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Eric Voegelins Politische Religionen. Kontexte und Kontinuitäten

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Übergehen wir die juristischen <strong>und</strong> ethischen Weiterungen <strong>und</strong> verweilen<br />

wir nur für einen Augenblick bei den religiösen. Eine religiöse<br />

Betrachtung des Nationalsozialismus muss von der Annahme<br />

ausgehen dürfen, dass es Böses in der Welt gebe; <strong>und</strong> zwar das Böse<br />

nicht nur als einen defizienten Modus des Seins, als ein Negatives,<br />

sondern als eine echte, in der Welt wirksame Substanz <strong>und</strong> Kraft;<br />

<strong>und</strong> dass dieses Böse bekämpft werden müsse. Damit aber geraten<br />

wir in die Nähe manichäischer Probleme – <strong>und</strong> eine in der Kirchenorganisation<br />

stehende Persönlichkeit wird im allgemeinen eher ihre<br />

Kirche <strong>und</strong> die ganze Welt am Bösen zugr<strong>und</strong>e gehen lassen, als ihre<br />

Finger an einem Dogmenproblem zu verbrennen. In dieser Angst vor<br />

dogmatischer Bewegung, die ihre Wurzel in einem echten religiösen<br />

Erlebnis des Bösen haben müsste, scheint mir einer der Gründe für<br />

die sonst rätselhafte geistige Widerstandslosigkeit kirchlicher Kreise<br />

gegenüber dem Nationalsozialismus zu liegen. Etwas lebhafter reagieren<br />

diese Kreise nur, wenn ihre Organisationen <strong>und</strong> ihr Erziehungseinfluss<br />

bedroht werden, <strong>und</strong> wenn Geldverluste zu befürchten<br />

sind; im übrigen bewegt sich der Widerstand auf der<br />

weltlichen Linie verletzter Humanitäts- <strong>und</strong> Toleranzgefühle.<br />

Wenn nun die Einsicht in die Existenz einer nicht nur sittlich<br />

schlechten, sondern religiös bösen, satanischen Substanz erreicht<br />

wäre, dann würde die Einsicht folgen, dass nur aus einer gleich starken<br />

religiös guten Kraft der Widerstand geleistet werden kann. Man<br />

kann nicht eine satanische Kraft mit Sittlichkeit <strong>und</strong> Humanität allein<br />

bekämpfen. Dieser Schwierigkeit aber ist nicht durch einen einfachen<br />

Entschluss abzuhelfen. Es gibt heute keinen bedeutenden<br />

Lenker der westlichen Welt, der nicht wüsste – <strong>und</strong> es auch ausgesprochen<br />

hätte –, dass sich diese Welt in einer schweren Krise befindet,<br />

in einem Prozess des Verdorrens, der seine Ursache in der Säkularisierung<br />

des Geistes, in der Trennung eines dadurch nur weltlichen<br />

Geistes von seinen Wurzeln in der Religiosität hat, <strong>und</strong> der<br />

nicht wüsste, dass die Ges<strong>und</strong>ung nur durch religiöse Erneuerung,<br />

sei es im Rahmen der geschichtlichen Kirchen, sei es ausserhalb<br />

dieses Rahmens, herbeigeführt werden kann. Die Erneuerung kann<br />

im grossem Maße nur von grossen religiösen Persönlichkeiten<br />

ausgehen – aber jedem ist es möglich, bereit zu sein, <strong>und</strong> das Seine<br />

zu tun, um den Boden zu bereiten, aus dem sich der Widerstand<br />

gegen das Böse erhebt.

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