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Vom ukrainischen DP zum heimatlosen Deutschen

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24 Anne-Kathrin Topp<br />

Armee auf ukrainischem Boden ab 1943 hatte ein Teil der Ukrainer sowohl ihre aktive Zusammenarbeit<br />

mit den <strong>Deutschen</strong> zu verantworten, als auch sich zu ihrer geistigen Gesinnung zu bekennen.<br />

Die Erfahrung von Terror und Unterdrückung durch das Sowjetregime der 1930er Jahre 86 hatte bei<br />

vielen Ukrainern eine ablehnende Haltung gegenüber den sowjetischen Machthabern erzeugt, sodass<br />

der Einmarsch der verhassten Unterdrücker als ausreichender Grund zur Flucht galt.<br />

4.1.1. Roman Rybak<br />

Wie aus den Berichten Roman Rybaks hervorgeht, gaben die Rückeroberung Westgaliziens durch<br />

die Rote Armee 1944 und die Tatsache, dass er nach eigener Meinung »vor den Sowjets Angst haben<br />

musste« 87 , Anlass zur Flucht. Eigene Aussagen wie z. B., dass es »unter deutscher Besatzung Brot gab,<br />

was von den Sowjets nicht zu erwarten war [und] dass wir [Ukrainer, Anm. d. Verf.] unter deutscher<br />

Besatzung ein ganz gutes Leben hatten« 88 , machen deutlich, dass Roman Rybak während der Besetzung<br />

durch Nazideutschland von 1941 bis 1944 erträglich gelebt haben muss und folglich von der<br />

einmarschierenden sowjetischen Besatzungsmacht eine weniger gute Behandlung erwartete. Wie<br />

genau sein Verhältnis zu den deutschen Besatzern aussah, ließ er unerwähnt, betonte jedoch vehement<br />

seine Ablehnung der »Sowjets«. Wegen der drohenden Rache durch Streitkräfte der Roten Armee<br />

entschloss er sich im Alter von etwa 30 Jahren, Familie und Heimat zu verlassen und kam 1944 mit<br />

illegal erworbenen deutschen Dokumenten ins Dritte Reich. Der aus Snowitow, einem Dorf bei<br />

Tarnopol (heute Ternopil' in der Ukraine) in Galizien, stammende Roman Rybak besaß aufgrund<br />

der damaligen administrativen Verwaltung polnische Dokumente. 89 Infolge des Molotow-Ribbentrop-Paktes<br />

wurde Galizien 1938 aufgeteilt. Westgalizien zählte fortan <strong>zum</strong> deutschen Generalgouvernement<br />

und Ostgalizien (u. a. Tarnopol) <strong>zum</strong> Einflussbereich der Sowjetunion. Eine Folge der<br />

deutschen Kriegserklärung 1941 an die UdSSR war die Besetzung ganz Galiziens durch die <strong>Deutschen</strong><br />

bis 1944. Die Unterbrechung des sowjetischen Machtanspruchs in dieser Region ist eine Erklärung<br />

für das harte Durchgreifen der »Sowjets« gegenüber der einheimischen Bevölkerung nach Kriegsende.<br />

So hätte auch Roman Rybak leicht Opfer der Zwangsrepatriierung und der damit verbundenen<br />

Repressionen werden können. Dieser Umstand veranlasste ihn jedoch dazu, alles an ein vorübergehendes<br />

Verbleiben im Nachkriegsdeutschland zu setzten. Als die Alliierten nach und nach Nazideutschland<br />

besetzten und der internationalen Flüchtlingsströme Herr zu werden versuchten, gab sich<br />

Roman Rybak zunächst als polnischer Flüchtling aus und konnte sich mit polnischen Dokumenten<br />

ausweisen. Erst später bekannte er sich als Galizienukrainer.<br />

4.1.2. Familie Kolanko<br />

Familie Kolanko stammt aus dem kleinen Ort Serniki bei Luc'k, das sich in Wolhynien befindet.<br />

Als direkte Folge des Ribbentrop-Molotow-Pakts wurde Wolhynien 1939 sowjetisch. Der Vater<br />

der Familie Volodymyr Kolanko war Bauer und sollte der politischen Linie entsprechend zwangskollektiviert<br />

werden. Er widersetzte sich und infolgedessen drohte ihm eine Strafe von 25 Jahren<br />

Lagerhaft in Sibirien. Um dieser Strafe entgehen zu können, kam die Besetzung Wolhyniens durch<br />

die Nationalsozialisten 1941 nicht ungelegen. Darüber hinaus waren in multiethnischen Gebieten<br />

wie Galizien oder Wolhynien die interethnischen Spannungen zwischen Polen und Ukrainern ein alltägliches<br />

Problem, das durch den Polnisch-Ukrainischen Krieg von 1918 bis 1919 bereits auf ein unversöhnliches<br />

Maß an gegenseitiger Ablehnung zugespitzt worden war. Von den jeweiligen Besatzern<br />

dieser Gebiete hatte die polnische Bevölkerung oft eine schlechtere Behandlung als die ukrainische<br />

zu erwarten. Die somit bessere Position der Ukrainer machte diese in nicht wenigen Fällen zu Handlangern<br />

der nationalsozialistischen Besatzer. 90 Unter der deutschen Besatzung lebte Familie Kolanko<br />

nach heutigen Angaben des bereits 77-jährigen ältesten Sohns Grigorij Kolanko relativ gut. Erst mit<br />

86 Vgl. Kappeler, Andreas (2009), S. 221.<br />

87 Interview mit Roman Rybak (1).<br />

88 Ebd.<br />

89 Vgl. Interview mit Roman Rybak (1).<br />

90 Siehe dazu auch Kappeler, Andreas (2009), S. 215–229.

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