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Vom ukrainischen DP zum heimatlosen Deutschen

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<strong>Vom</strong> <strong>ukrainischen</strong> <strong>DP</strong> <strong>zum</strong> <strong>heimatlosen</strong> <strong>Deutschen</strong> 37<br />

Geschwister Lesja und Jurij wurden in den 1970er Jahren auch zu deutschen Staatsbürgern und zeigten<br />

aufgrund ihrer schlechten Erfahrungen mit den <strong>Deutschen</strong>, die sie als »Polacken« beschimpften,<br />

wenig Interesse, ihre <strong>ukrainischen</strong> Wurzeln lebendig zu halten. Bereits als Jugendliche haben sie sich<br />

nicht wie ihre Schwester Karina in der <strong>ukrainischen</strong> Jugendbewegung engagiert. Ihre Ukrainischkenntnisse<br />

sind dürftig und mit ihren eigenen Kindern sprechen sie heute nur Deutsch.<br />

4.6.3. Familie Kolanko und Sohn Grigorij Kolanko<br />

Nachdem der älteste Sohn Grigorij Kolanko von 1952 bis 1957 die Roselieskaserne schon einmal verlassen<br />

hatte, um sich der britischen Armee in Bad Fallingbostel anzuschließen, kam er 1957 für kurze<br />

Zeit nach Braunschweig zurück, um noch im selben Jahr der amerikanischen Armee in Eschborn<br />

bei Frankfurt, beizutreten. Von den Westalliierten zu Geheimdienstaktivitäten eingesetzt, geriet er<br />

bis 1963 in polnische Gefangenschaft. Grigorij Kolanko selbst redet nicht viel über diese Zeit, da er<br />

fürchtet, dass man ihn missverstehen und seine Aktivitäten für den amerikanischen Geheimdienst<br />

falsch deuten könnte. 130<br />

Die Eltern und die zwei bei ihnen verbliebenen jüngeren Söhne zogen 1959 in eine Zweieinhalbzimmerwohnung<br />

in einer Siedlung in Rautheim. Sie erhielten im darauffolgenden Jahr die deutsche Staatsbürgerschaft,<br />

da die »<strong>Deutschen</strong> etwas gut machen wollten« 131 . Der älteste Sohn Grigorij Kolanko<br />

bemerkte während eines Gespräches, dass er nie verstanden habe, wozu seine Eltern den deutschen<br />

Pass gebraucht hätten. »Sie konnten Brot, Wurst, moloko (Milch, Anm. d. Verf.) sagen und das war<br />

alles.« 132 Wenn man aber den Werdegang des jüngsten Sohnes Borys Kolanko berücksichtigt, lässt<br />

sich nachvollziehen, warum Familie Kolanko die deutsche Staatsbürgerschaft erhielt. Borys Kolanko<br />

besuchte in der Kaserne auch den russischsprachigen Unterricht der Lagerschule. Später trat er der<br />

<strong>Deutschen</strong> Bundeswehr bei. Das war jedoch nur mit einem deutschen Pass möglich. Für den ältesten<br />

Sohn Grigorij war wegen dieser zwei Tatsachen klar, dass man seinen Bruder für Spionagetätigkeiten<br />

o. ä. zu werben versuchte. Dieser Umstand veranlasste Grigorij Kolanko sich von seinem Bruder zu<br />

distanzieren.<br />

Als Grigorij Kolanko 1963 aus polnischer Gefängnishaft nach Rautheim zu den Eltern heimkehrte,<br />

mangelte es an Wohnraum für den ältesten Sohn. Dies war Anlass schnellstmöglich zu heiraten, eine<br />

eigene Familie zu gründen und eine Erwerbsarbeit aufzunehmen.<br />

Seit 1964 arbeitete er bei Volkswagen in Braunschweig. Dank des Einsatzes seines damaligen Chefs<br />

in der Firma erhielt Grigorij Kolanko 1966 die deutsche Staatsbürgerschaft. Laut eigener Angaben<br />

hat er bei VW gut verdient. 133 Durch einen Unfall 1986 jedoch wurde er fast gänzlich arbeitsunfähig<br />

und musste mit 55 Jahren in Frührente gehen.<br />

Grigorij Kolanko heiratete Ende der 1960er Jahre eine deutsche Frau und hatte mit ihr zwei Kinder. Die<br />

Ehe scheiterte bereits Anfang der 1970er Jahre. Es kam zu einer zweiten Heirat mit einer <strong>Deutschen</strong>,<br />

die polnische Wurzeln hatte. Gertrud und Grigorij Kolanko haben eine gemeinsame Tochter, die sich<br />

als Kind für den Migrationshintergrund des Vaters interessierte. Sie lernte jedoch weder die ukrainische<br />

Sprache noch fuhr sie nach 1991 zu Besuch in die Ukraine. Durch die Großmutter Anna Kolanko<br />

kamen sie und auch die anderen Enkelkinder mit der <strong>ukrainischen</strong> Sprache in Berührung. Die Großmutter<br />

sang den Enkelkindern ukrainische Lieder vor und brachte ihnen manche Redewendungen bei.<br />

Ehepartner übernommen werden. Erst mit einer Gesetzesänderung 1970 musste der deutsche Ehepartner fortan<br />

nachweisen, dass er laut Abstammungsprinzip (Blutsverwandtschaft) Deutscher war. Der Ehepartner ohne deutsche<br />

Staatsbürgerschaft konnte sich daraufhin in einem aufwändigen Verfahren um seine Einbürgerung bewerben.<br />

Vgl. dazu auch Interview mit Karina Bauer (4).<br />

130 Vgl. Interview mit Grigorij Kolanko (2).<br />

131 Interview mit Grigorij Kolanko (2).<br />

132 Interview mit Grigorij Kolanko (3).<br />

133 Vgl. Interview mit Grigorij Kolanko (2).

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