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Vom ukrainischen DP zum heimatlosen Deutschen

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<strong>Vom</strong> <strong>ukrainischen</strong> <strong>DP</strong> <strong>zum</strong> <strong>heimatlosen</strong> <strong>Deutschen</strong> 25<br />

fortschreitender Umsetzung der nationalsozialistischen Rassenpolitik erkannte der Großteil der<br />

Ukrainer in den deutschen Besatzern einen weiteren Feind und war fortan Deportation, Zwangsarbeit,<br />

Erschießung und anderer Art von Gewalt ausgesetzt. Beim Vormarsch der Roten Armee gen<br />

Westen wurde seit 1941 der deutsche Bevölkerungsteil aus Wolhynien evakuiert. Mit ihnen brachte<br />

man auch weitere ukrainische und polnische Zwangsarbeiter aus der Region ins Dritte Reich. Familie<br />

Kolanko wurde 1943 ebenfalls zu einem solchen Transport bestimmt. Nach Angaben des ältesten<br />

Sohnes Grigorij Kolanko wurden die Eltern und die sieben Kinder in einen Viehwaggon gepfercht<br />

und zur Zwangsarbeit ins Dritte Reich geschickt. In diesem Transport sollen sich nach seiner Aussage<br />

<strong>zum</strong> selben Zeitpunkt auch evakuierte Deutsche aus Wolhynien befunden haben. 91 Die ältesten<br />

Geschwister waren zu dem Zeitpunkt zwischen 12 und 23 Jahre alt und verrichteten fortan Zwangsarbeit<br />

in der Gastronomie und Landwirtschaft. Die jüngsten Söhne, Jahrgang 1939 und 1942, verblieben<br />

in der Obhut der Eltern, die zur Zwangsarbeit in der Landwirtschaft bestimmt wurden.<br />

Während der Gespräche mit Grigorij Kolanko wurde sein starkes ukrainisch-national gefärbtes<br />

Bewusstsein deutlich, das er bemüht war, mit den Worten »Ich bin kein Nationalist, aber ich bin<br />

Ukrainer« 92 zu relativieren. Die Tatsache, dass zwei seiner Cousins in der SS-Division »Galizien«<br />

gekämpft haben, ließ er dennoch nicht unerwähnt.<br />

4.2. Als ukrainischer <strong>DP</strong> im Nachkriegsdeutschland<br />

Da Nationalität und Staatsangehörigkeit im Fall der Ukrainer unvereinbar schienen, gab es<br />

unterschiedliche persönliche Gründe (vorerst) in Deutschland zu verbleiben und nicht in die ursprüngliche<br />

Heimat, die nach 1945 zur Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik (USSR), zu Polen,<br />

der Tschechoslowakei oder Rumänien gehören konnte, zurückzukehren. 93 Am häufigsten nannten<br />

die Zurückgebliebenen die vehemente Ablehnung der Zwangsrepatriierung in die Sowjetunion als<br />

Grund für diesen Entschluss. Die Betroffenen fürchteten nicht zu Unrecht eine weitere Strafe in einem<br />

sowjetischen Arbeits- oder Straflager. Ähnliches traf auch auf die Ukrainer-Polen zu: Diese Gruppe der<br />

<strong>ukrainischen</strong> Minderheit, die einst in Polen lebte und somit die polnische Staatsbürgerschaft besaß,<br />

fürchtete bei Rückkehr auf polnisches Staatsgebiet ihre Auslieferung durch Polen an die Sowjetunion<br />

und somit eine weitere Strafe. 94<br />

Die ukrainische <strong>DP</strong>-Gruppe kann nicht als homogen angesehen werden. Wie bei anderen nationalen<br />

<strong>DP</strong>-Gruppen zu beobachten, gab es auch innerhalb der Ukrainer eine unterschiedliche soziale, geistige<br />

und politische Ausgangsbasis. Eine offensichtliche Erklärung dafür lässt sich in der unterschiedlichen<br />

sozialen und politischen Herkunft des Einzelnen finden. Diese Unterschiede werden besonders<br />

deutlich, wenn man die Standpunkte der Zurückgebliebenen zu Themen wie Emigration, Repatriierung<br />

und Ukraine und die wechselseitige Beziehung zwischen <strong>DP</strong> und Gesellschaft miteinander vergleicht.<br />

4.2.1. Familie Kolanko<br />

Wolhynien, die ehemalige Heimat der Familie Kolanko, fiel nach Ende des Zweiten Weltkrieges<br />

gänzlich an die Sowjetunion und aus diesem Grund stellte eine Rückkehr für die Familie in die Heimat<br />

keine Option dar. Wegen Widersetzung gegen die Zwangskollektivierung ihres landwirtschaftlichen<br />

Betriebes hatten Volodymyr Kolanko und seine Familie bei einer Rückkehr in den sowjetischen Einflussbereich<br />

mit einer Strafe von 25 Jahren Lagerhaft in Sibirien zu rechnen. Die Kolankos erlebten<br />

eine Odyssee durch verschiedenste <strong>DP</strong>-Lager in Westdeutschland und waren 1947 <strong>zum</strong> ersten Mal in<br />

Braunschweig in dem größten <strong>DP</strong>-Lager im Ortsteil Broitzem untergebracht worden. Der Sohn Grigorij<br />

Kolanko ging dort in die polnische Lagerschule. Bevor die Familie von der UNRRA endgültig der<br />

Roselieskaserne in Rautheim zugewiesen wurde, hielt sie sich in verschiedenen Lagern im Emsland,<br />

91 Interview mit Grigorij Kolanko (1)<br />

92 Interview mit Grigorij Kolanko (3).<br />

93 Vgl. Jacobmeyer, Wolfgang (1985), S. 75.<br />

94 Ebd. S. 76.

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