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Vom ukrainischen DP zum heimatlosen Deutschen

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4. Gespräche mit (ehemaligen) <strong>heimatlosen</strong> Ausländern<br />

Im folgenden Abschnitt geht es um die Darstellung der Lebenswege (ehemaliger) <strong>DP</strong>s und heimatloser<br />

Ausländer ukrainischer Herkunft. Das Wissen um ihre Biografie stammt aus Interviews,<br />

die im Zuge dieser Arbeit durchgeführt wurden. Zur besseren Orientierung möchte ich die Interviewpartner<br />

zunächst vorstellen. Im Anschluss komme ich auf die Herstellung der eigenen Quellen<br />

und deren Auswertung zu sprechen.<br />

Das erste Interview, das ich Ende Juni 2009 führte, gab die Anregung, dieses Thema weiter zu verfolgen.<br />

Von Daria Sommer (geb. Sadko) erfuhr ich viel über das Leben ihrer Mutter Zoja Bondar, die als<br />

Zwangsarbeiterin ins Dritte Reich verschleppt worden war und bis zu ihrem Tod 1976 als heimatlose<br />

Ausländerin in Westdeutschland verblieb. Sie erzählte mir von dem Familienleben in der Kaserne und<br />

betonte stets, dass sie »aus dem Schlamassel der Eltern rauswollte« 80 . Sie berichtete vom Leben ihrer<br />

kranken und motivationslosen Mutter und von ihrem eigenen »Drinnen- und Draußensein« als heimatlose<br />

Ausländerin in der Kaserne. Die zweite Gesprächspartnerin Karina Bauer (geb. Lubarsky)<br />

wurde 1947 als Tochter ehemaliger ukrainischer Zwangsarbeiter geboren. Sie verbrachte ihre Kindheit<br />

in der Kaserne und engagierte sich aktiv in der <strong>ukrainischen</strong> Jugendbewegung, die sich konkret für<br />

die ukrainische Kulturvermittlung und politische Einflussnahme bei ukrainischstämmigen jungen<br />

Menschen einsetzte. Die Erfahrungen ihrer Mutter sensibilisierten sie für ein reflektiertes Unrechtsund<br />

Ungerechtigkeitsempfinden. Daria Sommer und Karina Bauer lebten in den 1950er Jahren in der<br />

Roselieskaserne in Rautheim.<br />

Durch diese beiden Frauen lernte ich drei weitere ehemalige Bewohner dieser Ausländerkaserne<br />

kennen. Meine dritte Gesprächspartnerin war Olena Bondarenko (geboren 1947). Sie wuchs als Einzelkind<br />

ukrainischer Eltern in der Roselieskaserne auf. Die Biografien ihrer Eltern konnte sie an einigen<br />

Stellen nur lückenhaft wiedergeben. Sie absolvierte ein Studium zur Fremdsprachenassistentin, was<br />

ihr später viele Dienstreisen ermöglichte. Zum ersten Mal führte sie ihre Arbeit 1987 in die Ukraine.<br />

Dieses Erlebnis gab den Anstoß zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit den eigenen <strong>ukrainischen</strong><br />

Wurzeln. Der erste private Besuch in der Heimat der Eltern folgte zwei Jahre später.<br />

Mein vierter Gesprächspartner war Roman Rybak (geboren 1913). Er war während des Krieges als<br />

Flüchtling aus Galizien ins Dritte Reich gekommen. Aus Angst vor »den Sowjets« wollte er ein<br />

sicheres Leben in Obhut des westlichen politischen Lagers führen. Er arbeitete in einem Lebensmittelgeschäft<br />

in der Roselieskaserne und besaß später auch ein eigenes Geschäft in der Siedlung in<br />

Rautheim. Er kehrte nie wieder in die Ukraine zurück.<br />

Meine vorerst letzte Bekanntschaft schloss ich mit Grigorij Kolanko (geboren 1932), den ich bei<br />

einem Treffen der <strong>ukrainischen</strong> Gemeinde nach dem monatlichen Gottesdienst kennenlernte. Er<br />

kam als Zwangsarbeiter mit seinen Eltern und sechs Geschwistern ins Dritte Reich. Vier Schwestern<br />

emigrierten um 1950 nach Übersee; seine Bemühungen es ihnen gleich zu tun, schlugen allesamt<br />

fehl. Bis 1957 lebte auch Grigorij Kolanko in der Roselieskaserne. Durch diverse Erwerbstätigkeiten<br />

als ungelernter Arbeiter hatte er ein unregelmäßiges Einkommen. Er trat in den 1950er Jahren<br />

zunächst der britischen Armee in Bad Fallingbostel bei und schloss sich später den amerikanischen<br />

Armeeeinheiten für Geheimdiensttätigkeiten in Eschborn bei Frankfurt am Main an. Er träumt bis<br />

heute von einem Leben »zu Hause« in der Ukraine. 81<br />

Das Zustandekommen der Interviews mit den verschiedenen Gesprächspartnern verdanke ich im<br />

Wesentlichen dem Engagement von Daria Sommer, die seit Beginn meiner Recherchearbeiten bemüht<br />

war, mir Gespräche zu anderen Ukrainern aus der Roselieskaserne zu ermöglichen. Die Auswahl der<br />

Zeitzeugen, deren Erzählungen in der vorliegenden Arbeit Verwendung finden, ist somit durch den<br />

80 Interview mit Daria Sommer (2).<br />

81 Vgl. Interview mit Grigorij Kolanko (1).

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