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I N T E R V I E W<br />
13<br />
Welche Rolle spielen da die Naturreligionen?<br />
Die gibt es noch immer, vieles läuft parallel<br />
und ist auch mit dem Christentum verbunden.<br />
Das war in Europa aber ganz ähnlich.<br />
Zum Beispiel spielt bei uns der Toten- und<br />
Ahnenkult eine wichtige Rolle. Anschließend<br />
gehen die Angehörigen dann auf den<br />
Friedhof und schütten dort ihre Opfergabe,<br />
z. B. Bier, auf das Grab. Wir sehen das zwar<br />
nicht so gerne, aber da gehen Naturreligion<br />
und Christentum Hand in Hand.<br />
Was unterscheidet europäisches und<br />
afrikanisches Christentum?<br />
Am deutlichsten sichtbar sind die Unterschiede<br />
im Feiern der Feste. Der Ablauf<br />
des christlichen Kirchenjahres ist natürlich<br />
ger OSB.<br />
zburg geboren. Profess 1958, Prieserweihe 1964, jetzt als Pfarrer<br />
pital Nyangao/TAnsania tätig.<br />
gleich. Der Glaube zeigt sich für viele Afrikaner<br />
vor allem im Feiern der persönlichen<br />
Feste. Das geht, für uns Europäer oft über<br />
ein vernünftiges Maß hinaus. So verschulden<br />
sich viele auf Jahre hin, um ein großes<br />
Hochzeitsfest zu feiern. Das Gleiche gilt<br />
auch bei einer Beerdigung. Da kommen bei<br />
einem normalen Begräbnis 500 bis 1000<br />
Leute zusammen. Das ist ein Fest für das<br />
Dorf, da muss jeder mit.<br />
Wir hatten das Pech, dass im letzten Jahr<br />
drei Priester aus dem afrikanischen Klerus<br />
bei uns im Krankenhaus gestorben sind.<br />
Die wurden dann hier an Ort und Stelle<br />
beerdigt. Da sind jedes Mal tausende<br />
Leute zusammen geströmt, die dann auch<br />
verköstigt werden mussten. Das zeigt natürlich<br />
auch den Familienzusammenhalt<br />
in den Dörfern. Jeden Morgen wird im<br />
Radio bekannt gegeben, wer gestorben<br />
ist und dann machen sich manche Leute<br />
100 bis 150 Kilometer auf den Weg, um<br />
zur Beerdigung zu fahren. Die Beerdigung<br />
selbst dauert dann drei bis vier Stunden,<br />
mit vielen Reden und Nach<strong>ruf</strong>en.<br />
Sehen Sie im Land Fortschritte?<br />
Sicher, es gibt einen sichtbaren materiellen<br />
Fortschritt. Das zeigt sich an der Kleidung<br />
der Leute. Früher sind die Afrikaner aus Armut<br />
beinahe unbekleidet herumgelaufen.<br />
Heute sind sie gekleidet, dass es schon<br />
erstaunlich ist. Auf Kleidung wird großen<br />
Wert gelegt. Es handelt sich jedoch fast<br />
ausschließlich um Second Hand Ware aus<br />
Amerika oder Europa.<br />
Früher gab es in den Häusern fast kein<br />
Kochgeschirr. Heute gibt es überall Plastikgeschirr<br />
aus China, was auch auf hygienischem<br />
Gebiet ein großer Fortschritt ist.<br />
Bei uns wird zurzeit die Straße bis nach<br />
Daressalam geteert, das ist ein riesiger<br />
Fortschritt. Vorher hatten wir eine Straße,<br />
die drei Monate im Jahr nicht passierbar<br />
war. Es gehört heute auch zum Standard,<br />
dass fast jede Familie ein Fahrrad besitzt.<br />
Damit ist man mobil und kann Waren<br />
transportieren.<br />
Auch das Schulwesen hat sich weiter ausgebreitet.<br />
Überall sind Sekundarschulen<br />
entstanden. Als ich nach Tansania kam,<br />
gab es fast keine staatlichen Schulen. Ich<br />
musste sogar früher die Gehälter der Lehrer<br />
selbst auszahlen. Heute gibt es ein halbwegs<br />
funktionierendes staatliches Schulsystem.<br />
Welche Rolle spielen beim Fortschritt<br />
die klösterlichen Gründungen?<br />
Vor allem wirtschaftlich stehen diese christlichen<br />
Städtchen wie Nyangao oder Ndanda<br />
oft sehr viel besser da als vergleichbare<br />
aber viel ältere muslimische Orte. Das liegt<br />
meiner Meinung auch am Christentum und<br />
der Einstellung der Leute was die Bildung<br />
betrifft. Der moslemische Glaube hat es<br />
viele Jahre verhindert, dass man Mädchen<br />
eine Schule besuchen ließ. So sind bis heute<br />
fast alle gebildeten Frauen Christinnen.<br />
Dabei haben wir bei den Stämmen in unserer<br />
Gegend das Mutterrecht. Das bedeutet,<br />
dass die Frauen über die Zukunft der<br />
Familie entscheiden. Das prägt auch die<br />
Männer, sie hören einander viel mehr zu<br />
als in anderen Regionen. Ich merke das immer,<br />
wenn ich einen Kaplan habe, der aus<br />
einem anderen Teil der Diözese, aus einem<br />
Stamm mit Vaterrecht, kommt. Diese Menschen<br />
treten mit anderem Selbstbewusstsein<br />
auf, hören aber nicht so gut zu.<br />
Wie ist das Verhältnis zu den Muslimen?<br />
Man vergisst oft, dass unsere Gegend nur<br />
zu 30 bis 40 Prozent christlich ist. Der Rest<br />
sind Muslime und Andersgläubige. Der<br />
Islam war ja schon vor dem Christentum<br />
dort. Die Unterscheidung zwischen Muslimen<br />
und Andersgläubigen ist allerdings<br />
schwer, denn es bezeichnet sich heute<br />
niemand gern als „Heide“. Der Islam ist<br />
allerdings nicht richtig organisiert. Für viele<br />
bedeutet Moslem sein, vor allem kein<br />
Schweinefleisch und keine Ratten zu essen.<br />
Es gibt einige kleinere Moscheen, die fast<br />
nur zu den Festtagen besucht werden. Der<br />
Islam in unserer Gegend auf dem Land ist<br />
eine Mischung zwischen „Heidentum“ und<br />
islamischer Lehre. Der Fastenmonat Ramadan<br />
wird fast nirgendwo eingehalten. Es<br />
gibt keine Religionsgelehrten vor Ort. In<br />
den Städten sieht das jedoch anders aus.<br />
Zum Schluss noch etwas ganz Persönliches:<br />
Sie sind in Nyangao für<br />
Ihr ausgefallenes Hobby bekannt ...<br />
Ja, ich führe dieses Hobby schon seit meiner<br />
Schulzeit aus - Radios bauen und alte<br />
Uhren reparieren. Das ist etwas, was in<br />
Tansania sehr gefragt ist. Viele Leute kommen<br />
mit ihrer kaputten Uhr zu mir und<br />
bitten um Hilfe. Dabei kommt man gut ins<br />
Gespräch. Es ist ein schönes Hobby, das mir<br />
persönlich und auch den Leuten hilft.