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Vom ukrainischen DP zum heimatlosen Deutschen

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»Selbstrepublik – das hatte mit Deutschland nichts zu tun.«<br />

Roman Rybak über das Leben in der Ausländerkaserne (September 2009) 1<br />

1. Deutsch werden oder ukrainisch bleiben<br />

Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges sind 65 Jahre vergangen. Folge des Krieges war eine riesige<br />

Welle an unfreiwilliger und freiwilliger Migration. Zwangsarbeit, Deportation und materielle Not<br />

waren die häufigsten Gründe dafür, dass Millionen von Menschen für viele Jahre und in zahlreichen<br />

Fällen für immer ihre Heimat verloren. Einige von ihnen leben bis <strong>zum</strong> heutigen Tag in (West-)Deutschland.<br />

Sie sind nach 1945 nie in ihre Heimat zurückgekehrt und mancher zählt immer noch <strong>zum</strong> staatenlosen<br />

Bevölkerungsteil Deutschlands. Die (west-)deutsche Gesellschaft schenkte der Problematik<br />

der staatenlosen Mitmenschen, früher von der Politik nur als heimatlose Ausländer deklariert, in den<br />

vergangenen Jahrzehnten kaum Aufmerksamkeit. Der Medienrummel, der mit dem Prozessauftakt<br />

gegen den gebürtigen Ukrainer John Demjanjuk im Sommer 2009 ausgelöst wurde, sensibilisierte<br />

jedoch einen breiten Teil der Öffentlichkeit für die Lebenswege dieser durch Krieg und Vertreibung<br />

entwurzelten Personen, der sogenannten displaced persons (<strong>DP</strong>). 2 Der 89-jährige John Demjanjuk<br />

ist ein prominentes Beispiel: Er ist gebürtiger Ukrainer und wird beschuldigt als SS-Wachmann für<br />

den Tod mehrerer Tausend KZ-Gefangener mitverantwortlich zu sein. Im Verlauf des Zweiten Weltkrieges<br />

geriet Demjanjuk in deutsche Kriegsgefangenschaft und erhielt mit der Befreiung dank westlicher<br />

Organisationen den Status als <strong>DP</strong>. Fortan stand er unter internationalem Schutz und konnte<br />

1952 von Deutschland nach Amerika emigrieren.<br />

Der Fall Demjanjuk war nicht neu für mich, die Tatsache, dass es in (West-)Deutschland seit 1945 als<br />

Folge des Krieges bis heute heimatlose Ausländer gibt, jedoch schon. Dies weckte mein Interesse für<br />

weitere Nachforschungen. Während eines Praktikums in der Gedenkstätte KZ-Außenlager Braunschweig<br />

Schillstraße erfuhr ich von der Existenz ehemaliger Lager für heimatlose Ausländer in der<br />

Stadt und konnte durch persönliche Kontakte Bekanntschaft mit ehemaligen Bewohnern ukrainischer<br />

Herkunft und deren Kindern schließen. Die Lebensgeschichten der ehemaligen <strong>ukrainischen</strong> displaced<br />

persons und teilweise bis heute Staatenlosen haben mir in den meisten Fällen deren Kinder erzählt,<br />

die nach 1945 in Deutschland geboren wurden und aufgewachsen sind. Darüber hinaus bot sich mir<br />

die Gelegenheit mit zwei Zeitzeugen, die beim Verlassen der Heimat junge Erwachsene waren, zu<br />

sprechen. Sie alle zählten zu dem von den westalliierten Behörden als hard core bezeichneten Personenkreis<br />

der <strong>DP</strong>s, der für eine Auswanderung nach Amerika, Kanada oder England nicht infrage kam und<br />

sich in den 1960/1970er Jahren mit einem »lebenslänglich« in Deutschland abfand. In Gesprächen<br />

mit fünf (ehemaligen) <strong>DP</strong>s und <strong>heimatlosen</strong> Ausländern ukrainischer Herkunft, die damals wie heute<br />

in Braunschweig leben, habe ich die Lebensgeschichten der ersten Generation, der Elterngeneration,<br />

verfolgt. Deren hier dargestellte Lebenswege beginnen mit der Ankunft im Dritten Reich und enden<br />

oftmals mit der Wiederherstellung persönlicher Kontakte zu Verwandten und Bekannten in der verlassenen<br />

Heimat Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre. Dies sind Lebenswege mit vielen Stationen<br />

und Transitstadien. Diesen Biografien stehen die Lebensgeschichten der zweiten Generation, der<br />

Kindergeneration, gegenüber, die in zwei parallelen Welten – der <strong>ukrainischen</strong> und der deutschen<br />

– sozialisiert wurden und später mit deutschem Pass unbewusst in der deutschen Gesellschaft aufgingen.<br />

Ihre Bestätigung fand diese Tatsache, als die Kindergeneration nach 1991 erstmals in die nun<br />

freie Ukraine fuhr und sich ein eigenes Bild von der Heimat der Eltern machen konnte. Sie erfuhren<br />

Gewissheit, dass ihr »Zuhause« nicht dort, sondern in Deutschland war.<br />

1 Die Namen der Personen, die in den verwendeten Archivmaterialien aus dem Stadtarchiv Braunschweig vorkommen,<br />

wurden von der Autorin geändert. Das Gleiche gilt für die Namen der Interviewpartner und ihrer Familienangehörigen.<br />

2 Siehe dazu auch Wefing, Heinrich in Die Zeit vom 26.11.2009; Bönisch, Georg/ Friedmann, Jan in Der Spiegel<br />

vom 2.11.2009 und Kühl, Stefan in Die Zeit vom 23.04.2009.

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