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che ich <strong>de</strong>m Theatervergnügen aus und begnüge mich für fünf Jahre mit einem<br />

Akt, um einen Überblick zu gewinnen, <strong>de</strong>n die Leute, die die Entwicklung<br />

durch sämtliche Premieren verfolgen, unmöglich haben können. Je<strong>de</strong>m Versuch,<br />

mich blöd zu machen, standhaft wehrend, ungläubig vor <strong>de</strong>r heiligen Johanna<br />

wie vor <strong>de</strong>r schmerzensreichen Moissi, an <strong>de</strong>r Zeitkunst mit völliger<br />

Teilnahmslosigkeit interessiert, schlage ich, wenn <strong>de</strong>r Lärm zu laut wird, wie<br />

<strong>de</strong>r Großvater in »Literatur« die Augen auf und sage die weltumspannen<strong>de</strong><br />

Silbe, die dort auf Seite 78 unten steht.<br />

<strong>Glossen</strong><br />

DER JOURNALIST<br />

So durchlässige Gehirne können in keiner Kaffeegesellschaft versammelt<br />

sein, daß sie <strong>de</strong>n Teilnehmer, <strong>de</strong>r ihnen erzählte, es sei finster gewesen,<br />

als <strong>de</strong>r Mond helle schien, nicht für einen gewissen Wi<strong>de</strong>rspruch verantwortlich<br />

machten. Wenn sie es aber schwarz auf weiß lesen, fällt ihnen gar nichts<br />

auf. Das ist das Geheimnis <strong>de</strong>r Presse und <strong>de</strong>r Vorteil sozialen Kredits, <strong>de</strong>n sie<br />

gegenüber <strong>de</strong>r Frau Blaschke hat. Das Neue Wiener Journal dürfte, die Kaffeehausbesucher<br />

eingeschlossen, rund hun<strong>de</strong>rttausend Leser haben. Es wäre<br />

ein Experiment, weit spannen<strong>de</strong>r als die Lektüre, festzustellen, ob unter <strong>de</strong>n<br />

hun<strong>de</strong>rttausend Lesern mehr als fünf das Folgen<strong>de</strong> als die zufällig in Druck<br />

übertragene Privatäußerung eines Imbezillen erkannt und ob weniger als alle<br />

übrigen darin ein Stück öffentlicher Meinung, das Hand und Fuß hat, respektiert<br />

haben:<br />

Ernst Deutsch, <strong>de</strong>r in Berlin seit einigen Jahren <strong>de</strong>r prominenteste<br />

Fachmann für etwas morbi<strong>de</strong>, komplexbehaftete und düster flackern<strong>de</strong><br />

Jünglinge ist, hat nie in Wien gespielt, obwohl seine Wiener<br />

Zuständigkeit außer Zweifel steht. Er ist nämlich Prager. Ein<br />

magerer, dunkelhaariger und elegisch blasser junger Mensch, äußerlich<br />

sehr verschie<strong>de</strong>n vom Typ <strong>de</strong>s zum Siegen gebornen<br />

Schauspielers, <strong>de</strong>r er in Berlin allerdings gewor<strong>de</strong>n ist.<br />

In Wien vor zehn Jahren fand man ihn zu spirituell, zu viel Intellekt<br />

in zu wenig Körper — man hatte also gegen ihn ungefähr dieselben<br />

Einwän<strong>de</strong> wie einst gegen <strong>de</strong>n jungen Kainz. Ernst Deutsch<br />

spielte damals an <strong>de</strong>r eben gegrün<strong>de</strong>ten Volksbühne Stephan<br />

Großmanns — —<br />

Wenn unter <strong>de</strong>n fünf sich keiner befand, <strong>de</strong>r zufällig wußte, daß Herr Deutsch<br />

in Wien engagiert war und seit damals auch in Wien gastiert hat, so mußte je<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>r fünf zunächst glauben, daß er in Wien nie gespielt habe und zwar offenbar<br />

aus <strong>de</strong>m Grun<strong>de</strong>, weil man auf <strong>de</strong>r Ringstraße fand, daß er zu spirituell<br />

war. Je<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r fünf vernahm dann überrascht, daß dieser Eindruck vom Spiel<br />

an <strong>de</strong>r Wiener Volksbühne ausging, und ersah daraus, daß jener doch einmal<br />

in Wien gespielt hat. Sämtlichen an<strong>de</strong>rn unter <strong>de</strong>n hun<strong>de</strong>rttausend, aber fiel<br />

da gar nichts auf, <strong>de</strong>nn es war ja gedruckt. Hätte <strong>de</strong>r Autor es ihnen zugeflüstert,<br />

so hätten sie ihn an die Frau Blaschke gewiesen. Die wenigen aber, <strong>de</strong>nen<br />

auch im Druck die logische Kette in ihre Glie<strong>de</strong>r zerfällt, sind vor <strong>de</strong>m<br />

Schmuser so wehrlos wie etwa vor <strong>de</strong>m Radioten, <strong>de</strong>m man ja auch nichts zurufen<br />

kann. Die einzige technische Errungenschaft, die <strong>de</strong>r Menschennatur<br />

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