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ich an ihm vollzogen habe, in<strong>de</strong>m ich seine Sätze über mich abdruckte, hatte<br />

keine an<strong>de</strong>re unmittelbare Wirkung. Gleichwohl wür<strong>de</strong> er sich, wenn er diesen<br />

Mißerfolg mit <strong>de</strong>r Tragweite meiner Tat verwechseln wollte, so stark täuschen,<br />

daß die Mark—Twain'sche Berichtigung auch in <strong>de</strong>r Variante möglich<br />

wäre: die Meldung von seinem Fortleben sei stark übertrieben. Denn in Wahrheit<br />

beruht dieses auf <strong>de</strong>r konsternieren<strong>de</strong>n Tatsache, daß er mir seine Lebensrettung<br />

verdankt und kein Hund so länger leben möchte. Man vergegenwärtige<br />

sich nur das Gefühl eines Literaten, bei je<strong>de</strong>m Absatz einer asthmatischen<br />

Verrichtung, die er bis zu seinem Namenszug hinanklimmt, daran <strong>de</strong>nken<br />

zu müssen, daß ihn kein Einfall mehr davor bewahren wird, keinen zu<br />

haben, da alle von mir vorweggenommen sind. Man stelle sich das vor: in meinem<br />

Spiritus konserviert, als Exemplar meiner Sammlung, nur mehr Forschungszwecken<br />

zu dienen, o<strong>de</strong>r fortzuleben als Figur in meinem Panoptikum,<br />

und nicht einmal ausschließlich für Erwachsene, nein, auch Kin<strong>de</strong>rn zum<br />

warnen<strong>de</strong>n Exempel! Benommen von diesem Mißbehagen, an <strong>de</strong>r Entfaltung<br />

seiner Naturgaben gehin<strong>de</strong>rt, bleibt ihm nichts mehr übrig als nachzuschreiben,<br />

was ich ihm nachgeschrieben habe. So etwa brauchte ich nur die Ekelvorstellung,<br />

die ich von seiner Mundart hege, in das Bild zusammenzufassen,<br />

er sei<br />

als Frie<strong>de</strong>nstaube o<strong>de</strong>r, um in seiner Sprache zu re<strong>de</strong>n, als Frie<strong>de</strong>nstäuberich,<br />

mit <strong>de</strong>m Ölzweig im Rosamündchen<br />

in die Welt gesandt wor<strong>de</strong>n, und schon spricht er in seiner Polemik gegen<br />

Thomas Mann davon, daß<br />

zwei <strong>de</strong>utsche Schriftsteller als Frie<strong>de</strong>nstäuberiche<br />

nach Frankreich gingen, daß aber »die Erörterung zwischen <strong>de</strong>n zwei Ölzweigträgern«<br />

nicht von ihm stamme. Ohne Zweifel stammt jedoch das, was<br />

er in meiner Erörterung, wenngleich ohne »ei, ei«, gefun<strong>de</strong>n hat, von ihm und<br />

er mußte sie gar nicht einmal gelesen haben, um an sich zu nehmen, was ihm<br />

zugehört.<br />

Daß er sie aber gelesen hat, beweist ein Feuilleton, betitelt »Erinnerung<br />

an Paris«, welches — für <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r an Ort und Stelle sich über das Erlebnis <strong>de</strong>s<br />

Herrn Kerr Vergewisserung holen konnte — von einer Schamfreiheit zeugt,<br />

die die Physiognomie <strong>de</strong>s Verfassers nunmehr zu voller Geltung kommen läßt.<br />

Denn mit <strong>de</strong>m Mündchen, das solche Version über Kriegsschuld und Pariser<br />

Frie<strong>de</strong>n zu verbreiten wagt, erscheint auch die Stirn von jener Haarhaube<br />

entblößt, die lange Zeit die letzte publizistische Hemmung <strong>de</strong>s Losen gebil<strong>de</strong>t<br />

hat. Selbst ein Pavian, <strong>de</strong>r doch nichts zu tun unterläßt, was sein Prestige vermin<strong>de</strong>rn<br />

könnte, wür<strong>de</strong> so rasiert nicht unter Leute gehn und hat eine Stelle,<br />

wo er noch errötet, wenngleich er be<strong>de</strong>nkenlos genug ist, auch diese vorzuzeigen.<br />

Herr Alfred Kerr jedoch ist von altersher eine Schelmenhaut, nie verlegen,<br />

sich mit Schnickschnack und kleinen Sentiments coram publico zu produzieren,<br />

er hat von Heine gelernt, mit <strong>de</strong>r tränenfeuchten Wimper zu klimpern,<br />

und ist aus Nietzsches Kurs ein Tänzerich. Er war heiter in ernster Zeit,<br />

und er wird gefühlsduselig, wenn er an Paris <strong>de</strong>nkt, wo er als Frie<strong>de</strong>nsfreund<br />

auftreten konnte, »wo <strong>de</strong>r Weltenwahnsinn für eine Schar von Menschen zehn<br />

Tage lang, zehn Tage lang wich«; wo Herr Gémier ihn als Missionar <strong>de</strong>r Völkerliebe<br />

hochleben ließ, »kurz: wo das Mittelalter, für eine Gruppe bewußter<br />

Gefährten auf diesem Stern, schwand und schwieg — zehn Tage lang, zehn<br />

Tage lang«. Er wird nach <strong>de</strong>n Strapazen dieser Reise und wiewohl <strong>de</strong>r letzte<br />

<strong>de</strong>r zehn Tage schon wie<strong>de</strong>r mittelalterlich umflort war, nicht mü<strong>de</strong> es zu wie<strong>de</strong>rholen<br />

und notiert, mit <strong>de</strong>r ausgeborgten einsamen Träne, die ihm ja <strong>de</strong>n<br />

Blick trübt, und mit <strong>de</strong>n originalen Klammern, die ihm das Herz bedrücken:<br />

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