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Vom ukrainischen DP zum heimatlosen Deutschen

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6. Fazit<br />

Aus dem reichhaltigen Material an Erzählungen der (ehemaligen) <strong>DP</strong>s und <strong>heimatlosen</strong> Ausländer<br />

war es mir möglich, die persönlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen der im Zuge dieser Arbeit<br />

interviewten Personen zu verfolgen. Hierbei standen jedoch nicht unmittelbar die Erinnerungen des<br />

Einzelnen im Mittelpunkt, sondern vielmehr die Form der Verarbeitung der Erfahrungen aus einer<br />

früheren Zeit. Die erste Generation benutzte ihren <strong>ukrainischen</strong> Migrationshintergrund als eine Art<br />

Schutzraum. Da sie äußerlich nie integriert worden war, zog sie sich unter ihresgleichen, in die vertraute<br />

Umgebung zurück, die ihnen die notwendige persönliche Sicherheit und Anerkennung bot.<br />

Ihr auffälliger Akzent beim Deutsch sprechen war nur ein Merkmal, durch das die Elterngeneration<br />

in den frühen Jahren der Bundesrepublik als Ausländer klassifiziert wurde. Sie wurden nie als »vollwertige<br />

Deutsche« akzeptiert, auch wenn der eventuell vorhandene Pass ihnen dies <strong>zum</strong>indest rechtlich<br />

bescheinigte. Die Kinder waren aufgrund gesellschaftspolitischer Entscheidungen hingegen<br />

gezwungen, aktiv einen Platz in der westdeutschen Mehrheitsgesellschaft einzufordern. Zur Durchsetzung<br />

dieses Anspruchs gaben sie ihrem <strong>ukrainischen</strong> Migrationshintergrund allein in ihrem Privatleben<br />

Raum, da er ansonsten eher hinderlich war. Manch einer aus der Kindergeneration war hinund<br />

hergerissen zwischen der elterlichen Lebenswelt und dem dazugehörigen <strong>ukrainischen</strong> Lebensstil<br />

sowie der deutschen Lebenswelt, die Erfolg und Anerkennung versprach. Dieser Zustand und der<br />

Umgang damit machten die Betroffenen der zweiten Generation aus heutiger Sicht nicht zu Personen<br />

mit multiplen Identitäten, sondern veranlassten sie, kreative Lösungen im Umgang mit der deutschen<br />

Mehrheitsgesellschaft und dem <strong>ukrainischen</strong> Migrationshintergrund zu entwickeln. Es galt ja auch<br />

die Verbindung zu ihren Eltern zu halten. Diese hatten aber keine andere als die ukrainische Identität.<br />

Folglich wollten sich die Kinder auch ukrainisch fühlen. Heute lässt sich feststellen, dass die Kindergeneration<br />

es geschafft hat, sich in beiden Lebenswelten zurechtzufinden, mit zwei Kulturen, Ländern<br />

und Sprachen umzugehen. Dieser Umstand fordert und prägt besondere soziale Kompetenzen.<br />

In den Erzählungen der <strong>heimatlosen</strong> Ausländer spiegelt sich auch die damalige westdeutsche Gesellschaft<br />

mit all ihren Widersprüchen wider. Da sich Identität sowohl aus gefühlter als auch aus eigenund<br />

fremdzugeschriebener Zugehörigkeit zu einer im vorliegenden Fall ethnischen Gruppe oder<br />

Sache ergibt, muss die Betrachtung der (west-)deutschen Gesellschaft stärker in den Mittelpunkt bei<br />

Integrationsfragen rücken. Einen vermeintlich Fremden nach seiner deutschen Identität zu fragen,<br />

wird damit auch immer zur Selbstbefragung der Mehrheitsgesellschaft, der der Fremde als kritischer<br />

Spiegel dient. So sind es die <strong>Deutschen</strong> selbst, die durch mehr Selbstreflexion ein breiteres Repertoire<br />

an kulturrelativistischen statt an kulturuniversalistischen Deutungsmustern entfalten könnten. Wenn<br />

dieses Repertoire ausgeschöpft würde, dann würden sich Integrationsfragen nicht fortwährend an<br />

Themen wie Sprache und mangelnde Integrationsbereitschaft des Fremden erschöpfen, sondern<br />

Integration würde als ein Prozess, der sowohl Selbstreflexion als auch Perspektivübernahme von<br />

allen Seiten voraussetzt, verstanden werden.

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