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Die Craniosacrale Osteopathie in der Sterbebegleitung

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<strong>Die</strong> <strong>Craniosacrale</strong> <strong>Osteopathie</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Sterbebegleitung</strong><br />

Pablo Picasso: Fliegende Taube im Regenbogen (1952)<br />

Diplomarbeit 2011<br />

Andrea Gabriela Durisch Bohne


Weisheit taucht auf,<br />

wenn du e<strong>in</strong>em Menschen<br />

o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>em D<strong>in</strong>g de<strong>in</strong>e volle<br />

Aufmerksamkeit schenkst.<br />

Aufmerksamkeit ist<br />

die Ur<strong>in</strong>telligenz,<br />

sie ist re<strong>in</strong>es Bewusstse<strong>in</strong>.<br />

Sie verb<strong>in</strong>det den Wahrnehmenden<br />

und das Wahrgenommene<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>igenden Feld<br />

des Gewahrse<strong>in</strong>s.<br />

Sie heilt jede Trennung.<br />

Eckhart Tolle


Inhaltsverzeichnis<br />

Zusammenfassung<br />

1. E<strong>in</strong>leitung<br />

2. Leben und Sterben<br />

3. Konzepte<br />

3.1 Konzepte aus <strong>der</strong> <strong>Craniosacrale</strong>n <strong>Osteopathie</strong><br />

3.2 Pflegerische Konzepte<br />

3.3 Me<strong>in</strong>e Konzepte<br />

4. Schnittpunkte<br />

4.1 Wenn <strong>der</strong> Bauch drückt<br />

4.2 Den Stillpo<strong>in</strong>t im Gespräch erkennen<br />

4.3 Wenn nichts mehr nötig ist<br />

5. Weiterführende Gedanken und Erkenntnisse<br />

6. Empfehlungen<br />

Dank<br />

Quellenverzeichnis


<strong>Die</strong> <strong>Craniosacrale</strong> <strong>Osteopathie</strong> (CSO) <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Sterbebegleitung</strong><br />

Zusammenfassung<br />

<strong>Die</strong>se Arbeit beleuchtet die <strong>Sterbebegleitung</strong> und die Möglichkeit e<strong>in</strong>em sterbenden<br />

Menschen mit <strong>Craniosacrale</strong>r <strong>Osteopathie</strong> (CSO) e<strong>in</strong>e Ressource anzubieten und den<br />

Sterbeprozess zu unterstützen. <strong>Die</strong> sanfte und konkrete Therapiemethode kann aus <strong>der</strong><br />

umfassenden Sichtweise des Menschen prozessbegleitend auf körperlicher, geistiger und<br />

seelischer Ebene heraus wirken. Deshalb verdient die CSO <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> <strong>Sterbebegleitung</strong><br />

mehr Beachtung als bisher wahrgenommen wurde. <strong>Die</strong> CSO sollte als wichtiger<br />

ressourcenför<strong>der</strong>n<strong>der</strong> Aspekt <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> <strong>Sterbebegleitung</strong> <strong>in</strong>tegriert werden.<br />

1.E<strong>in</strong>leitung<br />

Da im pflegerischen, therapeutischen und betreuerischen Bereich mehr Frauen als Männer<br />

tätig s<strong>in</strong>d, werde ich mich sprachlich mehrheitlich auf die weibliche Form e<strong>in</strong>lassen.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Sterbebegleitung</strong> wird <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bevölkerung oft nur am Rande wahrgenommen. Da für viele<br />

Menschen das Sterben und <strong>der</strong> Tod angst- und stressbesetzt s<strong>in</strong>d, sprechen wir nur ungern<br />

darüber. Auch wird <strong>in</strong> den Medien wenig über die <strong>Sterbebegleitung</strong> berichtet. Wie wichtig<br />

allerd<strong>in</strong>gs die <strong>Sterbebegleitung</strong> ist, wissen jene, die diesen Prozess mit e<strong>in</strong>em ihm nahen<br />

Menschen durchlebt und ihn <strong>in</strong> den Tod begleitet haben. Menschen <strong>in</strong> ihrem Sterben zu<br />

begleiten ist nicht nur e<strong>in</strong> Akt <strong>der</strong> Menschlichkeit, son<strong>der</strong>n bedeutet auch Achtung vor dem<br />

Leben selbst.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Sterbebegleitung</strong> ist e<strong>in</strong> weites Gebiet und f<strong>in</strong>det <strong>in</strong> den verschiedensten beruflichen<br />

Bereichen statt. Angefangen bei <strong>der</strong> mediz<strong>in</strong>ischen Versorgung durch Ärzte, über die Pflege<br />

durch Pflegefachkräfte, sei es im Krankenhaus, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Palliativabteilung, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Sterbehospiz o<strong>der</strong> zu Hause, bis h<strong>in</strong> zur Seelsorge, kümmern sich Menschen mit<br />

verschiedensten beruflichen H<strong>in</strong>tergründen um die letzte Lebensphase e<strong>in</strong>es Menschen und<br />

bieten Hilfe und Begleitung an.<br />

<strong>Die</strong> Begleitung sterben<strong>der</strong> Menschen mit verschiedenen Therapieformen ausserhalb des<br />

schulmediz<strong>in</strong>ischen Angebotes ist im Aufbau begriffen.<br />

Auf onkologischen und palliativen Abteilungen hat die Psychotherapie E<strong>in</strong>zug gehalten. Das<br />

Angebot von Homöopathie ist <strong>in</strong> grossen Zentren im Zusammenhang mit Krebserkrankungen<br />

heute vorhanden. <strong>Die</strong> Phythotherapie f<strong>in</strong>det vermehrt Beachtung. Sie bef<strong>in</strong>det sich seit<br />

e<strong>in</strong>igen Jahren auf dem Stundenplan <strong>der</strong> Universitäten für angehende Mediz<strong>in</strong>er.<br />

In St. Gallen, e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> führenden Onkologischen Zentren <strong>der</strong> Schweiz, arbeitet Frau Dr.<br />

Monika Renz, Psycholog<strong>in</strong> und Theolog<strong>in</strong>, Musik und Psychotherapeut<strong>in</strong> FSP im<br />

psychoonkologischen Bereich unter an<strong>der</strong>em mit Klang- und Musiktherapie.<br />

Pflegende auf Palliativstationen werden <strong>in</strong> Massagekursen weitergebildet und <strong>der</strong> Wert<br />

manueller Therapien wird generell erkannt. Weiterbildungen <strong>in</strong> verschiedenen alternativen<br />

Methoden bilden Teil des Fortbildungsangebots für Pflegende an Spitälern. <strong>Die</strong><br />

1


Aromatherapie, wird vermehrt <strong>in</strong> Spitälern, Alterszentren, Heimen und so weiter e<strong>in</strong>gesetzt.<br />

Ätherische Öle kommen sowohl <strong>in</strong> Waschungen, zur basaler Stimulation, für wohltuende<br />

Wickel und <strong>in</strong> Bä<strong>der</strong>n zur Anwendung. Auch werden ätherische Öle <strong>in</strong> Duftlampen für e<strong>in</strong><br />

angenehmes Duft- und Raumklima e<strong>in</strong>gesetzt. <strong>Die</strong> damit gemachten Erfahrungen s<strong>in</strong>d gut und<br />

die Handhabung all dessen ist e<strong>in</strong>fach. E<strong>in</strong>e Sensibilisierung <strong>in</strong> verschiedene alternative<br />

Richtungen f<strong>in</strong>det heute laufend statt.<br />

Viele Geme<strong>in</strong>den kümmern sich um den Aufbau von Hospizgruppen. In Hospizgruppen<br />

kommen Menschen aus den verschiedensten beruflichen H<strong>in</strong>tergründen zusammen, die zum<br />

Ziel haben, Sterbenden Menschen und <strong>der</strong>en Angehörigen Unterstützung anzubieten, dort wo<br />

die Kräfte und Ressourcen <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Familie o<strong>der</strong> <strong>der</strong> begleitenden Institution an Ihre<br />

Grenzen stossen. Hospizgruppen basieren auf <strong>der</strong> Freiwilligenarbeit. <strong>Die</strong>se Tätigkeit ist<br />

ehrenamtlich.<br />

Sterbebegleiter<strong>in</strong>nen, die über e<strong>in</strong>en Hospizdienst an e<strong>in</strong> Kranken- o<strong>der</strong> Sterbebett gerufen<br />

werden, begleiten schwerkranke o<strong>der</strong> sterbende Menschen durch schwierige Phasen, meist <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Nacht. <strong>Die</strong> Nacht ist für viele schwerkranke o<strong>der</strong> sterbende Menschen die schwierigste<br />

Tageszeit. Wenn die Tagesbewegungen zur Ruhe kommen, werden die Gedanken schwerer<br />

und wird die Last <strong>der</strong> Krankheit und des Abschieds spürbarer und noch erfahrbarer. Fakt ist,<br />

dass <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nacht aus f<strong>in</strong>anziellen Gründen <strong>in</strong> den öffentlichen Institutionen wie Spitälern,<br />

Heimen sowie auch bei spitalexterner Pflege weniger Personal zur Verfügung stehen. Dann<br />

wird die Betreuung von Sterbenden bei Engpässen nach Möglichkeit an den freiwilligen<br />

Hospizdienst delegiert.<br />

Pflegende ermöglichen sterbenden Menschen die Bedürfnisse des alltäglichen Lebens zu<br />

stillen. <strong>Die</strong>s beg<strong>in</strong>nt bei <strong>der</strong> Grundpflege und bei <strong>der</strong> Nahrungsaufnahme, be<strong>in</strong>haltet die<br />

Schmerzstillung und umfasst all jene Bereiche des täglichen Lebens, die aufgrund <strong>der</strong><br />

Krankheit nicht mehr selbständig abgedeckt werden können. Ebenso organisieren Pflegende<br />

den Tagesablauf dort, wo auch dies für den kranken Menschen nicht mehr möglich ist. <strong>Die</strong>s<br />

ist vor allem <strong>in</strong> Alters- und Pflegeheimen und <strong>der</strong> spitalexternen Pflege <strong>der</strong> Fall.<br />

Ebenso gehören auch Betreuungsgespräche mit dem Sterbenden, se<strong>in</strong>er Familie und se<strong>in</strong>en<br />

Freunden zum Aufgabengebiet von Pflegefachkräften.<br />

Pflegende decken somit e<strong>in</strong> weites Feld <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> <strong>Sterbebegleitung</strong> ab, vor allem dann,<br />

wenn <strong>der</strong> Patient <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Institution sei es e<strong>in</strong>em Krankenhaus, e<strong>in</strong>em Alterszentrum o<strong>der</strong><br />

e<strong>in</strong>em Hospiz betreut wird. Wenn Menschen zu Hause sterben, können Angehörige die<br />

grösste Betreuungsarbeit <strong>in</strong>klusive e<strong>in</strong>fache pflegerische Verrichtungen übernehmen. Für die<br />

schwierigeren pflegerischen Bereiche, o<strong>der</strong> wenn Angehörige die Pflege nicht mehr<br />

übernehmen können, kommen die spitalexterne Pflege und Brückenangebote zum Zug.<br />

<strong>Die</strong>se Vielfältigkeit des Pflegeberufes ist sehr schön und bereichernd. Lei<strong>der</strong> fehlt e<strong>in</strong> Bereich<br />

jedoch oft. <strong>Die</strong> stillen und ruhigen Momente nämlich, <strong>in</strong> denen auch Pflegende sich an e<strong>in</strong><br />

Bett setzen und aus <strong>der</strong> Ruhe heraus begleiten möchten, s<strong>in</strong>d selten. Oft müssen diese<br />

Augenblicke aus Zeit- und Geldgründen delegiert werden.<br />

Genau diese Augenblicke des Innehaltens s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Sterbebegleitung</strong> allerd<strong>in</strong>gs wichtig. Der<br />

pflegerische Alltag erfor<strong>der</strong>t viel an Organisation. Pflegefachfrauen betreuen mehrere<br />

Menschen gleichzeitig und haben ke<strong>in</strong>e Zeit für Betrachtungen und Betreuung aus e<strong>in</strong>er<br />

stillen Warte. Weil Pflege sichtbar, e<strong>in</strong>en messbaren Wert vorweisen und bezahlbar se<strong>in</strong><br />

muss. Je nach Institution ist das Gespräch nicht bezahlt und viele Betreuer<strong>in</strong>nen leisten diesen<br />

wichtigen Beitrag ausserhalb <strong>der</strong> Arbeitszeit, auf eigene Kosten.<br />

2


Seit dreissig Jahren b<strong>in</strong> ich Pflegefachfrau. Vor zwanzig Jahren habe ich mich als<br />

Operationsfachfrau weitergebildet und fast zehn Jahre im operativen und <strong>in</strong>vasiven Bereich<br />

Erfahrungen gesammelt. In allen Bereichen wurde ich immer wie<strong>der</strong> aus verschiedensten<br />

Perspektiven mit dem Thema des Abschieds, des Loslassens, des Sterbens und des Todes<br />

konfrontiert. Auch <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em privaten Umfeld erlebte ich <strong>in</strong>tensive Zeiten, <strong>in</strong> denen geliebte<br />

Angehörige sich <strong>in</strong> langer Krankheit vom Hier und Jetzt lösen mussten.<br />

<strong>Die</strong> kle<strong>in</strong>en und die grossen Tode, die Menschen auf dem Weg aus e<strong>in</strong>er Krankheit o<strong>der</strong> auf<br />

dem Weg <strong>in</strong> den endgültigen Abschied sterben, s<strong>in</strong>d so vielfältig wie das Leben selbst. <strong>Die</strong>s<br />

gilt auch für die eigenen Prozesse, die man als Sterbebegleiter<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Begleitung e<strong>in</strong>es<br />

sterbenden Menschen durchlebt. Ganz zu schweigen davon, was es heisst e<strong>in</strong>en lieben<br />

Menschen zu verabschieden, den man nicht mehr aus e<strong>in</strong>er professionellen Warte begleitet,<br />

son<strong>der</strong>n mitgeht und loslassen muss als Tochter o<strong>der</strong> Freund<strong>in</strong>.<br />

Sterben berührt – immer – und kann nicht e<strong>in</strong>fach ad acta gelegt werden, wie e<strong>in</strong><br />

abgeschlossener Fall, denn die Erfahrungen, die man auf dem geme<strong>in</strong>samen Weg des<br />

Abschieds macht, verän<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>en selber, ob man will o<strong>der</strong> nicht. Im Sterbeprozess werden<br />

Lebenskräfte frei denen gegenüber man sich nicht verschliessen kann, denn das Leben selbst<br />

berührt e<strong>in</strong>en mit ungebremster Kraft. Wie viel Leben im Sterben ist, erfährt <strong>der</strong>, <strong>der</strong> sich dem<br />

Sterben stellt.<br />

Vor fünf Jahren entschloss ich mich für die Weiterbildung zur Craniosacraltherapeut<strong>in</strong>.<br />

In <strong>der</strong> <strong>Craniosacrale</strong>n <strong>Osteopathie</strong> (CSO), auch als Craniosacral Therapie bekannt, wird über<br />

fe<strong>in</strong>e und fe<strong>in</strong>ste Berührung <strong>in</strong> struktureller und dynamischer Arbeit dem Körper, schlicht<br />

dem ganzen „System Mensch“, e<strong>in</strong> o<strong>der</strong> mehrere Impulse angeboten, um die Selbstregulation<br />

erneut o<strong>der</strong> vertieft zu ermöglichen. Voraussetzung für diese Arbeit ist e<strong>in</strong> fundiertes<br />

anatomisches und physiologisches sowie pathophysiologisches Wissen. Mediz<strong>in</strong>ische und<br />

anatomische Kenntnisse und dementsprechende Erfahrungen s<strong>in</strong>d sehr von Vorteil. Aus<br />

me<strong>in</strong>em Werdegang heraus passten die beiden Profile bestens zu e<strong>in</strong>an<strong>der</strong>.<br />

<strong>Die</strong> CSO kümmert sich <strong>in</strong> vielen Bereichen therapeutisch um die Verbesserung von<br />

Lebenssituationen. Das Wirkungsgebiet <strong>der</strong> CSO kann im therapeutischen Rahmen für<br />

vielfältige körperliche Beschwerden e<strong>in</strong>gesetzt werden bis h<strong>in</strong> zur Begleitung und<br />

Unterstützung von Burn-out Situationen, Depressionen, o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s formuliert psychischen<br />

und seelischen Stresssituationen. Patienten mit e<strong>in</strong>em schweren psychiatrischen<br />

Krankheitsbild bilden e<strong>in</strong>e Ausnahme. Ob bei psychiatrischen Krankheiten die CSO s<strong>in</strong>nvoll<br />

ist anzuwenden, liegt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Entscheidung des behandelnden Arztes.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Craniosacrale</strong> <strong>Osteopathie</strong> basiert auf <strong>der</strong> umfassenden Sichtweise des Menschen, <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Körper, Geist und Seele als e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heit betrachtet und behandelt werden. Das therapeutische<br />

Konzept beruht auf <strong>der</strong> Idee, diejenige Struktur anzusprechen, die im Augenblick für e<strong>in</strong>e<br />

Lösungs- und/o<strong>der</strong> Entwicklungsarbeit bereit ist. <strong>Die</strong> Impulse s<strong>in</strong>d ressourcenorientiert und<br />

die Wirkung kann sich aus diesem Aspekt heraus <strong>in</strong> alle Schichten ausbreiten.<br />

Sterbeprozesse werden <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Craniosacrale</strong>n Therapie im weitesten S<strong>in</strong>ne begleitet, wenn<br />

Klienten <strong>in</strong>nerhalb ihrer seelischen und psychischen Aspekte bewusst Begleitung suchen.<br />

Sterbeprozesse im S<strong>in</strong>ne von Verän<strong>der</strong>ung und Loslassen im Lebensprozess, können mit<br />

craniosacraler Arbeit gut reflektiert und aufgearbeitet werden, weil <strong>der</strong> Mensch umfassend<br />

unterstützt und begleitet wird. Natürlich können solche Prozesse <strong>in</strong>nerhalb des<br />

therapeutischen Geschehens auch selbständig <strong>in</strong> Gang kommen, ohne dass explizit danach<br />

3


gesucht wird. So kann man sagen, dass die CSO im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Lebensberatung und<br />

Prozessbegleitung sich mit dem Aspekt des Sterbens und Loslassens ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong> setzt.<br />

Innerhalb <strong>der</strong> <strong>Sterbebegleitung</strong> ist die craniosacrale <strong>Osteopathie</strong> lei<strong>der</strong> noch nicht fest<br />

<strong>in</strong>tegriert und wird dort kaum o<strong>der</strong> nur am Rand wahrgenommen.<br />

<strong>Die</strong>s war e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Gründe, warum ich mich entschloss, nebst me<strong>in</strong>er Arbeit als Familienfrau,<br />

Pflegefachfrau und Craniosacraltherapeut<strong>in</strong>, mich zusätzlich im Hospizdienst zu engagieren.<br />

Hospizarbeit zeichnet sich nicht durch pflegerische Verrichtungen, son<strong>der</strong>n durch Begleitung,<br />

durch das Dase<strong>in</strong> aus. Begleitung <strong>in</strong> all den Facetten, was Begleitung se<strong>in</strong> kann: Reden,<br />

s<strong>in</strong>gen, schweigen, zuhören, lachen, geme<strong>in</strong>sam betrachten, e<strong>in</strong> Gebet sprechen, e<strong>in</strong>e Hand<br />

halten, die Füsse massieren, e<strong>in</strong> kühles Tuch auf die Stirne legen, am Bett wachen, geschehen<br />

lassen.<br />

<strong>Die</strong> jahrelange pflegerische und mediz<strong>in</strong>ische Erfahrung gibt mir die nötige Sicherheit<br />

anspruchsvolle Situationen zu begleiten. Aus me<strong>in</strong>er therapeutischen Arbeit b<strong>in</strong> ich es<br />

gewohnt Prozesse achtsam zu begleiten.<br />

Da ich mich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hospizarbeit nicht um pflegerische Belange kümmern muss, kann ich aus<br />

<strong>der</strong> ruhigen Perspektive heraus da se<strong>in</strong> und auf den Patienten e<strong>in</strong>gehen, auf das, was für ihn<br />

im Augenblick gerade wichtig ist. <strong>Die</strong> Erfahrungen aus <strong>der</strong> CSO und auch die verschiedenen<br />

gelernten therapeutischen Mittel kommen mir <strong>in</strong> <strong>der</strong> Begleitung am Sterbebett ebenso zu<br />

Hilfe. Synergien können entstehen.<br />

<strong>Die</strong>se Schnittpunkte <strong>in</strong>teressieren mich. In dieser Arbeit möchte ich die Momente beleuchten,<br />

wo die <strong>Sterbebegleitung</strong> durch die craniosacrale Arbeit e<strong>in</strong>e Bereicherung erfährt. Ebenso<br />

kann <strong>der</strong> Sterbeprozess mit Hilfe von craniosacraler Unterstützung erleichtert werden. <strong>Die</strong>se<br />

Hilfe kann manchmal sehr e<strong>in</strong>fach se<strong>in</strong> und dennoch e<strong>in</strong>e sehr grosse Wirkung auf die<br />

momentane Situation im Sterbeprozess entfalten.<br />

Dazu werde ich e<strong>in</strong>ige Beispiele aus me<strong>in</strong>er Hospizarbeit und <strong>der</strong> Pflege anführen. <strong>Die</strong><br />

Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit den verschiedenen Konzepten und Ausrichtungen <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong><br />

<strong>Craniosacrale</strong>n <strong>Osteopathie</strong>, <strong>der</strong> Pflege und me<strong>in</strong>er Erfahrung werde ich erörtern.<br />

<strong>Die</strong> verschiedenen Konzepte dienen mir als Wegweiser und Stützpfeiler <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Sterbebegleitung</strong> aber auch im therapeutischen o<strong>der</strong> pflegerischen Arbeiten. Ich habe im Lauf<br />

<strong>der</strong> Jahre die Erfahrung gemacht, dass die gelebten und überprüften Konzepte e<strong>in</strong> gutes<br />

Fundament für die Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung im Berufsalltag s<strong>in</strong>d. Natürlich unterstehen die<br />

Konzepte ebenso e<strong>in</strong>er Entwicklung und s<strong>in</strong>d ebenso Ausdruck des jeweils gegenwärtigen<br />

Wissens- und Erfahrungsstandes. Sie s<strong>in</strong>d mir Orientierungspunkte. Ich unterteile die<br />

Konzepte nach craniosacral osteopathischer, pflegerischer und persönlicher Sicht. <strong>Die</strong>s dient<br />

nur <strong>der</strong> Klarheit des Textes. Im Berufsalltag jedoch fliessen diese Ansätze <strong>in</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> e<strong>in</strong>.<br />

<strong>Die</strong>se Arbeit wird somit e<strong>in</strong>e sehr deutliche Prägung me<strong>in</strong>es Weges erhalten. Ich erhebe nicht<br />

den Anspruch an Vollständigkeit. Ich glaube an die Entwicklung und an das Wachsen-<br />

Können <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit dem Thema. <strong>Die</strong>sem Anspruch allerd<strong>in</strong>gs hoffe ich<br />

gerecht zu werden.<br />

4


2. Leben und Sterben<br />

Zunächst möchte ich zu den Begriffen Leben und Sterben e<strong>in</strong>ige e<strong>in</strong>leitende Gedanken<br />

anführen. Es ist mir klar, dass ich dieses Konzept nur streife und nicht vertieft herausarbeiten<br />

kann. Ich versuche <strong>in</strong> wenigen Worten die drei Ebenen Körper – Geist – Seele <strong>in</strong> dieser<br />

Verb<strong>in</strong>dung kurz zu beleuchten.<br />

Unsere Existenz wendet sich <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie dem Leben zu. Körper, Geist und Seele s<strong>in</strong>d auf<br />

„Leben“ ausgerichtet. <strong>Die</strong>s ist e<strong>in</strong>e starke Kraft. Wird an dieser Kraft gefährlich heftig<br />

gerüttelt, wehrt sie sich dagegen.<br />

Neurophysiologisch und physiologisch s<strong>in</strong>d wir so konzipiert, dass alle unsere körperlichen<br />

und physiologischen Systeme versuchen auf die Erhaltung des Lebens zu schalten, wenn das<br />

Leben aus irgende<strong>in</strong>em Grund bedroht ist. <strong>Die</strong>s kann durch e<strong>in</strong>e Krankheit, e<strong>in</strong>en Unfall o<strong>der</strong><br />

e<strong>in</strong>e massive körperliche, geistige o<strong>der</strong> seelische Stresssituation se<strong>in</strong>. Unser Körper wird<br />

versuchen <strong>in</strong> <strong>der</strong> bedrohlichen Situation e<strong>in</strong> Gleichgewicht <strong>in</strong> Richtung Homöostase<br />

anzustreben. <strong>Die</strong> Homöostase dient <strong>der</strong> Konstanterhaltung e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>neren Milieus, das durch<br />

Regulation zustande kommt. Aus <strong>der</strong> phylogenetischen Entwicklung des Menschen wird das<br />

Leben <strong>in</strong> den seltensten Fällen kampflos aufgegeben. <strong>Die</strong>s geschieht nur dann, wenn die<br />

„Option Tod“ die bessere Lösung als <strong>der</strong> Kampf darstellt. <strong>Die</strong> Überlebensstrategie, die <strong>der</strong><br />

Körper sich jeweils sucht, hängt mit unserer neurologischen Verschaltung und den<br />

dazugehörenden hormonellen Systemen zusammen. Dr. Stephen Porges hat <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en<br />

Forschungen wichtige Erkenntnisse <strong>in</strong> diesem Zusammenhang gefunden. (Stephen Porges:<br />

Polyvagale Theorie und Neuroception) [1]<br />

<strong>Die</strong>s ist aber nur e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Teile. Denn wir s<strong>in</strong>d nicht nur gut funktionierende Ökosysteme, wir<br />

s<strong>in</strong>d sehr viel mehr.<br />

Wir Menschen haben e<strong>in</strong>en Schaffensdrang, uns mit dem eigenen Leben auf <strong>der</strong> Welt zu<br />

manifestieren und Spuren zu h<strong>in</strong>terlassen. <strong>Die</strong> e<strong>in</strong>en tun es bewusst, die an<strong>der</strong>en unbewusst.<br />

Vielleicht könnte man diese Schaffenskraft auch Ausdruck des Ich nennen. Auch diesen Teil<br />

des Lebens geben wir <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel nicht kampflos auf. Sterben bedeutet dieses handelnde,<br />

fühlende und denkende Ich loszulassen. Im Sterben entfernen wir uns von unserer Ich<br />

Identität und müssen im Lösen dieser Kraft auch all das von uns Geschaffene, Gefühlte und<br />

Gedachte h<strong>in</strong>ter uns lassen. <strong>Die</strong>ser Abschied braucht ebenso Zeit und Geduld, weil wir all das,<br />

was uns nach aussen greifbar, spürbar und erlebbar macht, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Dimension br<strong>in</strong>gen<br />

müssen, die nicht mehr von dieser Welt ist.<br />

<strong>Die</strong> Frage nach dem S<strong>in</strong>n des Lebens trifft jeden Menschen irgendwann. Oft werden diese<br />

Fragen relevanter und dr<strong>in</strong>gen<strong>der</strong> behandelt, wenn wir an e<strong>in</strong>er Schwelle, an e<strong>in</strong>em Übergang<br />

im Leben ankommen. <strong>Die</strong>s trifft <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e zu, wenn die Begrenzung des Lebens spürbar<br />

wird und im Bewusstse<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es Menschen e<strong>in</strong>en festen Platz e<strong>in</strong>nimmt. <strong>Die</strong>s kann durch e<strong>in</strong>e<br />

schwere Krankheit, e<strong>in</strong>en Unfall o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Schicksalsschlag geschehen. Vielleicht setzen wir<br />

uns mit unserer Begrenzung, unserer Sterblichkeit auch freiwillig ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>.<br />

Stehen wir an Übergängen und Zäsuren <strong>in</strong> unserem Leben, müssen wir lernen loszulassen, um<br />

das Neue, An<strong>der</strong>e begrüssen zu können. Das s<strong>in</strong>d starke Lebensprozesse, die man auch mit<br />

Sterben bezeichnen könnte. Das Sterben führt nicht immer zum körperlichen Tod. Manchmal<br />

sterben Aspekte, Ideen, Ausrichtungen, Konzepte, Beziehungen, Lebensl<strong>in</strong>ien <strong>in</strong> uns und<br />

führen uns und unser Leben <strong>in</strong> neue Qualitäten, die e<strong>in</strong>em Wachstumsprozess gleichkommen.<br />

5


Sicher ist, dass wir nebst den vielen Sterbeprozessen, die wir <strong>in</strong> unserem Leben durchleben<br />

e<strong>in</strong>es Tages e<strong>in</strong>en letzten Tod hier sterben werden, das Ende unseres Lebens erleben werden.<br />

In solchen Situationen werden wir uns auch verstärkt des seelischen Aspektes <strong>in</strong> unserem<br />

Leben gewahr. Wie wir diesen übergeordneten Bereich <strong>in</strong> unserem Leben erfahren, gestalten<br />

und <strong>in</strong>tegrieren, ist so mannigfaltig wie das Leben selbst.<br />

In <strong>der</strong> E<strong>in</strong>leitung habe ich bemerkt, dass das Sterben so vielfältig ist, wie es Menschen gibt.<br />

Aus diesem Erfahrungsbereich schöpfe ich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Arbeit. Je<strong>der</strong> Mensch geht im<br />

Sterbeprozess se<strong>in</strong>en eigenen Weg. Oft ersche<strong>in</strong>en bei den Sterbenden Parallelen zum bisher<br />

gelebten Leben und oft erlebe ich, dass ihr Weg aus dem Leben so gelebt, erlebt und gestaltet<br />

wird, wie <strong>in</strong> aktiven Arbeitszeiten und <strong>in</strong> <strong>der</strong> vitalen Lebenszeit gelebt wurde. E<strong>in</strong> Mensch <strong>der</strong><br />

gerne <strong>in</strong> Gesellschaft ist, wird dies auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> letzten Lebensphase schätzen. Menschen die<br />

sich gerne berühren lassen, schätzen liebevollen Körperkontakt im Sterbeprozess. Jemand, <strong>der</strong><br />

gerne alle<strong>in</strong>e ist, regelt se<strong>in</strong> Sterben oft auch alle<strong>in</strong>e mit sich selber. <strong>Die</strong>se Beobachtungen<br />

sehe ich wertfrei, sie s<strong>in</strong>d Ausdruck des Lebensweges und <strong>der</strong> Individualität.<br />

Dr. Elisabeth Kübler-Ross [2] beschreibt verschiedene Phasen im Sterbeprozess - von <strong>der</strong><br />

Verweigerung bis h<strong>in</strong> zur Annahme des Sterbens und dem F<strong>in</strong>den e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>neren Friedens.<br />

<strong>Die</strong>se Beschreibungen s<strong>in</strong>d grundsätzlich sehr s<strong>in</strong>nvoll, für me<strong>in</strong>e Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung hier<br />

jedoch weniger relevant.<br />

Da ich mich im Folgenden vor allem den von mir geschaffenen Schnittstellen von<br />

craniosacraler Arbeit und <strong>der</strong> <strong>Sterbebegleitung</strong> zuwende, möchte ich den Sterbeprozess nicht<br />

<strong>in</strong> diese beschriebenen Phasen e<strong>in</strong>teilen, son<strong>der</strong>n die Momente beleuchten, wann, wo und wie<br />

die craniosacrale Arbeit mir Hilfe und Erleichterung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Begleitung e<strong>in</strong>es schwerkranken<br />

und sterbenden Menschen war. Und natürlich beleuchte ich, wo Sterbende konkrete Hilfe mit<br />

craniosacraler Unterstützung erfahren haben.<br />

3. Konzepte<br />

Ich werde oft gefragt, wie ich mit <strong>der</strong> Arbeit als Sterbebegleiter<strong>in</strong> umgehe.<br />

Aus diesem Grunde möchte ich jene Konzepte beleuchten, die mir Hilfe <strong>in</strong> <strong>der</strong> Begleitung von<br />

Sterbenden Menschen s<strong>in</strong>d.<br />

Im Kapitel 4. Schnittpunkte werde ich Beispiele dazu aufführen, <strong>in</strong> denen die unten<br />

aufgeführten Konzepte hilfreich wirken konnten.<br />

3.1 Konzepte aus <strong>der</strong> <strong>Craniosacrale</strong>n <strong>Osteopathie</strong> (CSO)<br />

<strong>Craniosacrale</strong> Arbeit kann <strong>in</strong> strukturelle und rhythmische Aspekte aufgeteilt werden.<br />

Innerhalb me<strong>in</strong>er Ausbildung zur Craniosacraltherapeut<strong>in</strong> an <strong>der</strong> Schule für <strong>Craniosacrale</strong><br />

<strong>Osteopathie</strong> Rudolf Merkel, wird e<strong>in</strong> deutliches Augenmerk darauf gelegt, dass das e<strong>in</strong>e im<br />

Grunde nicht vom an<strong>der</strong>n zu trennen ist. [3]<br />

Das Leitbild <strong>der</strong> Schule verb<strong>in</strong>det die strukturelle, mechanische Arbeit mit <strong>der</strong> rhythmischen,<br />

dynamischen Arbeit zu e<strong>in</strong>em Ganzen. <strong>Die</strong>s wie<strong>der</strong>um entspricht ganz den geschaffenen<br />

Grundlagen von William G. Sutherland, welcher <strong>der</strong> Begrün<strong>der</strong> <strong>der</strong> CSO ist.<br />

<strong>Die</strong>se Arbeitsweise begrüsse ich sehr, da sie dem sich öffnenden Prozess Raum und<br />

Integration anbietet und nicht unterteilt <strong>in</strong> somatisch und nicht somatisch. Das e<strong>in</strong>e bed<strong>in</strong>gt<br />

das an<strong>der</strong>e. So kann strukturelle mechanische Lösungsarbeit e<strong>in</strong>em seelischen Aspekt auf die<br />

Sprünge helfen und auch umgekehrt kann das Lösen e<strong>in</strong>er energetischen Blockade dem<br />

6


Körper Erleichterung verschaffen. Innerhalb gelösten und befreiteren Strukturen kann sich <strong>der</strong><br />

„Breath of life“ (Begriff für die Manifestation des CRI <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Gesamtheit) freier entfalten.<br />

Strukturelle Lösungsarbeit wie <strong>in</strong>direkte Technik, <strong>in</strong>direkt funktionelle Technik (FIT),<br />

Kompression und Dekompression, Flüssigkeitstechniken usw. <strong>in</strong> die verschiedenen<br />

körperlichen Strukturen, generell, alle erlernten strukturellen Techniken f<strong>in</strong>den <strong>in</strong> sehr sanfter<br />

Form <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> <strong>Sterbebegleitung</strong> ihren Platz. Oft zeigen sich die strukturellen Aspekte<br />

zuerst und mit <strong>der</strong> sanften strukturellen Arbeit können Schmerzen L<strong>in</strong><strong>der</strong>ung erfahren. Da <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> CSO auch über e<strong>in</strong>en langen räumlichen Hebel gearbeitet werden kann, kann alle<strong>in</strong>e<br />

durch das Halten e<strong>in</strong>er Hand o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Füsse o<strong>der</strong> durch e<strong>in</strong>en sanften Körperkontakt, mit <strong>der</strong><br />

passenden Technik e<strong>in</strong>e weiter entfernt gelegene Struktur erreicht werden. Man braucht wenig<br />

Platz, das Angebot ist ruhig und kann auch im Sitzen gemacht werden.<br />

Der „Breath of life“ wird als primäres Atemsystem (primary respiratory mechanism)<br />

beschrieben. Der CRI ist Ausdruck des „Breath of life“ und ist die Grundlage <strong>der</strong><br />

Wahrnehmung und Orientierungssystem <strong>in</strong> <strong>der</strong> CSO.<br />

Ausgehend von <strong>der</strong> Bewegung des Zentralen Nervensystems und des Liquors (Hirnwasser)<br />

wird die Bewegung an die Hirnhäute weitergegeben. <strong>Die</strong>se wie<strong>der</strong>um übertragen die Kraft auf<br />

die Knochen und weiter an das B<strong>in</strong>degewebe und die Organe. Der „Breath of life“ br<strong>in</strong>gt<br />

somit den Flüssigkeitskörper des Menschen <strong>in</strong> Bewegung. Vergleichbar mit Ebbe und Flut<br />

s<strong>in</strong>d diese Bewegungen <strong>in</strong> verschiedenster Qualität und Intensität am ganzen Körper spürbar.<br />

<strong>Die</strong> Ausdehnung des CRI, se<strong>in</strong>e Kraft und Qualität s<strong>in</strong>d Ausdruck von Gesundheit und<br />

Regulation.<br />

Der CRI kann auch die Körpergrenzen überschreiten, vergleichbar mit e<strong>in</strong>er Wärmequelle<br />

o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>em Heizkörper, welcher auch über se<strong>in</strong>e materielle Begrenzung Wärme abstrahlen<br />

kann. So kann auch die Kraft des CRI unser umliegendes Körperfeld bee<strong>in</strong>flussen.<br />

Woher <strong>der</strong> „Breath of life“ letztlich herkommt br<strong>in</strong>gt viele weitere Fragen mit sich. Es<br />

bestehen e<strong>in</strong>ige Erklärungsmodelle. Welches mir beson<strong>der</strong>s gut gefällt, ist mit <strong>der</strong> Idee<br />

verbunden, dass <strong>der</strong> „Breath of life“ mit den sich bildenden und b<strong>in</strong>denden Kräften im<br />

grossen Ganzen, auf Quantum Ebene zu tun hat. Roll<strong>in</strong> Becker, e<strong>in</strong> Schüler Sutherlands,<br />

hatte, wenn er auf das primäre respiratorische Atemsystem angesprochen wurde, nur gesagt:<br />

„Beschäftigen Sie sich mit Quantenmechanik.“[4]. <strong>Die</strong> Idee, dass <strong>der</strong> Impuls und <strong>der</strong><br />

Ursprung dieser Kraft, mit dem Licht zu tun hat, f<strong>in</strong>de ich überzeugend.<br />

Prof. Dr. Markolf H. Niemz, Physiker und Professor für Mediz<strong>in</strong>technik, hat sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en<br />

Büchern mit <strong>der</strong> Quantenphysik, Quantenmechanik und natürlich mit dem Licht und se<strong>in</strong>er<br />

Physik ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>gesetzt. Er sagt folgendes: „Energie und Masse s<strong>in</strong>d äquivalent: E=mc 2 .<br />

<strong>Die</strong> Lichtgeschw<strong>in</strong>digkeit ist e<strong>in</strong>e Naturkonstante. Für den Grundstoff Licht ist alles räumlich<br />

und zeitlich distanzlos.“ [5]<br />

Wenn man sich dies vorzustellen versucht, dass die Energie durch die Masse mal die<br />

Lichtgeschw<strong>in</strong>digkeit im Quadrat sich bed<strong>in</strong>gen, dann ist <strong>der</strong> Aspekt des Lichtes auf<br />

irgende<strong>in</strong>e Weise im Menschen gebunden. <strong>Die</strong> sich manifestierende Kraft des primären<br />

Atemsystems mit dem „Kondensat Licht“ <strong>in</strong> uns zu tun hat, denn Materie ohne Licht ist nicht<br />

möglich. So dass unsere Wahrnehmung des CRI, welcher Ausdruck des primären<br />

Atemsystems ist, immer auch Ausdruck e<strong>in</strong>er übergeordneten Kraft darstellt, erklärbar mit<br />

dem Licht, welches zeitlich und räumlich distanzlos ist und somit verb<strong>in</strong>dend wirkt.<br />

7


<strong>Die</strong>se Gedankenansätze haben für mich <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Sterbebegleitung</strong> e<strong>in</strong>e ganz beson<strong>der</strong>e<br />

Bedeutung. Gerade im Sterbeprozess wird oft auch von Licht und vom Ins-Licht-Gehen<br />

gesprochen. Und somit das Licht Ausdruck von Hoffnung und Verb<strong>in</strong>dung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e höhere<br />

Ordnung darstellt. Wenn das Licht zeit- und distanzlos ist, dürfen wir uns e<strong>in</strong>gebettet und<br />

verbunden fühlen mit dem Grundstoff, <strong>der</strong> alles bed<strong>in</strong>gt.<br />

<strong>Die</strong> primäre und sekundäre Mittell<strong>in</strong>ie s<strong>in</strong>d zwei Aspekte aus <strong>der</strong> rhythmischen craniosacralen<br />

Arbeit, die mir <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Sterbebegleitung</strong> hilfreich zur Seite stehen.<br />

<strong>Die</strong> primäre und sekundäre Mittell<strong>in</strong>ie entstehen aus <strong>der</strong> embryonalen Entwicklung des Fötus<br />

im Mutterleib.<br />

<strong>Die</strong> primäre Mittell<strong>in</strong>ie o<strong>der</strong> Chorda dorsalis ist nach Franklyn Sills die Achse, um die sich<br />

Struktur und Funktion orientieren. Sills hat <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er <strong>Craniosacrale</strong>n Arbeit und Forschung<br />

den biodynamischen Ansatz entscheidend weiterentwickelt, verfe<strong>in</strong>ert und auch<br />

ausformuliert. Er beschreibt entlang <strong>der</strong> Mittell<strong>in</strong>ie e<strong>in</strong>e auftauchende spürbare Kraft, welche<br />

sich beim Ethmoid (Siebbe<strong>in</strong>) <strong>in</strong> die Biosphäre o<strong>der</strong> <strong>in</strong> das Energiefeld um die palpierte<br />

Person zu verlieren sche<strong>in</strong>t.<br />

Auch Jim Jealous, D.O. widmet sich vor allem <strong>der</strong> dynamischen Arbeitsweise und unterrichtet<br />

diese auch. Er beschreibt die Anatomie dieser Mittell<strong>in</strong>ie als Verlauf angefangen beim<br />

Steissbe<strong>in</strong> über das Sacrum (Kreuzbe<strong>in</strong>), entlang <strong>der</strong> Wirbelsäule durch die Spitze des Dens<br />

axis (Zahn des 2. Halswirbels) hoch zum basalen Occiput (H<strong>in</strong>terhauptsbe<strong>in</strong>) bis h<strong>in</strong> zum<br />

basalen Teil des Sphenoids (Keilbe<strong>in</strong>). Jealous beschreibt die ganze Mittell<strong>in</strong>ie als e<strong>in</strong>ziges<br />

Fulkrum (Fulkrum ist die Unterstützung, um die e<strong>in</strong> Hebel schwenkt).<br />

<strong>Die</strong>se Unterschiede <strong>in</strong> den Beschreibungen s<strong>in</strong>d für mich nicht relevant. Ich erachte beide<br />

Beschreibungen als gleichwertig.<br />

<strong>Die</strong> sekundäre o<strong>der</strong> dorsale Mittell<strong>in</strong>ie, auch Zentralkanal genannt, entspricht dem Inneren des<br />

Neuralrohrs. Sie verläuft von <strong>der</strong> Lam<strong>in</strong>a term<strong>in</strong>alis (Gewebestruktur im Hirn), welche die<br />

Vor<strong>der</strong>wand des dritten Ventrikels bildet, bis h<strong>in</strong> zum Filum term<strong>in</strong>ale (Endfaden des<br />

Rückenmarks).<br />

<strong>Die</strong> sekundäre Mittell<strong>in</strong>ie wird oft als Flüssigkeitsmittell<strong>in</strong>ie beschrieben. Sie bildet die<br />

Organisationsachse für Tide und Motilität von Flüssigkeiten im Allgeme<strong>in</strong>en.<br />

Beide Mittell<strong>in</strong>ien orientieren sich zur Quantum Mittell<strong>in</strong>ie und bilden das energetische<br />

Pr<strong>in</strong>zip. <strong>Die</strong> Quantum Mittell<strong>in</strong>ie ihrerseits dient als Plan für Form und Organisation des<br />

menschlichen Lebens, entstanden aus <strong>der</strong> Matrix. <strong>Die</strong> Long Tide schafft auf Quantum Ebene<br />

die ordnende Matrix. Aus ihr geht die Quantum Mittell<strong>in</strong>ie hervor, die wie<strong>der</strong>um <strong>in</strong> primäre<br />

und sekundäre Mittell<strong>in</strong>ien organisiert wird. Als Kraft manifestiert sie sich wie<strong>der</strong>um <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Zell- Gewebe-, Flüssigkeit- und Funktionsebene. [6]<br />

<strong>Die</strong> sich manifestierenden Kräfte aus <strong>der</strong> Matrix, die im Embryo gebunden werden, ihn<br />

wachsen und gedeihen lassen und ihm Form, Raum und Funktion verleihen s<strong>in</strong>d<br />

unbeschreiblich gross.<br />

Sterben ist <strong>der</strong> umgekehrte Prozess, bei dem sich die gebundenen Kräfte aus <strong>der</strong> materiellen<br />

Manifestation zurückziehen und wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Quantum Ebene zugeführt werden. <strong>Die</strong>ser<br />

Lösungsprozess ist ebenso mit enormen Kräften verbunden. <strong>Die</strong>se Lösungsarbeit ist für<br />

sterbende Menschen folglich schwerste Arbeit, auf körperlicher, geistiger und seelischer<br />

Ebene.<br />

Das Begleiten dieses Aspektes bezeichne ich als Geburtshilfe <strong>in</strong> die an<strong>der</strong>e Richtung.<br />

<strong>Sterbebegleitung</strong> unterstützt den Prozess von <strong>der</strong> Rückführung <strong>der</strong> Kräfte <strong>der</strong> materiellen <strong>in</strong><br />

die energetische Ebene – zurück zur Matrix, zur Blaupause.<br />

8


In diesem Zusammenhang komme ich auf das Unw<strong>in</strong>d<strong>in</strong>g zu sprechen.<br />

Das Unw<strong>in</strong>d<strong>in</strong>g wird <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> CSO mit dem Auflösen von Läsionsmustern e<strong>in</strong>erseits<br />

beschrieben. Allgeme<strong>in</strong>er gesprochen könnte man es als e<strong>in</strong> H<strong>in</strong>wirken vom ungeordneten <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>en geordneten Zustand beschreiben. Chaotische Kräfte, die sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Läsionsmuster<br />

o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er Blockade bef<strong>in</strong>den, werden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e neue Organisation und Ordnung gebracht.<br />

Manchmal wird dieser Prozess mit dem Bild e<strong>in</strong>er sich auswickelnden gekräuselten<br />

Telefonschnur beschrieben, vergleichbar damit, wenn man den Hörer an <strong>der</strong> Telefonschnur<br />

herunter hängen lässt und sich die verwickelte Schnur durch das Eigengewicht des Hörers<br />

auswickelt, wonach die eigentliche Struktur <strong>der</strong> Schnur wie<strong>der</strong> sichtbar wird. Im Zeitalter <strong>der</strong><br />

Mobiltelefone vielleicht e<strong>in</strong> veraltetes Bild, dennoch zutreffend.<br />

Roll<strong>in</strong> Becker, <strong>der</strong> <strong>der</strong> CSO viele wichtige Impulse verlieh, hat e<strong>in</strong>e eigene Arbeitsweise zu<br />

diesem Prozess entwickelt, die als Becker Fulkrum beschrieben wird. Das Becker Fulkrum<br />

führt unter an<strong>der</strong>em zum Unw<strong>in</strong>d<strong>in</strong>g und zur Neuorganisation.<br />

Becker beschreibt den Prozess wie folgt: “Erste Phase, die Suche nach Ausgleich. <strong>Die</strong> Kräfte<br />

<strong>der</strong> Selbstkorrektur (basic potency) und die Stressmuster ( biok<strong>in</strong>etic <strong>in</strong>tr<strong>in</strong>ic forces) kommen<br />

<strong>in</strong> Bewegung. Sie arbeiten <strong>in</strong> Richtung Ausgleich. Sie werden auch „<strong>in</strong>ner unw<strong>in</strong>d<strong>in</strong>g“<br />

genannt. Zweite Phase, die Selbstkorrektur. <strong>Die</strong> relativ grobe Bewegung des Unw<strong>in</strong>d<strong>in</strong>g<br />

f<strong>in</strong>det e<strong>in</strong>en „po<strong>in</strong>t of balance“ und es kommt zum Stillpo<strong>in</strong>t, wo die <strong>in</strong>nere Bewegung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

fe<strong>in</strong>ere und höhere Frequenz kommt. Oft fühlt sich das an, als komme die Bewegung zur<br />

Ruhe. Dritte Phase, die Integration. Nach <strong>der</strong> Ruhe f<strong>in</strong>det das System wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> die<br />

Eigenbewegung zurück, jedoch auf e<strong>in</strong>em besseren Niveau <strong>in</strong>tegriert. Das kann auch<br />

bedeuten, dass das umliegende Gewebe und das blockierte Areal im besten Fall wie<strong>der</strong><br />

verbunden s<strong>in</strong>d und im Austausch stehen.“ [7]<br />

Innerhalb tiefer Lösungsarbeit kommt es meist o<strong>der</strong> sehr oft zur Stillness. Zu beachten gilt,<br />

dass Stillness und Stillpo<strong>in</strong>t nicht das gleiche s<strong>in</strong>d. Stillness ist e<strong>in</strong> Ausdruck <strong>in</strong> <strong>der</strong> CSO, im<br />

therapeutischen Arbeiten, <strong>der</strong> von je<strong>der</strong> Therapeut<strong>in</strong> und jedem Therapeuten an<strong>der</strong>s<br />

wahrgenommen und beschrieben wird. Stillness ist e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> wichtigsten und tiefsten<br />

Ressourcen <strong>in</strong>nerhalb des therapeutischen Geschehens.<br />

Man könnte es auch als e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>tauchen <strong>in</strong> die Strukturen und Prozesse nennen, bei denen<br />

Heilung möglich wird. O<strong>der</strong> im osteopathischen Kontext gesprochen: dort wo Gesundheit ist.<br />

Ich erlebe Stillness als etwas Heiliges und Tiefes, bei dem ich angebunden werde an e<strong>in</strong>e<br />

höhere Ordnung, die sich nicht mit me<strong>in</strong>em Intellekt beschreiben lässt. Ich nehme Stillness als<br />

e<strong>in</strong>en Ort <strong>der</strong> Ruhe und Stille wahr. <strong>Die</strong>ser Ort ist nicht leer, er ist gefüllt. <strong>Die</strong>ser Fülle wohnt<br />

<strong>der</strong> Aspekt von Unendlichkeit <strong>in</strong>ne. Es ist e<strong>in</strong>e Kraft gegenwärtig, die über den Körper <strong>in</strong> den<br />

Raum fliesst. Ausgehend vom Prozess des Klienten werden sowohl <strong>der</strong> Klient als auch die<br />

Therapeut<strong>in</strong>, <strong>der</strong> Raum und die Stimmung im Raum bee<strong>in</strong>flusst. Ich erlebe diesen Prozess als<br />

e<strong>in</strong> Befriedet-Se<strong>in</strong> <strong>in</strong> dem ich mit dem Hier und Jetzt verbunden b<strong>in</strong>, ohne zu denken und zu<br />

planen, als re<strong>in</strong>es Se<strong>in</strong>. Geräusche von aussen s<strong>in</strong>d zwar noch da, treten jedoch <strong>in</strong> den<br />

H<strong>in</strong>tergrund. Stillness er<strong>in</strong>nert mich an die tiefe Ruhe, die sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Meditation entfaltet.<br />

Stillness kann auch im Zusammenhang mit e<strong>in</strong>em Stillpo<strong>in</strong>t entstehen. Sie bed<strong>in</strong>gen sich aber<br />

nicht.<br />

Kann <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Sterbebegleitung</strong> Stillness entstehen, so kommen mir oft die Worte „Stille des<br />

Herzens“ <strong>in</strong> den S<strong>in</strong>n. Es ist wie wenn man an e<strong>in</strong>em absolut klaren und ruhigen Bergsee<br />

sitzen würde, <strong>der</strong> unendlich tief von e<strong>in</strong>er unsichtbaren Quelle gespiesen werden würde. Aus<br />

diesem Quell und ruhigem See kann tiefster Friede im Herzen e<strong>in</strong>kehren. Meist ist das <strong>der</strong><br />

9


Augenblick, <strong>in</strong> dem <strong>der</strong> Sterbende sich ganz dem Sterben bed<strong>in</strong>gungslos zuwendet und sich<br />

ebenso bed<strong>in</strong>gungslos <strong>der</strong> e<strong>in</strong>enden Kraft übergibt.<br />

Das s<strong>in</strong>d für mich heilige und heilende Augenblicke, die kaum mit Worten beschrieben<br />

werden können.<br />

3.2 Pflegerische Konzepte<br />

<strong>Die</strong> Krankenpflege wendet sich <strong>in</strong> ihrer Sicht- und Handelsweise ressourcenorientieren<br />

Konzepten zu. Der zu pflegende Mensch steht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Ganzheit im Mittelpunkt des<br />

pflegerischen Auftrags. Eigenständigkeit, Eigenverantwortung und Selbstbestimmung des<br />

Menschen bilden die Grundlage <strong>der</strong> pflegerischen Handlung.<br />

Ziel aller pflegerischen Verrichtungen ist es, dem Menschen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>geschränkten<br />

Lebenssituation diejenige Unterstützung zukommen zu lassen, die ihn <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Integrität,<br />

Selbständigkeit und Eigenverantwortung stützt und för<strong>der</strong>t. Unterstützende Massnahmen<br />

werden nur soweit von Dritten übernommen, als diese nicht selber ausgeführt werden können<br />

o<strong>der</strong> das fachliche Wissen dazu fehlt. Pflege geschieht nur im gegenseitigen E<strong>in</strong>vernehmen<br />

mit <strong>der</strong> zu pflegenden Person o<strong>der</strong> ihren Angehörigen, wenn die zu pflegende Person nicht<br />

mehr entscheidungsfähig ist.<br />

Menschen mit e<strong>in</strong>em chronischen Leiden werden immer im Therapiekonzept <strong>in</strong>tegriert, damit<br />

die Selbständigkeit, Eigenverantwortung und Integrität so weit als möglich erhalten bleiben.<br />

Entscheidungen über Therapiekonzepte werden nur im Dialog mit <strong>der</strong> betroffenen Person<br />

gestaltet und ausgeführt. Es dürfen ke<strong>in</strong>e freiheitse<strong>in</strong>schränkenden Massnahmen ohne<br />

Zustimmung <strong>der</strong> zu pflegenden Person o<strong>der</strong> ihren Angehörigen zu ihrer Sicherheit angewandt<br />

werden. Der Mensch entscheidet über se<strong>in</strong> Leben selbst.<br />

Ich erwähne dieses Konzept deshalb, weil aus dieser Haltung die verschiedensten Bedürfnisse<br />

nach Begleitung und Betreuung entstehen. In <strong>der</strong> <strong>Sterbebegleitung</strong> kommt diese<br />

Individualität, bed<strong>in</strong>gt durch die aussergewöhnliche und e<strong>in</strong>malige Situation, verstärkt zum<br />

Tragen.<br />

3.3 Me<strong>in</strong>e Konzepte<br />

Im Laufe <strong>der</strong> Jahre habe ich gemerkt, dass me<strong>in</strong>e <strong>in</strong>neren Konzepte, wie ich mich zum Leben<br />

und zum Sterben im allgeme<strong>in</strong>en, aber vor allem zu me<strong>in</strong>em Leben und Sterben, me<strong>in</strong>en<br />

Zäsuren und Übergängen im Leben stelle, e<strong>in</strong>e wichtige Ressource darstellen. Da das Sterben<br />

eigentlich für alle Menschen mit Angst besetzt ist, erhielt und erhält die Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung<br />

und die Navigation <strong>in</strong> diesen Themen grosse Bedeutung für mich.<br />

Ich habe für mich festgestellt, dass die Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit dem eigenen Sterben und <strong>der</strong><br />

eigenen Begrenzung im Leben, mit dem Machbaren und den Wünschen, den Ängsten, <strong>der</strong><br />

Trauer, <strong>der</strong> Wut und <strong>der</strong> Verzweiflung, aber auch mit <strong>der</strong> Freude und dem Reichtum des<br />

Lebens die <strong>in</strong>nere und äussere Navigation im Lebensprozess erleichtern. Ich habe mit <strong>der</strong> Zeit<br />

gelernt, dass me<strong>in</strong>e Sorgfalt und Achtsamkeit für me<strong>in</strong>e Prozesse, mich weicher, sorgsamer<br />

und achtsamer e<strong>in</strong>erseits für mich aber auch für das Du gemacht haben.<br />

Ich erlebe <strong>in</strong>nere Freiheit im Loslassen von Vorstellungen und Ideen. <strong>Die</strong> Wertfreiheit<br />

wie<strong>der</strong>um hilft mir <strong>in</strong>nere Prozesse zu beschleunigen. Denn nicht mehr <strong>der</strong> eigene Wert wird<br />

auf <strong>der</strong> <strong>in</strong>neren Bühne diskutiert, son<strong>der</strong>n die Wertfreiheit schafft mir den Zugang zu me<strong>in</strong>em<br />

10


Herzen, an jenen Ort, wo alles leichter und lichter werden kann. <strong>Die</strong> Kraft des Herzens, das<br />

Mitgefühl und die Liebe s<strong>in</strong>d für mich die stärkste Kraft zur Verän<strong>der</strong>ung im Leben.<br />

Me<strong>in</strong> eigener spiritueller Weg ist nicht Gegenstand me<strong>in</strong>er Arbeit. Er prägt jedoch die Art und<br />

Weise, wie ich sie ausübe. Deshalb erörtere ich hier die mir wichtigsten Aspekte.<br />

Ich habe festgestellt, dass sehr viel zwischen Himmel und Erde passiert, wenn ich me<strong>in</strong><br />

Augenmerk darauf richte. Werde ich <strong>der</strong> Augenblicke von guten Kräften und Mächten<br />

umfangen zu se<strong>in</strong> immer wie<strong>der</strong> gewahr, fühle ich mich bereichert, genährt und getragen.<br />

<strong>Die</strong>s ist e<strong>in</strong> Gefühl, das <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gewissheit ruht, dass alles gut wird, ja dass es gut ist, so wie es<br />

ist.<br />

Der Theologe <strong>Die</strong>trich Bonhoeffer hat kurz vor se<strong>in</strong>em gewaltsamen Tod im Jahre 1945 im<br />

Gefängnis se<strong>in</strong>er Verlobten e<strong>in</strong> wun<strong>der</strong>schönes Gedicht dazu geschrieben „Von guten<br />

Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wun<strong>der</strong>bar....“ [8]. <strong>Die</strong>se Worte<br />

kommen mir oft <strong>in</strong> den S<strong>in</strong>n, wenn ich mich getragen und behütet fühle. Wenn <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Sterbebegleitung</strong> diese <strong>in</strong>nere Ruhe und Gewissheit sich ausdehnen können, wird dies mir und<br />

oft auch dem Sterbenden zur wichtigen Ressource.<br />

In <strong>der</strong> Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit verschiedenen religiösen und spirituellen Richtungen, habe ich<br />

immer dort Heimat und Nahrung gefunden, wo die Liebe und die Kraft e<strong>in</strong>es mitfühlenden<br />

Herzens die Grundlage menschlichen Tuns ist. So fühle ich mich je länger je mehr aus dem<br />

Mitgefühl und <strong>der</strong> verb<strong>in</strong>denden Kraft <strong>der</strong> Liebe verbunden und nicht nur e<strong>in</strong>er Religion<br />

verpflichtet. „ Das tibetische Buch vom Leben und vom Sterben“[9] von Sogyal R<strong>in</strong>poche ist<br />

für mich e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> wichtigsten Werke <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> <strong>Sterbebegleitung</strong> geworden. Dar<strong>in</strong> f<strong>in</strong>de<br />

ich immer wie<strong>der</strong> bereichernde Worte genau <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne.<br />

Im Rahmen <strong>der</strong> <strong>in</strong>terkulturellen und <strong>in</strong>terreligiösen Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung erachte ich es als sehr<br />

wichtig, mich an<strong>der</strong>en religiösen und spirituellen Werten und Wegen <strong>in</strong> Achtsamkeit und<br />

Anerkennung h<strong>in</strong>zuwenden.<br />

<strong>Die</strong> Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung des schwedischen Gelehrten und Visionärs Emanuel Swedenborg<br />

(1688-1772) mit dem Christentum h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er Öffnung, wo er sich für alle Religionen und<br />

Glaubensrichtungen e<strong>in</strong>setzt, spricht mich sehr an: „<strong>Die</strong> Kirche ist, wie <strong>der</strong> Himmel, im<br />

Menschen, und so besteht die Kirche als Gesamtheit <strong>der</strong> Menschen, <strong>in</strong> welchen die Kirche<br />

ist.“ [10] Swedenborg benutzt das Wort Kirche oft im Zusammenhang mit dem <strong>in</strong>neren<br />

Gefäss des Glaubens, das <strong>in</strong> jedem Menschen ist. Er beschreibt aus <strong>der</strong> Sicht des christlichen<br />

Glaubens, dass letztlich je<strong>der</strong> Mensch, egal welcher Religionszugehörigkeit, durch die Kraft<br />

<strong>der</strong> Erlösung erlöst und <strong>in</strong> <strong>der</strong> allumfassenden, bed<strong>in</strong>gungslosen göttlichen Liebe e<strong>in</strong>gebettet<br />

ist.<br />

Im Sterbeprozess erlebe ich oft, dass die religiösen und spirituellen Wege für den Sterbenden<br />

sehr wichtig werden können, auch wenn <strong>in</strong> gesunden Zeiten diese Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung<br />

weniger im Vor<strong>der</strong>grund stand. <strong>Die</strong>se Kraftquelle möchte ich frei und mit offenem Herzen<br />

begleiten können, und nicht an ideellen H<strong>in</strong><strong>der</strong>nissen Kraft verlieren.<br />

Immer wie<strong>der</strong> erlebe ich, wie die Kraft des Bewusstse<strong>in</strong>s me<strong>in</strong>em Leben Richtung und<br />

Nahrung gibt. Bewusstse<strong>in</strong> erlebe ich nicht als Vorstellung und Imag<strong>in</strong>ation, son<strong>der</strong>n als e<strong>in</strong><br />

Freiwerden im Geist, im Denken und e<strong>in</strong> Freiwerden von Denkmustern, was mir an<strong>der</strong>e<br />

Dimensionen <strong>der</strong> Wahrnehmung ermöglicht. Im Buch „<strong>Die</strong> Entstehung <strong>der</strong> Realität“ von Jörg<br />

Starkmuth, Diplom<strong>in</strong>genieur für Nachrichtentechnik, habe ich viele hilfreiche Gedanken und<br />

H<strong>in</strong>weise zu diesem Thema gefunden. Er schreibt: “Das Bewusstse<strong>in</strong> ist <strong>der</strong> Wesenskern des<br />

11


Menschen – es ist das, was übrigbleibt, wenn man alle mit dem Körper und dem Gehirn<br />

verbundenen Eigenschaften und Interpretationen wegnimmt. Es ist <strong>der</strong>jenige Aspekt von uns,<br />

<strong>der</strong> sich selber beobachtet.“ [11]<br />

Darüber zu meditieren lohnt sich für mich immer wie<strong>der</strong>.<br />

Zu wissen wo ich heute stehe, was ich heute kann o<strong>der</strong> eben nicht kann, wo sich me<strong>in</strong>e<br />

Ressourcen bef<strong>in</strong>den und auch woraus sie gewachsen s<strong>in</strong>d, ist mir immer wichtiger geworden.<br />

Der sichere und achtsame <strong>in</strong>nere Bezug verankert mich mit dem Hier und Jetzt und<br />

ermöglicht mir, mich aus e<strong>in</strong>er stabilen <strong>in</strong>neren Warte mit <strong>der</strong> mir gestellten Aufgabe und<br />

<strong>der</strong>en Bewegung zu verb<strong>in</strong>den.<br />

4. Schnittpunkte<br />

Ich habe <strong>in</strong> <strong>der</strong> Begleitung von schwerkranken und sterbenden Menschen immer wie<strong>der</strong><br />

Augenblicke erlebt, <strong>in</strong> denen ich sehr dankbar war, dass ich auf die Erfahrungen und<br />

Hilfsmittel <strong>der</strong> CSO zurückgreifen konnte. Dazu zunächst das folgende Beispiel.<br />

Während me<strong>in</strong>er Weiterbildung zur Craniosacraltherapeut<strong>in</strong> arbeitete ich als Pflegefachfrau <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Alterszentrum. Bei <strong>der</strong> Pflege e<strong>in</strong>er sterbenden Bewohner<strong>in</strong>, die an e<strong>in</strong>em<br />

Unterleibskarz<strong>in</strong>om litt, war die Nahrungsaufnahme sehr schwierig. Durch die beg<strong>in</strong>nende<br />

Verlegung des Magendarmtraktes durch den Tumor und se<strong>in</strong>er Ableger, war die Patient<strong>in</strong> sehr<br />

von Übelkeit geplagt. Sie ass nur noch wenig und die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme<br />

glich immer e<strong>in</strong>er Gratwan<strong>der</strong>ung. Sobald die e<strong>in</strong>zelnen Ess- o<strong>der</strong> Tr<strong>in</strong>kportionen <strong>in</strong> zu<br />

kurzen Abständen angeboten wurden, erbrach sie sich wie<strong>der</strong>. Es war sehr schwierig das<br />

richtige Mass zwischen Ess- o<strong>der</strong> Tr<strong>in</strong>kbedürfnis und <strong>der</strong> Möglichkeit Nahrung und<br />

Flüssigkeit zu behalten, zu f<strong>in</strong>den. Erbrechen schwächte die Frau jeweils sehr. Ebenso wurde<br />

durch das häufige Erbrechen die Speiseröhre vom Magensaft stark gereizt, was mit<br />

vermehrten Schmerzen e<strong>in</strong>herg<strong>in</strong>g.<br />

In me<strong>in</strong>er Hilflosigkeit nicht abschätzen zu können, ob die nächste angebotene Ess- o<strong>der</strong><br />

Tr<strong>in</strong>kportion die Frau zum Erbrechen br<strong>in</strong>gen würde, versuchte ich mit <strong>der</strong> stützenden Hand<br />

den CRI zu palpieren und mit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Hand weiter das Essen e<strong>in</strong>zugeben. Da <strong>der</strong> Essund<br />

Tr<strong>in</strong>krhythmus ohneh<strong>in</strong> sehr langsam war, fand ich guten Kontakt <strong>in</strong> den CRI. Ich bot nur<br />

dann Essen an, wenn sich <strong>der</strong> palpierte Rhythmus e<strong>in</strong>ige Zyklen halten konnte. Sank <strong>der</strong> CRI<br />

plötzlich ab, wartete ich solange, bis ich wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en stabileren Rhythmus vorfand. Blieb <strong>der</strong><br />

CRI über e<strong>in</strong>en längeren Zeitraum eher gedämpft, schlug ich e<strong>in</strong>e längere Essbeziehungsweise<br />

Tr<strong>in</strong>kpause vor und unternahm zu e<strong>in</strong>em späteren Zeitpunkt erneut e<strong>in</strong>en<br />

Ess- o<strong>der</strong> Tr<strong>in</strong>kversuch.<br />

Oft war diese Art <strong>der</strong> Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme erfolgreich. Nicht immer konnte<br />

ich den Rhythmus <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Qualität so genau e<strong>in</strong>schätzen, dass die Patient<strong>in</strong> sich nicht mehr<br />

erbrach. Dennoch fand ich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mehrheit <strong>der</strong> Situationen e<strong>in</strong> gutes Hilfsmittel, um die<br />

pflegerische Handlung mit <strong>der</strong> Palpation des CRI zu verbessern.<br />

Ich erwähne diese Situation im Beson<strong>der</strong>en, da mich die Situation dieser Bewohner<strong>in</strong> zum<br />

ersten Mal überhaupt an Synergien, Schnittpunkte <strong>der</strong> beiden Bereiche denken liess und ich<br />

mir <strong>in</strong> <strong>der</strong> damaligen pflegerischen Situation sagte, dass ich nur gew<strong>in</strong>nen könne und es sich<br />

gewiss lohne, es auszuprobieren.<br />

12


Als darauf dieser Versuch e<strong>in</strong> recht befriedigendes Resultat hervorbrachte, nämlich e<strong>in</strong>e<br />

Verbesserung <strong>der</strong> Nahrungs- und Tr<strong>in</strong>kaufnahme, forschte ich hoffnungsvoll <strong>in</strong> diese<br />

Richtung <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Alltag weiter.<br />

Es war für mich auch klar, dass ich die CSO <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Pflege, als Pflegende nicht fest<br />

<strong>in</strong>tegrieren konnte, da das ke<strong>in</strong> pflegerisches Angebot darstellt, und die Pflege<br />

Regelmässigkeit voraussetzt, bei <strong>der</strong> alle Pflegebeteiligten <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es gegebenen<br />

Rahmens pflegen. Ich betrieb me<strong>in</strong>e Forschung <strong>in</strong> dem Zusammenhang, um Erkenntnisse über<br />

gegebene Schnittpunkte zu gew<strong>in</strong>nen. Mir wurde klar, dass sich die Zuhilfenahme<br />

craniosacraler „Hilfsmittel“ vor allem <strong>in</strong> Bereichen eignete, <strong>in</strong> denen die Unterschiede <strong>der</strong><br />

Arbeitsweise weniger relevant für die Regelmässigkeit <strong>der</strong> Pflege waren. <strong>Die</strong> Synergie von<br />

e<strong>in</strong>em therapeutischen Angebot und <strong>der</strong> Pflege macht im Pflegealltag nur dann S<strong>in</strong>n, wenn<br />

alle Pflegebeteiligten dieses Angebot auch ausführen können o<strong>der</strong> das Angebot so gestaltet<br />

ist, dass es ausserhalb des Pflegeablaufes, sprich e<strong>in</strong>er pflegerischen Handlung stattf<strong>in</strong>det. Ich<br />

fühlte mich aufgefor<strong>der</strong>t die Schnittpunkte genau zu beleuchten und zu prüfen.<br />

Es kristallisierte sich für mich schnell heraus, dass <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Betreuung und<br />

<strong>Sterbebegleitung</strong> grosse <strong>in</strong>dividuelle Unterschiede bestehen. Wie die Begleitperson begleitet<br />

und mit welchen eigenen Ressourcen sie im Kontakt steht, die E<strong>in</strong>zigartigkeit ihres Angebots<br />

ausmacht. Es ist selbstverständlich immer schwierig das erworbene Wissen im Arbeitsalltag<br />

nicht e<strong>in</strong>fliessen zu lassen. So war es mir wichtig, dass me<strong>in</strong>e Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong><br />

CSO und den gesuchten Schnittpunkten verb<strong>in</strong>dend und nicht trennend verstanden wurde. In<br />

diesem Rahmen fühlte ich mich vor allem dann e<strong>in</strong>geladen, mich <strong>der</strong> CSO zu bedienen, wenn<br />

ich das Gefühl hatte, dass ich dem Sterbenden e<strong>in</strong>e weitere Ressource bieten konnte, o<strong>der</strong><br />

wenn ich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Begleitung selber e<strong>in</strong>e Ressource brauchte.<br />

Wenn <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> <strong>Sterbebegleitung</strong> e<strong>in</strong>e Betreuer<strong>in</strong> am Bett sitzt und im Stillen e<strong>in</strong> Gebet<br />

spricht, e<strong>in</strong> Lied s<strong>in</strong>gt o<strong>der</strong> Kontakt mit <strong>der</strong> Mittell<strong>in</strong>ie aufnimmt, nehme ich diese<br />

Möglichkeiten als Angebot <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Betreuungssituation wahr. Ich denke, dass e<strong>in</strong>e<br />

gewisse Freiheit bezüglich <strong>der</strong> gewählten Mittel herrscht. Wichtig ist, dass das Angebot vom<br />

Sterbenden angenommen werden möchte und von ihm auch als angenehm empfunden wird.<br />

Weniger Handlung und mehr achtsame Präsenz oft schon ausreichend s<strong>in</strong>d, den Focus o<strong>der</strong><br />

die Stimmung im Raum zu verän<strong>der</strong>n. Liebevolle Präsenz und Achtsamkeit für den<br />

Augenblick, ohne sich aufzudrängen und e<strong>in</strong> lächelndes Herz schon ausreichen können, e<strong>in</strong>en<br />

Ort <strong>der</strong> Sicherheit zu schaffen.<br />

Somit relativiert sich auch die Häufigkeit des E<strong>in</strong>satzes von craniosacraler Hilfe. Wenn immer<br />

ich aber darauf zurückgreifen wollte o<strong>der</strong> konnte, mochte ich den erfahrenen Wert und die<br />

erfahrene Vertiefung <strong>der</strong> Betreuung hernach nicht missen.<br />

Aus dieser Praxis möchte ich nun drei Beispiele anführen.<br />

4.1 Wenn <strong>der</strong> Bauch drückt<br />

Sterbende erleben auf ihrem Weg oft auch Phasen von Unruhe und des Agitiert-se<strong>in</strong>s. Sie<br />

stehen auf und legen sich sogleich wie<strong>der</strong> h<strong>in</strong>. Sie s<strong>in</strong>d oft angetrieben und etwas fahrig.<br />

Spürbares Unwohlse<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> eigenen Haut gekoppelt mit Schmerzen lässt sie nicht zur Ruhe<br />

kommen. Kommt die Angst dazu, kann das für den Sterbenden aber auch für die<br />

Angehörigen und die Pflegepersonen zur Belastungsprobe werden. <strong>Die</strong>se bewegten und<br />

aufgeregten Phasen können Tage dauern. Häufig werden beruhigende Medikamente<br />

e<strong>in</strong>gesetzt. <strong>Die</strong> Wirkung <strong>der</strong> Medikamente ist nicht immer gleich und gleich hilfreich.<br />

In diesen Phasen wird oft <strong>der</strong> Hospizdienst <strong>in</strong> Anspruch genommen.<br />

13


So wurde ich an e<strong>in</strong> Sterbebett e<strong>in</strong>er über neunzig jährigen Frau gerufen. Sie konnte nicht<br />

mehr aufstehen. Dennoch turnte sie gefährlich im Bett herum und fiel deshalb <strong>in</strong> <strong>der</strong> vorigen<br />

Nacht aus dem Bett. Somit wurden <strong>in</strong> Absprache mit den Bezugspersonen<br />

sicherheitsför<strong>der</strong>nde Hilfsmittel e<strong>in</strong>gesetzt, <strong>in</strong> diesem Falle e<strong>in</strong>e grosse Zewidecke. <strong>Die</strong> Decke<br />

hilft zusammen mit Bettgittern, dass die Gefahr e<strong>in</strong>es Sturzes aus dem Bett nur noch sehr<br />

ger<strong>in</strong>g ist.<br />

Durch die e<strong>in</strong>geschränkte Bewegungsfreiheit wegen besagter Zewidecke, wurde die Frau<br />

noch etwas unruhiger. In <strong>der</strong> Phase, <strong>in</strong> <strong>der</strong> ich sie begleitete, sprach sie nicht mehr, war aber<br />

noch sehr aktiv und unruhig. Als ich am Abend an ihr Bett kam, traf ich e<strong>in</strong>e unruhige Frau<br />

an. <strong>Die</strong> Stimmung im Zimmer war we<strong>der</strong> ängstlich noch gespannt. Es war e<strong>in</strong>fach unruhig<br />

und bewegt.<br />

<strong>Die</strong> Frau konnte ke<strong>in</strong>en Schlaf f<strong>in</strong>den. Permanent versuchte sie e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Liegeposition zu<br />

f<strong>in</strong>den, was mit <strong>der</strong> Decke schwer zu bewerkstelligen war und sie turnte ausgiebig mit den<br />

Be<strong>in</strong>en. Damit sie mit den Be<strong>in</strong>en freies Spiel hatte, löste ich die Decke. Sie schrieb weiterh<strong>in</strong><br />

mit den Be<strong>in</strong>en Formen <strong>in</strong> die Luft. Mir erschien das e<strong>in</strong> ordentlicher Kraftakt <strong>in</strong> diesem<br />

hohen Alter. Als sie versuchte sich auf die rechte Seite zu drehen, half ich ihr, sich zu drehen.<br />

In dieser Seitenlage nahm ich über die Duraschaukel (craniosacraler Griff, <strong>der</strong> das<br />

H<strong>in</strong>terhauptsbe<strong>in</strong> mit <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Hand und das Kreuzbe<strong>in</strong> mit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Hand hält) sanft<br />

Kontakt mit ihrem craniosacralen System auf. Alle<strong>in</strong>e durch den Handkontakt auf Sacrum<br />

und Occiput wurde sie etwas ruhiger. <strong>Die</strong> Mittell<strong>in</strong>ie zeigte sich ohne me<strong>in</strong> Zutun und diese<br />

war breit und kräftig. Ich dachte an e<strong>in</strong>e breite und helle „Autobahn“. Der Rhythmus konnte<br />

sich frei und breit auf <strong>der</strong> Mittell<strong>in</strong>ie ausbreiten.<br />

Me<strong>in</strong>e Aufmerksamkeit wurde dann auf den unteren Teil des Abdomens gelenkt und ich<br />

bemerkte dort e<strong>in</strong>e Verdichtung <strong>der</strong> Struktur. Auf duraler Ebene habe ich über diesem Bereich<br />

mit me<strong>in</strong>er Aufmerksamkeit „angeklopft“ und wartete. Es setzte e<strong>in</strong> Unw<strong>in</strong>d<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>, und es<br />

kam mir die Struktur des aufsteigenden Dickdarms <strong>in</strong> die Hand. Da drehte sich die Frau auf<br />

den Rücken zurück und ich erschloss mir über den rechten Fuss, welcher immer noch turnte,<br />

über e<strong>in</strong>en langen räumlichen Hebel und über die Faszie Zugang zum aufsteigenden<br />

Dickdarm.<br />

Ich nahm e<strong>in</strong> gefülltes Colon (Dickdarm) wahr. Mit sanfter Faszienarbeit, freier<br />

Aufmerksamkeit und viel Geschehen-lassen konnte ich Stück um Stück im Abdomen (Bauch)<br />

<strong>in</strong> Richtung des querliegenden Dickdarms wan<strong>der</strong>n. Dann setzten kräftige und ebenso kräftig<br />

riechende W<strong>in</strong>de e<strong>in</strong>. Je mehr W<strong>in</strong>de abg<strong>in</strong>gen umso ruhiger wurde die Frau, bis sie<br />

schlussendlich zur Ruhe kam und e<strong>in</strong>schlafen konnte. Als sich die Ruhe und ihr Schlaf als<br />

stabil erwiesen, konnte ich nach Hause gehen.<br />

Im Gespräch mit <strong>der</strong> pflegenden Fachfrau stellte sich heraus, dass die Bewohner<strong>in</strong> immer<br />

schon an Verstopfungen und e<strong>in</strong>em trägen Darm gelitten hatte. In <strong>der</strong> Sterbesituation geriet<br />

dieser Fokus etwas <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergrund, da abführende pflegerische Massnahmen zu belastend<br />

gewesen wären.<br />

Später erfuhr ich, dass die Bewohner<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e gute Nacht verbr<strong>in</strong>gen konnte. Am an<strong>der</strong>n Tag<br />

liessen die Kräfte soweit nach, dass sie friedlich und im Beise<strong>in</strong> ihrer Bezugspersonen<br />

e<strong>in</strong>schlafen konnte.<br />

<strong>Die</strong>se Situation zeigte mir, dass diese Hilfestellung s<strong>in</strong>nvoll war. <strong>Die</strong> Frau hatte e<strong>in</strong>e gute<br />

Nacht verbr<strong>in</strong>gen können. Es ist auch e<strong>in</strong>leuchtend, dass <strong>der</strong> Körper nicht zur Ruhe kommen<br />

14


konnte, wenn W<strong>in</strong>de und e<strong>in</strong> übervoller Darm auf das untere vegetative Nervensystem<br />

drücken.<br />

4.2 Den Stillpo<strong>in</strong>t im Gespräch erkennen<br />

<strong>Die</strong>ses Beispiel möchte ich aufführen, da es repräsentativ für viele Gesprächssituationen ist.<br />

Wenn wir <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hospizarbeit an e<strong>in</strong> Sterbebett gerufen werden, haben wir kaum<br />

Informationen über den Sterbenden. <strong>Die</strong> wichtigsten mediz<strong>in</strong>ischen Auskünfte werden nur<br />

soweit erteilt, dass wir die momentane Situation e<strong>in</strong>schätzen können. Auch die familiäre<br />

Situation wird nur soweit beleuchtet, dass wir die wichtigsten Beziehungen und auch die<br />

dr<strong>in</strong>glichsten Probleme erfahren. Ansonsten gehen wir unbelastet und ohne viel Vorwissen <strong>in</strong><br />

die Begleitung h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>.<br />

Der Mann, den ich begleiten durfte, litt an e<strong>in</strong>em Bronchuskarz<strong>in</strong>om mit multiplen<br />

Metastasen. Er war schon sehr <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Kräften reduziert. Das Sprechen fiel ihm bed<strong>in</strong>gt<br />

durch die Atemnot schon schwerer. Er hatte e<strong>in</strong>e Sauerstoffsonde, die ihm etwas<br />

Erleichterung verschaffte. <strong>Die</strong> vorhergehenden Nächte hatten sich durch e<strong>in</strong>e nicht zu<br />

fassende Unruhe ausgezeichnet. Er stand auf und legte sich gleich wie<strong>der</strong> h<strong>in</strong>. Er wan<strong>der</strong>te im<br />

Zimmer umher, um sich gleich wie<strong>der</strong> h<strong>in</strong>zulegen. Im Bett drehte und wendete er sich ohne<br />

Unterlass. Ke<strong>in</strong>e Liegeposition war ihm angenehm genug, so dass er hätte e<strong>in</strong>schlafen<br />

können. Es war für ihn und die Begleitpersonen sehr anstrengend gewesen.<br />

Ich begann me<strong>in</strong>en Abende<strong>in</strong>satz <strong>in</strong> <strong>der</strong> darauffolgenden Nacht um 19 Uhr. Der Mann war<br />

noch wach. Ich stellte mich ihm vor und er f<strong>in</strong>g mit mir zu plau<strong>der</strong>n an. Er hatte e<strong>in</strong>en<br />

Schreibblock und e<strong>in</strong>en Stift <strong>in</strong> den Händen und ich realisierte, dass <strong>der</strong> Block und <strong>der</strong><br />

Schreibstift sehr wichtig für ihn waren.<br />

Er begann mich zu <strong>in</strong>terviewen. Er fragte mich aus, wo ich wohne, was ich beruflich mache,<br />

ob ich verheiratet sei, K<strong>in</strong><strong>der</strong> habe und so weiter. Ich beantwortete ihm die Fragen, da ich<br />

me<strong>in</strong>e, er darf wissen, mit wem er die nächsten Stunden verbr<strong>in</strong>gen wird.<br />

Immer wie<strong>der</strong> machte er sich Notizen und ordnete diese auf dem Notizblock. Plötzlich me<strong>in</strong>te<br />

er genug über mich zu wissen und fragte mich, ob ich etwas über ihn wissen wolle. Im<br />

Zimmer stand e<strong>in</strong>e P<strong>in</strong>nwand an <strong>der</strong> Fotos angeheftet waren und ich fragte ihn, wer diese<br />

Menschen auf den Fotos seien. Es waren Abbildungen, die ihn mit K<strong>in</strong><strong>der</strong>n zeigten, etwa auf<br />

e<strong>in</strong>er Wan<strong>der</strong>ung, bei Familienfeiern und so weiter.<br />

<strong>Die</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> auf dem Foto waren se<strong>in</strong>e Nichten. Ich erfuhr, dass er und se<strong>in</strong>e frühverstorbene<br />

Ehefrau ke<strong>in</strong>e K<strong>in</strong><strong>der</strong> gehabt hatten, dass se<strong>in</strong>e jetzige Lebenspartner<strong>in</strong> nicht im gleichen<br />

Haushalt mit ihm lebe, und dass sie zusammen e<strong>in</strong>e sehr schöne und reiche Beziehung hätten.<br />

Er erzählte mir, dass sie gerne geme<strong>in</strong>same Radtouren unternehmen und das Wan<strong>der</strong>n ihm<br />

beson<strong>der</strong>s Freude mache. All das Erzählte nahm ich als wichtig wahr, es hatte aber mehr<br />

Erzähl- o<strong>der</strong> Smalltalk Charakter, denn er baute die e<strong>in</strong>zelnen Themen nicht weiter aus.<br />

Ich sprach ihn auf se<strong>in</strong>en Beruf an. Mit Begeisterung schil<strong>der</strong>te er mir se<strong>in</strong>en Werdegang als<br />

Masch<strong>in</strong>enbauer und wie er, bed<strong>in</strong>gt durch se<strong>in</strong>en Beruf, gerne auf Reisen g<strong>in</strong>g, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

auf Montage. Er liess sich im Lauf se<strong>in</strong>es Werdegangs <strong>in</strong> Deutschland zum Galvanikmeister<br />

ausbilden. Galvaniseur! Er wie<strong>der</strong>holte diese Sätze und das Wort Galvaniseur zwei drei Mal<br />

und es kam mir vor, als ob se<strong>in</strong> System <strong>in</strong> diesen Sätzen auf e<strong>in</strong>en Stillpo<strong>in</strong>t zusteuerte. Und<br />

das Wie<strong>der</strong>holen <strong>der</strong> gleichen Sätze ihn an e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>neren Ort führte, wo er e<strong>in</strong>erseits zur Ruhe<br />

kam und an<strong>der</strong>erseits e<strong>in</strong> vertiefter Austausch mit se<strong>in</strong>em Innern stattf<strong>in</strong>den konnte.<br />

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Se<strong>in</strong>e gefalteten Hände lagen nun entspannt auf dem Bauch. Er betrachtete sie ausgiebig und<br />

versonnen und er schien e<strong>in</strong>en wichtigen <strong>in</strong>neren Kontakt zu f<strong>in</strong>den. Es breitete sich e<strong>in</strong>e<br />

vertiefte und ruhige Atmosphäre im Raum aus, und ich erlebte das Geschehen als Stillpo<strong>in</strong>t.<br />

Ich blieb auf me<strong>in</strong>em Horchposten sitzen und beobachtete den Raum und das Geschehen <strong>in</strong><br />

freier Aufmerksamkeit.<br />

Der Stillpo<strong>in</strong>t dauerte an und die Entspannung konnte sich bei ihm auf körperlicher und<br />

darauf folgend auch auf geistiger Ebene ausbreiten. Er schloss die Augen und glitt langsam <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>en ruhigen Schlaf. Ich nahm das erlebte Geschehen als tiefe Ressource wahr. Ich blieb still<br />

bei ihm sitzen und liess ihn schlafen und ruhen.<br />

Lei<strong>der</strong> wurde er nach e<strong>in</strong>er guten halben Stunde von <strong>der</strong> diensthabenden Pflegefachfrau<br />

gestört. Der Arzt hatte e<strong>in</strong>e Infusion mit Schlafmitteln zur Nacht verordnet, damit <strong>der</strong> Patient<br />

nicht wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> die gleiche Unruhe wie <strong>in</strong> den vergangenen Nächten verfallen konnte. Ich bat<br />

die Pflegefachfrau um etwas Aufschub, da <strong>der</strong> Patient jetzt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er schönen Ruhe war. Sie<br />

war sich nicht sicher, ob die Verordnung auch später ausgeführt werden dürfe, und wollte sich<br />

deshalb lieber an die Verordnung und das Zeitschema halten. Da wir im Hospizdienst<br />

Begleitpersonen s<strong>in</strong>d, haben wir ke<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss auf mediz<strong>in</strong>ische Verordnungen, was auch<br />

richtig ist. In diesem Fall jedoch wäre etwas mehr zeitlicher Spielraum schön gewesen.<br />

<strong>Die</strong> Pflegefachfrau weckte also den schlafenden Patienten und legte die subcutane Dormicum<br />

Infusion. Dormicum ist e<strong>in</strong> starkes Schlafmittel, das oft auch retrograde Amnesien hervorruft.<br />

<strong>Die</strong> Leute wissen im Nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> nicht mehr was mit ihnen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schlafphase geschah. Oft<br />

wird dieses Medikament auch für Untersuchungen wie zum Beispiel Magenspiegelungen<br />

e<strong>in</strong>gesetzt.<br />

Auf das Legen <strong>der</strong> Infusion folgte wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e unruhigere Phase, jedoch war diese nicht mehr<br />

vom starken Bewegungsdrang geprägt. Nach e<strong>in</strong>er guten Stunde schlief <strong>der</strong> Mann tief, da <strong>der</strong><br />

Schlafmittelspiegel im Blut so hoch war, dass er nicht an<strong>der</strong>s als schlafen konnte. <strong>Die</strong> beiden<br />

Schlafphasen nahm ich jedoch als verschieden wahr. Den Schlaf, den er selber über den<br />

Stillpo<strong>in</strong>t f<strong>in</strong>den konnte hatte mit gefundener Ruhe im System zu tun. Der Schlaf mit den<br />

Schlafmitteln hatte mehr den Charakter e<strong>in</strong>es ruhiggestellten Systems. Der Mann bewegte<br />

sich kaum noch und er hatte e<strong>in</strong>en abwesenden Gesichtsausdruck.<br />

<strong>Die</strong> gemachte Erfahrung, den Stillpo<strong>in</strong>t im Gespräch zu erkennen und zu begleiten, erlebte ich<br />

als sehr bereichernd, auch wenn am Schluss, durch das frühzeitige Wecken noch e<strong>in</strong><br />

Wermutstropfen dem Erlebten e<strong>in</strong>en leicht bitteren Beigeschmack verlieh.<br />

4.3. Wenn nichts mehr nötig ist<br />

An e<strong>in</strong>em Nachmittag erhielt ich den Anruf <strong>der</strong> Leiter<strong>in</strong> <strong>der</strong> Hospizgruppe, da sie kurzfristig<br />

jemanden an e<strong>in</strong> Sterbebett brauchte. Sie me<strong>in</strong>te die Frau könne e<strong>in</strong>fach nicht gehen und die<br />

Familie brauche zwischen den <strong>in</strong>tensiven Phasen Erholung. Ich war vorgesehen von 17 Uhr<br />

bis 23 Uhr am Sterbebett zu begleiten, bis die Familie wie<strong>der</strong> übernehmen würde.<br />

<strong>Die</strong> Frau war wirklich <strong>in</strong> den letzten Kräften noch gebunden und es war ebenso ersichtlich,<br />

dass sie ihre letzten Kräfte sehr bald gelöst haben würde. <strong>Die</strong> betreuende Pflegefachfrau hatte<br />

die Familie über den plötzlich schnellen Verlauf <strong>in</strong>formiert. <strong>Die</strong> Familie war auf dem Weg<br />

und so blieb ich bis die Angehörigen e<strong>in</strong>trafen.<br />

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<strong>Die</strong> Atmung war schon sehr flach und erschwert. Ihr Blick war nicht mehr fokussiert und sehr<br />

weit entfernt. <strong>Die</strong> noch gebundenen Kräfte zu lösen glich e<strong>in</strong>er steilen Bergwan<strong>der</strong>ung, wenn<br />

<strong>in</strong> den letzten Metern die Luft dünn wird und die Kräfte schwach werden und wenn man froh<br />

ist, wenn <strong>der</strong> Gipfel erreicht ist. Je<strong>der</strong> Schritt ist anstrengend aber nicht quälend. <strong>Die</strong> Frau<br />

stöhnte bei jedem Atemzug leicht und die schwere körperliche Anstrengung war spürbar.<br />

Ich sagte <strong>der</strong> Sterbenden, dass ich da sei, bis die Familie komme. Ich bestätigte ihr, dass ich<br />

spüre, dass es im Moment sehr streng sei und dass ich e<strong>in</strong>fach hier sei. Wir hatten über die<br />

F<strong>in</strong>gerspitzen e<strong>in</strong>en leichten Kontakt. Da sagte sie „Jetzt“. Ich nahm sehr viel Licht um sie<br />

herum wahr. E<strong>in</strong>zig die Bewegung über dem Herzen hielt an und mir war, als sei das das<br />

Warten, das ich da erführe, das Warten bis ihre Familie sie verabschiede.<br />

Ich bat um nichts mehr und alles Wollen und Handeln trat <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergrund. Ich war nur <strong>in</strong><br />

freier Aufmerksamkeit da und spürte die sich lösenden Kräfte, beobachte, begleitete und<br />

akzeptierte, dass es e<strong>in</strong>fach gut ist, genauso wie es ist. E<strong>in</strong>e tiefe Zuversicht erfüllte mich im<br />

Wissen, dass es so richtig sei, wie es war und se<strong>in</strong> würde. Ich war frei verbunden und die<br />

Tiefe dieses Augenblicks, dieser Zuversicht und Sicherheit war heilig.<br />

Kurz darauf kam die Familie. Sobald <strong>der</strong> Sohn die Mutter geküsst und ihr gesagt hatte:<br />

“Mama ich b<strong>in</strong> da“ löste sich die Atmung weiter aus dem Körper und wurde freier und zog<br />

sich noch mehr aus ihrem Körper zurück. Ich verabschiedete mich von <strong>der</strong> Familie und <strong>der</strong><br />

Frau und g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> Zuversicht nach Hause. Dort setzte ich mich h<strong>in</strong> und spürte, dass ich nichts<br />

tun musste und dass alles gut war. Alles war auf dem Weg und im Frieden geborgen.<br />

E<strong>in</strong>e halbe Stunde später konnte die Frau die restlichen b<strong>in</strong>denden Kräfte lösen und ihr Leben<br />

hier beenden.<br />

Das Erlebte zeigte mir, dass das achtsame, nicht handelnde, frei beobachtende Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong><br />

Aufmerksamkeit dem Frieden, <strong>der</strong> übergeordneten Liebe und Verbundenheit <strong>in</strong> das „grosse<br />

Ganze“ Raum verschafft und diesen Raum gleichzeitig transzendiert.<br />

5. Weiterführende Gedanken und Erkenntnisse<br />

<strong>Die</strong>se drei Beispiele s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Ausschnitt aus vielen Schnittstellen, die ich immer wie<strong>der</strong> erlebt<br />

und erfahren habe. Ich könnte noch viele solcher Beispiele anführen, doch ich glaube, dies ist<br />

nicht nötig.<br />

In diesen drei Beispielen versuchte ich aus den drei Ebenen „Körper, Geist, Seele“ die<br />

Möglichkeit von craniosacraler Unterstützung zu beschreiben. Wie stark diese drei Ebenen<br />

verbunden s<strong>in</strong>d und wie sie sich auch gegenseitig bee<strong>in</strong>flussen können und sich letztlich als<br />

e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heit äussern, versetzt mich immer wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> Staunen.<br />

<strong>Die</strong> e<strong>in</strong>fache und schnelle Hilfe im ersten Beispiel, durch das Loslassen können von störenden<br />

W<strong>in</strong>den im Darm, ist nicht <strong>der</strong> erste Gedanke <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Sterbebegleitung</strong>, wenn jemand sehr<br />

unruhig ist. Durch die Erleichterung auf körperlicher Ebene wurde e<strong>in</strong>e ruhige Nacht möglich.<br />

Und letztendlich konnte diese Ruhe sich <strong>in</strong> den letzten Tag h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> ausdehnen.<br />

<strong>Die</strong> E<strong>in</strong>fachheit <strong>der</strong> craniosacralen Diagnostik mit den Händen, die sich sanft mit dem Körper<br />

verb<strong>in</strong>den, hat gerade <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Sterbebegleitung</strong> e<strong>in</strong>e bestechende Qualität. Das Listen<strong>in</strong>g, das<br />

17


Horchen mit den Händen <strong>in</strong> freier Aufmerksamkeit, gab mir <strong>in</strong> unruhigen Sterbephasen häufig<br />

e<strong>in</strong>en H<strong>in</strong>weis, wo me<strong>in</strong>e Aufmerksamkeit jetzt gerade nötig ist. Es war oft auch erstaunlich,<br />

mit wie wenig strukturellen Impulsen e<strong>in</strong>e tiefe Wirkung erfahrbar wurde. <strong>Die</strong>s zeigt auch,<br />

dass e<strong>in</strong>e Berührung ganzheitlich umfassend se<strong>in</strong> kann, auch wenn <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie e<strong>in</strong>e<br />

Struktur <strong>in</strong> ihren mechanischen Aspekten angesprochen wird.<br />

Der geistige Aspekt im zweiten Beispiel wurde als Stillpo<strong>in</strong>t im Gespräch erfahrbar. Ich<br />

arbeitete ohne Körperkontakt und erhielt über das Gespräch und den daraus resultierenden<br />

Bewegungen Kontakt <strong>in</strong> das System und konnte dieses <strong>in</strong> freier Aufmerksamkeit begleiten.<br />

<strong>Die</strong> Wirkung des Stillpo<strong>in</strong>ts und das F<strong>in</strong>den e<strong>in</strong>es <strong>in</strong>neren Kontaktes <strong>in</strong> <strong>der</strong> gegebenen<br />

Sterbesituation waren wirklich hilfreich.<br />

Als <strong>der</strong> Mann sich <strong>in</strong>nerlich zurücklehnen und im gefundenen <strong>in</strong>neren Kontakt <strong>in</strong> den<br />

Austausch treten konnte, stellte sich e<strong>in</strong> Stillpo<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>, <strong>der</strong> bis <strong>in</strong> den Raum h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> erfahrbar<br />

wurde. <strong>Die</strong> geistige Unruhe, die sich im körperlichen Bereich ebenso äusserte, konnte im<br />

F<strong>in</strong>den e<strong>in</strong>er Ressource <strong>in</strong>nerhalb des Gesprächs zur Ruhe kommen. Als die Gedanken sich<br />

selbst zu beobachten anf<strong>in</strong>gen, kam auch <strong>der</strong> Körper zur Ruhe. Innerhalb <strong>der</strong> CSO s<strong>in</strong>d die<br />

freie Aufmerksamkeit und das Beobachten <strong>der</strong> Prozesse aus e<strong>in</strong>er wertfreien Warte wichtige<br />

Stützpfeiler. <strong>Die</strong>ses Pr<strong>in</strong>zip konnte sich <strong>in</strong> diesem Gespräch frei entfalten und hatte im<br />

Sterbeprozess, wie mir schien, e<strong>in</strong>e klärende Wirkung.<br />

Ich machte immer wie<strong>der</strong> die Erfahrung, dass es nicht immer den Kontakt mit den Händen<br />

braucht, um mit dem System e<strong>in</strong>es an<strong>der</strong>en Menschen <strong>in</strong> Kontakt zu kommen. Es gibt immer<br />

wie<strong>der</strong> Situationen <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Sterbebegleitung</strong> wo e<strong>in</strong> körperlicher Kontakt sogar unpassend<br />

wäre. Es gibt Menschen, die Begleitung sehr schätzen und auch wünschen, jedoch ke<strong>in</strong>en<br />

Körperkontakt. O<strong>der</strong> es muss sich zuerst e<strong>in</strong>e Beziehung aufbauen, bis e<strong>in</strong>e Berührung<br />

willkommen ist.<br />

Wenn die Berührung mit e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>fachen Handlung, wie etwa e<strong>in</strong>er Hilfestellung beim<br />

Tr<strong>in</strong>ken o<strong>der</strong> dem Abwischen <strong>der</strong> Stirne mit e<strong>in</strong>em feuchten Tuch usw. zusammengeht, ist es<br />

e<strong>in</strong>facher die Berührung und Nähe zu e<strong>in</strong>er doch recht fremden Person zuzulassen. <strong>Die</strong>s kann<br />

dann oft <strong>der</strong> E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en körperlichen Kontakt darstellen. Jemand darauf plötzlich die<br />

Hand ergreift, die Hilfe anbietet, und nicht nur die still angebotene Präsenz annimmt. Ist diese<br />

Form des Kontaktes möglich, ist es e<strong>in</strong>facher bei heftigen Schmerzen zu unterstützen. Der<br />

sanfte Handkontakt über e<strong>in</strong>er schmerzenden Körperpartie kann sehr oft Erleichterung im<br />

Schmerz se<strong>in</strong>.<br />

Wenn ich mich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Situation bef<strong>in</strong>de, dass, wie gesagt noch ke<strong>in</strong>e physische<br />

Kontaktaufnahme stattf<strong>in</strong>den konnte und <strong>der</strong> Sterbende <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er schwierigen Phase ist, suche<br />

ich gerne zuerst me<strong>in</strong>e eigene primäre Mittell<strong>in</strong>ie auf. Manchmal gel<strong>in</strong>gt es mir besser <strong>in</strong><br />

me<strong>in</strong>en dritten Ventrikel zu gelangen und dann über die Funktionsachse <strong>der</strong> Tide sehr frei und<br />

achtsam zu werden. Über diesen guten Kontakt <strong>in</strong> me<strong>in</strong> craniosacrales System und me<strong>in</strong>e<br />

Rhythmen, kann ich <strong>in</strong> freier Achtsamkeit und Aufmerksamkeit Kontakt <strong>in</strong> die Mittell<strong>in</strong>ie des<br />

Sterbenden f<strong>in</strong>den.<br />

Ich versuche <strong>in</strong>nerlich alles loszulassen, die Gedanken, me<strong>in</strong> Wissen, das Müssen und<br />

versuche mich se<strong>in</strong>-zu-lassen und ich im Neutral, ohne zu planen und zu wollen me<strong>in</strong>en<br />

Horchposten beziehe. Wenn ich <strong>der</strong> Gegenwart <strong>in</strong> dieser Offenheit gewahr werde, kann ich,<br />

wenn es für den Sterbenden wirklich wichtig ist, Kontakt zu se<strong>in</strong>em System bekommen. Ich<br />

sage mir <strong>in</strong> diesem Moment <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Herzen, dass nur das geschehen soll, was jetzt wichtig<br />

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und hilfreich ist, nicht aus me<strong>in</strong>er Warte heraus, son<strong>der</strong>n aus <strong>der</strong> des Sterbenden. Es ist e<strong>in</strong><br />

stilles Angebot, das ich mache und ich warte dann, ob es angenommen werden möchte.<br />

Auch habe ich schon die Erfahrung gemacht, dass es manchmal e<strong>in</strong>e leichte Unruhe im<br />

Sterbenden auslösen kann, wenn ich sehr schnell <strong>in</strong> diesen Modus f<strong>in</strong>de. Dann ist me<strong>in</strong>e freie<br />

Aufmerksamkeit zu schnell an das energetische Pr<strong>in</strong>zip des Sterbenden heran getreten. Tritt<br />

dies e<strong>in</strong>, nehme ich wie<strong>der</strong> Kontakt mit me<strong>in</strong>en Gedanken auf und beobachte diese e<strong>in</strong>e Weile<br />

lang. Wenn es dann Zeit ist Kontakt <strong>in</strong> die Mittell<strong>in</strong>ie des Sterbenden zu bekommen,<br />

geschieht dies e<strong>in</strong>fach und stellt sich ohne Unruhe e<strong>in</strong>. Dann werde ich über die Mittell<strong>in</strong>ie<br />

des Sterbenden meist an den Ort getragen, <strong>der</strong> Kontakt braucht.<br />

So konnte ich schon oft beobachten, dass <strong>in</strong> dieser Form des Kontaktes, jemand konkrete<br />

körperliche Unterstützung erhalten hat, ohne dass ich mit me<strong>in</strong>en Händen im Kontakt mit <strong>der</strong><br />

Person war. Dass beispielsweise die Schmerzen weniger wurden, die Atmung freier o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Schlaf sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nacht vertiefen konnte. Das alle<strong>in</strong>ige Beobachten <strong>der</strong> Mittell<strong>in</strong>ie des<br />

Sterbenden, als Unterstützung schon genug war. Vor allem wenn jemand sehr oberflächlich<br />

schläft und ruht könnte e<strong>in</strong>e direkte Berührung mit den Händen wecken. So konnte es<br />

gel<strong>in</strong>gen, dass e<strong>in</strong>e unruhige Schlafphase überbrückt werden konnte.<br />

Weil Sterbende <strong>in</strong> je<strong>der</strong> H<strong>in</strong>sicht sehr viel Kraft brauchen ist <strong>der</strong> Wert e<strong>in</strong>es guten Schlafes<br />

für den Sterbeprozess sehr wichtig. Der Schlaf ist e<strong>in</strong>e wichtige Ressource. E<strong>in</strong>ige Stunden<br />

erholsamen Schlaf unterstützen den Sterbeprozess <strong>in</strong> jedem Fall.<br />

Gleichzeitig ist die freie Aufmerksamkeit o<strong>der</strong> das Neutral auch me<strong>in</strong>e eigene und auch<br />

wichtigste Ressource <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> <strong>Sterbebegleitung</strong>. <strong>Die</strong> wertfreie Achtsamkeit und das<br />

Beobachten <strong>der</strong> eigenen Gedanken lassen immer mehr Lücken <strong>in</strong> den eigenen Gedanken<br />

entstehen. <strong>Die</strong>se <strong>in</strong>neren Gedankenlücken lassen me<strong>in</strong>en <strong>in</strong>neren Modus auf „frei und doch<br />

verbunden“ schalten. Das Wollen und Planen tritt <strong>in</strong> den H<strong>in</strong>tergrund. Das gibt mir leichter<br />

Zugang zu me<strong>in</strong>em mitfühlendem Herzen und e<strong>in</strong>er befreienden Wertfreiheit. An diesem Ort<br />

wird me<strong>in</strong>e Wahrnehmung klarer und leichter. Ich werde zur Beobachter<strong>in</strong> <strong>der</strong> Situation. Das<br />

freie Beobachten lässt mich leichter begleiten. <strong>Die</strong> dar<strong>in</strong> gefundene Freiheit und das freie<br />

Begleiten s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Sterbebegleitung</strong> <strong>der</strong> Weg und gleichzeitig das Ziel.<br />

Das Begleiten des seelischen Aspekts ergibt sich aus den vorhergehenden Beispielen.<br />

Wie schon beschrieben s<strong>in</strong>d die freie Aufmerksamkeit und <strong>der</strong> Zugang zum beobachtenden<br />

Selbst Voraussetzung, um weg vom handelnden Pr<strong>in</strong>zip <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e achtsame und freie<br />

Aufmerksamkeit für den Sterbenden zu kommen. Durch die Verfe<strong>in</strong>erung <strong>der</strong> Wahrnehmung<br />

für die sich ereignende Gegenwart kann die Situation mit dem mitfühlenden Herzen begleitet<br />

werden.<br />

Es folgt <strong>der</strong> Augenblick im Sterbeprozess, <strong>in</strong> dem alle Hoffnung für e<strong>in</strong> verlängertes Leben<br />

hier auf Erden nur noch e<strong>in</strong>em nicht mehr hörbaren Echo gleicht. Es ersche<strong>in</strong>t mir dann, wie<br />

wenn <strong>der</strong> ganze Weg, <strong>der</strong> Schmerz, <strong>der</strong> Kampf, das Loslassen, die Trauer, sowie auch das<br />

erlebte Glück, wie wenn alle vorangegangen Prozesse nur noch wie das Rauschen des<br />

Urknalls wahrnehmbar s<strong>in</strong>d. Auch je<strong>der</strong> Gedanke an e<strong>in</strong>e Hoffnung für e<strong>in</strong> irdisches<br />

Weitergehen sich als störend erweist. <strong>Die</strong> grösste Kraft liegt dann <strong>in</strong> <strong>der</strong> Akzeptanz des<br />

Loslassens sowohl beim Sterbenden als auch bei <strong>der</strong> Begleitperson und vor allem auch bei <strong>der</strong><br />

Begleitperson. An diesem Punkt s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong> Wollen und ke<strong>in</strong> Handeln mehr nötig. Das e<strong>in</strong>fache<br />

Se<strong>in</strong> reicht aus. <strong>Die</strong>se Übergabe aller Kräfte zurück zum Ursprung und das Geschehen lassen<br />

dieses Prozesses werden zur Ressource und es breitet sich e<strong>in</strong>e tiefe Kraft und Stille aus, die<br />

kaum mit Worten zu beschreiben ist. Ich kann nur sagen, dass diese Stille mit Zuversicht und<br />

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verb<strong>in</strong>den<strong>der</strong> Liebe gefüllt ist, die ich manchmal als klarer und befrieden<strong>der</strong> Lichtsche<strong>in</strong><br />

wahrnehme.<br />

E<strong>in</strong> wesentlicher Charakter dieser Schnittstellen o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Zuhilfenahme craniosacraler Hilfe<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Begleitung des Sterbeprozesses ist für mich, dass sowohl im mechanisch funktionellen<br />

Arbeiten als auch im rhythmischen energetischen Geschehen die CSO hilfreich war. Auch<br />

konnte die Unterstützung leicht <strong>in</strong> die Begleitung <strong>in</strong>tegriert werden. Oft war <strong>der</strong> E<strong>in</strong>satz von<br />

craniosacraler funktioneller Hilfe zeitlich nur kurz, so dass das handelnde Pr<strong>in</strong>zip nur kurz<br />

zum Zug kam. Der grösste Aspekt fand <strong>in</strong> <strong>der</strong> freien Aufmerksamkeit, dem Neutral, dem<br />

beobachtenden Selbst statt. <strong>Die</strong>ser Aspekt ist e<strong>in</strong> Stützpfeiler <strong>in</strong> <strong>der</strong> craniosacralen Arbeit,<br />

jedoch hat die CSO dieses Pr<strong>in</strong>zip nicht für sich alle<strong>in</strong>e gepachtet. <strong>Die</strong>se Qualität erachte ich<br />

im therapeutischen Geschehen als das Alpha und das Omega im eigentlichen S<strong>in</strong>ne. <strong>Die</strong>s ist<br />

e<strong>in</strong>e Qualität, die auch <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Therapieformen und an<strong>der</strong>en Bereichen mit an<strong>der</strong>en<br />

Worten ihren festen Platz hat.<br />

Im religiösen Kontext kann dies mit dem Gedanken des Gebets und se<strong>in</strong>er Wirkung, die<br />

Anrufung Gottes und dem Erleben se<strong>in</strong>er Gnade zu tun haben. Im spirituellen Bereich kann es<br />

mit dem Pr<strong>in</strong>zip des höheren Selbst und dem Aspekt des Transzendierenden beschrieben<br />

werden. Im quantenphysikalischen Bereich ist es die Anerkennung des Absoluten, des Lichts.<br />

Das Licht als physikalisch absolute Grösse und die dazu gewonnenen Erkenntnisse <strong>der</strong><br />

Wissenschaft, die sich mit den religiösen und spirituellen Aspekten des Lebens verb<strong>in</strong>den.<br />

Das sanfte haptische Geschehen e<strong>in</strong>erseits, gekoppelt mit <strong>der</strong> Möglichkeit über e<strong>in</strong>en freieren<br />

rhythmischen Aspekt, sterbende Menschen zu stützen und zu begleiten f<strong>in</strong>de ich sehr<br />

überzeugend. Sterbende Menschen s<strong>in</strong>d auf e<strong>in</strong> mitfühlendes Du angewiesen, das mit ihnen<br />

durch schwierige Phasen geht. Begleitung und Unterstützung <strong>in</strong> allen drei Bereichen - Körper,<br />

Geist, Seele – können mit <strong>der</strong> Zuhilfenahme von craniosacral osteopathischen Hilfsmittel<br />

differenziert begleitet werden. <strong>Die</strong> sanfte und prozessorientierte Art und Weise <strong>der</strong><br />

craniosacralen Arbeit sowie die E<strong>in</strong>fachheit <strong>der</strong> Hilfsmittel kommen <strong>der</strong> <strong>Sterbebegleitung</strong><br />

sehr entgegen. Es braucht ke<strong>in</strong>e äusserlichen Hilfsmittel ausser den craniosacral osteopathisch<br />

geschulten Händen <strong>der</strong> Begleitperson, e<strong>in</strong>er freien Wahrnehmung, Erfahrung <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Sterbebegleitung</strong> und e<strong>in</strong>em lächelnden Herzen.<br />

Ich habe ausgeführt, dass mittels <strong>der</strong> craniosacralen Arbeit auch Schmerzen gel<strong>in</strong><strong>der</strong>t o<strong>der</strong><br />

unruhige Phasen mit weniger Medikamenten begleitet werden können. <strong>Die</strong> craniosacrale<br />

Unterstützung im Sterbeprozess schliesst selbstverständlich e<strong>in</strong>e medikamentöse<br />

Unterstützung nicht aus, doch wie erwähnt lässt sich die Menge und <strong>der</strong> differenzierte E<strong>in</strong>satz<br />

von Medikamenten dadurch relativieren.<br />

<strong>Die</strong>s wie<strong>der</strong>um ist für diejenigen Menschen von Bedeutung, die gewisse Substanzen schlecht<br />

vertragen. Innerhalb me<strong>in</strong>er Arbeit als Pflegefachfrau habe ich etliche Situationen erlebt, <strong>in</strong><br />

denen Menschen stark auf Opiate reagieren sei es mit Übelkeit, Schw<strong>in</strong>del und <strong>der</strong>gleichen.<br />

Auch Schlaf- o<strong>der</strong> Beruhigungsmittel gereichen nicht bei allen Menschen zum Vorteil.<br />

Retrograde Amnesien o<strong>der</strong> Zustände von Verwirrung nach dem Konsum von Schlaf- o<strong>der</strong><br />

Beruhigungsmitteln s<strong>in</strong>d nicht zw<strong>in</strong>gend, können <strong>in</strong> vielen Fällen dennoch nicht wegdiskutiert<br />

werden.<br />

<strong>Die</strong>s entspricht e<strong>in</strong>er Erfahrung die ich <strong>in</strong> den dreissig Jahren Berufserfahrung als<br />

Pflegefachfrau gemacht habe. In dieser Beobachtung fühle ich mich durch die Arbeit von<br />

Prof. Dr. Joachim Bauer, Professor und Oberarzt <strong>der</strong> Psychosomatischen Mediz<strong>in</strong>ischen<br />

Abteilung am Universitätskl<strong>in</strong>ikum Freiburg i. B. bestätigt. [12] Er erklärt sehr e<strong>in</strong>leuchtend,<br />

20


dass fast vierzig Prozent <strong>der</strong> Menschen aus genetischen Gründen Medikamente <strong>in</strong> <strong>der</strong> Leber<br />

schlechter abbauen können. Daraus können schnell Überdosierungen und wie<strong>der</strong>um<br />

resultierend schädigende Zustände entstehen. <strong>Die</strong>se Tatsache kommt nicht nur beim E<strong>in</strong>satz<br />

von Psychopharmaka zum Tragen, son<strong>der</strong>n auch bei Schmerzmitteln und an<strong>der</strong>en Substanzen,<br />

die oft und gerne e<strong>in</strong>gesetzt werden. Welchen genetischen Typus jemand beim Abbau von<br />

Medikamenten hat, kann mit e<strong>in</strong>em Bluttest getestet werden. Daraus resultieren an<strong>der</strong>e, <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Regel tiefere Dosierungen, als oft im Normalfall e<strong>in</strong>gesetzt werden. Natürlich gibt es gegen<br />

Übelkeit und an<strong>der</strong>e Nebenersche<strong>in</strong>ungen von Medikamenten auch Medikamente, die die<br />

Nebenersche<strong>in</strong>ungen <strong>der</strong> Medikamente beseitigen, könnte e<strong>in</strong> treffendes Gegenargument se<strong>in</strong>.<br />

Was aber wenn diese Medikamente wie<strong>der</strong>um nicht gut vertragen werden - was je nach<br />

genetischem Typus, dann auch wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Fall wäre?<br />

<strong>Die</strong>se Argumente stellen ke<strong>in</strong>e Abkehr von medikamentöser Hilfe o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Aufruf dazu dar,<br />

son<strong>der</strong>n sie versuchen, den oft hohen E<strong>in</strong>satz von Medikamenten zu Gunsten <strong>der</strong> Patienten<br />

und ihren Fähigkeiten die unterstützenden Substanzen wie<strong>der</strong> körperlich abzubauen, <strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />

verträglicheres Mass zu rücken.<br />

Nicht zu vergessen ist auch, dass es Menschen gibt, die sich mit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>nahme von zu vielen<br />

Medikamenten <strong>in</strong> ihrer Wahrnehmung e<strong>in</strong>geschränkt fühlen. <strong>Die</strong> eigene Wahrnehmung kann<br />

für den Sterbenden e<strong>in</strong>e se<strong>in</strong>er wichtigsten Kraftquellen se<strong>in</strong>. Wenn diese Quelle verschüttet<br />

wird, wird <strong>der</strong> Sterbeprozess auch schwieriger und stressbesetzter.<br />

In diesen oben beschriebenen speziellen Fällen s<strong>in</strong>d an<strong>der</strong>e Hilfsmittel, wie eben zum Beispiel<br />

die craniosacral osteopathische Unterstützung e<strong>in</strong>e gute Alternative.<br />

So wie es im palliativen Betreuungsangebot psychotherapeutische Unterstützung gibt,<br />

seelsorgerischer Beistand selbstverständlich ist, wohltuende Wickel, basale Stimulation und<br />

alternative Angebote wie Aromatherapie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pflege generell schon E<strong>in</strong>zug gehalten haben,<br />

so fände ich es angebracht <strong>der</strong> CSO <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> <strong>Sterbebegleitung</strong> e<strong>in</strong>en festen Platz zu<br />

geben.<br />

<strong>Die</strong> Entspannung und Unterstützung <strong>in</strong> körperlicher, geistiger und seelischer H<strong>in</strong>sicht ist ke<strong>in</strong><br />

Wellnessangebot, son<strong>der</strong>n ermöglicht Erleichterung <strong>in</strong> den <strong>in</strong>tegrativ laufenden Prozessen.<br />

Der Gegenwartsbezug des Angebots, das auf den jeweiligen Moment zugeschnitten ist, hat<br />

Überzeugungscharakter. Im Grunde ist die eigentlich gelebte Zeit immer nur die Gegenwart.<br />

Wir vergessen dies <strong>in</strong> unserer so beschäftigten Zeit sehr oft. Der Bezug <strong>in</strong> ebendiese<br />

Gegenwart ermöglicht den Kontakt des Sterbenden <strong>in</strong> die eigenen Ressourcen. <strong>Die</strong>s wie<strong>der</strong>um<br />

entspricht ganz dem ressourcenorientierten Betreuungsangebot, das heute <strong>in</strong> Spitälern,<br />

Hospizhäusern und spitalexternen Angeboten gelebt werden möchte. <strong>Die</strong> craniosacrale Arbeit<br />

könnte auch <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong> weiteres Standbe<strong>in</strong> se<strong>in</strong>.<br />

<strong>Die</strong> craniosacrale Unterstützung könnte auch schon <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er früheren Phase im Sterbeprozess<br />

gut <strong>in</strong>tegriert werden. Schmerzzustände und bilateral blockierte Strukturen könnten sanft<br />

gelöst werden. <strong>Die</strong> Nachhaltigkeit des therapeutischen Angebots beruht auf dem Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong><br />

Selbstregulation, die auch noch nach <strong>der</strong> Therapie weiter wirken kann. <strong>Die</strong>s ist e<strong>in</strong> Fakt, den<br />

jede Craniosacraltherapeut<strong>in</strong> o<strong>der</strong> Therapeut bestätigen würde. <strong>Die</strong> CSO ist die zweit meist<br />

benutzte alternative Therapiemethode <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schweiz, folgend auf die traditionell ch<strong>in</strong>esische<br />

Mediz<strong>in</strong>. Daraus resultiert e<strong>in</strong> weites und breites Erfahrungsgebiet, das auch <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Sterbebegleitung</strong> gut genutzt werden kann.<br />

Oft werden alternative Methoden wegen <strong>der</strong> mangelnden Wissenschaftlichkeit belächelt. Der<br />

Name Erfahrungsmediz<strong>in</strong> wird oft reduzierend verstanden. <strong>Die</strong> Erfahrung gestaltet sich aus<br />

21


e<strong>in</strong>em gewachsenen Prozess, <strong>der</strong> sich laufend weiterentwickelt und auch verbessert hat. Es ist<br />

klar, dass sich die gemachten Erfahrungen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Studie nicht immer wie<strong>der</strong> gleich<br />

reproduzieren lassen, weil die Ausgangsbed<strong>in</strong>gungen immer wie<strong>der</strong> aus e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en Warte<br />

und Position und mit an<strong>der</strong>en Vorzeichen und Gegenwartsbezügen gemacht werden. <strong>Die</strong>ser<br />

verme<strong>in</strong>tliche Mangel an Beweisbarkeit hat letztlich nichts mit <strong>der</strong> Sache und ihrem Wert zu<br />

tun, son<strong>der</strong>n mit den Messe<strong>in</strong>heiten und <strong>der</strong>en Zuschnitt, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> immer gleichen<br />

Reproduzierbarkeit statisch und nicht rhythmisch s<strong>in</strong>d.<br />

Das craniosacrale Angebot ist rhythmisch und nicht statisch und sollte deshalb nicht mit<br />

statischen Mitteln bewertet werden. <strong>Die</strong> Betrachtungsweise im Fall von alternativen<br />

Methoden, <strong>in</strong> diesem Falle <strong>der</strong> CSO, ist nicht die gleiche wie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schulmediz<strong>in</strong>, doch gilt es<br />

nicht zu vergessen, dass alle erwähnten Angebote für die sterbenden Menschen s<strong>in</strong>d, die ihr<br />

Bef<strong>in</strong>den und die Möglichkeiten ihren Weg ressourcenorientiert zu gehen, ermöglichen und<br />

verbessern möchten.<br />

Natürlich stellt sich auch die Frage, wie die CSO im palliativen Bereich und <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Sterbebegleitung</strong> <strong>in</strong>tegriert und umgesetzt werden soll.<br />

Meistens kommen Cranisacraletherapeut<strong>in</strong>nen und Therapeuten aus dem mediz<strong>in</strong>ischen,<br />

therapeutischen o<strong>der</strong> pädagogischen Bereich.<br />

Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner, Physiotherapeut<strong>in</strong>nen und Physoitherapeuten,<br />

Hebammen und viele Fachfrauen und Fachmänner aus verschiedenen mediz<strong>in</strong>ischen<br />

Diszipl<strong>in</strong>en haben nach etlichen Jahren Berufserfahrung oft das Bedürfnis, ihre Erfahrung <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en Kontext zu br<strong>in</strong>gen und mit neuen Qualitäten zu bereichern. Im Grunde s<strong>in</strong>d<br />

das die Leute, die es <strong>in</strong> eigener Sache <strong>in</strong> den Krankenhäusern, Heimen und Betreuungszentren<br />

zu rekrutieren gilt.<br />

E<strong>in</strong>erseits ist dadurch schon e<strong>in</strong> grosser Erfahrungs- und Wissenspool vorhanden, gepaart mit<br />

<strong>der</strong> Kultur des eigenen Hauses, den Abläufen und gegebenen Strukturen. Es gilt nur noch das<br />

nötige Weiterbildungsangebot zu lancieren. <strong>Die</strong> Weiterbildung zur CSO-Therapeut<strong>in</strong> o<strong>der</strong><br />

CSO-Therapeuten dauert berufsbegleitend zwischen zweie<strong>in</strong>halb und vier Jahren, je nach<br />

Ressource des Auszubildenden und <strong>der</strong> Möglichkeit des schulischen Angebots. So werden<br />

motivierte und fachkompetente Mitarbeiter weiterführend und auf qualitativ höherem Niveau<br />

<strong>in</strong>tegriert und bleiben dem Betrieb somit auch erhalten. Aus dem Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> Kräfteerhaltung<br />

und des ökonomischen Gedankens ist dies sicher e<strong>in</strong>e sehr gute und nachhaltige Lösung.<br />

Nicht zu vergessen gilt ausserdem, das eventuell schon bestehende craniosacrale Angebot<br />

explizit im Sterbeprozess zu <strong>in</strong>tegrieren und auszubauen, ebenso wie an<strong>der</strong>e<br />

Therapieangebote auch.<br />

22


6. Empfehlungen<br />

<strong>Die</strong> CSO eignet sich, wie ich aus den oben ausgeführten Erkenntnissen gezeigt habe, sehr gut<br />

für die <strong>Sterbebegleitung</strong>.<br />

In diesem Zusammenhang empfehle ich:<br />

Das vorhandene Therapieangebot <strong>in</strong> den Spitälern, Altersheimen und<br />

Brückenangeboten soll, wenn noch nicht vorhanden, gezielt mit craniosacraler<br />

<strong>Osteopathie</strong> ergänzt werden. <strong>Die</strong>s mit <strong>der</strong> Wahl von Therapeut<strong>in</strong>nen und Therapeuten,<br />

die <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> <strong>Sterbebegleitung</strong> und <strong>der</strong> prozessorientierten Arbeit Erfahrung und<br />

Know-how vorzuweisen haben.<br />

Das Angebot <strong>der</strong> CSO soll <strong>in</strong> schwierigen Sterbephasen flexibel genutzt werden, so<br />

wie an<strong>der</strong>e Therapien und Betreuungsangebote auch bei Bedarf kurzfristig zum<br />

E<strong>in</strong>satz gelangen. <strong>Die</strong>s deshalb, weil wie vorgängig erwähnt, die Strukturen <strong>in</strong> den<br />

Spitälern und <strong>in</strong> den betreffenden Abteilungen schon geschaffen s<strong>in</strong>d.<br />

Es gilt im Bereich <strong>der</strong> <strong>Sterbebegleitung</strong> gangbare f<strong>in</strong>anzielle Lösungen zu f<strong>in</strong>den, bei<br />

denen die craniosacrale Unterstützung nicht mehr an Zusatzversicherungen gebunden,<br />

son<strong>der</strong>n im stehenden Angebot <strong>in</strong>tegriert und f<strong>in</strong>anziert ist.<br />

Für die CSO im Bereich <strong>der</strong> <strong>Sterbebegleitung</strong> soll <strong>in</strong> Form von Öffentlichkeitsarbeit<br />

und vermehrter medialer Präsenz sensibilisiert werden.<br />

Der Berufsverband <strong>der</strong> Craniosacraltherapeut<strong>in</strong>nen und Craniosacraltherapeuten soll<br />

auch <strong>in</strong> diesem Thema präsent se<strong>in</strong>.<br />

Flawil, 28. Juni 2011<br />

Andrea Gabriela Durisch Bohne<br />

23


Dank<br />

Abschliessend möchte ich mich bei all jenen Menschen von ganzem Herzen bedanken, die ich<br />

<strong>in</strong> ihrem Sterbeprozess begleiten durfte und die mir dadurch ihr Vertrauen geschenkt haben.<br />

Ich b<strong>in</strong><br />

Nicht me<strong>in</strong>e Gedanken,<br />

Gefühle, S<strong>in</strong>neswahrnehmungen<br />

und Erfahrungen.<br />

Ich b<strong>in</strong> nicht das,<br />

was <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Leben geschieht.<br />

Ich b<strong>in</strong> Leben.<br />

Ich b<strong>in</strong> <strong>der</strong> Raum,<br />

<strong>in</strong> dem alle D<strong>in</strong>ge geschehen.<br />

Ich b<strong>in</strong> Bewusstse<strong>in</strong>.<br />

Ich b<strong>in</strong> das Jetzt.<br />

Ich B<strong>in</strong>.<br />

Eckhart Tolle<br />

24


Quellenverzeichnis:<br />

[1] Stephen Porges: Polyvagale Theorie und Neurozeption, aus dem Manual „Hirnnerven<br />

Schw<strong>in</strong>del T<strong>in</strong>itus“ <strong>der</strong> Schule für <strong>Craniosacrale</strong> <strong>Osteopathie</strong> Rudolf Merkel<br />

[2] Elisabeth Kübler-Ross, „Interviews mit Sterbenden“ 1980<br />

[3] Manual <strong>Craniosacrale</strong> <strong>Osteopathie</strong>, Grundkurs Palpation und Mobilisierung <strong>der</strong><br />

Knochenstrukturen, s.8, Das Leitbild <strong>der</strong> Schule für CSO/CMT, Schule für CSO Rudolf<br />

Merkel,<br />

[4] Zitat aus „<strong>Die</strong> Anatomie <strong>der</strong> Potency“ von Nicolas Handoll, s.4, 2000<br />

[5] Markolf H. Niemz „Lucys Vermächtnis“, s.157, 2009<br />

[6] Manual „Embryologie und wie menschliche Funktion, Struktur und Form im Raum<br />

Gestalt annimmt“ von Rosmarie Walthert<br />

[7] Manual „Energie Praxis“ Schule für CSO R. Merkel, s. 16 <strong>Die</strong> drei Phasen des Becker<br />

Fulkrums<br />

[8] <strong>Die</strong>trich Bonhoeffer, Zitat aus se<strong>in</strong>em Gedicht „ Von guten Mächten wun<strong>der</strong>bar geborgen“<br />

1945<br />

[9] Sogyal R<strong>in</strong>poche „Das tibetische Buch vom Leben und vom Sterben“ E<strong>in</strong> Schlüssel zum<br />

tieferen Verständnis von Leben und Tod, 2002<br />

[10] Ursula Goll „ <strong>Die</strong> E<strong>in</strong>heit von Orient und Okzident im Werk des Sehers Emanuel<br />

Swedenborg“ s.75, 2003<br />

[11]-Jörg Starkmuth „<strong>Die</strong> Entstehung <strong>der</strong> Realität“, s. 171, 2005<br />

[12] Joachim Bauer, „Das Gedächtnis des Körpers“ Kapitel 11 - „Bl<strong>in</strong>dflug“ von Arzt und<br />

Patient? Was an <strong>der</strong> Behandlung mit Psychopharmaka zu kritisieren ist.“, 2002<br />

25

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