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Eric Voegelins Politische Religionen. Kontexte und Kontinuitäten

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sätzlichen Erörterung der „Fragen der rechtlichen <strong>und</strong> sittlichen<br />

Beziehungen“ zwischen Nationalsozialismus <strong>und</strong> Juden bot. 61<br />

„Was die rechtlichen Beziehungen angeht, so wäre zu sagen gewesen:<br />

die Juden stehen im deutschen Reich als Gruppe außerhalb der<br />

Rechtsgemeinschaft; der Ausschluss aus der Rechtsgemeinschaft<br />

kann begriffswesentlich nicht einseitig sein, sondern ist wechselseitig;<br />

wer ausserhalb der Rechtsgemeinschaft steht, hat keine Rechtspflicht<br />

gegen den, der ihn hinausgestellt hat; er kann nach Naturrechtsgr<strong>und</strong>sätzen<br />

nicht verurteilt werden, was immer er gegen den<br />

tut, der die Rechtsgemeinschaft mit ihm ablehnt.“<br />

Wer diese juristischen Argumente als richtig anerkennen sollte,<br />

könnte sich auf die ethische Position zurückziehen, dass ein Mord in<br />

dieser Lage nach Naturrecht zwar nicht rechtswidrig sei, dass aber<br />

auf jeden Fall die absichtliche Vernichtung eines Menschenlebens<br />

unsittlich <strong>und</strong> der Mörder darum nach Moralprinzipien zu verurteilen<br />

sei. Die Entscheidung in dieser Frage hängt von den Axiomen des<br />

ethischen Systems ab, innerhalb dessen sie gefällt werden soll. Wenn<br />

wir ein System der personalistischen Ethik voraussetzen, wie es unter<br />

den Völkern der westlichen Zivilisation heute noch vorwiegend<br />

angenommen wird, hätten die ethisch-humanitären Kritiker sagen<br />

müssen: die Juden werden heute vom nationalsozialistischen Regime<br />

nicht als Personen, sondern als Sachen behandelt. Die Richtigkeit<br />

dieser Behauptung ist durch ein erdrückendes Material von Einzelakten<br />

der Vernichtung von Leben, Freiheit, Würde <strong>und</strong> Besitz von<br />

Juden belegt; ich verweise nur, um einen Fall weitester Öffentlichkeit<br />

herauszugreifen, auf den Versuch, Leben <strong>und</strong> Freiheit von Juden<br />

gegen Exportdevisen zu verkaufen, also mit Juden Menschenhandel<br />

zu treiben. Im System einer personalistischen Ethik steht der Wert<br />

der Personalität höher als der Wert des Lebens, <strong>und</strong> eine Person, die<br />

geplündert, bespuckt <strong>und</strong> verkauft wird, ist sittlich verpflichtet, diese<br />

Handlung unmöglich zu machen, wenn nötig durch Mord. Nach den<br />

Gr<strong>und</strong>sätzen einer personalistischen Ethik wäre ein Mord, den ein<br />

Jude an einem Nationalsozialisten, der ihn als Sache behandelt, begeht,<br />

nicht nur zu entschuldigen; er wäre Pflicht.“<br />

61 Der 17jährige Herschel Grynszpan, ein in Hannover geborener polnischer<br />

Jude, hatte am 7. November 1938 ein Attentat auf den Legationssekretär<br />

verübt. Als Motiv gab er bei seiner Verhaftung durch die französische<br />

Polizei an, die Deportation seiner Eltern von Deutschland nach Polen rächen<br />

zu wollen. Siehe dazu Wolfram Seelig, in: Wolfgang Benz (Hrsg.),<br />

Legenden, Lügen, Vorurteile: Ein Wörterbuch zur Zeitgeschichte, München:<br />

Deutscher Taschenbuch-Verlag, 1992.

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