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Vom ukrainischen DP zum heimatlosen Deutschen

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32 Anne-Kathrin Topp<br />

Volodymyr Kolanko auf dem Hof des Kasernengeländes selbstständig einen Steinbackofen errichtete,<br />

zog er den Ärger des in der Kaserne ansässigen Bäckers auf sich. Die Bewohner kauften fortan ihr Brot<br />

nicht mehr bei ihm, sondern standen Schlange, um unentgeltlich den Backofen der Kolankos nutzen<br />

zu dürfen. Die Behörden verboten das Betreiben eines solchen Backofens, da Volodymyr Kolanko<br />

kein Gewerbe angemeldet hatte. Der Ofen musste demontiert werden, aber schon bei den nächsten<br />

größeren Feiertagen drängten Frauen aus der Kaserne darauf, den Festkuchen o. ä. im Steinbackofen<br />

zubereiten zu dürfen. Der Ärger begann von vorn.<br />

4.4.5. Zoja Bondar und Tochter<br />

Zoja Bondar kam 1949 mit ihrer Tochter Daria in die Ausländerkaserne nach Rautheim, wo sie bald<br />

darauf ihren zweiten Mann kennenlernte. Sie waren zwar nie miteinander verheiratet, hatten aber vier<br />

gemeinsame Töchter. Die jüngste Tochter Celina starb mit nur drei Monaten den plötzlichen Kindstod.<br />

Die älteste Tochter Daria wurde daraufhin polizeilich verhört, da man annahm, dass die Mutter<br />

Zoja Bondar an dem Tod eine Mitschuld trage. Der Verdacht bestätigte sich nicht. Die Mädchen lebten<br />

mit der Mutter in einem Zimmer, der Vater war getrennt von ihnen untergebracht. Das Zimmer war<br />

16 Quadratmeter groß und die Schwestern mussten zu zweit in einem Bett schlafen. Das Zimmer verfügte<br />

über einen Herd und diente wie bei den anderen Familien in der Kaserne einmal in der Woche<br />

als Badezimmer.<br />

Da der (Stief-)Vater an Asthma litt, war er nicht arbeitsfähig. Gelegentlich arbeitete er als saisonale<br />

Aushilfskraft in der Landwirtschaft beim Rübenziehen. Die Mutter war krank, hatte Krampfadern,<br />

litt an Herzproblemen und offener Tuberkulose. Oft konnte sie morgens nicht aufstehen und überließ<br />

der ältesten Tochter Daria die Betreuung und Versorgung der jüngeren Kinder. Auch um den<br />

Haushalt kümmerte sich Daria zunehmend allein. Ohne die dirigierende Hand der Eltern war der<br />

Alltag der Kinder wenig strukturiert. Die Fürsorgezahlung fand immer am 15. des Monats statt und<br />

die Familie hatte kurz vor der Auszahlung regelmäßig Geldsorgen. So mussten Zoja Bondar oder<br />

ihre älteste Tochter öfter in den Lebensmittelgeschäften der Kaserne anschreiben lassen. Zweimal im<br />

Jahr wurden die Mädchen vom Sozialamt mit Bekleidungsgutscheinen versorgt, die für die nötigste<br />

Kleidung ausreichen mussten. Haushaltsgeräte konnten über Ratenzahlungen von Handelsvertreter,<br />

die in die Kaserne kamen, um für Wäschestampfer, Waschmaschinen und andere elektrische Geräte<br />

Käufer zu finden, erworben werden.<br />

In den 1950er Jahren bekam die als alleinerziehende Mutter geltende Zoja Bondar mit ihren vier<br />

Töchtern zwei Zimmer in der Roselieskaserne zugewiesen. Dieser Aufenthalt blieb nicht die letzte<br />

Kasernenerfahrung der Familie. Als die Kaserne in Rautheim 1959/1960 endgültig geräumt wurde,<br />

bekam Zoja Bondar eine Ersatzwohnung angeboten, die jedoch nicht auf ihre Zustimmung stieß. Die<br />

Familie wurde daraufhin im Programm des sozialen Wohnungsbaus der Stadt Braunschweig vorerst<br />

nicht mehr berücksichtigt und musste für weitere 18 Monate in die zu dem Zeitpunkt letzte in der<br />

Stadt betriebene Ausländerkaserne nach Broitzem umziehen.<br />

4.5. Die Kasernenkindheit<br />

1952 wurde die ansässige Lagerschule geschlossen, um den Übergang der Kinder heimatloser Ausländer,<br />

die wie deutsche Staatsangehörige ihre Schule frei wählen konnten, in deutsche Volksschulen<br />

zu forcieren. Dieser Schritt fand Übereinstimmung mit folgender Ansicht, die aus einer Anweisung<br />

des Niedersächsischen Ministers des Inneren vom 26.3.1952 hervorging:<br />

Im wohlverstandenen Interesse der in Deutschland verbleibenden ausländischen Kinder – insbesondere<br />

ihrer späteren Eingliederung in das deutsche Erwerbsleben – liegt es vielmehr, daß<br />

sie rechtzeitig die deutsche Sprache gründlich erlernen und das Ziel der deutschen Schulen<br />

erreichen, damit sie im Wettbewerb um Arbeits- und Lehrstellen nicht benachteiligt werden.<br />

Schon aus diesem Grunde ist die allmähliche Auflösung aller Lagerschulen erforderlich. 115<br />

115 Anweisung des Niedersächsischen Ministers des Inneren vom 26.3.1952, Akte E 56 IX 3, Stadtarchiv Braunschweig.

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