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Vom ukrainischen DP zum heimatlosen Deutschen

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10 Anne-Kathrin Topp<br />

Im Zusammenhang mit narrativen Interviews entsteht die Frage, wie die gewonnenen Ergebnisse verallgemeinert<br />

werden können und ob die Aussage einer einzelnen Person überhaupt generalisierbar ist.<br />

Während in der Sozialwissenschaft qualitative Interviews als Forschungstechnik sehr verbreitet sind,<br />

haben sich narrative Interviews gerade in der Geschichtswissenschaft erst neu etabliert. Umstritten ist<br />

die Frage, wie der Historiker mit der Gesamtheit der subjektiven Erzählung des Befragten umgehen<br />

muss. Da oral history nicht verifizierbar ist, wird der Historiker mit dem Problem, wie er den Sachverhalt<br />

analysieren und interpretieren und gleichzeitig sein Streben nach größtmöglicher Objektivität<br />

wahren kann, konfrontiert. 6 Als Außenstehender schaut der Historiker auf das Vergangene von<br />

»oben nach unten«, während der Zeitzeuge mitten heraus aus dem Vergangenen »von unten nach<br />

oben« schaut. 7 Die Tatsache, dass dieser Schritt Geschichtsinterpretation demokratisiert, scheint eine<br />

mögliche Synthese noch nicht zu rechtfertigen. Laut Ulrich Herbert ermöglicht die Anwendung von<br />

mündlich erfragter Geschichte einen Perspektivenwechsel, der »die Geschichte aus der Perspektive<br />

und den Begriffen der Macher und Mächtigen herauslös[t] und die Erfahrungen und Handlungsmöglichkeiten<br />

der vielen einzelnen« 8 einbezieht. Der Alltag des Einzelnen oder einer Gruppe steht<br />

im Vordergrund und nicht die machtpolitischen Strukturen und die Einfluss nehmenden Akteure.<br />

Diese Ansicht unterstützt auch Robert L. Grele mit folgender Aussage: »By careful observation and<br />

understanding of this experience [oral history, Anm. d. Verf.] we can add a depth to our historical<br />

understanding which is never revealed in the written record.« 9 Diese Ansichten rechtfertigen die Einstufung<br />

der Erzählungen von Zeitzeugen als vollwertige historische Quelle.<br />

Oral history allein ist als Forschungsmethode unzureichend und kann losgelöst von anderen Methoden<br />

wie <strong>zum</strong> Beispiel der Auswertung von klassischen Archivmaterialien für die Bearbeitung einer Problemstellung<br />

nicht ausreichend sein. Sie sollte eher als eine Forschungstechnik verstanden werden,<br />

die dem Wissenschaftler bei unklarer und unzureichender Quellenlage eine Stütze sein kann. 10<br />

Unreflektiert können Aussagen eines Interviews aufgrund ungeprüfter Vorannahmen und irrtümlicher<br />

Verallgemeinerungen einseitig interpretiert werden. Jedoch ist der Wissenschaftler dieser Gefahr nicht<br />

nur bei der Auswertung von narrativen Interviews ausgesetzt. Ob bei der Verwendung klassischer<br />

Quellen oder der Anwendung eher experimenteller Methoden wie der von oral history gilt: Quellen<br />

genau prüfen und wahrheitsgetreu abbilden und Beweise sorgfältig abwägen. 11 Dies hebt jedoch das<br />

generelle Problem nicht auf, dass Geschichte selbst eine Narration ist 12 , deren Stoßrichtung und<br />

Rezeption sich gegenseitig bedingen.<br />

Die Subjektivität jedes einzelnen Erzählers muss bei der Analyse und Interpretation beachtet werden,<br />

da es bei jedem Erzähler neue Parameter herauszustellen gibt, die seine Erlebnisse und seine Art des<br />

Erzählens beeinflusst haben oder immer noch beeinflussen. Darunter fallen unter anderem der Zeitabstand<br />

zwischen Erlebtem und Erinnertem sowie später erworbenes allgemeines Geschichtswissen.<br />

Des Weiteren ist es unerlässlich, dass die Interpretation und Analyse der geführten Interviews in<br />

einen größeren historischen Zusammenhang gebracht werden, um Irrtümer und Fehlverhalten aus<br />

einer anderen Zeit nicht zu pauschalisieren und zu generalisieren und somit an gegenwärtigen moralischen<br />

Standards zu messen. 13 Trotz der Schwierigkeiten, die die Methode der oral history birgt,<br />

hat sie einen einzigartigen Vorteil: Oral history schafft Selbstzeugnisse von einem Individuum, das<br />

sich oder seine Sache selbst in den meisten Fällen als nicht wichtig genug empfindet, um sie aufzuschreiben.<br />

Die Methode ermöglicht somit einer dritten Person Einblicke in das persönliche Leben<br />

6 Vgl. dazu auch Niethammer, Lutz (Hrsg.)/ Trapp, Werner (1983).<br />

7 Vorländer, Herwert (1990), S. 9.<br />

8 Herbert, Ulrich (1984): Oral History im Unterricht, S. 212, zit. n. Vorländer, Herwart (1990), S. 10, in: Vorländer,<br />

Herwart (Hrsg.), S. 7–28.<br />

9 Grele, Ronald J. (1998), S. 48, in: Perks, Robert/ Thomson, Alistair (Hrsg.), S. 38–52.<br />

10 Vgl. Vorländer, Herwart (1990), S. 10f.<br />

11 Vgl. Grele, Ronald J. (1998), S. 41.<br />

12 Vgl. zu diesem Themenkomplex die Übersicht von Rohbeck, Johannes (2004).<br />

13 Vgl. Vorländer, Herwart (1990), S. 18.

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