />
(3 Pers.)<br />
15 %<br />
(2 Pers.)<br />
- sehr hilfreich:<br />
69 % (9 Pers.)<br />
- sehr hilfreich:<br />
46 % (6 Pers.)<br />
77 %<br />
(10 Pers.)<br />
85 %<br />
(11 Pers.)<br />
23 %<br />
(3 Pers.)<br />
15 %<br />
(2 Pers.)<br />
- sehr wirksam:<br />
62 % (8 Pers.)<br />
- sehr wirksam:<br />
54 % (7 Pers.)<br />
7 (3 Pers.) (2 Pers.) (2 Pers.) - (3 Pers.) (2 Pers.) (2 Pers.) eher unwirksam:<br />
(2 Pers.)<br />
11 Da es sich bei den anderen personellen Veränderungen um unterschiedliche Maßnahmen handelt, ist eine übergreifende Beurteilung<br />
hinsichtlich der Effektivität nicht möglich.<br />
1) Im Interesse der Vergleichbarkeit der Bewertungen werden auch bei kleineren Fallzahlen %-Werte angegeben. Bei Fallzahlen
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
4.3.6 Erweiterung der Mitarbeiterkompetenz<br />
Der Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten erfordert von den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen<br />
hohe fachliche und persönliche Kompetenzen. Von besonderer Bedeutung sind<br />
Haltungen und Menschenbilder, das berufliche Selbstverständnis, Teamfähigkeit, der<br />
Umgang mit Konflikten und das Verständnis von Verhaltensproblemen (vgl. BRADL<br />
2003). Um zu tragfähigen Lösungen zu kommen, müssen praktizierte Handlungsansätze<br />
immer wieder reflektiert und ggf. modifiziert werden. Fachliche Unterstützung von außerhalb<br />
kann den Blick zum Erproben neuer Wege öffnen.<br />
Das Organisationsteam für Consulentenarbeit hat externe Berater/innen mit unterschiedlichen<br />
Qualifikationen und aus ganz unterschiedlichen Arbeitszusammenhängen hinzugezogen.<br />
Sie brachten u. a. fachliches Know-How aus den Bereichen Gestaltpädagogik,<br />
Hypnotherapie, Psychoanalyse, Psychodrama, Neurologie, Verhaltenstherapie, Consultations-<br />
und Organisationserfahrung, Management und Organisationsberatung sowie Erfahrungen<br />
im Umgang mit Menschen mit selbst- und fremdgefährdenden Verhaltensweisen<br />
ein (vgl. BRAUN/STRÖBELE 2003). Die Kompetenz der externen Beratung soll die vorhandene<br />
Kompetenz des Teams und der bislang beteiligten Fachleute ergänzen. So<br />
kann z. B. bei überwiegend verhaltenstherapeutisch orientierten Handlungsansätzen der<br />
Blick verstärkt auf die emotionalen und kreativen Anteile des Bewohners bzw. der Bewohnerin<br />
gelenkt werden und umgekehrt.<br />
Vor diesem Hintergrund wurden für die <strong>Evaluation</strong> folgende Aspekte ausgewählt:<br />
− Fallbesprechungen<br />
− Fortbildungen<br />
− Supervision<br />
− Externe Beratung<br />
Überblick<br />
In allen beteiligten Gruppen wurden Maßnahmen zur Erweiterung der Mitarbeiterkompetenz<br />
im Umgang mit den herausfordernden Verhaltensweisen der Bewohner/innen<br />
durchgeführt (Abb. 17). Am häufigsten werden Fallbesprechungen (15x) genannt, in<br />
deutlichem Abstand gefolgt von den jeweils neunmal genannten Maßnahmen Fortbildung,<br />
Supervision und externer Beratung. Weitere Maßnahmen wurden in zwei Fällen<br />
angegeben. Mehrfachnennungen waren möglich.<br />
Erweiterung der Mitarbeiterkompetenz<br />
aus Gruppenperspektive (n=17)<br />
Fallbesprechung<br />
15<br />
Fortbildung<br />
Supervision<br />
Externe Beratung<br />
9<br />
9<br />
9<br />
Weitere Maßnahmen<br />
2<br />
0 2 4 6 8 10 12 14 16<br />
Anzahl der Maßnahmen (Mehrfachnennungen)<br />
Abb. 17 Erweiterung der Mitarbeiterkompetenz (Überblick)<br />
41
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Im Folgenden wird die Effektivität der Maßnahmen für Mitarbeiter und Bewohner dargestellt.<br />
Die Spannbreite der Rückmeldungen pro Maßnahme variiert zwischen 11 und 42,<br />
entsprechend der Häufigkeit der Durchführung in den beteiligten Gruppen. Eine tabellarische<br />
Zusammenfassung der Ergebnisse befindet sich am Ende des Kapitels (Tab. 4).<br />
Effektivität für Mitarbeiter<br />
Fast alle durchgeführten Maßnahmen haben positive Folgen für Mitarbeiter gehabt (Abb.<br />
18). Am wirksamsten sind Fortbildungsangebote. Sie werden von 83 % der insgesamt<br />
23 Rückmeldungen als hilfreich eingeschätzt (zehnmal: sehr hilfreich). Inhaltliche<br />
Schwerpunkte der Fortbildungen waren z. B. Umgang mit herausforderndem Verhalten<br />
(speziell: bedrohlich wirkendes Verhalten, Aggression/Gewalt, Deeskalationstraining),<br />
Autismus (u.a. Kompaktfallanalyse), psychiatrische Diagnosen, Wohnen/Förderplanung,<br />
Gebärdensprache, Assistenz.<br />
Auch die fachliche Unterstützung durch externe Beratung wird in einem großen Teil der<br />
Rückmeldungen sehr positiv bewertet: 75 % von 24 Personen erleben diese Maßnahme<br />
als meist bzw. sehr hilfreich für Mitarbeiter (zehnmal: sehr hilfreich). Besonders hervorgehoben<br />
werden das Videointeraktionstraining und die Kompakt-Fallanalyse zum Thema<br />
Autismus, die Unterstützung durch eine heilpädagogisch-therapeutische Ambulanz und<br />
die Beratung durch eine Klinikpsychologin. In einem Interview, das im Rahmen einer<br />
Einzelfallstudie zur Consulentenarbeit in den Rheinischen Heilpädagogischen Heimen<br />
geführt wurde, bezeichnen Mitarbeiter externe Berater als Motor wesentlicher Veränderungen<br />
in der Arbeit mit den Bewohnerinnen und Bewohnern.<br />
Supervision hat ebenfalls hinsichtlich der Problemlösung einen hohen Stellenwert. 74 %<br />
von 23 Personen bezeichnen Supervision als meist bzw. sehr hilfreich für Mitarbeiter.<br />
Sechs Bewertungen beziehen sich auf Team- und Fallsupervision, acht nur auf Fallsupervision,<br />
fünf nur auf Teamsupervision. In vier Fällen wird keine Differenzierung vorgenommen.<br />
Eine Mitarbeiterin konkretisiert in einem Interview die positive Einschätzung<br />
der Supervision:<br />
„Ich denke schon, dass es uns allen was bringt, (...) dass Gedankengänge ausgetauscht werden,<br />
Ansichten, Meinungen, und dass wir teilweise bei bestimmten Sachen dann auch auf einen Nenner<br />
kommen, wo wir dann auch gleich ziehen. Der eine kann nicht hü, der andere kann nicht hott,<br />
(...) dann kann das nicht funktionieren. Wir müssen unsere Regeln dann auch klar fest legen, so<br />
dass jeder danach auch zu arbeiten hat.“ (BAUER 2004)<br />
Bei den Fallbesprechungen ergibt sich ein differenziertes Bild: Die am häufigsten praktizierte<br />
Maßnahme, die teaminternen Fallbesprechungen, wurde von 42 Personen hinsichtlich<br />
ihrer Effektivität bewertet. 62 % der Rückmeldungen beurteilen diese Maßnahme<br />
für Mitarbeiter als meist bzw. sehr hilfreich (dreizehnmal: sehr hilfreich). Sie bietet<br />
Raum zur Klärung aktueller Sachverhalte und Probleme und trägt zur Entwicklung neuer<br />
Lösungsstrategien innerhalb des Teams bei.<br />
Abteilungsübergreifende Fallbesprechungen werden von über der Hälfte der Rückmeldungen<br />
zu diesem Aspekt (n = 14) als meist bzw. sehr hilfreich bewertet. Dem gegenüber<br />
werden die Fallbesprechungen mit dem Orga-Team (n = 11) als insgesamt<br />
weniger nützlich bezeichnet. Sieben Personen halten sie für Mitarbeiter für nicht bzw.<br />
etwas/manchmal hilfreich. Nur jeweils zwei Personen beurteilen die Maßnahme als meist<br />
bzw. sehr hilfreich für Mitarbeiter.<br />
42
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Erweiterung der Mitarbeiterkompetenz<br />
nach Effektivität für Mitarbeiter<br />
Supervision (n=23)<br />
Fortbildung (n=23)<br />
externe Beratung (n=24)<br />
Fallbesprechung mit Orga-Team (n=11)<br />
sehr hilfreich<br />
meist hilfreich<br />
etwas/manchmal hilfreich<br />
nicht hilfreich<br />
keine Antwort<br />
Fallbesprechung, abt.übergreifend (n=14)<br />
Fallbesprechung, teamintern (n=42)<br />
0 10 20 30 40 50<br />
Bewertungen<br />
Abb. 18 Erweiterung der Mitarbeiterkompetenz nach Effektivität für Mitarbeiter<br />
Erweiterung der Mitarbeiterkompetenz<br />
nach Effektivität für Bewohner<br />
Supervision (n=23)<br />
Fortbildung (n=23)<br />
externe Beratung (n=24)<br />
Fallbesprechung mit Orga-Team<br />
(n=11)<br />
Fallbesprechung, abt.übergreifend<br />
(n=14)<br />
Fallbesprechung, teamintern<br />
(n=42)<br />
sehr wirksam<br />
häufig wirksam<br />
etwas/manchmal wirksam<br />
eher unwirksam<br />
keine Antwort<br />
0 10 20 30 40 50<br />
Bewertungen<br />
Abb. 19 Erweiterung der Mitarbeiterkompetenz nach Effektivität für Bewohner<br />
43
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Effektivität für Bewohner<br />
Auch für die Bewohner/innen erweisen Fortbildungen, Supervision und externe Beratung<br />
als effektiv: 83 % von 23 Personen bezeichnen Fortbildungen als hilfreich (zehnmal:<br />
sehr hilfreich). Drei Viertel der 24 Rückmeldungen zur externen Beratung beurteilen sie<br />
als hilfreich (zehnmal: sehr hilfreich). Fast gleich bedeutsam ist Supervision: Sie wird von<br />
74 % der 23 Befragten als hilfreich bewertet. Im Gegensatz zur Effektivität für Mitarbeiter<br />
werden jedoch teaminterne Fallbesprechungen für Bewohner nur von rund der Hälfte<br />
der 42 Beteiligten für wirksam gehalten (Abb. 19). Möglicherweise zeigt sich der Nutzen<br />
der Fallbesprechungen nicht unmittelbar im Umgang mit Bewohnerinnen und Bewohnern.<br />
Es ist aber davon auszugehen, dass veränderte Handlungsstrategien mittelfristig<br />
Wirkung zeigen.<br />
Dem gegenüber sind die Bewertungen der abteilungsübergreifenden Fallgespräche<br />
und der Fallbesprechungen mit dem Orga-Team für Bewohner leicht besser als für<br />
Mitarbeiter. Die Fallbesprechungen mit dem Orga-Team werden von vier der insgesamt<br />
11 Personen für sehr wirksam für Bewohner gehalten. Jeweils drei Personen bezeichnen<br />
sie als eher unwirksam bzw. etwas/manchmal wirksam.<br />
Weitere Maßnahmen<br />
Als weitere Maßnahmen zur Erweiterung der Mitarbeiterkompetenz werden Angebote<br />
zur Stärkung des Selbstbewusstseins der Mitarbeiter/innen, Umgang mit Aggressionen<br />
und Möglichkeiten der Assistenz sowie Reflexion der eigenen Ängste und Unsicherheiten<br />
genannt. Sie haben sich für Mitarbeiter und Bewohner als überwiegend hilfreich bzw.<br />
wirksam erwiesen.<br />
Zusammenfassende Einschätzung<br />
Die Analyse der Ergebnisse zeigt, dass die durchgeführten Maßnahmen zur Erweiterung<br />
der Mitarbeiterkompetenz eine unverzichtbare Basis für den Umgang mit den Herausforderungen<br />
vor Ort sind. Vertiefende Auseinandersetzungen mit den Problemlagen durch<br />
Fortbildung, Supervision und externe Beratung geben Orientierung und mehr Sicherheit<br />
in der Alltagsgestaltung mit den Bewohnern und Bewohnerinnen und können Anstoß geben,<br />
neue Sichtweisen auf die Problematik zu entwickeln. Von besonderer Bedeutung<br />
sind teaminterne Fallbesprechungen. Sie werden bei nahezu allen Bewohnerinnen und<br />
Bewohnern praktiziert. Die kritische Bewertung der Fallbesprechungen mit dem Orga-<br />
Team ist vermutlich darauf zurück zu führen, dass in den Gruppen Erwartungen bestehen,<br />
die nicht dem Selbstverständnis der Mitglieder des Orga-Teams entsprechen, die<br />
sich primär in der Rolle eines Koordinators und Vermittlers von fachlicher Unterstützung<br />
sehen.<br />
44
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Maßnahme<br />
(Reihenfolge nach Häufigkeit<br />
der Nennungen/Bewohner)<br />
Erweiterung der Mitarbeiterkompetenz<br />
Rückmeldung<br />
Effektivität für Mitarbeiter 2) Effektivität für Bewohner 2)<br />
1)<br />
(n) hilfreich weniger keine Hervorhebung 3) wirksam weniger keine Hervorhebung<br />
hilfreich Angabe<br />
wirksam Angabe<br />
Abb.<br />
Nr.<br />
Fallbesprechungen<br />
(15 Bew.)<br />
18-19<br />
− teamintern (15 Bew.) 42 62 %<br />
(26 Pers.)<br />
31 %<br />
(13 Pers.)<br />
7 %<br />
(3 Pers.)<br />
sehr hilfreich:<br />
31 % (13 Pers.)<br />
52 %<br />
(22 Pers.)<br />
41 %<br />
(17 Pers.)<br />
7 %<br />
(3 Pers.)<br />
-<br />
−<br />
abteilungsübergreifend<br />
(6 Bew.)<br />
14 57 %<br />
(8 Pers.)<br />
43 %<br />
(6 Pers.)<br />
- - 64 %<br />
(9 Pers.)<br />
36 %<br />
(5 Pers.)<br />
- -<br />
−<br />
mit dem Orga-Team<br />
(3 Bew.)<br />
11 36 %<br />
(4 Pers.)<br />
64 %<br />
(7 Pers.)<br />
- - 46 %<br />
(5 Pers.)<br />
55 %<br />
(6 Pers.)<br />
- sehr wirksam:<br />
36 % (4 Pers.)<br />
Fortbildungsangebote<br />
(9 Bew.)<br />
23 83 %<br />
(19 Pers.)<br />
13 %<br />
(3 Pers.)<br />
4 %<br />
(1 Pers.)<br />
sehr hilfreich:<br />
44 % (10 Pers.)<br />
74 %<br />
(17 Pers.)<br />
22 %<br />
(5 Pers.)<br />
4 %<br />
(1 Pers.)<br />
-<br />
Externe Beratung<br />
(9 Bew.)<br />
24 75 %<br />
(18 Pers.)<br />
17 %<br />
(4 Pers.)<br />
8 %<br />
(2 Pers.)<br />
sehr hilfreich:<br />
42 % (10 Pers.)<br />
71 %<br />
(17 Pers.)<br />
17 %<br />
(4 Pers.)<br />
13 %<br />
(3 Pers.)<br />
-<br />
Supervision (9 Bew.) 23 74 %<br />
(17 Pers.)<br />
17 %<br />
(4 Pers.)<br />
9 %<br />
(2 Pers.)<br />
- 74 %<br />
(17 Pers.)<br />
17 %<br />
(4 Pers.)<br />
9 %<br />
(2 Pers.)<br />
-<br />
Weitere Maßnahmen<br />
für Mitarbeiter (2 Bew.)<br />
8 Da es sich bei weiteren Maßnahmen für Mitarbeiter um unterschiedliche Angebote handelt, ist eine übergreifende Beurteilung hinsichtlich<br />
der Effektivität nicht möglich.<br />
1)<br />
Im Interesse der Vergleichbarkeit der Bewertungen werden auch bei kleineren Fallzahlen %-Werte angegeben.<br />
2)<br />
Die 4 Antwortkategorien des <strong>Evaluation</strong>sbogens wurden zur besseren Übersicht gebündelt: hilfreich = meist bzw. sehr hilfreich, weniger hilfreich = nicht bzw. etwas/manchmal<br />
hilfreich; wirksam = häufig bzw. sehr wirksam; weniger wirksam = eher unwirksam bzw. etwas/manchmal wirksam.<br />
3)<br />
Hier werden positiv oder negativ herausragende Werte benannt (z.B. ‚sehr hilfreich’ oder ‚nicht hilfreich’).<br />
Tab. 3 Erweiterung der Mitarbeiterkompetenz nach Effektivität<br />
45
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
4.3.7 Erweiterung von Beobachtung, Problemanalyse und Diagnostik<br />
Grundlage der Arbeit mit Menschen mit herausfordenden Verhaltensweisen ist eine gemeinsame<br />
Problemsicht im Team, die unter Berücksichtigung von unterschiedlichen Erklärungsansätzen<br />
erarbeitet wird. Das Zusammenführen der Erkenntnisse aus unterschiedlichen<br />
Fachdisziplinen (z. B. Pädagogik, Psychologie, Medizin, Psychiatrie) ermöglicht<br />
eine differenzierte Sichtweise auf das Bedingungsgefüge (vgl. PETRY/BRADL<br />
1999). Das Verhalten der Bewohner/innen erscheint in einem neuen Licht, was ein Ü-<br />
berdenken der bisherigen Annahmen und der bislang praktizierten Vorgehensweisen<br />
nach sich zieht. Für die <strong>Evaluation</strong> wurden aus der Vielzahl der Möglichkeiten folgende<br />
Aspekte ausgewählt:<br />
− Einsatz spezieller Instrumente zur Verhaltensbeobachtung<br />
− Nachempfinden der emotionalen Situation des Bewohners<br />
− Biographische Analysen<br />
− Allgemein-medizinische Untersuchungen<br />
− Psychiatrische Diagnostik<br />
Überblick<br />
Bei 14 Bewohnern und Bewohnerinnen wurden die Verfahren für Beobachtung, Problemanalyse<br />
und Diagnostik erweitert (Abb. 20). Im Interesse einer interdisziplinären Zugangsweise<br />
zur jeweils vorliegenden Verhaltensproblematik kamen Methoden aus dem<br />
Bereich der Medizin, der Psychiatrie, der Psychologie und der Pädagogik zur Anwendung.<br />
Am häufigsten wurde eine psychiatrische Diagnostik durchgeführt (12x), gefolgt<br />
von allgemein-medizinischen Untersuchungen (9x), biographischen Analysen (8x) und<br />
Verfahren zum Nachempfinden der emotionalen Situation des Bewohners (8x). Spezielle<br />
Instrumente zur Verhaltensbeobachtung wurden bei fünf Bewohnerinnen und Bewohnern<br />
eingesetzt. Weitere diagnostische Abklärungen erfolgten bei zwei Bewohnern. Mehrfachnennungen<br />
waren möglich. Dreimal wurden keine weiteren diagnostische Verfahren<br />
durchgeführt.<br />
Erweiterung von Beobachtung, Problemanalyse, Diagnostik<br />
aus Gruppenperspektive (n = 17)<br />
Verhaltensbeobachtung<br />
5<br />
emotionale Situation<br />
biographische<br />
Analysen<br />
8<br />
8<br />
allg.-med.<br />
Untersuchungen<br />
9<br />
psychiatrische<br />
Diagnostik<br />
12<br />
weitere Diagnostik<br />
3<br />
keine Erweiterung<br />
3<br />
0 2 4 6 8 10 12 14<br />
Anzahl der Maßnahmen (Mehrfachnennungen)<br />
Abb. 20 Erweiterung von Beobachtung, Problemanalyse, Diagnostik (Überblick)<br />
46
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Im Folgenden wird die Effektivität der Maßnahmen für Mitarbeiter und Bewohner dargestellt.<br />
Die Spannbreite der Rückmeldungen pro Maßnahme variiert zwischen 13 und 27,<br />
entsprechend der Häufigkeit der Durchführung in den beteiligten Gruppen. Eine tabellarische<br />
Zusammenfassung der Ergebnisse befindet sich am Ende des Kapitels (Tab. 4).<br />
Effektivität für Mitarbeiter<br />
Fast alle der genannten Methoden werden für Mitarbeiter als überwiegend hilfreich betrachtet<br />
(Abb. 21). Ein besonderer Stellenwert kommt dem Nachempfinden der emotionalen<br />
Situation des Bewohners zu. Diese Methode impliziert u. a. Rollenspiele, in<br />
denen Mitarbeiter/innen sich in exemplarische Situationen im Alltag des Bewohners hineinversetzen<br />
und versuchen, Gefühle, Emotionen und Reaktionen aus dessen Sicht zu<br />
verbalisieren. So wird z. B. nachempfunden, was es heißt, längere Zeit liegend im Bett<br />
zu verbringen und immer die kahle Zimmerdecke vor Augen zu haben: Welche Auswirkungen<br />
auf den eigenen Körper oder die eigene Psyche sind zu beachten (z. B. Reizarmut,<br />
Augenflimmern)? Wie fühlt man sich, wenn Wünsche nach Getränken, Rausgehen<br />
u. ä. immer wieder abgeschlagen werden? Das Verfahren wird von fast allen Beteiligten<br />
für ein besseres Verständnis der Verhaltensproblematik als nützlich erlebt: 13 von 14<br />
Rückmeldungen beurteilen die Methode als meist bzw. sehr hilfreich.<br />
An zweiter Stelle steht der Einsatz spezieller Instrumente zur Verhaltensbeobachtung:<br />
9 von 13 Personen beurteilen die Instrumente zur Klärung der Zusammenhänge<br />
als hilfreich (sechsmal: sehr hilfreich). Als Beispiele werden Analysen anhand von Videodokumentation<br />
und der Beobachtungsbogen aus der Speziellen Förderplanung im<br />
Kontext des Qualitätsmanagement-Systems der Heilpädagogischen Heime genannt.<br />
Biographische Analysen und allgemein-medizinische Untersuchungen werden jeweils<br />
von rund der Hälfte der Rückmeldenden als hilfreich für Mitarbeiter bezeichnet. Mit<br />
der psychiatrischen Diagnostik wurden unterschiedliche Erfahrungen gemacht: Jeweils<br />
48 % von 23 Rückmeldungen halten sie für hilfreich bzw. Weniger hilfreich.<br />
Erweiterung von Beobachtung, Problemanalyse, Diagnostik<br />
nach Effektivität für Mitarbeiter<br />
Verhaltensbeobachtung<br />
(n=13)<br />
emotionale Situation<br />
(n=14)<br />
biografische Analysen<br />
(n=21)<br />
allg.-med. Untersuchg.<br />
(n=22)<br />
sehr hilfreich<br />
meist hilfreich<br />
etwas/manchmal hilfreich<br />
nicht hilfreich<br />
keine Antwort<br />
psychiatr. Diagnostik<br />
(n=27)<br />
0 5 10 15 20 25 30<br />
Bewertungen<br />
Abb. 21 Erweiterung von Beobachtung, Problemanalyse, Diagnostik nach Effektivität für Mitarbeiter<br />
47
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Effektivität für Bewohner<br />
Auch hinsichtlich der Wirksamkeit für Bewohner steht das Nachempfinden der emotionalen<br />
Situation des Bewohners an der Spitze (Abb. 22): 11 von 14 Personen erleben<br />
das Verfahren als meist bzw. sehr hilfreich für Bewohner. Die übrigen Verfahren werden<br />
- im Gegensatz zum Nutzen für Mitarbeiter - für Bewohner überwiegend als weniger<br />
wirksam eingeschätzt, allgemein-medizinische Untersuchungen mit 41 % von 22<br />
Rückmeldungen sogar als eher unwirksam.<br />
Erweiterung von Beobachtung, Problemanalyse, Diagnostik<br />
nach Effektivität für Bewohner<br />
Verhaltensbeobachtung<br />
(n=13)<br />
emotionale Situation<br />
(n=14)<br />
biografische Analysen<br />
(n=21)<br />
allg.-med. Untersuchg.<br />
(n=22)<br />
sehr wirksam<br />
häufig wirksam<br />
etwas/manchmal wirksam<br />
eher unwirksam<br />
keine Antwort<br />
psychiatr. Diagnostik<br />
(n=27)<br />
0 5 10 15 20 25 30<br />
Bewertungen<br />
Abb. 22 Erweiterung von Beobachtung, Problemanalyse, Diagnostik nach Effektivität für Bewohner<br />
Weitere diagnostische Abklärungen<br />
Als weitere Maßnahmen werden fachärztliche Untersuchungen genannt, z. B. zahnärztliche<br />
und gynäkologische Untersuchungen und Kernspintomographie sowie diagnostische<br />
Abklärungen durch entwicklungspsychologisch orientierte Experten. Der Nutzen für Mitarbeiter<br />
wird überwiegend als nicht hilfreich bezeichnet, für Bewohner – je nach Verfahren<br />
- teils wirksam, teils weniger wirksam. Wegen der geringen Fallzahl wird auf detaillierte<br />
Angaben zur Bewertung verzichtet. Hinsichtlich der weiteren Arbeit hält einer der<br />
Rückmeldenden das Einbeziehen spezieller Verhaltensanalyse-Verfahren durch externe<br />
Fachleute für wünschenswert.<br />
Zusammenfassende Einschätzung<br />
Ein Vergleich der Bewertung der Maßnahmen zur Erweiterung von Beobachtung, Problemanalyse<br />
und Diagnostik lässt erkennen, dass der Nutzen für Mitarbeiter insgesamt<br />
größer ist als für Bewohner. Dieser Sachverhalt lässt vermuten, dass nicht nur der individuelle<br />
Erkenntniszuwachs durch spezielle Maßnahmen, sondern auch bereits die Tatsache,<br />
zur Abklärung der Verhaltensproblematik zusätzliche Aktivitäten unternommen zu<br />
haben, bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Befriedigung auslöst – unabhängig vom<br />
tatsächlichen Nutzen für den Bewohner bzw. die Bewohnerin.<br />
Eindeutiger Favorit auf beiden Seiten ist das Nachempfinden der emotionalen Situation<br />
des Bewohners. Der Empathie kommt somit eine wichtige Schlüsselrolle im Verständnis<br />
48
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
für herausfordernde Verhaltensweisen zu. Sie kann den Blick für neue Handlungsansätze<br />
öffnen, die dem sog. Paradigmenwechsel verpflichtet sind: Der Bewohner wird nicht<br />
als Objekt von Maßnahmen zur Verminderung der Verhaltensauffälligkeiten gesehen,<br />
sondern als Subjekt in seiner individuellen Befindlichkeit ernst genommen. Seine Bedürfnisse<br />
werden zum Ausgangspunkt der Entwicklung von Lösungsstrategien.<br />
Die dem gegenüber deutlich geringere Wirksamkeit bei den anderen Maßnahmen ist<br />
mangels zusätzlicher Erläuterungen nicht praxisbezogen erklärbar. Möglicherweise sind<br />
die geringeren Werte auf folgende Aspekte zurück zu führen:<br />
−<br />
−<br />
−<br />
−<br />
Erkenntnisse psychiatrischer Diagnostik werden im Alltagshandeln als nicht unmittelbar<br />
anwendbar erlebt.<br />
Allgemein-medizinische Untersuchungen führen eher selten zur Ursache von Verhaltensauffälligkeiten.<br />
Biografische Analysen bleiben auf der Ebene des Nachvollziehens des Lebenslaufes<br />
stehen, ohne die Bedeutung des jeweils vorliegenden Syndroms für die individuellen<br />
sozialen Erfahrungen des Bewohners seit frühester Kindheit in ihren Auswirkungen<br />
auf Persönlichkeitsentwicklung und Verhalten ausreichend zu beleuchten (vgl.<br />
JANTZEN/LANWER-KOPPELIN 1996).<br />
Spezielle Instrumente zur Verhaltensbeobachtung liefern im Einzelfall neue Erkenntnisse<br />
über mögliche Zusammenhänge, die auf der Handlungsebene nicht immer eine<br />
adäquate Umsetzung zur Folge haben.<br />
49
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Maßnahme<br />
(Reihenfolge nach Häufigkeit<br />
der Nennungen/Bewohner)<br />
Erweiterung von Beobachtung, Problemanalyse und Diagnostik<br />
Rückmeldung<br />
Effektivität für Mitarbeiter 2) Effektivität für Bewohner 2)<br />
1)<br />
(n) hilfreich weniger keine Hervorhebung 3) wirksam weniger keine Hervorhebung<br />
hilfreich Angabe<br />
wirksam Angabe<br />
Abb.<br />
Nr.<br />
Psychiatrische<br />
Diagnostik (12 Bew.)<br />
27 48 %<br />
(13 Pers.)<br />
48 %<br />
(13 Pers.)<br />
4 %<br />
(1 Pers.)<br />
- 37 %<br />
(10 Pers.)<br />
59 %<br />
(16 Pers.)<br />
4 %<br />
(1 Pers.)<br />
-<br />
21-22<br />
Allgemein-medizinische<br />
Untersuchungen (9 Bew.)<br />
22 55 %<br />
(12 Pers.)<br />
46 %<br />
(10 Pers.)<br />
- - 46 %<br />
(10 Pers.)<br />
55 %<br />
(12 Pers.)<br />
- eher unwirksam:<br />
41 % (9 Pers.)<br />
Biografische Analysen<br />
(8 Bew.)<br />
21 57 %<br />
(12 Pers.)<br />
43 %<br />
(9 Pers.)<br />
- - 38 %<br />
(8 Pers.)<br />
57 %<br />
(12 Pers.)<br />
5 %<br />
(1 Pers.)<br />
-<br />
Nachempfinden der<br />
emotionalen Situation<br />
des Bewohners (8 Bew.)<br />
Einsatz spezieller<br />
Instrumente zur Verhaltensbeobachtung<br />
(5 Bew.)<br />
Weitere diagnostische<br />
Abklärungen (3 Bew.)<br />
14 93 %<br />
(13 Pers.)<br />
13 69 %<br />
(9 Pers.)<br />
7 %<br />
(1 Pers.)<br />
31 %<br />
(4 Pers.)<br />
- - 79 %<br />
(11 Pers.)<br />
- sehr hilfreich:<br />
46 % (6 Pers.)<br />
39 %<br />
(5 Pers.)<br />
14 %<br />
(2 Pers.)<br />
54 %<br />
(7 Pers.)<br />
7 %<br />
(1 Pers.)<br />
8 %<br />
(1 Pers.)<br />
6 Da es sich bei den weiteren diagnostischen Abklärungen um unterschiedliche Maßnahmen handelt, ist eine übergreifende Beurteilung<br />
hinsichtlich der Effektivität nicht möglich.<br />
-<br />
-<br />
1)<br />
Im Interesse der Vergleichbarkeit der Bewertungen werden auch bei kleineren Fallzahlen %-Werte angegeben.<br />
2)<br />
Die 4 Antwortkategorien des <strong>Evaluation</strong>sbogens wurden zur besseren Übersicht gebündelt: hilfreich = meist bzw. sehr hilfreich, weniger hilfreich = nicht bzw. etwas/manchmal<br />
hilfreich; wirksam = häufig bzw. sehr wirksam; weniger wirksam = eher unwirksam bzw. etwas/manchmal wirksam.<br />
3)<br />
Hier werden positiv oder negativ herausragende Werte benannt (z.B. ‚sehr hilfreich’ oder ‚nicht hilfreich’).<br />
Tab. 4 Erweiterung von Beobachtung, Problemanalyse, Diagnostik nach Effektivität<br />
50
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
4.3.8 Veränderungen am Betreuungskonzept<br />
Die Arbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung orientiert sich grundsätzlich an den<br />
aktuellen Leitideen der Behindertenhilfe. Dennoch kommt es im Einzelfall zu Routinen,<br />
die nicht mehr hinterfragt werden und - aus systemischer Perspektive – problematische<br />
Verhaltensweisen begünstigen können. Besonderes Augenmerk ist auf die Berücksichtigung<br />
der emotionalen Bedürfnisse und der latent vorhandenen oder sichtbaren Autonomiebestrebungen<br />
der Bewohner/innen zu richten, auf die Art der Kommunikation, die<br />
Einstellungen und Haltungen ‚transportiert’ (z. B. über Tonfall, Mimik, Gestik, Körperhaltung),<br />
sowie auf Eindeutigkeit im Umgang miteinander. Für die <strong>Evaluation</strong> der Veränderungen<br />
in diesem Bereich wurden folgende Aspekte ausgewählt:<br />
− Veränderter Umgangsstil mit dem Bewohner<br />
− Verstärkte Befriedigung emotionaler Bedürfnisse des Bewohners<br />
− Stärkung von Selbstbestimmung und Autonomie beim Bewohner<br />
− Neue Absprachen mit dem Bewohner<br />
− Neue Teamvereinbarungen zum Bewohner<br />
Überblick<br />
In allen beteiligten Gruppen wurden Veränderungen am Betreuungskonzept vorgenommen<br />
(Abb. 23). Bei allen Bewohnern und Bewohnerinnen kam es zu einer Veränderung<br />
des Umgangsstils. An zweiter Stelle stehen mit 16 Nennungen neue Teamvereinbarungen<br />
zum Bewohner. Es folgen die verstärkte Befriedigung emotionaler Bedürfnisse des<br />
Bewohners (13x), neue Absprachen mit dem Bewohner (12x) und Stärkung von Selbstbestimmung<br />
und Autonomie bei neun Bewohnerinnen und Bewohnern. Andere Veränderungen<br />
wurden bei sechs Bewohnerinnen und Bewohnern durchgeführt. Mehrfachnennungen<br />
waren möglich.<br />
Veränderungen am Betreuungskonzept<br />
aus Gruppenperspektive (n=17)<br />
Umgangsstil<br />
17<br />
emotionale Bedürfnisse<br />
13<br />
Selbstbestimmung<br />
9<br />
Absprachen mit Bewohner<br />
12<br />
Teamvereinbarungen<br />
16<br />
Anderes<br />
6<br />
0 2 4 6 8 10 12 14 16 18<br />
Anzahl der Maßnahmen (Mehrfachnennungen)<br />
Abb. 23 Veränderungen am Betreuungskonzept (Überblick)<br />
Im Folgenden wird die Effektivität der Maßnahmen für Mitarbeiter und Bewohner dargestellt.<br />
Die Spannbreite der Rückmeldungen pro Maßnahme variiert zwischen 25 und 42,<br />
entsprechend der Häufigkeit der Durchführung in den beteiligten Gruppen. Eine tabellarische<br />
Zusammenfassung der Ergebnisse befindet sich am Ende des Kapitels (Tab. 5).<br />
51
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Effektivität für Mitarbeiter<br />
Die Erfahrungen mit Veränderungen am Betreuungskonzept sind sehr positiv (Abb. 24):<br />
Alle Vorgehensweisen haben sich als überwiegend hilfreich für Mitarbeiter erwiesen. An<br />
erster Stelle stehen neue Teamvereinbarungen zum Bewohner. Sie werden von 90 %<br />
der insgesamt 39 Beteiligten als hilfreich bezeichnet (siebzehnmal: sehr hilfreich). Als<br />
Beispiel wird eine Angebotsplanung zur Freizeit genannt.<br />
Von großer Bedeutung ist auch ein veränderter Umgangsstil mit dem Bewohner, der<br />
von 79 % der 42 Rückmeldungen für Mitarbeiter als hilfreich bewertet wird (siebzehnmal:<br />
sehr hilfreich). In einem Bogen wird der veränderte Umgangsstil folgendermaßen erläutert:<br />
„Als Mitarbeiter keine Angst zeigen, sondern offen entgegentreten.“ Neue Absprachen<br />
mit dem Bewohner werden von 75 % der 28 Beteiligten als hilfreich eingeschätzt<br />
(vierzehnmal: sehr hilfreich). 65 % von 37 Rückmeldenden machten mit der verstärkten<br />
Befriedigung emotionaler Bedürfnisse des Bewohners gute Erfahrungen (vierzehnmal:<br />
sehr hilfreich).<br />
Die Stärkung von Selbstbestimmung und Autonomie beim Bewohner wurde nur bei<br />
etwa der Hälfte der in die Untersuchung einbezogenen Personen praktiziert, mit gutem<br />
Erfolg: 64 % von 25 Personen bezeichnen die Maßnahme als hilfreich für Mitarbeiter.<br />
Veränderungen am Betreuungskonzept<br />
nach Effektivität für Mitarbeiter<br />
Selbstbestimmung<br />
(n=25)<br />
Absprachen mit<br />
Bewohner (n=28)<br />
emot. Bedürfnisse<br />
(n=37)<br />
Teamvereinb. Bew.<br />
(n=39)<br />
sehr hilfreich<br />
meist hilfreich<br />
etwas/manchmal hilfreich<br />
nicht hilfreich<br />
keine Antwort<br />
Umgangsstil (n=42)<br />
0 10 20 30 40 50<br />
Bewertungen<br />
Abb. 24 Veränderungen am Betreuungskonzept nach Effektivität für Mitarbeiter<br />
Effektivität für Bewohner<br />
Auch hinsichtlich der Wirksamkeit für Bewohner werden alle genannten Maßnahmen ü-<br />
berwiegend positiv eingeschätzt (Abb. 25). Besonders hervorzuheben ist der veränderte<br />
Umgangsstil: 76 % von 42 Personen bezeichnen diese Vorgehensweise als wirksam<br />
(siebzehnmal: sehr wirksam). Von ebenso großer Bedeutung für Bewohner sind die verstärkte<br />
Befriedigung emotionaler Bedürfnisse und die Stärkung von Selbstbestimmung<br />
und Autonomie. 62 % von 37 Rückmeldungen beurteilen die verstärkte Befriedigung e-<br />
motionaler Bedürfnisse als wirksam (fünfzehnmal: sehr wirksam). 68 % von 25 Beteiligten<br />
sprechen der Stärkung von Selbstbestimmung eine gute Wirksamkeit zu (zwölfmal:<br />
sehr wirksam).<br />
52
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Veränderungen am Betreuungskonzept<br />
nach Effektivität für Bewohner<br />
Selbstbestimmung<br />
(n=25)<br />
Absprachen mit<br />
Bewohner (n=28)<br />
emot. Bedürfnisse<br />
(n=37)<br />
Teamvereinb. Bew.<br />
(n=39)<br />
sehr wirksam<br />
häufig wirksam<br />
etwas/manchmal wirksam<br />
eher unwirksam<br />
keine Antwort<br />
Umgangsstil (n=42)<br />
0 10 20 30 40 50<br />
Bewertungen<br />
Abb. 25 Veränderungen am Betreuungskonzept nach Effektivität für Bewohner<br />
Andere Veränderungen am Betreuungskonzept<br />
Die Erläuterungen zu anderen Veränderungen am Betreuungskonzept beziehen im Wesentlichen<br />
sich auf den Umgang mit dem Bewohner, auf strukturelle Aspekte und auf die<br />
Ebene der Mitarbeitenden. Mehrere Angaben beinhalten Aspekte, die auch anderen<br />
Maßnahmebereichen zugeordnet werden könnten. Sie werden dennoch an dieser Stelle<br />
aufgeführt, weil sie Grundlage für die hier vorgenommene Bewertung sind.<br />
Umgang mit dem Bewohner<br />
− Häufiges Ansprechen<br />
− Sorgfältigeres Eingehen auf Wünsche und Bedürfnisse des Bewohners durch die<br />
Bezugspersonen<br />
− Einfache, einzelne, eindeutige Absprachen<br />
− Keine Sonderrolle, Alltag anbieten<br />
− Angebot von Mitarbeitern an den Bewohner, nach Autoaggression wieder in den<br />
Ablauf des Alltags einzusteigen<br />
− Möglichkeiten der Assistenz<br />
Alltagsgestaltung<br />
− Förderung der Selbstständigkeit<br />
− Stärkeres Einbeziehen in hauswirtschaftliche Tätigkeiten<br />
Soziale Beziehungen<br />
− Einbeziehen der Mutter<br />
Beschäftigung<br />
− Erweiterung der gruppenübergreifenden Förderung<br />
Spezielle Maßnahmen<br />
− Einschluss<br />
− Aufhebung des nächtlichen Einschlusses<br />
53
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Strukturelle Aspekte<br />
− Beständige Bezugsperson<br />
− Bezugspersonensystem mit Erweiterung<br />
Ebene der Mitarbeitenden<br />
− Veränderter Umgangsstil der Mitarbeiter untereinander<br />
− Geringe Personalfluktuation<br />
Sonstiges<br />
− Anderer Umgangsstil nach Umzug in eine andere Gruppe<br />
Die genannten Veränderungen wurden als überwiegend sehr hilfreich bzw. sehr wirksam<br />
eingeschätzt.<br />
Zusammenfassende Einschätzung<br />
Veränderungen am Betreuungskonzept erweisen sich sowohl für Mitarbeiter als auch für<br />
Bewohner als gutes Instrument zur Verbesserung der Situation. Die Bedeutung der einzelnen<br />
Maßnahmen werden mit Blick auf Mitarbeiter und Bewohner unterschiedlich gewichtet.<br />
Die Effektivität für Bewohner ist bei bedürfnisorientierten qualitativen Veränderungen<br />
in der Interaktion mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besonders hoch. Dies<br />
bestätigt die Annahme, dass Verhaltensauffälligkeiten sehr häufig als Beziehungsstörung<br />
zu verstehen sind. Von daher hat eine neue Herangehensweise positive Effekte für alle<br />
Beteiligten. Schon die explizite Beschäftigung mit dem vorherrschenden Umgangsstil<br />
kann eventuelle Schwachstellen aufdecken und so zu einer Verbesserung der Beziehung<br />
beitragen. Das Wohlbefinden der Bewohner/innen wirkt sich zugleich positiv auf die<br />
Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter/innen aus.<br />
Vor diesem Hintergrund ist eine Gegenüberstellung der detailliert aufgeführten positiven<br />
Bewertungen bei verschiedenen Maßnahmen interessant. Während beim veränderten<br />
Umgangsstil der Nutzen für beide Seiten etwa gleich groß ist, gibt es bei anderen Vorgehensweisen<br />
bedeutsame Differenzen. Maßnahmen, die für Mitarbeiter mehr Handlungssicherheit<br />
bieten wie z. B. Vereinbarungen, sind für das Personal nützlicher als für den<br />
betreffenden Bewohner. Für diesen können die Vereinbarungen mit Einschränkungen<br />
seiner Spielräume verbunden sein. Ein Beispiel dafür sind neue Teamvereinbarungen<br />
zum Bewohner die von fast allen Befragten als hilfreich bzw. sehr hilfreich bewertet wird.<br />
Umgekehrt sind Maßnahmen, die beim Bewohner positive Wirkung zeigen, für Mitarbeiter<br />
nicht in gleicher Weise hilfreich. Dies gilt z. B. für die Stärkung von Selbstbestimmung<br />
und Autonomie. Der Zugewinn an Freiheitsräumen auf Seiten des Bewohners kann im<br />
Einzelfall für Mitarbeiter anstrengend sein – auch wenn sie insgesamt die Stärkung von<br />
Selbstbestimmung unterstützen und auch für ihr Alltagshandeln in der Gruppe als hilfreich<br />
erleben.<br />
Auffällig ist, dass nur bei etwa der Hälfte der insgesamt 17 Bewohner/innen eine Stärkung<br />
von Selbstbestimmung und Autonomie durchgeführt wurde. Angesichts der aktuellen<br />
Diskussion in der Behindertenpädagogik ist dieser Sachverhalt zunächst erstaunlich.<br />
Er wird jedoch durch die Anmerkung eines Mitarbeiters dahingehend relativiert, dass die<br />
Stärkung von Selbstbestimmung bereits elementarer Bestandteil der Betreuungskonzeption<br />
war und ist und darum nicht als ‚Veränderung am Betreuungskonzept’ deklariert<br />
werden kann. Diese Überlegung kann im Einzelfall auch das Antwortverhalten anderer<br />
beeinflusst haben.<br />
54
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Maßnahme<br />
(Reihenfolge nach Häufigkeit<br />
der Nennungen/Bewohner)<br />
Veränderungen am Betreuungskonzept<br />
Rückmeldung<br />
Effektivität für Mitarbeiter 2) Effektivität für Bewohner 2)<br />
1)<br />
(n) hilfreich weniger keine Hervorhebung 3) wirksam weniger keine Hervorhebung<br />
hilfreich Angabe<br />
wirksam Angabe<br />
Abb.<br />
Nr.<br />
Veränderter Umgangsstil<br />
mit dem Bewohner<br />
(17 Bew.)<br />
Neue Teamvereinbarungen<br />
zum Bewohner<br />
(16 Bew.)<br />
Verstärkte Befriedigung<br />
emotionaler Bedürfnisse<br />
des Bewohners<br />
(13 Bew.)<br />
Neue Absprachen mit<br />
dem Bewohner<br />
(12 Bew.)<br />
Stärkung von Selbstbestimmung<br />
und Autonomie<br />
beim Bewohner<br />
(9 Bew.)<br />
Andere Veränderungen<br />
am Betreuungskonzept<br />
(6 Bew.)<br />
42 79 %<br />
(33 Pers.)<br />
39 90 %<br />
(35 Pers.)<br />
37 65 %<br />
(24 Pers.)<br />
28 75 %<br />
(21 Pers.)<br />
25 64 %<br />
(16 Pers.)<br />
21 %<br />
(9 Pers.)<br />
10 %<br />
(4 Pers.)<br />
32 %<br />
(12 Pers.)<br />
21 %<br />
(6 Pers.)<br />
36 %<br />
(9 Pers.)<br />
- sehr hilfreich:<br />
41 % (17 Pers.)<br />
- sehr hilfreich:<br />
44 % (17 Pers.)<br />
3 %<br />
(1 Pers.)<br />
4 %<br />
(1 Pers.)<br />
sehr hilfreich:<br />
38 % (14 Pers.)<br />
sehr hilfreich:<br />
50 % (14 Pers.)<br />
76 %<br />
(32 Pers.)<br />
67 %<br />
(26 Pers.)<br />
62 %<br />
(23 Pers.)<br />
68 %<br />
(19 Pers.)<br />
- - 68 %<br />
(17 Pers.)<br />
24 %<br />
(10 Pers.)<br />
28 %<br />
(11 Pers.)<br />
35 %<br />
(13 Pers.)<br />
32 %<br />
(9 Pers.)<br />
32 %<br />
(8 Pers.)<br />
- sehr wirksam:<br />
41 % (17 Pers.)<br />
5 %<br />
(2 Pers.)<br />
3 %<br />
(1 Pers.)<br />
-<br />
- -<br />
sehr wirksam:<br />
41 % (15 Pers.)<br />
- sehr wirksam:<br />
48 % (12 Pers.)<br />
14 Da es sich bei anderen Veränderungen am Betreuungskonzept um unterschiedliche Maßnahmen handelt, ist eine übergreifende<br />
Beurteilung hinsichtlich der Effektivität nicht möglich.<br />
1)<br />
Im Interesse der Vergleichbarkeit der Bewertungen werden auch bei kleineren Fallzahlen %-Werte angegeben.<br />
2)<br />
Die 4 Antwortkategorien des <strong>Evaluation</strong>sbogens wurden zur besseren Übersicht gebündelt: hilfreich = meist bzw. sehr hilfreich, weniger hilfreich = nicht bzw. etwas/manchmal<br />
hilfreich; wirksam = häufig bzw. sehr wirksam; weniger wirksam = eher unwirksam bzw. etwas/manchmal wirksam.<br />
3)<br />
Hier werden positiv oder negativ herausragende Werte benannt (z.B. ‚sehr hilfreich’ oder ‚nicht hilfreich’).<br />
Tab. 5 Veränderungen am Betreuungskonzept nach Effektivität<br />
24-25<br />
55
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
4.3.9 Veränderungen sozialer Beziehungen<br />
Soziale Beziehungen sind die Basis für Entwicklung, Lebenszutrauen, Selbstbewusstsein<br />
und emotionale Zufriedenheit. Eine Störung des Austauschs zwischen Individuum<br />
und Umwelt durch misslungene oder abgebrochene Beziehungen begünstigt das Entstehen<br />
von Verhaltensauffälligkeiten, vor allem wenn Erfahrungen dieser Art bereits<br />
Kindheit und Jugend geprägt haben. THIMM (1997) hat die Bedeutung sozialer Beziehungen<br />
in seinem aus der Soziologie übernommenen Konzept der Lebenschancen herausgestellt,<br />
das ein ausbalanciertes Verhältnis zwischen Handlungsfreiräumen und Sinn stiftenden<br />
sozialen Beziehungen anstrebt. Er nennt sechs soziale Basisbedürfnisse, deren<br />
Erfüllung entscheidenden Einfluss auf die Lebensqualität hat. Dazu zählen die Bedürfnisse<br />
nach:<br />
− sozialen Beziehungen<br />
− sozialer Integration<br />
− Selbstwertbestätigung<br />
− Orientierung an anderen Menschen<br />
− dem Gefühl, von anderen gebraucht zu werden<br />
− zuverlässigen Beziehungen<br />
Die Qualität der Beziehung erweist sich im Kontext von Kommunikation und Interaktion.<br />
Beide Komponenten sind eng miteinander verknüpft. Individualisierte Kommunikationsformen,<br />
die sich an den Fähigkeiten des behinderten Menschen orientieren, führen zu<br />
einer emotional befriedigenden Interaktion und eröffnen ihm Möglichkeiten der selbstbestimmten<br />
Einflussnahme auf das eigene Leben. Wegen der Erschwernisse im Bereich<br />
der Kommunikation und Interaktion sind Menschen mit schwerer Behinderung in hohem<br />
Maß von der Bereitschaft ihrer Umwelt zu einer dialogischen Beziehung abhängig. Diese<br />
Abhängigkeit impliziert das Risiko der Isolation (vgl. SEIFERT ET AL. 2001).<br />
Individuelle Ausdrucksformen von Menschen mit schwerer Behinderung sind als sinnvolle<br />
Mitteilungen im aktuellen Lebenszusammenhang zu verstehen. Durch das Einlassen<br />
auf einen Dialog können die Bezugspersonen etwas über die Bedürfnisse des anderen<br />
erfahren. Dies führt auf beiden Seiten zu einer neuen Sinngebung im Kontakt miteinander,<br />
der sich positiv auf die Motivation und die Lebenszufriedenheit der Bewohner/innen<br />
sowie auf die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeitenden auswirken kann. Der Dialog benötigt<br />
als Basis eine verlässliche und tragfähige Beziehung. Sie ist zugleich eine wichtige<br />
Voraussetzung zur Bewältigung von Krisen oder Konflikten.<br />
Das soziale Netzwerk von Menschen mit Verhaltensauffälligkeiten besteht überwiegend<br />
aus professionellen Helfen. Persönliche Kontakte zu Angehörigen oder Freunden sind<br />
nicht die Regel. Eine Wiederaufnahme oder Intensivierung der Kontakte kann sich positiv<br />
auf das emotionale Wohlbefinden des Einzelnen auswirken, vorausgesetzt dass nicht<br />
unbearbeitete problematische Erfahrungen mit der Herkunftsfamilie zu unerwünschten<br />
Folgen führen.<br />
Für die <strong>Evaluation</strong> der Veränderungen sozialer Beziehungen wurden folgende Aspekte<br />
ausgewählt:<br />
− Mehr individuelle Zuwendung durch Mitarbeiter<br />
− Einsatz zusätzliche Kommunikationshilfe<br />
− Kontakte / Gespräche mit Angehörigen / gesetzl. Betreuern<br />
− Festlegung einer Bezugsperson im Team<br />
56
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Überblick<br />
Bei 15 der insgesamt 17 Bewohner/innen wurden die sozialen Beziehungen verändert<br />
(Abb. 26). Die meisten erhielten mehr individuelle Zuwendung durch Mitarbeiter/innen<br />
(14x). Sehr häufig wurden Kontakte bzw. Gespräche mit Angehörigen bzw. gesetzlichen<br />
Betreuern hergestellt (13x). Für fünf Bewohner/innen wurde eine Bezugsperson im Team<br />
festgelegt, vier erhielten zusätzliche Kommunikationshilfen. Sechsmal wurden andere<br />
Maßnahmen zur Verbesserung sozialer Beziehungen durchgeführt. Mehrfachnennungen<br />
waren möglich. Zweimal gab es keine Veränderungen.<br />
Veränderungen sozialer Beziehungen<br />
aus Gruppenperspektive (n = 17)<br />
mehr Zuwendung<br />
14<br />
Kommunikationshilfen<br />
4<br />
Angehörige/ges.Betr.<br />
13<br />
Bezugsperson im<br />
Team<br />
5<br />
andere Maß nahmen<br />
6<br />
keine Veränderungen<br />
2<br />
0 2 4 6 8 10 12 14 16<br />
Anzahl der Maßnahmen (Mehrfachnennungen)<br />
Abb. 26 Veränderungen sozialer Beziehungen (Überblick)<br />
Im Folgenden wird die Effektivität der Maßnahmen für Mitarbeiter und Bewohner dargestellt.<br />
Die Spannbreite der Rückmeldungen pro Maßnahme variiert zwischen 8 und 36,<br />
entsprechend der Häufigkeit der Durchführung in den beteiligten Gruppen. Eine tabellarische<br />
Zusammenfassung der Ergebnisse befindet sich am Ende des Kapitels (Tab. 6)<br />
Effektivität für Mitarbeiter<br />
Mit Ausnahme der Kontakte mit Angehörigen bzw. gesetzlichen Betreuern werden alle<br />
genannten Maßnahmen als überwiegend hilfreich für Mitarbeiter eingestuft (Abb. 27).<br />
Besonders positiv bewertet wird die Verstärkung der individuellen Zuwendung: 89 %<br />
von 36 Rückmeldungen schätzen diese Vorgehensweise als hilfreich bzw. sehr hilfreich<br />
ein. Als wichtige Voraussetzung zur Verbesserung der sozialen Beziehungen hat sich bei<br />
einigen Bewohnern die Festlegung einer Bezugsperson im Team erwiesen: 8 von 12<br />
Personen bezeichnen diese Maßnahme als sehr hilfreich. In einzelnen Gruppen wurde<br />
das Bezugsbetreuersystem bereits vor der Beteiligung am Consulentenprojekt praktiziert.<br />
Bei einer Person wird auf eine bestehende Patenschaft hingewiesen.<br />
Gute Erfahrungen liegen auch mit zusätzlichen Kommunikationshilfen vor, die bei vier<br />
Bewohnern eingesetzt wurden. Dazu gehören nach Angaben der Beteiligten Gebärden,<br />
Mimik, Gestik und Körperkontakt sowie Atemtechnik, Sprechsteuerung, Selbstkommunikation<br />
und -instruktion. Auch Verhaltenstherapie zur Aggressionsvermeidung wird in diesem<br />
Zusammenhang genannt.<br />
57
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Die Intensivierung sozialer Beziehungen durch Kontakte oder Gespräche der Bewohner/innen<br />
mit Angehörigen bzw. gesetzlichen Betreuern hat sich nach Aussage von<br />
52 % der insgesamt 33 Befragten als weniger hilfreich erwiesen.<br />
Veränderungen sozialer Beziehungen<br />
nach Effektivität für Mitarbeiter<br />
Kommunikationshilfen<br />
(n=8)<br />
Bezugsperson (n=12)<br />
Kontakt Angehörige<br />
(n=33)<br />
sehr hilfreich<br />
meist hilfreich<br />
etwas/manchmal hilfreich<br />
nicht hilfreich<br />
keine Antwort<br />
Zuwendung (n=36)<br />
0 5 10 15 20 25 30 35 40<br />
Bewertungen<br />
Abb. 27 Veränderungen sozialer Beziehungen nach Effektivität für Mitarbeiter<br />
Effektivität für Bewohner<br />
Die Ergebnisse zur Wirksamkeit der Verbesserung sozialer Beziehungen für Bewohner<br />
entsprechen im Wesentlichen den Bewertungen für Mitarbeiter (Abb. 28). Vor allem die<br />
Verstärkung der individuellen Zuwendung und die Festlegung einer Bezugsperson wirken<br />
sich sehr positiv für Bewohner aus. 86 % von 36 Rückmeldungen bescheinigen der<br />
Verstärkung der individuellen Zuwendung durch Mitarbeiter/innen eine gute Wirksamkeit<br />
(siebzehnmal: sehr wirksam). 9 von 12 Personen beurteilen die Festlegung einer<br />
Bezugsperson im Team als wirksam (siebenmal: sehr wirksam).<br />
Veränderungen sozialer Beziehungen<br />
nach Effektivität für Bewohner<br />
Kommunikationshilfen<br />
(n=8)<br />
Bezugsperson (n=12)<br />
Kontakt Angehörige<br />
(n=33)<br />
sehr wirksam<br />
häufig wirksam<br />
etwas/manchmal wirksam<br />
eher unwirksam<br />
keine Antwort<br />
Zuwendung (n=36)<br />
0 5 10 15 20 25 30 35 40<br />
Bewertungen<br />
Abb. 28 Veränderungen sozialer Beziehungen nach Effektivität für Bewohner<br />
58
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Andere Maßnahmen zur Verbesserung sozialer Beziehungen<br />
Zusätzlich wurden einigen Bewohnerinnen und Bewohnern unterschiedliche Aktivitäten<br />
angeboten, die das soziale Netz intensivieren oder erweitern. Sie wirken sich überwiegend<br />
positiv für Mitarbeiter und Bewohner aus. Dabei geht einerseits um die Verstärkung<br />
individueller Kontakte mit Mitbewohnern, mit Bewohnern anderer Gruppen, mit Besuchern<br />
der Gruppenübergreifenden Förderung (GüF) oder mit einem ‚Paten’, andererseits<br />
um Teilnahme am allgemeinen Leben in der näheren oder weiteren Umgebung. Im Einzelnen<br />
werden genannt:<br />
− intensive Einzelkontakte, Gespräche<br />
− Einbeziehen in den Tagesablauf<br />
− vermehrte Ausgänge, Spaziergänge<br />
− wechselnde Gruppenbezüge, Verstärkereinsatz<br />
− Wechselnde Unternehmungen mit wechselnden Gruppen und Bezugspersonen<br />
− Gruppenaktivitäten (Ausflüge, Schwimmen, Urlaub u. a.)<br />
− verstärkte Angebote zu gruppenübergreifenden Freizeitaktivitäten<br />
− Aufsuchen örtlicher Geschäfte und Ärzte<br />
− Einkaufen, Verwaltung<br />
− andere Bewohner zur gruppenübergreifenden Förderung (GüF) begleiten<br />
− Anbahnung der Teilnahme an der GüF (Tagesstruktur)<br />
− Einzelbetreuung durch Mitarbeiter in der GüF-Tagesstruktur und bei Freizeitaktivitäten<br />
− Festlegung einer neuen Patenschaft für den Bewohner<br />
Einer der Rückmeldenden merkt an, dass zur Förderung der sozialen Kompetenzen das<br />
Beibehalten der Einzelförderung durch Mitarbeiter/innen sehr wichtig ist.<br />
Zusammenfassende Einschätzung<br />
Die Effektivität von Interventionen im Bereich sozialer Beziehungen lässt sich teilweise<br />
schwer feststellen, hier ist - wie bei allen zwischenmenschlichen Kontakten - die Qualität<br />
der Interaktion ausschlaggebend.<br />
Die positiven Bewertungen der Veränderungen der sozialen Beziehungen machen deutlich,<br />
dass mehr Zuwendung und Kontinuität in sozialen Beziehungen sowie Unterstützung<br />
bei der Kommunikation unter erschwerten Bedingungen geeignete Mittel sind,<br />
durch lebenslang deprivierende Erfahrungen festgefahrene Situationen und Interaktionsmuster<br />
zu verändern. Das führt auf beiden Seiten zu größerer Zufriedenheit.<br />
Die Tatsache, dass Kontakte mit Angehörigen von rund der Hälfte der jeweils zu diesem<br />
Aspekt Befragten als eher weniger hilfreich bzw. wirksam für Mitarbeiter und Bewohner<br />
gesehen werden, kann dahingehend interpretiert werden, dass manche Angehörigen<br />
selbst Teil des Systems waren, das krank machend wirkte. Bewusste oder unbewusste<br />
Erinnerungen daran können beim einzelnen Bewohner ambivalente Gefühle hervorrufen,<br />
die wiederum Einfluss auf sein Verhalten haben. Erfahrungen mit derartigen Nachwirkungen<br />
werden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht als hilfreich gesehen. Dennoch<br />
sind Begegnungen mit der Herkunftsfamilie nicht immer problematisch. Bei einer<br />
fast gleich großen Zahl von Bewohnern wirken sich Kontakte mit Angehörigen eher<br />
günstig aus, vor allem wenn zwischen den Beteiligten eine tragfähige emotionale Basis<br />
besteht. Hilfreich für Mitarbeiter sind Kontakte/Gespräche mit Angehörigen, wenn sie<br />
konkrete Hinweise oder Anregungen zur Problemlösung oder zu einem besseren Verständnis<br />
des Bewohners erhalten.<br />
59
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Maßnahme<br />
(Reihenfolge nach Häufigkeit<br />
der Nennungen/Bewohner)<br />
Veränderungen sozialer Beziehungen<br />
Rückmeldung<br />
Effektivität für Mitarbeiter 2) Effektivität für Bewohner 2)<br />
1)<br />
(n) Hilfreich weniger keine Hervorhebung 3) wirksam weniger keine Hervorhebung<br />
hilfreich Angabe<br />
wirksam Angabe<br />
Abb.<br />
Nr.<br />
Mehr individuelle Zuwendung<br />
durch Mitarbeiter<br />
(14 Bew.)<br />
Kontakte / Gespräche<br />
mit Angehörigen bzw.<br />
gesetzlichen Betreuern<br />
(13 Bew.)<br />
Festlegung einer Bezugsperson<br />
im Team<br />
(5 Bew.)<br />
Einsatz zusätzlicher<br />
Kommunikationshilfen<br />
(4 Bew.)<br />
Andere Maßnahmen zur<br />
Verbesserung sozialer<br />
Beziehungen<br />
(6 Bew.)<br />
36 89 %<br />
(32 Pers.)<br />
33 49 %<br />
(16 Pers.)<br />
12 67 %<br />
(8 Pers.)<br />
11 %<br />
(4 Pers.)<br />
52 %<br />
(17 Pers.)<br />
33 %<br />
(4 Pers.)<br />
- - 86 %<br />
(31 Pers.)<br />
- - 43 %<br />
(14 Pers.)<br />
- sehr hilfreich:<br />
67 % (8 Pers.)<br />
8 (6 Pers.) (1 Pers.) (1 Pers.) sehr hilfreich:<br />
(3 Pers.)<br />
75 %<br />
(9 Pers.)<br />
14 %<br />
(5 Pers.)<br />
58 %<br />
(19 Pers.)<br />
25 %<br />
(3 Pers.)<br />
- sehr wirksam:<br />
47 % (17 Pers.)<br />
- -<br />
- sehr wirksam:<br />
58 % (7 Pers.)<br />
(6 Pers.) (1 Pers.) (1 Pers.) sehr wirksam:<br />
(3 Pers.)<br />
17 Da es sich bei anderen Maßnahmen zur Verbesserung sozialer Beziehungen um unterschiedliche Vorgehensweisen handelt, ist<br />
eine übergreifende Beurteilung hinsichtlich der Effektivität nicht möglich.<br />
1)<br />
Im Interesse der Vergleichbarkeit der Bewertungen werden auch bei kleineren Fallzahlen %-Werte angegeben. Bei Fallzahlen
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
4.3.10 Veränderungen in der Alltagsgestaltung / Lebensführung<br />
Veränderungen in der Alltagsgestaltung bzw. Lebensführung können das Auftreten von<br />
Verhaltensauffälligkeiten positiv beeinflussen. Vor allem die Erweiterung der Selbsthilfekompetenzen,<br />
die Mitwirkung an subjektiv bedeutsamen und Sinn stiftenden Tätigkeiten,<br />
Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten sowie das Entwickeln der Fähigkeit, mit dem eigenen<br />
Problemverhalten umzugehen stärken das Vertrauen in die eigenen Kräfte und<br />
das emotionale Wohlbefinden.<br />
„Erfahrung, Lernen und Entwicklung finden im Wesentlichen im Alltag statt, indem Bedingungen<br />
dafür entweder bereits vorhanden oder arrangiert werden müssen, in denen sich Verhalten oder<br />
Bewertungen ändern können, z. B. Symptome nicht mehr als störend erscheinen, nicht mehr gebraucht,<br />
durch alternative Handlungen ersetzt werden usw. Fehlende Möglichkeiten zur Beschäftigung<br />
und Auftreten von Verhaltensauffälligkeiten hängen oft zusammen. Nicht nur gruppenexterne<br />
Tagesstruktur, auch der aktive Einbezug in alltägliche Abläufe (Zimmer aufräumen, Bett<br />
machen, Tisch decken und abräumen, Essen vorbereiten, Spülen bzw. Spülmaschine ein- und<br />
ausräumen) ermöglicht lebensnahes Lernen, wenn individuelle Fähigkeiten und Möglichkeiten<br />
sowie Belastungsgrenzen berücksichtigt werden.“ (BUNDESVEREINIGUNG LEBENSHILFE 1996, 71)<br />
Hinsichtlich der Veränderung der Lebensführung ist die Entwicklung von alternativen<br />
Verhaltensweisen von besonderem Interesse. Unter dem Motto ‚Anders hinschauen’ eröffnet<br />
HEIJKOOP (1998) Wege, festgefahrene Verhaltensweisen aufzubrechen. Er lenkt<br />
den Blick auf die selbst schützenden Kräfte. Durch die Entwicklung alternativer Verhaltensweisen<br />
gewinnt der Betroffene die Erfahrung, dass er selbst (wieder) Einfluss auf<br />
seine Umgebung ausüben und Vertrauen zu sich und seinen Fähigkeiten entwickeln<br />
kann. Darüber hinaus spielt das Vertrauen in andere Menschen eine entscheidende Rolle.<br />
Ziel ist, dass beide Interaktionspartner das Problemverhalten akzeptieren und mit ihm<br />
umgehen lernen.<br />
Mit Blick auf die genannten Zusammenhänge wurden für die <strong>Evaluation</strong> der Veränderungen<br />
in der Alltagsgestaltung bzw. Lebensführung folgende Aspekte ausgewählt:<br />
− Förderung von Selbstständigkeit / mehr Anforderungen stellen<br />
− Aufbau von alternativem Verhalten<br />
− Mehr Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten zulassen<br />
− Verringerung von Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten zur besseren Orientierung<br />
− Stärkere Mithilfe im Haushalt<br />
− Veränderungen im Tagesablauf<br />
− Reduzierung von Anforderungen<br />
− Erweiterung von Rückzugsmöglichkeiten<br />
Überblick<br />
Bei 15 der insgesamt 17 Bewohner/innen wurden Veränderungen in der Alltagsgestaltung<br />
bzw. Lebensführung vorgenommen (Abb. 29). Schwerpunkte waren die Förderung<br />
von Selbstständigkeit (12x) und stärkere Mithilfe im Haushalt (11x) sowie der Aufbau von<br />
alternativem Verhalten und eine Erweiterung der Rückzugsmöglichkeiten bei jeweils 10<br />
Bewohnern. Relativ häufig gab es Veränderungen im Tagesablauf (9x) und mehr Wahlund<br />
Entscheidungsmöglichkeiten (8x). Zur besseren Orientierung wurden bei sieben<br />
Bewohnern Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten verringert. Zu einer Reduzierung von<br />
Anforderungen kam es bei drei Bewohnern. Weitere Veränderungen wurden bei fünf<br />
Bewohnern angegeben. Mehrfachnennungen waren möglich. Zweimal gab es keine Veränderungen.<br />
61
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Veränderungen in der Alltagsgestaltung/Lebensführung<br />
aus Gruppenperspektive (n = 17)<br />
Selbstständigkeit<br />
12<br />
alternatives Verhalten<br />
10<br />
mehr<br />
Wahlmöglichkeiten<br />
8<br />
weniger<br />
Wahlmöglichkeiten<br />
7<br />
Mithilfe im Haushalt<br />
11<br />
Tagesablauf<br />
9<br />
Reduzierung von<br />
Anforderungen<br />
3<br />
mehr<br />
Rückzugsmöglichkeiten<br />
10<br />
weitere Veränderungen<br />
5<br />
keine Veränderungen<br />
2<br />
0 2 4 6 8 10 12 14<br />
Anzahl der Maßnahmen (Mehrfachnennungen)<br />
Abb. 29 Veränderungen in der Alltagsgestaltung/Lebensführung (Überblick)<br />
Im Folgenden wird die Effektivität der Veränderungen für Mitarbeiter und Bewohner dargestellt.<br />
Die Spannbreite der Rückmeldungen pro Maßnahme variiert zwischen 8 und 30,<br />
entsprechend der Häufigkeit der Durchführung in den beteiligten Gruppen. Eine tabellarische<br />
Zusammenfassung der Ergebnisse befindet sich am Ende des Kapitels (Tab. 7).<br />
Effektivität für Mitarbeiter<br />
Alle genannten Maßnahmen werden für Mitarbeiter als überwiegend hilfreich eingeschätzt.<br />
Besonders hervorzuheben sind die Förderung von Selbstständigkeit bzw.<br />
mehr Anforderungen mit 76 % positiven Rückmeldungen bei insgesamt 29 Personen<br />
und die Erweiterung der Rückzugsmöglichkeiten mit 74 % positiven Einschätzungen<br />
bei insgesamt 23 Nennungen. Jeweils 70 % von 23 Rückmeldungen bewerten die stärkere<br />
Mithilfe im Haushalt und Veränderungen im Tagesablauf, z. B. durch Verbesserung<br />
der Tagesstruktur, als positiv. Zwei Drittel von 30 Beteiligten erleben den Aufbau<br />
von alternativem Verhalten als hilfreich. Als beispielhafte Erläuterung dazu finden sich<br />
in den Bögen die Anmerkungen „Autoaggression-Problem ansprechen“ und bei starkem<br />
Toilettendrang „Personal macht Angebot schneller als er z. B. zur Toilette rennt“.<br />
Die Bewertung der Effektivität der Steigerung oder Verringerung von Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten<br />
hält sich – je nach Problemlage – die Waage. 61 % von 23 Beteiligten<br />
beurteilen die Erweiterung von Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten als<br />
hilfreich (achtmal sehr hilfreich). Ähnlich gelagert ist die Bewertung der Verringerung<br />
von Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten: 9 von15 Personen bezeichnen sie als<br />
62
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
hilfreich, allerdings wird hier die Option ‚sehr hilfreich’ nur zweimal angegeben. Die nur<br />
bei drei Bewohnern vorgenommene Reduzierung von Anforderungen wird für Mitarbeiter<br />
teils hilfreich, teils weniger hilfreich eingeschätzt.<br />
Effektivität für Bewohner<br />
Bis auf drei Ausnahmen wird die Effektivität der Veränderungen in der Alltagsgestaltung<br />
auch für Bewohner überwiegend positiv bewertet (Abb. 31). Unterschiede zwischen den<br />
Einschätzungen für Mitarbeiter und Bewohner gibt es bei der Mithilfe im Haushalt (z. B.<br />
bei der Essensvorbereitung oder bei Reinigungstätigkeiten), bei den Rückzugsmöglichkeiten<br />
und bei der Reduzierung von Anforderungen. So wird z. B. das stärkere Einbeziehen<br />
der Bewohner in Haushaltstätigkeiten in 87 % von 23 Rückmeldungen als häufig<br />
bzw. sehr wirksam eingeschätzt (zehnmal: sehr wirksam), gegenüber 70 % der Nennungen<br />
zu positiven Auswirkungen für Mitarbeiter. Der Unterschied ist im Einzelfall damit zu<br />
begründen, dass die Ausführung von Haushaltstätigkeiten durch Mitarbeiter/innen oftmals<br />
zeitökonomisch günstiger als die Beteiligung von Bewohnern.<br />
Umgekehrt wird die Effektivität einer Erweiterung der Rückzugsmöglichkeiten im Vergleich<br />
mit der Einschätzung für Mitarbeiter mit Blick auf den Bewohner etwas geringer<br />
eingeschätzt. Angesichts der kleinen Fallzahlen ist der Unterschied allerdings geringfügig.<br />
Er lässt jedoch erkennen, dass der Rückzug nicht nur der Entspannung der Bewohner<br />
dient, sondern auch der Entlastung der Mitarbeiter/innen. Die niedrigere Bewertung<br />
der Wirksamkeit für Bewohner kann im Einzelfall auch mit der Gefahr der Isolation durch<br />
Rückzug zusammen hängen.<br />
Ein leichter Unterschied in der Bewertung der Effektivität für Mitarbeiter und Bewohner<br />
ist auch bei der Reduzierung von Anforderungen festzustellen. Während die Effektivität<br />
für Mitarbeiter gleich häufig als hilfreich bzw. weniger hilfreich bezeichnet wird (jeweils<br />
4 von 8 Personen), sind negativere Bewertungen hinsichtlich der Wirksamkeit für Bewohner<br />
geringer (2 von 8 Personen).<br />
Als weitere interessante Variante ist anzuführen, dass die Verringerung von Wahl- und<br />
Entscheidungsmöglichkeiten zur besseren Orientierung, die sowohl für Mitarbeiter<br />
als auch für Bewohner jeweils von über der Hälfte der insgesamt 15 Beteiligten als hilfreich<br />
bzw. wirksam eingeschätzt wird, von 5 Personen als sehr wirksam für Bewohner<br />
beurteilt wird (gegenüber nur zwei Personen, die die Verringerung als sehr hilfreich für<br />
Mitarbeiter bezeichnet haben). Das deutet darauf hin, dass manche Bewohner/innen<br />
durch Entscheidungsfreiheiten überfordert sind – ein Sachverhalt, der im Einzelfall damit<br />
begründet werden, dass die Bewohner/innen im Laufe ihres Lebens überwiegend<br />
Fremdbestimmung erfahren haben und nicht gewohnt sind, bei Entscheidungen mitwirken<br />
zu können.<br />
63
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
weniger<br />
Anforderung (n=8)<br />
weniger Wahlmögl.<br />
(n=15)<br />
mehr Wahlmögl.<br />
(n=23)<br />
Veränderungen in der Alltagsgestaltung/Lebensführung<br />
nach Effektivität für Mitarbeiter<br />
Tagesablauf (n=23)<br />
Rückzugsmögl.<br />
(n=23)<br />
Haushalt (n=23)<br />
Selbstständigkeit<br />
(n=29)<br />
sehr hilfreich<br />
meist hilfreich<br />
etwas/manchmal hilfreich<br />
nicht hilfreich<br />
keine Antwort<br />
Alternatives Verh.<br />
(n=30)<br />
0 5 10 15 20 25 30 35<br />
Bewertungen<br />
Abb. 30 Veränderungen in der Alltagsgestaltung/Lebensführung nach Effektivität für Mitarbeiter<br />
weniger<br />
Anforderung (n=8)<br />
weniger Wahlmögl.<br />
(n=15)<br />
mehr Wahlmögl.<br />
(n=23)<br />
Veränderungen in der Alltagsgestaltung/Lebensführung<br />
nach Effektivität für Bewohner<br />
Tagesablauf (n=23)<br />
Rückzugsmögl.<br />
(n=23)<br />
Haushalt (n=23)<br />
Selbstständigkeit<br />
(n=29)<br />
sehr wirksam<br />
häufig wirksam<br />
etwas/manchmal wirksam<br />
eher unwirksam<br />
keine Antwort<br />
Alternatives Verh.<br />
(n=30)<br />
0 5 10 15 20 25 30 35<br />
Bewertungen<br />
Abb. 31 Veränderungen in der Alltagsgestaltung/Lebensführung nach Effektivität fürBewohner<br />
64
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Weitere Veränderungen im Alltag<br />
Die weiteren Veränderungen im Alltag machen deutlich, dass bei jedem Bewohner nach<br />
individuell passenden Wegen gesucht wird. Für einige erweist sich die Eröffnung neuer<br />
Erfahrungs- und Freiheitsräume als günstig, bei anderen steht eher die Vermittlung von<br />
Sicherheit durch stärkere Strukturierung und Reduzierung von Eigenverantwortung im<br />
Vordergrund. Im Einzelnen werden genannt:<br />
− Ermittlung von Prioritäten<br />
− Erweiterung der Angebotspalette<br />
− Tagesstruktur konkreter und verbindlicher gestaltet<br />
− Unterstützung bei der Gestaltung des persönlichen Lebensraums<br />
− Selbstbestimmung bei Frisur, Kleidung, Hygiene-Kosmetik, Mahlzeiten<br />
− Zimmerumgestaltung, mehr Spaziergänge, mehr Freizeitangebote, ins Restaurant<br />
essen gehen<br />
− Abbau von Überforderung, Angstabbau, Vermittlung von Sicherheit<br />
− Lockerung der geschlossenen Unterbringung, kein nächtlicher Einschluss mehr<br />
Die genannten Veränderungen werden für Mitarbeiter als überwiegend hilfreich bzw.<br />
wirksam eingeschätzt.<br />
Zusammenfassende Einschätzung<br />
Die Ergebnisse zur Effektivität der Veränderungen im Alltag zeigen, dass die durchgeführten<br />
Maßnahmen im Kontext der Problemlösung von hoher Relevanz sind. Gemeinsames<br />
Kennzeichen ist, dass sie überwiegend von den individuellen Ressourcen ausgehen<br />
und die Selbstbestimmung und Mitwirkung der Bewohner/innen stützen mit dem<br />
Ziel, ihnen eine größtmögliche Kontrolle über das eigene Leben zu ermöglichen. Die<br />
praktizierten Vorgehensweisen wirken sich positiv auf Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen<br />
des Einzelnen aus. Er fühlt sich ernst genommen, seine Aktivitäten sind in subjektiv<br />
sinnvolle Zusammenhänge eingebettet.<br />
Bewohner/innen, bei denen sich die genannten Vorgehensweisen als eher unwirksam<br />
erweisen, befinden sich in einer psychischen Situation, die gegenwärtig andere Prioritäten<br />
erfordert. Die Angaben zu den weiteren Veränderungen im Alltag lassen eine hohe<br />
Sensibilität bei den Mitarbeitenden erkennen, sich den spezifischen Anforderungen zu<br />
stellen.<br />
65
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Maßnahme<br />
(Reihenfolge nach Häufigkeit<br />
der Nennungen/Bewohner)<br />
Veränderungen in der Alltagsgestaltung/Lebensführung<br />
Rückmeldung<br />
Effektivität für Mitarbeiter<br />
Effektivität für Bewohner<br />
1)<br />
(n) hilfreich weniger keine Hervorhebung wirksam weniger keine Hervorhebung<br />
hilfreich Angabe<br />
wirksam Angabe<br />
Abb.<br />
Nr.<br />
Förderung von Selbstständigkeit<br />
(12 Bew.)<br />
29 76 %<br />
(22 Pers.)<br />
24 %<br />
(7 Pers.)<br />
- - 76 %<br />
(22 Pers.)<br />
24 %<br />
(7 Pers.)<br />
- -<br />
30-31<br />
Stärkere Mithilfe im<br />
Haushalt (11 Bew.)<br />
23 70 %<br />
(16 Pers.)<br />
30 %<br />
(7 Pers.)<br />
- - 87 %<br />
(20 Pers.)<br />
13 %<br />
(3 Pers.)<br />
- sehr wirksam:<br />
44 % (10 Pers.)<br />
Aufbau von alternativem<br />
Verhalten (10 Bew.)<br />
30 67 %<br />
(20 Pers.)<br />
33 %<br />
(10 Pers.)<br />
- - 63 %<br />
(19 Pers.)<br />
37 %<br />
(11 Pers.)<br />
- -<br />
Erweiterung der Rückzugsmöglicheiten<br />
(10 Bew.)<br />
Veränderungen im Tagesablauf<br />
(9 Bew.)<br />
Mehr Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten<br />
(8 Bew.)<br />
Verringerung von<br />
Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten<br />
zur besseren Orientierung<br />
(7 Bew.)<br />
Reduzierung von Anforderungen<br />
(3 Bew.)<br />
Weitere Veränderungen<br />
im Alltag (5 Bew.)<br />
23 74 %<br />
(17 Pers.)<br />
23 70 %<br />
(16 Pers.)<br />
23 61 %<br />
(14 Pers.)<br />
15 60 %<br />
(9 Pers.)<br />
26 %<br />
(6 Pers.)<br />
30 %<br />
(7 Pers.)<br />
39 %<br />
(9 Pers.)<br />
40 %<br />
(6 Pers.)<br />
- - 65 %<br />
(15 Pers.)<br />
- - 70 %<br />
(16 Pers.)<br />
- sehr hilfreich:<br />
35 % (8 Pers.)<br />
61 %<br />
(14 Pers.)<br />
- - 60 %<br />
(9 Pers.)<br />
35 %<br />
(8 Pers.)<br />
30 %<br />
(7 Pers.)<br />
39 %<br />
(9 Pers.)<br />
40 %<br />
(6 Pers.)<br />
- -<br />
- -<br />
8 (4 Pers.) (4 Pers.) - - (6 Pers.) (2 Pers.) - -<br />
- sehr wirksam:<br />
35 % (8 Pers.)<br />
- sehr wirksam:<br />
33 % (5 Pers.)<br />
11 Da es sich bei den weiteren Veränderungen um verschiedene Maßnahmen handelt, ist eine übergreifende Beurteilung der Effektivität<br />
nicht möglich.<br />
Tab. 7 Veränderungen in der Alltagsgestaltung/Lebensführung nach Effektivität<br />
66
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
4.3.11 Veränderungen bei Beschäftigung, Freizeit und Bildung<br />
Über die regelmäßigen Aktivitäten im Gruppenalltag hinausgehend bietet die Beschäftigung<br />
in einem externen Arbeitsbereich – entsprechend dem Zwei-Milieu-Prinzip - neue<br />
Erfahrungen und Entwicklungsanregungen, die sich positiv auf das Verhalten auswirken<br />
können. Wenn die Anforderungen an den Einzelnen im Beschäftigungsbereich zu hoch<br />
sind, muss über Veränderungen hinsichtlich des Umfangs und der Inhalt der Beschäftigung<br />
nachgedacht werden.<br />
Außerhalb der regelmäßigen Beschäftigung wird die individuelle Lebensqualität gesteigert,<br />
wenn bei der Freizeitgestaltung persönliche Wünsche und Interessen berücksichtigt<br />
werden und durch freiwillig gewählte Bildungsangebote die Chance zur Weiterentwicklung<br />
gegeben wird. Monotone Tagesabläufe, die Bewohner/innen unterfordern, können<br />
Verhaltensauffälligkeiten provozieren (vgl. SEIFERT ET AL. 2001). Vor diesem Hintergrund<br />
wurden in die <strong>Evaluation</strong> folgende Aspekte aufgenommen:<br />
− Vermehrte Beschäftigung<br />
− Weniger Beschäftigung<br />
− Veränderung der Beschäftigungsinhalte<br />
− Mehr individuelle Freizeitgestaltung<br />
− Vermehrte Nutzung von Bildungsangeboten<br />
Überblick<br />
Bei 15 von 17 Bewohnern und Bewohnerinnen wurden Veränderungen bei Beschäftigung,<br />
Freizeit und Bildung vorgenommen (Abb. 32). Am häufigsten wurden mehr individuelle<br />
Aktivitäten durchgeführt (12x) und mehr Beschäftigung realisiert (8x). Bei einzelnen<br />
Bewohnern kam es zu einer Veränderung der Beschäftigungsinhalte (3x) oder zur<br />
Reduzierung der Beschäftigungsdauer (2x). Einmal wurden vermehrt Bildungsangebote<br />
genutzt. Andere tagesstrukturierende Maßnahmen kamen bei vier Bewohnern zur Anwendung.<br />
Mehrfachnennungen waren möglich. Zweimal gab es keine Veränderungen.<br />
Im Folgenden wird die Effektivität der Veränderungen für Mitarbeiter und Bewohner dargestellt.<br />
Die Spannbreite der Rückmeldungen pro Maßnahme variiert zwischen 3 und 29,<br />
entsprechend der Häufigkeit der Durchführung in den beteiligten Gruppen. Eine tabellarische<br />
Zusammenfassung der Ergebnisse befindet sich am Ende des Kapitels (Tab. 8).<br />
Effektivität für Mitarbeiter<br />
Fast alle genannten Maßnahmen werden für Mitarbeiter überwiegend hilfreich eingeschätzt,<br />
zu einem hohen Prozentsatz sogar als sehr hilfreich (Abb. 33). Von besonderer<br />
Bedeutung ist die vermehrte Beschäftigung durch Aufnahme in eine WfbM oder in die<br />
heiminterne gruppenübergreifende Förderung (GüF) oder durch Erweiterung des GüF-<br />
Angebots. Seit Antragstellung wurden zwei Bewohner in die GüF aufgenommen, bei<br />
dreien wurde das Angebot erweitert, bei drei weiteren wurde beides durchgeführt. In 87<br />
% von 23 Rückmeldungen werden diese Maßnahmen als hilfreich für Mitarbeiter bezeichnet<br />
(elfmal: sehr hilfreich).<br />
Eine vergleichbar gute Beurteilung erfährt das verstärkte Angebot individueller Freizeitaktivitäten:<br />
Es wird in 83 % von 29 Nennungen als hilfreich bewertet (dreizehnmal:<br />
sehr hilfreich). Im Einzelfall wird erläutert, dass der Bewohner einmal in der Woche ein<br />
seinen persönlichen Wünschen/Interessen entsprechendes Angebot durch Mitarbeiter/innen<br />
erhält.<br />
67
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Die nur bei einzelnen Bewohnern durchgeführte Veränderung der Beschäftigungsinhalte<br />
in der WfbM oder der GüF und die vermehrte Nutzung von Bildungsangeboten<br />
hat sich überwiegend als positiv herausgestellt. Als weniger hilfreich erwies sich im Einzelfall<br />
eine stundenweise Reduzierung der Beschäftigung.<br />
Veränderungen bei Beschäftigung, Freizeit, Bildung<br />
aus Gruppenperspektive (n = 17)<br />
mehr Beschäftigung<br />
8<br />
weniger Beschäftigung<br />
2<br />
andere Besch.inhalte<br />
3<br />
mehr indiv. Aktivitäten<br />
12<br />
mehr Bildungsangebote<br />
1<br />
andere Tagesstruktur<br />
4<br />
keine Veränderungen<br />
2<br />
0 2 4 6 8 10 12 14<br />
Anzahl der Berwohner (Mehrfachnennungen)<br />
Abb. 32 Veränderungen bei Beschäftigung, Freizeit, Bildung (Überblick)<br />
Bildungsangebote<br />
(n=3)<br />
Veränderungen bei Beschäftigung, Freizeit, Bildung<br />
nach Effektivität für Mitarbeiter<br />
weniger<br />
Beschäftigg. (n=3)<br />
Beschäftigungsinhalt<br />
(n=7)<br />
mehr Beschäftigg.<br />
(n=23)<br />
sehr hilfreich<br />
meist hilfreich<br />
etwas/manchmal hilfreich<br />
nicht hilfreich<br />
keine Antwort<br />
Indiv. Freizeit (n=29)<br />
0 5 10 15 20 25 30 35<br />
Bewertungen<br />
Abb. 33 Veränderungen bei Beschäftigung, Freizeit, Bildung nach Effektivität für Mitarbeiter<br />
68
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Effektivität für Bewohner<br />
Vergleichbare Werte liegen hinsichtlich der Wirksamkeit der Maßnahmen für Bewohner<br />
vor (Abb. 34). Die für Mitarbeiter als überwiegend hilfreich eingeschätzten Angebote waren<br />
auch für Bewohner wirksam, in vielen Fällen sogar sehr wirksam. Besonders hervorzuheben<br />
sind auch hier vermehrte individuelle Freizeitaktivitäten und vermehrte Beschäftigung:<br />
Die Freizeitaktivitäten werden von 86 % der insgesamt 29 Rückmeldungen<br />
als wirksam bewertet, die vermehrte Beschäftigung beurteilen 91 % von 23 Beteiligten<br />
als wirksam (elfmal: sehr wirksam). Die im Einzelfall vorgenommene stundenweise Reduzierung<br />
der Beschäftigung wird auch für Bewohner als wenig wirksam angesehen.<br />
Veränderungen bei Beschäftigung, Freizeit, Bildung<br />
nach Effektivität für Bewohner<br />
Bildungsangebote<br />
(n=3)<br />
weniger<br />
Beschäftigg. (n=3)<br />
Beschäftigungsinhalt<br />
(n=7)<br />
mehr Beschäftigg.<br />
(n=23)<br />
sehr wirksam<br />
häufig wirksam<br />
etwas/manchmal wirksam<br />
eher unwirksam<br />
keine Antwort<br />
Indiv. Freizeit (n=29)<br />
0 5 10 15 20 25 30 35<br />
Bewertungen<br />
Abb. 34 Veränderungen bei Beschäftigung, Freizeit, Bildung nach Effektivität für Bewohner<br />
Andere tagesstrukturierende Maßnahmen<br />
Die zusätzlich angegebenen tagesstrukturierenden Maßnahmen beziehen sich in erster<br />
Linie auf individuelle Hilfen zur Strukturierung des Alltags innerhalb der Gruppe, z. B.<br />
durch einen Tagesplan mit Schaukarten, einen gemeinsam festgelegten Wochenplan<br />
oder durch eine für den Bewohner überschaubare Anwesenheitsliste der Mitarbeiter/innen.<br />
Im Einzelfall wurden die Besuchskontakte der Eltern geregelt. Die Effektivität<br />
wird unterschiedlich beurteilt.<br />
Zusammenfassende Einschätzung<br />
Die Bewertungen der Maßnahmen im Bereich ‚Beschäftigung, Freizeit, Bildung’ lassen<br />
erkennen, dass sich eine Steigerung der Angebote zur Strukturierung des Alltags bei den<br />
meisten Bewohnerinnen und Bewohnern als in hohem Maß effektiv erweist, da sie Abwechslung<br />
und Anregungen unterschiedlicher Art bringen. Besonders wichtig erscheint<br />
die Individualisierung der Angebote, vor allem bei der Freizeitgestaltung, aber auch bei<br />
der Auswahl der Beschäftigungsinhalte.<br />
69
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Maßnahme<br />
(Reihenfolge nach Häufigkeit<br />
der Nennungen/Bewohner)<br />
Veränderungen bei Beschäftigung, Freizeit und Bildung<br />
Rückmeldung<br />
Effektivität für Mitarbeiter 2) Effektivität für Bewohner 2)<br />
1)<br />
(n) hilfreich weniger keine Hervorhebung 3) wirksam weniger keine Hervorhebung<br />
hilfreich Angabe<br />
wirksam Angabe<br />
Abb.<br />
Nr.<br />
Mehr individuelle<br />
Freizeitaktivitäten<br />
(12 Bew.)<br />
29 83 %<br />
(24 Pers.)<br />
17 %<br />
(5 Pers.)<br />
- sehr hilfreich:<br />
45 % (13 Pers.)<br />
86 %<br />
(25 Pers.)<br />
10 %<br />
(3 Pers.)<br />
3 %<br />
(1 Pers.)<br />
sehr wirksam:<br />
48 % (14 Pers.)<br />
33-34<br />
Vermehrte Beschäftigung<br />
(8 Bew.)<br />
23 87 %<br />
(20 Pers.)<br />
13 %<br />
(3 Pers.)<br />
- sehr hilfreich:<br />
48 % (11 Pers.)<br />
91 %<br />
(21 Pers.)<br />
9 %<br />
(2 Pers.)<br />
- sehr wirksam:<br />
48 % (11 Pers.)<br />
Veränderung der Beschäftigungsinhalte<br />
(3 Bew.)<br />
Weniger Beschäftigung<br />
(2 Bew.)<br />
Vermehrte Nutzung von<br />
Bildungsangeboten<br />
(1 Bew.)<br />
Andere tagesstrukturierende<br />
Maßnahmen<br />
(4 Bew.)<br />
7 (6 Pers.) (1 Pers.) - sehr hilfreich:<br />
(4 Pers.)<br />
(6 Pers.) (1 Pers.) - sehr wirksam:<br />
(4 Pers.)<br />
3 - (3 Pers.) - - - (3 Pers.) - -<br />
3 (2 Pers.) (1 Pers.) - sehr hilfreich:<br />
(2 Pers.)<br />
(2 Pers.) (1 Pers.) - -<br />
10 Da es sich bei anderen tagesstrukturierenden Maßnahmen um unterschiedliche Angebote handelt, ist eine übergreifende Beurteilung<br />
hinsichtlich der Effektivität nicht möglich.<br />
1)<br />
Im Interesse der Vergleichbarkeit der Bewertungen werden auch bei kleineren Fallzahlen %-Werte angegeben. Bei Fallzahlen
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
4.3.12 Spezielle Maßnahmen<br />
Die bisher beschriebenen Maßnahmen bewegen sich überwiegend auf der Ebene der<br />
Prävention. Durch Gestaltung adäquater personeller Bedingungen und struktureller Gegebenheiten<br />
vor Ort, durch pädagogische und organisatorische Maßnahmen und durch<br />
Qualifizierung der Mitarbeiter/innen sollen Lebensbedingungen entstehen, die die Lebensqualität<br />
der Bewohner/innen im Bereich des physischen, sozialen, materiellen, aktivitätsbezogenen<br />
und emotionalen Wohnbefindens sichern (vgl. SEIFERT ET AL. 2001).<br />
In der aktuellen Situation sind oftmals spezielle pädagogische und therapeutische Maßnahmen<br />
notwendig. Wenn das Verhalten eskaliert und keine Selbststeuerung mehr möglich<br />
ist, gibt es manchmal keine Alternative zu freiheitsentziehenden Maßnahmen und<br />
medikamentöser Behandlung. Langfristiges Ziel ist, Maßnahmen dieser Art überflüssig<br />
zu machen. Einige der möglichen speziellen Vorgehensweisen sind in die <strong>Evaluation</strong><br />
einbezogen worden:<br />
− Spezielle Fördermaßnahmen in der Wohngruppe<br />
− Verhaltenstherapeutische Maßnahmen<br />
− Bewegungsangebote zum Abbau von Spannungen<br />
− Andere therapeutische Maßnahmen<br />
− Vereinbarungen für eskalierende Situationen<br />
− Einsatz von Psychopharmaka<br />
− Einsatz freiheitsentziehender Maßnahmen<br />
− Abbau von freiheitsentziehenden Maßnahmen<br />
− Aufnahme in eine psychiatrische Klinik<br />
Überblick<br />
Bei allen 17 Bewohnern und Bewohnerinnen wurden spezielle Maßnahmen durchgeführt<br />
(Abb. 35). Am häufigsten gab es Vereinbarungen für eskalierende Situationen (16x). Der<br />
Einsatz von Psychopharmaka spielte bei 12 Bewohnern und Bewohnerinnen eine Rolle.<br />
Fast zwei Drittel der Bewohner/innen erhielten Bewegungsangebote zum Abbau von<br />
Spannungen (11 Bew.) und spezielle Fördermaßnahmen in der Wohngruppe (10 Bew.).<br />
Gegenüber diesen pädagogisch orientierten Maßnahmen wurden therapeutische Angebote<br />
seltener in Anspruch genommen: Von den insgesamt 7 Personen erhielten nach<br />
Aussage des Gruppenpersonals vier Personen verhaltenstherapeutische Maßnahmen<br />
und drei Personen andere therapeutische Angebote. Bei einer Person kamen weitere<br />
spezielle Maßnahmen zur Anwendung. Mehrfachnennungen waren möglich.<br />
Im Folgenden wird die Effektivität der Veränderungen für Mitarbeiter und Bewohner dargestellt.<br />
Die Spannbreite der Rückmeldungen pro Maßnahme variiert zwischen 3 und 38,<br />
entsprechend der Häufigkeit der Durchführung in den beteiligten Gruppen. Eine tabellarische<br />
Zusammenfassung der Ergebnisse befindet sich am Ende des Kapitels (Tab. 9).<br />
71
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Spezielle Maßnahmen<br />
aus Gruppenperspektive (n = 17)<br />
Förderung<br />
10<br />
Verhaltenstherapie<br />
4<br />
Bewegungsangebote<br />
11<br />
andere Therapien<br />
3<br />
Vereinbarungen<br />
16<br />
Psychopharmaka<br />
12<br />
Freiheitsentzug<br />
7<br />
Abbau Freiheitsentzug<br />
5<br />
Psychiatrische Klinik<br />
7<br />
Weiteres<br />
1<br />
0 2 4 6 8 10 12 14 16 18<br />
Anzahl der Maßnahmen (Mehrfachnennungen)<br />
Abb. 35 Spezielle Maßnahmen (Überblick)<br />
Effektivität für Mitarbeiter<br />
Ein Überblick über die Wirksamkeit spezieller Maßnahmen für Mitarbeiter zeigt ein facettenreiches<br />
Bild (Abb. 36). Der größte Anteil positiver Bewertungen findet sich bei speziellen<br />
Fördermaßnahmen innerhalb der Wohngruppe. Sie werden von 84 % der insgesamt<br />
25 Rückmeldungen als meist bzw. sehr hilfreich für Mitarbeiter bewertet. Unter<br />
den Begriff ‚spezielle Fördermaßnahmen’ subsumieren die Befragten ein weites Spektrum,<br />
wobei ein Teil der Vorgehensweisen auch einigen der oben beschriebenen Maßnahmen-Bereichen<br />
zugeordnet werden könnte:<br />
− Kompetenzerweiterung (z. B. Individueller Förderplan, Beschäftigung im basalen Bereich,<br />
Förderung der Selbstständigkeit und Selbstbestimmung, Vermittlung kulturangemessener<br />
Verhaltensweisen)<br />
− Intensivierung der Beziehung zum Bewohner (z. B. Stärkere Einbeziehung in das<br />
Gruppengeschehen, ständiges Aufrechterhalten von Kontakt, sofortiges Reagieren<br />
bei Schwierigkeiten, feste Bezugspersonen, spezielle Zuwendung durch alle Mitarbeiter/innen,<br />
Gespräche, Tagesrückblick, kommunikativ ‚ausgehandelte’ Anforderungen<br />
zum Aufbau von Alternativverhalten, Absprachen mit Einverständnis des Bewohners)<br />
− Entspannung (z. B. Entspannungsübungen, Pflege / Massage, z. B. Leboyer, Snoezelen)<br />
−<br />
−<br />
Tagesstrukturierung (z. B. Aufbau einer Tagesstruktur, verlässliche Gestaltung des<br />
Alltags, Einbindung in hauswirtschaftliche Tätigkeiten)<br />
Aktivitäten außerhalb (z. B. Wochenplanung mit wechselnden Unternehmungen nach<br />
außen, gezieltes Aufsuchen von Öffentlichkeit)<br />
72
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Auch verhaltenstherapeutischen Maßnahmen wird eine überwiegend gute Effektivität<br />
bescheinigt: 75 % von 20 Rückmeldungen bezeichnen sie als meist bzw. sehr hilfreich.<br />
Im Einzelfall werden genannt:<br />
− Heranführen an angstbesetzte Situationen, schrittweise Konfrontation mit bedrohlich<br />
erlebten Situationen<br />
− Deeskalationstraining<br />
− Instrumentelles Konditionieren<br />
− Time out<br />
Spezielle Maßnahmen<br />
nach Effektivität für Mitarbeiter<br />
Vereinbarungen für<br />
Eskalation (n=38)<br />
Bewegungsangebote<br />
(n=25)<br />
spez. Förderung in<br />
Wohngruppe (n=25)<br />
verhaltenstherapeut.<br />
Maßnahmen (n=20)<br />
Psychopharmaka,<br />
Umstellung (n=19)<br />
Psychopharmaka,<br />
Reduzierung (n=10)<br />
Psychopharmaka,<br />
bei Bedarf (n=7)<br />
Psychiatrische Klinik<br />
(n=15)<br />
Abbau<br />
Freiheitsentzug<br />
(n=12)<br />
sehr hilfreich<br />
meist hilfreich<br />
etwas/manchmal hilfreich<br />
nicht hilfreich<br />
keine Antwort<br />
geschlossene<br />
Gruppe (n=8)<br />
Einschluss ins<br />
eigene Zimmer (n=8)<br />
Fixierungen (n=3)<br />
0 5 10 15 20 25 30 35 40<br />
Bewertungen<br />
Abb. 36 Spezielle Maßnahmen nach Effektivität für Mitarbeiter<br />
Vereinbarungen für eskalierende Situationen, die bei fast allen Bewohnern und Bewohnerinnen<br />
zum Tragen kamen, werden von 71 % der 38 Befragten als meist bzw. sehr<br />
hilfreich für Mitarbeiter eingeschätzt. Beispiele für Vereinbarungen sind: Leises, ruhiges<br />
Sprechen; Zeit für Rückzug geben (z. B. ins eigene Zimmer); Aufarbeitung des Problems<br />
73
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
durch Gespräche; laufen lassen - Fluchtmöglichkeit bieten - anderer Mitarbeiter übernimmt<br />
in Krisensituationen; Einschluss.<br />
Ebenfalls für Mitarbeiter überwiegend effektiv wird die Aufnahme von Bewohnern und<br />
Bewohnerinnen in eine psychiatrische Klinik bewertet: 11 von 15 Antworten zu dieser<br />
Maßnahme fallen auf meist bzw. sehr hilfreich (sechsmal: sehr hilfreich). Zur Dauer des<br />
Aufenthalts werden bei einem Bewohner zwei Tage, bei einem anderen zehn Tage mit<br />
der Anmerkung ‚freiwillig’ angegeben. Bei einem weiteren ist die Dauer unbestimmt: Er<br />
befindet sich in der psychiatrischen Klinik ‚seit Eskalation’. Auslösende Situationen werden<br />
nur zu einem Bewohner mit Angstzuständen und Weglauftendenz benannt: Fenstersprung,<br />
Bussprung, Einstieg in fremde Wohnung, Belästigung von Mitarbeitenden und<br />
Bewohnern.<br />
Dem gegenüber werden Bewegungsangebote für Bewohner zum Abbau von Spannungen<br />
nur von 56 % der 25 Befragten als meist bzw. sehr hilfreich eingestuft. Dazu gehören<br />
u. a. Spaziergänge, Laufen, Radfahren, Trampolin, Schwimmen, Gymnastik, Massage.<br />
Die Häufigkeit der Angebote wird im Einzelfall als zu gering bezeichnet. Allerdings<br />
entsprechen sie nicht immer den individuellen Bedürfnissen: Bei einer Bewohnerin findet<br />
sich die Anmerkung ‚hat sie abgelehnt’.<br />
Im Hinblick darauf, dass ein großer Teil der Bewohner/innen viele Jahre ihres Lebens in<br />
psychiatrischen Kliniken verbracht hat, in denen die Behandlung mit Psychopharmaka<br />
und freiheitsentziehenden Maßnahmen überwog, ist die Frage nach dem Stellenwert<br />
dieser Maßnahmen bei den an der <strong>Evaluation</strong> beteiligten Personen von besonderem Interesse.<br />
Bei Antragstellung nahmen fast alle Bewohner/innen täglich Medikamente ein,<br />
im Durchschnitt vier Präparate, überwiegend Psychopharmaka. Im Zusammenhang mit<br />
der Consulentenarbeit wurden bei zwölf Bewohnern und Bewohnerinnen Veränderungen<br />
beim Einsatz von Psychopharmaka vorgenommen (Abb. 37). Bei rund der Hälfte erfolgte<br />
eine Umstellung, bei fünf Personen eine Reduzierung, drei Personen erhielten<br />
Psychopharmaka bei Bedarf. Niemand bekam Psychopharmaka zum ersten Mal. Mehrfachnennungen<br />
waren möglich.<br />
Die Wirksamkeit der Veränderungen beim Psychopharmaka-Einsatz kann wegen der<br />
sehr kleinen Stichproben pro Maßnahme-Typ nur individuell bewertet werden. Im Überblick<br />
ist festzustellen, dass die genannten Veränderungen für Mitarbeiter überwiegend<br />
als weniger hilfreich eingeschätzt werden. So wird z. B. die Umstellung von Psychopharmaka<br />
von 11 der 19 Beteiligten als weniger hilfreich bewertet.<br />
Einsatz von Psychopharmaka<br />
aus Gruppenperspektive (n = 17)<br />
gleichbleibend<br />
5<br />
bei Bedarf<br />
3<br />
Reduzierung<br />
5<br />
Umstellung<br />
7<br />
erstmalig<br />
0 2 4 6 8<br />
Anzahl der Maßnahmen (Mehrfachnennungen)<br />
Abb. 37 Einsatz von Psychopharmaka<br />
74
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Bei sieben Bewohnern wurden nach Aussagen des Gruppenpersonals freiheitsentziehende<br />
Maßnahmen eingesetzt. Bei jeweils drei Personen wurde ‚geschlossene Gruppe’<br />
und ‚Einschluss’ angekreuzt, ‚Fixierungen’ bei einer Person (Abb. 38). Beim Einschluss<br />
ins eigene Zimmer wurde in zwei Fällen angemerkt: ‚auf eigenen Wunsch’ und ‚mit Einwilligung’<br />
des bzw. der Betroffenen. Als andere Maßnahmen werden ‚Time-out Raum’<br />
und ‚psychischer Druck’ genannt. Die Wirksamkeit der Anwendung freiheitsentziehender<br />
Maßnahmen kann auch hier wegen der sehr geringen Bewohnerzahl nur individuell bewertet<br />
werden. Im Überblick ist festzustellen, dass die genannten Veränderungen für<br />
Mitarbeiter überwiegend als hilfreich eingeschätzt werden.<br />
Bei fünf Bewohnern wurde ein Abbau von freiheitsentziehenden Maßnahmen durchgeführt,<br />
z. B. durch das Weglassen von Fixierungen oder den Verzicht auf das Anlegen<br />
eines Helms oder einer Armmanschette. In einem Fall wurde der nächtliche Einschluss<br />
aufgehoben. Die Wirkung dieser Maßnahmen wird zu nahezu gleichen Teilen von einigen<br />
der beteiligten Personen als hilfreich, von anderen als weniger hilfreich bewertet.<br />
Effektivität für Bewohner<br />
Auch mit Blick auf die Effektivität für Bewohner stehen spezielle Fördermaßnahmen in<br />
der Wohngruppe an erster Stelle (Abb. 39): Sie werden von 88 % der insgesamt 25<br />
Rückmeldungen als wirksam bewertet (zwölfmal: sehr wirksam). Es folgen verhaltenstherapeutische<br />
Maßnahmen, die 70 % der 20 Beteiligten für wirksam halten.<br />
Im Gegensatz zu der Einschätzung der Wirksamkeit für Mitarbeiter werden Bewegungsangebote<br />
zur Entspannung für Bewohner häufiger positiv bewertet: 68 % von 25<br />
Rückmeldungen bezeichnen sie als wirksam (neunmal: sehr wirksam). Auch der Abbau<br />
von freiheitsentziehenden Maßnahmen wird mit Blick auf Bewohner für etwas wirksamer<br />
gehalten als für Mitarbeiter: Die Hälfte der 12 Beteiligten bezeichnet die Maßnahme<br />
als wirksam (viermal sehr wirksam).<br />
Umgekehrt werden Vereinbarungen für eskalierende Situationen für Bewohner als<br />
weniger hilfreich eingeschätzt als für Mitarbeiter. Nur 55 % der insgesamt 38 Nennungen<br />
halten sie für Bewohner für wirksam. Besonders hervorzuheben ist, dass die Aufnahme<br />
in eine psychiatrische Klinik für Bewohner als überwiegend wenig effektiv angesehen<br />
wird: 10 der insgesamt 15 Beteiligten bezeichnen sie als weniger wirksam (sechsmal:<br />
eher unwirksam).<br />
Die Wirksamkeit des Einsatzes von Psychopharmaka und der Anwendung freiheitsentziehender<br />
Maßnahmen kann auch hier wegen der sehr geringen Bewohnerzahl nur individuell<br />
bewertet werden. Die Beurteilung des Einsatzes von Psychopharmaka für Bewohner<br />
entspricht in der Tendenz der Einschätzung für Mitarbeiter: weniger hilfreich. Nur<br />
die Reduzierung wird für Bewohner für günstiger gehalten als für Mitarbeiter. Vermutlich<br />
fordern einige Bewohner/innen nach der Reduzierung mehr Aufmerksamkeit. Bei der<br />
Bewertung freiheitsentziehender Maßnahmen fällt auf, dass der Einschluss ins eigene<br />
Zimmer und Fixierungen für Bewohner als überwiegend weniger wirksam bezeichnet<br />
werden, während die Wirkung dieser Maßnahmen wurde für Mitarbeiter etwas günstiger<br />
eingeschätzt wird.<br />
75
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Einsatz freiheitsentziehender Maßnahmen<br />
aus Gruppenperspektive (n = 17)<br />
geschl. Gruppe<br />
3<br />
Einschluss<br />
3<br />
Fixierungen<br />
1<br />
Anderes<br />
1<br />
keine<br />
10<br />
0 2 4 6 8 10 12<br />
Anzahl der Maßnahmen (Mehrfachnennungen)<br />
Abb. 38 Einsatz freiheitsentziehender Maßnahmen<br />
Weitere spezielle Maßnahmen<br />
Als weitere spezielle Maßnahmen werden genannt: eine Wochenplanung mit wechselnden<br />
Außenaktivitäten (mit z. T. wechselnden Bezugspersonen), die Notwendigkeit, einen<br />
Bewohner außerhalb der Wohngruppe immer von zwei Personen zu begleiten und – in<br />
einem Fall - Ausschluss aus der Wohngruppe.<br />
Zusammenfassende Einschätzung<br />
Die differenzierte Bewertung der Wirksamkeit der genannten Maßnahmen für Mitarbeiter<br />
und Bewohner zeugt von einem sensiblen Umgang mit speziellen Vorgehensweisen in<br />
den beteiligten Gruppen. Allgemeingültige Aussagen sind nicht möglich, da die Maßnahmen<br />
nur im Hinblick auf eine sehr kleine Personengruppe bewertet wurden. Unter<br />
diesem Vorbehalt kann – mit aller Vorsicht – als Trend festgehalten werden:<br />
−<br />
−<br />
−<br />
Ansätze, die auf die vor allem auf Bedürfnisbefriedigung und Weiterentwicklung<br />
der Bewohner abzielen (vgl. spezielle Fördermaßnahmen) oder therapeutisch sinnvoll<br />
erscheinen, wirken sich für beide Seiten positiv aus. Eine Differenzierung ist bei<br />
den Bewegungsangeboten erkennbar: Sie tragen deutlich zur Entspannung der Bewohner/innen<br />
bei, fordern aber auf der Seite der Mitarbeiter/innen zusätzliches Engagement,<br />
dessen Nutzen für den Gruppenalltag den Aufwand möglicherweise nicht<br />
immer rechtfertigt.<br />
Ansätze, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Orientierung in herausfordenden<br />
Situationen mit Bewohnern geben (z. B. Vereinbarungen für eskalierende Situationen)<br />
oder zur Entlastung des Teams beitragen (z. B. Einschluss ins eigene Zimmer,<br />
Fixierungen, Einweisung in psychiatrische Klinik), sind für Bewohner nur indirekt von<br />
Nutzen.<br />
Ansätze, die mehr Freiheit für Bewohner gewähren und sich im Einzelfall positiv<br />
auswirken (z. B. Abbau von freiheitsentziehenden Maßnahmen, Reduzierung von<br />
Psychopharmaka), erfordern auf Seiten der Mitarbeiter/innen die Bereitschaft zum<br />
Risiko mit ungewissem Ausgang.<br />
76
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Spezielle Maßnahmen<br />
nach Effektivität für Bewohner<br />
Vereinbarungen für<br />
Eskalation (n=38)<br />
Bewegungsangebote<br />
(n=25)<br />
spez. Förderung in<br />
Wohngruppe (n=25)<br />
verhaltenstherapeut.<br />
Maßnahmen (n=20)<br />
Psychopharmaka,<br />
Umstellung (n=19)<br />
Psychopharmaka,<br />
Reduzierung (n=10)<br />
Psychopharmaka,<br />
bei Bedarf (n=7)<br />
Psychiatrische Klinik<br />
(n=15)<br />
Abbau Freih.entzug<br />
(n=12)<br />
geschlossene<br />
Gruppe (n=8)<br />
sehr wirksam<br />
häufig wirksam<br />
etwas/manchmal wirksam<br />
eher unwirksam<br />
keine Antwort<br />
Einschluss ins<br />
eigene Zimmer (n=8)<br />
Fixierungen (n=3)<br />
0 5 10 15 20 25 30 35 40<br />
Bewertungen<br />
Abb. 39 Spezielle Maßnahmen nach Effektivität für Bewohner<br />
77
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Maßnahme<br />
(Reihenfolge nach Häufigkeit<br />
der Nennungen/Bewohner)<br />
Spezielle Maßnahmen (I)<br />
Rückmeldung<br />
Effektivität für Mitarbeiter 2) Effektivität für Bewohner 2)<br />
1)<br />
(n) hilfreich weniger keine Hervorhebung 3) wirksam weniger keine Hervorhebung<br />
hilfreich Angabe<br />
wirksam Angabe<br />
Abb.<br />
Nr.<br />
Vereinbarungen für eskalierende<br />
Situationen<br />
(16 Bew.)<br />
38 71 %<br />
(27 Pers.)<br />
26 %<br />
(10 Pers.)<br />
3 %<br />
(1 Pers.)<br />
- 55 %<br />
(21 Pers.)<br />
42 %<br />
(16 Pers.)<br />
13 %<br />
(1 Pers.)<br />
-<br />
36-39<br />
Einsatz von Psychopharmaka<br />
(12 Bew.)<br />
− erstmalig (kein Bew.) - - - - - - - - -<br />
− Umstellung (7 Bew.) 19 26 %<br />
(5 Pers.)<br />
− Reduzierung (5 Bew.) 10 20 %<br />
(2 Pers.)<br />
58 %<br />
(11 Pers.)<br />
60 %<br />
(6 Pers.)<br />
16 %<br />
(3 Pers.)<br />
20 %<br />
(2 Pers.)<br />
- 42 %<br />
(8 Pers.)<br />
- 40 %<br />
(4 Pers.)<br />
53 %<br />
(10 Pers.)<br />
− bei Bedarf (3 Bew.) 7 (3 Pers.) (4 Pers.) - - (3 Pers.) (4 Pers.) - -<br />
Bewegungsangebote<br />
zum Abbau von Spannungen<br />
(11 Bew.)<br />
Spezielle Fördermaßnahmen<br />
in der Wohngruppe<br />
(10 Bew.)<br />
Verhaltenstherapeutische<br />
Maßnahmen<br />
(4 Bew.)<br />
Aufnahme in eine psychiatrische<br />
Klinik<br />
(7 Bew.)<br />
Fortsetzung: nächste Seite (II)<br />
25 56 %<br />
(14 Pers.)<br />
25 84 %<br />
(21 Pers.)<br />
20 75 %<br />
(15 Pers.)<br />
15 73 %<br />
(11 Pers.)<br />
44 %<br />
(11 Pers.)<br />
16 %<br />
(4 Pers.)<br />
20 %<br />
(4 Pers.)<br />
13 %<br />
(2 Pers.)<br />
- - 68 %<br />
(17 Pers.)<br />
- - 88 %<br />
(22 Pers.)<br />
5 %<br />
(1 Pers.)<br />
13 %<br />
(2 Pers.)<br />
- 70 %<br />
(14 Pers.)<br />
sehr hilfreich:<br />
40 % (6 Pers.)<br />
27 %<br />
(4 Pers.)<br />
40 %<br />
(4 Pers.)<br />
32 %<br />
(8 Pers.)<br />
12 %<br />
(3 Pers.)<br />
25 %<br />
(5 Pers.)<br />
67 %<br />
(10 Pers.)<br />
5 %<br />
(1 Pers.)<br />
20 %<br />
(2 Pers.)<br />
-<br />
sehr wirksam:<br />
30 % (3 Pers.)<br />
- sehr wirksam:<br />
36 % (9 Pers.)<br />
- sehr wirksam:<br />
48 % (12 Pers.)<br />
5 %<br />
(1 Pers.)<br />
7 %<br />
(1 Pers.)<br />
-<br />
eher unwirksam:<br />
40 %<br />
(6 Pers.)<br />
78
Maßnahmen und Interventionen im Consulentenprojekt<br />
Maßnahme<br />
(Reihenfolge nach Häufigkeit<br />
der Nennungen/Anwendung)<br />
Spezielle Maßnahmen (II)<br />
Rückmeldung<br />
Effektivität für Mitarbeiter 2) Effektivität für Bewohner 2)<br />
1)<br />
(n) hilfreich weniger keine Hervorhebung 3) wirksam weniger keine Hervorhebung<br />
hilfreich Angabe<br />
wirksam Angabe<br />
Abb.<br />
Nr.<br />
Einsatz freiheitsentziehender<br />
Maßnahmen<br />
(7 Bew.)<br />
−<br />
−<br />
geschlossene<br />
Gruppe (3 Bew.)<br />
Einschluss ins eigene<br />
Zimmer (3 Bew.)<br />
8 (5 Pers.) (1 Pers.) (2 Pers.) - (5 Pers.) (1 Pers.) (2 Pers.) sehr wirksam:<br />
(5 Pers.)<br />
8 (4 Pers.) (3 Pers.) (1 Pers.) - (4 Pers.) (4 Pers.) - eher unwirksam:<br />
(4 Pers.)<br />
− Fixierungen (1 Bew.) 3 (2 Pers.) (1 Pers.) - - (1 Pers.) (2 Pers.) - -<br />
− andere (1 Bew.) 3 Wegen unterschiedlicher Vorgehensweisen ist eine übergreifende Beurteilung hinsichtlich der Effektivität nicht möglich.<br />
36-39<br />
Abbau von freiheitsentziehenden<br />
Maßnahmen<br />
(5 Bew.)<br />
Andere therapeutische<br />
Maßnahmen (3 Bew.)<br />
Weitere spezielle Maßnahmen<br />
(1 Bew.)<br />
12 42 %<br />
(5 Pers.)<br />
11<br />
3<br />
50 %<br />
(6 Pers.)<br />
8 %<br />
(1 Pers.)<br />
- 50 %<br />
(6 Pers.)<br />
33 %<br />
(4 Pers.)<br />
17 %<br />
(2 Pers.)<br />
sehr wirksam:<br />
33 % (4 Pers.)<br />
Da es sich bei anderen therapeutischen Maßnahmen und bei weiteren speziellen Maßnahmen (Bew.) um unterschiedliche Vorgehensweisen<br />
handelt, ist eine übergreifende Beurteilung hinsichtlich der Effektivität nicht möglich.<br />
1)<br />
Im Interesse der Vergleichbarkeit der Bewertungen werden auch bei kleineren Fallzahlen %-Werte angegeben. Bei Fallzahlen
5 Veränderungsprozesse<br />
Während der Beteiligung am Consulentenprojekt haben sich Häufigkeit und Intensität der<br />
genannten Verhaltensweisen bei den meisten Bewohnern und Bewohnerinnen positiv<br />
verändert.<br />
Ein Überblick über die Veränderungen bei der Häufigkeit aller Verhaltensweisen, die<br />
zu Beginn der Consulentenarbeit als besonders problematisch benannt wurden, zeigt<br />
eine deutliche Abnahme (Abb. 40): Bei Antragstellung traten 62 % der insgesamt 48<br />
Verhaltensweisen einmal bis mehrmals täglich auf, heute nur noch 21 %. Das entspricht<br />
einer Reduzierung auf etwa ein Drittel des ursprünglichen Anteils. Umgekehrt treten heute<br />
44 % der Verhaltensweisen seltener als monatlich oder mehrmals im Monat auf, zuvor<br />
waren nur 23 %. 20<br />
Verhaltensauffälligkeiten nach Häufigkeit<br />
aus Gruppenperspektive (n = 48)<br />
keine Antwort<br />
4<br />
mehrmals am<br />
Tag<br />
15<br />
56<br />
einmal täglich<br />
6<br />
6<br />
mehrmals<br />
wöchentlich<br />
15<br />
31<br />
mehrmals im<br />
Monat<br />
19<br />
27<br />
seltener als<br />
monatlich<br />
4<br />
17<br />
0 10 20 30 40 50 60<br />
%-Angaben<br />
Häufigkeit bei Antragstellung<br />
Häufigkeit heute<br />
Abb. 40 Verhaltensauffälligkeiten nach Häufigkeit<br />
Auch die Veränderungen bei der Intensität der genannten Verhaltensweisen zeigen<br />
einen deutlich verminderten Trend (Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden<br />
werden.). Bei Antragstellung traten 83 % der insgesamt 48 problematischen Verhaltensweisen<br />
stark bis sehr stark auf. Der Anteil hat sich heute auf 42 % halbiert. Umgekehrt<br />
wird die heutige Intensität bei 52 % der Verhaltensweisen als gering bzw. mittelgradig<br />
eingeschätzt, zuvor wurden dieser Kategorie nur 17 % zugeordnet. Eine der<br />
früher problematischen Verhaltensweisen wird heute als unauffällig bezeichnet. 21<br />
20 Die Angaben zu ‚Sonstiges’ sind bei der Auswertung nicht berücksichtigt.<br />
21 Bei zwei der anfangs genannten Verhaltensauffälligkeiten können keine Angaben zur heutigen Häufigkeit und<br />
Intensität gemacht werden, da sich der betreffende Bewohner nicht mehr in der Einrichtung befindet.
Veränderungsprozesse<br />
Verhaltensauffälligkeiten nach Intensität<br />
aus Gruppenperspektive (n = 48)<br />
unauffällig<br />
1<br />
gering<br />
mittelgradig<br />
17<br />
25<br />
27<br />
stark<br />
23<br />
31<br />
sehr stark<br />
keine<br />
Antwort<br />
4<br />
19<br />
52<br />
Intensität bei Antragstellung<br />
Intensität heute<br />
0 10 20 30 40 50 60<br />
%-Angaben<br />
Abb. 41 Verhaltensauffälligkeiten nach Intensität<br />
Im Folgenden werden exemplarisch die Veränderungen bei fremdgefährdenden, selbstverletzenden<br />
und sachbeschädigenden Verhaltensweisen detaillierter dargestellt, die bei<br />
einem großen Teil der Bewohner/innen als besonders belastend bezeichnet wurden, weil<br />
sie schwer wiegende Auswirkungen auf die Person selbst und alle Beteiligten haben.<br />
5.1 Fremdgefährdendes Verhalten<br />
Bei Antragstellung wurde das fremdgefährdende Verhalten von insgesamt 5 Männern<br />
und 6 Frauen folgendermaßen konkretisiert: Beißen, Kneifen, Kratzen, Schlagen, Treten,<br />
Schubsen, Spucken, Reißen und Zerren an Arm und Kleidung, Würgen u.a.m. Ein Bewohner<br />
„stößt plötzlich mit dem Ellenbogen mit großer Kraft zu, überrennt plötzlich Mitbewohner<br />
und Mitarbeiter/Menschen, so dass es zu schweren Verletzungen gekommen ist<br />
(Frakturen/Zerrungen); greift Gruppenmitarbeiter nach den Handgelenken und presst sie gegen<br />
die Wand, dabei kann es vorkommen, dass der Finger umknickt/umbiegt“ (FORNELL<br />
2003).<br />
Im Laufe der Consulentenarbeit ist es aus Gruppenperspektive bei mehreren Bewohnern<br />
und Bewohnerinnen zu einer deutlichen Abnahme der Häufigkeit fremdgefährdenden<br />
Verhaltens gekommen (Abb. 42). Bei Antragstellung zeigten nur drei Personen seltener<br />
als monatlich bzw. mehrmals im Monat fremdgefährdendes Verhalten, heute sind es sieben.<br />
Umgekehrt trat das Verhalten anfangs bei 6 Bewohnern einmal bzw. mehrmals täglich<br />
auf, heute nur noch bei einer Person.<br />
81
Veränderungsprozesse<br />
Fremdgefährdendes Verhalten nach Häufigkeit<br />
aus Gruppenperspektive (n = 11)<br />
mehrmals am<br />
Tag<br />
einmal täglich<br />
mehrmals<br />
wöchentlich<br />
mehrmals im<br />
Monat<br />
seltener als<br />
monatlich<br />
Häufigkeit heute<br />
Häufigkeit bei Antragstellung<br />
0 1 2 3 4 5 6<br />
Anzahl der Personen<br />
Abb. 42 Fremdgefährdendes Verhalten nach Häufigkeit<br />
Ein Vergleich mit den Einschätzungen aus der ‚Außenperspektive’ zeigt, dass auch die<br />
leitend bzw. gruppenübergreifend Tätigen bei der Häufigkeit fremdgefährdender Verhaltensweisen<br />
vergleichbar positive Änderungen sehen.<br />
Auch die Intensität des fremdgefährdenden Verhaltens hat sich bei mehreren Bewohnern<br />
und Bewohnerinnen vermindert (Abb. 43). Bei Antragstellung wurde sie bei 10 Personen<br />
als stark bzw. sehr stark eingestuft, heute nur noch bei der Hälfte (5 Personen).<br />
Dem Bereich ‚unauffällig – gering – mittelgradig’ war bei Antragstellung nur eine Person<br />
zugeordnet, heute sind es sechs Personen.<br />
Fremdgefährdendes Verhalten nach Intensität<br />
aus Gruppenperspektive (n = 11)<br />
sehr stark<br />
stark<br />
mittelgradig<br />
gering<br />
unauffällig<br />
Intensität heute<br />
Intensität bei Antragstellung<br />
0 2 4 6 8<br />
Anzahl der Personen<br />
Abb. 43 Fremdgefährdendes Verhalten nach Intensität<br />
82
Veränderungsprozesse<br />
5.2 Selbstverletzendes Verhalten<br />
Das selbstverletzende Verhalten von insgesamt 10 Personen wurde bei Antragstellung<br />
folgendermaßen beschrieben: sich beißen (z. B. in den Handrücken oder in die Arme),<br />
sich an den Haaren ziehen, sich kratzen, sich an den Kopf schlagen (z. B. mit flacher<br />
Hand oder den Handballen), sich Stirn, Lippe, Nase blutig schlagen, mit dem Kopf schlagen<br />
(z. B. gegen Wände, Tische, Fensterbänke, Türrahmen, Fenster oder gegen den<br />
Boden), sich den Hals zudrücken, die Knie aneinander schlagen, sich zu Boden werfen.<br />
Während der Teilnahme am Consulentenprojekt sind nach Aussagen des Gruppenpersonals<br />
deutliche positive Veränderungen eingetreten.<br />
Abb. 44 belegt die Abnahme der Häufigkeit selbstverletzender Verhaltensweisen. Während<br />
das Verhalten bei Antragstellung bei sechs Personen mehrmals am Tag auftrat,<br />
kommt es heute bei niemandem mehr so häufig vor. Nur zwei Personen zeigen das Verhalten<br />
noch einmal täglich, jeweils drei mehrmals wöchentlich bzw. mehrmals im Monat.<br />
Bei zwei Personen ist es inzwischen seltener als monatlich zu beobachten.<br />
Selbstverletzendes Verhalten nach Häufigkeit<br />
aus Gruppenperspektive (n = 10)<br />
mehrmals am<br />
Tag<br />
einmal täglich<br />
mehrmals<br />
wöchentlich<br />
mehrmals im<br />
Monat<br />
seltener als<br />
monatlich<br />
0 1 2 3 4 5 6 7<br />
Anzahl der Personen<br />
Häufigkeit bei Antragstellung<br />
Häufigkeit heute<br />
Abb. 44 Selbstverletzendes Verhalten nach Häufigkeit<br />
Die positiven Änderungen hinsichtlich der Häufigkeit bei selbstverletzenden Verhaltensweisen<br />
werden auch aus der ‚Außenperspektive’ bestätigt.<br />
Die Intensität des selbstverletzenden Verhaltens hat sich ebenfalls bei mehreren Bewohnern<br />
und Bewohnerinnen deutlich vermindert (Abb. 45). Bei Antragstellung wurde sie<br />
bei 6 Personen als stark bzw. sehr stark eingestuft, heute nur noch bei 2 Personen. Dem<br />
Bereich ‚gering – mittelgradig’ waren bei Antragstellung nur 4 Personen zugeordnet, heute<br />
sind es doppelt so viel (8 Personen, überwiegend geringe Intensität).<br />
83
Veränderungsprozesse<br />
Selbstverletzendes Verhalten nach Intensität<br />
aus Gruppenperspektive (n = 10)<br />
sehr stark<br />
stark<br />
mittelgradig<br />
gering<br />
unauffällig<br />
0 1 2 3 4 5 6 7<br />
Anzahl der Personen<br />
Intensität bei Antragstellung Intensität heute<br />
Abb. 45 Selbstverletzendes Verhalten nach Intensität<br />
5.3 Sachbeschädigendes Verhalten<br />
Das sachbeschädigende Verhalten von insgesamt 5 Personen bezieht sich u. a. auf die<br />
Zerstörung von Gegenständen und das Zerreißen der eigenen Kleidung. Während der<br />
Teilnahme am Consulentenprojekt sind nach Aussagen des Gruppenpersonals hinsichtlich<br />
der Häufigkeit auch hier positive Veränderungen eingetreten: Trat das Verhalten bei<br />
Antragstellung bei drei Personen mehrmals am Tag auftrat, so kommt es heute bei niemandem<br />
mehr so häufig vor. Vier Personen zeigen das Verhalten noch einmal täglich, in<br />
einem Fall sind Sachbeschädigungen nur noch seltener als monatlich zu beobachten.<br />
Auch hinsichtlich der Intensität gab es deutliche Veränderungen: Bei Antragstellung war<br />
die Intensität der Sachbeschädigungen bei allen fünf Personen stark bzw. sehr stark.<br />
Heute kommt das Verhalten nur noch bei zwei Personen in dieser Intensität vor, bei einer<br />
weiteren wird es als mittelgradig eingestuft. Bei zwei Weiteren ist die Intensität der<br />
Sachbeschädigung heute nur noch gering.<br />
5.4 Weitere Verhaltensweisen<br />
Ein grober Überblick über Veränderungsprozesse bei den Verhaltensweisen, die bei der<br />
Anmeldung zur Consulentenarbeit von den beteiligten Gruppen als besonders problematisch<br />
genannt wurden, zeigt nach Aussage der Gruppenmitarbeiter/innen bei acht Verhaltensweisen<br />
eine deutliche Tendenz zur Abnahme von Häufigkeit und Intensität (Tab. 10).<br />
Diese Tendenz ist jeweils als personenübergreifende Aussage für die betroffene Personengruppe<br />
zu verstehen, die nicht automatisch auf den einzelnen Bewohner oder die<br />
einzelne Bewohnerin übertragen werden kann. Es sind auch Verlagerungen der Problematik<br />
möglich. Eine Auflistung individueller Veränderungsprozesse kann im Rahmen<br />
dieses Berichts jedoch nicht geleistet werden. Hierzu sind Einzelfallstudien notwendig.<br />
84
Veränderungsprozesse<br />
Bei vier Verhaltensweisen blieben Häufigkeit und Intensität unverändert, und zwar bei<br />
Zwangshandlungen, Einnässen, Stereotypien und Kontaktstörungen. Beim problematischen<br />
Essverhalten ist zwar die Häufigkeit gleich geblieben, die Intensität hat nachgelassen.<br />
Mit Ausnahme der Zwangshandlungen (3 Pers.) ist bei den hier genannten Verhaltensweisen<br />
jeweils nur eine Person betroffen. Das heißt: In diesen Fällen ist die Aussage<br />
zum Veränderungsprozess nicht personenübergreifend zu verstehen, sondern bezieht<br />
sich auf die jeweils benannte Person. Bei diesen Verhaltensweisen sind die eingeschlagenen<br />
Wege zur Veränderung der Situation noch nicht wirksam geworden.<br />
Verhalten<br />
Veränderungstendenzen (aus Gruppenperspektive)<br />
Veränderung der Häufigkeit<br />
Personen<br />
Abnahme Zunahme gleich<br />
bleibend<br />
Veränderung der Intensität<br />
Abnahme Zunahme gleich<br />
bleibend<br />
Fremdgefährdung 11 x x<br />
Selbstverletzung 10 x x<br />
Sachbeschädigung 5 x x<br />
Angstzustände 4 x* x*<br />
Schreien 3 x x<br />
Zwangshandlung 3 x* x*<br />
Hyperaktivität 3 x x<br />
Einkoten 3 x x<br />
Verbalaggression 2 x x<br />
Einnässen 1 x x<br />
Essverhalten 1 x x<br />
Stereotypien 1 x x<br />
Kontaktstörung 1 x x<br />
* Bei einer Person ist eine aktuelle Einschätzung der Verhaltensweisen nicht möglich, da der Bewohner zum<br />
Zeitpunkt der Befragung nicht mehr in der Gruppe lebte (Umzug in andere Einrichtung)<br />
Tab. 10 Veränderungstendenzen<br />
Die Einschätzungen der Veränderungen aus Gruppenperspektive werden von den Angaben<br />
aus der ‚Außenperspektive’ überwiegend bestätigt. Völlige Übereinstimmung gibt<br />
es in Bezug auf die Verminderung der Häufigkeit und Intensität bei sieben der oben genannten<br />
acht Verhaltensweisen (das Einkoten wird aus der Außenperspektive gar nicht<br />
als Problem genannt) und bei der unveränderten Problemlage bei Kontaktstörungen.<br />
Günstigere Verläufe werden aus der ‚Außenperspektive’ bei Häufigkeit und Intensität von<br />
Einnässen und Stereotypien und bei der Intensität von Angstzuständen und Zwangshandlungen<br />
verzeichnet. Zu Veränderungen bei problematischem Essverhalten wird keine<br />
Antwort gegeben. Die Unterschiede in der Wahrnehmung sind vermutlich durch die<br />
unterschiedliche Nähe der Gruppenmitarbeiter/innen zum Problemfeld bedingt.<br />
85
Veränderungsprozesse<br />
5.5 Fallbeispiele<br />
Parallel zur Fragebogenerhebung wurden im Rahmen von Diplomarbeiten an den Universitäten<br />
in Köln und Oldenburg Einzelfallstudien zur Situation von Bewohnerinnen und<br />
Bewohnern mit herausfordernden Verhaltensweisen durchgeführt, die in Intensivgruppen<br />
der Heilpädagogischen Heime leben.<br />
−<br />
−<br />
−<br />
TÄUBER (2004) hat die Lebenswirklichkeit von Menschen mit geistiger Behinderung<br />
und herausforderndem Verhalten unter besonderer Berücksichtigung des Umgangs<br />
mit Krisen und der Anforderungen an die Consulentenarbeit untersucht. Methodisches<br />
Vorgehen: Teilnehmende Beobachtung über einen Zeitraum von sechs Wochen<br />
mit fünf- bis achtstündigen Gruppendiensten im Rahmen eines Praktikums und<br />
Problemzentrierte Interviews mit 6 Gruppenmitarbeitern und -mitarbeiterinnen.<br />
Die Arbeit von DONAJSKI (2004) befasst sich schwerpunktmäßig mit der Frage nach<br />
dem Zusammenhang zwischen den Verhaltensauffälligkeiten einer jungen Frau und<br />
ihren Beziehungen zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ihrer Wohngruppe. Methodisches<br />
Vorgehen: Teilnehmende Beobachtungen in der Gruppe im Zeitraum von<br />
Oktober 2002 bis Juli 2003 (12 Termine mit jeweils zwei aufeinanderfolgenden Tagen,<br />
insgesamt ca. 80 Stunden im Feld) und Problemzentrierte Interviews mit 5<br />
Gruppenmitarbeitern und -mitarbeiterinnen.<br />
Im Mittelpunkt der Arbeit von BAUER (2004) stehen Veränderungen im Verhalten eines<br />
jungen Mannes nach dem Wechsel aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie in ein<br />
Heilpädagogisches Heim. Dabei wurde die Lebensgeschichte des Bewohners mit all<br />
ihren Übergängen in verschiedene Lebensbereiche und besonders die momentan<br />
vorherrschenden Lebensbedingungen ins Blickfeld gerückt. Methodisches Vorgehen:<br />
Teilnehmende Beobachtung in der Gruppe im Zeitraum von März bis August 2003<br />
(12 Termine mit jeweils zwei aufeinanderfolgenden Tagen, insgesamt ca. 80 Stunden<br />
im Feld) und Problemzentrierte Interviews mit lebensgeschichtlich bedeutsamen Personen<br />
des Bewohners (Mutter, Mitarbeiterin der Kinder- und Jugendpsychiatrie, 5<br />
Mitarbeiter/innen der beteiligten Wohngruppen).<br />
Die Ergebnisse der Untersuchungen können in den folgenden drei Fallbeispielen nur<br />
punktuell und in knapper Form zusammenfassend dargestellt werden, unter besonderer<br />
Berücksichtigung der Consulentenarbeit. Eine ausführliche Ergebnisdarstellung ist den<br />
genannten Arbeiten zu entnehmen.<br />
5.5.1 „Er musste viel Vertrauen aufbauen.“<br />
TÄUBER (2004) geht in ihrer Untersuchung u. a. der Frage nach, welchen Nutzen ein externer<br />
Berater für die Arbeit der Mitarbeiter/innen mit Menschen mit herausfordernden<br />
Verhaltensweisen hat. Im Folgenden wird beispielhaft die Entwicklung von Herrn X. im<br />
Kontext der fachlichen Unterstützung durch einen externen Berater dargestellt.<br />
Herr X. lebt in einer geschlossenen Intensivgruppe mit zwei Männern und einer Frau im<br />
Alter von 23 bis 50 Jahren zusammen. Als problematische Verhaltensweisen der vier<br />
Bewohner/innen werden fremd- und/oder selbstgefährdendes Verhalten sowie provozierendes<br />
Sozialverhalten und die Neigung zur Zerstörung von Sachen beschrieben. Zum<br />
Zeitpunkt der Erhebung arbeiteten elf Mitarbeiter/innen (incl. Einzelfallhilfen) in der<br />
Gruppe mit unterschiedlichen Stellenanteilen: sieben Erzieher, ein Heilerzieher, zwei<br />
Krankenpfleger mit heilpädagogischer Zusatzausbildung, eine Dipl.-Heilpädagogin. Die<br />
personelle Besetzung liegt in der Regel bei zwei Mitarbeitern, morgens und vormittags je<br />
nach Tagesplan der Bewohner/innen auch bei drei Mitarbeitern.<br />
86
Veränderungsprozesse<br />
Im Antragsbogen auf erweiterte Hilfe durch das Organisationsteam für Consulentenarbeit<br />
wird das Verhalten von Herrn X. als extrem zerstörerisch beschrieben. Er hat in seinem<br />
Leben verschiedene Einrichtungswechsel erlebt, auf die er keinen Einfluss hatte. Bevor<br />
er in die Wohngruppe des Heilpädagogischen Heims zog, war er nahezu völlig isoliert<br />
allein in einer Wohneinheit eines anderen Heims untergebracht. Die Mitarbeiter/innen<br />
erhofften sich durch Anmeldung von Herrn X. zum Consulentenprojekt fachliche Unterstützung.<br />
Als wichtige Ziele für Herrn X. wurden formuliert:<br />
− Anliegen und Gefühle ausdrücken lernen anstatt sie über die Zerstörung von Sachen<br />
zu signalisieren und<br />
− Grundbegriffe des Miteinanderlebens erlernen, z. B. Respekt vor anderen Personen<br />
und deren Eigentum.<br />
Im Rahmen der Consulentenarbeit konnte durch den Einsatz von mehr Personal (Einzelfallhilfen)<br />
und externer Hilfe, sowie durch erhöhte Konzentration des Personals auf Herrn<br />
X. erreicht werden, dass es ihm gegenwärtig viel besser geht als bei seinem Einzug in<br />
die Gruppe zwei Jahre zuvor. In allen Problembereichen, die bei Antragstellung vom<br />
Team beschrieben wurden, hat er sich zum Positiven hin entwickelt.<br />
Die Entwicklungen wurden weniger durch das Anwenden bestimmter Methoden bestimmt,<br />
sondern vor allem durch den gegenseitigen Aufbau von Vertrauen. Dieser Prozess<br />
wurde wesentlich durch das Wissen unterstützt, das ein externer Berater im Rahmen<br />
einer Fortbildung im Zeitraum von ca. 1,5 Jahren dem Team vermittelte. Es half den<br />
Teammitgliedern, das Verhalten des Bewohners einzuschätzen und sich mit sicherem<br />
Herangehen auf ihn einzulassen:<br />
„Wir (finden) es sehr wichtig (...), dass jemand Neutrales uns in unserer Arbeit begleitet und andere<br />
[Ideen zu; K.T.] Interventionen hat, die uns helfen. Also Möglichkeiten hat, verschiedene<br />
Ressourcen hat, uns noch mal neue Denkanstöße (zu geben); im Team mit uns zusammen und<br />
auch in der Arbeit mit den Bewohnern (...). Und eben auch da anzusetzen, wo das Team nicht<br />
mehr weiterkommt. Sei es nun bei Problemen innerhalb des Teams oder mit den Bewohnern.“<br />
(Täuber 2004)<br />
In Verlauf der Zusammenarbeit mit dem externen Berater sind die vom Team bei Antragstellung<br />
im Umgang mit einem Bewohner mit zerstörerischen Verhaltensweisen beschriebenen<br />
Gefühle von erhöhter Anspannung, von Angst, Wut und Unsicherheit und<br />
von Frustration, bei dem Bewohner nichts bewirken zu können, verschwunden. Mit dem<br />
Wandel der Emotionen hat die Handlungssicherheit und das Handlungsrepertoire des<br />
Teams zugenommen. Auf diese Weise wurden zugleich die Handlungsmöglichkeiten des<br />
Bewohners erweitert. Er wird weniger schnell begrenzt, man probiert mehr aus. Zudem<br />
könne man nun eher auf ihn eingehen, weil er Dinge vermehrt anspreche.<br />
Im Verhalten von Herrn X. sind nach Aussagen des Teams bemerkenswerte Veränderungen<br />
zu konstatieren:<br />
−<br />
−<br />
−<br />
Verhalten: Das zerstörerische Verhalten hat abgenommen bzw. ist beeinflussbar.<br />
Emotionales und/oder kognitives Begreifen: Er kann über längere Zeit zufrieden sein,<br />
sich entspannen und authentisch lachen. Er hat zwischenmenschliche Begegnungsweisen<br />
verinnerlicht und begriffen, dass er dazu gehört und dass er auch positive Sachen<br />
bewirken kann.<br />
Zusammenleben / Kontakte / Beziehungen: Er akzeptiert jetzt eher die Regeln des<br />
Miteinanderlebens, ist z. B. rücksichtsvoller und reagiert häufiger positiv auf Bitten. Er<br />
akzeptiert die Grenzen der Mitarbeiter/innen, verhält sich weniger anstrengend, zeigt<br />
mehr Respekt gegenüber anderen Menschen. Er ist hilfsbereiter, versteht zunehmend,<br />
dass Beziehungen zu anderen trotz unerwünschten Verhaltens nicht zerbrechen<br />
müssen und versteht Humor, zeigt ihn mittlerweile selbst.<br />
87
Veränderungsprozesse<br />
−<br />
−<br />
−<br />
−<br />
Selbstwahrnehmung: Er kann Empfindungen und Wünsche stärker und präziser verbal<br />
verdeutlichen. Dies signalisiert, dass er differenzierter wahrnehmen kann, was in<br />
ihm vorgeht. Er kann diese Wahrnehmungen zu äußeren Geschehnissen in Bezug<br />
setzen.<br />
Versuch der Auseinandersetzung mit sich selbst: Er bringt Ängste zum Ausdruck, indem<br />
er sie als Traum oder in Symbolen beschreibt. Hier haben emotionale Verletzungen<br />
vermutlich eine bewusstere Ebene erreicht.<br />
Vertrauen in andere und in sich selbst: “(...) er (hat) ne Menge (...) in seinem Leben<br />
erlebt, was seine Seele krankgemacht hat. Und wenn man ihn so sieht und wenn<br />
man weiß, wie er vorher war, als er bei uns angekommen ist, (...) denke ich, hat er<br />
zwar mit unserer Unterstützung, aber letzten Endes doch auch viel aus sich heraus,<br />
ist er da, wo er jetzt ist. Er musste natürlich viel Vertrauen aufbauen.“ (TÄUBER 2004)<br />
Belastbarkeit/Ausdauer: Er kann z. B. über eine längere Zeit arbeiten und sich auf<br />
Tätigkeiten konzentrieren.<br />
Rolle des externen Beraters beim Umgang mit Verhaltensproblemen<br />
Der Nutzen der externen Beratung für das Team wird in den Interviews mit Mitgliedern<br />
des Teams folgendermaßen konkretisiert (TÄUBER 2004) 22 :<br />
−<br />
−<br />
−<br />
Reflexionshilfe, Bestätigung und die Dinge beim Namen nennen<br />
Gespräche über Herrn X. haben die Unsicherheit im Umgang mit ihm gemindert und<br />
das Handlungsrepertoire erweitert. Mehr Gelassenheit und Klarheit in der Interaktion<br />
mit Herrn X. ließen die eigenen Emotionen in den Hintergrund treten zugunsten einer<br />
Offenheit, das Handeln von Herrn X. nachzuvollziehen. Bereits praktizierte Handlungsansätze<br />
wurden bestätigt und die Mitarbeiter/innen ermuntert, sich gegenseitig<br />
zu beraten. Dadurch wurde dem Team ein Zutrauen vermittelt, das es wegen der<br />
Schwierigkeit des Bewohners zunächst nicht selbst für seine Arbeit aufbringen konnte.<br />
Indem er die Geschehnisse beim Namen nennt, macht er sie erfass- und thematisierbar.<br />
Indem er die Dinge auf diese Weise ernst nimmt, gibt er dem Team die Anerkennung<br />
seiner Arbeit, die im Berufsalltag der Mitarbeiter/innen oft nicht ausreichend<br />
erfolgt. So können die Mitarbeiter/innen selbstbewusster an ihre Arbeit herantreten.<br />
Das Gefühl, ein Stück weit durch das Verständnis des Fortbildners aufgefangen zu<br />
werden, hilft dabei, sich für das schwierige Verhalten der Bewohner/innen verstehend<br />
zu öffnen und mehr Geduld und Toleranz aufzubringen.<br />
Ermuntern zum Ausprobieren<br />
Infolge von mehr Gelassenheit kann das Team neue Handlungsvorschläge zunächst<br />
einfach ausprobieren, auch ohne genauer abschätzen zu können, wie die Reaktionen<br />
des Bewohners darauf ausfallen werden. Der Externe stärkt hier dem Team durch<br />
seinen Zuspruch zum Erproben den Rücken, selbst wenn er in der Handlungssituation<br />
persönlich nicht anwesend ist. Die Mitarbeiter/innen wissen sich in der Sicherheit,<br />
dass fehlgeschlagene Versuche mit jemandem reflektiert und untersucht werden.<br />
Angstminderung<br />
Durch die solchermaßen erfolgte Angstminderung können Mitarbeiter/innen offensiv<br />
an herausforderndes Verhalten herantreten. Über den Weg von direkter Konfrontation<br />
mit den Schwierigkeiten und Belastungen des Arbeitsfelds, über Ernstnehmen und<br />
Zutrauen, hat die im Antragsbogen erwähnte Angst abgenommen, aber auch, indem<br />
den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen konkrete Techniken zum Selbstschutz vermittelt<br />
worden sind. Präzise Mittel, sich physisch abzusichern, sind notwendig, um inner-<br />
22 TÄUBER (2004) gibt einen differenzierten Überblick über die Vielfalt der in der Gruppe praktizierten Formen des<br />
Umgangs mit Verhaltensauffälligkeiten und thematisiert aufgetretene Schwierigkeiten in der Teamarbeit sowie<br />
belastende Bedingungen des Arbeitsfeldes.<br />
88
Veränderungsprozesse<br />
−<br />
−<br />
−<br />
lich Ruhe in schwierigen Situationen zu bewahren und pädagogisch zielorientiert<br />
handeln zu können.<br />
Vermittlung von konkreten Techniken<br />
Durch Vermittlung konkreter Techniken ermöglicht der Berater den Mitarbeitern und<br />
Mitarbeiterinnen mehr Flexibilität und Kreativität in schwierigen Situationen, sowie ein<br />
bewussteres und zugleich unbeschwerteres Auftreten gegenüber Bewohner/innen.<br />
So konnte eine positive Beziehung zu Herrn X. wachsen, in der nicht Angst und Aggressivität<br />
an erster Stelle stehen.<br />
Übereinstimmendes Handeln voranbringen<br />
Im Kontext einer gewachsenen Vertrauensbasis zwischen dem externen Berater und<br />
dem Team werden Empfehlungen des Beraters zu Vorgehensweisen, die auszubauen<br />
oder zu vermeiden sind, zur Abstimmung der Handlungsstrategien im Team genutzt.<br />
Handlungsansätze und Meinungen können auf diesem Weg gleichzeitig geordnet<br />
und strukturiert werden.<br />
Konzentration auf bestimmte Inhalte<br />
Im Rahmen der Fortbildungen durch einen externen Berater können problematische<br />
Sachverhalte tiefergehend und umfassend betrachtet werden. Sie ermöglichen Distanz<br />
zum unmittelbaren Handlungsdruck im Tätigkeitsfeld. Weil zudem ein anderer,<br />
nicht direkt Betroffener, die Strukturierung der Beiträge, der Gesprächsabläufe und<br />
des Fortbildungsablaufs vornimmt, können sich die Teilnehmer ganz den Inhalten<br />
widmen.<br />
Vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen mit Menschen mit herausfordernden Verhaltensweisen<br />
thematisieren die Gruppenmitarbeiter/innen in den Interviews die Chancen des<br />
Einsatzes externer Helfer i. S. der persönlichen Assistenz. Sie könnten mehr Individualität<br />
und subjektive Sinnzuschreibungen ermöglichen, Ressourcen wecken und Kompetenzen<br />
erweitern, um Krisen vorzubeugen und deren Bewältigung zu erleichtern. Beispielhaft<br />
werden folgende Aspekte genannt: Externe Helfer werden von Bewohnerinnen<br />
und Bewohnern anders wahrgenommen, weil sie nicht in die Alltagsroutinen eingebunden<br />
sind. Sie verhalten sich darum anders und können neue Seiten an sich selbst entdecken.<br />
Sie erleben den externen Helfer als eine Person, die nur für sie da ist, der Zeit für<br />
sie aufbringt mit der Konsequenz; dass sie nicht durch unerwünschtes Verhalten um<br />
Aufmerksamkeit ‚kämpfen’ müssen. Externe Helfer können individuelle Angebote für den<br />
Einzelnen machen, z. B. im Bereich der Freizeitgestaltung oder zur Anbahnung von sozialen<br />
Beziehungen zu anderen Bewohnern und Bewohnerinnen. Sie können in eingefahrene<br />
Abläufe neue Impulse, Ideen und Vorschläge einbringen oder die Förderung der<br />
Fähigkeiten und Interessen in unterschiedlichen Bereichen unterstützen.<br />
5.5.2 „Sie war einfach sehr verzweifelt.“<br />
Schwerpunkt der Untersuchung von DONAJSKI (2004) ist die Frage, welche Rolle Beziehungsaspekte<br />
bei herausfordernden Verhaltensweisen spielen. Am Beispiel von Frau Y.<br />
werden mögliche Zusammenhänge erhellt.<br />
Frau Y. lebt in einer geschlossenen Intensivgruppe mit zwei jungen Männern im Alter<br />
von 25 und 33 Jahren zusammen. Alle drei gelten als geistig behindert und haben starke<br />
Verhaltensauffälligkeiten. Die Gruppe wird von neun Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen<br />
(incl. Einzelfallhilfen) mit unterschiedlichen Stellenanteilen betreut, unterstützt durch einen<br />
Zivildienstleistenden. Alle Mitarbeiter/innen verfügen über eine Erzieherausbildung<br />
mit Ausnahme einer Dipl.-Heilpädagogin. In der Regel arbeiten jeweils zwei Mitarbeiter/innen<br />
gleichzeitig in der Gruppe, bei Personalengpässen gibt es auch Einzeldienste.<br />
Während der Nachmittage, wenn wegen der Begleitung zur Gruppenübergreifenden<br />
Förderung (GüF) mehr Personal benötigt wird, sind mehr Mitarbeiter/innen im Dienst.<br />
89
Veränderungsprozesse<br />
Frau Y. ist eine sehr selbstständige Person im Bereich der eigenen Körperpflege und im<br />
lebenspraktischen Bereich. Sie hilft bei hauswirtschaftlichen Tätigkeiten wie z. B. beim<br />
Wäsche falten, Kochen oder Einkaufen. An zwei Tagen in der Woche nimmt sie mit Einzelbegleitung<br />
stundenweise an der Gruppenübergreifenden Förderung (Güf) teil. Hier<br />
geht sie verschiedenen Beschäftigungen wie beispielsweise Garten- und Erntearbeiten<br />
nach. Außerdem erhält sie zweimal wöchentlich Physiotherapie und einmal in der Woche<br />
Ergotherapie. An einem Tag in der Woche steht Schwimmen auf dem Programm. Bis auf<br />
das Wochenende hat Frau Y. somit an jedem Tag einen festen Termin.<br />
In der Bewohnerakte von Frau Y. wird in verschiedenen Berichten neben einer tiefgreifenden<br />
Entwicklungsstörung ein frühkindlicher Hirnschaden, atypischer Autismus mit auto-<br />
und fremdaggressivem Verhalten und eine mittelschwere geistige Behinderung diagnostiziert.<br />
Im Entlassungsbericht einer psychiatrischen Klinik (2000) wird von einer organisch<br />
wahnhaften schizophrenformen Störung gesprochen. Frau Y. erhält täglich verschiedene<br />
Psychopharmaka, bei starken selbst- und fremdverletzenden Verhaltensweisen<br />
ist eine Bedarfsmedikation vorgesehen.<br />
Frau Y. stammt aus sog. schwierigen Familienverhältnissen. Nach dem Besuch eines<br />
Sonderkindergartens und einer Sonderschule wurde sie aufgrund selbst- und fremdverletzender<br />
Verhaltensweisen zuerst in ein Kinderheim, dann in eine kinder- und jugendpsychiatrische<br />
Einrichtung überwiesen. Vier Jahre verbrachte sie in dieser Einrichtung, in<br />
dieser Zeit besuchte sie drei verschiedene Sonderschulen. Im Alter von 17 Jahren wurde<br />
sie in den Heilpädagogischen Heimen aufgenommen. Nach dreimaligem Wechsel der<br />
Gruppen lebt sie seit 2000 in der genannten Intensivgruppe. Tägliche selbst- und fremdverletzende<br />
Verhaltensweisen, eine vorübergehende Einweisung in die Psychiatrie und<br />
die Notwendigkeit ständiger Fixierungen von Frau Y. belasteten in dieser Zeit den Alltag<br />
in der Intensivgruppe. Bei der Rekonstruktion der Lebensgeschichte von Frau Y. fällt ein<br />
weiteres einschneidendes Ereignis im gleichen Jahr auf. Im Dezember 2000 wird Frau Y.<br />
von ihrer Mutter besucht. Die beiden unternehmen einen Spaziergang auf dem Klinikgelände,<br />
bei dem Frau Y. ihre Mutter zu würgen versucht. Danach bricht der Kontakt ab.<br />
Mitte Februar 2001 wird für Frau Y. der Antrag zur Klärung des Bedarfs für erweiterte<br />
Hilfe beim Organisationsteam eingereicht. Als besonders problematische Verhaltensweisen<br />
werden in dem Antragsbogen „Würgen und Schlagen aus dem Hinterhalt“, ihr<br />
Waschzwang, „Beißen und Haare ziehen“ und selbstverletzende Verhaltensweisen (wie<br />
Schneiden und Stechen) aufgeführt. Die Antragstellung auf erweiterte Hilfe führte zur Erhöhung<br />
des Personalschlüssels (Einzelfallhilfen) in der Intensivgruppe. Des Weiteren<br />
wurde den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vom betreffenden Heilpädagogischen Heim<br />
ein externer Berater zur Seite gestellt. 23<br />
Die fremdgefährdenden Verhaltensweisen von Frau Y. betreffen nicht nur Mitarbeiter/innen,<br />
sondern auch fremde Personen, z. B. Passanten auf der Straße. Ein Mitarbeiter<br />
erzählt:<br />
„Sie hat mich schon angegriffen. Sie hat mich am Tisch ... Sie wollte erst streicheln am Hals.<br />
Dann hatte ich zwei Hände am Hals. Und dann dreht sie die Hand rum und packt an den Kehlkopf.“<br />
(DONAJSKI 2004)<br />
Als besonders belastend werden zudem ihre Ungeduld im Gruppenalltag, ihre permanente<br />
‚Fragerei’ und ihre Unberechenbarkeit beim Aufenthalt in fremder Umgebung erlebt.<br />
Mitarbeiter/innen berichten, dass sie bei fremdgefährdenden Verhaltensweisen<br />
Angst, Vorsicht und Hilflosigkeit empfinden. Zur Bewältigung der Situation werden persönliche<br />
Strategien eingesetzt, z. B. verbale Interventionen oder Festhalten. Bei Zuspit-<br />
23 Die Finanzierung des verbesserten Personalschlüssels wurde vom überörtlichen Sozialhilfeträger (LVR) getragen.<br />
Die externe Beratung wurde vom HPH finanziert.<br />
90
Veränderungsprozesse<br />
zung der Situation wird Frau Y. manchmal aufgefordert, das Zimmer zu verlassen. Als<br />
besonders wirkungsvoll wird konsequentes Verhalten beschrieben:<br />
„Meine Konsequenzen, meine Art und Weise sie einzugrenzen oder ihr etwas zu verbieten, gibt<br />
ihr Sicherheit. Und das braucht sie, das kommt sie morgens um halb sieben bei mir abholen.“<br />
(DONAJSKI 2004)<br />
Konkrete Absprachen zum Umgang mit Frau Y. in herausfordernden Situationen bestanden<br />
zum Zeitpunkt der Untersuchung nur punktuell. So gab es z. B. die Abmachung,<br />
Frau Y. nicht zu fixieren. Auch gegen die Einweisung in eine psychiatrische Klinik in Krisenzeiten<br />
sprachen sich die Mitarbeiter/innen aus.<br />
Im Rahmen einer Fortbildung mit einem externen Berater gewannen die Mitarbeiter/innen<br />
die Einsicht, dass das Verhalten von Frau Y. nicht als Angriff oder Aggression<br />
zu interpretieren ist sondern als Ausdruck von Angst und Anspannung und einer lebensgeschichtlich<br />
bedingten tiefgreifenden Verunsicherung:<br />
„Ich glaube, sie war einfach sehr verzweifelt. Sie war verzweifelt, dass ich ihr nicht mehr Sicherheit<br />
geben konnte.“ (DONAJSKI 2004)<br />
„Ich deute das so: Sie sucht sich eine schwache Person, um zu testen, ist diese Person fähig,<br />
mich hier zu beschützen. Sie sucht diese Sicherheit. Nicht nur die Person zu bedrängen und zu<br />
sagen: ‚Wenn ich dich jetzt habe, bin ich sicher.’ Nein, umgekehrt: ‚Bist du eigentlich die richtige<br />
Person für mich, um mich zu beschützen, wenn wir auf die Straße gehen oder irgendetwas unternehmen.’<br />
Bei mir reichen eigentlich Worte, wenn ich zu ihr sage: „Das ist alles in Ordnung,<br />
komm mit `runter, passiert nichts, ich bin bei dir, ich passe auf dich auf.“ (DONAJSKI 2004)<br />
Vor diesem Hintergrund sind die Mitarbeiter/innen bestrebt, zu Frau Y. eine Beziehung<br />
aufzubauen, die ihr ein hohes Maß an Sicherheit und Verlässlichkeit bietet. Darüber hinaus<br />
möchten sie ihr die Möglichkeit geben, neue Entwicklungen zu machen und ein möglichst<br />
selbstbestimmtes Leben zu führen.<br />
„Größtenteils erstmal nur die Sicherheit vermitteln, damit sie halt über die Sicherheit wieder andere<br />
Sachen neu dazu gewinnen kann. (...) Wenn du ihr Ruhe vermittelst, dass sie keine Ängste zu<br />
haben braucht, dann ist sie wieder frei für ihr Leben, für ihre Sache, dass sie wieder was für sich<br />
machen kann.“ (DONAJSKI 2004)<br />
„Positiv ist eben, dass sie sehr mobil ist, dass sie sich sehr gut mitteilen kann, dass sie ihre Emotionen<br />
auch äußern kann. Man erkennt sie, sie teilt sie dann auch mit. (...) Ich denke, sie ist auch<br />
bereit, Sachen aufzunehmen, neue Erfahrungen zu machen, allgemein. Sie ist eigentlich offen für<br />
das, was wir hier machen.“ (DONAJSKI 2004)<br />
Das Ziel, ein möglichst selbstbestimmtes Leben in der Intensivgruppe zu führen, wird<br />
von allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern getragen. Frau Y. werden Angebote gemacht,<br />
über deren Durchführung allein sie entscheidet. Damit einher geht das Eingehen<br />
auf Wünsche und Bedürfnisse von Frau Y. Sie hat immer die Möglichkeit, sich bei Bedarf<br />
zurückzuziehen. Auch verfügt sie über ihren eigenen Zimmerschlüssel. Sie kann in der<br />
Regel selber entscheiden, wie sie den Tag gestalten möchte. Zeiträume ohne Beschäftigung<br />
verbringt Frau Y. auf ‚ihrem’ Sofa im Wohnzimmer oder in ihrem Zimmer. Häufig<br />
füllt sie ihren Tag damit, umherzulaufen und die Mitarbeiter/innen bei ihren Tätigkeiten zu<br />
beobachten.<br />
Als weitere Interventionsmöglichkeit werden die Erweiterung der Kompetenzen von Frau<br />
Y. genannt und die Erstellung eines Tagesplans, der ihr einen Überblick und somit Sicherheit<br />
über den Tag bietet. Eine wichtige Struktur des Tages bieten die Mahlzeiten.<br />
Neben therapeutischen Angeboten werden ihr – je nach Einstellung der diensthabenden<br />
Mitarbeiter/innen - Möglichkeiten zur Beschäftigung innerhalb der Gruppe geboten, z. B.<br />
Beteiligung an hauswirtschaftlichen Tätigkeiten.<br />
91
Veränderungsprozesse<br />
Beobachtungen von Interaktionen im Gruppenalltag<br />
Im Rahmen der teilnehmenden Beobachtung im Gruppenalltag wurde deutlich, dass der<br />
Umgang mit Frau Y. große Unterschiede aufweist: Viele Mitarbeiter/innen versuchten,<br />
Frau Y.’s Bedürfnissen gerecht zu werden. Sie bemühten sich, ihr Verhalten zu verstehen<br />
und entsprechend zu agieren. Beziehungsmerkmale wie Empathie, Nähe, Sicherheit<br />
und Trost zeichneten diesen Umgang mit Frau Y. aus. Neben diesen von gegenseitiger<br />
Wertschätzung geprägten Umgangsformen, wurden auch Interaktionen beobachtet, die<br />
dem Anspruch einer gleichberechtigten respektvollen Beziehung nicht entsprachen. Der<br />
Grad der selbstbestimmten Lebensführung von Frau Y. und ihre Gleichberechtigung in<br />
der Intensivgruppe sind somit stark abhängig von den sich im Dienst befindenden Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeitern. Zu einer Mitarbeiterin besteht eine sehr enge Beziehung.<br />
Andere Mitarbeiter/innen betonen bei der Beschreibung ihrer Beziehung zu Frau Y. eher<br />
die Professionalität, die Ausklammerung der Emotionalität und den Charakter des Verhältnisses<br />
als Dienstleistung.<br />
Insgesamt ist festzustellen, dass die Qualität und Quantität der Interaktionen mit Frau Y.<br />
(und dem anderen Gruppenmitgliedern) in hohem Maß vom Verhalten und der persönlichen<br />
Haltung der Mitarbeiter/innen abhängig ist:<br />
„Mit großer Selbstverständlichkeit kommt Frau Y. der Frage von Frau D. nach, ihr bei der Vorbereitung<br />
zu helfen. Sehr selbstsicher und geschickt hantiert Frau Y. in der Küche. Sie räumt das<br />
Geschirr aus der Spülmaschine in die Schränke und beginnt danach den Teewagen einzudecken.<br />
Zwischendurch unterhält sie sich mit Frau D., die auch in der Küche beschäftigt ist. Beide<br />
arbeiteten unabhängig und harmonisch miteinander.“ (DONAJSKI 2004)<br />
Ein anderer Mitarbeiter gibt weniger Gelegenheit zur Beteiligung, z. B. bei der Zubereitung<br />
der Mahlzeiten :<br />
„Er ist vor allem damit beschäftigt, sich um das Mittagessen zu kümmern. Zwischendurch schaut<br />
er nach den Bewohnern. Die Bewohner sind mehr oder weniger sich selbst überlassen. Den<br />
größten Teil der Zeit, in der ich anwesend war, halten sie sich im Wohnzimmer auf. Frau Y. wirkt<br />
besonders angespannt. Sie knetet ihre Hände und „tanzt“ stereotyp vor ihrem Stammplatz, dem<br />
Sofa im Wohnzimmer.“ (DONAJSKI 2004)<br />
Neben den gruppeninternen Beschäftigungsangeboten besucht Frau Y. mittlerweile<br />
dreimal in der Woche den Gruppenübergreifenden Förderbereich. Am Nachmittag fährt<br />
sie zusammen mit zwei Mitarbeitern in den ca. 20 km entfernten Ort, an dem sie vor allem<br />
landwirtschaftlichen Tätigkeiten nachgeht.<br />
„Sie arbeitet recht schnell, fegt den Weg. Im Laufe der Zeit unterbricht sie allerdings immer wieder<br />
die Arbeit. In diesen Pausen setzt sie sich hin, trinkt oder isst etwas oder schaut einfach in die<br />
Gegend. Wieder und wieder wird sie von Herrn F. freundlich, aber bestimmt, aufgefordert weiterzumachen.<br />
Pausen werden ihr durchaus zugestanden.“ (DONAJSKI 2004)<br />
Neben den fremdgefährdenden Übergriffen von Frau Y. wirkt sich ihre permanente Unsicherheit<br />
im Gruppenalltag, die sich durch ständiges Fragen bemerkbar macht, belastend<br />
auf die Mitarbeiter/innen aus. Immer wieder fragt sie nach dem Ablauf des Tages. Unzureichende<br />
und unsichere Antworten führen zu einer Steigerung ihrer Anspannung, was<br />
problematisches Verhalten zur Folge haben kann:<br />
„Die Mitarbeiterin Frau I. überlegt. Sie ist sich nicht sicher, gibt die falsche Antwort. Dann berichtigt<br />
sie sich und verstärkt so die von mir gestiftete Unsicherheit. Frau Y. wird immer unruhiger.<br />
Frau I. sagt dann kurz entschlossen, dass Frau Y. heute hier bleibt und nicht „zu den Hühnern“<br />
fährt. Frau Y. wiederholt diese Aussage immer wieder: „Du bleibst heute hier. Nicht zu den Hühnern.“<br />
Scheinbar ist sie damit nicht zufrieden. Wieder und wieder stellt sie die gleiche Frage.<br />
Dann wiederholt sie stereotyp die Antwort von Frau I., um erneut zu fragen. Frau I. verliert langsam<br />
die Geduld, wird lauter und bestimmter. Sie versucht Frau Y. ins Wohnzimmer zu schicken.<br />
Frau Y. reagiert allerdings nicht. Sie fragt immer wieder und wiederholt die Antwort. Deutlich ist<br />
92
Veränderungsprozesse<br />
zu merken, dass die Situation sowohl für Frau I. als auch für Frau Y. immer unerträglicher wird.<br />
Beide sind deutlich aufgeregt und verkrampft, vielleicht auch mit der Situation überfordert. (...)<br />
Einige Zeit später stellt sich heraus, dass Frau Y. doch zur GüF fährt. Frau Y. fragt auch jetzt immer<br />
wieder. Insgesamt aber scheint sie mit dieser neuen Entscheidung zufriedener und ruhiger<br />
zu sein.“ (DONAJSKI 2004)<br />
Weitere Gründe für die innere Anspannung von Frau Y. können Konflikte mit Mitarbeiter/innen<br />
sein. Darüber hinaus wirken sich Personalengpässe aufgrund von Krankheit<br />
und Urlaub negativ auf die Gruppenatmosphäre aus und können nicht nur bei Frau Y<br />
sondern auch bei ihren beiden Mitbewohnern Verhaltensprobleme provozieren:<br />
„Die Stimmung in der Gruppe ist während des weiteren Vormittags sehr angespannt. Ein Mitarbeiterengpass<br />
durch Urlaub und Krankheit von fünf Mitarbeitern führt dazu, dass die übrig gebliebenen<br />
Mitarbeiter diese Stunden abdecken müssen und somit oft und manchmal auch alleine im<br />
Dienst sind. An diesem Vormittag kommt ein weiteres ‚Problem’ dazu. Herr B. schlug nach Frau<br />
R. und sorgt somit für weitere Aufregung.“ (DONAJSKI 2004)<br />
Im Rahmen der Beobachtungen konnten einige herausfordernde Situationen zwischen<br />
Frau Y. und verschiedenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beobachtet werden:<br />
„Frau Y. geht trotzdem schnurstracks auf Frau P. (Mitarbeiterin aus der Nachbargruppe) zu und<br />
versucht mit beiden Händen an ihren Hals zu gelangen. Frau P. wehrt sich und versucht sich aus<br />
dem Griff zu lösen. Verbal unterstützt sie ihre Handlungen, indem sie Frau Y. auffordert, aufzuhören.<br />
Die anderen Mitarbeiter stehen unmittelbar neben dem Geschehen. Sie beobachten die Situation<br />
und sind bereit, jederzeit einzugreifen. Frau P. schafft es sich eigenständig aus dem Griff<br />
zu lösen und schickt Frau Y. aus der Küche.“ (DONAJSKI 2004)<br />
Es wird berichtet, dass Frau Y. immer besser in der Lage ist, für sie problematische Situationen<br />
selber zu bewältigen. Ihre persönliche Bewältigungsstrategie ist der Rückzug:<br />
„Dann schließlich steht sie auf, löst sich aus der Situation und setzt sich auf ihren Stammplatz im<br />
Sofa. Daraufhin wird sie von der Frau F., die sich mit uns im Raum befindet und die Situation beobachtet,<br />
sehr für dieses Verhalten gelobt. Im Anschluss betont Frau F., dass Frau Y. in Bezug<br />
auf ihr Problemverhalten eine positive Entwicklung gemacht hätte. Sie sei schon oft in der Lage,<br />
sich aus Situationen zu lösen, die ihr Probleme machen.“ (DONAJSKI 2004)<br />
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Frage nach einem Zusammenhang zwischen<br />
den Verhaltensauffälligkeiten von Frau Y. und den Beziehungen in der Wohngruppe<br />
eindeutig bejaht werden kann. Die bestehenden Unterschiede in den Beziehungen<br />
zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wirken sich mit großer Wahrscheinlichkeit<br />
nicht nur auf die Lebenssituation von Frau Y., sondern auch auf das Auftreten der Verhaltensauffälligkeiten<br />
aus. Die Verhaltensauffälligkeiten können aber nicht monokausal<br />
mit einer Störung des Verhältnisses zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erklärt<br />
werden. Weitere Erklärungsansätze – z. B. die Auseinandersetzung mit ihrer Lebensgeschichte,<br />
die Abklärung einer psychischen Erkrankung und auch entwicklungspsychologische<br />
Aspekte - müssen Berücksichtigung finden. Der Aufbau einer verlässlichen und<br />
tragfähigen Beziehung kann dennoch als Schlüssel zu einer verbesserten Lebens- und<br />
Betreuungssituation in der Intensivgruppe gesehen werden, da hier alle genannten Erklärungsansätze<br />
einbezogen werden.<br />
Die Arbeit des Consulententeams wird als sehr hilfreich eingeschätzt, vor allem die Erhöhung<br />
des Personalschlüssels und der Einsatz von externen Beratern und Fortbildungen.<br />
Dadurch sind im Team wesentliche Veränderungen in Gang gekommen:<br />
„Wir sind davon weg, Bewohner zu bewachen, sondern wir gestalten jetzt Leben. Früher war es<br />
auch eher Bewachen und Unterbringen, und jetzt ist es Wohnen, Leben, Freizeit. (...) Sehr positiv<br />
für Mitarbeiter wie für Bewohner. (DONAJSKI 2004)<br />
„Ich denke, dass durch die Consulentenarbeit überhaupt sehr viele Sachen möglich gemacht<br />
worden sind. Y. braucht jemanden, der diese Situationen mit ihr durchsteht, und jemanden, der<br />
93
Veränderungsprozesse<br />
sie in diesen Situationen lenkt oder der ihr Situationen verschafft, in denen sie positive Gegenerfahrung<br />
macht. (...) Ich denke, sie hätte die Möglichkeit nicht ohne Consulentenstellen, (...) weil<br />
dann kein Personal da wäre und die Zeit dazu hätte.“ (DONAJSKI 2004)<br />
Für das Wohlbefinden von Frau Y. sind ein überschaubarer, klar strukturierter und verlässlicher<br />
Tagesablauf und Sinn stiftende Beschäftigungen im Gruppenalltag von besonderer<br />
Bedeutung. Eine kontinuierliche Auseinandersetzung der Mitarbeiter/innen mit der<br />
eigenen Haltung und Arbeitsweise ist ebenso vonnöten wie Absprachen zum Umgang<br />
mit den Verhaltensauffälligkeiten von Frau Y. Klare Handlungsstrategien bieten nicht nur<br />
der Bewohnerin Sicherheit und Zuverlässigkeit, sondern auch den Team. Die Mitarbeiter/innen<br />
der Intensivgruppe verfügen über ein hohes Maß an Engagement und Bereitschaft,<br />
sich auf neue Ideen und Wege im Umgang mit den Bewohnerinnen und Bewohnern<br />
der Intensivgruppe einzulassen. Trotz der derzeitigen positiv zu bewertenden Situation<br />
kann von einer nach wie vor hohen Belastung der Mitarbeiter/innen ausgegangen<br />
werden, die kontinuierlich weitere fachliche Unterstützung erfordert.<br />
5.5.3 „Hier ist er in der Gemeinschaft mit drin.“<br />
BAUER (2004) beleuchtet in ihrer Untersuchung vor allem den Zusammenhang zwischen<br />
deprivierenden lebensgeschichtlichen Erfahrungen und problematischen Verhaltensweisen.<br />
Am Beispiel von Herrn Z. wird aufgezeigt, wie durch gezielte fachliche Unterstützung<br />
auch bei extrem festgefahrenen Verhaltensweisen Veränderungen erzielt werden<br />
können.<br />
Herr Z. lebt in einer Intensivgruppe mit insgesamt vier Bewohnern im Alter von 18 bis 52<br />
Jahren. Alle haben eine geistige Behinderung unterschiedlicher Ausprägung und haben<br />
in ihrem Leben wegen nicht tragbaren Verhaltens sehr häufig die Einrichtungen gewechselt.<br />
Diese Lebensgeschichte hat sie geprägt. Zu Beginn der Untersuchung arbeiteten in<br />
der Gruppe 15, später 14 Mitarbeiter/innen (incl. Einzelfallhilfen) mit unterschiedlichen<br />
Stellenanteilen: Sieben Erzieher, zwei Heilpädagogen, eine Dipl.-Heilpädagogin, zwei<br />
Kinderkrankenschwestern und zwei Heilerziehungspfleger. Einige Mitarbeiter/innen haben<br />
zusätzliche Qualifikationen, z. B. als systemischer Berater oder Therapeut. Durchschnittlich<br />
sind vier Mitarbeiter/innen im Früh- und drei im Spätdienst tätig.<br />
Zum Zeitpunkt der Untersuchung war Herr Z. 18 Jahre alt. Seine geistige Behinderung<br />
ist auf einen frühkindlichen Hirnschaden zurückzuführen. Eine aktive Sprachentwicklung<br />
blieb Herrn Z. aus. Allerdings macht er den Eindruck, dass er sehr viel von dem versteht,<br />
was man ihm sagt. Herr Z. hat seine eigene Art, sich mitzuteilen. Als besondere Stärke<br />
beschreiben die Mitarbeiter/innen seine Neugierde, seine Lernfähigkeit und Wissbegierde,<br />
seinen Charme und sein positives soziales Kontaktverhalten.<br />
Bis zu seinem 16. Lebensjahr lebte Herr Z. in seiner Familie. In seiner Kindheit traten nur<br />
vereinzelt selbstverletzende Verhaltensweisen bei ihm auf, was sich in der Pubertät stetig<br />
verschlimmerte und zu den verschiedensten Verhaltensauffälligkeiten führte. Aufgrund<br />
fehlender Unterstützung von außen fühlte sich die Mutter, besonders als Herr Z.<br />
aus der Schule entlassen wurde und den ganzen Tag isoliert zu Hause verbrachte, sehr<br />
überfordert. Daher wurde Herr Z. in kritischen Situationen, z. B. bei starken Selbstverletzungen<br />
oder heftigeren Fremdaggressionen, oftmals in sein Zimmer geschickt oder fixiert.<br />
Die Mutter erinnert sich:<br />
„Nur wenn er ganz, ganz doll gefährdet war. Wenn er mit dem Kopf zu doll gegen die Wand hauen<br />
wollte oder gegen die Heizung. Wir hatten auch schon Situationen, dass das Blut nur so gespritzt<br />
hat. Und das muss ja nicht sein. Das tut mir ja auch weh.“ (BAUER 2004)<br />
Als sein Verhalten für die Familie nicht mehr tragbar war, kam es zu einer Aufnahme in<br />
eine Einrichtung der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Dort wurden ihm – nach Aussagen<br />
der Mutter - kaum spezielle Beschäftigungen oder Therapien geboten. Zur Ablenkung<br />
94
Veränderungsprozesse<br />
oder Beruhigung konnte er längere Zeit des Tages seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen:<br />
Videos anschauen. Eine Mitarbeiterin der Klinik mit körperpsychotherapeutischer<br />
Ausbildung stellt rückblickend fest:<br />
„Ich hätte mir eine Menge vorstellen können, aber da reichen meine Stunden nicht. Und wenn<br />
dann nicht mehr Stationsmitarbeiter da sind, die so was gemacht hätten, dann geht es einfach<br />
nicht.“ (BAUER 2004)<br />
Auf auffällige Verhaltensweisen wurde mit unterschiedlichen Methoden reagiert, unter<br />
anderem auch mit Isolierung und Fixierung:<br />
„Da haben wir wahlweise entweder ganz klar ignorierend drauf reagiert oder eben sanktionierend:<br />
„Also hier vor den Kopf knallen, das stört die anderen und das wird außerdem laut, dann geh mal<br />
in dein Zimmer.“ Oder ich habe schon mehrfach auch paradox drauf reagiert, dass ich ihn aufgefordert<br />
habe, das zu steigern. Das funktionierte ganz gut, weil das eben interaktionsbezogen war.<br />
Ich habe das gelegentlich auch mal gespiegelt, das ist ihm ganz unangenehm gewesen. Das hat<br />
sein Verhalten auch gezeigt. Das hat ihn ziemlich irritiert und er hat es dann eingestellt. [...]<br />
I: Haben Sie ihn auch fixiert?<br />
Das haben wir nur in äußersten Notfällen getan oder auch mehr aus Gründen medizinischer Versorgung,<br />
weil ihn das natürlich so beengt und beeinträchtigt hat oder er geriet dann schon deswegen<br />
in einen Ausnahmezustand, weil er fixiert war. Das war keine Lösung, war aber auch nicht<br />
nötig, weil er in der Regel eine Isolierung akzeptiert hat. Nur gegen Ende sah das anders aus.“<br />
(BAUER 2004)<br />
Die Mitarbeiter/innen der Gruppe, in der er heute lebt, schildern dies etwas drastischer:<br />
„Also es wurde berichtet, dass Z. in erregten Zuständen oder Unruhezuständen separiert, also<br />
eingeschlossen wurde in seinem Zimmer. (...) Dann wurde berichtet, dass er in Phasen größerer<br />
Erregung oder Unruhe, also in Phasen starker Selbstverletzung, vollfixiert wurde. (...) Diese Phasen<br />
dauerten dann, wenn ich mich recht erinnere, zwischen einer halben und einer anderthalben<br />
Stunde.“ (BAUER 2004)<br />
Seine Verhaltensauffälligkeiten nahmen kontinuierlich zu. Nach fast zwei Jahren war es<br />
den Eltern möglich, einen Heimplatz für Herrn Z. in einer Außenwohngruppe eines Heilpädagogischen<br />
Heimes zu bekommen, wo hauptsächlich Menschen mit schwerster Behinderung<br />
und hohem Pflegebedarf lebten. Zur intensiven Betreuung von Herrn Z. wurden<br />
mehrere zusätzliche Mitarbeiter/innen eingestellt. Trotz anfänglicher erheblicher<br />
Schwierigkeiten nahmen die täglich sehr häufig auftretenden auffälligen Verhaltensweisen<br />
etwas ab. Wegen schwerer Verletzung eines Mitbewohners musste er die Gruppe<br />
allerdings nach kurzer Zeit wieder verlassen. Seitdem lebt er in der Intensivgruppe. Die<br />
für Herrn Z. eingestellten Mitarbeiter/innen wechselten gemeinsam mit ihm in die Intensivgruppe,<br />
wodurch ihm ein guter Start in der neuen Gruppe ermöglicht wurde.<br />
Nach wie vor gehören Selbstverletzungen zu den problematischsten Verhaltensweisen<br />
von Herrn Z.:<br />
„Also schon massive Formen von Selbstverletzung, so dass er z. B. seinen Kopf, seine Stirn,<br />
dann auch wirklich in Zuständen größerer Erregung, auf Gegenstände oder gegen Türkanten o-<br />
der Tischecken oder Fußenden seines Bettes oder von Fensterbänken schlägt, so dass er sich<br />
dann auch wirklich massiver selber verletzen kann. Dem geht meistens voraus eine Phase angedeuteter<br />
Selbstverletzung, dann eine Phase einer provokativ- spielerischen Selbstverletzung bis<br />
hin zu sehr harten Schlägen, die er selber so gegen seinen Kopf führt mit der flachen Hand oder<br />
mit der Faust, er sich auch am Körper selber schlägt.“ (BAUER 2004)<br />
Nach Aussagen der Mitarbeiter/innen gibt es eine Vielzahl von Faktoren, die das Auftreten<br />
der Verhaltensauffälligkeiten bedingen, z. B. Ungeduld, Anforderungen, Überforderung<br />
oder Unterforderung. Sie dienen teilweise auch als Mittel zur Durchsetzung seiner<br />
Interessen, zur Vermeidung von unangenehmen Situationen, in unbekannten Situationen,<br />
bei höherem Lärmpegel in der Gruppe und bei körperlichem Unbehagen.<br />
95
Veränderungsprozesse<br />
Für eskalierende Situationen gibt es Absprachen im Team. Auf Fixierung wird seit Aufnahme<br />
in die Intensivgruppe gänzlich verzichtet. Im Extremfall wird mit Time-Out reagiert:<br />
„‚Time- Out’ ist ja auch immer eine Sanktion. Wenn Z. zum Beispiel beim Essen anfängt, sich<br />
wüst zu schlagen oder einen von uns zu schlagen, dann kriegt er ‚Time- Out’, dann muss er also<br />
raus, in sein Zimmer zum Beispiel und darf dann da in Anführungszeichen weiterwüten. Aber<br />
nicht mehr vor Publikum. Das zeigt sehr schnell Wirkung.“ (BAUER 2004)<br />
Im Zeitraum der Untersuchung bekam Herr Z. oftmals einen Overall an, um zu verhindern,<br />
dass er seine Windeln isst. Er erhält eine sedierende Medikation, die sich seit seiner<br />
Aufnahme nicht geändert hat.<br />
Bei der Gestaltung des Alltags orientieren sich die Mitarbeiter/innen an den Bedürfnissen,<br />
Fähigkeiten und Interessen der Bewohner/innen. Für jeden wird eine spezielle Einzelkonzeption<br />
ausgearbeitet, die eine gesamte Tagesstrukturierung beinhaltet. Herr Z.<br />
liebt Spaziergänge und Snoezelen. Andere Aktivitäten mussten teilweise abgebrochen<br />
werden, weil sie ihn überforderten. In der freien Zeit geht er seinen Lieblingsbeschäftigungen<br />
nach: Video schauen, Musik hören und Schaukeln. Nach und nach wird er an<br />
Haushalttätigkeiten herangeführt, z. B. mit einem Mitarbeiter Müllsäcke und Wäschebeutel<br />
wegzubringen. Wo immer möglich wird versucht, seine Selbstständigkeit zu fördern<br />
und ihm Möglichkeiten zur Selbstbestimmung einzuräumen. Die Beziehung zwischen<br />
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und Herrn Z. ist überwiegend durch Wohlwollen<br />
und Respekt geprägt.<br />
Insgesamt scheint sich Herr Z. in der neuen Gruppe sehr wohl zu fühlen:<br />
„(...) was wir auch so an Gefühlsäußerungen von ihm sehen können, dass er z.B. auch lacht und<br />
dass er lächelt, dass er freudig Kontakt sucht und dass er in sich versunken schaukelt. Lauter<br />
Dinge, die man ja dahin beantworten könnte, dass er sich schon relativ wohlfühlt und dass er seine<br />
neue Umgebung doch relativ annehmen kann. [...] Aber Verständigung im herkömmlichen<br />
Sinne ist mit ihm nicht möglich, so dass man also ständig, wenn man rückschließen will auf seine<br />
Empfindlichkeit, angewiesen ist auf eine Interpretation. Ich persönlich würde sagen er fühlt sich<br />
wohl.“ (BAUER 2004)<br />
„Er merkt, hier ist ein anderes Leben, ein Leben, was ich einfach genießen kann (...) Wenn wir<br />
das mal so verfolgen, wie sein Leben so jetzt bisher war, dann war es ja kein schönes Leben. Er<br />
war eingeschränkt, er war im Zimmer, er war fixiert. (...) In U., da waren Bewohner oder Patienten,<br />
die ja teilweise aus dem Haus gingen. Er war dann, denke ich, schon alleine. Ein bisschen<br />
Musik. So war quasi das Leben, das er vorher hatte. Aber hier ist er in der Gemeinschaft mit drin.<br />
Er merkt eben, dass es noch ein anderes Leben gibt, das ihm auch gefällt.“ (BAUER 2004)<br />
Grundlegende Voraussetzung für das Gelingen der Arbeit mit Herrn Z. ist die Qualität der<br />
Zusammenarbeit im Team:<br />
„Wir haben einen sehr regen, sehr lebendigen, sehr guten, sehr wertschätzenden Austausch<br />
ständig im Team. Das ist eine ganz wichtige Voraussetzung, um so schwierige Leute überhaupt<br />
betreuen zu können.“ (BAUER 2004)<br />
Regelmäßige Beratungen, Fortbildungen und Supervision unterstützen den adäquaten<br />
Umgang mit Herrn Z. Im Zeitraum der Untersuchung sind die auffälligen Verhaltensweisen<br />
deutlich zurück gegangen:<br />
„Ich denke mal, wir haben mindestens 50% gelöscht von Selbstverletzung, Fremdverletzung, Aggression<br />
gegen Sachen. [...]Wir haben eine ganz, ganz deutliche Reduktion der Symptomatik.<br />
Das kann man mit Sicherheit sagen. Die Symptomatik ist gleich geblieben, auch in der Massivität<br />
der Selbstverletzung oder der Aggressivität, aber die Häufigkeit hat sich drastisch reduziert. Was<br />
ja auch mit der Steuerung zu tun hat. Wenn die ganze Interaktion sich ändert, kommen ja andere<br />
kommunikative Abläufe an die Stelle des Symptoms, während das Symptom selber in seiner<br />
Struktur sich natürlich nur sehr beharrlich der Veränderung beugt. Wenn ich dazu neige, mich<br />
96
Veränderungsprozesse<br />
selber zu verletzen, dann dauert es sehr lange, bis ich lerne mich in einer Weise selbst zu stimulieren,<br />
die nicht mehr selbstverletzend ist. Aber längst vorher habe ich aufgehört das so oft zu tun<br />
wie vorher.“ (BAUER 2004)<br />
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die bedürfnisorientierte Gestaltung von Herrn<br />
Z.’s Alltag als wichtiger Bedingungsfaktor für die Veränderungen angesehen werden.<br />
Diese gestattete ihm, sowohl seinen Lieblingsbeschäftigungen wie Video schauen und<br />
Musik hören nachzugehen, als auch Angebote wie Snoezelen und Spazieren gehen<br />
wahrzunehmen. Die Wohnbedingungen wie das eigene Zimmer, der Gemeinschaftsraum<br />
und der Garten entsprechen größtenteils Herrn Z.s Bedürfnissen. Das Selbstständigkeitstraining<br />
half ihm, bei alltäglichen Handlungen wie Essen, Toilettengang und Körperpflege<br />
ein wenig eigenständiger und unabhängiger zu werden, wobei auf sein eigenes<br />
Entwicklungstempo Rücksicht genommen wurde. Die Mitarbeiter/innen achteten sehr<br />
darauf, ihn dabei zu fördern, aber nicht zu überfordern. Ebenso wurde er langsam an<br />
Aufgaben in der Gruppe herangeführt, z. B. Wäsche oder Müllentsorgung. Entscheidende<br />
Wirkung hatten auch die speziellen Konsequenzen, die im Falle von Verhaltensauffälligkeiten<br />
bei Herrn Z. eingesetzt wurden (z. B. Time- Out), und der Verzicht auf Fixierungsmaßnahmen.<br />
Von besonderer Bedeutung war die Erhöhung des Personalschlüssels (Einzelfallhilfen),<br />
die Qualifikation der Mitarbeiter/innen sowie die fachliche Begleitung durch regelmäßige<br />
Teamgespräche und Supervision und die Möglichkeit, an Fortbildungsmaßnahmen teilnehmen<br />
zu können. Die Mitarbeiter/innen sind sicher, dass sich die positive Entwicklung<br />
von Herrn Z. auch in Zukunft fortsetzen wird.<br />
5.6 Aktuelles Verhalten<br />
13 Bewohner/innen weisen nach Aussage des Gruppenpersonals zum Zeitpunkt der Befragung<br />
weitere problematische Verhaltensweisen auf, die zum großen Teil mehrmals<br />
täglich auftreten und überwiegend von starker Intensität sind. Bei fünf Personen werden<br />
verbale Aggressionen genannt, bei dreien Stereotypien („spricht fortlaufend“, „Zähneknirschen“).<br />
Bei je zwei Personen sind Verhaltensweisen wie Hyperaktivität („motorisch<br />
extrem unruhig“, „unkonzentriert, wippt heftig hin und her“), Fremdgefährdung und Sachbeschädigung<br />
zu beobachten. Jeweils einmal werden Selbstverletzung, Schreien, Einnässen<br />
(nachts), problematisches Essverhalten („schlingt und stopft“), Distanzlosigkeit,<br />
Depressionen und Zwangshandlung („läuft nackt im Wohnbereich herum“) genannt. Ein<br />
Bewohner gilt infolge einer psychischen Erkrankung als suizidgefährdet; eine Verlegung<br />
in eine psychiatrische Klinik ist geplant. Mehrfachnennungen waren möglich.<br />
Für fünf Bewohner/innen wird für die aktuell genannten Verhaltensweisen eine erneute<br />
Unterstützung durch das Orga-Team gewünscht, bei sechs Personen wird dies für nicht<br />
notwendig gehalten. Sechsmal gab es keine Antwort auf die Frage einer erneuten Unterstützung<br />
durch das Orga-Team. Es kann vermutet werden, dass durch die intensive<br />
fachlich begleitete Auseinandersetzung mit der Problemlage und durch positive Erfahrungen<br />
beim Erproben neuer Wege die Qualifikation des Gruppenpersonals erweitert<br />
und der Grundstein für eigenständiges Erarbeiten von Problemlösungen geschaffen<br />
wurde.<br />
Bei über der Hälfte der in die Untersuchung einbezogenen Bewohner/innen sind nach<br />
Aussagen des Gruppenpersonals seit der Antragstellung starke Änderungen in Bezug<br />
auf positive Verhaltensanteile eingetreten (Abb. 46). Nur bei einer Person wird die Änderung<br />
als gering betrachtet, bei einer weiteren zeigte sich keine Änderung, das Verhalten<br />
habe sich sogar verschlechtert. Zweimal wurden keine Angaben zu dieser Frage gemacht,<br />
da die Betreffenden sich nicht mehr in der Einrichtung befinden.<br />
97
Veränderungsprozesse<br />
Entwicklung positiver Verhaltensweisen seit Antragstellung, n=17<br />
Anzahl der Personen<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0<br />
2<br />
starke<br />
Änderung<br />
7<br />
deutliche<br />
Änderung<br />
4<br />
mittelgradige<br />
Änderung<br />
1 1<br />
geringe<br />
Änderung<br />
keine<br />
Änderung<br />
2<br />
missing<br />
Abb. 46 Entwicklung positiver Verhaltensweisen seit Antragstellung<br />
Eine grob strukturierte Zusammenstellung der positiven Verhaltensweisen bzw. neue<br />
Fähigkeiten, die in diesem Zusammenhang von den Befragten (n = 45) genannt werden,<br />
belegt die Vielfalt der individuell jeweils unterschiedlichen positiven Effekte der Consulentenarbeit:<br />
Lebenspraktische Fähigkeiten<br />
− Mehr Selbstständigkeit<br />
− Mehr Wachheit und Aktivität<br />
− Ruhig am Tisch sitzen<br />
− Beteiligung an hauswirtschaftlichen Tätigkeiten<br />
− Umgang mit Gartenwerkzeugen<br />
− Stärkere Akzeptanz von Beschäftigungs- und Freizeitangeboten<br />
− Kulturangemessenes Verhalten (Kleidung anlassen)<br />
Kognitive Fähigkeiten<br />
− Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit<br />
− Ausdruck von Bedürfnissen/Wünschen/Interessen durch Gesten<br />
− Erweiterung des Wortschatzes<br />
− Sprachlicher Ausdruck von Gefühlen<br />
− höhere Konzentrationsfähigkeit<br />
− ausbaufähige Grundlagen bei allen Kulturtechniken<br />
− Reflexionsvermögen<br />
− Eigeneinschätzung aggressiven Verhaltens<br />
− Selbstinstruktionen<br />
− Größere Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Situationen<br />
− Akzeptanz der Lebenssituation (manchmal)<br />
− Gedankliches Einlassen auf eine Wohnortveränderung<br />
Sozialverhalten<br />
− Verbesserung der Beziehungsfähigkeit<br />
− Offene Körpersprache<br />
− Auf Ansprache reagieren<br />
− Zuhören können<br />
− Mehr kommunikatives Verständnis<br />
− Mehr Kontakt und Beziehungen zu Mitarbeitern<br />
− Mehr Bereitschaft, sich anfassen zu lassen<br />
− Akzeptanz persönlicher Zuwendung<br />
− Zulassen neuer Bezugspersonen<br />
− Aktivere Teilnahme am Gruppenleben<br />
98
Veränderungsprozesse<br />
− Mehr Akzeptanz von Mitbewohnern<br />
− Akzeptanz Nähe-Distanz-Bedürfnis anderer<br />
− Mehr Kontaktbereitschaft<br />
− Aktive Kontaktaufnahme zu Mitbewohnern<br />
− Selbstständige Kontaktaufnahme mit Bewohnern anderer Gruppen<br />
− Hilfsbereitschaft<br />
− Rücksicht<br />
− Besserer Umgang<br />
− Einhalten von Vereinbarungen/Absprachen<br />
− Akzeptieren von Regeln<br />
− Motivation, sich auf konfrontative Situationen einzulassen<br />
− Stärker angepasstes Verhalten<br />
Emotionalität<br />
− Mehr Offenheit<br />
− Mehr Vertrauen<br />
− Mehr Geduld<br />
− Realistischere Selbsteinschätzung<br />
− Langsames Einlassen auf unbekannte bzw. Angstbesetzte Situationen<br />
− Bereitschaft zur Annahme von Anforderungen<br />
− Höhere Frustrationstoleranz<br />
− Bereitschaft, sich in kritischen Situationen ablenken zu lassen<br />
− Erhöhte psychische Belastbarkeit<br />
Der Blick auf die positiven Verhaltensanteile der Bewohner/innen wirkt einer einseitig defizitorientierten<br />
Wahrnehmung ihrer Persönlichkeit entgegen und bietet Ansatzpunkte für<br />
die weitere Arbeit. In vielen Fällen konnte das Verhältnis zwischen Bewohner und Mitarbeiter<br />
verbessert werden. Neue Zugangs- und Kommunikationsmöglichkeiten sowie die<br />
Reflexion und ggf. Modifizierung von Einstellungen und Anforderungen gegenüber dem<br />
einzelnen Bewohner bzw. der Bewohnerin eröffnen neue Wege der Begegnung - als Basis<br />
für eine befriedigendere Interaktion.<br />
99
Bewertung der Consulentenarbeit<br />
6 Bewertung der Consulentenarbeit<br />
6.1 Erfahrungen des Orga-Teams<br />
Zur Einschätzung der Consulentenarbeit nach zweijähriger Tätigkeit wurde im August<br />
2003 ein Gruppeninterview mit den drei Mitgliedern des Orga-Team durchgeführt<br />
(SCHOßMEIER 2004). Schwerpunkte des Interviews war der theoretische Ansatz der Arbeit<br />
des Orga-Teams, die Kooperation mit den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, Auswirkungen<br />
auf die Bewohner/innen sowie eine kritische Einschätzung der Consulentenarbeit in<br />
den ersten zwei Jahren.<br />
Handlungsansatz<br />
Das Orga-Team vertritt in seiner Arbeit einen lebensweltbezogenen Ansatz: Der Bewohner<br />
wird nicht als isoliertes Individuum, sondern im Austausch mit seiner Umwelt gesehen:<br />
„Wir gucken sehr stark nach den Bedürfnissen des Bewohners - emotionale Bedürfnisse, Bedürfnisse<br />
nach Zuwendung und Aufmerksamkeit – und fragen: Können die eigentlich in dem Setting<br />
in dem er lebt, entsprechend befriedigt werden oder ist da vielleicht ein Mangel, wo man dran arbeiten<br />
muss.“ (SCHOßMEIER 2004)<br />
Zielsetzung ist, Bewegung in die Situation zu bringen und festgefahrene Handlungsmuster<br />
aufzubrechen:<br />
„Meistens ist es so wie in den Niederlanden, dass es der entgegengesetzte Pol ist. Also wenn<br />
eine Einrichtung sich ausschließlich an den emotionalen Bedürfnissen von Bewohnern orientiert,<br />
dann kann es sinnvoll sein, einen Verhaltenstherapeuten hinzuschicken. Aber es kann genau so<br />
gut sinnvoll sein, in einer Wohngruppe, die eher Wert legt auf Regeln und Struktur legt, einen<br />
Gestalttherapeuten hinzuschicken, der sich anguckt, was die individuellen Bedürfnisse des Bewohners<br />
sind.“ (SCHOßMEIER 2004)<br />
Die unterstützenden Consulenten kommen aus unterschiedlichen Berufsfeldern (Psychiater,<br />
Psychologen, Therapeuten, Pädagogen u. a.). Ihre Aufgabe ist nicht allein die Arbeit<br />
mit dem betreffenden Bewohner, sondern auch die Fortbildung des Teams. Nicht<br />
immer gelingt es, einen geeigneten Experten zu finden, der kurzfristig einsetzbar ist. Nur<br />
wenige Fachkräfte sind für eine psychotherapeutische Begleitung von Menschen mit<br />
geistiger Behinderung qualifiziert und verfügen über entsprechende Berufserfahrung.<br />
Motivation zur Umsetzung der Maßnahmen<br />
Bei der Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen gab es unterschiedliche Erfahrungen.<br />
Einige Mitarbeitende nahmen die externe Hilfe bereitwillig an und empfanden sie<br />
als konstruktiv für ihre eigene Arbeit. Andere erlebten die Unterstützung durch das Orga-<br />
Team eher als Einmischung und Bevormundung, teilweise bedingt durch negative Vorerfahrungen.<br />
Vorschläge von externen Beratern wurden nicht immer angenommen, die<br />
Umsetzung erschien unter den gegebenen Bedingungen kaum möglich.<br />
Manche Mitarbeiter/innen sahen sich in die Offensive gedrängt, da sie trotz aller Bemühungen<br />
nicht mit dem Bewohner oder der Bewohnerin zurecht kamen und erneut um Unterstützung<br />
bitten mussten.<br />
„Manchmal ist das dann für ein Team auch ’ne Krise einzugestehen, wir kommen nicht weiter,<br />
und zu hoffen, da kommt jetzt irgendwie der Stein des Weisen. Und wenn das dann nicht ist,<br />
wenn dann ganz viel Arbeit angesagt ist, dann ist da ’ne Krise. (...) Das ist schon manchmal eine<br />
100
Bewertung der Consulentenarbeit<br />
Gratwanderung, noch mal einen neuen Weg zu finden, sich mit den alten Problemen auseinander<br />
zu setzen. Oft sind Mitarbeiter so sehr auf diese alte Sichtweise des Problems fixiert und es ist<br />
manchmal nicht einfach, (...) ein Umdenken bei sieben, acht Mitarbeitern zu erreichen, dass sie<br />
dann alle sagen: Ja gut, mit dem Bewohner, mit der neuen Sichtweise geben wir ihm jetzt eine<br />
Chance. Anfangs ist das nicht so, dass die da so unbedingt alle Feuer und Flamme sind. Da gibt<br />
es sicherlich auch die Zweifler und die Zurückhaltenden. Wenn man dann Erfolg sieht, entsteht<br />
auch Zufriedenheit.“ (SCHOßMEIER 2004)<br />
Andere sehen das Hauptproblem in den institutionellen Bedingungen und den Ressourcen,<br />
die zur Verfügung stehen. So können z. B. gewaltträchtige Situationen nur dann a-<br />
däquat gelöst werden, wenn genügend Personal vor Ort ist:<br />
„Wenn ein Mitarbeiter bedroht ist und mit dem Rücken an der Wand steht und es ist kein zweiter<br />
da, dann wird er nicht fähig sein, eine Situation zu klären. Dann muss er gucken, dass er seine<br />
Haut rettet.“ (SCHOßMEIER 2004)<br />
Neue Sichtweisen als Schlüssel zur Problemlösung<br />
Nicht alle Mitarbeiter/innen sind dafür offen, auch bei sich selbst nach den Ursachen des<br />
Problems zu suchen. Im Vordergrund steht das schwierige Verhalten des Bewohners<br />
bzw. der Bewohnerin:<br />
„Ich hab das schon oft erlebt, dass erstmal gesagt wird: Das Problem liegt beim Bewohner und<br />
der macht immer und der sollte und müsste und tut nicht. Und dass man dann, wenn man etwas<br />
vom Problemdenken wegkommt, guckt, was kann der, was könnte er, wenn welche Bedingungen<br />
da wären. Dann entsteht auch wieder ne Perspektive.“ (SCHOßMEIER 2004)<br />
„So banale Fragen wie ‚Was geht in dem Bewohner emotional vor? Was ist sein größtes emotionales<br />
Grundbedürfnis?’ oder ‚Von was hat er zu wenig gehabt in seinem bisherigen Leben und<br />
geben wir ihm jetzt mehr davon?’ - das waren Fragen, wo ich manchmal den Eindruck hatte, dass<br />
die dem Team noch nie gestellt wurden. Und jetzt wurden sie gestellt, und das Team begibt sich<br />
dann auf die Suche nach einer Antwort. Oder die banale Frage ‚Was passiert eigentlich mit dem<br />
Bewohner, wenn er sich unproblematisch verhält? Wie reagieren Mitarbeiter dann oder reagieren<br />
sie überhaupt?’“ (SCHOßMEIER 2004)<br />
„Oder: ‚Wie kommuniziere ich mit dem, wie tret ich in Kontakt mit dem?’ Oft wird mit Bewohnern,<br />
die nicht sprechen, auch nicht gesprochen, obwohl die die Sprache verstehen. Allein das kann<br />
eine Menge verändern. Wenn ich anfange den anzusprechen, dann entsteht auch Kontakt und<br />
dann entsteht auch Verstehen.“ (SCHOßMEIER 2004)<br />
„Vorher wurde systematisch gestraft: Ellenbogen – kein Kaffee! Und jetzt: ‚Was haben wir falsch<br />
gemacht, was hat dir gefehlt heute?’ Und dann kann er zeigen: Kaffee oder Kuchen oder was<br />
auch immer gefehlt hat. Und das ist viel einfacher. Er macht das kaum noch, er hat es ja auch<br />
nicht nötig.“ (SCHOßMEIER 2004)<br />
Allein die Tatsache, dass das Wohngruppenteam Energie und Aufmerksamkeit auf einen<br />
Bewohner lenkt, kann schon zu Veränderungen führen. In manchen Fällen musste das<br />
Orga-Team allerdings erkennen, dass es keine Strategie zur Problembewältigung entwickeln<br />
konnte oder dass die durchgeführten Maßnahmen keinen Erfolg zeigten.<br />
„Das sind Bewohner, die sehr früh ganz schlimme Erfahrungen gemacht haben, also mit zwei<br />
oder drei bereits in die Psychiatrie eingewiesen wurden, wo ganz frühe Störungen vorliegen. Da<br />
braucht man dann auch sehr, sehr viel mehr Zeit und Energie, bis da was in Bewegung kommt.“<br />
(SCHOßMEIER 2004)<br />
„Ich hab so einen Effekt beobachtet, speziell in einem Team, wo die Mitarbeiter angefangen haben,<br />
auch die Vorgeschichte der Bewohnerin zu untersuchen, die Mutter wieder anzuschreiben,<br />
die überhaupt keinen Kontakt mehr hatte, mit der Mutter Kontakt aufzunehmen, die zu befragen,<br />
was ist denn damals passiert - wo ein Interesse entstanden ist, das vorher gar nicht da war. Vorher<br />
war nur Abwehr da, und jetzt auf einmal wollen sie alles wissen und das wirkt sich aus.“<br />
(SCHOßMEIER 2004)<br />
101
Bewertung der Consulentenarbeit<br />
Auswirkungen auf Mitbewohner/innen<br />
Einzelne Bewohner/innen nehmen deutlich wahr, dass um sie herum Änderungen stattfinden<br />
und dass sie bzw. ihr Problemverhalten mehr Beachtung finden. Sie haben eigene<br />
Vorstellungen davon, in welchen Situationen sie Hilfe brauchen und wünschen. Ein Mitglied<br />
des Orga-Teams berichtet:<br />
„Also bei meinen Bewohnern, die wussten alle Bescheid, die wissen auch grob, dass das was mit<br />
ihnen zu tun hat und dass da eine Veränderung stattfinden soll. Und die haben sich an mich gewendet<br />
und gesagt, dann soll aber das und das passieren. Einer hat sogar gesagt: Wenn dann<br />
einer für mich eingestellt werden soll, soll der am Wochenende kommen!“ (SCHOßMEIER 2004)<br />
Die intensive Beschäftigung mit der Problematik eines Bewohners hat häufig den positiven<br />
Effekt, dass Entwicklungsprozesse in Gang kommen, von denen alle profitieren. Es<br />
kommt aber auch vor, dass Mitbewohner/innen neidvoll auf die ‚Sonderstellung’ eines<br />
Einzelnen reagieren und ihrerseits Verhaltensauffälligkeiten produzieren, z. B. auch mal<br />
kratzen und beißen oder die ‚bevorzugte’ Person schlagen. Manche Bewohner/innen<br />
scheinen sehr empfänglich zu sein für Stimmungen in den Wohngruppen. Sie übernahmen<br />
im Einzelfall unbewusst die Einstellungen von Mitarbeitenden in bezug auf problematische<br />
Bewohner/innen:<br />
„Ich hab einen Bewohner, der hat sich, als die Bewohnerin so problematisch war, die Sichtweise<br />
der Mitarbeiter zu eigen gemacht und immer gesagt: Die muss weg, die muss weg!“ (SCHOßMEIER<br />
2004)<br />
„Das kenn ich auch bei uns, dass einer gesagt hat zu mir: Der Junge ist gut, den können sie hier<br />
lassen! Der macht hier nix.“ (SCHOßMEIER 2004)<br />
Selbstkritik<br />
Nach den Erfahrungen in den ersten beiden Jahren sieht das Orga-Team die eigene Arbeit<br />
als noch verbesserungsbedürftig an. So müssten z. B. Umfang und Bearbeitungsdauer<br />
des Fragebogens reduziert werden. Viele Probleme resultieren aus der Doppelfunktion,<br />
neben der Consulentenarbeit auch als Abteilungsleitung tätig zu sein. Das führe<br />
dazu, dass die Zeit für das Consulentenprojekt je nach Arbeitsbelastung in der Leitungsfunktion<br />
variierte, obwohl jedes Projektmitglied mit halber Stelle für die Consulentenarbeit<br />
frei gestellt ist.<br />
Die zeitliche Einschränkung beeinflusste die Qualität der Projektarbeit und den Austausch<br />
mit den Antragstellern. So wäre z. B. eine intensivere Begleitung des Beratungsprozesses<br />
nötig, um den Mitarbeitenden eine detaillierte Rückmeldung geben zu können<br />
und auch die Entwicklung des Bewohners bzw. der Bewohnerin zu protokollieren. Ein<br />
stärkerer Kontakt zu den Wohngruppen könnte sich zugleich positiv auf die Motivation<br />
der Mitarbeitenden auswirken.<br />
Zum Zeitpunkt des Interviews war das Orga-Team dabei, verbindliche Zeiträume für die<br />
Bearbeitung von der Antragsstellung bis zum ersten Besuch in der Gruppe fest zu legen.<br />
Weitere Verbesserungen sollten folgen.<br />
Zusammenfassende Einschätzung<br />
Da es in Deutschland kein vergleichbares Projekt gibt, hatte das Orga-Team mit einigen<br />
Anfangsschwierigkeiten zu kämpfen. Ursache für auftretende Probleme sind einerseits<br />
die Doppelfunktion der Mitglieder des Orga-Teams als Projektmitarbeiter/in und als Abteilungsleitung,<br />
andererseits strukturelle, organisatorische oder personelle Schwierigkeiten,<br />
z. B. wenn Termine nicht eingehalten wurden, keine externen Fachleute zur Verfügung<br />
standen oder die Finanzierung erst geklärt werden musste. Nach Meinung des Orga-Team<br />
sind eine kontinuierliche Begleitung des Prozesses und eine intensivere Zu-<br />
102
Bewertung der Consulentenarbeit<br />
sammenarbeit mit dem Gruppenpersonal unerlässlich für eine erfolgreiche Umsetzung<br />
der Maßnahmen.<br />
Trotz der aufgetretenen Schwierigkeiten ist der Nutzen zur Lösung der Problemlagen in<br />
den Gruppen eindeutig:<br />
−<br />
−<br />
−<br />
−<br />
Die externe Unterstützung durch das Orga-Team gibt den Mitarbeitenden das Gefühl,<br />
mit ihren Problemen nicht alleine zu sein. Sie werden in ihrer Bitte nach Hilfe ernst<br />
genommen.<br />
Als Außenstehende können die Mitglieder des Orga-Teams eine spezifische Betrachtung<br />
der Situation vornehmen. Mitarbeiter/innen sind oft zu sehr ins Gruppengeschehen<br />
eingebunden, um die nötige Distanz zu wahren und das Verhalten objektiv zu<br />
beurteilen. Zeigt die externe Hilfe auch nicht immer konkrete Ergebnisse, so hilft sie,<br />
Blockaden zu lösen und den Beteiligten neue Perspektiven zu vermitteln. Die Mitarbeiter/innen<br />
erhalten Gelegenheit, ihre Sichtweise darzustellen, sich auszutauschen<br />
und neue Erfahrungen zu sammeln. Zugleich erhalten sie Anregungen, ihre Beziehung<br />
zum Bewohner bzw. zur Bewohnerin zu überdenken und eventuell eigene<br />
Schwächen zu erkennen.<br />
Ein Kriterium zur Einschätzung der Interventionen dürfte aus Sicht der Mitarbeitenden<br />
ihre praktische Anwendbarkeit sein. Sie sollten sich im Alltag bewähren, in den Tagesablauf<br />
integrierbar und so über einen längeren Zeitraum anwendbar sein. Ebenso<br />
bedeutsam ist der Aufwand, den einzelne Maßnahmen den Beteiligten abverlangen:<br />
Die Beschäftigung mit eigenen Ängsten und die Umsetzung neuer Konzepte sind oft<br />
langwierig und können Abwehr hervorrufen. Darum wird das besondere Engagement<br />
des Teams neben der regulären Arbeit nicht immer von allen Mitarbeitenden mitgetragen.<br />
Auch für den Bewohner oder die Bewohnerin selbst bedeuten einige Maßnahmen<br />
eine große Umstellung. Mehr Aktivitäten und mehr Aufmerksamkeit sind für ihn anfangs<br />
ungewohnt und fordern auch von ihm Zeit und Mitarbeit. Eine kompetente Begleitung<br />
schließt ‚Hilfe zur Selbsthilfe’ ein, um langfristige Änderungen zu erreichen<br />
und zur Persönlichkeitsentwicklung beizutragen.<br />
„Die Lösung ist die Förderung der selbstbehauptenden und selbstbeschützenden Kräfte. Wenn<br />
man sich nach diesen Kräften auf die Suche macht und seine Energie nicht mehr in die Suche<br />
nach Antworten auf die Frage nach dem ‚Warum’ steckt, wird man unerwartete Antworten entdecken.“<br />
(HEIJKOOP 1998, 18)<br />
6.2 Einschätzung der Teilnehmenden<br />
Im letzten Teil des Fragebogens wurden die am Consulentenprojekt Beteiligten aufgefordert,<br />
die durch das Orga-Team vermittelte fachliche Unterstützung zu beurteilen. 24<br />
Den Aussagen ist zu entnehmen, dass die Consulentenarbeit insgesamt positiv bewertet<br />
wird. In Teilbereichen sind Veränderungen notwendig, vor allem hinsichtlich der Bearbeitung<br />
der Anträge und der Kommunikation mit den antragstellenden Gruppen (Abb. 47).<br />
24 Abweichend von der Größe der Gesamtstichprobe (45 ausgefüllte Fragebögen) werden bei der Beurteilung der<br />
Arbeit des Orga-Teams nur 37 Aussagen einbezogen, weil 16 Bögen aus Zuständigkeitsgründen von 8 Abteilungsleitungen<br />
ausgefüllt wurden. Die Einschätzung jedes Abteilungsleiters wurde nur einmal berücksichtigt.<br />
103
Bewertung der Consulentenarbeit<br />
Beurteilung der fachlichen Unterstützung durch das<br />
Organisationsteam für Consulentenarbeit (n = 37)<br />
Angaben in % (Mehrfachnennungen)<br />
0 10 20 30 40 50 60 70<br />
Antrag fordert zu Reflexion heraus<br />
65<br />
Konzept sollte ausgeweitet werden<br />
51<br />
Unterstützung eröffnet neue Perspektiven<br />
psychische Belastung wird reduziert<br />
41<br />
43<br />
Ausfüllen führt schon zu Lösungsvorschlägen<br />
fachliche Qualifikation wird erweitert<br />
38<br />
38<br />
Konzept gut, Umsetzung verbesserungsbedürftig<br />
mangelnde Rückmeldung<br />
49<br />
49<br />
zu lange Bearbeitungsdauer<br />
Konzept ist zu unbekannt<br />
41<br />
41<br />
Ausfüllen ist zu aufwändig<br />
externe Hilfe ist wenig effektiv<br />
19<br />
19<br />
externe Beobachtung erhöht Druck<br />
5<br />
Sonstiges<br />
27<br />
keine Angaben<br />
11<br />
positive Aspekte<br />
Probleme<br />
Abb. 47 Beurteilung der fachlichen Unterstützung durch das Orga-Team<br />
Positive Einschätzungen überwiegen, erreichen aber wegen noch zu lösender Probleme<br />
nur in wenigen Fällen mehr als 50 %. Etwa die Hälfte der Befragten spricht sich für<br />
eine Ausweitung des Konzepts aus. Als positiv wird bewertet, dass das Ausfüllen des<br />
Antragsbogens zur Reflexion der Arbeit herausfordert (65 %) und im Einzelnen bereits<br />
zu Lösungsvorschlägen führt (38 %). Die fachliche Unterstützung eröffne neue Perspektiven<br />
in der eigenen Arbeit (43 %), die Qualifikation der Mitarbeiter/innen werde erweitert<br />
(38 %) und die psychische Belastung innerhalb der Wohngruppe reduziert (41 %).<br />
Probleme werden vor allem bei der Umsetzung des Konzepts gesehen: An erster Stelle<br />
stehen die mangelnde Rückmeldung nach der Antragstellung (49 %) und eine zu lange<br />
Bearbeitungsdauer beim Orga-Team (41 %). Dazu zwei Anmerkungen aus dem Fragebogen:<br />
„Es gab bisher keinerlei Rückmeldung, warum die Einzelfallhilfe bisher nicht bewilligt wurde“.<br />
„Ich hätte mehr positive Aspekte angekreuzt, wenn die Rückmeldung von Erfolgen (bzw. Misserfolgen)<br />
besser funktionieren würde“.<br />
Insgesamt sei das Konzept noch zu unbekannt (41 %). Jeweils ein Fünftel halten das<br />
Ausfüllen des Bogens für zu aufwändig und die externe Hilfe für wenig effektiv (Anmerkungen<br />
im Bogen: „kommt zu spät oder nie; keine konkrete aktuelle Hilfe, z. B. mehr<br />
Personal wenn aktuelles Problem da ist“). In einer Wohngruppe wird die Arbeit des Orga-<br />
104
Bewertung der Consulentenarbeit<br />
Teams als „nicht ausreichend transparent“ bezeichnet, wodurch beim Bewohner das Gefühl<br />
von „Ausgeliefert sein“ und „Willkür“ entstand. Insgesamt sehen die Mitarbeiter die<br />
externe Hilfe aber eher als Unterstützung statt als Einmischung an, nur 5 % benennen<br />
einen erhöhten Druck durch externe Beobachtung.<br />
Ein Mitarbeiter merkt hinsichtlich der Bewilligung von Einzelfallhilfen kritisch an:<br />
„Es scheint so, als ob die Verteilung von Einzelfallhilfen vom unangemessenen Verhalten des<br />
Bewohners abhängt. Inwieweit fördert es deshalb dieses Verhalten?“<br />
Eine gesonderte Betrachtung der Bewertung der fachlichen Unterstützung durch das Orga-Team<br />
aus Mitarbeiterperspektive (n = 27) ergibt im Vergleich mit der Bewertung<br />
durch alle Beteiligten keine wesentlichen Unterschiede. An oberster Stelle stehen auch<br />
hier der Wunsch, das Konzept der Consulentenarbeit auszuweiten, und die Feststellung,<br />
dass der Antragsbogen zur Reflexion der eigenen Arbeit herausfordert (jeweils 56 %;<br />
Gesamtperspektive: 51 % bzw. 65 %). Eine deutlichere Abweichung ist bei der Option<br />
‚Ausfüllen des Bogens führt schon zu Lösungsvorschlägen’ erkennbar: 30 % der Gruppenmitarbeiter/innen<br />
äußern sich zustimmend. Bei den Rückmeldungen aller Beteiligten<br />
liegt der Wert bei 38 %. Die in der Gesamtbewertung höheren Werte deuten darauf hin,<br />
dass die gruppenübergreifend und leitend Tätigen die Funktion des Bogens als Motor für<br />
die eigene Reflexion und die Diskussion über mögliche Problemlösungsstrategien – im<br />
Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe - als besonders wichtig einschätzen.<br />
Informationen über das Consulentenprojekt haben die 27 Mitarbeiter/innen überwiegend<br />
über die Abteilungsleitungen erhalten (15x). Dreimal wird das Qualitätsmanagement genannt,<br />
jeweils einmal: erster Werkleiter, Steuergruppe, Fachliteratur/Fachdiskussion, Literatur/Internet,<br />
Kollegen, Teambesprechungen, Ausbildung (Mehrfachnennungen waren<br />
möglich).<br />
Verbesserungsvorschläge<br />
49 % der Befragten machten Verbesserungsvorschläge für das Konzept der Consulentenarbeit,<br />
die im Folgenden exemplarisch zitiert und strukturiert werden. Die Anregungen<br />
betreffen sowohl die Strukturqualität als auch die Prozess- und Ergebnisqualität: 25<br />
Strukturqualität<br />
‣ Mehr Information über Consulentenarbeit<br />
- welche Möglichkeiten ergeben sich für Mitarbeiter und Bewohner über Consulenten?<br />
- bekannter machen, um häufiger und selbstverständlicher als Hilfe verstanden zu werden“;<br />
- Fortbildungen zum Thema Consulentenarbeit<br />
- Verbesserung der Inhaltsinformatik für Mitarbeiter (Konzept)“<br />
‣ Vereinfachung bzw. Verkürzung des Antragsbogens<br />
- weniger Papier, mehr konkretes Handeln<br />
‣ Verkürzung der Bearbeitungsdauer<br />
- schnelleres Reagieren auf Anträge<br />
- konkrete und direkte Hilfe in kürzester Zeit wünschenswert und notwendig<br />
- Bearbeitung des Bogens bis zur Antragstellung zeitlich zu lang<br />
- Befristung der Bearbeitungszeit<br />
‣ Fester direkter Ansprechpartner<br />
- Kommunikationswege verkürzen dadurch, dass eine feste Person durch alle Gremien<br />
begleitet und vermittelt<br />
25 Die Arbeiten von TÄUBER (2004), DONAJSKI (2004) und BAUER (2004) kommen auf der Basis von Mitarbeiter-<br />
Interviews und Beobachtungen in einer Wohngruppe in einzelnen Bereichen zu vergleichbaren Ergebnissen.<br />
105
Bewertung der Consulentenarbeit<br />
‣ Kein Caremanager<br />
- Funktion des Caremanagers ist überflüssig, direkter Kontakt zwischen Team und<br />
Consulententeam wäre sinnvoller<br />
‣ Weniger hierarchische Struktur bei Verantwortlichkeiten<br />
- weniger administrativer Aufwand<br />
- lange Wege müssten verkürzt werden<br />
‣ Engere Zusammenarbeit mit Werkleitungen<br />
Prozessqualität<br />
‣ Bessere Vernetzung mit der Basis<br />
- der direkte Kontakt zwischen Consulententeam – Wohngruppenteam soll häufiger sein<br />
- Consulenten sollen Maßnahmen ‚vor Ort’ in Augenschein nehmen<br />
- Mitarbeiter und Bewohner sollten ihren Consulenten kennen<br />
- direkte Beobachtungen in der Gruppe<br />
- das Consulententeam stellt seine Vorschläge dem Team vor und erarbeitet mit diesem<br />
Lösungsmöglichkeiten (kein Umweg über Caremanager)<br />
‣ Ernstnehmen der Kompetenzen des Teams<br />
- Beobachtungen von Mitarbeitern annehmen und nicht in Frage stellen,<br />
ebenso die schon durchgeführten Maßnahmen!<br />
‣ Intensivierung der Arbeit<br />
- spezialisierte Fallberatung, -begleitung und -supervision<br />
‣ Mehr Rückmeldung<br />
- Kontrollschleifen einbauen<br />
‣ Schnelleres Handeln<br />
- effiziente Lösungen ohne Diskussion<br />
‣ Schneller externe Beratung<br />
- leichteren Zugang zu Fachleuten außerhalb der Heime<br />
Ergebnisqualität<br />
‣ Vereinbarungen zwischen Consulent – Caremanager –Abteilungsleitung – Gruppenmitarbeiter<br />
sollten von der Begleitung bis zur Zielerreichung konkret getroffen<br />
werden<br />
Als Perspektiven für die Weiterentwicklung des Consulentenprojekts wurden folgende<br />
Aspekte genannt:<br />
− Eigener Etat, der die Zeitdauer von einzuleitenden Maßnahmen verkürzt<br />
− Consulentenarbeit als ausgeschriebene Stelle und nicht als ‚nebenherlaufende Tätigkeit‘<br />
− Ansiedlung der Consulentenarbeit außerhalb der Strukturen des <strong>Landschaftsverband</strong>s<br />
<strong>Rheinland</strong> („LVR unabhängige externe Consulenten“)<br />
Die differenzierten Vorschläge der Befragten zur Verbesserung der Consulentenarbeit<br />
signalisieren ein großes Interesse an der Optimierung der Consulentenarbeit. Daraus ist<br />
zu schließen, dass die Idee des Consulentenkonzepts als wichtiger Baustein der fachlichen<br />
Arbeit mit Menschen mit herausfordernden Verhaltensweisen eine hohe Wertschätzung<br />
erfährt.<br />
106
Zusammenfassung der Ergebnisse<br />
7 Zusammenfassung der Ergebnisse<br />
Bei Beginn der <strong>Evaluation</strong>sstudie waren 22 Bewohner/innen mit überwiegend schwerer<br />
und mittelgradiger geistiger Behinderung in die Consulentenarbeit einbezogen. Allen<br />
gemeinsam sind erhebliche Verhaltensauffälligkeiten unterschiedlicher Art, die das Zusammenleben<br />
in der Gruppe – z. T. seit Jahren - in starkem Maß erschweren. Viele Mitbewohner/innen<br />
und Mitarbeiter/innen waren an die Grenzen der Belastbarkeit geraten.<br />
Angesichts immer wieder auftretender körperlicher Übergriffe kennzeichneten Angst und<br />
Unsicherheit die emotionale Lage der Beteiligten. Der hohe Energieaufwand für einzelne<br />
‚auffällige’ Bewohner/innen hatte eine Minderung der Aufmerksamkeit für andere Gruppenmitglieder<br />
zur Folge.<br />
Die problematischen Verhaltensweisen stehen in engem Zusammenhang mit der jeweiligen<br />
Lebensgeschichte. Die biographischen Erfahrungen der Männer und Frauen sind<br />
überwiegend geprägt durch eine Kumulation von deprivierenden Erfahrungen, durch<br />
zahlreiche Aufenthalte in Heimen oder psychiatrischen Einrichtungen, durch einen Mangel<br />
an sozialen Beziehungen, durch erhebliche Beeinträchtigungen bei der individuellen<br />
Alltagsbewältigung und durch das Fehlen adäquater Beschäftigung.<br />
In allen Gruppen wird von einer Vielzahl von Problemlösungsstrategien berichtet, die vor<br />
dem Antrag auf erweiterte Hilfe erprobt wurden. Nur in wenigen Fällen führten die Bemühungen<br />
zu einer grundlegenden Verbesserung der Situation. In den meisten Gruppen<br />
war zum Zeitpunkt der Antragstellung ein Zustand erreicht, der aus eigener Kraft nicht<br />
mehr veränderbar schien.<br />
Die Aufnahme in das Consulentenprojekt eröffnete für alle Beteiligten neue Perspektiven.<br />
Maßnahmen und Interventionen, die nicht allein den Abbau der Verhaltensauffälligkeiten<br />
im Blick hatten, sondern primär an den individuellen Bedürfnislagen orientiert waren,<br />
führten zu teilweise überraschenden Entwicklungen. Im Folgenden werden die wichtigsten<br />
Ergebnisse in den einzelnen Maßnahmebereichen zusammen gefasst. Sie basieren<br />
auf Aussagen der Beteiligten in einer retrospektiven Fragebogenerhebung, auf Beobachtungen<br />
im Gruppenalltag und auf Interviews mit involvierten Mitarbeitenden. Aus<br />
analytischen Gründen lag der Fokus bei den Maßnahmebereichen jeweils auf ausgewählten<br />
möglichen Bedingungsfaktoren. Im Prozess der Auswertung der Daten wurden<br />
an vielen Stellen Wechselwirkungen sichtbar, die in dieser Studie nicht in ihrer Komplexität<br />
erfasst werden können. So ist z. B. der Aspekt Selbstbestimmung nicht nur im Zusammenhang<br />
mit dem Betreuungskonzept von Belang, sondern hat auch in Bezug auf<br />
räumliche bzw. bauliche Veränderungen Bedeutung. Zu jedem Bereich könnten weiter<br />
führende Untersuchungen neue Erkenntnisse bringen.<br />
Die hier vorliegenden Ergebnisse können bestehende Handlungsansätze einordnen helfen<br />
und neue Impulse geben. Sie zeigen, welche Maßnahmen praktikabel sind und wo<br />
noch verstärkt Handlungsbedarf vorhanden ist. Zu bedenken ist, dass jedes Problemverhalten<br />
eine subjektive Bedeutung hat. Der Betroffene darf nicht zum Objekt von Maßnahmen<br />
degradiert werden. Eine solche Vorgehensweise stünde in Widerspruch zum<br />
Grundgedanken des Consulentenprojekts.<br />
7.1 Effektivität der Maßnahmen<br />
Die Arbeit des Consulentenprojekts der Rheinischen Heilpädagogischen Heime hat nach<br />
den bislang vorliegenden Erfahrungen erwiesen, dass durch geeignete Interventionen<br />
und Maßnahmen die Häufigkeit und Intensität herausfordernder Verhaltensweisen von<br />
Menschen mit geistiger Behinderung gemindert und neue Entwicklungsperspektiven er-<br />
107
Zusammenfassung der Ergebnisse<br />
öffnet werden können. Consulentenarbeit ist somit ein geeignetes Mittel, die Lebensqualität<br />
dieses Personenkreises zu verbessern. Wesentliche Bedingungen für Veränderungsprozesse<br />
liegen im beruflichen Selbstverständnis der Mitarbeiter/innen, in ihrer Haltung<br />
und ihrem Verständnis von menschlichem Verhalten.<br />
Die Bewertung der Effektivität der Maßnahmen in unterschiedlichen Bereichen lässt bei<br />
vielen Befragten ein hohes Reflexionsniveau erkennen. Es zeigt sich, dass der Nutzen<br />
von Interventionen für Mitarbeiter und Bewohner unterschiedlich groß sein kann. Für das<br />
Gruppenpersonal werden vor allem solche Maßnahmen als hilfreich erlebt, die die Arbeit<br />
erleichtern, die mehr Einblick in Zusammenhänge geben und durch neues Know-How<br />
mehr Handlungssicherheit bringen. Für Bewohner erweisen sich in erster Linie solche<br />
Herangehensweisen hinsichtlich der Problemlösung als wirksam, die ihnen emotionale<br />
Sicherheit gewähren, die mehr Freiheitsräume eröffnen und die durch Aktivität und Beschäftigung<br />
die persönliche Entwicklung anregen. Vorgehensweisen, die die Freiheit der<br />
Bewohner/innen in starkem Maße einschränken, werden von den Beteiligten nur im Notfall<br />
in Erwägung gezogen. Im Folgenden werden wesentliche Ergebnisse zur Effektivität<br />
der Maßnahmen zusammen gefasst:<br />
Veränderungen der Wohnsituation<br />
Veränderungen der Wohnsituation können die Arbeit der Mitarbeiter/innen erleichtern<br />
und für die Bewohner/innen Chancen zur Neuorientierung und zum Aufbrechen eingefahrener<br />
Verhaltensweisen eröffnen. Nicht jede Maßnahme ist für beide Seiten gleichermaßen<br />
hilfreich. Als wesentliches Ergebnis ist hervorzuheben, dass vor allem solche<br />
räumlichen/baulichen Veränderungen in der Wohnsituation zur Problemlösung beitragen,<br />
die den Bewohnern und Bewohnerinnen im Alltag mehr Freiheitsräume bieten.<br />
Personelle Veränderungen<br />
Personelle Veränderungen haben eine hohe Relevanz für die Unterstützung der Beteiligten<br />
in bei festgefahrenen Situationen. Neben organisatorischen Maßnahmen (z. B. Veränderung<br />
von Dienstzeiten) haben sich vor allem Maßnahmen bewährt, die die Quantität<br />
und Qualität des Personals betreffen. Eine Erhöhung des Personalschlüssels trägt zur<br />
Entlastung der Mitarbeiter/innen und zur Milderung angespannter Situationen bei und<br />
wirkt sich dadurch positiv auf die Gruppenatmosphäre aus. Als besonders hilfreich erweisen<br />
sich Maßnahmen, die spezifische Bedürfnisse der Bewohner/innen mit Verhaltensauffälligkeiten<br />
berücksichtigen. So kann z. B. eine gezielte bewohnerbezogene Mitarbeiterauswahl<br />
ein adäquateres Eingehen auf die Anforderungen der Bewohner/innen<br />
gewährleisten und zugleich neue Impulse und Motivation für die Arbeit im Team bringen.<br />
Der Einsatz von Caremanagern hat sich nach den Aussagen der Beteiligten nicht bewährt.<br />
Ein direkter Kontakt zwischen dem Consulententeam und dem Wohngruppenteam<br />
erscheint effektiver. Die Erfahrungen mit zusätzlichen Assistenten, die dem Einzelnen<br />
mehr Individualität im Alltag ermöglichen könnten, sind nicht in jedem Fall positiv. Möglicherweise<br />
eine adäquate Qualifikation der unterstützenden Person eine grundlegende<br />
Bedingung für das Gelingen der Assistenz.<br />
Erweiterung der Mitarbeiterkompetenz<br />
Die Erweiterung der Mitarbeiterkompetenz ist eine unverzichtbare Basis für den Umgang<br />
mit den Herausforderungen vor Ort. Vertiefende Auseinandersetzungen mit den Problemlagen<br />
durch Fortbildung, Supervision und externe Beratung geben Orientierung und<br />
mehr Sicherheit in der Alltagsgestaltung mit den Bewohnern und Bewohnerinnen und<br />
können Anstoß geben, neue Sichtweisen auf die Problematik zu entwickeln. Als besonders<br />
wirksam erweisen sich teaminterne Fallbesprechungen.<br />
108
Zusammenfassung der Ergebnisse<br />
Erweiterung von Beobachtung, Problemanalyse und Diagnostik<br />
Bei der Erweiterung von Beobachtung, Problemanalyse und Diagnostik erscheint der<br />
Nutzen für Mitarbeiter oftmals größer als für Bewohner. Dieser Sachverhalt lässt vermuten,<br />
dass nicht nur der individuelle Erkenntniszuwachs durch spezielle Maßnahmen,<br />
sondern auch bereits die Tatsache, zur Abklärung der Verhaltensproblematik zusätzliche<br />
Aktivitäten unternommen zu haben, bei Mitarbeitenden Befriedigung auslöst – unabhängig<br />
vom tatsächlichen Nutzen für den Bewohner. Für beide Seiten gleichermaßen wirkungsvoll<br />
ist das Nachempfinden der emotionalen Situation des Bewohners: Der Bewohner<br />
wird als Subjekt in seiner individuellen Befindlichkeit ernst genommen; seine Bedürfnisse<br />
sind Ausgangspunkt der Entwicklung von Lösungsstrategien. Die dem gegenüber<br />
deutlich geringere Wirksamkeit der anderen durchgeführten Maßnahmen ist möglicherweise<br />
auf folgende Aspekte zurück zu führen: Erkenntnisse psychiatrischer Diagnostik<br />
können im Alltagshandeln nicht immer unmittelbar angewendet werden. Allgemeinmedizinische<br />
Untersuchungen führen eher selten zur Ursache von Verhaltensauffälligkeiten.<br />
Biografische Analysen bleiben oftmals auf der Ebene des Nachvollziehens des Lebenslaufes<br />
stehen, ohne die Bedeutung des jeweils vorliegenden Syndroms für die sozialen<br />
Erfahrungen des Bewohners seit frühester Kindheit in ihren Auswirkungen auf Persönlichkeitsentwicklung<br />
und Verhalten ausreichend zu integrieren. Spezielle Instrumente<br />
zur Verhaltensbeobachtung erhellen mögliche Zusammenhänge, die auf der Handlungsebene<br />
nicht immer adäquat berücksichtigt werden können.<br />
Veränderungen am Betreuungskonzept<br />
Veränderungen am Betreuungskonzept sind mit Blick auf Mitarbeiter und Bewohner von<br />
unterschiedlicher Bedeutung. Während beim veränderten Umgangsstil der Nutzen für<br />
beide Seiten etwa gleich groß ist, gibt es bei anderen Vorgehensweisen bedeutsame Differenzen.<br />
Maßnahmen, die für Mitarbeiter mehr Handlungssicherheit bieten, wie z. B.<br />
neue Teamvereinbarungen zum Bewohner, sind für das Personal nützlicher als für den<br />
betreffenden Bewohner. Für diesen können die Vereinbarungen mit Einschränkungen<br />
seiner Spielräume verbunden sein. Umgekehrt sind Maßnahmen, die beim Bewohner<br />
positive Wirkung zeigen, für Mitarbeiter nicht in gleicher Weise hilfreich. Dies gilt z. B. für<br />
die Stärkung von Selbstbestimmung und Autonomie. Der Zugewinn an Freiheitsräumen<br />
auf Seiten des Bewohners kann im Einzelfall für Mitarbeiter anstrengend sein – auch<br />
wenn sie insgesamt die Stärkung von Selbstbestimmung unterstützen und auch für ihr<br />
Alltagshandeln in der Gruppe als hilfreich erleben. Insgesamt kann angenommen werden,<br />
dass die Effektivität für Bewohner bei bedürfnisorientierten qualitativen Veränderungen<br />
in der Interaktion mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besonders hoch ist.<br />
Veränderungen sozialer Beziehungen<br />
Die positiven Bewertungen der Veränderungen sozialer Beziehungen machen deutlich,<br />
dass mehr Zuwendung und Kontinuität in sozialen Beziehungen sowie Unterstützung bei<br />
der Kommunikation unter erschwerten Bedingungen geeignete Mittel sind, lebensgeschichtlich<br />
bedingt festgefahrene Situationen und Interaktionsmuster zu verändern. Kontakte<br />
mit Angehörigen sind nicht in jedem Fall hilfreich, weil manche Angehörige selbst<br />
Teil des Systems waren, das krank machend wirkte. Bewusste oder unbewusste Erinnerungen<br />
daran können beim einzelnen Bewohner ambivalente Gefühle hervorrufen, die<br />
wiederum Einfluss auf sein Verhalten haben. Bei tragfähiger emotionaler Beziehung zwischen<br />
Angehörigen und Bewohner wirken sich Kontakte günstig aus. Für Mitarbeiter/innen<br />
können Gespräche mit der Herkunftsfamilie konkrete Hinweise oder Anregungen<br />
zur Problemlösung oder zu einem besseren Verständnis des Bewohners bringen.<br />
109
Zusammenfassung der Ergebnisse<br />
Veränderungen in der Alltagsgestaltung / Lebensführung<br />
Veränderungen in der Alltagsgestaltung bzw. Lebensführung, die von den individuellen<br />
Ressourcen ausgehen und die Selbstbestimmung und Mitwirkung der Bewohner/innen in<br />
subjektiv sinnvollen Zusammenhängen stützen mit dem Ziel, ihnen eine größtmögliche<br />
Kontrolle über das eigene Leben zu ermöglichen, sind im Kontext der Problemlösung<br />
von hoher Relevanz. Sie stärken Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen. Bewohner/innen,<br />
bei denen sich die genannten Vorgehensweisen als eher unwirksam erweisen,<br />
befinden sich in einer psychischen Situation, die gegenwärtig andere Prioritäten erfordert.<br />
Veränderungen bei Beschäftigung, Freizeit und Bildung<br />
Veränderungen bei Beschäftigung, Freizeit und Bildung, die Strukturierung, Abwechslung<br />
und Anregung in der Alltagsgestaltung bringen, erweisen sich bei den meisten Bewohnerinnen<br />
und Bewohnern als in hohem Maß effektiv. Besonders wichtig erscheint die<br />
Individualisierung der Angebote, vor allem bei der Freizeitgestaltung, aber auch bei der<br />
Auswahl der Beschäftigungsinhalte.<br />
Spezielle Maßnahmen<br />
Spezielle Maßnahmen wurden nur im Hinblick auf eine sehr kleine Personengruppe bewertet.<br />
Darum sind die gewonnenen Erkenntnisse nicht mehr als vorsichtige Trendaussagen,<br />
die an anderer Stelle differenzierter untersucht werden müssten. Aus den vorliegenden<br />
Ergebnissen ist zu schließen, dass sich Ansätze, die auf Bedürfnisbefriedigung<br />
und Weiterentwicklung der Bewohner/innen abzielen oder therapeutisch sinnvoll erscheinen,<br />
für Mitarbeiter und Bewohner positiv auswirken. Bei einzelnen Maßnahmen<br />
sind Differenzierungen notwendig, z. B. bei Bewegungsangeboten: Sie tragen deutlich<br />
zur Entspannung der Bewohner/innen bei, fordern aber auf der Seite der Mitarbeiter/innen<br />
zusätzliches Engagement, dessen Nutzen für den Gruppenalltag den Aufwand<br />
möglicherweise nicht immer rechtfertigt. Ansätze, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern<br />
Orientierung in herausfordenden Situationen geben (z. B. Vereinbarungen für eskalierende<br />
Situationen) oder zur Entlastung des Teams beitragen (z. B. Einschluss ins eigene<br />
Zimmer, Fixierungen, Einweisung in psychiatrische Klinik), sind für Bewohner nur indirekt<br />
von Nutzen. Ansätze, die mehr Freiheit für Bewohner/innen gewähren und sich im Einzelfall<br />
positiv auswirken (z. B. Abbau von freiheitsentziehenden Maßnahmen, Reduzierung<br />
von Psychopharmaka), erfordern auf Seiten der Mitarbeiter/innen die Bereitschaft<br />
zum Risiko mit ungewissem Ausgang.<br />
7.2 Veränderungen im Verhalten<br />
Während der Beteiligung am Consulentenprojekt haben bei den meisten Bewohnern und<br />
Bewohnerinnen Häufigkeit und Intensität der Verhaltensauffälligkeiten abgenommen (vgl.<br />
Tab. 10, S. 85). Besonders hervorzuheben sind die positiven Veränderungen bei den seit<br />
Jahren festgefahrenen und als extrem problematisch eingeschätzten Verhaltensweisen<br />
wie Fremdgefährdung und Selbstverletzung. Keine Veränderungen gab es im Einzelfall<br />
bei Zwangshandlungen, Einnässen, Stereotypien und Kontaktstörungen. Beim problematischen<br />
Essverhalten hat die Intensität nachgelassen, die Häufigkeit ist jedoch gleich<br />
geblieben.<br />
In Einzelfallstudien konnte belegt werden, dass die Unterstützung durch das Consulentenprojekt<br />
wesentlichen Anteil an der positiven Entwicklung von Bewohnern und Bewoh-<br />
110
Zusammenfassung der Ergebnisse<br />
nerinnen mit extrem herausfordernden Verhaltensweisen haben. 26 Als besonders wirksam<br />
haben sich der Einsatz von mehr Personal, die Qualifizierung der Mitarbeitenden,<br />
regelmäßige Fallbesprechungen im Team sowie Fortbildung und Supervision erwiesen.<br />
Von herausragender Bedeutung war die fachliche Begleitung durch externe Berater, die<br />
neue Sichtweisen auf die Problemlage eröffneten und das Team zum Aufbrechen festgefahrener<br />
Situationen befähigten.<br />
Zum Zeitpunkt der Befragung wiesen 13 Bewohner/innen in unterschiedlicher Verteilung<br />
weitere problematische Verhaltensweisen auf, die zum großen Teil mehrmals täglich auftraten<br />
und überwiegend von starker Intensität waren. Für fünf Bewohner/innen wird für<br />
die aktuell auftretenden Verhaltensauffälligkeiten eine erneute Unterstützung durch das<br />
Organisationsteam für Consulentenarbeit gewünscht. Es kann angenommen werden,<br />
dass durch die intensive fachlich begleitete Auseinandersetzung mit der im Vordergrund<br />
stehenden Problematik und durch positive Erfahrung bei der Erprobung neuer Wege die<br />
Qualifikation des Gruppenpersonals erweitert und die Basis für eigenständiges Erarbeiten<br />
von Handlungsstrategien geschaffen wurde.<br />
Die Abnahme problematischer Verhaltensweisen ist jedoch nur eine Seite des Veränderungsprozesses.<br />
Ebenso wichtig ist beispielsweise die Weiterentwicklung der Beteiligten<br />
durch das Nutzen persönlicher Ressourcen, eine Verbesserung der Gruppenatmosphäre<br />
oder ein gesteigertes Selbstbewusstsein. Die Verhaltensauffälligkeiten an sich sind nur<br />
ein Teil der gesamten Problemlage, die Auslöser für das Auftreten bzw. den Erhalt von<br />
Verhaltensauffälligkeiten müssen zudem nicht identisch sein mit den Ursachen.<br />
Viele Bewohner/innen haben im gleichen Zeitraum positive Fähigkeiten und Eigenschaften<br />
entwickelt bzw. verstärkt, z. B. im Bereich der lebenspraktischen Fähigkeiten, der<br />
kognitiven Fähigkeiten, im Sozialverhalten und im Bereich der Emotionalität. Nur bei einer<br />
Person werden positive Änderungen als gering betrachtet, bei einer weiteren zeigte<br />
sich keine Änderung, das Verhalten habe sich sogar verschlechtert.<br />
Der Blick auf die positiven Verhaltensanteile der Bewohner/innen wirkt einer einseitig defizitorientierten<br />
Wahrnehmung ihrer Persönlichkeit entgegen und bietet Ansatzpunkte für<br />
die weitere Arbeit. In vielen Fällen konnte das Verhältnis zwischen Bewohner und Mitarbeiter<br />
verbessert werden. Neue Zugangs- und Kommunikationsmöglichkeiten sowie die<br />
Reflexion und ggf. Modifizierung von Einstellungen und Anforderungen gegenüber dem<br />
einzelnen Bewohner bzw. der Bewohnerin eröffnen neue Wege der Begegnung - als Basis<br />
für eine befriedigendere Interaktion.<br />
7.3 Einschätzung des Consulentenprojekts<br />
Nach zweijähriger Laufzeit wird das Consulentenprojekt von der überwiegenden Zahl der<br />
Beteiligten als wirksame fachliche Unterstützung im Umgang mit herausfordernden Verhaltensweisen<br />
beurteilt. Der lebensweltbezogene und bedürfnisorientierte Ansatz öffnet<br />
den Blick auf eine Vielzahl möglicher Bedingungsfaktoren, die Ausgangpunkt für gezielte<br />
Maßnahmen und Interventionen sein können.<br />
Die spezifische Herangehensweise an die Problemlage vor Ort wurde - nach Aussage<br />
des Orga-Teams - nicht in allen Gruppen mitgetragen. Neben überwiegend konstruktiver<br />
Mitarbeit gab es in einigen Fällen auch Skepsis gegenüber neuen Vorschlägen bzw. Ablehnung.<br />
Die verschiedenen Reaktionen sind im Kontext der gegebenen institutionellen<br />
Bedingungen und Ressourcen sowie vor dem Hintergrund individueller Erfahrungen der<br />
Mitarbeiter/innen zu sehen.<br />
26 Vgl. TÄUBER (2004), DONAJSKI (2004) und BAUER (2004)<br />
111
Zusammenfassung der Ergebnisse<br />
Dazu kamen Probleme in Bezug auf die Bearbeitung der Anträge auf erweiterte Hilfe und<br />
in der Zusammenarbeit mit den Teams, die auf strukturelle, organisatorische oder personelle<br />
Schwierigkeiten zurück zu führen sind. Vor allem die Doppelfunktion der Mitglieder<br />
des Orga-Teams als Projektmitarbeiter/in und als Abteilungsleitung wirkte sich – durch<br />
phasenweise unterschiedliche Belastungen - nachteilig auf die zeitlichen Ressourcen,<br />
die für die Consulentenarbeit eingesetzt werden konnten, aus.<br />
Im Rahmen der Fragebogenerhebung wurden von den Beteiligten viele Vorschläge zur<br />
Verbesserung der Arbeit des Consulentenprojekts gemacht, die sich auf die Struktur-,<br />
Prozess- und Ergebnisqualität beziehen. Es werden u. a. mehr Informationen über das<br />
Projekt, effektivere Formen der Bearbeitung der Anträge und ein intensiverer Austausch<br />
zwischen den Gruppenteams und dem Orga-Team gewünscht. Perspektivisch werden<br />
ein eigener Etat und eine eigenständige Stelle für die Consulentenarbeit für notwendig<br />
erachtet.<br />
Nach dem Vorliegen des Zwischenberichts der <strong>Evaluation</strong>sstudie hat das Orga-Team<br />
erste Schritte zur Verbesserung der Organisation der Consulentenarbeit unternommen<br />
(LVR 2004). Verbindliche Verfahrensweisen sollen künftig die Bearbeitung der Anträge<br />
beschleunigen und die Kommunikation mit den Mitarbeitenden vor Ort intensivieren.<br />
112
Empfehlungen<br />
8 Empfehlungen<br />
Die Rheinischen Heilpädagogischen Heime stellen sich dem Anspruch, Menschen mit<br />
geistiger Behinderung und spezifischem Unterstützungsbedarf Angebote für ein möglichst<br />
normales Leben zu machen. Teilhabe an der Gemeinschaft ist erklärtes Ziel. Diese<br />
Leitlinie korrespondiert mit der aktuellen Konzeption der WHO, nach der die Ermöglichung<br />
von Partizipation an allen Lebensbereichen wesentliche Aufgabe der Hilfen für<br />
Menschen mit Behinderung ist (vgl. DIMDI 2004: ICF 27 ). In diesem Kontext wird Behinderung<br />
nicht allein an der individuellen Schädigung festgemacht, sondern als erschwerte<br />
Partizipation definiert. Diese Grundannahme liegt auch dem SGB IX zugrunde, das<br />
Selbstbestimmung und Teilhabe als Ziel der Rehabilitation postuliert, unabhängig von Art<br />
und Umfang des Unterstützungsbedarfs.<br />
8.1 Consulentenarbeit – Unterstützung auf dem Weg zur Partizipation<br />
Die Initiierung eines Consulentenprojekts durch den <strong>Landschaftsverband</strong> <strong>Rheinland</strong> belegt,<br />
dass der Anspruch auf Partizipation für alle Menschen mit Behinderung ernst genommen<br />
wird. Auch schwierigste Problemlagen werden in die Projektarbeit integriert, um<br />
Ausgrenzung zu verhindern.<br />
Die <strong>Evaluation</strong> des Projekts nach zwei Jahren Laufzeit lässt als grundlegende Voraussetzung<br />
für die Arbeit mit diesem Personenkreis ein Menschenbild erkennen, das von<br />
Vertrauen in die Entwicklungsfähigkeit jedes Menschen geprägt ist. Die Handlungsansätze<br />
sind an den Stärken des Individuums orientiert und zielen darauf ab, durch assistierende<br />
Hilfen eine weitgehend selbstbestimmte Gestaltung des Alltags zu ermöglichen.<br />
Es ist ein Menschenbild, das der Philosophie des Empowerment verpflichtet.<br />
Im Umgang mit herausfordernden Verhaltensweisen ist eine multiperspektivische Herangehensweise<br />
handlungsleitend. Das Spektrum möglicher Maßnahmen basiert auf wissenschaftlichen<br />
Erkenntnissen, die Verhaltensauffälligkeiten als Ergebnis von Bedingungsfaktoren<br />
sehen, die in der individuellen Lebensgeschichte oder der aktuellen Lebenssituation<br />
verankert sind. Auf unterschiedlichen Ebenen werden Wege aufgezeigt,<br />
die geeignet sind, die individuelle Lebensqualität der Bewohner/innen zu verbessern, z.<br />
B. hinsichtlich der personellen Rahmenbedingungen, im materiellen Umfeld, im Bereich<br />
der sozialen Beziehungen und im Kontext von Beschäftigung, Freizeit, Bildung und Therapie.<br />
Flankierend werden die Kompetenzen der Mitarbeiter/innen erweitert, Möglichkeiten<br />
einer erweiterten Diagnostik aufgezeigt, Schwerpunkte des Betreuungskonzepts ü-<br />
berprüft und ggf. verlagert und Veränderungen in der Alltagsgestaltung erprobt. In diesem<br />
Zusammenhang kommt einer externen Beratung bzw. fachlichen Begleitung ein besonderer<br />
Stellenwert zu. Sie kann ‚blinde Flecken’ in den Routinen des Alltags aufdecken,<br />
Sichtweisen verändern und neue Lösungswege in scheinbar festgefahrenen Situationen<br />
eröffnen.<br />
Die <strong>Evaluation</strong>sergebnisse zeigen eindrucksvoll, dass durch zielgerichtetes, die Erkenntnisse<br />
unterschiedlicher Fachrichtungen integrierendes Handeln extrem angespannte<br />
Problemlagen vor Ort entspannt werden können – vorausgesetzt, dass die strukturellen<br />
und personellen Rahmenbedingungen den fachlichen Anspruch unterstützen. Die Kernaussage<br />
der <strong>Evaluation</strong>sstudie entspricht den Erkenntnissen einer Untersuchung, die die<br />
Universität Leiden in den 90er Jahren mit den Niederländischen Consulententeams<br />
durchgeführt hat (vgl. EEKELAAR 1999): Auch dort war das Auftreten von problematischen<br />
27 Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit der Weltgesundheitsorganisation<br />
113
Empfehlungen<br />
Verhaltensweisen deutlich zurück gegangen und restriktive Maßnahmen wurden weniger<br />
häufig eingesetzt. In beiden Projekten bleibt eine kleine Personengruppe, bei der die<br />
bisher erprobten Maßnahmen noch nicht wirksam werden konnten.<br />
Das Consulentenprojekt der Heilpädagogischen Heime ist in der Fachöffentlichkeit auf<br />
großes Interesse gestoßen. Berichte auf Fachtagungen und in Workshops tragen dazu<br />
bei, die besondere Qualität dieses Ansatzes in der Arbeit mit Menschen mit herausfordernden<br />
Verhaltensweisen zu verdeutlichen. In einigen Bundesländern gibt es bereits<br />
Überlegungen, vergleichbare Projekte zu initiieren.<br />
8.2 Konsequenzen<br />
Die positiven Veränderungsprozesse in scheinbar ausweglos erscheinendenden Situationen<br />
zeigen, dass der eingeschlagene Weg im Interesse der Menschen mit verhaltensbedingt<br />
hohen Hilfebedarf fortgeführt bzw. weiter entwickelt werden muss.<br />
Die Richtung der Weiterentwicklung des bisherigen Angebots ist bereits in der zur Zeit<br />
gültigen Zielplanung der Heilpädagogischen Heime für das Jahr 2009 angelegt. Sie geht<br />
davon aus, „dass sich die Heilpädagogischen Heime mit unterschiedlichen, bedarfsgerechten<br />
Angeboten an geistig behinderte Menschen in ihrer Region wenden und sich mit<br />
ihrer dezentralen Struktur somit zu Netzwerken heilpädagogischer Hilfen entwickeln“<br />
(LANDSCHAFTSVERBAND RHEINLAND 2004).<br />
Eine Integration der Consulentenarbeit in das Netz regionaler Angebotsstrukturen ist ein<br />
wichtiger Baustein auf Weg zur Umstrukturierung der überwiegend stationär orientierten<br />
Angebote zu einem dezentralen und regionalisierten Verbundsystem heilpädagogischer<br />
Hilfen im <strong>Rheinland</strong> (HPH-Netz; vgl. LAPP in: LANDSCHAFTSVERBAND RHEINLAND 2004).<br />
Schritte auf dem Weg zu einem regionalisierten Verbundsystem, das spezielle Hilfen für<br />
Menschen mit spezifischem Unterstützungsbedarf integriert, sind zeitgleich im Bereich<br />
der gegenwärtigen Strukturen und in den Regionalplanungen anzusiedeln. Zeitnah<br />
durchgeführte Veränderungen in der gegenwärtig praktizierten Consulentenarbeit bilden<br />
die Basis für künftige Weiterentwicklungen. Fruchtbare Anregungen für den Ausbau des<br />
Unterstützungsangebots sind aus der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen<br />
dem Niederländischen und dem Deutschen Consulentenprojekt im Rahmen des Euregio-<br />
Projekts zu erwarten, das im Juli 2004 gestartet ist. Ziel des ‚Deutsch-Niederländischen<br />
Projekts zur Konsulentenarbeit in der Euregio für Menschen mit Behinderung und speziellem<br />
Hilfebedarf’ ist die Verbesserung der Lebensqualität für Menschen mit Behinderung<br />
und Verhaltensauffälligkeiten. Mit wissenschaftlicher Unterstützung durch die Universitäten<br />
Köln, Nijmegen und Groningen sollen neue Handlungsweisen im Umgang mit<br />
diesem Personenkreis erarbeitet und ein grenzübergreifendes Netzwerk von Experten<br />
entwickelt werden (LANDSCHAFTSVERBAND RHEINLAND 2004).<br />
8.2.1 Weiterentwicklung der Consulentenarbeit in den HPH<br />
Die Idee der Consulentenarbeit hat sich zur Lösung festgefahrener Situationen<br />
bewährt. Zur Implementierung des Ansatzes in unterschiedlichen Bereichen sind<br />
Strategien zu entwickeln, die grundlegende Voraussetzung für die Wirksamkeit der<br />
Arbeit mit Menschen mit herausfordernden Verhaltensweisen schaffen.<br />
−<br />
Das der Consulentenarbeit zugrunde liegende Menschenbild ist über den engen<br />
Rahmen des Projekts hinaus zu transportieren mit dem Ziel einer grundlegenden<br />
Veränderung der Qualität der Interaktion zwischen Mitarbeitern und Bewohnern,<br />
114
Empfehlungen<br />
−<br />
−<br />
Der Wandel vom institutionsbezogenen zum personenbezogenen Denken ist zu initiieren<br />
bzw. zu stärken, um Routinen im Alltag zu überwinden und individuelle Lebensstile<br />
zu ermöglichen.<br />
Veränderte Haltungen im Kontext des Wandels des beruflichen Selbstverständnisses<br />
kommen nicht nur Menschen mit herausforderndem Verhalten, sondern allen Menschen<br />
mit geistiger Behinderung zugute.<br />
Die Rolle der Organisationsteams für Consulentenarbeit als Berater, Initiator und<br />
Koordinator von speziellen Unterstützungsangeboten ist zu präzisieren.<br />
−<br />
Klare Stellenbeschreibungen wirken unrealistischen Erwartungen von Seiten der Antragstellenden<br />
entgegen.<br />
Für die Durchführung der Consulentenarbeit sind Qualitätsstandards zu entwikkeln.<br />
−<br />
−<br />
−<br />
−<br />
−<br />
Niedrigschwelligerer Zugang zu den Angeboten der Consulentenarbeit (innerhalb der<br />
HPH und beim Orga-Team)<br />
Strukturierung der Dokumentation der Arbeit<br />
Sicherstellung adäquater Kommunikationsstrukturen<br />
Rahmen für die Organisation einer zeitnahen Fallbearbeitung<br />
Richtlinien für die Kooperation mit den vor Ort involvierten Teams und Leitungsebenen<br />
− Verfahren zur regelmäßigen Überprüfung der Wirksamkeit durchgeführter<br />
Maßnahmen<br />
Einige der bei der Umsetzung der Consulentenarbeit aufgetretenen Probleme sind<br />
nicht nur auf Anfangsschwierigkeiten zurück zu führen, sondern strukturell bedingt.<br />
−<br />
−<br />
−<br />
Die zur Zeit praktizierte Doppelfunktion der Mitglieder des Orga-Teams als Abteilungsleitung<br />
und Projektmitarbeiter/in impliziert das unauflösbare Dilemma, einerseits<br />
den heiminternen Rahmenbedingungen verpflichtet zu sein und andererseits den Anspruch<br />
zu haben, im Interessen der Menschen mit spezifischem Unterstützungsbedarf<br />
auch ungewöhnliche Vorgehensweisen zu realisieren.<br />
Die zeitliche Belastung der Abteilungsleitungen zur Durchführung der vielfältigen<br />
Aufgaben hat zur Folge, dass die für die Erfüllung der Doppelfunktion vorgenommene<br />
Aufteilung der Stelle zu flexibler Handhabung des jeweils vorgesehenen Zeitbudgets<br />
führt. Von daher sind phasenweise Beeinträchtigungen der Consulentenarbeit nicht<br />
auszuschließen.<br />
Vor diesem Hintergrund sollten anstelle des Splittens vorhandener Stellen eigene<br />
Stellen für die Organisation der Consulentenarbeit eingerichtet werden.<br />
115
Empfehlungen<br />
Die Durchführung des grenzüberschreitenden deutsch-niederländischen Euregio-<br />
Projekts lässt gegenseitige fachliche Impulse, weiter führende Erkenntnisse und<br />
neue Zugangsweisen in festgefahrenen Situationen mit Menschen mit speziellem<br />
Unterstützungsbedarf erwarten.<br />
−<br />
−<br />
−<br />
Voraussetzung für eine erfolgreiche Arbeit des Euregio-Projekts ist die konstruktive<br />
Zusammenarbeit des deutschen und des niederländischen Consulententeams.<br />
Die Rahmenbedingungen zur kontinuierlichen Beteiligung des Orga-Teams sind sicher<br />
zu stellen.<br />
Ergebnisse und Erkenntnisse des Euregio-Projekts sind in der Consulentenarbeit zu<br />
verankern.<br />
8.2.2 Verankerung der Consulentenarbeit im System regionaler Hilfestrukturen<br />
Perspektivisch ist die Einrichtung einer einrichtungsunabhängigen Beratungsund<br />
Koordinierungsstelle für Consulentenarbeit unerlässlich.<br />
−<br />
−<br />
−<br />
−<br />
Die aktuell notwendigen Umstrukturierungen in der Behindertenhilfe in Richtung einer<br />
Weiterentwicklung offener Hilfen und die Einführung von trägerübergreifenden persönlichen<br />
Budgets erfordert eine Ausweitung und Differenzierung der Dienstleistungsangebote.<br />
Durch das Angebot einer einrichtungsunabhängigen Beratungs- und Koordinierungsstelle<br />
werden neue Adressatenkreise mit spezifischem Unterstützungsbedarf angesprochen<br />
(z. B. Familien, Klienten anderer Einrichtungen).<br />
Eine Anbindung an bestehende oder geplante Dienste ist zu diskutieren.<br />
Unter den Bedingungen eines freien Marktes auf dem sozialen Sektor ist eine Zunahme<br />
ambulanter Hilfeangebote und entsprechender Koordinierungsstellen zu erwarten.<br />
Für die unabhängige Beratungs- und Koordinierungsstelle sind klare und transparente<br />
Finanzierungsstrukturen vorzusehen, die zentrale Bausteine der Consulentenarbeit<br />
absichern (Koordinierung der Beratungsarbeit, externe Beratung und<br />
Supervision, zusätzliche Betreuung durch Einzelfallhilfen).<br />
−<br />
−<br />
−<br />
Notwendige Maßnahmen sollten aus einer Hand finanziert werden.<br />
Der Rückgang problematischer Verhaltensweisen durch Consulentenarbeit lässt nicht<br />
den Schluss zu, dass – trotz Erweiterung der Mitarbeiterkompetenzen - langfristig<br />
keine zusätzlichen Hilfen für diesen Personenkreis mehr notwendig sind. Wegen der<br />
meist lebensgeschichtlich bedingten tiefgreifenden Verunsicherungen und Verletzungen<br />
durch gestörte Beziehungen zwischen Individuum und Umwelt und der langjährig<br />
verfestigten Handlungsstrategien kann das Erreichte nur erhalten werden, wenn weiterhin<br />
eine bedürfnisorientierte individualisierte Alltagsbegleitung erfolgt, die im Einzelfall<br />
durch externe Hilfen unterstützt wird.<br />
Die <strong>Evaluation</strong> des Consulentenprojekts hat an Fallbeispielen den besonderen Stellenwert<br />
externer Beratung für das Aufbrechen festgefahrener Situationen und den<br />
Nutzen zusätzlichen Personals festgestellt. Dieses sollte bei der Bemessung von<br />
Budgets angemessen berücksichtigt werden.<br />
116
Empfehlungen<br />
−<br />
Angesichts der angespannten Lage der öffentlichen Haushalte - insbesondere des zu<br />
erwartenden Anstiegs der Ausgaben für die Eingliederungshilfe – ist zur Finanzierung<br />
der Beratungs- und Koordinationsstelle auch die Erschießung anderer Quellen zu erwägen<br />
(z. B. Stiftung).<br />
Langfristig sollten Dienste für Consulentenarbeit verbindlicher Bestandteil regionaler<br />
Hilfesysteme sein. Eine Vernetzung der Angebote bietet die Voraussetzung,<br />
dass spezifischen Bedarfen durch individuelle Hilfearrangements Rechnung getragen<br />
werden kann.<br />
117
Literatur<br />
9 Literatur<br />
BAUER, CHRISTINE (2004): Einzelfallstudie zu Veränderungen auffälliger Verhaltensweisen<br />
eines Menschen mit geistiger Behinderung nach dem Wechsel von der Kinder-<br />
/Jugendpsychiatrie in ein Heilpädagogisches Heim. Unveröff. Diplomarbeit, Universität zu<br />
Köln, Seminar für Geistigbehindertenpädagogik<br />
BRADL, CHRISTIAN (1991): Zur psycho-emotionalen Befindlichkeit Schwerstbehinderter. In:<br />
Pädagogik bei schwerster Behinderung. Hrsg.: A. Fröhlich. Berlin: Marhold, 343-353<br />
BRADL, CHRISTIAN (2003): Umgang mit Aggressionen in Wohngruppen. Herausforderungen<br />
für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In: M. Furger, D. Kehl (Hrsg.): „... und bis du nicht<br />
willig, so brauch ich Gewalt.“ Zum Umgang mit Aggression und Gewalt in der Betreuung<br />
von Menschen mit geistiger Behinderung. Luzern: Edition SZH/CSPS, 37-65.<br />
BRAUN, REINHOLD; STRÖBELE, THOMAS (2003): Consulentenarbeit in den Niederlanden und<br />
beim <strong>Landschaftsverband</strong> <strong>Rheinland</strong>. In: G. Theunissen (Hrsg.): Krisen und Verhaltensauffälligkeiten<br />
bei geistiger Behinderung und Autismus. Stuttgart: Kohlhammer, 101-<br />
108<br />
BUNDESVEREINIGUNG LEBENSHILFE FÜR GEISTIG BEHINDERTE (Hrsg.) (1996): Wenn Verhalten<br />
auffällt ... Eine Arbeitshilfe zum Wohnen von Menschen mit geistiger Behinderung. Marburg:<br />
Lebenshilfe-Verlag<br />
DEUTSCHES INSTITUT FÜR MEDIZINISCHE DOKUMENTATION UND INFORMATION (DIMDI) (Hrsg.)<br />
(2004): ICF. Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit.<br />
Final Draft. Stand: Oktober 2004. DIMDI Köln. (URL: http://www.dimdi.de)<br />
DONAJSKI, VERENA (2004): Einzelfallstudie zu den Verhaltensauffälligkeiten einer jungen Frau<br />
mit geistiger Behinderung unter besonderer Berücksichtigung des Beziehungsaspekts im<br />
Wohnalltag. Diplomarbeit im Kontext des Forschungsprojekts. Unveröff. Diplomarbeit,<br />
Universität zu Köln, Seminar für Geistigbehindertenpädagogik<br />
EEKELAAR, HEIN CH. J. Y. (1999): Erfahrungen mit Konsulententeams. In: D. Petry, Ch. Bradl:<br />
Multiprofessionelle Zusammenarbeit in der Geistigbehindertenhilfe. Projekte und Konzepte.<br />
Bonn: Psychiatrie-Verlag, 243 - 252<br />
FORNELL, CLAUDIA (2003): Analyse der Ausgangslage bei der Beantragung einer externen<br />
Unterstützung bei Verhaltensauffälligkeiten von Bewohner/innen mit geistiger Behinderung<br />
– aus Sicht des Gruppenpersonals. Unveröff. Diplomarbeit, Universität zu Köln,<br />
Seminar für Geistigbehindertenpädagogik<br />
HEIJKOOP, JACQUES (1998). Herausforderndes Verhalten von Menschen mit geistiger Behinderung.<br />
Neue Wege der Begleitung und Förderung. Weinheim: Beltz<br />
JANTZEN, WOLFGANG; LANWER-KOPPELIN, WILLEHAD (Hrsg.) (1996): Diagnostik als Rehistorisierung.<br />
Methodologie und Praxis einer verstehenden Diagnostik am Beispiel schwer behinderter<br />
Menschen. Berlin: Ed. Marhold<br />
LANDSCHAFTSVERBAND RHEINLAND (Hrsg.) (2003): Die Heilpädagogischen Heime. Wesentliches<br />
im Überblick. Köln: <strong>Landschaftsverband</strong> <strong>Rheinland</strong><br />
LANDSCHAFTSVERBAND RHEINLAND (2004): Die Heilpädagogischen Heime.<br />
URL: http://www.lvr.de/FachDez/Gesundheit/wirueberuns/amt+fuer+hph/.<br />
(Stand: 23.11.2004)<br />
LANDSCHAFTSVERBAND RHEINLAND (Hrsg.) (2004): Zur Verbesserung der Lebensqualität von<br />
Menschen mit Behinderung und Verhaltensauffälligkeiten. Bericht zur Tagung des Euregioprojektes<br />
am 1. Juli 2004 in Arnheim/Niederlande<br />
(Projektbüro Euregio: m.tietjen@vizier.nl.)<br />
118
Literatur<br />
LINGG, ALBERT; THEUNISSEN, GEORG (2000): Psychische Störungen und Geistige Behinderung.<br />
Ein Lehrbuch und Kompendium für die Praxis. 4., völlig überarb. und aktual. Auflage.<br />
Freiburg i. Breisgau: LambertusMAYRING, PHILIPP (2000). Qualitative Inhaltsanalyse.<br />
Grundlagen und Techniken. Weinheim: Deutscher Studien Verlag<br />
ORGANISATIONSTEAM FÜR CONSULENTENARBEIT des <strong>Landschaftsverband</strong>es <strong>Rheinland</strong> (2004):<br />
URL: http://www.consulenten.lvr.de (Stand: 23.11.2004)<br />
PETRY, DETLEF; BRADL, CHRISTIAN (1999): Multiprofessionelle Zusammenarbeit in der Geistigbehindertenhilfe.<br />
Projekte und Konzepte. Bonn: Psychiatrie-Verlag<br />
SCHOßMEIER, BIANCA (2004): <strong>Evaluation</strong> der Interventionen und Maßnahmen zur Unterstützung<br />
der professionellen Arbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung und auffälligen<br />
Verhaltensweisen. Unveröff. Diplomarbeit, Universität zu Köln, Seminar für Geistigbehindertenpädagogik<br />
SCHULZ-GAMBARD, JÜRGEN (1990): Dichte und Enge. In: Ökologische Psychologie. Ein<br />
Handbuch in Schlüsselbegriffen. Hrsg.: L. Kruse; C.-F. Graumann; E.-D. Lantermann.<br />
München: Psychologie Verlags Union, 339-346<br />
SEIFERT, MONIKA, FORNEFELD, BARBARA, KOENIG, PAMELA (2001). Zielperspektive Lebensqualität.<br />
Eine Studie zur Lebenssituation von Menschen mit schwerer Behinderung im<br />
Heim. Bielefeld: Bethel<br />
SENCKEL, BARBARA: Die Entwicklungsfreundliche Beziehung. Ein Angebot für Menschen mit<br />
schwerer Verhaltensauffälligkeit. In: Geistige Behinderung 40 (2001) 4, 337-349<br />
TÄUBER, KIRSTEN (2004): Aspekte der Lebenswirklichkeit von Menschen mit geistiger Behinderung<br />
und herausforderndem Verhalten - Anforderungen an die ‚Consulentenarbeit’ unter<br />
besonderer Berücksichtigung des Umgangs mit Krisen. Unveröff. Diplomarbeit, Carlvon-Ossietzky-Universität<br />
Oldenburg, Studiengang Sonderpädagogik<br />
THIMM, WALTER: Kritische Anmerkungen zur Selbstbestimmungsdiskussion in der Behindertenpädagogik.<br />
In: Zeitschrift für Heilpädagogik 48 (1997) 6, 222-232<br />
119
Verzeichnisse<br />
10 Verzeichnisse<br />
10.1 Abbildungen<br />
Abb. 1 Rücklauf der Fragebögen........................................................................................................ 10<br />
Abb. 2 Medikamentenvergabe bei Antragstellung.............................................................................. 15<br />
Abb. 3 Verhaltensauffälligkeiten bei Antragstellung ........................................................................... 17<br />
Abb. 4 Altersverteilung der Bewohner/innen ...................................................................................... 22<br />
Abb. 5 Einschätzung der geistigen Behinderung ............................................................................... 23<br />
Abb. 6 Personalpräsenz in den Gruppen ........................................................................................... 23<br />
Abb. 7 Problematischste Verhaltensweisen bei Antragstellung ......................................................... 24<br />
Abb. 8 Verhalten bei Antragstellung nach Häufigkeit......................................................................... 26<br />
Abb. 9 Verhaltenauffälligkeiten bei Antragstellung nach Intensität .................................................... 26<br />
Abb. 10 Durchgeführte Interventionen/Maßnahmen ............................................................................ 29<br />
Abb. 11 Veränderungen der Wohnsituation (Überblick)....................................................................... 32<br />
Abb. 12 Veränderungen der Wohnsituation nach Effektivität für Mitarbeiter ....................................... 33<br />
Abb. 13 Veränderungen der Wohnsituation nach Effektivität für Bewohner ........................................ 33<br />
Abb. 14 Personelle Veränderungen (Überblick)...................................................................................37<br />
Abb. 15 Personelle Veränderungen nach Effektivität für Mitarbeiter ................................................... 38<br />
Abb. 16 Personelle Veränderungen nach Effektivität für Bewohner .................................................... 38<br />
Abb. 17 Erweiterung der Mitarbeiterkompetenz (Überblick)................................................................. 41<br />
Abb. 18 Erweiterung der Mitarbeiterkompetenz nach Effektivität für Mitarbeiter ................................. 43<br />
Abb. 19 Erweiterung der Mitarbeiterkompetenz nach Effektivität für Bewohner.................................. 43<br />
Abb. 20 Erweiterung von Beobachtung, Problemanalyse, Diagnostik (Überblick) .............................. 46<br />
Abb. 21 Erweiterung von Beobachtung, Problemanalyse, Diagnostik nach Effektivität für Mitarbeiter47<br />
Abb. 22 Erweiterung von Beobachtung, Problemanalyse, Diagnostik nach Effektivität für Bewohner 48<br />
Abb. 23 Veränderungen am Betreuungskonzept (Überblick)............................................................... 51<br />
Abb. 24 Veränderungen am Betreuungskonzept nach Effektivität für Mitarbeiter ............................... 52<br />
Abb. 25 Veränderungen am Betreuungskonzept nach Effektivität für Bewohner ................................ 53<br />
Abb. 26 Veränderungen sozialer Beziehungen (Überblick) ................................................................. 57<br />
Abb. 27 Veränderungen sozialer Beziehungen nach Effektivität für Mitarbeiter.................................. 58<br />
Abb. 28 Veränderungen sozialer Beziehungen nach Effektivität für Bewohner................................... 58<br />
Abb. 29 Veränderungen in der Alltagsgestaltung/Lebensführung (Überblick) ..................................... 62<br />
Abb. 30 Veränderungen in der Alltagsgestaltung/Lebensführung nach Effektivität für Mitarbeiter...... 64<br />
Abb. 31 Veränderungen in der Alltagsgestaltung/Lebensführung nach Effektivität fürBewohner........ 64<br />
Abb. 32 Veränderungen bei Beschäftigung, Freizeit, Bildung (Überblick) ........................................... 68<br />
Abb. 33 Veränderungen bei Beschäftigung, Freizeit, Bildung nach Effektivität für Mitarbeiter............ 68<br />
Abb. 34 Veränderungen bei Beschäftigung, Freizeit, Bildung nach Effektivität für Bewohner............. 69<br />
Abb. 35 Spezielle Maßnahmen (Überblick).......................................................................................... 72<br />
Abb. 36 Spezielle Maßnahmen nach Effektivität für Mitarbeiter .......................................................... 73<br />
Abb. 37 Einsatz von Psychopharmaka................................................................................................. 74<br />
Abb. 38 Einsatz freiheitsentziehender Maßnahmen............................................................................. 76<br />
Abb. 39 Spezielle Maßnahmen nach Effektivität für Bewohner ........................................................... 77<br />
Abb. 40 Verhaltensauffälligkeiten nach Häufigkeit ............................................................................... 80<br />
Abb. 41 Verhaltensauffälligkeiten nach Intensität ................................................................................ 81<br />
Abb. 42 Fremdgefährdendes Verhalten nach Häufigkeit ..................................................................... 82<br />
Abb. 43 Fremdgefährdendes Verhalten nach Intensität....................................................................... 82<br />
Abb. 44 Selbstverletzendes Verhalten nach Häufigkeit ....................................................................... 83<br />
Abb. 45 Selbstverletzendes Verhalten nach Intensität......................................................................... 84<br />
Abb. 46 Entwicklung positiver Verhaltensweisen seit Antragstellung .................................................. 98<br />
Abb. 47 Beurteilung der fachlichen Unterstützung durch das Orga-Team......................................... 104<br />
120
Verzeichnisse<br />
10.2 Tabellen<br />
Tab. 1 Veränderungen der Wohnsituation nach Effektivität................................................................ 35<br />
Tab. 2 Personelle Veränderungen nach Effektivität............................................................................ 40<br />
Tab. 3 Erweiterung der Mitarbeiterkompetenz nach Effektivität ......................................................... 45<br />
Tab. 4 Erweiterung von Beobachtung, Problemanalyse, Diagnostik nach Effektivität ....................... 50<br />
Tab. 5 Veränderungen am Betreuungskonzept nach Effektivität........................................................ 55<br />
Tab. 6 Veränderungen sozialer Beziehungen nach Effektivität .......................................................... 60<br />
Tab. 7 Veränderungen in der Alltagsgestaltung/Lebensführung nach Effektivität .............................. 66<br />
Tab. 8 Veränderungen bei Beschäftigung, Freizeit, Bildung nach Effektivität .................................... 70<br />
Tab. 9 Spezielle Maßnahmen nach Effektivität................................................................................... 79<br />
Tab. 10 Veränderungstendenzen......................................................................................................... 85<br />
121
Anhang<br />
11 Anhang<br />
11.1 Antrag zur Klärung des Bedarfs für erweitere Hilfe<br />
s. S. 125<br />
11.2 Fragebogen zur Auswertung des Unterstützungsangebots des Organisationsteams<br />
im Rahmen des Consulentenprojektes der Heilpädagogischen Heime<br />
s. S. 126<br />
122
Anhang<br />
Antrag auf erweiterte Hilfe<br />
(Kurzfassung; vgl. BRAUN/STRÖBELE 2003)<br />
Antragstellendes Heim: .................................<br />
AbteilungsleiterIn: ........................................ CaremanagerIn: ...............................<br />
1. Gesetzliche Betreuung<br />
2. Persönliche Daten<br />
2.1 Tabellarischer Lebenslauf<br />
2.2 Diagnosen möglichst nach den Kriterien des DSM-III-R/-IV<br />
2.3 Aktuelle Medikation<br />
2.4 Beschreibung der Wohngruppe<br />
2.5 Beschreibung des sozialen Umfeldes/der sozialen Beziehungen<br />
des/der BewohnerIn.<br />
Nennen Sie die wichtigsten Bezugspersonen des/der BewohnerIn,<br />
ihre Funktion und soziale Rolle.<br />
2.6 Arbeit/Beschäftigung<br />
2.7 Förderung/Therapie<br />
3. Problemanalyse<br />
3.1 Beschreiben Sie exakt das Problemverhalten/die Problemverhaltensweisen<br />
und stellen Sie sie, im Falle mehrerer Problemverhaltensweisen, in eine<br />
gewichtete Reihenfolge.<br />
3.2 Auf welcher methodischen Grundlage erfolgt die Beschreibung des jeweiligen<br />
Problemverhaltens?<br />
3.3 Wie erklären Sie sich die Entstehung des jeweiligen Problemverhaltens?<br />
3.4 Konnten Sie Verhaltensweisen beobachten, mit denen der/die BewohnerIn<br />
versucht, das jeweilige Problemverhalten positiv zu beeinflussen, zu kontrollieren<br />
oder zu verändern?<br />
3.5 Benennen Sie das auf das jeweilige Problemverhalten bezogene<br />
Veränderungsziel.<br />
3.6 Wie stellen Sie sich eine zukünftige Lösung der Probleme vor?<br />
4. Welche Unterstützung erwarten Sie durch das Organisationsteam<br />
für Consulentenarbeit?<br />
123
Anhang<br />
Fragebogen<br />
zur Auswertung des Unterstützungsangebotes des Organisationsteams<br />
im Rahmen des Consulentenprojektes der Heilpädagogischen Heime<br />
1. Allgemeine Angaben<br />
1.1 Angaben in diesem Feld durch das ORGA-TEAM - Datenschutz - keine Namen eintragen!<br />
Bewohner: ________________ □ männlich □ weiblich Geburtsjahr: ________<br />
Behinderungen (lt. Consulentenbogen):<br />
psychiatrische Diagnosen (lt. Consulentenbogen):<br />
Heim: ___________ Datum der Antragstellung: ______________<br />
1.2 Angaben in diesem Feld bitte durch die ABTEILUNGSLEITUNG !<br />
Datum der ersten Besprechung mit dem Orga-Team:<br />
Wohnsituation des Bewohners:<br />
□ Außenwohngruppe □ Wohngruppe □ offene WG Größe der Wohngruppe: □ Einzelzimmer<br />
□ Heimgelände □ Appartement □ geschlossene WG ______ Personen □ Doppelzimmer<br />
Personalpräsenz tagsüber: □ keine ständige Präsenz □ 1 MA □ 1-2 MA □ 2-3 MA □ ständig mehr als 3 Mitarbeiter<br />
Personalpräsenz nachts: □ keine nächtliche Präsenz □ Nachtwache □ Schlafbereitschaft □ Rufbereitschaft<br />
Tagesstruktur:<br />
□ WfbM<br />
(außerhalb □ GÜF □ Vollzeit □ halbtags □ stundenweise<br />
der Wohngruppe)<br />
□ sonstige<br />
Leistungstyp gem. § 93 BSHG: □ 9 □ 10 □ 12 □ 14 □ .......... Hilfebedarfsgruppe: ...............<br />
1.3 Wer soll den Fragebogen ausfüllen ?<br />
Der Fragebogen soll mindestens von zwei Personen, und zwar (bitte getrennt mit eigenem Bogen)<br />
‣ von der zuständigen Abteilungsleitung<br />
‣ und der Gruppenleitung (bzw. einem Gruppenmitarbeiter)<br />
Fragebogen ausgefüllt durch □ Abteilungsleiter/in □ Gruppenleiter/in<br />
□ Mitarbeiter/in □ Bewohner/in □ Consulent/in<br />
□ Caremanager/in □ gesetzl. Betreuer/in □ Angehörige<br />
□ Andere: _________________________________<br />
□ männlich □ weiblich Geburtsjahr: 19 ..........<br />
Datum:<br />
_________________<br />
124
Anhang<br />
2. Problemverhalten bei Antragstellung<br />
Benennen Sie max. drei der schwierigsten Verhaltensweisen, die zum Zeitpunkt der Antragstellung auftraten,<br />
und bringen Sie diese in eine Rangfolge (das schwerwiegende an erster Stelle).<br />
‣ Verwenden Sie die Liste der Verhaltensauffälligkeiten (siehe Anhang)<br />
mit kurzer konkreter Erläuterung (z.B. schlägt seinen Kopf an Wand)<br />
‣ Kreuzen Sie in den Spalten auf der rechten Seite<br />
die Häufigkeit und Intensität des jeweiligen Verhaltens an<br />
Häufigkeit<br />
1. seltener als monatlich<br />
2. mehrmals im Monat<br />
3. mehrmals wöchentlich<br />
4. einmal täglich<br />
5. mehrmals am Tag<br />
Intensität<br />
1. unauffällig<br />
2. gering<br />
3. mittelgradig<br />
4. stark<br />
5. sehr stark<br />
Verhaltensauffälligkeiten bei der Antragstellung 1 2 3 4 5 1 2 3 4 5<br />
1.<br />
□ □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
2.<br />
3.<br />
□ □ □ □ □<br />
□ □ □ □ □<br />
□ □ □ □ □<br />
□ □ □ □ □<br />
3. Durchgeführte Interventionen und Maßnahmen<br />
Kreuzen Sie bitte alle seit Anmeldung zur Consulentenarbeit durchgeführten Maßnahmen an !<br />
‣ Mehrfachnennungen möglich.<br />
‣ Bei einigen Punkten sind Erläuterungen erwünscht, ergänzen Sie diese bitte (z.B. Thema einer Fortbildung).<br />
‣ Bewerten Sie anschließend die Effektivität<br />
der realisierten Maßnahmen:<br />
A. die Effektivität für Mitarbeiter<br />
B. die Effektivität für Bewohner<br />
A. Effektivität für Mitarbeiter:<br />
Wie hilfreich / wirksam schätzen Sie<br />
die Maßnahme für Ihre Arbeit ein?<br />
1. nicht hilfreich<br />
2. etwas / manchmal hilfreich<br />
3. meist hilfreich<br />
4. sehr hilfreich<br />
B. Effektivität für Bewohner:<br />
Wie wirksam schätzen Sie die Maßnahme<br />
zur Problemlösung ein?<br />
1. eher unwirksam<br />
2. etwas / manchmal wirksam<br />
3. häufig wirksam<br />
4. sehr wirksam<br />
nicht<br />
durchgeführt<br />
3.1 Veränderungen der Wohnsituation 1 2 3 4 1 2 3 4<br />
□ räumliche / bauliche Veränderungen □ im Bewohnerzimmer<br />
□ Zimmerwechsel in der Wohngruppe<br />
□ in den Gemeinschaftsräumen<br />
□ in ein Einzelzimmer<br />
□ zu anderem Bewohner<br />
□ □ □ □<br />
□ □ □ □<br />
□ □ □ □<br />
□ □ □ □<br />
□ □ □ □<br />
□ □ □ □<br />
□ □ □ □<br />
□ □ □ □<br />
□ Verminderung der Gruppengröße von ......... auf ......... Plätze □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ Änderung der Gruppenzusammensetzung / Umzug von Mitbewohnern □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ Umzug in eine andere Wohngruppe / Wohnung □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ andere Veränderung der Wohnsituation (bitte nennen):<br />
□ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□<br />
□<br />
□<br />
□<br />
125
Anhang<br />
Effektivität für<br />
Mitarbeiter<br />
Effektivität für<br />
Bewohner<br />
nicht durchgeführt<br />
3.2 Personelle Veränderungen 1 2 3 4 1 2 3 4<br />
□ mehr Personal in betreffende Wohngruppe (Erhöhung Personalschlüssel) □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ Personalwechsel in betreffender Wohngruppe (Ausscheiden / Neueinstellung) □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ gezielte bewohnerbezogene Personalauswahl □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ Veränderung von Dienstzeiten / Anwesenheitszeiten □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ Einzelfallhilfe □ beantragt □ neu bewilligt □ verlängert □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ Einsatz eines Assistenten, Stundenumfang/Woche: ............. □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ Einsatz eines heiminternen Caremanagers □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ andere personelle Veränderungen (bitte nennen): □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
3.3 Erweiterung der Mitarbeiterkompetenz 1 2 3 4 1 2 3 4<br />
□ Fallbesprechungen □ teamintern<br />
□ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ abteilungsübergreifend<br />
□ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ mit Orga-Team<br />
□ Fortbildungsangebote zu Themen (bitte nennen): □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ Supervision □ Teamsupervision □ Fallsupervision □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ Externe Beratung □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ weitere Maßnahmen für Mitarbeiter (bitte nennen):<br />
□ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□<br />
□<br />
□<br />
3.4 Erweiterung von Beobachtung, Problemanalyse und Diagnostik 1 2 3 4 1 2 3 4<br />
□ Einsatz spezieller Instrumente zur Verhaltensbeobachtung □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ Emotionale Situation des Bewohners nachempfinden, z.B. Rollenspiel □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ Biographische Analysen (Lebenslauf) □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ allgemein-medizinische Untersuchungen □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ Psychiatrische Diagnostik □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ weitere diagnostische Abklärungen (bitte nennen):<br />
□ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
3.5 Veränderungen am Betreuungskonzept 1 2 3 4 1 2 3 4<br />
□ veränderter Umgangsstil mit dem Bewohner □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ verstärkte Befriedigung emotionaler Bedürfnisse des Bewohners □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ Stärkung von Selbstbestimmung und Autonomie bei Bewohner □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ neue Absprachen mit dem Bewohner □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ neue Teamvereinbarungen zum Bewohner □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
126
Anhang<br />
Effektivität für<br />
Mitarbeiter<br />
Effektivität für<br />
Bewohner<br />
nicht durchgeführt<br />
3.6 Veränderungen sozialer Beziehungen 1 2 3 4 1 2 3 4<br />
□ mehr individuelle Zuwendung durch Mitarbeiter □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ Einsatz zusätzlicher Kommunikationshilfen (bitte nennen):<br />
□ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ Kontakte / Gespräche mit Angehörigen / gesetzl. Betreuern □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ Festlegung einer Bezugsperson im Team □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ andere Maßnahmen zur Verbesserung sozialer Beziehungen (bitte nennen):<br />
□ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
3.7 Veränderungen in der Alltagsgestaltung / Lebensführung 1 2 3 4 1 2 3 4<br />
□ Förderung von Selbständigkeit / mehr Anforderungen stellen □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ Aufbau von alternativem Verhalten □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ mehr Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten zulassen □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ Verringerung von Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten zur besseren Orientierung □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ stärkere Mithilfe im Haushalt □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ Veränderungen im Tagesablauf □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ Reduzierung von Anforderungen □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ Rückzugsmöglichkeiten erweitern □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ weitere Veränderungen im Alltag (bitte nennen):<br />
□ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
3.8 Veränderungen bei Beschäftigung, Freizeit und Bildung 1 2 3 4 1 2 3 4<br />
□ vermehrte Beschäftigung durch □ Aufnahme WfB □ Aufnahme heiminterne GÜF<br />
□ weniger Beschäftigung durch<br />
□ Erweiterung des GÜF-Angebots<br />
□ Ausscheiden aus WfB / GÜF<br />
□ stundenweise Reduzierung WfB / GÜF<br />
□ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ Veränderung der Beschäftigungsinhalte / Angebotsstruktur in WfB oder GÜF □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ mehr individuelle Freizeitaktivitäten □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ vermehrte Nutzung von Bildungsangeboten □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ andere tagesstrukturierende Maßnahmen (bitte nennen):<br />
□ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
127
Anhang<br />
Effektivität für<br />
Mitarbeiter<br />
Effektivität für<br />
Bewohner<br />
nicht durchgeführt<br />
3.9 Spezielle Maßnahmen 1 2 3 4 1 2 3 4<br />
□ Spezielle Fördermaßnahmen in der Wohngruppe (bitte nennen):<br />
□ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ Verhaltenstherapeutische Maßnahmen □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ Bewegungsangebote zum Abbau von Spannungen □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ Andere therapeutische Maßnahmen (bitte nennen):<br />
□ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ Vereinbarungen für eskalierende Situationen □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ Einsatz von Psychopharmaka □ erstmalig<br />
□ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ Umstellung<br />
□ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ Reduzierung<br />
□ bei Bedarf<br />
□ □ □ □<br />
□ □ □ □<br />
□ □ □ □<br />
□ □ □ □<br />
□<br />
□<br />
□ Einsatz freiheitsentziehender Maßnahmen<br />
□ geschlossene Gruppe<br />
□ Einschluss ins eigene Zimmer<br />
□ Fixierungen<br />
□ andere (bitte nennen):<br />
□ □ □ □<br />
□ □ □ □<br />
□ □ □ □<br />
□ □ □ □<br />
□ □ □ □<br />
□ □ □ □<br />
□ □ □ □<br />
□ □ □ □<br />
□ Abbau von freiheitsentziehenden Maßnahmen □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ Aufnahme in eine psychiatrische Klinik □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□ weitere spezielle Maßnahmen (bitte nennen):<br />
□ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
□<br />
□<br />
□<br />
□<br />
4. Verhaltensweisen in der aktuellen Situation<br />
4.1 Schätzen Sie die unter Punkt 2 genannten früheren Verhaltensweisen<br />
aus heutiger Sicht neu ein:<br />
Häufigkeit heute<br />
1. seltener als monatlich<br />
2. mehrmals im Monat<br />
3. mehrmals wöchentlich<br />
4. einmal täglich<br />
5. mehrmals am Tag<br />
Intensität heute<br />
1. unauffällig<br />
2. gering<br />
3. mittelgradig<br />
4. stark<br />
5. sehr stark<br />
Verhaltensauffälligkeiten bei Antragstellung (Verhalten von Punkt 2 übertragen) 1 2 3 4 5 1 2 3 4 5<br />
1.<br />
□ □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
2.<br />
□ □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
3.<br />
□ □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
128
Anhang<br />
4.2 Benennen Sie max. drei weitere,<br />
zur Zeit problematische Verhaltensweisen,<br />
und bringen Sie diese erneut in eine Rangfolge<br />
(siehe Verhaltensliste im Anhang):<br />
Häufigkeit heute<br />
1. seltener als monatlich<br />
2. mehrmals im Monat<br />
3. mehrmals wöchentlich<br />
4. einmal täglich<br />
5. mehrmals am Tag<br />
Intensität heute<br />
1. unauffällig<br />
2. gering<br />
3. mittelgradig<br />
4. stark<br />
5. sehr stark<br />
Neue Verhaltensauffälligkeiten zur Zeit 1 2 3 4 5 1 2 3 4 5<br />
1.<br />
□ □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
2.<br />
□ □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
3.<br />
□ □ □ □ □ □ □ □ □ □<br />
4.3 Halten Sie für die aktuell genannten problematischen Verhaltensweisen<br />
eine erneute Unterstützung durch das Orga-Team für wünschenswert? □ ja □ nein<br />
4.4 Benennen Sie max. drei positive Verhaltensweisen / Fähigkeiten, die der Bewohner in letzter Zeit neu entwickelt hat:<br />
Positive Verhaltensweisen / Fähigkeiten<br />
1.<br />
2.<br />
3.<br />
4.5 Wie schätzen Sie die Entwicklung positiver Verhaltensanteile beim Bewohner<br />
seit dem Zeitpunkt der Antragstellung bis heute ein:<br />
keine<br />
Änderung<br />
starke<br />
Änderung<br />
□ □ □ □ □<br />
1 2 3 4 5<br />
129
Anhang<br />
5. Allgemeine Einschätzung des Consulentenprojekts der Rheinischen Heilpädagogischen Heime<br />
5.1 Wie beurteilen Sie die durch das Orga-Team vermittelte fachliche Unterstützung?<br />
(Mehrfachnennungen möglich)<br />
□ externe Hilfe ist wenig effektiv<br />
□ Unterstützung eröffnet neue Perspektiven in der eigenen Arbeit<br />
□ Konzept ist gut, aber die Umsetzung könnte verbessert werden<br />
□ fachliche Qualifikation der Mitarbeiter wird erweitert<br />
□ psychische Belastung innerhalb der Wohngruppe wird reduziert<br />
□ externe Beobachtung erhöht den Druck auf die Mitarbeiter<br />
□ Konzept ist allgemein zu unbekannt bei den Mitarbeitern<br />
□ Konzept der Consulentenarbeit sollte ausgeweitet werden<br />
□ Ausfüllen des Bogens führt schon zu Lösungsvorschlägen<br />
□ Antragsbogen fordert zur Reflexion der eigenen Arbeit heraus<br />
□ Ausfüllen des Bogens ist zu aufwendig<br />
□ mangelnde Rückmeldung nach der Antragstellung<br />
□ zu lange Bearbeitungsdauer beim Orga-Team<br />
□ Sonstiges:<br />
____________________________________________________________________________________________________________<br />
____________________________________________________________________________________________________________<br />
5.2 Informationen über das Consulentenprojekt habe ich erhalten über: ___________________________________________________<br />
5.3 Was würden Sie am Konzept des Consulentenprojekts verändern?<br />
____________________________________________________________________________________________________________<br />
____________________________________________________________________________________________________________<br />
____________________________________________________________________________________________________________<br />
____________________________________________________________________________________________________________<br />
Vielen Dank für Ihre Mitarbeit !<br />
130
Anhang<br />
Liste der Verhaltensauffälligkeiten<br />
Selbstverletzendes Verhalten (Autoaggression)<br />
Fremdgefährdendes Verhalten (Fremdaggression)<br />
Zerstörung von Sachen<br />
Verbale Aggressionen (z. B. Beschimpfung)<br />
Hyperaktivität (motorische Unruhe)<br />
Schlafprobleme<br />
Schreien<br />
Stereotypien (motorisch)<br />
Stereotypien (verbal)<br />
Einkoten<br />
Einnässen<br />
Essverhalten<br />
Distanzlosigkeit<br />
Kontaktstörung<br />
Angstzustände<br />
Depressionen<br />
Zwangshandlungen<br />
Sexuelle Auffälligkeiten<br />
Alkoholprobleme<br />
Brandstiftung<br />
Kriminalität<br />
Suizidgefährdung<br />
Sonstiges: (bitte benennen) ...............................<br />
131