24.11.2013 Aufrufe

Drucksache „Bild“ – Eine Marke und ihre Mägde - Welt der Arbeit

Drucksache „Bild“ – Eine Marke und ihre Mägde - Welt der Arbeit

Drucksache „Bild“ – Eine Marke und ihre Mägde - Welt der Arbeit

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

TEIL II: EIN BLICK AUF DIE GANZE „BILD“<br />

Wie wird <strong>der</strong> Spatz in<br />

<strong>der</strong> Hand zum Paradiesvogel<br />

auf dem<br />

Dach?<br />

Wie macht man aus dem Spatzen auf dem<br />

Dach den Paradiesvogel in <strong>der</strong> Hand <strong>der</strong> Leser?<br />

Mit ernst gemeintem <strong>und</strong> ernst gemachtem<br />

Journalismus bekommt man dieses Massenpublikum<br />

nicht, dafür ist er zu anstrengend <strong>und</strong><br />

letztlich doch zu langweilig. Mit einem bloßen<br />

Phantasieprodukt auch nicht. Mit gut erf<strong>und</strong>enem<br />

<strong>und</strong> attraktiv präsentiertem Tingeltangel<br />

erreicht man das Massenpublikum hin <strong>und</strong><br />

wie<strong>der</strong>, als Dauerangebot verbraucht es sich<br />

wegen Belanglosigkeit. Es sieht so aus, als entspringe<br />

die millionenfache Anziehungskraft<br />

von <strong>„Bild“</strong> einer Hybridform, einer Mixtur, die<br />

Alltagwirklichkeit zulässt <strong>und</strong> aufnimmt, sie<br />

aber emotionalisierend <strong>und</strong> moralisierend,<br />

dramatisierend <strong>und</strong> personalisierend in abwechslungsreiche<br />

Unterhaltungsportionen<br />

verwandelt, also in Witze <strong>und</strong> Tragödien, in<br />

Empörungsschreie <strong>und</strong> Lustgewinne, gelüftete<br />

Geheimnisse <strong>und</strong> intime Bekenntnisse, Skandale<br />

<strong>und</strong> Glücksmomente. Lachen <strong>und</strong> weinen,<br />

jubeln, fluchen <strong>und</strong> sich fürchten, die Hände<br />

über dem Kopf zusammenschlagen <strong>und</strong> sich auf<br />

die Schenkel klopfen <strong>–</strong> all das soll das Publikum.<br />

<strong>„Bild“</strong> berichtet nicht über Ereignisse <strong>und</strong><br />

Themen, um sein Publikum darüber zu informieren<br />

<strong>und</strong> zu orientieren. <strong>„Bild“</strong> nimmt diese<br />

Ereignisse <strong>und</strong> Themen als Anlass, um daraus<br />

eine vertraute <strong>und</strong> trotzdem immer wie<strong>der</strong><br />

überraschende <strong>Welt</strong> zu konstruieren, welche<br />

die Gefühle des Publikums zu berühren vermag.<br />

Es ist deshalb angemessen, sich das Publikum<br />

von <strong>„Bild“</strong> <strong>–</strong> wie das Sportpublikum <strong>–</strong> als aktiv<br />

vorzustellen. Denn wenn <strong>„Bild“</strong> einen guten Tag<br />

hat, was nicht selten <strong>der</strong> Fall ist, dann regt<br />

<strong>„Bild“</strong> mit Erzählungen die Gefühle <strong>und</strong> die<br />

Phantasie <strong>ihre</strong>r Konsumenten an, lässt sie in<br />

<strong>ihre</strong>n Vorstellungen <strong>und</strong> Erfahrungen stöbern<br />

<strong>und</strong> die Geschichte für sich zu Ende erzählen.<br />

So perfektioniert <strong>„Bild“</strong> <strong>ihre</strong> Funktion zu unterhalten.<br />

Und so vermag <strong>„Bild“</strong> täglich ein<br />

letztlich sehr heterogenes Publikum zu einer<br />

Kaufentscheidung zu bewegen. Der eine fühlt<br />

sich gut unterhalten, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e regt sich auf,<br />

<strong>der</strong> Dritte fühlt sich bestätigt, <strong>der</strong> Vierte nimmt<br />

<strong>„Bild“</strong> ernst … Ein Prozess millionenfacher Vervielfältigung<br />

inhaltlicher Einfalt. Je<strong>der</strong> Käufer<br />

<strong>und</strong> je<strong>der</strong> Leser stellt <strong>„Bild“</strong> in seinem Kopf fertig.<br />

Er ist für die Endproduktion zuständig. Die<br />

Redaktion liefert ein klar konturiertes, eindeutiges,<br />

perfektes Vorprodukt, welches das Publikum<br />

nach seinem Alltagsverstand, seinen Vor-<br />

Urteilen, Erfahrungen <strong>und</strong> seinem <strong>Welt</strong>bild ‚adaptieren<br />

<strong>und</strong> verlängern‘ kann: die tägliche<br />

Montageanleitung namens <strong>„Bild“</strong>.<br />

Rudolf Michael, von Ende 1952 bis 1959<br />

Chefredakteur von <strong>„Bild“</strong>, drückte es einmal so<br />

aus: „Ich halte nichts davon, erwachsene Menschen<br />

mit Hilfe einer Zeitung zu erziehen. Ich<br />

glaube, es ist unsere Aufgabe, ihnen etwas mitzuteilen<br />

<strong>und</strong> sie zu unterhalten, <strong>ihre</strong>m monotonen<br />

Alltag ein bisschen individuelles Leben zu<br />

geben“ (Staadt u. a. 2009, 14). Im Bereich <strong>der</strong><br />

Politik interessiere sich <strong>„Bild“</strong> nur für die „bestürzenden,<br />

bewegenden Fragen“. Und: „Wir<br />

glauben, das aussprechen zu können, was Millionen<br />

in Deutschland fühlen, ohne dass ihnen<br />

im Augenblick die Worte zu Gebote stehen, mit<br />

denen man so etwas verständlich machen<br />

kann“ (Staadt u. a. 2009, 14). Sein Konzept, auf<br />

dessen Gr<strong>und</strong>lage er <strong>„Bild“</strong> als Chefredakteur<br />

58

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!